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Leidenschaft

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 03/2013

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 03/2013

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SICH ONLINE UND ANONYM VERLIEBEN, EINE PARTNERSCHAFT<br />

MIT ZWEI WOHNSITZEN IN UNTERSCHIEDLICHEN STÄDTEN FÜHREN:<br />

DISTANZ MUSS DER LIEBE KEINEN ABBRUCH TUN.<br />

IN EINER GLOBALISIERTEN WELT VERÄNDERN SICH FAMILIEN<br />

UND MÜSSEN DAHER NEU DEFINIERT WERDEN. Von Julia Schilly<br />

„Was kommt nach der Familie?“, fragte<br />

die Wissenschafterin Elisabeth Beck-<br />

Gernsheim bereits 1998 im gleichnamigen<br />

Buch. Darin stellte sie die<br />

These auf, dass sich die Familie immer<br />

mehr zu einem widersprüchlichen<br />

Modell zwischen traditionellen<br />

Sehnsüchten und neuen Herausforderungen<br />

entwickelt. Denn vor allem<br />

die neuen Jobchancen der globalisierten<br />

Welt schaffen neben der<br />

klassischen Form der Familie, die<br />

am gleichen Ort lebt, immer mehr<br />

verstreute Strukturen. Von manchen<br />

wird dieser Zustand erhofft, von anderen<br />

erlitten. Mit welchen Strategien<br />

überleben also diese neuen Beziehungen,<br />

ja sogar Liebe auf Distanz?<br />

„WIR WAREN NIE<br />

LÄNGER ALS<br />

14 TAGE GETRENNT“<br />

Beck-Gernsheim spricht aus eigener<br />

Erfahrung, da sie und ihr Mann, der<br />

ebenso bekannte Soziologe Ulrich<br />

Beck, seit Jahren an unterschiedlichen<br />

Orten arbeiten: Sie unterrichtet<br />

an der Universität in Trondheim in<br />

Norwegen, er pendelt nach London,<br />

beide leben in München. Beck-<br />

Gernsheim nennt die wichtigste persönliche<br />

Grundregel für ihre Fernbeziehung:<br />

„Wir waren nie länger als<br />

14 Tage getrennt.“ Ihr Modell kann<br />

jedoch nicht von allen Paaren angewendet<br />

werden. Für Wissenschafter<br />

und ohne Kinder sei es einfacher,<br />

sich die Zeit frei einzuteilen: „Wir packen<br />

so viel Arbeit wie möglich in den<br />

Zeitraum, in dem wir uns nicht sehen,<br />

damit wir dann ein paar Tage völlig<br />

frei haben.“<br />

In ihrem jüngsten Buch „Fernliebe“<br />

hat das Ehepaar Beck nun seine<br />

Untersuchungen zu Liebe und Beziehungen<br />

weitergesponnen und<br />

verschiedene Modelle von Fernbeziehungen,<br />

deren Stolperfallen und<br />

Chancen beleuchtet. Interessant ist,<br />

dass Beck-Gernsheim eine Fernbeziehung<br />

nicht nur pessimistisch sieht:<br />

Durch sie entstünden neue Anregungen.<br />

Der größte Feind der Liebe sei ja<br />

bekanntlich nicht nur Distanz, sondern<br />

auch zu viel Nähe und Routine.<br />

JEDER VIERTE<br />

ÖSTERREICHER<br />

KENNT FERNLIEBE<br />

Die Becks beweisen mit ihrer Themenwahl<br />

ein Gespür für aktuelle<br />

Trends: Wie Studien zeigen, gibt es<br />

immer mehr Fernbeziehungen. Laut<br />

Statistik Austria führten 1985 nur vier<br />

Prozent der Menschen über 30 Jahre<br />

eine Fernbeziehung. Aktuell hat jeder<br />

vierte Österreicher in dieser Altersgruppe<br />

Erfahrung damit. Vor allem<br />

junge Akademiker sind betroffen.<br />

Partnerbörsen im Internet schaffen<br />

die Möglichkeit, weit entfernte Partner<br />

kennenzulernen. Doch vor allem<br />

der Arbeitsmarkt begünstigt diese<br />

Entwicklung. Wer berufl ich weiterkom<br />

men will, muss fl exibel sein.<br />

Manchmal gehört eben auch ein<br />

Wohnortwechsel dazu. Die gängige<br />

Defi nition der Familie, deren Mitglieder<br />

im selben Haushalt leben, ist damit<br />

nicht mehr gültig.<br />

Erleichtert wurde der Strukturwandel<br />

der Familie und die Entstehung einer<br />

„Fernfamilie“ von modernen Kommunikationstechnologien<br />

wie E-Mail, Skype<br />

und Videotelefonie. Die Großmutter<br />

in Österreich kann dadurch bei der<br />

Weihnachtsbescherung in Spanien<br />

dabei sein, die Kinder zeigen ihre<br />

ersten Schritte am Bildschirm oder<br />

das frisch verliebte Paar schwört sich<br />

am Abend im Chatroom die Liebe.<br />

Doch körperliche Nähe und Geborgenheit<br />

können dadurch nicht ersetzt<br />

werden. Für Familien mit Kindern bedeutet<br />

das eine noch größere Entbehrung.<br />

„Aber wenn einmal etwas<br />

Schlimmes passiert, ist es doch etwas<br />

anderes, in den Arm genommen zu<br />

werden. Daher spricht man in diesem<br />

Zusammenhang auch von ‚sunny day<br />

technologies‘“, sagt Beck-Gernsheim.<br />

PHANTASIE WAR<br />

NOCH NIE SO GEFRAGT<br />

WIE HEUTE<br />

Die Technologie hat aber nicht nur<br />

das Potenzial, Beziehungen zu erhalten.<br />

Flirten, verlieben, betrügen und<br />

trennen: Vor allem das Internet habe<br />

die Art, wie wir lieben, in den vergangenen<br />

Jahren stark verändert, sagt<br />

der israelische Emotionsforscher<br />

Aaron Ben-Ze’ev. Der Professor der<br />

Philosophie hat sich in seinem Buch<br />

„In the Name of Love“ mit dem Thema<br />

eingehend auseinandergesetzt.<br />

Ein Aspekt dieser neuen Art der virtuellen<br />

Liebe ist jener, dass sich Paare<br />

online verlieben, ohne sich jemals offline<br />

getroffen zu haben. „Unser Vorstellungsvermögen<br />

war schon immer<br />

ein wichtiger Teil des menschlichen<br />

Lebens. Es war jedoch noch nie so<br />

gefragt, wie im Cyberspace“, sagt<br />

der Philosoph.<br />

KÖRPERLOSES<br />

VERLIEBEN<br />

Zunächst sind online alle Menschen<br />

gleich. Aussehen, Alter, Geschlecht<br />

oder Religion sind unbekannt. Bei<br />

persönlichen Bekanntschaften hingegen<br />

können solche Aspekte schon in<br />

den ersten Sekunden darüber entscheiden,<br />

ob man ein Gespräch aufnimmt<br />

oder zu fl irten beginnt. Wenn<br />

online der erste Funken übergesprungen<br />

ist, entsteht oft sehr schnell eine<br />

Nähe. Die Distanz tut der <strong>Leidenschaft</strong><br />

keinen Abbruch. Im Gegenteil:<br />

Es bestehe sogar die Möglichkeit,<br />

dass der Austausch von Informationen<br />

tiefer, vielseitiger und schneller<br />

passiere, sagt Ben-Ze’ev. Denn die<br />

Kommunikation kompensiert in diesem<br />

Fall die körperliche Distanz.<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

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