Programmheft - Münchner Stadtmuseum
Programmheft - Münchner Stadtmuseum
Programmheft - Münchner Stadtmuseum
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Zum 50. Todestag von Jean Cocteau<br />
LE TESTAMENT D’ORPHÉE<br />
Jean Cocteau<br />
74<br />
Der Poet und seine »zehnte Muse«:<br />
der Kinematograph<br />
Wie alle avantgardistischen Künstler seiner Zeit zeigt<br />
Jean Cocteau (1889–1963) großes Interesse am beginnenden<br />
Kino und ist ein eifriger Besucher der ersten<br />
amerikanischen Stummfilme, deren Einfluss in seinen<br />
Bühnenwerken spürbar ist, die ab 1915 vor allem in<br />
den 1920er Jahren entstehen. Er versucht sich als<br />
Filmkritiker und dreht 1925 einen Amateurfilm, der<br />
heute leider verschollen ist. Der Titel ist programmatisch:<br />
JEAN COCTEAU FAIT DU CINÉMA (JEAN<br />
COCTEAU MACHT KINO) und lehnt sich an den französischen<br />
Verleihtitel CHARLOT FAIT DU CINÉMA von<br />
Charlie Chaplins A FILM JOHNNIE (1914) an. Durch<br />
den privaten Auftrag des Kunstmäzens Charles de Noailles<br />
erhält Cocteau 1929 die Möglichkeit, einen Film<br />
auf professionellerer Basis zu drehen und das Medium<br />
in all seinen Facetten zu erforschen und zu erproben.<br />
Cocteau entdeckt den Film als ein ergänzendes, visuelles<br />
und akustisches »Vehikel der Poesie«, das die besondere<br />
Eigenschaft besitzt, selbst die Irrealität mit dokumentarischem<br />
Realismus zu zeigen. Der Avantgardefilm<br />
LE SANG D’UN POÈTE (DAS BLUT EINES DICH-<br />
TERS, 1931) steht an der Schwelle vom Stumm- zum<br />
Tonfilm und prägt eine surrealistische Filmästhetik. Er<br />
ist umstritten, Kritiker verurteilen seine skandalösen,<br />
unmoralischen und homosexuellen Phantasien. Coc -<br />
teau wendet sich daraufhin vorübergehend vom Kino<br />
ab und widmet sich wieder mehr dem Theater.<br />
Cocteaus zweite Filmkarriere beginnt in den 1940er<br />
Jahren, als er zunächst Drehbuchaufträge annimmt,<br />
um sich finanziell über Wasser zu halten. Für Robert<br />
Bresson schreibt er 1945 die Dialoge zu LES DAMES<br />
DU BOIS DE BOULOGNE (DIE DAMEN VOM BOIS DE<br />
BOULOGNE). Für seinen Protegé Jean Marais, mit dem<br />
er liiert ist und der auf der Bühne Hauptrollen in Coc -<br />
teaus Stücken gespielt hat, sucht er nach einem Stoff<br />
mit einer großen (Liebes-)Rolle. In den Filmproduktionen<br />
dieser Zeit dominieren Bearbeitungen von fantastischen,<br />
märchenhaften oder mythischen Stoffen, die<br />
dem Publikum eine Flucht aus dem Alltag der Besatzungszeit<br />
ermöglichen und bei der Zensur nicht an -