Charles Dickens Essay von Andreas Isenschmid - Neue Zürcher ...
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Sachbuch<br />
Umweltschutz Zwei Experten diskutieren über die Zukunft<br />
Nicht weniger als die Energiewende<br />
Klaus Töpfer, Ranga Yogeshwar: Unsere<br />
Zukunft. Ein Gespräch über die Welt<br />
nach Fukushima. C. H. Beck, München<br />
2011. 234 Seiten, Fr. 28.50.<br />
Von Patrick Imhasly<br />
Als es vor bald einem Jahr im Atomkraftwerk<br />
Fukushima Daiichi zur nuklearen<br />
Katastrophe kam, wurde die japanische<br />
Gesellschaft in ihrem grenzenlosen<br />
Vertrauen in die Technik erschüttert.<br />
Energiepolitische Konsequenzen aus<br />
diesem Unglück zogen dann aber nicht<br />
etwa die Japaner, sondern die Deutschen<br />
und die Schweizer. Deutschland und die<br />
Schweiz beschlossen, definitiv aus der<br />
Kernenergie auszusteigen und stattdessen<br />
vermehrt auf alternative Energiequellen<br />
wie Sonne oder Wind zu setzen.<br />
Das tönt gut, doch wie müssen die<br />
Menschen ihr alltägliches Verhalten ändern,<br />
um die Energiewende möglich zu<br />
machen? Und wie wird die Welt nach<br />
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. Januar 2012<br />
Fukushima aussehen? In einem Interviewbuch<br />
diskutieren Klaus Töpfer und<br />
Ranga Yogeshwar über Fragen, die viele<br />
<strong>von</strong> uns beschäftigen. Der CDU-Politiker<br />
Klaus Töpfer hat langjährige Erfahrung<br />
in Umwelt- und Energiethemen:<br />
als Minister für Umwelt, Naturschutz<br />
und Reaktorsicherheit unter Helmut<br />
Kohl, später als Exekutivdirektor des<br />
Umweltprogramms der Vereinten Natio<br />
nen und schliesslich als Co-Vorsitzender<br />
der deutschen Ethikkommission<br />
für eine sichere Energieversorgung, die<br />
Angela Merkel nach Fukushima einsetzte.<br />
Der indischstämmige Ranga Yogeshwar<br />
seinerseits war als Nuklearphysiker<br />
tätig, bevor er Wissenschaftsjournalist<br />
wurde und sich einen Namen als Entwickler<br />
und Moderator diverser Formate<br />
im deutschen Fernsehen machte.<br />
Bescheidenere Autos fahren, seltener<br />
fliegen, den persönlichen Energieverbrauch<br />
reduzieren, Solaranlagen auf<br />
dem Hausdach und weg vom grenzenlosen<br />
Konsum: Das sind nur ein paar der<br />
Rezepte, welche die Autoren für eine<br />
neue Gesellschaft propagieren. Denn<br />
diese muss den Strom kompensieren,<br />
der durch den Ausfall der Kernenergie<br />
wegfällt. Ob das klappen kann? «Ich bin<br />
da keineswegs resignativ», sagt Töpfer,<br />
es sei «eine grossartige Chance, die<br />
Energiewende erfolgreich umzusetzen.»<br />
«Wir müssen die Dinge grundsätzlicher<br />
angehen», erklärt demgegenüber Yogeshwar:<br />
«Mit etwas Glück werden wir<br />
in dreissig, vierzig Jahren zur Neujahrzeit<br />
keine Reden mehr hören, in denen<br />
Vokabeln wie ‹Wachstum› vorkommen.<br />
Vielmehr wird es in ihnen um Glück,<br />
Wahlmöglichkeiten, kulturelle Vielfalt<br />
und Freiheit gehen.»<br />
Was Töpfer und Yogeshwar uns erzählen,<br />
ist alles richtig, sympathisch und<br />
muss vielleicht so sein. Schade nur,<br />
klopfen sich die beiden allzu oft gegenseitig<br />
auf die Schultern. Dabei hätten sie<br />
besser kontrovers erörtert, warum die<br />
Energiewende eben doch nicht so einfach<br />
zu schaffen sein wird. ●<br />
Das amerikanische Buch Richard Holbrooke, Gestalter der US-Aussenpolitik<br />
Selten war Trauerarbeit für eine breitere<br />
Öffentlichkeit so fruchtbar wie der<br />
Sammelband The Quiet American.<br />
Richard Holbrooke in the World (Public<br />
Affairs, 383 Seiten), der die Karriere<br />
dieses bedeutenden Diplomaten mit<br />
Beiträgen <strong>von</strong> Weggefährten und anhand<br />
eigener Texte darstellt. Das Buch<br />
macht nicht nur die Verdienste<br />
Holbrookes lebendig, sondern illustriert<br />
auch die Grenzen und Möglichkeiten<br />
der amerikanische Aussenpolitik<br />
seit dem Beginn des Vietnam-Krieges<br />
unter John F. Kennedy. Der Demokrat<br />
Holbrooke war an deren Gestaltung<br />
direkt beteiligt, wenn seine Partei das<br />
Weisse Haus kontrollierte. Republikanische<br />
Regierungen hat er als scharfsinniger<br />
Publizist begleitet, während<br />
er als Banker unter anderem bei der<br />
Credit Suisse tätig war.<br />
Wie die Herausgeber Derek Chollet und<br />
Samantha Power in ihrem Vorwort erklären,<br />
entstand die Idee zu «The Quiet<br />
American» in den Wochen nach<br />
Holbrookes Tod am 13. Dezember 2010.<br />
Zwei Tage zuvor hatte er Hillary Clinton<br />
im US-Aussenministerium über<br />
seine Arbeit als Sonderbeauftragter für<br />
Afghanistan und Pakistan berichtet.<br />
Der 69-Jährige erlitt dabei einen massiven<br />
Herzinfarkt, dem er schliesslich erlegen<br />
ist. Vor seinem Krankenzimmer<br />
und auf der Beisetzung trösteten<br />
Holbrookes Freunde und Kollegen einander<br />
mit Erinnerungen, die nach einem<br />
dauerhaften Gefäss riefen, so die<br />
Herausgeber. Laut Power zählten sie<br />
und Chollet zu den vielen Talenten, die<br />
in Holbrooke einen liebevollen, aber<br />
kritischen Mentor fanden. Power lernte<br />
den Diplomaten als junge Journalistin<br />
Richard Holbrooke<br />
spricht mit einem<br />
Flüchtling im<br />
pakistanischen Lager<br />
<strong>von</strong> Chota Lahore.<br />
Autorin Samantha<br />
Power (unten).<br />
während der Balkankriege kennen. Sie<br />
ist nun zur Menschenrechtsbeauftragten<br />
<strong>von</strong> Barack Obama aufgestiegen.<br />
Chollet war Holbrookes Assistent während<br />
dessen Zeit als UN-Botschafter der<br />
USA Ende der 1990er Jahre.<br />
Trotz der persönlichen Nähe der Autoren<br />
zu ihm bleibt «The Quiet American»<br />
dem Charakter Holbrookes<br />
verpflichtet, der sich durch seinen Ehrgeiz<br />
und seine unverblümte Art in Washington<br />
auch Feinde geschaffen hat.<br />
Wie der ehemalige Staatssekretär<br />
Strobe Talbott schreibt, blieb Holbrooke<br />
deshalb der heiss ersehnte Aufstieg zum<br />
Aussenminister versagt. Auch die Autoren<br />
nehmen kein Blatt vor den Mund<br />
und schildern Holbrookes Eigensinn in<br />
anschaulichen Anekdoten. Dafür mag<br />
das Zitat <strong>von</strong> Henry Kissinger genügen,<br />
der diese vitale Persönlichkeit so beschrieben<br />
hat: «Wenn Richard dich um<br />
MOHAMMAD SAJJAD / AP<br />
etwas bittet, ist es am besten, Ja zu sagen.<br />
Denn sonst wird der Weg <strong>von</strong> einem<br />
Nein zum Ja höchst peinsam.<br />
Absagen akzeptiert er nicht.»<br />
Philosophisch stand Holbrooke dem<br />
Aussenminister republikanischer Präsidenten<br />
durchaus nahe. Wie Kissinger<br />
– allerdings nur <strong>von</strong> der Mutter her –<br />
ein Nachkomme jüdischer Naziflüchtlinge<br />
aus Deutschland, war er ein<br />
hochintelligenter Pragmatiker und<br />
überzeugt <strong>von</strong> der globalen Mission<br />
Amerikas als Ordnungsmacht. Und wie<br />
Kissinger hat Holbrooke fest geglaubt,<br />
Geschichte werde letztlich <strong>von</strong> grossen<br />
Männern gemacht. Talbott lässt keinen<br />
Zweifel daran, dass sein Freund<br />
Richard sich für eine dieser Persönlichkeiten<br />
gehalten hat. Sein grösster Erfolg,<br />
die Beilegung des Balkankonfliktes<br />
in Dayton Ende 1995, hat Holbrooke in<br />
dieser Überzeugung bestätigt.<br />
Wie die «New York Times» in einer ansonsten<br />
lobenden Besprechung anmerkt,<br />
hat der Erfolg amerikanischer<br />
Bombenangriffe auf Serbien Holbrooke<br />
jedoch zu der Illusion verleitet, diese<br />
würden auch im Irak Saddam Husseins<br />
rasch die Ziele Washingtons durchsetzen.<br />
Dabei hat Holbrooke als Co-Autor<br />
der «Pentagon Papers» bereits während<br />
des Vietnamkrieges verstanden,<br />
dass Wunschträume und konfuse Entscheidungsabläufe<br />
auch das mächtige<br />
Amerika in eine Katastrophe führen<br />
können. So haben ihn während seiner<br />
letzten, unvollendeten – und letztlich<br />
wohl unmöglichen – Mission in<br />
Afghanistan ständig Erinnerungen an<br />
Vietnam gequält. ●<br />
Von <strong>Andreas</strong> Mink