Programmheft - Münchner Stadtmuseum
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Katrin Seybold<br />
44<br />
wesentlich für ihre spätere Filmarbeit nennt sie ihre Begegnungen<br />
mit Wolfgang Staudte, Joris Ivens und<br />
Hans-Rolf Strobel. Sie schreibt rückblickend: »Ab 1972<br />
und in den ganzen siebziger Jahren langsame Rückkehr<br />
zu demokratischen Protestformen, die ich neben<br />
zahlreichen Demos für wichtig hielt, darunter ein Bericht<br />
über meine Abtreibung im Stern.«<br />
Nachdem sie feststellen muss, dass sie wegen ihres<br />
politischen Engagements in der KPD/ML und ihrer<br />
Nähe zu einigen Protagonisten der RAF weder bei der<br />
Stiftung Deutsche Kinemathek noch in der Berliner TU<br />
eine Festanstellung erhalten wird, zieht Katrin Seybold<br />
1975 wieder nach München. Ab 1976 entwickelt sie<br />
im Auftrag der von der evangelischen Kirche finanzierte<br />
Produktionsfirma Eikon das Konzept der ZDF-Sendereihe<br />
KONTAKTE, die von Wolf-Rüdiger Schmidt mo -<br />
deriert wird. Katrin Seybold entwickelt als freie Redakteurin<br />
Konzepte für die Sendungen und stellt als Regisseurin<br />
und Autorin Einspielfilme her, die sich mit Alltagsproblemen<br />
des menschlichen Zusammenlebens<br />
auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang entstehen<br />
unter dem Obertitel ALTERNATIVEN IM ALLTAG<br />
Kurzfilme über Bürgerinitiativen, die auch auf Filmfestivals<br />
und in der politischen Filmarbeit eingesetzt werden.<br />
1979 kommt es zum Bruch mit Eikon, als ein<br />
neuer Chefredakteur das von Katrin Seybold, Gloria<br />
Behrens, Gabi Kubach und Andy T. Hoeltzl ausgearbeitete<br />
siebenteilige Fernsehprojekt »DAS HÄTTE ICH MIR<br />
NICHT TRÄUMEN LASSEN«. GESCHICHTEN NACH DER<br />
TRENNUNG ablehnt. Noch im selben Jahr gründet<br />
sie die Katrin Seybold Filmproduktion und zusammen<br />
mit Peter Krieg die Verleihgenossenschaft der Filme -<br />
macher, die alternative politische Filme vertreibt. Seybold:<br />
»Meine Entwicklung ist immer die Reaktion auf<br />
Notlagen, auf Katastrophen, darauf, dass man mir<br />
nichts zutraut. Ich bin das klassische Beispiel, wie man<br />
aus Negativem irgend wie etwas Positives rauswurschteln<br />
kann.«<br />
Seybolds erste eigene Produktion ist ein Beitrag für das<br />
Jugendmagazin DIREKT: »SCHIMPFT UNS NICHT ZI -<br />
GEU NER!« über die Diskriminierung junger Sinti. Seybold<br />
lernt bei diesem Film die Sinteza Melanie Spitta<br />
kennen, mit der sie in den folgenden Jahren bei weiteren<br />
Filmen über die Sinti zusammenarbeitet. »Bei den<br />
Dreharbeiten der drei Filme wurde ich als ›Lolitscha‹<br />
beschimpft, besonders von den alten Zigeunerfrauen.<br />
Sie verglichen mich mit einer der übelsten Nazifrauen,<br />
der Rassenforscherin Eva Justin. Nachdem diese die<br />
Sitten und Tabus ausgehorcht hatte, die Sinti von<br />
vorne, von der Seite, von hinten und nackt fotografiert,<br />
ihre Nasen und Füße und Hände vermessen hatte, wurden<br />
ihre ›rassenbiologischen Gutachten‹ zur Voraussetzung<br />
der Deportation. (…) Ich musste mich ständig fragen,<br />
was ich mit den Filmen überhaupt wollte, musste<br />
Dreharbeiten zu AKKORDARBEITERIN BEIM OSRAM-KONZERN