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Arbeiten mit alkoholbelasteten Familien im Handlungsfeld der ...

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<strong>Arbeiten</strong><br />

<strong>mit</strong> <strong>alkoholbelasteten</strong> <strong>Familien</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Handlungsfeld</strong> <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe<br />

Geför<strong>der</strong>t <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong><br />

„Richtlinie zur För<strong>der</strong>ung von Angeboten<br />

und Vorhaben zur Qualifizierung <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe“ durch das<br />

Landesjugendamt Brandenburg<br />

Empfehlungen<br />

Projektträger<br />

Initiative Jugendarbeitslosigkeit<br />

Neuruppin e.V. (IJN e.V.)


Projektträger: Initiative Jugendarbeitslosigkeit Neuruppin e.V. (IJN e.V.)<br />

Karl-Liebknecht-Str. 32<br />

16 816 Neuruppin<br />

Tel. 03391/ 50 06 75 o<strong>der</strong> 2454<br />

Projektleiter: Helmut Schindler<br />

Projektkoordinatorin: Anja Quast<br />

In enger Kooperation <strong>mit</strong>: Christine Dabitz<br />

(Jugendamt Ostprignitz-Ruppin, Sachgebietsleiterin<br />

Allgemeiner Sozialpädagogischer Dienst)<br />

2<br />

Beate Hellfors<br />

(Gesundheitsamt Ostprignitz-Ruppin, Sachgebietsleiterin<br />

Sozial-psychiatrischer Dienst)<br />

Ute Hoffmann<br />

(Leiterin <strong>der</strong> Integrierten Suchtberatungsstelle Neuruppin,<br />

in Trägerschaft <strong>der</strong> Drogenhilfe Tannenhof Berlin e.V.)<br />

Roland Rustemeyer<br />

(Staatliches Schulamt Wittstock, Schulpsychologe)<br />

Jan Kordt<br />

(Leiter <strong>der</strong> Evangelischen Beratungsstelle für Ehe-, <strong>Familien</strong>-,<br />

Erziehungs- und Lebensfragen, Wittstock)<br />

Roswitha Kapischke<br />

(Jugendamt Ostprignitz-Ruppin, Erzieherischer Kin<strong>der</strong>- und<br />

Jugendschutz)<br />

Maßnahmezeitraum: Februar 1999 – Dezember 2000<br />

Empfehlungen: Anja Quast<br />

Kommissionsstr. 17 a<br />

16 816 Neuruppin<br />

Tel./Fax: 03391/ 65 22 41<br />

Mail: a.quast@web.de<br />

Projektför<strong>der</strong>ung: Geför<strong>der</strong>t und finanziert <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> „Richtlinie zur<br />

För<strong>der</strong>ung von Angeboten und Vorhaben zur Qualifizierung <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe“ durch das Landesjugendamt Brandenburg<br />

Landesjugendamt Brandenburg<br />

Schloßplatz 2<br />

16515 Oranienburg<br />

Mail: poststelle@lja.brandenburg.de<br />

http://www.brandenburg.de/landesjugendamt<br />

Information zum Modellprojekt:<br />

Hella Tripp (03301/ 59 83 19)<br />

Mail: hella.tripp@lja.brandenburg.de


INHALTSVERZEICHNIS<br />

1. Wenn die Eltern trinken – Einführung in die Thematik S. 5<br />

1.1. <strong>Familien</strong>dynamik bei Alkoholproblemen – eine systemische<br />

Sichtweise S. 5<br />

1.2. Auswirkungen elterlichen Alkoholmissbrauchs auf die Kin<strong>der</strong> S. 8<br />

1.3. Co-Verhalten S. 11<br />

1.3.1. Vermeidung von Co-Verhalten in professionellen Zusammenhängen S. 13<br />

2. Kindeswohl trotz Alkohol - ? S. 14<br />

2.1. Fokus <strong>der</strong> Jugendhilfe: Das Kindeswohl S. 14<br />

2.1.1. <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> alkoholabhängigen Eltern zwischen Kin<strong>der</strong>schutz<br />

und <strong>Familien</strong>unterstützung S. 17<br />

2.2. Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Alkoholproblematik S. 18<br />

2.2.1. „Einsicht ist <strong>der</strong> erste Schritt zur Besserung“ (?) S. 18<br />

2.2.2. Sag ich etwas - o<strong>der</strong> sag ich lieber nichts? S. 19<br />

2.2.3. Ver<strong>mit</strong>tlung in an<strong>der</strong>e Hilfeangebote S. 21<br />

2.2.4. Regeln für den Kontakt <strong>mit</strong> trinkenden Klienten S. 23<br />

3. Von <strong>der</strong> Meldung zur Kooperation <strong>mit</strong> den Eltern:<br />

Der Prozess <strong>der</strong> Hilfeplanung <strong>im</strong> ASD S. 26<br />

3.1. Aufmerksamwerden auf die Familie durch Selbstmeldung<br />

o<strong>der</strong> Fremdhinweise S. 27<br />

3.1.1. Schwierigkeiten <strong>im</strong> Umgang <strong>mit</strong> Selbstmel<strong>der</strong>n S. 27<br />

3.1.2. Umgang <strong>mit</strong> Fremdhinweisen – Transparenz statt Anony<strong>mit</strong>ät S. 30<br />

3.2. Situationseinschätzung S. 32<br />

3.3. Zielklärung für das eigene Vorgehen S. 34<br />

4. Hilfen zur Erziehung bei Alkoholproblemen: Aufgaben und<br />

Arbeitsansätze S. 40<br />

4.1. <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> den Eltern S. 41<br />

4.1.1. Mehr zum Reden o<strong>der</strong> Schweigen über Alkohol S. 41<br />

4.1.2. Umgang <strong>mit</strong> Paarkonflikten S. 44<br />

4.1.3. Ressourcenorientiertes <strong>Arbeiten</strong> auf drei Ebenen S. 46<br />

4.1.4. Elternarbeit bei Fremdunterbringung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> S. 52<br />

4.2. <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n S. 54<br />

4.2.1 Wie kann man die spezifischen Schwierigkeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

pädagogisch aufgreifen? S. 54<br />

4.2.2. Wie kann man <strong>mit</strong> Kin<strong>der</strong>n über das Alkoholproblem ihrer<br />

Eltern reden? S. 57<br />

4.2.3. Welche pädagogischen o<strong>der</strong> therapeutischen Angebote<br />

kann man den Kin<strong>der</strong>n machen? S. 58<br />

5. Kooperation leicht gemacht (?) - Hinweise für<br />

eine gelingende Zusammenarbeit S. 61<br />

5.1. Erarbeiten einer Kooperationsebene S. 62<br />

5.2. Empfehlungen für Suchtkrankenhelfer S. 64<br />

Literaturhinweise S. 65<br />

3


Vorbemerkungen - Chancen und Grenzen in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den <strong>Familien</strong><br />

Im fachlich sehr anspruchsvollen Arbeitsfeld <strong>mit</strong> <strong>alkoholbelasteten</strong> <strong>Familien</strong> ist die<br />

Gefahr des Scheiterns relativ groß. Wir erleben die trinkenden Eltern oft als<br />

unmotiviert, und das ganze System als verän<strong>der</strong>ungsresistent. Die Grenzen des<br />

Machbaren scheinen aufgrund <strong>der</strong> oft schwierigen Beziehungskonstellationen und<br />

angesichts schwerer Schicksale enger gesteckt als in vielen an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe. Immer bleibt eine Ungewissheit über den weiteren Verlauf, Rückfälle<br />

müssen <strong>mit</strong>bedacht werden. Der Sog <strong>der</strong> Sucht ist groß und das „Problemlösungsmuster<br />

Alkohol“ vertraut.<br />

Vor allem um <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> willen wollen und müssen wir dennoch nach Zugängen zu<br />

den <strong>Familien</strong> suchen. Dazu ist es wichtig, manchmal gegen den Strich zu denken<br />

und etwas an<strong>der</strong>es auszuprobieren. In den vorliegenden Empfehlungen werden<br />

deshalb an mancher Stelle unkonventionelle Erklärungen für das Trinken angeboten<br />

und eine Vorgehensweise nahegelegt, die <strong>der</strong> bisherigen sogar entgegengesetzt<br />

sein mag. Diese Handreichung will einen Anreiz darstellen, eine neue Haltung <strong>im</strong><br />

Umgang <strong>mit</strong> dem Thema Alkohol und den betroffenen Menschen auszuprobieren.<br />

Hier können und sollen keine verbindlichen Handlungsanleitungen o<strong>der</strong> gar<br />

„Rezepte“ gegeben werden. Zu spezifisch sind die Konstellationen in den betroffenen<br />

<strong>Familien</strong>, als dass man da<strong>mit</strong> dem komplexen Problemfeld gerecht werden würde.<br />

Die Empfehlungen beruhen auf <strong>der</strong> Auswertung <strong>der</strong> Erfahrungen, die <strong>im</strong> Rahmen<br />

des zweijährigen Modellprojektes aus den Fallverläufen vieler KollegInnen<br />

zusammengetragen wurden. Sie sollen dazu einladen, weitere, vielleicht neue<br />

Erfahrungen zu sammeln und die vorgeschlagenen Handlungsansätze auf ihre<br />

Brauchbarkeit hin zu überprüfen.<br />

Die Umsetzung dieser Empfehlungen und vor allem <strong>der</strong> darin vorgeschlagenen<br />

Haltung kann nur <strong>im</strong> direkten <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> den <strong>Familien</strong> erfolgen. Dabei liegen<br />

vielerlei “Stolpersteine, Fallstricke und Verführungen“ auf dem oft langen Weg, <strong>der</strong><br />

<strong>mit</strong> den <strong>Familien</strong> zu gehen ist. Hervorzuheben ist insbeson<strong>der</strong>e die Gefahr, sich zu<br />

sehr in das System und seine Dynamik zu verstricken.<br />

Ein verantwortliches und professionelles <strong>Arbeiten</strong> in diesem großen und überaus<br />

schwierigen <strong>Handlungsfeld</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfe erfor<strong>der</strong>t unserer Einschätzung nach die<br />

Qualifizierung durch entsprechende Fortbildungen, eine praxisbegleitende,<br />

kontinuierliche Beratung und Supervision - und nicht zuletzt die gerade bei diesem<br />

Thema notwendige Selbsterfahrung.<br />

4


1. Wenn die Eltern trinken – Einführung in die Thematik<br />

"Gut war,<br />

dass es nicht um mich als Süchtige ging,<br />

son<strong>der</strong>n um mich als Mutter."<br />

Aussage einer Mutter über<br />

die Aufsuchende <strong>Familien</strong>beratung<br />

In <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> alkoholabhängigen Eltern gehen wir von einer Reihe von<br />

Grundannahmen und Thesen aus, die sich in vielen Punkten als praktikabel erwiesen<br />

haben, um Verän<strong>der</strong>ungsprozesse anzuregen und zu begleiten (s. Teil 1, Kap. 2.).<br />

Bereichert durch einschlägige Fachliteratur, Fortbildung und den fachlichen<br />

Austausch <strong>mit</strong> erfahrenen systemischen <strong>Familien</strong>therapeuten wie Insoo K<strong>im</strong> Berg<br />

(USA), Gunther Schmidt (Heidelberg), Marie-Luise Conen (Berlin) und Michael Biene<br />

(Berlin) u.a. festigte sich über die Projektlaufzeit eine systemisch-familiendynamische<br />

Sichtweise auf das "Symptom Alkohol".<br />

Gegenüber den <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen hat sich eine ressourcenorientierte,<br />

wertschätzende Arbeitshaltung bewährt, die sich in den <strong>im</strong> ersten Teil formulierten<br />

Arbeitsthesen wi<strong>der</strong>spiegelt. Wie diese Herangehensweise <strong>im</strong> Kontext <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe umgesetzt werden kann, soll in den vorliegenden Empfehlungen auf <strong>der</strong><br />

Grundlage eines familiendynamischen Verständnisses von Alkoholproblemen<br />

begründet und ausführlich beschrieben werden.<br />

1.1. <strong>Familien</strong>dynamik bei Alkoholproblemen - eine systemische Sichtweise<br />

Das Trinken von Alkohol wird aus familientherapeutischer Sicht weniger als eine<br />

Krankheit denn als symptomatisches Verhalten betrachtet. Es wird davon<br />

ausgegangen, dass es eine (z.T. unbewusste) Lösungsstrategie bzw. einen<br />

Lösungsversuch für ein Dilemma darstellt. Wie bei an<strong>der</strong>en Symptomen auch stellt<br />

das Trinken den Versuch dar, <strong>mit</strong> einer problematischen Situation umzugehen, für<br />

die <strong>der</strong> Betroffene o<strong>der</strong> das System z.Zt. keine an<strong>der</strong>e, gangbare Lösungsstrategie<br />

zur Verfügung hat. Durch das symptomatische Verhalten entsteht sowohl ein Nutzen<br />

(Erleichterung, kurzfristige Lösung o<strong>der</strong> Ausweg), als auch neue Komplikationen.<br />

Eine Verän<strong>der</strong>ungsmotivation entsteht in <strong>der</strong> Regel erst dann, wenn die negativen<br />

Auswirkungen gegenüber den positiven spürbar überwiegen. Das Trinken wird wie<br />

an<strong>der</strong>e Symptome auch als kontextabhängig betrachtet. <strong>Familien</strong>therapeuten<br />

gehen davon aus, dass ein Symptom in dem Kontext, in dem es entstanden ist, Sinn<br />

macht bzw. eine best<strong>im</strong>mte Funktion erfüllt. Gerade bei Alkoholproblemen lässt sich<br />

diese Funktion übrigens sehr häufig als eine wirksame Nähe-Distanz-Regulation<br />

verstehen.<br />

Ein Beispiel ist ein <strong>Familien</strong>vater, dessen Mutter sich <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> übermäßig in<br />

seine familiären Angelegenheiten einmischt, <strong>der</strong> sich aber nicht traut, ihr gegenüber<br />

eine klare Abgrenzung zu vertreten – worüber seine Frau wie<strong>der</strong>um stets <strong>mit</strong> ihm<br />

5


entzürnt ist. Vermutlich wäre es für sein Verständnis zwar eigentlich erstrebenswert,<br />

aber aufgrund <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>traditionen undenkbar, den Konflikt offen auszutragen.<br />

Das Alkoholtrinken kann ihm nun dabei helfen, genau diese Abgrenzung doch<br />

auszudrücken. Entwe<strong>der</strong> indem er <strong>im</strong> betrunkenen Zustand Mut fasst, seiner Mutter<br />

klar und deutlich die Meinung zu sagen, o<strong>der</strong> (was wahrscheinlicher ist) indem er den<br />

inneren Ärger wegspült, sich in einen Zustand von Gleichgültigkeit versetzt und allen<br />

zeigt: „Ich bin betrunken, ich brauche keine Position zu beziehen. Wenn ihr Euch<br />

streiten wollt, gut – ich halte mich da raus.“<br />

Ein an<strong>der</strong>es Beispiel wäre jemand, <strong>der</strong> sich „Mut antrinkt“ um dann „<strong>mit</strong> gelöster<br />

Zunge“ leichter auf an<strong>der</strong>e zugehen zu können.<br />

Aus familientherapeutischer Sicht ist es meist wichtig, für ein umfassen<strong>der</strong>es<br />

Verständnis des Symptoms auch die Großelterngeneration <strong>mit</strong> einzubeziehen<br />

(Mehrgenerationenperspektive). Der Berater kann die Familie fragen, wie die<br />

Beziehungen zur Herkunftsfamilie <strong>der</strong> Eltern erlebt und bewertet werden. Oftmals<br />

finden sich hier konfliktträchtige Verstrickungen. Dahinter stehen nicht selten<br />

schwerwiegende, unverarbeitete biographische Ereignisse: Traumatische<br />

Erfahrungen wie z.B. Trennungen <strong>der</strong> Eltern, Tod o<strong>der</strong> Verlust wichtiger<br />

Bezugspersonen o<strong>der</strong> aufgrund von Gewaltanwendungen und/o<strong>der</strong> sexuellem<br />

Missbrauch.<br />

Es ist eher selten, dass <strong>im</strong> erweiterten <strong>Familien</strong>system tatsächlich nur einer in<br />

süchtiger Weise trinkt - ein Hinweis darauf, dass das Trinken ein familiäres<br />

Problemlösungsmuster darstellt. Das Trinken lässt sich auch als Ausdruck <strong>der</strong><br />

Loyalität o<strong>der</strong> Identifikation <strong>mit</strong> einem wichtigen Menschen, <strong>der</strong> ebenfalls getrunken<br />

hat, verstehen: "Ich mach es so wie Du. Indem auch ich trinke, bin ich Dir nahe." Ein<br />

weiterer unbewusster Hintergrund des Trinkens kann sein, dass die Eltern sich nicht<br />

erlauben, "es besser zu machen" als ihre eigenen Eltern damals. Dies kann sich so<br />

auswirken, dass sie heute wie<strong>der</strong>um ihre eigenen Kin<strong>der</strong> vernachlässigen. Dadurch<br />

vermeiden sie es, die Lebensweise ihrer Eltern (Großeltern) in Frage zu stellen, und<br />

ihre schmerzlichen Erfahrungen als Kin<strong>der</strong> alkoholabhängiger Eltern bleiben <strong>im</strong><br />

Dunkeln. Dies ist ein sehr problematischer, aber häufiger Ausdruck von Loyalität zu<br />

den eigenen Eltern.<br />

Allgemein lässt sich sagen, dass die Frage von Grenzsetzungen ein<br />

Problemkomplex von großer Bedeutung in den betreffenden <strong>Familien</strong> ist. Während<br />

die Grenzen nach außen oft starr sind und das Bild von einer "<strong>Familien</strong>festung"<br />

entstehen lassen, sind sie innerhalb des Systems meist diffus und ungenügend<br />

definiert. "Einmischungen" seitens <strong>der</strong> Großeltern, Geschwister o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Verwandter legen den Gedanken einer nur ungenügen<strong>der</strong> Ablösung nahe.<br />

Gegenüber den Kin<strong>der</strong>n kommt es häufig zu Grenzverschiebungen und<br />

Parentifizierungen 1 , angefangen vom Übertragen <strong>der</strong> Verantwortung bis hin zum<br />

sexuellem Missbrauch. Verhaltens- und Erziehungsregeln für die Kin<strong>der</strong>n werden<br />

von den Eltern oft sehr wechselhaft gehandhabt: Mal wird den Kin<strong>der</strong>n vieles<br />

gewährt, dann wie<strong>der</strong>um reagieren die Eltern sehr streng. Für die Kin<strong>der</strong> ist dies<br />

höchst verwirrend, d.h. sie lernen keine klaren, verbindlichen Regeln kennen, an<br />

denen sie sich orientieren können.<br />

1 Parentifizierung (lat. parentes: die Eltern): Kin<strong>der</strong> übernehmen Elternrolle<br />

6


<strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Suchtstrukturen lassen sich nach Stierlin (1980) als "Bindungsfamilien"<br />

bezeichnen. Der Zusammenhalt innerhalb <strong>der</strong> Familie ist groß, und Verän<strong>der</strong>ungen<br />

und Individuationsprozesse werden als potentielle Bedrohung erlebt. In<br />

suchtbelasteten <strong>Familien</strong> lassen sich eine Reihe von z.T. sehr starren<br />

<strong>Familien</strong>regeln feststellen, die oftmals nicht offen ausgesprochen werden, aber das<br />

familiäre Kl<strong>im</strong>a stark best<strong>im</strong>men. 2 Hierbei handelt es sich nicht um konkrete<br />

Erziehungsregeln, son<strong>der</strong>n um übergeordnete Mechanismen, die das Miteinan<strong>der</strong><br />

prägen. So gibt es z.B. oft die Regel, Konflikte zu vermeiden bzw. nicht offen<br />

auszutragen. Dazu ist es notwendig, individuelle Unterschiede zu reduzieren o<strong>der</strong><br />

aber nicht deutlich werden zu lassen. In solchen <strong>Familien</strong> findet man häufig einen<br />

„Harmonie-Mythos“, demnach sich alle sehr gut verstehen und nie streiten. Um<br />

dieses Bild aufrecht zu erhalten, werden die eigenen Gefühle und Bedürfnisse<br />

verdrängt o<strong>der</strong> hinten angestellt - verschaffen sich aber in <strong>der</strong> "nassen,<br />

unkontrollierten" Phase oftmals Ausdruck (z.B. indem <strong>im</strong> betrunkenen Zustand Streit<br />

entsteht, geweint wird, jemand sich abgrenzt, weggeht o<strong>der</strong> sich einfach „gehen<br />

lässt“). Wenn einem diese Mechanismen o<strong>der</strong> „<strong>Familien</strong>regeln“ begegnen, ist es<br />

wichtig, sie <strong>im</strong> auf dem Hintergrund des latenten Grundgefühls <strong>der</strong> Familie zu<br />

verstehen. Dieses Grundgefühl ist das des bedrohten <strong>Familien</strong>zusammenhalts,<br />

häufig bedingt durch unverarbeitete Verluste o<strong>der</strong> Traumatisierungen, die z.T. schon<br />

Generationen zurückliegen können. Alle Regeln stehen deshalb <strong>im</strong> Dienste <strong>der</strong><br />

Loyalität bzw. des <strong>Familien</strong>zusammenhalts und sind als solche auch zu würdigen -<br />

um dann aber die Familie dabei zu unterstützen, funktionalere Muster zu entwickeln.<br />

Die Phase <strong>der</strong> Ablösung vom Elternhaus ist eine normale Entwicklungskrise, <strong>der</strong>en<br />

erfolgreiche Bewältigung in suchtbelasteten <strong>Familien</strong> nur selten gelingt. Das<br />

Autonomiebedürfnis <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> wird stärker und sie wollen ihre Individualität in<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> den Werten und Vorstellungen <strong>der</strong> Eltern formen.<br />

Grundsätzlich gilt für alle <strong>Familien</strong>, dass sie dieser Zeit neue Regeln und Strukturen<br />

entwickeln müssen. Aufgrund <strong>der</strong> starren <strong>Familien</strong>regeln, die Konflikte und<br />

Verän<strong>der</strong>ungen verhin<strong>der</strong>n sollen, wird diese Phase in <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong><br />

Alkoholproblemen zu einer beson<strong>der</strong>e Bedrohung des <strong>Familien</strong>zusammenhalts. Es<br />

gibt meist keine Regel für Verän<strong>der</strong>ung und die Eltern haben keine Strategien<br />

ausgebildet, um diesen Anfor<strong>der</strong>ungen zu begegnen. Dort, wo es keine gute<br />

Ablösung gibt, kommt es manchmal zu einem Punkt, an dem die Kin<strong>der</strong> nicht mehr<br />

zu halten sind und aus dem <strong>Familien</strong>system ausbrechen bzw. abrupt ausgestoßen<br />

werden (s. Stierlin, 1980). An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um bleiben bis ins hohe Erwachsenenalter<br />

stark an ihre Eltern gebunden. In den <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen stellt man<br />

häufig fest, dass die Eltern (sei es <strong>der</strong> Trinkende o<strong>der</strong> dessen Partner) entwe<strong>der</strong> gar<br />

keinen Kontakt mehr zu ihrer Herkunftsfamilie haben, o<strong>der</strong> in dichter Nähe zum bzw.<br />

sogar noch <strong>im</strong> Elternhaus selbst wohnen. In beiden Fällen besteht eine innere<br />

Abhängigkeit fort, gepaart <strong>mit</strong> einer anhaltenden Sehnsucht nach <strong>der</strong> Anerkennung<br />

durch die Eltern. Auch dieses Muster von binden o<strong>der</strong> ausstoßen wie<strong>der</strong>holt sich oft,<br />

wenn die eigenen Kin<strong>der</strong> dann in die Pubertät kommen und die Eltern <strong>mit</strong> <strong>der</strong>en<br />

Autonomiebestrebungen nicht umgehen können.<br />

Von beson<strong>der</strong>er Bedeutung in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> Menschen <strong>mit</strong> Suchtproblemen ist in<br />

deshalb das Anerkennen ihrer Autonomie. Die Fähigkeit und das Recht des<br />

Menschen, für sich selbst zu entscheiden, wie er lebt und wann er etwas tun o<strong>der</strong><br />

2 Die Beziehungsstrukturen in <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen entsprechen weitgehend denen, die in <strong>der</strong><br />

familientherapeutischen Literatur als "psychosomatisches Muster" beschrieben werden (vgl. z.B. Massing,<br />

Reich, Sperling, 1994 ; S<strong>im</strong>on, 1988)<br />

7


lassen will, ist dabei unbedingt zu beachten. Gerade <strong>der</strong> problematische<br />

<strong>Familien</strong>hintergrund bedingt es, dass die eigene Autonomie oftmals nur in einem<br />

„gegen“ o<strong>der</strong> „trotzdem“ vertreten werden kann. Diese Menschen reagieren sehr<br />

empfindlich darauf, wenn sie jemand zu etwas drängen will - allerdings oft, ohne sich<br />

klar und offen dagegen abzugrenzen und ihre eigene Meinung zu vertreten.<br />

Beson<strong>der</strong>s schwierig ist es daher, wenn an<strong>der</strong>e Menschen den Trinkenden drängen,<br />

<strong>mit</strong> dem Trinken aufzuhören, häufig verbunden <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, sich doch<br />

endlich vernünftig, verantwortungsvoll, eben „erwachsen“ zu verhalten. Das erlebt<br />

dieser dann insgehe<strong>im</strong> als einen Angriff auf seinen Autonomie und<br />

Selbstbest<strong>im</strong>mtheit - und „beweist“ den an<strong>der</strong>en, dass er „erwachsen“ ist und selbst<br />

entscheidet, indem er gerade doch trinkt.<br />

Ebenso wie sich in den <strong>Familien</strong>strukturen charakteristische Muster und<br />

Glaubenssätze feststellen lassen, finden sich auch bei den betroffenen Menschen<br />

häufig charakteristische Schwächen und Bewältigungsstrategien. Ebenso wenig<br />

wie auf familiärer Ebene erlauben diese Beschreibungen allerdings für den Einzelnen<br />

den Umkehrschluss, dass hieraus tatsächlich ein Suchtverhalten entsteht. Menschen<br />

<strong>mit</strong> Suchtproblemen haben meist ein geringes Selbstwertgefühl und eine hohe<br />

emotionale Bedürftigkeit. Aufgrund mangeln<strong>der</strong> Konflikt- und<br />

Problemlösungsstrategien besteht eine eher niedrige Frustrationstoleranz. Diese<br />

schwachen Seiten <strong>der</strong> eigenen Persönlichkeit werden in <strong>der</strong> Regel versteckt o<strong>der</strong><br />

"kontrolliert". Oft stellen diese Menschen (<strong>im</strong> nüchternen Zustand) hohe<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an sich selbst und an<strong>der</strong>e. Sie haben eher starre Vorstellungen<br />

davon, wie die Dinge zu sein haben, ihr Erleben wird geprägt von einer schwarz-<br />

weiß-Sicht, die wenig Differenzierungen erlaubt: Gut o<strong>der</strong> schlecht, Freund o<strong>der</strong><br />

Feind, entwe<strong>der</strong> - o<strong>der</strong>. Zwischentöne werden nur schwerlich wahrgenommen und in<br />

das eigene Weltbild integriert. Dieses Gerüst bricht zusammen <strong>mit</strong> dem<br />

alkoholbedingten Kontrollverlust, durch den <strong>der</strong> Affektzustand dann wirksam reguliert<br />

werden kann: Der Süchtige kann seine unterdrückten Gefühlen und Bedürfnisse nun<br />

freien Lauf lassen - bis hin zu aggressiven Ausbrüchen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Regression in<br />

kindliche Verhaltensweisen.<br />

Das individualpsychologische Verständnis ist aus unserer Sicht durchaus kompatibel<br />

<strong>mit</strong> familiendynamischen Erklärungsansätzen - und beide zusammen zeigen auch<br />

den Weg, welche Ressourcen und Fähigkeiten es in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> Betroffenen und<br />

ihren Angehörigen zu stärken gilt. 3<br />

1.2. Auswirkungen elterlichen Alkoholmissbrauchs auf die Kin<strong>der</strong><br />

Viele Eltern sagen, ihre Kin<strong>der</strong> würden von dem Trinken „nichts <strong>mit</strong>bekommen“. Dies<br />

ist lei<strong>der</strong> absolut nicht zutreffend. Stattdessen muss man davon ausgehen, dass die<br />

Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong>mer <strong>mit</strong>betroffen sind, wenn ihre Eltern ein Alkoholproblem haben. Schon<br />

sehr früh merken die Kin<strong>der</strong>, dass in ihrer Familie etwas nicht st<strong>im</strong>mt, dass Mami<br />

o<strong>der</strong> Papi „irgendwie komisch sind“ und viele Dinge nicht so sind wie in an<strong>der</strong>en<br />

<strong>Familien</strong>. Dabei leiden sie nicht eigentlich unter dem Trinken selbst, son<strong>der</strong>n unter<br />

den Ursachen, Auswirkungen und Begleiterscheinungen des Trinkens. (Diese<br />

3 Auch in <strong>der</strong> Präventionsarbeit des Modellprojektes wurde ein ressourcenför<strong>der</strong>n<strong>der</strong>, persönlichkeitsstärken<strong>der</strong><br />

Ansatz <strong>der</strong> Suchtprävention verfolgt, <strong>der</strong> diesen Schwächen frühzeitig zu begegnen sucht (s. Teil 1, Kap 6)<br />

8


Unterscheidung wird insbeson<strong>der</strong>e dann bedeutsam, wenn es darum geht <strong>mit</strong> den<br />

Eltern an Verän<strong>der</strong>ungen zu arbeiten.)<br />

Für manche Kin<strong>der</strong> beginnen die Beeinträchtigungen ihrer Entwicklung bereits <strong>im</strong><br />

Mutterleib: Die pränatalen Schädigungen aufgrund einer mütterlichen<br />

Alkoholabhängigkeit betreffen über 2000 Kin<strong>der</strong>, die jährlich in Deutschland geboren<br />

werden (Latzko, 1995; Löser, 1995). Die sogenannte Alkoholembryopathie (AE), in<br />

<strong>der</strong> leichteren Ausprägung fetales Alkoholeffekt Syndrom (FAS) genannt, bringt zum<br />

Teil irreversible kognitive Schädigungen, charakteristische Fehlbildungen des Kopfes<br />

und Gesichts, Wachstumsdefizite, verschiedenste Entwicklungsstörungen sowie<br />

Verhaltensauffälligkeiten <strong>mit</strong> sich. Vielfach werden diese Schädigungen nicht<br />

zutreffend diagnostiziert und von daher auch nicht sinnvoll behandelt. 4 Mangelnde<br />

För<strong>der</strong>ungen können zu einer weiteren Beeinträchtigung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> führen, ebenso<br />

wie gutgemeinte Hilfen, die vorhandene Schädigungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> nicht hinreichend<br />

berücksichtigen (z.B. zu anspruchsvolle Schulformen o<strong>der</strong> För<strong>der</strong>maßnahmen).<br />

Insbeson<strong>der</strong>e bei kleinen Kin<strong>der</strong>n können alkoholbedingten „Ausfälle“ <strong>der</strong> Eltern oft<br />

dramatische Folgen haben. Die Vernachlässigung z.T. existentieller<br />

Grundbedürfnisse (regelmäßiges Essen, Schlafen, Bewegung, mangelnde Hygiene)<br />

kann gerade bei Säuglingen zu einer Unterversorgung führen, die schnell<br />

lebensbedrohlich werden kann. Schwerwiegende Entwicklungsdefizite in <strong>der</strong><br />

motorischen und kognitiven Entwicklung entstehen dann, wenn den Kin<strong>der</strong>n <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> lebenswichtige Ansprache und Anregungen vorenthalten werden.<br />

Abgesehen von diesen frühen existentiellen Schädigungen leiden die Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Regel unter einer nur ungenügend gewährten emotionalen Zuwendung und <strong>der</strong><br />

Vernachlässigung ihrer kindlichen und emotionalen Bedürfnisse. Reinhardt Mayer (s.<br />

Ehrenfried, 2000) hat <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Fortbildungsreihe des Modellprojekts eine<br />

Zusammenstellung <strong>der</strong> familiären Atmosphäre in Suchtfamilien vorgenommen, die<br />

hier wie<strong>der</strong>gegeben werden soll:<br />

Kin<strong>der</strong> aus <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Suchtproblemen erleben häufig in extremem Ausmaß:<br />

• Unregelmäßigkeiten und Vernachlässigung ihrer Grundversorgung und<br />

Missachtung ihrer Grundbedürfnisse<br />

• unberechenbares, unvorhersagbares Verhalten <strong>der</strong> Eltern,<br />

St<strong>im</strong>mungsschwankungen zwischen Zuneigung und Abneigung <strong>im</strong> nüchternen<br />

und berauschten Zustand, inkonsequentes Erziehungsverhalten und<br />

Unzuverlässigkeit<br />

• Beleidigungen, Erniedrigungen und Verletzungen ihrer Würde<br />

• Körperliche und sexuelle Gewalt<br />

• Angst um die Gesundheit <strong>der</strong> Eltern und Hilflosigkeit bei bedrohlichen körperlichen<br />

Zuständen (Rausch, Entzug, Unfälle, Gewalt)<br />

• eine ängstlich gespannte Erwartungshaltung, ständige Sorgen um die häusliche<br />

Situation, Unruhe und Ungeborgenheit in <strong>der</strong> Familie<br />

4 Als eine zentrale und sehr erfahrene Anlaufstelle sei hier das Rudolf-Virchow-Klinikum in Berlin<br />

genannt, an dem <strong>mit</strong> Prof. Dr. Spohr einer <strong>der</strong> wenigen Experten arbeitet, die in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

zugleich auf diesem Gebiet forschen.<br />

9


• einen unsicheren <strong>Familien</strong>zusammenhalt, elterliche/familiäre Konflikte<br />

(Eheprobleme, Streitigkeiten) und Trennungen, die für die Kin<strong>der</strong> unkontrollierbar<br />

sind und Loyalitätskonflikte bringen<br />

• Verunsicherung, Schamgefühle und soziale Isolation aufgrund des Stigmas<br />

„Suchterkrankung“, wenn über das „Tabuthema Sucht“ nicht gesprochen wird und<br />

die Kin<strong>der</strong> das <strong>Familien</strong>gehe<strong>im</strong>nis verschweigen müssen<br />

• frühe, altersunangemessene Überfor<strong>der</strong>ung, wenn sie Aufgaben <strong>der</strong> Eltern<br />

übernehmen müssen und „erwachsenes“ Verhalten von ihnen verlangt wird<br />

• Schuldgefühle, wenn sie Verantwortung für das elterliche Suchtverhalten<br />

übernehmen<br />

• starke, belastende und verwirrende Gefühle (Angst, Trauer, Wut, Scham, Schuld),<br />

die jedoch von den Eltern missachtet werden und die Kin<strong>der</strong> häufig nicht zeigen<br />

bzw. verdrängen<br />

Häufig geschieht es, dass die Eltern ihre Konflikte über die Kin<strong>der</strong> auszutragen<br />

versuchen. Dabei stehen die Kin<strong>der</strong> zwischen den Eltern und sollen Partei für einen<br />

von beiden ergreifen. Das stürzt sie in schwere Loyalitätskonflikte. In ihrer<br />

kindlichen Liebe und Abhängigkeit brauchen sie ein Kl<strong>im</strong>a, in dem sie beiden Eltern<br />

gegenüber loyal sein können und die Anerkennung und Liebe bei<strong>der</strong> Elternteile<br />

bekommen. Manchmal kommen die Kin<strong>der</strong> in die Rolle des Ersatzpartners und<br />

trösten o<strong>der</strong> beraten ihre Eltern, etwa nach <strong>der</strong>en Streit. Wenn Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong>art<br />

parentifiziert werden führt das <strong>im</strong>mer zu ihrer emotionalen Überfor<strong>der</strong>ung. Sie<br />

können ihre kindlichen Bedürfnisse nur noch bedingt leben, weil sie statt dessen für<br />

die Eltern da sein müssen. Die daraus resultierende emotionale Bedürftigkeit schlägt<br />

sich möglicherweise später in einem eigenen Suchtverhalten nie<strong>der</strong>.<br />

Wenn es mehrere Kin<strong>der</strong> gibt, lässt sich meist beobachten, dass sie sich unter den<br />

Eltern „aufteilen“. Dann gibt es einan<strong>der</strong> überschneidende Koalitionen über die<br />

Generationsgrenzen hinweg, z.B. indem das älteste Kind zur Mutter hält, das jüngere<br />

dagegen zum Vater. Nach einer familientherapeutischen „Faustregel“ zeigen sich die<br />

Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong>mer <strong>mit</strong> dem Elternteil loyal, <strong>der</strong> ihre Unterstützung am meisten braucht.<br />

Für die Kin<strong>der</strong> bedeutet dies oft, zum einen auf die Zuneigung des an<strong>der</strong>en<br />

Elternteils verzichten zu müssen, und zum an<strong>der</strong>en ein Stück aus <strong>der</strong><br />

Geschwisterloyalität „herauszutreten“. Dies äußert sich in angespannten bis<br />

feindlichen geschwisterlichen Beziehungen. Die Familie ist dann insgehe<strong>im</strong><br />

polarisiert, es gibt „Gute“ und „Schlechte“. Die darunter liegenden Konflikte können<br />

nicht offen ausgetragen werden, da Auseinan<strong>der</strong>setzungen und<br />

Individuationsbestrebungen für den <strong>Familien</strong>zusammenhalt zu bedrohlich scheinen.<br />

Kin<strong>der</strong> alkoholabhängiger Eltern übernehmen entsprechend ihrem Platz in <strong>der</strong><br />

Geschwisterfolge ganz best<strong>im</strong>mte Rollen und Aufgaben in <strong>der</strong> Familie, letztlich um<br />

das <strong>Familien</strong>system zu stabilisieren. Im Zuge dessen entwickeln sie oft erstaunliche<br />

Ressourcen und Talente, allerdings um den Preis, auf ein best<strong>im</strong>mtes<br />

Verhaltensrepertoire festgelegt zu sein und an<strong>der</strong>e Facetten ihrer Persönlichkeit<br />

auszublenden. Die Rollen wurden in <strong>der</strong> Literatur vielfach beschrieben. Am<br />

bekanntesten ist die Typisierung von Wegschei<strong>der</strong> (1980) die <strong>mit</strong> dem "Helden",<br />

"Schwarzen Schaf", "Maskottchen" und dem "Clown" in <strong>der</strong> Praxis häufig<br />

anzutreffende Muster umreißt (s. auch Ehrenfried, Mayer et al., 2000).<br />

10


Bei allen Schwierigkeiten und <strong>der</strong>en negativen Auswirkungen auf die Kin<strong>der</strong> ist es<br />

wichtig, sich dennoch dessen bewusst zu sein, dass es <strong>im</strong>mer auch positive Zeiten<br />

<strong>im</strong> <strong>Familien</strong>leben und viele Ressourcen gibt - sonst wäre die Familie schon<br />

zerbrochen. Außerdem gibt es viel Liebe zwischen den Kin<strong>der</strong>n und ihren Eltern, und<br />

die Kin<strong>der</strong> hängen in einer Weise an ihren Eltern, wie es unter den gegebenen<br />

Umständen oft nur schwer nachzuvollziehen ist. Diese Ressourcen und<br />

verbindenden Momente gilt es in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den <strong>Familien</strong> zu entdecken und daran<br />

anzuknüpfen - wenn es darum gehen soll, die vorhandenen Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Familie zu erweitern und neue Wege für das Miteinan<strong>der</strong>-Leben zu entwickeln (s.<br />

Kap. 4 in diesem Teil).<br />

1.3. Co-Verhalten<br />

Die erwachsenen Kin<strong>der</strong> von Alkoholikern bilden oftmals eigene Suchtmuster aus,<br />

o<strong>der</strong> wählen (unbewusst) einen Partner, <strong>der</strong> selbst ein Suchtproblem hat. In dieser<br />

Beziehung zeigen sie dann ein ähnliches Rollenverhalten, wie sie es bereits als<br />

Kin<strong>der</strong> getan haben. Dieses Phänomen wird auch <strong>im</strong> Zusammenhang <strong>mit</strong> dem<br />

Konzept <strong>der</strong> „Co-Abhängigkeit“ beschrieben (s. z.B. Lambrou, 1990): <strong>Familien</strong>angehörige<br />

und an<strong>der</strong>e Personen stabilisieren ungewollt das Suchtmuster, indem sie<br />

den/die Trinkenden nicht <strong>mit</strong> den Auswirkungen seines Trinkens konfrontieren,<br />

son<strong>der</strong>n ihn davor schützen o<strong>der</strong> ihn kompensatorisch unterstützen. 5<br />

Typische Beispiele sind: Die Frau, die ihren betrunkenen Mann bei <strong>der</strong> Arbeit entschuldigt<br />

und ihn so vor den Konsequenzen seines Tuns schützt - dafür aber droht, be<strong>im</strong> nächsten mal<br />

<strong>mit</strong> Sack und Pack und den Kin<strong>der</strong>n auszuziehen (es aber nicht tut). Die Tochter, die<br />

einkaufen geht und die kleineren Geschwister versorgt, wenn die Mutter betrunken ist. O<strong>der</strong><br />

die Nachbarn, die <strong>der</strong> Familie <strong>mit</strong> Brot aushelfen, wenn die Eltern das Geld vertrunken<br />

haben.<br />

Die <strong>mit</strong> Co-Abhängigkeit bezeichneten Verhaltensweisen entstehen zum einen aus<br />

dem normalen menschlichen Impuls heraus, jemandem in Not zu helfen. Das<br />

weitverbreitete Konzept von Alkoholismus als Krankheit kann dazu beitragen, dass<br />

man entschuldigend denkt: „Der Mensch ist krank und kann nichts dafür“ - und so<strong>mit</strong><br />

auch nichts dagegen. Und kranken Menschen nicht zu helfen bedeutet einen Verstoß<br />

gegen die Ethik. Dieses Alltagsverständnis wi<strong>der</strong>spricht jedoch <strong>der</strong> fachlichen<br />

Position <strong>der</strong> Suchtkrankenhilfe, nach <strong>der</strong> suchtkranke Menschen <strong>mit</strong> den<br />

Auswirkungen ihrer Abhängigkeit konfrontiert werden müssen, da<strong>mit</strong> sie einen<br />

Ausstieg aus <strong>der</strong> Sucht finden können. Da aber an<strong>der</strong>erseits auch <strong>der</strong> Helfende<br />

5 Auf <strong>der</strong> Partnerebene finden sich dort, wo nur einer von beiden trinkt, meist komplementäre<br />

(entgegengesetzte) Rollenmuster, die einan<strong>der</strong> ergänzen und bedingen: Dabei übern<strong>im</strong>mt <strong>der</strong> Nicht-<br />

Trinkende den verantwortungsvollen, scheinbar starken Anteil in <strong>der</strong> Partnerschaft: Er ist es, <strong>der</strong> für<br />

alles sorgt und sich verantwortlich zeigt, den Trinkenden deckt und entschuldigt, wenn dieser sich<br />

durch seine „Ausfälle“ unverantwortlich und schwach zeigt. An<strong>der</strong>erseits drängt, droht und bittet er<br />

den Partner aber <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>, <strong>mit</strong> dem Trinken aufzuhören (anstatt die Konsequenz zu ziehen), und<br />

ist da<strong>mit</strong> wie<strong>der</strong>um in einer schwachen, abhängigen Position. Der Trinkende dominiert durch sein<br />

Trinken die Abläufe in <strong>der</strong> Familie.<br />

Trinken dagegen beide, handelt es sich eher um ein symmetrisches (gleichgeartetes)<br />

Beziehungsmuster, in dem die Partner in einem he<strong>im</strong>lichen Wettstreit <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> stehen, z.B. darum,<br />

wer sich mehr gehen lassen darf. In <strong>der</strong> Folge kommt leicht es zu eskalierenden Situationen, in<br />

denen beide total betrunken sind (vgl. Watzlawick, 1960).<br />

11


einen „Gewinn“ durch sein Tun hat, ist eine Verän<strong>der</strong>ung des unheilvollen<br />

Zusammenspiels oft schwierig: Dieser nämlich hat das Gefühl, gebraucht zu werden,<br />

verantwortungsvoll zu handeln und wichtig o<strong>der</strong> sogar unverzichtbar zu sein.<br />

Dadurch erfährt er eine Aufwertung seines eigenen Selbstwertgefühls. Auch hiervon<br />

kann man „abhängig“ werden - und so eine Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> <strong>der</strong> eigenen<br />

Bedürftigkeit und Schwäche vermeiden.<br />

Im weiteren Verlauf dieser Dokumentation soll jedoch anstelle von „Co-Abhängigkeit“<br />

von „Co-Verhalten“ o<strong>der</strong> „Co-Mustern“ gesprochen werden. Der Begriff des<br />

Verhaltens klingt für uns neutraler und weniger belastet, zudem legt er eher nahe,<br />

dass eine Verhaltensän<strong>der</strong>ung möglich ist, etwa wenn man das „Co-Verhalten<br />

reflektiert wird und man sich zu einem an<strong>der</strong>en Verhalten entscheidet. Der Begriff <strong>der</strong><br />

Abhängigkeit dagegen <strong>im</strong>pliziert (entsprechend <strong>der</strong> „Alkoholabhängigkeit“) einen<br />

Krankheitswert, <strong>der</strong> aus unserer Sicht tendenziell pathologisierend und<br />

festschreibend wirkt.<br />

Ein Fallbeispiel: Eine Familie <strong>mit</strong> zwei Kin<strong>der</strong>n, in <strong>der</strong> beide Eltern trinken, lebte von<br />

Sozialhilfe, die die Eltern regelmäßig in Alkohol investierten. Über Jahre hatten<br />

verschiedene Verwandte die Familie versorgt und unterstützt. Die Eltern hatten es<br />

auf stolze 14.000 DM Mietschulden gebracht, bevor <strong>der</strong> Vermieter die Familie<br />

schließlich vor die Tür setzte. Die Familie wohnte <strong>mit</strong>tlerweile illegal ohne jegliche<br />

sanitäre Anlagen (!) in einer Dachkammer <strong>im</strong> Haus <strong>der</strong> Oma. Eine Än<strong>der</strong>ung traf erst<br />

ein, nachdem die Kindsmutter <strong>im</strong> betrunkenen Zustand einen schweren häuslichen<br />

Unfall erlitt und das Krankenhaus das Jugendamt einschaltete. Die Kin<strong>der</strong> waren zu<br />

diesem Zeitpunkt bereits sieben und zehn Jahre alt! Hinweise seitens <strong>der</strong> Schule<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Außenstehen<strong>der</strong> hatte es zuvor nicht gegeben.<br />

Hier wird deutlich, das verschiedene Personen das Trinken über Monate und Jahre<br />

duldend <strong>mit</strong> angesehen haben und die Familie davor bewahrten, sich <strong>mit</strong> den<br />

Auswirkungen ihres Trinkens auseinan<strong>der</strong> zu setzen. Das unterstützende,<br />

kompensatorische Verhalten <strong>der</strong> Verwandten o<strong>der</strong> auch des Vermieters ist<br />

nachvollziehbar, gerade wenn dadurch versucht wird, die negativen Folgen für die<br />

Kin<strong>der</strong> abzumil<strong>der</strong>n (Hunger, Verwahrlosung, Wohnungslosigkeit). Dadurch wurden<br />

die Eltern aber nicht gezwungen, sich <strong>mit</strong> den Folgen ihres Tuns selbst auseinan<strong>der</strong><br />

zu setzen, so dass sich nichts än<strong>der</strong>te, son<strong>der</strong>n die Situation sich letztlich noch<br />

verschl<strong>im</strong>merte. Bemerkenswert ist auch, dass seitens <strong>der</strong> Schule o<strong>der</strong> durch<br />

Nachbarn keine Hinweise auf eine Vernachlässigung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> gegeben wurde,<br />

obwohl dies eindeutig <strong>der</strong> Fall war. Auch hier wurde also tatenlos zu- bzw.<br />

weggeschaut.<br />

Indem man dem Trinkenden vor den Folgen seines Tuns bewahrt, gibt es wenig<br />

Grund, das Verhalten zu än<strong>der</strong>n. Das Trinken stellt sich als eine zunächst gangbare<br />

Problemlösestrategie heraus. Nicht nur <strong>der</strong> Trinkende selbst vermeidet die<br />

Konfrontation, son<strong>der</strong>n auch seine Umwelt. Die Unsicherheit und das Unvermögen<br />

<strong>der</strong> Betroffenen und Mitbetroffenen, konstruktiv über das Alkoholproblem bzw. die<br />

dahinter liegenden Themen zu sprechen, führen zu einer weitreichenden<br />

Tabuisierung und Duldung des Trinkverhaltens. Erst <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Zeit zeigen sich die<br />

negativen Seiten des Trinkens und werden <strong>im</strong>mer gewichtiger - und ein Ausstieg<br />

<strong>im</strong>mer schwieriger.<br />

Die weitverbreitete Idee, dass <strong>der</strong> Trinkende „erst ganz unten ankommen“ muss,<br />

bevor ihm zu helfen sei, stellt aus unserer Sicht keine ernsthafte Alternative dar,<br />

12


son<strong>der</strong>n eher einen Ausdruck von Hilflosigkeit. Gerade das lange „Zusehen“, ohne<br />

den Betreffenden auf sein Trinken anzusprechen, führt dazu, dass er <strong>im</strong>mer weiter in<br />

die Abhängigkeit gerät. Dabei ist es ganz unterschiedlich, was Trinkende motivieren<br />

kann, aus dem bisherigen Trinkverhalten auszusteigen. Bei manchen ist es<br />

tatsächliche <strong>der</strong> totale Zusammenbruch ihrer sozialen Bezüge o<strong>der</strong> eine starke<br />

Schädigungen <strong>der</strong> Gesundheit. Bei an<strong>der</strong>en kann es <strong>der</strong> drohende Verlust des<br />

Arbeitsplatzes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> wichtiger Bezugspersonen sein. Gerade die Liebe zu den<br />

eigenen Kin<strong>der</strong>n kann ein wesentlicher Beweggrund sein, <strong>mit</strong> dem Trinken (in <strong>der</strong><br />

bisherigen Weise) aufzuhören - ein Motiv, welches häufig nicht genügend genutzt<br />

wird, wenn es darum geht, <strong>mit</strong> den Eltern zu arbeiten. Für an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um reicht es<br />

zu wissen, dass ihr Trinkverhalten von Außenstehenden kritisch wahrgenommen<br />

wird, um ein Umdenken in Gang zu bringen. Deshalb ist es so wichtig, <strong>mit</strong> den<br />

Betroffenen offen über ihr Trinken und dessen möglichen Folgen zu reden.<br />

1.3.1. Vermeidung von Co-Verhalten in professionellen Zusammenhängen<br />

Ebenso wie die <strong>Familien</strong><strong>mit</strong>glie<strong>der</strong> und Personen des sozialen Umfeldes laufen auch<br />

professionelle Helfer Gefahr, dem natürlichen Impuls nachzugeben und Muster von<br />

Co-Verhalten zu zeigen - die sich letztlich ebenso problemstabilisierend auswirken<br />

wie die duldenden, deckenden o<strong>der</strong> unterstützenden Handlungen Nahestehen<strong>der</strong>.<br />

Beispiele hierfür sind z.B. die Sozialarbeiterin, die eine trinkende Mutter bittet <strong>mit</strong><br />

dem Trinken aufzuhören, bzw. darauf drängt, eine Alkoholtherapie zu machen, o<strong>der</strong><br />

ihr droht, bald „an<strong>der</strong>e Seiten aufzuziehen“ (ohne es dann zu tun). O<strong>der</strong> die<br />

<strong>Familien</strong>helferin, die „die Ärmel hochkrempelt“, für Ordnung sorgt, den Klienten das<br />

Geld einteilt, und sich zur Entlastung um die Kin<strong>der</strong> kümmert. Aber auch subtilere<br />

Muster, wie ein Teilen des Tabus des <strong>Familien</strong>gehe<strong>im</strong>nisses, o<strong>der</strong> wenn man<br />

Gespräche <strong>mit</strong> Klienten unter Alkoholeinfluss führt, obwohl es eine an<strong>der</strong>e<br />

Vereinbarung gibt, fallen unter das, was hier <strong>mit</strong> „Co-Verhalten“ bezeichnet werden<br />

soll.<br />

So verständlich diese Verhaltensweisen in anbetracht <strong>der</strong> misslichen Lage sind, so<br />

folgenschwer sind sie in ihren Auswirkungen: Meist werden sie von den trinkenden<br />

Eltern als Botschaft verstanden, dass sie nichts an ihrem Trinkverhalten än<strong>der</strong>n<br />

müssten - da man sie ja von den Konsequenzen entlastet.<br />

Der Sog in die Co-Abhängigkeit stellt eine <strong>der</strong> größten Schwierigkeiten für<br />

Professionelle dar. Aus unserer Sicht gehört es zur typischen Dynamik bei<br />

Alkoholproblemen, dass das System <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> versteckte „Einladungen“ in das<br />

Co-Muster ausspricht. Alkoholsysteme verwenden viel Energie darauf, dass „nichts<br />

klar wird“ - eine Form von Wi<strong>der</strong>stand gegen Einmischung bzw. Schutz vor<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, die als bedrohlich erlebten. Durch wechselnde Anliegen<br />

beispielsweise und <strong>im</strong>mer neue Katastrophen können Helfer leicht verwirrt werden<br />

o<strong>der</strong> das Gefühl bekommen, die Klienten nicht richtig „zu fassen zu kriegen“. Der<br />

Helfer hat dann das Gefühl, nicht richtig durchzublicken o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Familie<br />

verstrickt zu sein. In <strong>der</strong> Kooperation <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Fachkräften entstehen oft<br />

Unst<strong>im</strong>migkeiten und Verschiebungen von Verantwortung. Teilweise scheinen die<br />

Klienten Intrigen zu initiieren, die die Fachkräfte in ihrer Wirksamkeit lähmen (zur<br />

Abst<strong>im</strong>mung auf Helferebene: s. Teil 2, Kap. 6: Kooperation). Dies halten wir für eine<br />

13


Spiegelung <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>dynamik, welche eng <strong>mit</strong> dem Alkoholsymptom verbunden<br />

ist und sich auf das Helfersystem überträgt.<br />

Als ein wichtiges Kriterium von Professionalität betrachten wir die Fähigkeit, diese<br />

Dynamik zu reflektieren und als Hinweis auf die Strukturen des <strong>Familien</strong>systems zu<br />

nutzen. Unserer Ansicht nach braucht es eine gute, relativ dichte Beratung und<br />

Supervision, um <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> eine Position „professioneller Abstinenz“<br />

einzunehmen. Das bedeutet, <strong>der</strong> Familie ein klares Gegenüber zu sein und sich nicht<br />

durch Co-Verhalten in die Suchtdynamik zu verstricken - bzw. zu reflektieren, wenn<br />

dies doch geschieht, um dann wie<strong>der</strong> eine fachlich klare Position einzunehmen. 6<br />

Häufig haben Menschen in helfenden Berufen eigene biographische Erfahrungen <strong>mit</strong><br />

einer Alkoholabhängigkeit nahestehen<strong>der</strong> Personen, was sie beson<strong>der</strong>s anfällig<br />

dafür macht, <strong>mit</strong> Co-Verhalten zu reagieren. Wenn dies <strong>der</strong> Fall ist, liegt es in <strong>der</strong><br />

Verantwortung <strong>der</strong> Fachkräfte, durch entsprechende Unterstützung gut für sich zu<br />

sorgen, um in <strong>der</strong> Arbeit wirksam bleiben zu können.<br />

Dabei sollten sich die Fachkräfte darum bemühen, <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> eine respektvolle,<br />

wertschätzende Haltung gegenüber den Eltern einzunehmen - unabhängig davon, ob<br />

sie trinken o<strong>der</strong> nicht. Trotz einer evtl. psychischen o<strong>der</strong> körperlichen Abhängigkeit<br />

kann man das Trinken als eine Verhaltensweise betrachten, für o<strong>der</strong> gegen die sich<br />

ein Mensch entscheiden kann. Indem die Verantwortung für das Trinken und<br />

dessen Auswirkungen klar bei den Eltern belassen wird, gelingt es leichter, auch ihre<br />

Autonomie anzuerkennen. Trinken die Eltern also weiter, ist das eine Entscheidung,<br />

die zu akzeptieren ist - auch wenn klar ist, dass da<strong>mit</strong> schwerwiegende Folgen für<br />

die Kin<strong>der</strong> einhergehen. Aufgabe <strong>der</strong> Jugendhilfe ist es dann, für das Wohl <strong>der</strong><br />

<strong>mit</strong>betroffenen Kin<strong>der</strong> zu sorgen.<br />

2. Kindeswohl trotz Alkohol - ?!<br />

2.1. Fokus <strong>der</strong> Jugendhilfe: Das Kindeswohl<br />

Gemäß §1 des KJHG soll Jugendhilfe „Kin<strong>der</strong> und Jugendliche vor Gefahren für ihr<br />

Wohl schützen“ und sie „in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung för<strong>der</strong>n“, bzw.<br />

„Eltern und an<strong>der</strong>e Erziehungsberechtigte bei <strong>der</strong> Erziehung beraten und<br />

unterstützen“. Die Gesetzesgrundlage gibt da<strong>mit</strong> einen eindeutig am Wohl des<br />

Kindes orientierten Rahmen vor, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Einzelfall zu füllen ist. Es scheint uns<br />

empfehlenswert, sich als Mitarbeiter <strong>der</strong> Jugendhilfe auf diesen Auftrag <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe zu beziehen.<br />

Wie bereits geschrieben, ist davon auszugehen, dass <strong>der</strong> elterliche Alkoholkonsum<br />

<strong>im</strong>mer Auswirkungen auf die Kin<strong>der</strong> hat – auch wenn viele Eltern sich dessen nicht<br />

bewusst sind o<strong>der</strong> dies nicht wahrnehmen wollen. Im Kontext <strong>der</strong> Jugendhilfe ist<br />

das Trinken unter <strong>der</strong> Perspektive zu betrachten, inwiefern es Auswirkungen<br />

auf das Wohl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> hat. Dabei ist es erfahrungsgemäß nicht wirksam, an<br />

die Eltern zu appellieren o<strong>der</strong> gar die For<strong>der</strong>ung zu stellen, dass sie <strong>mit</strong> dem<br />

Trinken aufhören sollen.<br />

6 Da <strong>der</strong> „Teufel“ bekanntlich „<strong>im</strong> Detail steckt“, werden auch <strong>im</strong> Verlauf <strong>der</strong> fachlichen Empfehlungen<br />

<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Hinweise auf die versteckten Einladungen ins Co-Verhalten gegeben.<br />

14


Die Eltern sind vielmehr in ihrer Verantwortung für die Kin<strong>der</strong> anzusprechen, <strong>mit</strong> dem<br />

Ziel, dafür Sorge zu tragen , dass die Kin<strong>der</strong> unter kindgerechten Bedingungen<br />

aufwachsen. Den Fachkräften <strong>der</strong> Jugendhilfe kommen hierbei entsprechend ihrem<br />

jeweiligen Auftrag unterschiedliche Aufgaben, Kompetenzen und<br />

Verantwortlichkeiten zu, die <strong>im</strong> Verlauf <strong>der</strong> Empfehlungen noch näher beschrieben<br />

werden sollen, zusammen <strong>mit</strong> Hinweisen für eine mögliche Umsetzung.<br />

Ein typisches Muster, welches man bei Alkoholproblemen antrifft, ist die Tendenz,<br />

die Wirklichkeit „verschwommen zu sehen“. Dem gilt es seitens des Hilfesystems<br />

eine Klarheit und Nüchternheit entgegengesetzt werden, welche sich auf „harte<br />

Fakten“ bezieht. Gegenüber den Eltern sollte man deshalb konkrete Umstände und<br />

Vorkommnisse benennen, die zu einer Sorge um das Wohl des Kindes Anlass<br />

geben. Ebenso gilt es, <strong>im</strong> Prozess <strong>der</strong> Hilfeplanung klare Vorstellungen von<br />

notwendigen Verän<strong>der</strong>ungen entwickeln. Diese sollten sich <strong>im</strong> Hilfeplan in Form von<br />

konkreten Zielen o<strong>der</strong> auch Vorgaben nie<strong>der</strong>schlagen, wonach dann schließlich <strong>der</strong><br />

Erfolg einer Hilfe zu bemessen sein wird. Die fachliche Verantwortung für diesen<br />

Hilfeplanungsprozess liegt in <strong>der</strong> Hand des Jugendamtes.<br />

Dann kann das Jugendamt Fachkräfte aus den Hilfen zur Erziehung da<strong>mit</strong><br />

beauftragen, die Familie dabei zu unterstützen, die erarbeiteten Ziele bzw. Vorgaben<br />

zu konkretisieren und in die Tat umzusetzen. Entsprechend <strong>der</strong> eingesetzten Hilfe<br />

wird sich diese Unterstützung in einem unterschiedlichen Maße auf die Kin<strong>der</strong> bzw.<br />

Jugendlichen, ihre Eltern o<strong>der</strong> das <strong>Familien</strong>system als Ganzes beziehen.<br />

Gelingt es, bei den Eltern Klarheit in bezug auf ihre Verantwortung und Sorge für die<br />

Kin<strong>der</strong> entstehen zu lassen, wird dies nicht ohne Rückwirkungen auf das<br />

Alkoholthema bleiben. Dabei muss aus unserer Sicht gar nicht <strong>im</strong>mer explizit über ihr<br />

Trinken gesprochen werden. Man kann davon ausgehen, dass das Suchtthema von<br />

den Eltern parallel <strong>mit</strong>reflektiert wird. (Dies ist übrigens manchmal leichter zu<br />

erreichen, wenn die Eltern ihr Trinkverhalten <strong>im</strong> Stillen bedenken können, ohne<br />

gleich etwas „zugeben“ zu müssen). Klärungen in dem einen Bereich lassen das<br />

Potential für Klärungen in dem an<strong>der</strong>en Bereich wachsen. Wenn den Eltern klar wird,<br />

welche Verän<strong>der</strong>ungen <strong>im</strong> Hinblick auf die Lebensbedingungen ihrer Kin<strong>der</strong> von<br />

ihnen zu leisten sind, erkennen sie von sich aus, dass sie diese nur durch eine<br />

Verän<strong>der</strong>ung auch ihres Trinkverhaltens umsetzen können. Aber auch wenn sie nicht<br />

an den Punkt kommen, die Verantwortung für diese Verän<strong>der</strong>ungen zu übernehmen,<br />

son<strong>der</strong>n weiter zu trinken, kann diesbezüglich Klarheit erarbeitet werden.<br />

Fallbeispiel: Eine Mitarbeiterin des Sozial-psychiatrischen Dienstes führte <strong>mit</strong> einer<br />

Mutter ein diagnostisches Gespräch durch. Die Mutter zeigte einen anhaltend<br />

ausschweifenden Alkoholkonsum. In diesem Gespräch konfrontierte die Fachkraft<br />

die Mutter da<strong>mit</strong>, dass es in ihrer persönlichen Entscheidung läge, wie das weitere<br />

Schicksal ihrer beiden Kin<strong>der</strong> verlaufen würde. Dies sei abhängig davon, ob sie<br />

weiterhin trinke o<strong>der</strong> ernsthafte Schritte zur Behandlung ihrer Abhängigkeit<br />

unternehmen werde. Die Mutter antwortete hierauf: „Ich weiß das.“<br />

Obwohl die Mitarbeiterin des SpD das Trinken <strong>der</strong> Mutter in <strong>der</strong> gestellten Diagnose<br />

<strong>mit</strong> einer zugrundeliegenden Persönlichkeitsstörung in Zusammenhang brachte,<br />

gelang es, diesen Punkt <strong>der</strong> Entscheidung deutlich zu benennen. Die Mutter trank<br />

weiter, woraufhin die Kin<strong>der</strong> schließlich fremduntergebracht werden mussten.<br />

15


Wenn bei den Eltern eine Bereitschaft entstanden ist, über ihr Suchtproblem<br />

nachzudenken, kann man ihnen den Vorschlag machen, Kontakt zur Suchtberatung<br />

o<strong>der</strong> auch einer Selbsthilfegruppe aufzunehmen. Hier können die Eltern auch zu<br />

ersten Terminen begleitet werden. Auch an<strong>der</strong>sherum ist es denkbar, in Absprache<br />

<strong>mit</strong> dem Klienten jemand aus <strong>der</strong> Suchtkrankenhilfe zu einem Gespräch hinzu zu<br />

bitten o<strong>der</strong> telefonisch einen ersten Kontakt herzustellen. Wichtig ist es, dies nicht<br />

gleich <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Vorstellung zu verbinden, dass <strong>der</strong> Betreffende sich da<strong>mit</strong> zu einer<br />

abstinenten Lebensweise zu entschließen hätte. Vielmehr sollte die Möglichkeit<br />

betont werden, sich zu informieren und <strong>mit</strong> jemanden, <strong>der</strong> „etwas von <strong>der</strong> Sache<br />

versteht“ über die Auswirkungen und die verschiedenen Unterstützungsangebote zu<br />

sprechen - um dann mehr Klarheit darüber zu gewinnen, ob man etwas gegen seine<br />

Sucht tun will und wie dies aussehen kann. Auch von dieser Seite her kann Klarheit<br />

erarbeitet werden.<br />

Der Suchtkrankenhilfe fällt da<strong>mit</strong> - entsprechend ihrem Auftrag und ihren beson<strong>der</strong>en<br />

Kompetenzen - <strong>der</strong> Teil zu, an <strong>der</strong> Suchtproblematik selbst zu arbeiten. Wie das<br />

Fallbeispiel zeigt, kann dies sehr gut <strong>im</strong>mer auch <strong>mit</strong> Blick auf die Kin<strong>der</strong> geschehen.<br />

Aus unserer Sicht gilt auch hier, dass die Bereitschaft und Motivation <strong>der</strong> Eltern, um<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> willen etwas an ihrem Trinkverhalten zu än<strong>der</strong>n, in vielen Arbeitsbezügen<br />

<strong>der</strong> Suchtkrankenhilfe vielfach nicht genügend genutzt wird. Wenn <strong>der</strong> Klient sich zu<br />

einem Beratungs- o<strong>der</strong> Therapieprozess <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Suchthilfe entschließt, wird<br />

hier von einer sehr viel umfassen<strong>der</strong>en Perspektive aus an den Ursachen und<br />

Auswirkungen seiner Abhängigkeit gearbeitet werden, als dies <strong>im</strong> Arbeitsfeld <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe zu leisten ist.<br />

Immer wenn mehrere Fachkräfte <strong>mit</strong> einer Familie arbeiten, ist es von großer<br />

Wichtigkeit, dass diese ihre Rollen, Aufträge und Arbeitsweisen sorgfältig<br />

abst<strong>im</strong>men und eine gemeinsame Linie verfolgen. Nur dann kann gegenüber den<br />

Klienten die Klarheit entstehen, die nötig ist, um Verän<strong>der</strong>ungen anzustoßen.<br />

2.1.1. <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> alkoholabhängigen Eltern zwischen Kin<strong>der</strong>schutz und<br />

<strong>Familien</strong>unterstützung<br />

<strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen stellen einen großen Teil <strong>der</strong> Klientel <strong>im</strong> Jugendamt<br />

dar. Der eigentliche Grund, weshalb sich die Jugendhilfe für diese <strong>Familien</strong><br />

engagiert, ist jedoch nicht das Alkoholproblem <strong>der</strong> Eltern, son<strong>der</strong>n ein Konglomerat<br />

von Problemstellungen, das negative Auswirkungen auf die Entwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

hat. Manche dieser Probleme sind durch den Alkoholmissbrauch bedingt o<strong>der</strong><br />

<strong>mit</strong>bedingt, an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um tragen zu einer Verschärfung des Alkoholkonsums bei.<br />

Die Lebenssituation vieler <strong>Familien</strong> <strong>im</strong> Kontext <strong>der</strong> Jugendhilfe ist gekennzeichnet<br />

von schlechten o<strong>der</strong> beengten Wohnverhältnissen, Arbeitslosigkeit, Armut und<br />

Verschuldung, Bildungsdefiziten und an<strong>der</strong>en sozialen Benachteiligungen. Diese<br />

Umstände spielen <strong>mit</strong> persönlichen Faktoren wie biographischen Traumatisierungen,<br />

geringem Selbstwertgefühl und mangelnden Problemlösekompetenzen unheilvoll<br />

zusammen. Sie wirken sich u.a. in konflikthaften Beziehungsstrukturen,<br />

Erziehungsproblemen und emotionaler und körperlicher Vernachlässigung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

aus. Die <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen, <strong>mit</strong> denen die Jugendhilfe zu tun hat,<br />

ähneln <strong>mit</strong> ihren Problemkonstellationen denen an<strong>der</strong>er <strong>Familien</strong>, die durch das<br />

Jugendamt betreut werden. Der Anlass zum Handeln liegt auch hier in einer<br />

Beeinträchtigung des Kindeswohls begründet.<br />

16


Grundsätzlich bestätigt sich in <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>im</strong>mer mehr ein Ansatz, <strong>der</strong><br />

notwendige Verän<strong>der</strong>ungen durch die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den Eltern zu erzielen<br />

sucht. Auch und gerade für die Kin<strong>der</strong> alkoholabhängiger Eltern scheint eine<br />

nachhaltige Verbesserung ihrer Lebenssituation und ihres Lebensgefühls eng daran<br />

gekoppelt zu sein, dass es gelingt, die Eltern zu einer motivierten Zusammenarbeit<br />

einzuladen. Gerade bei einer Alkoholproblematik aber ist die Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />

den Eltern beson<strong>der</strong>s schwierig und lässt viele Hilfen bereits <strong>im</strong> Anfangsstadium<br />

scheitern. Die Erfahrung zeigt, dass die Verän<strong>der</strong>ungsmotivation bei vielen Eltern<br />

zunächst gering zu sein scheint. Eine solche Verän<strong>der</strong>ungsmotivation entsteht bei<br />

Suchtproblemen in <strong>der</strong> Regel nur durch Druck.<br />

Um einen Verän<strong>der</strong>ungsdruck aufzubauen, ist es notwendig, dass die Mitarbeiterin<br />

des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) die Auswirkungen des Trinkens deutlich<br />

benennt (z.B. Symptome von Vernachlässigung o<strong>der</strong> Verwahrlosung,<br />

Entwicklungsverzögerungen o<strong>der</strong> Verhaltensauffälligkeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>) und in aller<br />

Deutlichkeit auf die Verantwortung <strong>der</strong> Eltern in Bezug auf die Kin<strong>der</strong> hinweist. Dabei<br />

müssen die Eltern auch <strong>mit</strong> den möglichen Konsequenzen konfrontiert werden, die<br />

es haben wird, wenn die Eltern nichts an den <strong>der</strong>zeitigen Zuständen verän<strong>der</strong>n (z.B.<br />

Mitteilung an das <strong>Familien</strong>gericht, Antrag auf Sorgerechtsentzug,<br />

Fremdunterbringung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>).<br />

Diese Vorgehensweise steht häufig <strong>im</strong> Konflikt <strong>mit</strong> dem bevorzugten<br />

Rollenverständnis vieler ASD-Mitarbeiterinnen, die sich lieber als Beraterinnen in<br />

einem freiwilligen Dienstleistungsunternehmen sehen. Solange wie möglich<br />

versuchen die Kolleginnen, die Eltern auf freundliche und verständnisvolle Weise zu<br />

einer Mitarbeit zu motivieren und möchten es vermeiden, ihnen Druck zu machen. So<br />

verständlich dieser Wunsch ist: Nur allzu oft scheitern die Bemühungen um<br />

Einvernehmlichkeit letztlich an den typischen Mustern, die <strong>mit</strong> dem Alkoholproblem<br />

einhergehen. Deshalb ist gerade bei Alkoholproblemen ein professionelles<br />

Verständnis des doppelten Arbeitsauftrages des ASD so wichtig: Der<br />

Beratungsaufgabe einerseits und dem Kontrollauftrag an<strong>der</strong>erseits. Beide Seiten<br />

sind zur Motivation <strong>der</strong> Eltern wichtig, und es ist die schwierige Aufgabe <strong>der</strong><br />

verantwortlichen Mitarbeiterin, einzuschätzen welche „Gangart“ <strong>im</strong> Gespräch <strong>mit</strong> den<br />

Eltern <strong>der</strong> jeweiligen Situation angemessen ist (s. Kap. 3.2.).<br />

Bei einer (drohenden) Kindeswohlgefährdung wird es nötig sein, dass die ASD-<br />

Mitarbeiterin den Kontrollauftrag sehr deutlich übern<strong>im</strong>mt, um so Druck auf die Eltern<br />

auszuüben. Dadurch vergrößert sich die Möglichkeit <strong>der</strong> <strong>im</strong> Rahmen von Hilfen zur<br />

Erziehung arbeitenden Fachkräfte, <strong>mit</strong> den Eltern an Verän<strong>der</strong>ungen ihres<br />

Erziehungsverhaltens zu arbeiten. Tritt die Mitarbeiterin des Jugendamtes allerdings<br />

zu resolut und for<strong>der</strong>nd auf, wird sie den Kontakt zu den Klienten verlieren und kaum<br />

<strong>mit</strong> einer kooperativen Zusammenarbeit <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> rechnen dürfen. Die<br />

Eltern würden sich dann bevormundet fühlen und versuchen, die ASD-Mitarbeiterin<br />

„auszutricksen“. Stellt sich die ASD-Kollegin wie<strong>der</strong>um zu sehr auf die Seite von<br />

Beratung, Verständnis und Vertrauen, wird sie über kurz o<strong>der</strong> lang fast <strong>im</strong>mer in<br />

einen Rollenkonflikt kommen: Irgendwann muss sie diese Position verlassen, um<br />

ihren Kontrollauftrag auszuüben. Da die Klienten sehr gut wissen, dass dem<br />

Jugendamt diese Aufgabe zufällt, sind sie gegenüber einer allzu nachgiebigen<br />

Haltung <strong>der</strong> ASD-Kollegin ohnehin skeptisch. In ihrer Übersetzung wird dies oft als<br />

„lasch“ gewertet. Die Familie denkt dann, sie hätte müsse „die vom Jugendamt“ nicht<br />

ernst nehmen - und wird von daher auch keine ernsthaften Verän<strong>der</strong>ungen<br />

anstreben. Es empfiehlt sich also eine freundliche und respektvolle, aber zugleich<br />

sachlich-nüchterne Haltung.<br />

17


18<br />

Zusammenfassung:<br />

� Der Auftrag <strong>der</strong> Jugendhilfe richtet sich auf die Sicherung des Kindeswohls – und<br />

nicht pr<strong>im</strong>är auf das Alkoholproblem.<br />

� Die Rollen und Aufträge <strong>der</strong> einzelnen Fachkräfte müssen sorgfältig aufeinan<strong>der</strong><br />

abgest<strong>im</strong>mt und klar eingenommen werden.<br />

� Die Eltern sind freundlich-konfrontativ in ihrer Verantwortung anzusprechen,<br />

indem die Auswirkungen ihres Trinkens in bezug auf die Kin<strong>der</strong> benannt werden.<br />

� Dabei sollte ihnen gesagt werden, welche konkreten Konsequenzen das<br />

Jugendamt bei Nicht-Verän<strong>der</strong>ung erwägen muss.<br />

2.2. Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Alkoholproblematik<br />

2.2.1. „Einsicht ist <strong>der</strong> erste Schritt zur Besserung“ (?)<br />

Für Außenstehende mag es offensichtlich scheinen, dass das eigentliche Problem<br />

die Alkoholabhängigkeit <strong>der</strong> Eltern bzw. eines Elternteils ist. Konfrontiert man die<br />

Eltern jedoch <strong>mit</strong> dieser Einschätzung, ist es häufig so, dass die Eltern dem<br />

wi<strong>der</strong>sprechen, das Alkoholproblem bagatellisieren o<strong>der</strong> abstreiten. Manchmal<br />

bejahen Eltern auch das Problem, aber in einer Weise, die keine neuen Lösungen<br />

zuzulassen scheint („Ja, ich weiß, ich bin alkoholkrank“). Insbeson<strong>der</strong>e, wenn es sich<br />

um das Alkoholproblem des Partners handelt, thematisieren manche Klienten das<br />

Trinken als Ursache für viele Probleme. In beiden Äußerungen liegen erste<br />

Einladungen an den Professionellen, <strong>mit</strong> Co-Verhalten zu reagieren. 7<br />

Viele Menschen denken, wenn jemand nur „einsieht“ o<strong>der</strong> „zugibt“, dass er ein<br />

Alkoholproblem hat, sei dies <strong>der</strong> erste – und ein notwendiger - Schritt zur<br />

Verän<strong>der</strong>ung. Die Hoffnung ist, dass auf diese Einsicht die Entscheidung folgt, etwas<br />

gegen das Alkoholproblem zu tun. In <strong>der</strong> Vorstellung vieler kann o<strong>der</strong> sollte dies eine<br />

fachlich angeleitete Alkoholentwöhnungsbehandlung (Therapie) sein. Der erste<br />

konkrete Schritt in diese Richtung wird dabei oft an dem Aufsuchen einer<br />

Suchtberatungsstelle bemessen.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass <strong>der</strong> Weg von <strong>der</strong> sog. „Krankheitseinsicht“ bis hin zu einer<br />

tatsächlichen Verbesserung <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> weit ist - und <strong>mit</strong>unter<br />

angesichts <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu lange dauert. Die meisten Abhängigen<br />

unternehmen mehrere Anläufe, bis sie sich zu einer dauerhaft abstinenten<br />

Lebensweise entschließen. Viele Klienten waren bereits fünf, sechs mal in <strong>der</strong><br />

7 Im ersten Fall lädt <strong>der</strong> Klient den Berater dazu ein, sein Konzept von Hilflosigkeit und Nicht-<br />

Verantwortlichkeit angesichts seiner Erkrankung zu übernehmen - und <strong>mit</strong> Schonung, Entlastung und<br />

o<strong>der</strong> kompensatorischen Hilfeangeboten zu reagieren. Im zweiten Fall erlebt sich <strong>der</strong> Partner<br />

vermutlich als hilflos angesichts <strong>der</strong> Sucht des Partners, an<strong>der</strong>erseits aber als <strong>der</strong> „gute“,<br />

verantwortliche Elternteil. Verbunden <strong>mit</strong> dieser Mitteilung ist oft <strong>der</strong> Wunsch, das <strong>mit</strong>fühlende<br />

Verständnis und die Anerkennung des Professionellen für das eigene aufopferungsvolle Handeln zu<br />

bekommen - und zugleich vor den Anfor<strong>der</strong>ungen einer Verän<strong>der</strong>ung eigener Anteile am Suchtmuster<br />

verschont zu bleiben.


stationären Entgiftung und sind <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> rückfällig geworden. An<strong>der</strong>e wissen um<br />

ihr Alkoholproblem, wollen o<strong>der</strong> können es aber nicht wirklich verän<strong>der</strong>n. Wie<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e allerdings entscheiden sich an irgendeinem Punkt, <strong>mit</strong> dem Trinken ohne<br />

fremde Hilfe aufzuhören. Manche schaffen es, ihren Alkoholkonsum soweit<br />

einzuschränken, dass sie sozial angepasst trinken und schwerwiegende Folgen nicht<br />

eintreffen (z.B. Verlust <strong>der</strong> Arbeitsstelle, Herausnahme <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>).<br />

Hinter dem Wunsch, <strong>der</strong> Klient möge sein Alkoholproblem „einsehen o<strong>der</strong><br />

eingestehen“, steht meist die Annahme, dass die Alkoholabhängigkeit (bzw. <strong>der</strong><br />

Alkoholmissbrauch) Ursache für die an<strong>der</strong>en Probleme ist, und diese verschwinden<br />

würden, wenn die Eltern nur <strong>mit</strong> dem Trinken aufhören - sicher kann man sich<br />

dessen jedoch nicht wirklich sein. Fest steht dagegen i.d.R., dass sich etwas am<br />

<strong>Familien</strong>leben än<strong>der</strong>n muss, da<strong>mit</strong> die Kin<strong>der</strong> gut in <strong>der</strong> Familie aufwachsen können<br />

- und genau auf diese anstehenden Verän<strong>der</strong>ungen sollte sich die Jugendhilfe ihrem<br />

Auftrag gemäß auch gegenüber den Eltern beziehen.<br />

2.2.2. Sag ich etwas - o<strong>der</strong> sag ich lieber nichts?<br />

Heißt dies nun, das Thema Alkohol gänzlich auszusparen? Nein, <strong>im</strong> Gegenteil: Die<br />

pr<strong>im</strong>äre Fokussierung auf die Lebensbedingungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> macht es vielfach<br />

sogar leichter, die Eltern auf das Alkoholproblem anzusprechen. Insbeson<strong>der</strong>e für die<br />

Mitarbeiterinnen des ASD erweist es sich als ausgesprochen wichtig, den Eltern<br />

frühzeitig <strong>mit</strong>zuteilen, dass das Thema Alkohol wahrgenommen und als ein wichtiger<br />

Faktor in <strong>der</strong> Gesamtproblematik <strong>der</strong> Familie betrachtet wird. Überlässt die ASD-<br />

Kollegin diese erste Konfrontation dagegen den eingesetzten Helfern, kommen diese<br />

schnell in Schwierigkeiten: Die Eltern erleben den Helfer in <strong>der</strong> Rolle des<br />

Kontrollierenden und können sich ihm gegenüber nicht mehr öffnen - schließlich gilt<br />

es ja, das Problem vor dem Jugendamt weiter gehe<strong>im</strong> zuhalten. Entlastet die<br />

Sozialarbeiterin des ASD dagegen z.B. einen <strong>Familien</strong>helfer von dieser Aufgabe,<br />

indem sie bereits bei <strong>der</strong> Hilfeplanung und Auftragsklärung das Thema für alle offen<br />

benennt, wird es für die Helfer möglich, auf einer an<strong>der</strong>en Ebene <strong>mit</strong> dem<br />

Alkoholproblem zu arbeiten.<br />

Sofern die Verantwortung für das Trinkverhalten und seine Auswirkungen klar bei<br />

den Eltern belassen wird, eröffnen sich viele Wege, konstruktiv <strong>mit</strong> dem Thema zu<br />

arbeiten. 8 Viele Kollegen fühlen sich dadurch freier, <strong>mit</strong> den Eltern über das Trinken<br />

zu sprechen. Wenn <strong>der</strong> erklärte gemeinsame Nenner nicht das Alkoholproblem,<br />

son<strong>der</strong>n die Sorge um die Kin<strong>der</strong> ist, wird es leichter möglich, danach zu fragen, was<br />

sich z.B. in <strong>der</strong> Beziehung zu den Kin<strong>der</strong>n än<strong>der</strong>t, wenn die Eltern trinken. Eine<br />

<strong>Familien</strong>helferin hat die Eltern sehr direkt gefragt: „Kann es sein, dass sie manchmal<br />

vergessen, dem Kind zu Essen zu machen, wenn Sie betrunken sind?“, was diese<br />

bejaht haben. So sollte man gegenüber den Eltern nicht zu vorsichtig sein, son<strong>der</strong>n<br />

vielmehr davon ausgehen, dass sie eine klare, offene Sprache mögen. Für viele ist<br />

dies sogar ein notwendiges Signal, um sich selbst da<strong>mit</strong> auseinan<strong>der</strong> zu setzen.<br />

Geschwiegen haben bereits allzu viele - und da<strong>mit</strong> dem Trinkenden Gelegenheit<br />

gegeben, ungestört und unreflektiert weiter zu trinken.<br />

8 Verwiesen sei hier auf das sehr praxisnahe Buch von Berg/Miller (1998): Kurzzeittherapie bei<br />

Alkoholproblemen, welches eine Fülle von Anregungen für den direkten Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Alkoholproblematik enthält.<br />

19


Es wurde bereits erwähnt, dass es aus Sicht <strong>der</strong> Suchtkrankenhilfe unerlässlich ist,<br />

eine Alkoholproblematik offen anzusprechen. Für sie gehört diese Konfrontation<br />

sozusagen zum kleinen 1x1 des Umgangs <strong>mit</strong> Suchtkranken. Mitarbeiter <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe tun sich da<strong>mit</strong> meist sehr viel schwerer. Ein häufiges Argument für das<br />

Nicht-Ansprechen ist die Absicht, zunächst eine Vertrauensbasis zu den Eltern zu<br />

erarbeiten, die es erlaubt, zu einem späteren Zeitpunkt das Thema anzubringen –<br />

o<strong>der</strong> aber es dann aufzugreifen, wenn es von den Eltern selbst angeboten wird.<br />

Die Gefahr dabei ist, dass man als Helfer dadurch in eine Art stille Mitwisserschaft<br />

gerät, und es <strong>im</strong>mer schwieriger wird, offen über Alkohol zu sprechen. Da<strong>mit</strong> wäre<br />

man in einem typischen Co-Verhaltensmuster gefangen. Bei den Klienten könnte es<br />

den Eindruck erwecken, dass man entwe<strong>der</strong> nichts merkt, <strong>im</strong> Trinken kein ernst zu<br />

nehmendes Problem sieht, o<strong>der</strong> auch schlichtweg nicht den „Mumm“ hat, offen<br />

darüber zu sprechen. Keine dieser Interpretationen dürfte dazu beitragen, die eigene<br />

Position zu stärken. Die Klienten hätten wahrscheinlich den Eindruck: „Der tut uns<br />

nichts, den brauchen wir nicht ernst zu nehmen!“<br />

Zudem ist es auch ein Signal an die Kin<strong>der</strong>, welches in seinen Auswirkungen nicht zu<br />

unterschätzen ist: Das Tabu, dem das Trinkverhalten <strong>der</strong> Eltern unterliegt, und das<br />

da<strong>mit</strong> auf <strong>der</strong> ganzen Familie lastet, wird durch das Nicht-Ansprechen <strong>der</strong><br />

Alkoholproblematik bekräftigt. Dem Bedürfnis <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> nach Entlastung von dem<br />

Gehe<strong>im</strong>haltungszwang und nach Offenheit in <strong>der</strong> Kommunikation wird so<strong>mit</strong> nicht<br />

Rechnung getragen. Unter Umständen kann es jedoch besser sein, das Tabu<br />

kurzfristig aufrecht zu erhalten, dafür aber eine Arbeitsbasis zu schaffen, aufgrund<br />

<strong>der</strong>er es dann möglich wird, das Thema zu benennen.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass viele <strong>Familien</strong> das Thema relativ bald auf ihre Art „auf den<br />

Tisch“ bringen: Wenn nicht durch direkte Mitteilungen o<strong>der</strong> Anspielungen an<strong>der</strong>er<br />

<strong>Familien</strong><strong>mit</strong>glie<strong>der</strong>, dann in Form von stehen gelassenen Flaschen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> typischen<br />

Alkoholfahne o<strong>der</strong> indem <strong>der</strong> Klient zu vereinbarten Terminen angetrunken ist.<br />

Unserem Verständnis nach sind dies Angebote <strong>der</strong> Familie, die Alkoholproblematik<br />

offen <strong>im</strong> Gespräch aufzugreifen. Der Helfer sollte diese Gelegenheiten daher auf<br />

jeden Fall nutzen, und darauf eingehen.<br />

Im Gespräch <strong>mit</strong> den Eltern kann es sinnvoll sein:<br />

20<br />

� Die eigene Wahrnehmung zu benennen und das Thema Alkohol offen<br />

anzusprechen (z.B.: „Sie sprechen undeutlich. Ich habe den Eindruck, dass<br />

sie nicht nüchtern sind.“ „Ich rieche, dass Sie eine Fahne haben.“ „Mir ist<br />

aufgefallen, dass Sie bei unserem letzten Gespräch nicht nüchtern waren.“)<br />

� Nachzufragen, ob Alkohol ein wichtiges Thema in <strong>der</strong> Familie ist. („Spielt <strong>der</strong><br />

Alkohol eine wichtige Rolle in ihrer Familie?“)<br />

� Fragen zu stellen nach den Auswirkungen des Alkoholkonsums auf die<br />

Versorgung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und die Beziehung zu ihnen. („Was verän<strong>der</strong>t sich,<br />

wenn Sie getrunken haben? Kann es sein, dass Sie dann nicht mehr darauf<br />

achten, wann Ihre Kin<strong>der</strong> ins Bett gehen o<strong>der</strong> ob die Kin<strong>der</strong> ihre Schularbeiten<br />

machen? Kann es sein, dass Ihre Kin<strong>der</strong> sie nicht richtig ernst nehmen, wenn<br />

Sie angetrunken sind?“)<br />

� Fragen zu stellen, wann getrunken wird. („In welchen Situationen ist es<br />

beson<strong>der</strong>s wahrscheinlich, dass Sie zur Flasche greifen? - Ist das in<br />

Situationen, in denen Sie sich ärgern? Ist es, wenn Sie das Gefühl haben,<br />

dass Ihnen alles zuviel wird? O<strong>der</strong> wenn Sie sich einsam o<strong>der</strong> traurig<br />

fühlen?“)


� Fragen nach Ausnahmen zu stellen. (“Wann trinken Sie weniger? Was<br />

verän<strong>der</strong>t sich dann?“) und die darin enthaltenen Lösungskompetenzen<br />

aufzuzeigen („Dann gelingt es Ihnen also manchmal doch, sich auch so<br />

durchzusetzen!“)<br />

� Hinweise zu geben, dass es anstelle des Trinkens vielleicht auch an<strong>der</strong>e<br />

Lösungswege geben kann, die herauszufinden aber wahrscheinlich viel Arbeit<br />

bedeutet.<br />

� Den Klienten zu gegebenem Zeitpunkt auf die Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Suchtkrankenhilfe aufmerksam zu machen (z.B. Gespräch <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Suchtberatung o<strong>der</strong> einem Betroffenen aus einer Selbsthilfegruppe).<br />

Dabei hängt es vom Ausmaß <strong>der</strong> Kindeswohlbeeinträchtigung, dem jeweiligen<br />

Auftrag und nicht zuletzt <strong>der</strong> Qualifikation <strong>der</strong> Fachkraft ab, wie das Alkoholproblem<br />

thematisiert werden kann. Je ernsthafter die Situation ist, um so mehr empfiehlt es<br />

sich, dass die ASD-Mitarbeiterin auf die Seite <strong>der</strong> Benennung von Missständen und<br />

<strong>der</strong> Kontrolle notwendiger Verän<strong>der</strong>ungen geht. Gerade wenn es um die<br />

Sicherstellung kindgerechter Bedingungen geht, sollte sich man sich in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong><br />

den Eltern auf sehr fassbare, alltagsnahe Aspekte des Zusammenlebens beziehen<br />

und an <strong>der</strong> Umsetzung konkreter Ziele <strong>im</strong> Hinblick auf die Versorgung und Erziehung<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> arbeiten. Dies entspricht dem typischen Arbeitsfeld einer<br />

Sozialpädagogischen <strong>Familien</strong>hilfe.<br />

Wenig ratsam scheint es gerade in sozialpädagogischen Arbeitsfel<strong>der</strong>n zu sein, allzu<br />

tief in die persönliche Problematik <strong>der</strong> Klienten „einzusteigen“ und eine<br />

"biographische Ursachenforschung“ zu betreiben. Sehr viele <strong>der</strong> Klienten <strong>mit</strong><br />

Suchtproblemen haben einschneidende Traumatisierungen und eine fortwährende<br />

Kränkung ihres Selbstwertgefühls erlebt. Insbeson<strong>der</strong>e sexueller Missbrauch,<br />

Gewalterfahrungen und eigene Vernachlässigung gehören oftmals zum belastenden<br />

Erfahrungshintergrund dieser Menschen. Im eher alltagsbezogenen <strong>Arbeiten</strong> erweist<br />

sich diese Erklärungen allerdings vielfach als eine Sackgasse. In <strong>der</strong> eigenen<br />

weiteren Arbeit ist es wichtig, den Fokus <strong>mit</strong> den Eltern zusammen wie<strong>der</strong> auf die<br />

Kin<strong>der</strong> zu richten, da<strong>mit</strong> diesen nicht am Ende dasselbe passiert.<br />

2.2.3. Ver<strong>mit</strong>tlung in an<strong>der</strong>e Hilfeangebote<br />

Trotzdem ist es für viele Klienten wichtig, zu erfahren dass <strong>der</strong> Berater ein Interesse<br />

an ihrer Lebensgeschichte hat und diese auch ernst n<strong>im</strong>mt. Kommt man <strong>mit</strong> den<br />

Klienten an diesen Punkt, gilt es sehr deutlich die Grenzen des Auftrags und <strong>der</strong><br />

eigenen fachlichen Kompetenz wahrzunehmen. Dies ist kann ein günstiger Zeitpunkt<br />

sein, eine Therapie anzuregen und den Klienten auf entsprechende Hilfen<br />

hinzuweisen. Eine Hilfe <strong>mit</strong> eher therapeutischem Charakter ist auch dort angezeigt,<br />

wo z.B. starke Paarkonflikte o<strong>der</strong> Verstrickungen <strong>mit</strong> den Herkunftsfamilien deutlich<br />

werden.<br />

Bei manchen Klienten gewinnt man auch den Eindruck, dass sich nichts<br />

Gravierendes an <strong>der</strong> Lebenssituation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>n wird, solange die<br />

21


Ursachen des Trinkverhaltens nicht therapeutisch aufgearbeitet werden. 9 Auch hier<br />

kann es die verantwortungsvolle Aufgabe z.B. eines <strong>Familien</strong>helfers sein, den<br />

Klienten bis zu diesem Punkt <strong>der</strong> Erkenntnis und Bereitschaft zu begleiten, um ihm<br />

dann den Weg hin zu einem qualifizierten, seiner <strong>der</strong>zeitigen Motivation und<br />

Lebenssituation entsprechenden Therapieform zu weisen.<br />

Kann und soll diese Therapie an <strong>der</strong> Suchtproblematik selbst ansetzen, ist es<br />

sinnvoll den Klienten zunächst an eine Suchtberatungsstelle zu verweisen. Diese<br />

verfügt über ein qualifiziertes Beratungsangebot, und hier kann dann auch eine<br />

Einschätzung vorgenommen werden, welcher „Suchttyp“ vorliegt und welche Form<br />

<strong>der</strong> Behandlung geeignet wäre. Manche Klienten sind zwar bereit, ein<br />

therapeutisches Angebot zu nutzen, wollen aber nicht, dass dies direkt <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf ihr Suchtproblem geschieht. Hier kann es angezeigt sein, dem Klienten dabei zu<br />

helfen, die richtigen Anlaufstellen zu finden, um eine Einzel-, Paar- o<strong>der</strong><br />

<strong>Familien</strong>therapie o<strong>der</strong> auch eine Gruppentherapie zu machen (z.B. bei einer<br />

Erziehungsberatungsstelle, durch aufsuchende <strong>Familien</strong>therapie o<strong>der</strong> bei einem<br />

nie<strong>der</strong>gelassenen Therapeuten).<br />

Auch die Angebote <strong>der</strong> Selbsthilfegruppen sind in ihrer Bedeutsamkeit nicht zu<br />

unterschätzen. Wenngleich hier natürlich keine therapeutische Arbeit geleistet wird,<br />

sind Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker, Guttempler etc. für viele<br />

Menschen ein passendes Unterstützungs- und Stabilisierungsangebot. Gerade<br />

Menschen, die keine therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollen o<strong>der</strong><br />

professionellen Angeboten <strong>der</strong> Suchthilfe gegenüber skeptisch sind, können hier<br />

manchmal gut ankoppeln!<br />

Teilweise ist zu beobachten gewesen, dass die Erwartung, welche seitens <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe<strong>mit</strong>arbeiter an das Aufsuchen <strong>der</strong> professionellen Suchthilfe geknüpft<br />

wurden, unrealistisch hoch waren. Selbst wenn die Klienten in <strong>der</strong> Suchthilfe<br />

ankommen, bleibt es weiterhin in ihrer eigenen Entscheidung, ob und wann sie sich<br />

zur Abstinenz bzw. zu einer Än<strong>der</strong>ung ihres Trinkverhaltens entschließen. Keinesfalls<br />

lässt sich vom Gespräch in <strong>der</strong> Suchtberatungsstelle eine Art sofortiger Heilswirkung<br />

erwarten. Auch seitens <strong>der</strong> Suchthilfe ist hierzu oft eine lange Beziehungsarbeit<br />

nötig, die u.U. auch suchtbegleitend sein kann. In den meisten Fällen unternehmen<br />

Abhängige mehrere Anläufe, um trocken zu werden. Es scheint daher ratsam,<br />

gerade den ersten Ansätzen zur Bearbeitung des Suchtproblems zwar hoffnungsvoll,<br />

aber auch <strong>mit</strong> einer gesunden Skepsis gegenüber zu stehen.<br />

Häufig wird - gerade seitens des ASD - eine erzieherische Hilfe <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Hoffnung<br />

verbunden, den Klienten zum Aufsuchen einer Suchtberatungsstelle o<strong>der</strong> gar zu<br />

einer Alkoholtherapie bewegen zu können. Dies kann ein positiver Effekt <strong>der</strong> Hilfe zur<br />

Erziehung sein, wenn <strong>mit</strong> den Eltern <strong>im</strong> Hinblick auf die Sorge um ihre Kin<strong>der</strong> auf<br />

einem best<strong>im</strong>mten Punkt <strong>der</strong> Klärung hingearbeitet wurde - ist aber nach unserer<br />

Einschätzung nicht Inhalt des Jugendhilfeauftrags. Dagegen kann es durchaus<br />

sinnvoll sein, wenn seitens des ASD - insbeson<strong>der</strong>e auf dem Hintergrund<br />

gerichtlicher Auflagen - ein verbindlicher Kontakt zur Suchthilfe vereinbart und auch<br />

kontrolliert wird, etwa um weitere Schritte zunächst von einem dort erfolgenden<br />

Klärungsprozess abhängig zu machen. Aber auch hier kann es aus Jugendhilfesicht<br />

9 Die professionelle Suchtkrankenhilfe verfolgt hier einen an<strong>der</strong>en Ansatz: Demnach ist bei<br />

Alkoholabhängigen eine Therapie notwendige Voraussetzung dafür, dass sich dauerhaft etwas am<br />

Trinkverhalten än<strong>der</strong>t.<br />

22


nicht lediglich um den Kontakt zur Suchthilfe gehen, son<strong>der</strong>n darum, in absehbarer<br />

Zeit die notwendigen Verän<strong>der</strong>ungen für die Lebensbedingungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu<br />

erreichen.<br />

Der (manchmal unausgesprochene) Auftrag, einen Klienten <strong>der</strong> Jugendhilfe an das<br />

Suchthilfesystem anzubinden, ist vor auch insofern schwierig, als dass er die<br />

Fachkraft dazu verleitet, Muster von Co-Verhalten zu zeigen: Es wird ein sanfter,<br />

versteckter o<strong>der</strong> auch offener Druck auf den Klienten ausgeübt, sich seinem<br />

Alkoholproblem zu „stellen“, etwas dagegen zu tun usw. Zudem definiert dieser<br />

Auftrag das Alkoholproblem tendenziell wie<strong>der</strong> zum „eigentlichen“ Problem - und die<br />

Arbeit <strong>der</strong> Jugendhilfe als nachrangig o<strong>der</strong> gar als „Zubringer-Job“. Dabei wird<br />

übersehen, dass gerade das pr<strong>im</strong>äre Anliegen <strong>der</strong> Jugendhilfe, nämlich auf gute<br />

Lebensbedingungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> hinzuarbeiten, für viele Eltern eine starke Motivation<br />

sein kann, etwas an ihrem Alkoholkonsum zu än<strong>der</strong>n - und manchmal die einzige<br />

Motivation.<br />

2.2.4. Regeln für den Kontakt <strong>mit</strong> trinkenden Klienten<br />

Für den Umgang <strong>mit</strong> Trinkenden o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Süchtigen ist es sinnvoll, klare Regeln<br />

und Vereinbarungen aufzustellen. Eine grundlegende kann es sein, keine Gespräche<br />

zu führen, wenn <strong>der</strong> Klient betrunkenen o<strong>der</strong> angetrunkenen ist. („Uns geht es<br />

gemeinsam um ein gutes Aufwachsen ihrer Kin<strong>der</strong>. Um darüber <strong>mit</strong> Ihnen zu<br />

sprechen, erwarte ich, dass Sie bei unseren Gesprächen nüchtern sind.“) Diese<br />

Regel muss nicht begründet werden, sie gilt einfach. Am günstigsten ist, wenn sie<br />

den Klienten zu Beginn <strong>der</strong> Hilfe zusammen <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Regeln, wie z.B. solche, die<br />

die Absage von Terminen betreffen, <strong>mit</strong>geteilt wird. Dabei kann man z.B. formulieren:<br />

„Unabhängig davon, ob die einzelnen Punkte auf Sie zutreffen o<strong>der</strong> nicht, möchte ich<br />

Ihnen die Rahmenbedingungen meiner/unserer Arbeit <strong>mit</strong>teilen:...“<br />

Je nach Arbeitskontext könnte das zum Beispiel bedeuten:<br />

� Gespräche/ Besuch <strong>der</strong> Einrichtung/ Unternehmungen <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n nur <strong>im</strong><br />

nüchternen Zustand. Sonst Ausfall des Termins bzw. Bitte um Absage.<br />

� Zuverlässige Einhaltung vereinbarter Zeiten, verbunden <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Ansage, bis<br />

zu wieviel Minuten Verspätungen akzeptiert werden. Ansonsten würde man<br />

etwas an<strong>der</strong>es <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n unternehmen/ den Termin an<strong>der</strong>weitig nutzen.<br />

� Ansagen, wie <strong>der</strong> Ausfall o<strong>der</strong> auch die Absage von Terminen gehandhabt<br />

wird (aus welchem Grund auch <strong>im</strong>mer dies geschieht! Nur so müssen sich die<br />

Klienten keine „Geschichten“ o<strong>der</strong> Entschuldigungen ausdenken): z.B. jedes<br />

Mal/nach zwei Malen/ bei Unterbrechungen von einer Woche/zwei Wochen:<br />

sofortige Mitteilung an den ASD. O<strong>der</strong> seitens des ASD: Einleitung <strong>der</strong><br />

nächsten vorher angekündigten Konsequenzen).<br />

Diese Regeln können auch schriftlich festgehalten werden. Gerade bei<br />

Unterbringung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in einer Tagesgruppe, <strong>im</strong> He<strong>im</strong> o<strong>der</strong> bei Pflegeeltern ist es<br />

hilfreich, wenn die näheren Umstände <strong>der</strong> vereinbarten Besuchskontakte <strong>mit</strong><br />

Unterstützung <strong>der</strong> ASD-Mitarbeiterin <strong>im</strong> Hilfeplan fixiert werden. Dadurch entsteht<br />

eine höhere Verbindlichkeit.<br />

Das wesentliche dabei ist vielleicht weniger die Regel selbst, als die unbedingte<br />

Einhaltung <strong>der</strong> Konsequenz, die auf das Nicht-Einhalten <strong>der</strong> Regel folgen muss. Bei<br />

allen Regeln und Vereinbarungen ist entscheidend, dass die zuständige<br />

23


Fachkraft sich selbst sicher ist, die angekündigten Konsequenzen auch<br />

wirklich umzusetzen. Kündigt man eine Regel für das gemeinsame <strong>Arbeiten</strong> an,<br />

ohne bei einem Verstoß die Konsequenzen umzusetzen, signalisiert das dem<br />

Klienten, dass er ruhig wie<strong>der</strong> gegen die Regel verstoßen kann, dass dies ohne<br />

spürbare Folgen nach sich zieht.<br />

Es ist zu erwarten, dass Klienten ihr Gegenüber darin „testen“, ob sie es <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Regel ernst meinen o<strong>der</strong> nicht. Klienten <strong>mit</strong> Suchtmustern sind es gewohnt, dass<br />

„viel geredet wird, wenn <strong>der</strong> Tag lang ist“, aber wenig Konsequenzen folgen. Es ist<br />

ein typisches Co-Muster, Konsequenzen anzudrohen, die dann später nicht<br />

umgesetzt werden. Das führt dazu, dass <strong>der</strong> Klient den Eindruck gewinnt, sein<br />

Gegenüber nicht ernst nehmen zu müssen und <strong>mit</strong> seinen bisherigen<br />

Verhaltensweisen auch hier „durchzukommen“. Warum sollte er auch etwas än<strong>der</strong>n?<br />

Nach Biene (1999) gilt es, anstelle des vertrauten Musters von Unzuverlässigkeit ein<br />

„Zuverlässigkeitsmuster" aufzubauen: „Ein großer Teil <strong>der</strong> Eltern kommt in die<br />

Einrichtung aufgrund von Druck, etliche kommen <strong>mit</strong> ziemlichen Alkoholproblemen,<br />

also anfangs auch <strong>mit</strong> Alkoholgeruch. Linie ist, nicht zu sagen: „So geht es nicht,<br />

machen Sie mal eine Therapie“, son<strong>der</strong>n: „Wie können uns gerne unterhalten, es ist<br />

ihre Privatsache, ob Sie trinken o<strong>der</strong> nicht, nur, wenn wir uns unterhalten, dann ohne<br />

Alkoholgeruch. Wollen Sie wie<strong>der</strong> einen Termin haben?“ Das nehmen viele wahr.<br />

Manche kommen be<strong>im</strong> zweiten Mal doch wie<strong>der</strong> <strong>mit</strong> Alkoholgeruch: „Na schade,<br />

aber wir können uns nächste Woche gerne noch mal unterhalten, so macht es<br />

keinen Sinn für uns.“ (zitiert aus: Biene,<br />

1999, S.78)<br />

Biene empfiehlt ausdrücklich, sich an diesem Punkt zu keiner Diskussion verleiten zu<br />

lassen, da man sonst wie<strong>der</strong> in das Co-Muster rutschen würde. Stattdessen sollte<br />

man den Kontakt ohne Kommentar zu beenden, allerdings <strong>mit</strong> dem freundlichen<br />

Hinweis, dass die Eltern wie<strong>der</strong>kommen können, wenn sie nüchtern sind.<br />

Dieses Vorgehen ist möglich, wenn es klar best<strong>im</strong>mte Regeln gibt. Gegenüber den<br />

Klienten gilt: Je klarer, desto besser. Dazu muss sich die Fachkraft vor allem über<br />

ihre eigene Grenze <strong>im</strong> klaren sein. Nicht je<strong>der</strong> würde es ablehnen, professionelle<br />

Gespräche bei Alkoholgeruch zu führen – für manche ist die Grenze z.B. eine<br />

undeutliche Aussprache.<br />

Manche Hilfen zur Erziehung bewegen sich in einem Feld, wo einer o<strong>der</strong> beide Eltern<br />

tendenziell ständig angetrunken sind. Manche Alkoholiker scheinen dies sehr gut zu<br />

kompensieren o<strong>der</strong> sind dann sogar „funktionstüchtiger“ als <strong>im</strong> nüchternen Zustand.<br />

Unter dem Aspekt <strong>der</strong> Co-Abhängigkeit jedoch ist es als Warnsignal zu werten,<br />

wenn einem <strong>der</strong> leicht angetrunkene Zustand des Klienten lieber ist als <strong>der</strong><br />

nüchterne – ein Erleben, was nämlich auch viele Angehörige teilen. Dies könnte z.B.<br />

<strong>der</strong> Fall sein, wenn <strong>der</strong> Klient sich dann ruhiger o<strong>der</strong> zugänglicher verhält. Auch<br />

sollte einem bewusst sein, dass nur ein Teil dessen, was man <strong>mit</strong> dem Klienten<br />

bespricht, diesen wirklich erreicht. Feinere Ebenen werden oftmals nicht<br />

wahrgenommen o<strong>der</strong> sogleich wie<strong>der</strong> ertränkt (was natürlich auch nach nüchtern<br />

geführten Gesprächen geschehen kann).<br />

24


Abgesehen von <strong>der</strong> eingeschränkten Effektivität <strong>der</strong> Gesprächen unter<br />

Alkoholeinfluss ist es ein wichtiger Aspekt, durch die aufgestellten Regeln<br />

„drogenfreie Räume o<strong>der</strong> Zeiten“ einzurichten. Die Klienten können dadurch die<br />

Erfahrung machen, dass sie in <strong>der</strong> Lage sind, ihren Alkoholkonsum zu kontrollieren,<br />

um an für sie relevanten Zielen zu arbeiten. Außerdem erleben sie sich <strong>im</strong> Umgang<br />

<strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n in einem an<strong>der</strong>en Zustand und <strong>mit</strong> einer an<strong>der</strong>en Wirkung.<br />

Viele Fachkräfte befürchten, die Eltern ganz für die Zusammenarbeit zu verlieren,<br />

wenn sie sich in diesem Punkt allzu starr zeigen. Dies dürfte vor allem dann <strong>der</strong> Fall<br />

sein, wenn die Eltern noch nicht ausreichend für eine Hilfe motiviert sind. Hier ist es<br />

ratsam, den Kontext <strong>der</strong> Hilfe noch einmal sorgfältig abzuklären:<br />

• Handelt es sich um eine freiwillige Beratung/Hilfe zur Erziehung o<strong>der</strong> um<br />

einen Zwangskontext, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Rahmen von Auflagen erfolgt?<br />

• Ist den Eltern klar, welchen Sinn die Gespräche haben sollen?<br />

• Ist den Eltern klar, welche Schritte o<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen von ihnen erwartet<br />

werden und welche Konsequenzen eine Nicht-Verän<strong>der</strong>ung hätte?<br />

• Wird ein evtl. Kontrollauftrag seitens des Jugendamtes klar vertreten?<br />

Wenn <strong>der</strong> Kontext <strong>der</strong> Hilfe hinreichend klar ist, bedeutet ein Nicht-Wahrnehmen von<br />

Terminen bzw. das Nicht-Einhalten <strong>der</strong> da<strong>mit</strong> verbundenen Regeln eine<br />

Entscheidung gegen das Hilfeangebot. Wir empfehlen dringend, dieses Verständnis<br />

auch gegenüber den Klienten klar zu vertreten und in <strong>der</strong> Folge entsprechend zu<br />

handeln. Beispielsweise lässt sich (u.U. schriftlich) formulieren: „Sollten Sie (2x) nicht<br />

zum vereinbarten Termin erscheinen, werte ich dies als eine Entscheidung gegen<br />

eine Zusammenarbeit und werde dies dem Jugendamt zurückmelden/.... und werde<br />

folgende Schritte einleiten.“<br />

Meistens wird es versäumt, den Klienten vorher <strong>mit</strong>zuteilen, welches Verhalten von<br />

ihnen welche Folgen haben wird. Oft werden Schritte vereinbart, aber in <strong>der</strong><br />

Hoffnung darauf, dass die Klienten diese Vereinbarungen einhalten (und um sie nicht<br />

zu verschrecken) werden keine Konsequenzen <strong>im</strong> Falle <strong>der</strong> Nicht-Einhaltung<br />

benannt. Dieses Versäumnis wirkt sich in <strong>der</strong> Regel sehr ungünstig aus, weil die<br />

Klienten dann erst testen müssen, was passiert, wenn sie sich nicht an die<br />

Absprache halten – und die Sozialarbeiterin dadurch in Zugzwang kommt. Gerade <strong>im</strong><br />

Zwangskontext, o<strong>der</strong> wenn es um die Frist für eine wichtige Entscheidung geht,<br />

sollten diese Konsequenzen <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Voraus benannt und auch schriftlich<br />

festgehalten werden. Dabei empfiehlt es sich, den Klienten eine Kopie <strong>der</strong><br />

Vereinbarung zu geben.<br />

25


Zusammenfassung:<br />

26<br />

� Die Alkoholproblematik sollte so früh wie möglich klar und offen benannt<br />

werden, um das Tabu zu brechen und Muster von Co-Verhalten zu<br />

vermeiden.<br />

� Es geht es nicht darum, dem Klienten eine „ Krankheitseinsicht“ zu<br />

ver<strong>mit</strong>teln. Das Trinken wird vielmehr als „Privatangelegenheit“ <strong>der</strong> Eltern<br />

betrachtet, nicht aber die Auswirkungen auf die Kin<strong>der</strong>.<br />

� Etwas <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu verän<strong>der</strong>n, kann für viele Eltern eine<br />

starke Motivation sein.<br />

� Die Ver<strong>mit</strong>tlung in an<strong>der</strong>e Hilfeangebote ist dort sinnvoll, wo man an die<br />

Grenzen des eigenen Auftrags stößt und eine Bereitschaft <strong>der</strong> Klienten<br />

gegeben ist bzw. aufgebaut werden kann.<br />

� Bei <strong>der</strong> Aufstellung von Regeln für Kontakte <strong>mit</strong> den Eltern gilt es, ein<br />

Zuverlässigkeitsmuster aufzubauen und „drogenfreie Räume“ zu schaffen.<br />

� Wenn getroffene Vereinbarungen nicht eingehalten werden, müssen<br />

Konsequenzen folgen.<br />

3. Von <strong>der</strong> Meldung zur Kooperation <strong>mit</strong> den Eltern: Der Prozess<br />

<strong>der</strong> Hilfeplanung <strong>im</strong> ASD<br />

Das Vorgehen <strong>der</strong> ASD-Mitarbeiterin glie<strong>der</strong>t sich in <strong>der</strong> Regel in folgende Schritte:<br />

1. Aufmerksamwerden auf die Familie durch Selbstmeldung o<strong>der</strong> Fremdhinweise<br />

2. Einschätzung <strong>der</strong> Situation<br />

3. Zielklärung für das eigene Vorgehen<br />

4. Beratung <strong>der</strong> Eltern<br />

5. evtl. Einleiten einer Hilfe zur Erziehung<br />

6. Auftragsklärung für diese Hilfe und Hilfeplanerstellung<br />

7. Kontrolle über Effizienz <strong>der</strong> Hilfen und Durchführung vereinbarter Schritte<br />

8. Koordination von Fachkräften<br />

In <strong>der</strong> Praxis stellen diese Schritte keinen starren schematischen Ablauf dar, son<strong>der</strong>n<br />

sind wechselnde, einan<strong>der</strong> überschneidende und ergänzende Phasen des gesamten<br />

Hilfeplanungsprozesses. Jede Familie stellt die Sozialarbeiterin des ASD vor eine<br />

beson<strong>der</strong>e Problemkonstellation und erfor<strong>der</strong>t ein individuelles Vorgehen. Dies gilt<br />

für <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> o<strong>der</strong> ohne Alkoholproblematik. In vielen Punkten wird das Vorgehen<br />

<strong>der</strong> Sozialarbeiterin deshalb kaum an<strong>der</strong>s sein als in an<strong>der</strong>en Fällen. Ein<br />

standardisiertes Ablaufschema o<strong>der</strong> verbindliche „Rezepte“ kann es für keine Familie<br />

und für kein Problem geben.<br />

Für einzelne Punkte sollen auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> o.g. Zusammenhänge weitere Hinweise<br />

gegeben werden, die für das <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> alkoholbeeinträchtigten <strong>Familien</strong> von<br />

Bedeutung sind. Oftmals handelt es sich dabei weniger um konkrete Vorgaben als<br />

um die Umsetzung <strong>der</strong> vorgeschlagenen Haltung. Dabei ist es eine überaus<br />

schwierige Herausfor<strong>der</strong>ung, eine dem jeweiligen Einzelfall angemessene Balance<br />

zwischen den Erfor<strong>der</strong>nissen von Konfrontation, Druck und Kontrolle einerseits und<br />

einer freundlich-respektvollen Einladung an die Eltern zur Zusammenarbeit<br />

an<strong>der</strong>erseits zu finden.


3.1. Aufmerksamwerden auf die Familie durch Selbstmeldung o<strong>der</strong><br />

Fremdhinweise<br />

Im Rahmen des Projektes fand für 23 Fallverläufe <strong>mit</strong> Alkoholproblematik eine<br />

Auswertung und Beratung <strong>der</strong> Fachkräfte statt. Zu einem Drittel hatten diese<br />

<strong>Familien</strong> von sich aus um Hilfe ersucht, in zwei Drittel <strong>der</strong> Fälle war <strong>der</strong> ASD durch<br />

Hinweise an<strong>der</strong>er Ämter o<strong>der</strong> Dienste o<strong>der</strong> durch Personen des sozialen Umfeldes<br />

(Nachbarn, Verwandte, Kita/Schule) auf die Familie aufmerksam geworden.<br />

Wenngleich es auf den ersten Blick ein leichterer Zugang zur Familie zu sein scheint,<br />

wenn diese von sich aus um Hilfe ersucht, gestaltet sich auch hier das Vorgehen als<br />

fachlich äußerst anspruchsvoll.<br />

3.1.1. Schwierigkeiten <strong>im</strong> Umgang <strong>mit</strong> Selbstmel<strong>der</strong>n<br />

Auch bei eigenem Hilfeersuchen liegt oft eine durchaus unterschiedliche<br />

Motivation <strong>der</strong> einzelnen <strong>Familien</strong><strong>mit</strong>glie<strong>der</strong> vor. Selten sind alle gleichermaßen<br />

begeistert von <strong>der</strong> Idee, professionelle Unterstützung anzunehmen. Häufig müssen<br />

entscheidende Personen erst mühsam für eine Zusammenarbeit gewonnen werden.<br />

Mitunter gibt es wichtige Personen <strong>im</strong> Hintergrund, für <strong>der</strong>en Position <strong>im</strong><br />

<strong>Familien</strong>system tatsächliche Verän<strong>der</strong>ungen etwas Bedrohliches haben. Wenn es<br />

nicht gelingt, sie in den Prozess zu integrieren, ist es möglich dass dies den Erfolg<br />

einer Hilfe verhin<strong>der</strong>t. Dies gilt nicht nur für den klassischen Fall <strong>der</strong> wenig<br />

engagierten Väter, son<strong>der</strong>n häufig auch für die Großelterngeneration.<br />

Fallbeispiel:<br />

Ein Elternpaar ersucht be<strong>im</strong> Jugendamt um Hilfe wegen Niko, 6J., dem Sohn von Frau B.<br />

aus erster Beziehung. Das Paar kommt nach dem Hinweis einer Son<strong>der</strong>pädagogin<br />

(Frühför<strong>der</strong>ung) <strong>der</strong> Kita. Niko verhalte sich hyperaktiv, höre nicht auf die Erwachsenen und<br />

reagiere sehr unterschiedlich auf die Eltern. Sie hätten Erziehungsprobleme und wünschen<br />

Unterstützung für sich als Eltern. Beson<strong>der</strong>s interessiert wirkt Herr B., <strong>der</strong> ein ausgeprägtes<br />

Alkoholproblem hat.<br />

Ein <strong>Familien</strong>helfer und ein Video-Home-Trainer beginnen ihre Arbeit und stellen fest, dass<br />

die Mutter von Frau B. eine beson<strong>der</strong>e Rolle in <strong>der</strong> Familie einn<strong>im</strong>mt: Niko ist während <strong>der</strong><br />

Woche die meiste Zeit des Tages bei <strong>der</strong> Oma, die gleich gegenüber wohnt, großen Einfluss<br />

in <strong>der</strong> Familie hat, und sich in viele Belange einmischt. Gegenüber Niko verhalten sich seine<br />

wichtigsten Bezugspersonen sehr unterschiedlich: Herr B. ist eher streng, während Frau B.<br />

nachgiebig und die Oma noch nachgiebiger ist. Zwischen ihr und Nikos Stiefvater, Herrn B.,<br />

bestehen starke Konflikte, die beiden gehen einan<strong>der</strong> aus dem Weg. Herr B. fühlt sich von<br />

<strong>der</strong> Schwiegermutter abgelehnt, und Frau B. bezieht in diesem Konflikt keine klare Position.<br />

Herr B. empfindet, dass Niko eher zu seiner Mutter hält als zu ihm.<br />

Die Hypothesen <strong>der</strong> Helfer deuten darauf hin, das Hr. B. trinkt, um seine Probleme<br />

(Arbeitslosigkeit, Verhältnis zur Schwiegermutter) und seine Aggressionen zu unterdrücken.<br />

Es ist bekannt, dass er bereits gewalttätige Ausbrüche hatte. Die Arbeit konzentrierte sich<br />

auf Ziele bzgl. <strong>der</strong> Erziehung des Sohnes, <strong>der</strong> Entwicklung einer einvernehmlichen<br />

Erziehungslinie und dem Verhältnis <strong>der</strong> Familie zur Großmutter. Der Vater warf in diesem<br />

Prozess viele Fragen auf. Es ist anzunehmen, dass ein „verdeckter Auftrag“ von Herrn B.<br />

lautete: „Helft mir, nicht so alleine dazustehen und den Einfluss <strong>der</strong> Großmutter zu<br />

verringern.“ Mit <strong>der</strong> Großmutter selbst wurde nicht gearbeitet, vielmehr unterstützen die<br />

Helfer die Familie darin, sich stärker von ihr abzugrenzen.<br />

27


Relativ bald brachen die Eltern beide Hilfen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Begründung ab, die verschiedenen Hilfen<br />

(SPFH, VHT, Frühför<strong>der</strong>ung in Kita) würden für den Sohn zuviel werden. Wir vermuteten,<br />

dass die beschriebene <strong>Familien</strong>dynamik allzu schnelle Verän<strong>der</strong>ungen nicht zulassen<br />

konnte, und dass die ihren (noch geltenden) Einfluss nutzte, um nicht durch eine Fortführung<br />

<strong>der</strong> Hilfe „vom Thron gestoßen“ zu werden.<br />

Verflechtungen dieser Art findet man häufig in <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen: Die<br />

Großelterngeneration ist in den alltäglichen Abläufen <strong>der</strong> Familie von großer Bedeutung, z.T.<br />

bestehen tiefgreifende emotionale o<strong>der</strong> wirtschaftliche Abhängigkeiten und eine ungenügende<br />

Ablösung eines o<strong>der</strong> gar bei<strong>der</strong> Elternteile von ihren eigenen Herkunftsfamilien. Ist wie <strong>im</strong> obigen<br />

Beispiel die Kindesmutter aus Sicht ihres Partners in einem zu engen Verhältnis zu ihrer eigenen<br />

Mutter, mag ihm eine Verän<strong>der</strong>ung dieser Beziehung vielleicht wünschenswert erscheinen, würde<br />

aber tiefgreifende Umstrukturierungen des gesamten familiären Gefüges bedeuten: Die Oma müsste<br />

sich ein neues Betätigungs- und Bestätigungsfeld suchen, und die Tochter würde einen Prozess <strong>der</strong><br />

Ablösung und Verselbständigung durchlaufen müssen, <strong>der</strong> für sie zahlreiche innere wie äußere<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen erfor<strong>der</strong>lich macht. Auch Herr B. müsste lernen, sich gegenüber<br />

Einmischungen und Kritik seitens <strong>der</strong> Schwiegermutter auf angemessene Weise zu behaupten. Für<br />

die Paarebene brächte dies Verän<strong>der</strong>ungen <strong>mit</strong> sich, die auf beiden Seiten <strong>mit</strong> ambivalenten Gefühlen<br />

einher gehen dürften und meist eine fachkundige Unterstützung brauchen, um zu gelingen.<br />

Angesichts dieser Herausfor<strong>der</strong>ungen, die bei näherem Hinsehen für alle Beteiligten<br />

von beträchtlichem Ausmaß sind, scheitern oftmals einfach klingende Aufträge wie<br />

„das Entwickeln einer gemeinsamen elterlichen Erziehungslinie“. Einerseits werden<br />

die familiären Verstrickungen nicht <strong>im</strong>mer hinreichend o<strong>der</strong> früh genug sichtbar,<br />

an<strong>der</strong>erseits hofft man oft auch, an best<strong>im</strong>mten Personen „vorbei arbeiten“ zu<br />

können.<br />

Empfehlungen:<br />

⇒ Bereits in den ersten Kontakten und bei <strong>der</strong> Hilfeplanung sollte man sorgfältig<br />

darauf achten, wer welche Motivation hat Verän<strong>der</strong>ungen einzuleiten, und wer<br />

<strong>der</strong> Hilfe skeptisch gegenüberstehen könnte. Oft ist es hilfreich, diesen<br />

Eindruck schon <strong>im</strong> ersten Gespräch zurückzumelden - man signalisiert da<strong>mit</strong><br />

eher Sensibilität und Verständnis als Hilflosigkeit. Dabei ist es gut, nicht<br />

unbedingt auf eine Antwort zu drängen, son<strong>der</strong>n eine anfängliche Skepsis als<br />

völlig normal und berechtigt lediglich anzusprechen. In den meisten <strong>Familien</strong><br />

gäbe es jemanden, <strong>der</strong> zunächst zurückhaltend o<strong>der</strong> sogar ablehnend sei.<br />

28<br />

⇒ Wenn Hinweise auf weitere, für die Familie wichtige Personen deutlich werden,<br />

ist es <strong>im</strong>mer wertvoll, dies aufzugreifen: So kann man z.B. den Eindruck<br />

formulieren, dass die Oma für die Familie eine wichtige Bezugsperson sei, und<br />

dass es deshalb sicher gut wäre, sie bei einigen Gesprächen einzubeziehen.<br />

Ein an<strong>der</strong>es Problemfeld ist, dass viele Eltern, die von sich aus um Hilfe ersuchen,<br />

dabei die Vorstellung haben, die Verantwortung für das Verhalten ihres Kindes an<br />

den Helfer abzugeben und ihr Kind in „Reparatur“ zu geben. Dies ist meist gekoppelt<br />

<strong>mit</strong> einem Selbstbild eigener Inkompetenz und Überfor<strong>der</strong>ung, welches sie<br />

gegenüber den Sozialarbeiterinnen oft überzeugend glaubhaft machen können. Die<br />

Hilfe läuft dann jedoch Gefahr, einen vorwiegend kompensatorischen Charakter zu<br />

bekommen, <strong>der</strong> später nur schwer noch zu verän<strong>der</strong>n ist.<br />

Empfehlungen:<br />

⇒ Bereits <strong>im</strong> ersten Gespräch ist es ratsam, auf Abgabetendenzen zu achten und<br />

gegenüber den elterlichen Klagen und Inkompetenzbekundungen zurückhaltend<br />

zu bleiben. Vielmehr empfiehlt es sich, die Eltern in ihrer elterlichen Verantwortung


und Kompetenz zu stärken und ihnen den Glauben an ihre beson<strong>der</strong>e und<br />

unersetzliche Bedeutsamkeit für das Kind und seine Erziehung zurückzugeben.<br />

Meist wünschen sich die Eltern <strong>im</strong> tiefsten Inneren, dass diese Bedeutung<br />

anerkannt, gewürdigt und gestärkt wird, sie haben nur selbst das Zutrauen in ihre<br />

eigenen Möglichkeiten <strong>der</strong> Einflussnahme verloren. Formulierungen wie<br />

„Wahrscheinlich sehen Sie <strong>im</strong> Moment keinen Weg mehr, wie Sie das Verhalten<br />

von Max positiv beeinflussen können“ o<strong>der</strong>: „Wenn Sie herausfinden könnten, wie<br />

Sie selbst das Verhalten von Max verän<strong>der</strong>n können, wäre Ihnen das<br />

wahrscheinlich am liebsten.“ können „Einsteigersätze“ sein, um an das elterliche<br />

Empfinden anzukoppeln und gleichzeitig eine positive Perspektive einführen, die<br />

zur Mitarbeit einlädt.<br />

Noch schwieriger ist es, wenn die Kin<strong>der</strong> selbst um Hilfe ersuchen o<strong>der</strong> sich<br />

vertraulich an an<strong>der</strong>e Personen wenden. In diesen Fällen muss man davon<br />

ausgehen, dass die Situation zuhause schon hocheskaliert ist. Vermutlich werden die<br />

Eltern die Ernsthaftigkeit <strong>der</strong> Situation versuchen herunterzuspielen, o<strong>der</strong> aber heftig<br />

auf ihre Kin<strong>der</strong> sch<strong>im</strong>pfen - nicht zuletzt, um ihr Gesicht zu wahren. Manchmal<br />

ziehen die Kin<strong>der</strong> ihre Schil<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Meldungen angesichts <strong>der</strong> Reaktion <strong>der</strong><br />

Eltern zurück.<br />

Empfehlungen:<br />

⇒ Hilfreich ist es, davon auszugehen, dass die Kin<strong>der</strong> von ihrer Familie<br />

unbewusst „geschickt“ sind, Hilfe in das System zu holen - und da<strong>mit</strong> einen<br />

Schritt zu tun, den die Eltern selbst nicht wagen. In <strong>der</strong> Regel verhalten sich<br />

die Kin<strong>der</strong> nämlich äußerst loyal gegenüber ihren Eltern und tun alles, um das<br />

Tabu, welches über dem Alkoholmissbrauch und an<strong>der</strong>en familiären<br />

Schwierigkeiten lastet, zu wahren. Treten sie also doch nach außen, lässt sich<br />

dies als eine Art „Notruf“ nicht nur <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> selbst, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> ganzen<br />

Familie verstehen.<br />

⇒ Hier gilt es dann, eine klare Position einzunehmen, die es erfor<strong>der</strong>lich macht,<br />

die Sorgen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ernst zunehmen und ihnen nachzugehen. Im Gespräch<br />

<strong>mit</strong> den Eltern ginge man davon aus, „...dass nicht nur die Kin<strong>der</strong> unter etwas<br />

leiden, son<strong>der</strong>n die ganze Familie in Not ist. Kin<strong>der</strong> tun einen solch<br />

schwerwiegenden Schritt nicht leichtfertig. Auch wenn es schwerfällt, dem ins<br />

Auge zu sehen, so ist das notwendig, wenn sich etwas än<strong>der</strong>n soll und Sie als<br />

Familie wie<strong>der</strong> in Ruhe <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> leben will.“ Im Zuge dessen kann man den<br />

Eltern anbieten, in Ruhe über die Situation <strong>der</strong> Familie zu sprechen, um ihnen<br />

bei Bedarf Unterstützung bei <strong>der</strong> Bewältigung <strong>der</strong> Probleme anzubieten.<br />

Man sollte sich also nicht „abw<strong>im</strong>meln“ lassen, denn die Erfahrung zeigt, dass die<br />

Probleme nach einiger Zeit wie<strong>der</strong> auftauchen - und dann meist in eskalierter Form.<br />

Gelingt es nicht, die Eltern zur Zusammenarbeit zu motivieren, bleibt manchmal<br />

allerdings tatsächlich nichts an<strong>der</strong>es übrig, als das Nicht-Eingreifen-können<br />

auszuhalten und <strong>mit</strong>zuerleben, wie sich eine Situation weiter verschärft und <strong>der</strong><br />

Punkt zum Handeln kommt. Hier könnte eine klare Ansage des ASD, dass man die<br />

Familie weiter „genau <strong>im</strong> Auge behalte“, und dabei gerne für weitere Beratung zur<br />

Verfügung steht, positive Auswirkungen haben.<br />

29


3.1.2. Umgang <strong>mit</strong> Fremdhinweisen – Transparenz statt Anony<strong>mit</strong>ät<br />

In zwei Drittel <strong>der</strong> ausgewerteten Fallverläufe waren die <strong>Familien</strong> dem Jugendamt<br />

durch Fremdhinweise bekannt geworden. Dass die <strong>Familien</strong> nicht häufiger von sich<br />

aus um Hilfe ersuchen, mag <strong>mit</strong> verschiedenen Faktoren zusammenhängen.<br />

30<br />

Mögliche Gründe für die Zurückhaltung <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>:<br />

• Tabu und Schamgefühle, die zu sozialem Rückzug, Gehe<strong>im</strong>haltung und<br />

Isolation führen<br />

• Wunsch, <strong>mit</strong> den Problemen selbst fertig zu werden (Autonomiewunsch), z.T.<br />

verbunden <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Hoffnung, Probleme seien nur eine Phase, die von selbst<br />

wie<strong>der</strong> endet<br />

• an<strong>der</strong>e Problemeinschätzung o<strong>der</strong> die Verantwortung wird bei an<strong>der</strong>en<br />

gesehen (z.B. bei Lehrern)<br />

• Geringe Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse, Belastungen und Probleme <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>, da die Eltern zu stark <strong>mit</strong> ihren eigene Problemen und Bedürfnissen<br />

beschäftigt sind und den Zugang zur Welt des Kindes verloren haben.<br />

• Mangelnde Motivation für Verän<strong>der</strong>ungen<br />

• Unklare o<strong>der</strong> negative Vorstellung davon, wie das Jugendamt arbeitet, z.T.<br />

beruhend auf vorhergegangenen, negativ erlebten Erfahrungen <strong>mit</strong> Jugendamt<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Institutionen. Konkret heißt dies, dass nicht die beratende und<br />

dienstleistende Aufgabe des Jugendamtes wahrgenommen wird, son<strong>der</strong>n<br />

stattdessen das Bild vom „Jugendamt, das die Kin<strong>der</strong> rausn<strong>im</strong>mt“ dominiert.<br />

Fallbeispiel:<br />

Einer Sozialarbeiterin des ASD wird in einen Anruf von einer Erzieherin gemeldet,<br />

dass ein 5-jähriges Kind in ihrer Kita-Einrichtung durch mangelnde Körperhygiene<br />

und häufiges Fehlen auffällt, verschreckt wirke und des öfteren einnässe. Die Mutter<br />

habe das Kind schon manchmal <strong>im</strong> angetrunkenen Zustand abgeholt, so dass bei ihr<br />

<strong>der</strong> Eindruck entstanden sei, diese habe wa hrscheinlich ein Alkoholproblem. Sie<br />

bittet darum, dass gegenüber <strong>der</strong> Mutter nicht geäußert werde, wer den Hinweis<br />

gegeben hat.<br />

Aus Sicht des Jugendamtes ist es schwierig, <strong>mit</strong> solchen Anrufen umzugehen. Die<br />

Sozialarbeiterin muss zunächst davon ausgehen, dass die Schil<strong>der</strong>ung nur die Spitze<br />

des Eisbergs an häuslichen Problemen ist. Nach Einschätzung <strong>der</strong> Sozialarbeiterin<br />

kommen solche Hinweise oftmals reichlich spät. Nicht selten entsteht auch <strong>der</strong><br />

Eindruck, <strong>der</strong> Anrufer wolle einem jetzt „das Kind auf den Tisch setzen“ und nun<br />

möglichst nichts mehr <strong>mit</strong> dem Problem zu tun haben. Insbeson<strong>der</strong>e, wenn <strong>der</strong><br />

Anrufer anonym bleiben möchte, wird es für den ASD schwierig, konstruktive Schritte<br />

einzuleiten. Die Sozialarbeiterin des ASD wird deshalb bestrebt sein, dass<br />

Einverständnis <strong>der</strong> Anruferin zu gewinnen, offen <strong>mit</strong> dem Hinweis umgehen zu<br />

dürfen.<br />

Es ist anzunehmen, dass die Kita-Mitarbeiterin das problematische Verhalten schon seit längerem<br />

beobachtet und sich diesen Schritt lange vorbehalten hat. Vielleicht hat sie schon mehrere<br />

Gespräche <strong>mit</strong> den Eltern geführt und sieht dies nun als letzte Möglichkeit, etwas für das Kind zu tun.<br />

Oftmals geschieht dies aus einer Haltung von Sorge um die Kin<strong>der</strong>, Hilflosigkeit, und Ärger auf die<br />

Eltern. Nicht selten sind Fremdhinweisende ambivalent gegenüber ihrer Entscheidung, das


Jugendamt einzubeziehen, etwa weil sie „nichts unnötig lostreten“ wollen o<strong>der</strong> die Reaktionen <strong>der</strong><br />

Eltern fürchten. Diese könnten sich zum einen gegen das Kind richten (etwa Herausnahme aus dem<br />

Kin<strong>der</strong>garten, Erhöhung des Drucks auf das Kind), zum an<strong>der</strong>en fürchten manche auch<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen <strong>mit</strong> den Eltern o<strong>der</strong> Drohungen gegenüber dem Personal, o<strong>der</strong> haben an<strong>der</strong>e<br />

persönliche Gründe, die nicht bekannt sind. Gerade in ländlichen Regionen gibt es oft persönliche<br />

o<strong>der</strong> nachbarschaftliche Bezüge, die dazu beitragen, dass viele Mel<strong>der</strong> anonym bleiben wollen. Sie<br />

wissen oftmals nur wenig von den beson<strong>der</strong>en Schwierigkeiten, welche sich den Mitarbeiterinnen des<br />

ASD bei <strong>der</strong> Einleitung einer Hilfe in den Weg stellen.<br />

Empfehlungen:<br />

⇒ Zunächst ist es hilfreich davon auszugehen, dass die Anruferin sich ernsthafte<br />

Sorgen um das Kind macht, und es ihr nicht leicht gefallen ist, den Anruf zu<br />

tätigen. Wird das <strong>der</strong> Anruferin gegenüber zusammen <strong>mit</strong> dem Dank für den<br />

Hinweis formuliert, kann dies bereits als „Türöffner“ wirken, um nähere<br />

Information zu bekommen und eine Zusammenarbeit vorzubereiten (s. auch<br />

Kron-Klees, 1998).<br />

⇒ Im Gespräch <strong>mit</strong> dem Fremdmel<strong>der</strong> sollte die Sozialarbeiterin des ASD<br />

versuchen, die Angaben durch gezielte Nachfragen so konkret wie möglich<br />

zu er<strong>mit</strong>teln: Seit wann fällt dieses Verhalten auf, wie oft kommt das Kind zu<br />

spät, wie oft nässt es ein, wie äußert sich die Ängstlichkeit? Tritt das Verhalten<br />

gleichmäßig auf, o<strong>der</strong> eher zu best<strong>im</strong>mten Zeiten (z.B. nach dem<br />

Wochenende)? Wann /wie oft kam die Mutter <strong>im</strong> angetrunkenen Zustand, wie<br />

stark war sie betrunken? Diese Angaben sind zur Einschätzung <strong>der</strong> Situation<br />

unerlässlich, und gegenüber den Eltern kann so sehr konkret argumentiert<br />

werden. Zudem fühlt sich <strong>der</strong> Anrufer durch das genaue Interesse<br />

wertgeschätzt und wird kooperativer.<br />

⇒ Es mag hilfreich sein, <strong>der</strong> Anruferin einige Informationen über die<br />

Notwendigkeit <strong>der</strong> Elternbeteiligung zur Einleitung einer Hilfe zu geben, da<strong>mit</strong><br />

keine unrealistische Erwartung entsteht, dass durch das Jugendamt nun<br />

schnelle Verän<strong>der</strong>ungen geschehen. Meist sind die Anrufenden daran<br />

interessiert, Rückmeldungen über den Hilfeplanungsverlauf zu erhalten,<br />

weshalb es nötig ist von vornherein auf den Datenschutz hinzuweisen, <strong>der</strong> es<br />

verbietet, ohne das Einverständnis <strong>der</strong> Eltern Informationen weiterzuleiten. Im<br />

bei<strong>der</strong>seitigen Interesse sei es jedoch empfehlenswert, eine größtmögliche<br />

Transparenz herzustellen, nicht zuletzt um evtl. gemeinsame Termine und<br />

Vereinbarungen <strong>mit</strong> den Eltern treffen zu können o<strong>der</strong> Kontrollabsprachen<br />

durchzuführen.<br />

Für die Eltern wird es greifbarer und konkreter, wenn sie wissen, wer <strong>mit</strong> welchem<br />

Verhalten ein Problem hat und welche Verän<strong>der</strong>ungen von ihnen erwartet werden.<br />

Auch dies spricht für Transparenz. Bei einer gut verlaufenden Hilfeplanung ist es<br />

durchaus möglich, dass auch die Person, die eine Meldung ans Jugendamt gemacht<br />

hat, <strong>mit</strong> den Eltern kooperiert – wenn den Eltern klar gemacht werden kann, dass die<br />

Meldung aus Sorge um das Kind erfolgte und nicht gegen die Eltern gerichtet ist.<br />

⇒ Wenn die Mitarbeiterin des ASD diese Zusammenhänge verdeutlicht, wird die<br />

Anruferin eher zust<strong>im</strong>men, den Hinweis offen behandeln zu dürfen.<br />

⇒ Für denjenigen, <strong>der</strong> eine Meldung an das Jugendamt plant, empfiehlt es sich,<br />

dies den Eltern vorher <strong>mit</strong>zuteilen. Aber auch <strong>im</strong> nachhinein ist es günstiger,<br />

die Eltern selbst darüber aufzuklären, dass und weshalb man das Jugendamt<br />

in Kenntnis gesetzt haben, als diese Konfrontation dem Jugendamt zu<br />

überlassen. Dabei ist es ratsam, den Eltern gegenüber nicht nur die<br />

31


32<br />

kontrollierende Aufgabe des Jugendamtes zu erwähnen. Stattdessen kann es<br />

den weiteren Verlauf günstig unterstützen zu betonen, dass das Jugendamt<br />

seine pr<strong>im</strong>äre Aufgabe darin sieht, die Eltern bei <strong>der</strong> Erziehung ihrer Kin<strong>der</strong> zu<br />

beraten und zu unterstützen. Auch <strong>mit</strong> diesen - aus ihrer Sicht meist<br />

selbstverständlichen - Hinweisen kann die Mitarbeiterin des ASD<br />

Fremdhinweisende unterstützen – und sich die eigene Arbeit da<strong>mit</strong> <strong>mit</strong>tel- bis<br />

langfristig erleichtern.<br />

3.2. Situationseinschätzung<br />

Für die ASD-Mitarbeiterin ist es wichtig, jeden Hinweis sorgfältig zu protokollieren,<br />

um gegebenenfalls auf diese Angaben zurückgreifen zu können, etwa <strong>im</strong> Gespräch<br />

<strong>mit</strong> den Eltern o<strong>der</strong> bei einer Einschätzung <strong>der</strong> Gefährdung des Kindeswohls, und<br />

nicht zuletzt, sollte es zu einem Antrag auf Sorgerechtsentzug kommen.<br />

Es ist empfehlenswert, sich in Vorbereitung auf das Gespräch <strong>mit</strong> den Eltern Zeit<br />

zu nehmen, um eine Einschätzung <strong>der</strong> Situation vorzunehmen. Dieses trifft nicht nur<br />

auf das Erstgespräch zu, son<strong>der</strong>n umso mehr, desto länger ein Hilfeprozess dauert<br />

und desto schwieriger er sich gestaltet. Viele Kolleginnen erleben es als hilfreich,<br />

sich die bekannten Fakten noch einmal stichwortartig zusammenzustellen, um<br />

gegenüber den Eltern sicherer argumentieren zu können. Dieser Akt <strong>der</strong><br />

Selbstklärung mag zunächst zeitaufwendig sein, dürfte aber <strong>mit</strong>tel- bis langfristig die<br />

Arbeit erleichtern und helfen, die Hilfeverläufe zu opt<strong>im</strong>ieren.<br />

Wichtige Fragen dabei sind:<br />

• Welche Informationen liegen mir vor? Mit welchen Informationen kann ich offen<br />

arbeiten? Wo fehlen mir Informationen?<br />

• Einschätzung <strong>der</strong> Ernsthaftigkeit einer Situation (liegt Kindeswohlgefährdung vor?)<br />

• Worin sehe ich konkret die Gefährdung?<br />

• Wo sehe ich Ressourcen <strong>der</strong> Familie, wo Verän<strong>der</strong>ungen und Erfolge?<br />

• Wie hat sich die Situation in <strong>der</strong> letzten Zeit entwickelt?<br />

Bei <strong>der</strong> Auflistung <strong>der</strong> vorliegenden Informationen gilt: Je konkreter, desto besser.<br />

Anstatt zu formulieren „Mir ist bekannt geworden, dass Sie Ihr Kind vernachlässigen“<br />

lässt sich dann anführen: „Nach Mitteilung einer Erzieherin <strong>der</strong> Kita hat Ihr Kind in<br />

den letzten 4 Wochen sechs Mal unentschuldigt gefehlt. An zwei Terminen waren sie<br />

in einem angetrunkenen Zustand, als Sie Ihr Kind abholten.“<br />

McCarthy&Salamon (2000, Seminar<strong>mit</strong>schrift) empfehlen, sich zum eigenen<br />

Klärungsprozess folgende Punkte schriftlich zu vergegenwärtigen:<br />

1. Risikofaktoren versus familiäre Ressourcen/Hoffnung<br />

2. Beurteilung <strong>der</strong> Situation ( sehr schlecht --------------I--------------- sehr gut)<br />

3. Ausmaß <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung (Verschlechterung -------------I ------------ Verbesserung)<br />

Konkret aufführen lassen sich oft Risikofaktoren wie:<br />

• Entwicklungsverzögerungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, insb. wenn keine För<strong>der</strong>maßnahmen<br />

wahrgenommen werden<br />

• psychosomatische Symptome <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, wie z.B. Einnässen


• Übermüdung o<strong>der</strong> Erschöpfungserscheinungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

• Verhaltensauffälligkeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> (z.B. hohe Ängstlichkeit, starke<br />

Zurückgezogenheit)<br />

• Isolation, mangelnde soziale Ansprache <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

• Emotionale, äußerliche o<strong>der</strong> gesundheitliche Vernachlässigungen<br />

• Nicht kindgerechte Umgebung (z.B. ständige Besuche, während <strong>der</strong>er schon<br />

am Tage getrunken wird)<br />

• Missbrauchsverdacht /-gefahr<br />

• Misshandlungsverdacht/-gefahr<br />

• Verwahrlosungstendenzen<br />

• Bedrohung von Obdachlosigkeit<br />

• Verschuldung<br />

Für eine differenzierte Einschätzung einer evtl. Kindeswohlgefährdung soll hier <strong>der</strong><br />

<strong>Familien</strong>beurteilungsbogens empfohlen werden, in dem vielerlei Merkmale zum<br />

familiären Kontext erhoben werden: Gefragt wird nach finanzieller/materieller<br />

Situation, sozialer Situation, familialer Situation, persönlicher Situation <strong>der</strong><br />

Erziehungspersonen und bisherigen Angebote und Leistungen („Glin<strong>der</strong> Manual zur<br />

Kindesvernachlässigung“, in: Schone et al., 1997).<br />

Gerade in schwierigen Prozessen fällt es schwer, auch die Ressourcen und<br />

hoffnungsstiftenden Momente noch wahrzunehmen. Die Internationale Gesellschaft<br />

für erzieherische Hilfen hat anlässlich des Bundesmodellprojektes INTEGRA<br />

(Integrierte flexible ambulante Hilfen) einen Ressourcenfragebogen entwickelt, <strong>der</strong><br />

dem Anhang beigefügt ist. Darin enthalten sind dezidierte Fragen zu den<br />

Themenkomplexen Wohnen und <strong>Arbeiten</strong>, Finanzen, sozialem Netzwerk,<br />

Kin<strong>der</strong>betreuung und <strong>Familien</strong>management, Kita/Schule und Freizeit/Interessen. Mit<br />

Blick auf diese Fragen mag es auch in schwierigen Situationen<br />

leichter gelingen, die Ressourcen <strong>der</strong> Familie zu sehen und zurückzumelden.<br />

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass gerade <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong><br />

Alkoholproblemen nur sehr geringes Zutrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben,<br />

und da<strong>mit</strong> auch an<strong>der</strong>en gegenüber ein vor allem defizitäres Bild von sich zeichnen.<br />

Es bedarf also einiger Wachsamkeit, um sich nicht von diesem „Problembild“<br />

überzeugen zu lassen, son<strong>der</strong>n auch die Seite <strong>der</strong> Hoffnung zu sehen und zu<br />

stärken. Dies gelingt in erster Linie nicht durch aufbauende und ermunternde Worte,<br />

son<strong>der</strong>n durch das Zurückmelden wahrgenommener Stärken und <strong>der</strong> ersten kleinen<br />

Erfolge, wenn die Familie Schritte zur Verbesserung ihrer Situation unternommen<br />

hat.<br />

So lässt sich eine fundiertere Beurteilung <strong>der</strong> Situation vornehmen, als es „aus dem<br />

Bauch heraus“ oft möglich ist. Die Entscheidung, welche Form <strong>der</strong> „professionellen<br />

Einmischung“ angemessen ist, folgt dem Gesamteindruck, <strong>der</strong> sich aus <strong>der</strong><br />

Einschätzung <strong>der</strong> einzelnen Aspekte ergibt. Die Sozialarbeiterin wird hier<br />

entscheiden zwischen entwe<strong>der</strong> gar keiner Initiative, <strong>der</strong> Unterstützung <strong>im</strong><br />

Beratungsprozess, dem Angebot einer Hilfe zur Erziehung bzw. an<strong>der</strong>en Hilfen o<strong>der</strong><br />

einem <strong>Arbeiten</strong> <strong>im</strong> Zwangskontext.<br />

Ein Zwangskontext liegt nach McCarthy&Salamon dann vor, wenn die Frage: „Ist es<br />

in diesem Land erlaubt, dass Kin<strong>der</strong> unter diesen Bedingungen leben?“ <strong>mit</strong> Nein<br />

beantwortet werden muss. Das gerade das <strong>Arbeiten</strong> <strong>im</strong> Zwangskontext beson<strong>der</strong>e<br />

33


Chancen birgt, um eine deutliche Verän<strong>der</strong>ungsmotivation bei den Eltern<br />

auszulösen, beschreibt Conen (1999) in ihrem Artikel „Unfreiwilligkeit - ein<br />

Lösungsverhalten“: Indem die Eltern keine eigenverantwortlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Situation unternehmen, provozieren sie das Jugendamt, seinen gesetzlich<br />

verankerten Kontrollauftrag wahrzunehmen. Durch die externe Konfrontation <strong>mit</strong> den<br />

Konsequenzen ihres bisherigen Verhaltens werden die Eltern nun gezwungen,<br />

Verantwortung zu übernehmen und sich klar zu entscheiden, ob sie die notwendigen<br />

Schritte zur Verbesserung <strong>der</strong> Situation tun wollen o<strong>der</strong> nicht.<br />

So verstanden ist das <strong>Arbeiten</strong> <strong>im</strong> Zwangskontext zwar nicht unbedingt angenehmer,<br />

aber doch in gewisser Weise einfacher: Die Situation ist <strong>mit</strong>tlerweile <strong>der</strong>art eskaliert,<br />

dass es nur noch ein Entwe<strong>der</strong>-O<strong>der</strong> <strong>mit</strong> klar best<strong>im</strong>mten Folgen gibt. Wesentlich<br />

schwieriger ist dagegen das <strong>Arbeiten</strong> <strong>im</strong> weiten Vorfeld solcher Konstellationen, da<br />

die notwendigen Schritte und Konsequenzen weniger unabdingbar scheinen und den<br />

Eltern viel eher „Schlupflöcher“ lassen, um <strong>im</strong> Status quo zu verweilen.<br />

3.3. Zielklärung für das eigene Vorgehen<br />

In Vorbereitung auf schwierige Gespräche <strong>mit</strong> den Eltern kann es hilfreich sein, sich<br />

selbst noch einmal Klarheit in Bezug auf folgende Fragen zu verschaffen:<br />

34<br />

Ziel des Gesprächs<br />

• Worin sehe ich meine Aufgabe, bezogen auf diese Familie? (Und worin nicht?)<br />

• Was will ich <strong>im</strong> Gespräch erreichen?<br />

• Worauf will und kann ich mich <strong>im</strong> Gespräch beziehen?<br />

• Was sind die nächsten wichtigen Ziele und Schritte? (Was ist zwingend, wo gibt<br />

es Spielräume?)<br />

Konsequenzen und Kontrolle<br />

• Welche zeitlichen Vorstellungen kann ich <strong>der</strong> Familie gegenüber vertreten?<br />

(z.B. Verän<strong>der</strong>ung ab sofort, täglich, bis zum..)<br />

• Welche Konsequenzen kann ich aufzeigen, wenn best<strong>im</strong>mte Verän<strong>der</strong>ungen<br />

nicht eintreten? Kann, will und werde ich diese wirklich umsetzen?<br />

• Welche Möglichkeiten zur Kontrolle habe ich (z.B. Rücksprache <strong>mit</strong> Kita,<br />

Schule, Arzt)?<br />

Unterstützung durch Hilfen zur Erziehung<br />

• Welche Hilfe will ich <strong>der</strong> Familie anbieten, wenn sie Unterstützung bei<br />

gewünschten Verän<strong>der</strong>ungen wünscht?<br />

• Welche Aufgaben könnten dieser Hilfe zukommen?


Bei <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Zielvorstellungen und nächsten Schritte sollte unterschieden<br />

werden zwischen<br />

• Bedingungen, die unverzichtbar sind, um eine Kindeswohlgefährdung soweit wie<br />

möglich auszuschließen und<br />

• „Wunschvorstellungen“, für <strong>der</strong>en Umsetzung es Spielräume gibt, die <strong>mit</strong> den<br />

Eltern ausgehandelt werden können.<br />

Bei <strong>der</strong> Umsetzung von Kontrollen ist es wichtig, diese gegenüber dem Klienten<br />

• offen anzukündigen und<br />

• transparent durchzuführen.<br />

Bei <strong>der</strong> Umsetzung von Konsequenzen muss bedacht werden, dass diese<br />

• umgehend und präzise entsprechend <strong>der</strong> vorherigen Vereinbarungen und<br />

• ohne „wenn und aber“ erfolgen (ohne Diskussion und kein weiterer Aufschub).<br />

Die Sozialarbeiterin sollte da<strong>mit</strong> rechnen, dass die Eltern nur auf den Druck<br />

reagieren, <strong>der</strong> für sie un<strong>mit</strong>telbar fassbar ist. Setzt man z.B. eine Frist von einem<br />

Monat, innerhalb <strong>der</strong>er die Mutter ihre Kin<strong>der</strong> regelmäßig zum Kin<strong>der</strong>garten bringen<br />

muss, ist zu erwarten, dass die Mutter diese Frist u.U. einhält, danach aber wie<strong>der</strong><br />

nachlässiger wird.<br />

In den Fällen, wo die Sozialarbeiterin drohende Konsequenzen in aller Deutlichkeit<br />

benannt hat, Zeitlinien gesetzt und eine klare Position von Kontrolle eingenommen<br />

hat (z.B.: „Ich werde wöchentlich <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Kita-Leiterin telefonieren, um nachzufragen,<br />

ob ihr Kind regelmäßig dort war“), war zu beobachten, dass ein spürbarer Ruck<br />

durch die Familie ging.<br />

Fallbeispiel:<br />

In einer seit zwei Jahren laufenden <strong>Familien</strong>hilfe war es wie<strong>der</strong>holt zu<br />

Alkoholexzessen <strong>der</strong> Mutter gekommen, während <strong>der</strong>er die Sicherheit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

akut gefährdet schien. Diese Exzesse hatten den Charakter publikumswirksam<br />

inszenierter Ausnahmesituationen. Im normalen Alltag konnte die Frau ihren<br />

Alkoholkonsum durchaus kontrollieren bis hin zur monatelangen Totalabstinenz.<br />

Nach dem letzten Vorfall schlug die ASD-Kollegin eine deutlich schärfere Gangart ein<br />

als bisher: Sie sagte <strong>der</strong> Mutter sehr deutlich, dass sie, wenn die Klientin nicht an<br />

ihrem Alkoholproblem arbeite, die Kin<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Familie nehmen werde, da sie das<br />

Risiko einer neuerlichen Gefährdung nicht mehr zu tragen bereit sei. Die Mutter war<br />

bereit, sich zu einer regelmäßigen Teilnahme an <strong>der</strong> wöchentlich stattfindenden<br />

„Motivationsgruppe“ <strong>der</strong> Suchtberatungsstelle zu verpflichten. Es wurde eine<br />

Schweigepflichtsentbindung vereinbart, und die Einhaltung <strong>der</strong> Termine wird seitens<br />

des Jugendamtes überprüft.<br />

Nach Äußerungen <strong>der</strong> Mutter gegenüber <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>helferin war sie „froh“ (!), dass<br />

die Mitarbeiterin des Jugendamtes ihr diesen Druck gemacht habe und sagte, sie<br />

„habe das gebraucht“, um etwas zu unternehmen. Sie tue dies wegen ihrer Kin<strong>der</strong>.<br />

Zur Unterstützung durch Hilfen zur Erziehung siehe Kap. 4.<br />

35


3.4. Im Gespräch <strong>mit</strong> den Eltern<br />

Im Gespräch <strong>mit</strong> den Eltern ist die Sozialarbeiterin <strong>mit</strong> einer Vielzahl von Aufgaben<br />

betraut: Zum einen gilt es die Eltern zu beraten und zu einer Zusammenarbeit zu<br />

motivieren, gegebenenfalls Hilfen zur Erziehung anzubieten und hierfür eine erste<br />

Auftragsklärung zu erarbeiten.<br />

Gerade <strong>im</strong> Zusammenhang <strong>mit</strong> Alkoholproblemen wird aber oftmals seitens <strong>der</strong><br />

Sozialarbeiterin und an<strong>der</strong>er Außenstehen<strong>der</strong> ein Handlungsbedarf gesehen, dem<br />

die Eltern zunächst nicht zust<strong>im</strong>men. Hier bewegt sich die Kollegin auf einem<br />

schmalen Grat zwischen Beratung und Kontrolle. Im Kontakt <strong>mit</strong> den Eltern scheint<br />

es sinnvoll, beide Aufgaben von vornherein klar und offen zu benennen, um den<br />

Rahmen <strong>der</strong> eigenen Tätigkeit abzustecken und da<strong>mit</strong> die Eltern wissen „woran sie<br />

sind“. Dann erst sollte man den Grund des Kommens benennen. Natürlich kann es<br />

sinnvoll sein, diesen „doppelten Auftrag“ auch <strong>im</strong> Verlauf eines Hilfeprozesses noch<br />

einmal klarzustellen.<br />

36


Leitfaden für das Vorgehen <strong>im</strong> Gespräch <strong>mit</strong> den Eltern:<br />

⇒ Benennen <strong>der</strong> eigenen Aufgabe (Beratung und Kontrolle)<br />

⇒ Benennen <strong>der</strong> vorliegenden Informationen<br />

⇒ Sichtweise <strong>der</strong> Eltern erfragen<br />

⇒ Aufzeigen, was sich <strong>im</strong> Hinblick auf die Situation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n muß (schriftl.)<br />

⇒ Aufweisen möglicher Konsequenzen<br />

⇒ Fragen, ob die Eltern etwas än<strong>der</strong>n wollen<br />

(„Ich weiß nicht: Was wollen Sie jetzt tun?“ - „Wollen Sie etwas an <strong>der</strong> Situation verän<strong>der</strong>n?“)<br />

Wenn nicht:<br />

Durchspielen möglicher Entwicklungsverläufe („Was glauben Sie, wie wird sich die Situation weiter<br />

entwickeln, wenn Sie nichts unternehmen?“)<br />

Betonen <strong>der</strong> Konsequenzen; sagen, welche Schritte man wann einleiten wird.<br />

Wenn halbherzig:<br />

Sagen, dass große Anstrengungen erfor<strong>der</strong>lich sind, und „Ja, Ja“ nicht ausreicht, son<strong>der</strong>n<br />

vollen Einsatz erfor<strong>der</strong>n.<br />

Wenn deutliche Verän<strong>der</strong>ungsmotivation gegeben:<br />

⇒ Fragen, ob zur Umsetzung <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen Hilfe gewünscht wird<br />

Wenn nicht:<br />

Eigenmotivation anerkennen!<br />

Je nach eigener Einschätzung: Evtl. hinterfragen:<br />

Aufzeigen, dass Verän<strong>der</strong>ungen nicht leicht zu erreichen sein werden.<br />

Evtl. nötige Schritte benennen.<br />

Anbieten, die verschiedenen Angebote und möglichen Aufgaben einer Hilfe noch einmal<br />

zu schil<strong>der</strong>n.<br />

Wenn Hilfe gewünscht:<br />

⇒ Beratung bzgl. möglicher Hilfen<br />

⇒ Ob <strong>mit</strong> o<strong>der</strong> ohne HzE: Schriftliche Vereinbarung von Zielen und ersten Schritten<br />

zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation, je nach Ernsthaftigkeit gekoppelt <strong>mit</strong> zeitlichen<br />

Vereinbarungen.<br />

(vgl. Biene, 1999) Das Benennen <strong>der</strong> eigenen Aufgabe kann etwa auf folgende<br />

Weise stattfinden: „Bevor ich Ihnen den Grund meines Kommens schil<strong>der</strong>e, möchte ich<br />

Ihnen kurz meine Aufgabe darstellen: Mein Auftrag ist es, sicher zu gehen, dass die Kin<strong>der</strong><br />

in Ihrer Familie gut versorgt sind und unter kindgerechten Bedingungen aufwachsen. In<br />

erster Linie ist dies natürlich das Recht und die Verantwortung <strong>der</strong> Eltern. Dort, wo Eltern<br />

Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Umsetzung dieser Aufgabe haben, o<strong>der</strong> die Familie Schwierigkeiten<br />

hat, ist es meine Aufgabe die Familie zu beraten und zu unterstützen.<br />

Wenn ich Hinweise von Außenstehenden erhalte, muss ich diesen nachgehen. Dabei ist es mir<br />

wichtig zu hören, worin die Eltern und die Kin<strong>der</strong> die Probleme <strong>der</strong> Familie sehen. Bei Bedarf gibt es<br />

verschiedene Möglichkeiten, wie die Familie durch Angebote <strong>der</strong> Jugendhilfe o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Einrichtungen unterstützt werden kann. Auch dies ist meine Aufgabe: Sie über Ihre Rechte und<br />

Möglichkeiten aufzuklären. Wo <strong>im</strong>mer möglich, versuche ich <strong>mit</strong> den Eltern zusammen zu arbeiten,<br />

weil ich glauben dass die Eltern für ihre Kin<strong>der</strong> am allerwichtigsten sind. - Wenn dies nicht gelingt, und<br />

die Situation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bedenklich ist, bin ich verpflichtet Kontrolle auszuüben.“<br />

37


Benennen <strong>der</strong> vorliegenden Informationen:<br />

Die Sozialarbeiterin sollte sich auf spezifische Angaben beziehen, wie z.B. die Information,<br />

dass ein Säugling 5-8 Stunden am Tag schreit, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sohn in <strong>der</strong> Schule durch häufiges<br />

unentschuldigtes Fehlen, Übermüdung und Unkonzentriertheit auffällt. Es ist sehr wohl<br />

möglich, dieses Verhalten <strong>im</strong> Gespräch <strong>mit</strong> den Eltern <strong>mit</strong> dem Alkoholkonsum in Verbindung<br />

zu bringen. So lässt sich bereits <strong>im</strong> Erstkontakt formulieren, dass z.B. die Nachbarin von<br />

häufigen Besuchen berichtet habe, bei denen ganz offensichtlich intensiv getrunken werde,<br />

o<strong>der</strong> dass die Lehrerin sagte, sie habe die Mutter schon zwe<strong>im</strong>al <strong>mit</strong>ten am Tage <strong>im</strong><br />

angetrunkenen Zustand angetroffen. Es gehöre zu ihren Aufgaben, solchen Hinweisen<br />

nachzugehen. Die Sozialarbeiterin sollte zugleich aber deutlich machen, dass sie aus Sorge<br />

um das Wohl des Kindes kommt, nicht in erster Linie wegen des Trinkens.<br />

Dieses Anliegen können die Eltern nicht ohne weiteres abweisen. Versuchen sie es doch,<br />

sollte man beharrlich bleiben. 10 Bezieht man sich dagegen vornehmlich auf den<br />

Alkoholkonsum, können die Eltern dies als eine Einmischung in ihre Privatsphäre<br />

zurückweisen, die einen nichts angeht. Wer best<strong>im</strong>mt schließlich die Grenze zwischen<br />

„normalem“ und „abweichendem“ Alkoholkonsum? 11<br />

Für das Aufweisen möglicher Konsequenzen wurde bereits darauf hingewiesen,<br />

dass es wichtig ist, diese auf die Ernsthaftigkeit <strong>der</strong> Situation abzust<strong>im</strong>men: Welche<br />

Schritte und welche Zeiträume scheinen angemessen, und ist man auch tatsächlich<br />

willens und in <strong>der</strong> Lage, die angekündigten Konsequenzen umzusetzen (vgl.<br />

Kap. 3.3.)?<br />

Verän<strong>der</strong>ungen einleiten: Hier ist zunächst sachlich festzustellen, was <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die Situation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> Anlass zur Sorge gibt. Man sollte festhalten, was sich an<br />

den Lebensbedingungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ganz konkret än<strong>der</strong>n muss, da<strong>mit</strong> man nicht<br />

einzugreifen braucht.<br />

Nicht ratsam dagegen ist es, den Eltern zu sagen, dass sie etwas verän<strong>der</strong>n müssen<br />

- vielleicht wollen sie das gar nicht! Ohne sich <strong>mit</strong> dieser Frage ernsthaft auseinan<strong>der</strong><br />

zu setzen, würden sie dann wahrscheinlich schnell zust<strong>im</strong>men (um einen<br />

abzuw<strong>im</strong>meln), aber wären nicht wirklich motiviert, etwas zu verän<strong>der</strong>n. Gewinnt man<br />

den Eindruck, dass die Eltern nicht wirklich bereit sind, etwas zu verän<strong>der</strong>n, ist noch<br />

einmal auf die Konsequenzen bei Nicht-Verän<strong>der</strong>ung hinzuweisen - nicht i.S. einer<br />

Drohung, son<strong>der</strong>n um den Eltern den Ernst <strong>der</strong> Lage wirklich klar zu machen. Oft<br />

schätzen die Eltern die Situation auch ganz an<strong>der</strong>s ein. Da kann es sinnvoll sein, <strong>mit</strong><br />

ihnen durchzuspielen, wie sich die Dinge wohl weiterentwickeln, wenn sie nicht aktiv<br />

etwas än<strong>der</strong>n. Wirken die Eltern nur halbherzig motiviert, sollte man ihnen – fairer<br />

weise - klarmachen, dass <strong>im</strong> Hinblick auf die anstehenden Anstrengungen, die nötig<br />

sein würden, um tatsächlich dauerhaft etwas zu verän<strong>der</strong>n, sicher viel Kraft und<br />

deshalb auch große Entschlossenheit nötig ist.<br />

10 Sinngemäß : „Aber wie erklären Sie sich, dass Ihre Nachbarin diesen Hinweis gemacht hat? Sie<br />

schien mir eine ganz vernünftige Person zu sein.“ ....„Wenn Sie kein Problem sehen - ich sehe eins:<br />

Ihre Nachbarin bemüht sich, dem Jugendamt gegenüber klar zu machen, ihre Kin<strong>der</strong> seien nicht gut<br />

versorgt – und jetzt haben sie mich auf dem Hals.“.... „Jetzt müssen Sie mich davon überzeugen, dass<br />

an diesem Hinweis nichts dran ist. Was glauben Sie, könnte mich davon überzeugen?“ usw. (vgl.<br />

Conen, 1996).<br />

11 Im Kontext <strong>der</strong> Jugendhilfe macht sich diese Grenze fest am gesellschaftlich definierten Konsens<br />

darüber, welche Bedingungen dem Wohl des Kindes zuträglich und welche unerlässlich sind. Aber<br />

auch diese Grenze ist zu weiten Teilen fließend, und <strong>der</strong> Konsens muss keineswegs den individuellen<br />

Vorstellungen <strong>der</strong> betroffenen Familie entsprechen.<br />

38


Sobald man aber das Gefühl bekommt, die Eltern zu überreden o<strong>der</strong> zum Zugpferd<br />

für Verän<strong>der</strong>ungen zu werden, sollte man dies als Warnsignal nehmen. Ganz sicher<br />

können die anstehenden Schritte so nicht gelingen. In diesem Fall sollte man die<br />

Verantwortung deutlich, aber freundlich zurückgeben, sich zunächst zurückziehen<br />

und einen neuen Termin in einer Woche ausmachen. In <strong>der</strong> Zwischenzeit könnten<br />

die Eltern noch einmal darüber nachdenken, wie sie die Situation sehen und was sie<br />

tun wollen. Man kann auch anbieten, ihnen das bisher Besprochene noch einmal<br />

schriftlich zukommen zu lassen.<br />

Oftmals wird auch das Angebot einer Hilfe gemacht, bevor die Eltern gefragt werden,<br />

ob sie überhaupt eine Verän<strong>der</strong>ungsmotivation haben. Auch das lädt die Eltern dazu<br />

ein, sich gar nicht erst darüber klar zu werden, ob sie etwas verän<strong>der</strong>n wollen und<br />

gegebenenfalls: Was? In <strong>der</strong> Folge nehmen sie manchmal eine Hilfe halbherzig an<br />

und denken, dass sie dann ihre Ruhe haben und nun die eingesetzte Fachkraft für<br />

die Kin<strong>der</strong> zuständig ist. Keinesfalls sollten die Eltern also den Eindruck gewinnen,<br />

dass es pr<strong>im</strong>är um das Annehmen einer Hilfe geht. Wichtig ist, dass sich etwas in<br />

bezug auf die Lebenssituation/Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t, zweitrangig, wie die<br />

Eltern dies schaffen.<br />

Wenn die Eltern etwas verän<strong>der</strong>n wollen, aber dazu keine Unterstützung wollen, mag<br />

es sinnvoll sein, dies respektvoll zu hinterfragen: „Ich bin beeindruckt, dass Sie diesen<br />

Weg allein gehen wollen. Nach meiner Erfahrung braucht es eine Menge Kraft und<br />

Entschlossenheit, da<strong>mit</strong> sich die genannten Dinge wirklich nachhaltig än<strong>der</strong>n. Ich respektiere<br />

es, wenn Sie dies allein tun wollen. So wie ich es einschätze, ist das aber oft ein schwerer<br />

Weg. Eine Hilfe zur Erziehung könnte Sie evtl. bei den einzelnen Schritten unterstützen, die<br />

nötig sind, da<strong>mit</strong> Sie den großen Zielen Stück für Stück näher kommen. Meistens bedeutet<br />

das eine Vielzahl von Umstellungen - möchten Sie, dass ich Ihnen die verschiedenen<br />

Unterstützungsangebote noch einmal näher vorstelle?“ Auch <strong>der</strong> Verweis auf die<br />

Suchtberatungsstelle kann hier angeraten sein.<br />

Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe ist es, die Eltern darin zu unterstützen Ziele<br />

zu entwickeln, die positiv formuliert und konkret vorstellbar sind. Es ist wichtig, dass<br />

die Eltern bereits bei <strong>der</strong> Entwicklung dieser Ziele in einen aktiven Zustand kommen,<br />

da<strong>mit</strong> die Ziele auch wirklich ihre eigenen sind und nicht (nur) die ihres Beraters. Die<br />

Motivation, etwas für die Kin<strong>der</strong> zu tun, ist für die Eltern oftmals größer als die, etwas<br />

für sich selbst zu tun. Gerade dies gilt es zu nutzen und Ziele zu erarbeiten, die sich<br />

auf die Erziehung, Versorgung und das Zusammenleben <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n richten.<br />

Dabei sollte man den Eltern ruhig einige Anstrengungen zumuten - an<strong>der</strong>erseits<br />

müssen die Ziele aber so realistisch formuliert sein, dass Erfolge möglich sind.<br />

Deshalb ist es ratsam, zusammen <strong>mit</strong> den Eltern Nah- und Fernziele zu entwickeln,<br />

so dass <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Teilerfolge erzielt werden können, die ihnen Mut machen,<br />

weiter zu arbeiten (Biene, Seminar<strong>mit</strong>schrift/ fachlicher Austausch). Eine weitere<br />

Motivation, sich zu engagieren kann die Aussicht sein, bei Erreichung <strong>der</strong> Ziele<br />

wie<strong>der</strong> ohne externe Einmischung zu leben (s. Conen, 1996). Hierfür ist es<br />

notwendig, dass beiden Seiten klar ist, wann dieser Punkt eintritt und was dafür<br />

konkret zu tun ist - und (sollte <strong>der</strong> Zeitpunkt eintreffen) auch deutlich gemacht wird,<br />

unter welchen Umständen man sich wie<strong>der</strong>sehen würde...<br />

Die Entwicklung klarer Zielvorstellungen ist Teil <strong>der</strong> Beratungsaufgabe des ASD und<br />

muss sich als solche auch <strong>im</strong> Hilfeplan nie<strong>der</strong>schlagen. Formulierungen wie „das<br />

Verbessern <strong>der</strong> Beziehung zwischen Mutter und Kind“ o<strong>der</strong> „die Versorgung <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>“ bleiben dabei zu vage. Die Mutter hat so keine Anhaltspunkte, woran das<br />

Eintreffen des Zieles bzw. <strong>der</strong> Erfolg <strong>der</strong> Maßnahme bemessen wird. Auch zeichnen<br />

39


sich keine konkreten Schritte ab, <strong>mit</strong> denen sie das Ziel beför<strong>der</strong>n kann. Unter<br />

Umständen kann die Sozialarbeiterin die Konkretisierung dieser Ziele und Schritte<br />

auch an eine entsprechend qualifizierte Hilfe zur Erziehung delegieren -<br />

vorausgesetzt, dass die Eltern entsprechend motiviert sind und die dort erarbeiteten<br />

Vorstellungen verbindlich zurückgekoppelt und <strong>im</strong> Hilfeplan festgehalten werden. Je<br />

deutlicher sich jedoch eine Gefährdung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> abzeichnet, um so entschiedener<br />

wird die Mitarbeiterin des Jugendamtes diesen Teil übernehmen müssen.<br />

4. Hilfen zur Erziehung bei Alkoholproblemen: Aufgaben und<br />

Arbeitsansätze<br />

Die in den Hilfen zur Erziehung nach § 28-35 KJHG arbeitenden Fachkräfte sehen<br />

sich in <strong>der</strong> täglichen Arbeit <strong>mit</strong> <strong>Familien</strong>, in denen die Eltern trinken ebenso wie die<br />

Mitarbeiterinnen des Jugendamtes einer Vielzahl von Herausfor<strong>der</strong>ungen gegenüber.<br />

Dabei ist es für die Fachkräfte beson<strong>der</strong>s schwierig<br />

• angesichts <strong>der</strong> Alkoholproblematik auf den eigentlichen Auftrag <strong>der</strong> Hilfe zu<br />

fokussieren und<br />

• eine angemessene Position gegenüber den Interessen und Bedürfnissen <strong>der</strong><br />

Eltern und denen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu finden,<br />

• eine klare Rolle <strong>im</strong> Spannungsfeld zwischen Unterstützung und Kontrolle<br />

einzunehmen und<br />

• „Einladungen ins Co-Muster“ als solche zu erkennen und freundlich<br />

auszuschlagen,<br />

• <strong>mit</strong> <strong>der</strong> oft verdeckten <strong>Familien</strong>dynamik zu arbeiten.<br />

Häufig treten in <strong>der</strong> Arbeit in <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Suchtstrukturen eigene Gefühle des<br />

Ausgebrannt-Seins o<strong>der</strong> gar des Sich-Ausgenutzt-Fühlens, von Hoffnungslosigkeit,<br />

Ärger o<strong>der</strong> Enttäuschung auf. Da<strong>mit</strong> spiegeln wir meist einen Teil <strong>der</strong> Dynamik und<br />

des Erlebens <strong>der</strong> Familie selbst wi<strong>der</strong>, und zum an<strong>der</strong>en zeigen solche Gefühle an,<br />

dass wir uns zu sehr in das System hineinbegeben haben und zu verausgaben<br />

drohen. Gerade in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> sehr belasteten Systemen ist es <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong><br />

wichtig, dafür zu sorgen, dass man selbst eine gute Position und nicht zuletzt ein<br />

„gutes Gefühl“ in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den Klienten hat, um tatsächlich wirksam arbeiten zu<br />

können. Dieses Kapitel will Empfehlungen und Anregungen geben, wie die Kollegen<br />

und Kolleginnen, die „direkt vor Ort“ <strong>mit</strong> den Eltern und/o<strong>der</strong> ihren Kin<strong>der</strong>n arbeiten,<br />

den vielfältigen Herausfor<strong>der</strong>ungen professionell begegnen können und da<strong>mit</strong><br />

gleichzeitig auch gut für sich sorgen.<br />

In den folgenden Ausführungen werden zunächst Ansätze für die Arbeit <strong>mit</strong> den<br />

Eltern dargestellt, danach Beson<strong>der</strong>heiten in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n und<br />

entsprechende Angebote. Für die Arbeit <strong>mit</strong> beiden Zielgruppen sind bereits in den<br />

Kapiteln 1-3 zugrundliegende Kenntnisse und Arbeitsansätze beschrieben worden.<br />

40


4.1. <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> den Eltern<br />

Aus einer familienorientierten Sichtweise heraus sind Eltern und Kin<strong>der</strong> wie zwei<br />

Seiten <strong>der</strong>selben Medaille - man kann nicht etwas für die eine Seite tun, ohne dass<br />

es Auswirkungen auf die an<strong>der</strong>e hätte. Richtet sich <strong>der</strong> Blick auf die Kin<strong>der</strong>, gilt es<br />

dem kindlichen Erleben gerecht zu werden, indem die Gefühle und Bedürfnisse <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen wahrgenommen und auch gegenüber den Eltern vertreten<br />

werden. Die Eltern sollen lernen, auf kindliche bzw. jugendliche Sichtweisen<br />

einzugehen, altersentsprechende Regeln anzubieten und verantwortliche Schritte<br />

unternehmen, um die Entwicklungschancen und Ressourcen ihrer Kin<strong>der</strong> zu för<strong>der</strong>n.<br />

In den meisten Arbeitsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Jugendhilfe n<strong>im</strong>mt eine qualifizierte Elternarbeit<br />

einen zunehmend hohen Stellenwert ein. Dahinter steht die Erfahrung, dass<br />

nachhaltige Erfolge <strong>im</strong> Hinblick auf die Situation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> sich am ehesten durch<br />

ein Zusammenwirken <strong>mit</strong> den Eltern erzielen lassen. Viele Bemühungen sind ohne<br />

die Unterstützung <strong>der</strong> Eltern zum Scheitern verurteilt. Dabei ist es von Struktur und<br />

Auftrag <strong>der</strong> jeweiligen Hilfe abhängig, in welcher Intensität und Qualität und <strong>mit</strong><br />

welcher Zielsetzung die Elternarbeit stattfinden kann und soll.<br />

Wenn die Eltern trinken, wird Elternarbeit aber oft als „Sysiphos-Arbeit“ empfunden:<br />

Die Eltern wirken unzugänglich, unmotiviert o<strong>der</strong> unzuverlässig. Manchmal scheint<br />

sich eine Situation kurzfristig zu verbessern o<strong>der</strong> zu stabilisieren, um sich dann doch<br />

zu verschlechtern - nicht selten einhergehend <strong>mit</strong> wie<strong>der</strong> ansteigendem<br />

Alkoholkonsum <strong>der</strong> Eltern. Die Leidtragenden sind hier allem die Kin<strong>der</strong>.<br />

Das <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> den Eltern konzentriert sich <strong>im</strong> Kontext <strong>der</strong> Jugendhilfe vornehmlich<br />

auf<br />

• eine Verbesserung <strong>der</strong> Beziehung zwischen den Eltern und Kin<strong>der</strong>n (Versorgung,<br />

Erziehung, emotionale Zuwendung, Entwicklungsför<strong>der</strong>ung), konkretisiert durch<br />

• die <strong>im</strong> Hilfeplan festgelegten Ziele und Aufgaben<br />

• familiäre Beziehungen und Muster<br />

• elterliche (u.U. auch eheliche) Konflikte.<br />

In <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den Eltern ist aus unserer Sicht eine konfrontierend-wertschätzende<br />

Haltung angemessen. Dabei gilt es, die Eltern in ihrer Verantwortung für die<br />

Kin<strong>der</strong> ansprechen. Wie bereits in Kap. 2 ausführlich dargelegt, geht es nicht<br />

vorrangig darum, <strong>mit</strong> den Eltern an ihrem Alkoholkonsum zu arbeiten o<strong>der</strong> gar auf<br />

eine Suchttherapie hin zu wirken. Es liegt in <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Eltern, sich<br />

darüber „klar zu werden“, wie sie die notwendigen Verän<strong>der</strong>ungen in bezug auf ihre<br />

Kin<strong>der</strong> erreichen können. In den meisten Fällen wird dies notwendigerweise auch<br />

eine Reflexion ihres Umgangs <strong>mit</strong> Alkohol beinhalten. Die Kunst ist es, einen solchen<br />

Reflexionsprozess anzuregen und zu begleiten.<br />

4.1.1. Mehr zum Reden o<strong>der</strong> Schweigen über Alkohol<br />

Hier kann es <strong>mit</strong>unter wirksam sein, sich nur auf die Auswirkungen ihres Verhaltens<br />

auf die Kin<strong>der</strong> zu beziehen, o<strong>der</strong> die eigenen Beobachtungen und Eindrücke auf<br />

einer ganz an<strong>der</strong>en Ebene <strong>mit</strong>zuteilen. Wenn man z.B. feststellt, dass die Eltern<br />

<strong>im</strong>mer, wenn es Ärger <strong>mit</strong> den Großeltern gibt, diesen nicht „Paroli bieten“ son<strong>der</strong>n<br />

41


sich stattdessen zurückziehen (...und trinken), könnte man die Beobachtungen<br />

ansprechen. Dabei kann man, muss aber nicht das Trinken ansprechen (etwa wenn<br />

die Eltern hierauf sehr ungehalten reagieren). Man kann einfach nur den<br />

Zusammenhang zwischen dem Ärger und <strong>der</strong> Tatsache herstellen, dass die Eltern<br />

dem nichts entgegensetzen, son<strong>der</strong>n eher zu resignieren scheinen. Dadurch eröffnet<br />

man einen Problemkomplex, <strong>der</strong> nach <strong>der</strong> eigenen Beobachtung <strong>mit</strong> dem Trinken<br />

zusammenhängt, ohne sich direkt einen „Maulkorb“ einzufangen. Im Kopf des<br />

Klienten werden diese Bezüge dann von ihm selbst hergestellt, sofern sie tatsächlich<br />

von Bedeutung sind.<br />

Es ist dieses innere Nachdenken, das man erreichen will, nicht das offenkundige<br />

Eingestehen eines Zusammenhangs <strong>mit</strong> dem Trinken. Der Berater kann, aber muss<br />

diesen Zusammenhang nicht ansprechen o<strong>der</strong> aufdecken - <strong>der</strong> Klient tut es<br />

vermutlich schon von selbst. Natürlich ist es möglich, zu fragen: „Und kann es sein,<br />

dass sie dann manchmal anfangen zu trinken?“ o<strong>der</strong> noch offener: „Und ich frage<br />

mich (!), ob das vielleicht die Situationen sind, in denen Sie dann anfangen zu<br />

trinken...“ - aber es ist nicht <strong>im</strong>mer nötig. Manchmal ist weniger mehr.<br />

Dazu ein kleines Beispiel aus dem privaten Rahmen <strong>der</strong> Verfasserin:<br />

Meine Nachbarn haben am Haus einen Garten, und sobald das Wetter es erlaubt,<br />

wird - vorzugsweise am Wochenende - darin „gefeiert“. Das führt zu einem über<br />

Stunden ansteigenden Lärmpegel. Nachdem ich bereits zwei Mal die Polizei gerufen<br />

hatte (was zunächst zu lautstarken Ausfällen, dann aber zu einer gewissen Abnahme<br />

dieser Vorkommnisse geführt hatte), sprach ich die Nachbarn einmal persönlich an.<br />

Dabei vermied ich es tunlichst, das Stichwort „Trinken“ fallen zu lassen, son<strong>der</strong>n<br />

bezog mich ausschließlich auf den ansteigenden Lärmpegel und die z.T. recht grobe<br />

Ausdrucksweise. Der überraschend entgegenkommende Mann sagte irgendwann:<br />

„Ja, das st<strong>im</strong>mt schon, meine Frau hatte auch ein, zwei Bier mehr getrunken, und<br />

dann achtet sie nicht mehr so darauf...“ - davon hatte ich kein Wort gesagt!<br />

Übrigens war anschließend eine größere Rücksichtnahme und bessere Einhaltung<br />

<strong>der</strong> Nachtruhe zu beobachten.<br />

An<strong>der</strong>erseits darf man nicht Gefahr laufen, das Thema zu meiden. Am besten ist es,<br />

gleich zu Beginn <strong>der</strong> Arbeit Offenheit gegenüber dem Thema zu signalisieren, ohne<br />

die negativen Auswirkungen herunterzuspielen.<br />

So lässt sich meist problemlos sagen: „Mir ist bekannt/ich habe den Eindruck, dass<br />

<strong>der</strong> Alkohol in Ihrer Familie eine wichtige Rolle spielt - welche weiß ich nicht so recht.<br />

Wir müssen aber (jetzt) nicht darüber reden. Wichtig ist mir, dass wir uns Gedanken<br />

in Bezug auf die Kin<strong>der</strong> machen. Das ist ja unser eigentliches Anliegen. In diesem<br />

Zusammenhang könnte es durchaus sein, dass das Thema Alkohol wichtig wird. Ich<br />

werde Sie darauf ansprechen, wenn ich den Eindruck habe, dass es wichtig wäre,<br />

über das Trinken und seine Auswirkungen auf Ihre Beziehung zu den Kin<strong>der</strong>n zu<br />

sprechen.“<br />

Dort, wo die Klienten das Thema von sich aus anbieten, sollte man es aufgreifen.<br />

Dabei ist aber wichtig, darauf zu achten, wann das Gespräch von wem und <strong>mit</strong><br />

welcher Absicht „auf den Tisch“ gebracht wird - und ob <strong>der</strong> Partner, den dies<br />

möglicherweise betrifft, da<strong>mit</strong> einverstanden ist. Dazu kann man ganz offen<br />

42


nachfragen, ob es ein Interesse bzw. einen Auftrag gibt, jetzt über das Thema zu<br />

sprechen. Wird dies bejaht, mag man dies begrüßen, wird das Ansinnen dagegen<br />

abgelehnt, kann man - anstatt zu drängen - darüber sprechen, warum es dem<br />

Trinkenden lieber ist, heute nicht darüber zu reden. Auch so lässt sich das Thema<br />

sehr wirkungsvoll bewegen (z.B. werden da<strong>mit</strong> die Hintergründe des Tabus dadurch<br />

angesprochen, Schamgefühle, drohende Auseinan<strong>der</strong>setzungen etc.).<br />

Fallbeispiel:<br />

Ein <strong>Familien</strong>vater (aus dem in Kap. 3.1.1. bereits angesprochenen Fallbeispiel) hat<br />

gleich <strong>im</strong> ersten Kontakt <strong>mit</strong> dem <strong>Familien</strong>helfer demonstrativ eine Dose Bier auf den<br />

Tisch gestellt und dazu gesagt: „Das ist mein Bier, und ich lasse mir das nicht<br />

verbieten.“ Der Helfer hat dies respektiert, und für sich die Entscheidung getroffen,<br />

das Thema nicht von sich aus anzusprechen, son<strong>der</strong>n auf Zeichen des Vaters zu<br />

warten. Als <strong>der</strong> Vater an einem Termin betrunken war, ist er wie<strong>der</strong> gegangen und<br />

hat anschließend ein klärendes Gespräch <strong>mit</strong> ihm geführt und eine entsprechende<br />

Vereinbarung getroffen.<br />

Zu einem späteren Zeitpunkt sagt <strong>der</strong> Vater: „Ich habe ein Alkoholproblem, wir wollen<br />

aber nicht drüber reden.“ bei <strong>der</strong> Auswertung <strong>der</strong> Video-Sequenz <strong>im</strong> Rahmen des<br />

Video-Home-Trainings sagte er einmal von sich aus: „ Ich weiß, dass ich ganz schön<br />

viel trinke.“ Helfer: „Wollen Sie etwas verän<strong>der</strong>n?“ Vater: „Kann ich <strong>im</strong> Moment nicht.“<br />

Das Thema wurde so<strong>mit</strong> in verschiedenen Sequenzen aufgegriffen, <strong>der</strong> Wunsch,<br />

nicht weiter darüber zu sprechen, jedoch akzeptiert.<br />

Nach kurzer Zeit sprach <strong>der</strong> Vater selbst aus die Idee aus, evtl. eine<br />

Alkoholentwöhnungsbehandlung durchzuführen. Bevor es jedoch zu einer<br />

Umsetzung kam, brach die Hilfe ab (Siehe Hypothesen in 3.1.1.).<br />

Es ist ratsam, nicht zuviel Aufhebens um das Thema Alkohol zu machen, son<strong>der</strong>n<br />

ihm möglichst neutral gegenüber zu stehen (- nicht neutral ist man dagegen<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Auswirkungen auf die Kin<strong>der</strong>). Wirkt es auf die Klienten so, als sei<br />

man froh, endlich auf diesen Punkt zu sprechen zu kommen, gewinnen sie leicht den<br />

Eindruck, dass man ein beson<strong>der</strong>es Interesse daran hat, dass sie <strong>mit</strong> dem Trinken<br />

aufhören - was ja durchaus sein kann. In <strong>der</strong> Folge verlieren sie aber manchmal ihr<br />

eigenes Interesse daran (sozusagen zum Ausgleich...). Es ist ein typisch coabhängiges<br />

Muster, dass An<strong>der</strong>e den Trinkenden zum Aufhören bewegen wollen<br />

und er dann in den Wi<strong>der</strong>stand geht, was sich darin äußern kann, dass er<br />

weitertrinkt. 12<br />

Wichtig ist es hier, das „Nein“ des Klienten ernst zunehmen. Ein klares Nein ist<br />

übrigens für einen Süchtigen eine Leistung, die nicht als selbstverständlich<br />

übergangen werden sollte. Indem man dem Klienten gegenüber Anerkennung für<br />

seine Klarheit äußert, wird man möglicherweise eine Irritation auslösen, die <strong>im</strong><br />

weiteren Gespräch wie<strong>der</strong>um nutzbar ist. So kann z.B. das Thema Autonomie und<br />

Grenzsetzung eingeführt werden: Wie wichtig es ist, klar seinen eigenen Standpunkt<br />

zu vertreten, auch wenn das manchmal für an<strong>der</strong>e unbequem ist... Eine solche<br />

Rückmeldung bedarf natürlich einigen Fingerspitzengefühls, um nicht als „Freibrief“<br />

12 Eine interessante Interpretation ist es, „Wi<strong>der</strong>stand“ in “Würde“ umzudeuten: Das Verhalten, das als<br />

Wi<strong>der</strong>stand gedeutet wird, kann auch so verstanden werden, dass es <strong>der</strong> Aufrechterhaltung <strong>der</strong><br />

eigenen Würde und Autonomie dienen soll. Wenn ein Klient sich z.B. überredet o<strong>der</strong> bevormundet<br />

fühlt, kann er seine Autonomie durch die eigene Entscheidung (doch weiter zu trinken) beweisen.<br />

Zugegeben sind die Folgen des Trinkens selbst dann oft nicht sehr würdevoll...<br />

43


verstanden zu werden. Ein bisschen Verwirrung und Provokation kann aber ruhig<br />

dabei sein.<br />

4.1.2. Umgang <strong>mit</strong> Paarkonflikten<br />

Im Umgang <strong>mit</strong> Paarkonflikten obliegt es <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Fachkraft,<br />

abzuschätzen, inwieweit eine Bearbeitung <strong>der</strong> Paardynamik notwendig und hilfreich<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf den eigentlichen Auftrag <strong>der</strong> Hilfe ist. Dabei ist zu entscheiden, ob<br />

man selbst diese schwierige Aufgabe leisten kann o<strong>der</strong> ob es besser wäre, das<br />

Problemfeld aus <strong>der</strong> eigenen Arbeit auszulagern und in guter Abst<strong>im</strong>mung an<br />

entsprechend geschulte Fachkräfte zu delegieren (z.B. an eine EFB, Paargespräche<br />

in <strong>der</strong> Suchtberatungsstelle o<strong>der</strong> an Aufsuchende <strong>Familien</strong>therapie). Meistens liegt<br />

auf <strong>der</strong> Paarebene ein großes Konfliktpotential, das die Eltern daran hin<strong>der</strong>t, sich den<br />

elterlichen Aufgaben in <strong>der</strong> nötigen Weise zuzuwenden - und so<strong>mit</strong> auch die Kin<strong>der</strong><br />

betrifft, von atmosphärischen Beeinträchtigungen des <strong>Familien</strong>lebens einmal ganz<br />

abgesehen. Wichtig ist vor allem, dass das <strong>Arbeiten</strong> auf <strong>der</strong> Paarebene kein<br />

„Selbstläufer“ wird, son<strong>der</strong>n <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auf die Ziele in bezug auf die Kin<strong>der</strong><br />

zurückgeführt wird. Eine wichtige Frage wird also <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> sein: „Inwiefern<br />

hin<strong>der</strong>n Sie ihre Unst<strong>im</strong>migkeiten als Paar daran, Ihre gemeinsame Aufgabe als<br />

Eltern gut wahrzunehmen?“ Hierdurch lässt sich das Thema sinnvoll eingrenzen,<br />

was in den meisten sozialpädagogischen Arbeitszusammenhängen auch ratsam ist.<br />

Werden große Paarprobleme deutlich, und sehen die Eltern, dass dies <strong>der</strong><br />

Erreichung ihrer Ziele <strong>im</strong> Hinblick auf die Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong> Wege steht, ist bereits ein gutes<br />

Stück Arbeit geleistet. Die Eltern können sich dann entscheiden, ob sie dafür eine<br />

Beratung annehmen wollen. Geht man dagegen <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auf die Paarebene<br />

ein, ohne dass dadurch letztlich mehr Klarheit hergestellt wird, verwischt das das<br />

eigentliche Ansinnen <strong>der</strong> Hilfe und verhin<strong>der</strong>t letztlich einen Fortschritt.<br />

Zudem sollte man nicht versäumen, sich von den Eltern ausdrücklich einen Auftrag<br />

dafür einzuholen, <strong>mit</strong> ihnen über ihre Beziehung als Paar zu sprechen. Sehr<br />

wahrscheinlich ist nämlich, dass einer <strong>der</strong> Partner das Thema einbringt (z.B. in Form<br />

von Vorwürfen), <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e aber unsicher ist, ob er über diese Fragen sprechen<br />

möchte. Letztlich dürften beide Partner ambivalent sein, ob sie die „heißen Eisen“<br />

wirklich in konstruktiver Weise angehen möchten.<br />

Auch bei Paarproblemen ist es wichtig, gewahr zu sein, dass die Dynamik in<br />

Suchtsystemen dazu neigt, über (int<strong>im</strong>e) Grenzen hinweg zu gehen. Dies zeigt sich<br />

häufig auch <strong>im</strong> Gesprächsverlauf. In Paargesprächen wie in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong><br />

Einzelnen kann es geschehen, dass dem Berater plötzlich sehr Persönliches und<br />

Belastendes anvertraut wird. Anschließend fühlen sich nicht nur manche Helfern<br />

überwältigt, ausgelaugt o<strong>der</strong> ausgenutzt, son<strong>der</strong>n auch dem Klienten mag es so<br />

gehen: Erst <strong>im</strong> nachhinein wird er sich bewusst, wieviel er preisgegeben hat -<br />

Schamgefühle können auftreten und zu einem anschließenden Rückzug führen. Im<br />

Gespräch <strong>mit</strong> den Klienten ist es deshalb wichtig, sorgfältig auf die Grenzen zu<br />

achten: Die eigenen und die <strong>der</strong> Klienten. Man sollte nicht erst abwarten, bis es<br />

einem selbst zu viel wird und man das Gefühl hat, überschüttet worden zu sein. Für<br />

die eigene „Psychohygiene“ ist es wichtig, selbst in einem aktiven Zustand zu bleiben<br />

und den Gesprächsverlauf durch gezielte Fragen und Feed-back zu steuern. Zudem<br />

gibt das den Klienten ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung: Sie werden sich<br />

weniger leicht in ihren „Geschichten“ und Gefühlen verlieren.<br />

44


An best<strong>im</strong>mten Punkten des Gesprächs mag es angebracht sein, den Klienten<br />

darauf aufmerksam zu machen, dass er sich gerade sehr weit öffnet. Man kann<br />

sagen, dass man dies als einen Ausdruck seines Vertrauens versteht. Zugleich sei<br />

es aber wichtig, dass er wirklich nur so viel preisgibt, wie es <strong>im</strong> Moment gut scheint -<br />

da<strong>mit</strong> er nicht am Ende denkt: „Oh Gott, hab ich jetzt vielleicht zuviel auf einmal<br />

erzählt?“. Mit Blick auf den vielleicht bereits unangenehm berührten Partner kann es<br />

gut sein zu fragen: „Wenn Sie jetzt einmal Ihren Partner anschauen, was haben Sie<br />

für einen Eindruck: Ist es noch okay für ihn? Wie mag es ihm gehen <strong>mit</strong> dem, was<br />

Sie bis jetzt erzählt haben?“<br />

Ein weitere große Schwierigkeit ist es, angesichts offenkundiger Paarprobleme<br />

neutral zu bleiben. Sehr oft kommt es zu einer Solidarisierung des Helfers <strong>mit</strong><br />

einem <strong>der</strong> beiden Partner. Insbeson<strong>der</strong>e die Konstellation „<strong>Familien</strong>helferin-<br />

schwache, unterdrückte Mutter - despotischer o<strong>der</strong> gewalttätiger Vater“ lädt dazu ein,<br />

die Frau gegen ihren Mann zu stärken. Oft reden diese Mütter davon, sich<br />

„eigentlich“ trennen zu wollen, würden es aber nicht schaffen. Die Helferinnen<br />

versuchen dann oft auf eine Trennung hinzuarbeiten. Das ist höchst brisant!<br />

Erstens ist <strong>der</strong> Mann deshalb so despotisch, weil er spürt, dass er ohnehin eine<br />

schwache Position hat. In eskalierten Situationen (zu denen die Frau durchaus ihren<br />

Teil beiträgt) kann es dann zu Gewaltausbrüchen kommen. Durch das einseitige<br />

<strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frau wird diese Dynamik eher noch verstärkt: Der Mann fühlt sich<br />

noch mehr ausgegrenzt und in seiner Position zunehmend gefährdet. Natürlich wird<br />

er auf seine Art gegen die <strong>Familien</strong>helferin arbeiten.<br />

Zweitens sind die Mütter selbst hoch-ambivalent gegenüber einer Trennung. Trotz<br />

<strong>der</strong> Demütigungen fühlen sie sich abhängig und haben das Gefühl, allein nicht leben<br />

zu können. Ihr Selbstbewusstsein ist äußerst gering. Angesichts des Drucks von<br />

außen ist es ihnen kaum möglich, dazu zu stehen, dass sie trotz allem <strong>mit</strong> ihrem<br />

Mann zusammenbleiben wollen (natürlich „eigentlich“ unter an<strong>der</strong>en Bedingungen).<br />

Selbst wenn sich diese Frauen - gestärkt von <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>helferin - trennen, und<br />

z.B. in ein Frauenhaus gehen, kehren sie oft nach kurzer Zeit zurück. Manchmal<br />

auch ohne Kin<strong>der</strong>. Dann ist alles noch schl<strong>im</strong>mer als vorher: Die Frau schämt sich,<br />

es nicht geschafft zu haben und bestätigt da<strong>mit</strong> ihre Abhängigkeit. Der Mann hat<br />

scheinbar einen neuen Trumpf in <strong>der</strong> Hand. Die <strong>Familien</strong>helferin verliert meist ihren<br />

Auftrag (und ist enttäuscht von <strong>der</strong> Frau). Und die Kin<strong>der</strong> sind entwe<strong>der</strong> inzwischen<br />

fremduntergebracht o<strong>der</strong> dann völlig schutzlos dem Geschehen ausgeliefert, ohne<br />

die Aussicht, dass sich etwas än<strong>der</strong>n würde.<br />

In einer solchen Konstellation ist deshalb ratsam, sich aus <strong>der</strong> Paardynamik gänzlich<br />

rauszuhalten. Stattdessen sollte man sich darauf konzentrieren, sehr gezielt an <strong>der</strong><br />

gemeinsamen Erziehungskompetenz <strong>der</strong> Eltern und konkreten, alltagsnahen Zielen<br />

zu arbeiten. Das darf aber nicht dazu verleiten, die Auswirkungen einer dauernd<br />

angespannten St<strong>im</strong>mung, von Streit o<strong>der</strong> Gewalt auf die Kin<strong>der</strong> zu übersehen.<br />

Hier<strong>mit</strong> müssen die Eltern konfrontiert werden und es ist wichtig, dies auch<br />

gegenüber dem Jugendamt offen zu machen - wovon die Eltern durch die Helferin<br />

unbedingt in Kenntnis zu setzen sind. („Dies sind Bedingungen, über die ich das<br />

Jugendamt informieren muss. Am liebsten wäre es mir, wenn wir das Gespräch dort<br />

zusammen führen könnten, da<strong>mit</strong> gemeinsam überlegt wird, wie unter diesen<br />

Umständen für das Wohl/die Sicherheit Ihrer Kin<strong>der</strong> gesorgt werden kann“). Dann<br />

45


liegt es in <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Sozialarbeiterin des ASD, ggf. Druck in Richtung<br />

Klärung auszuüben.<br />

4.1.3. Ressourcenorientiertes <strong>Arbeiten</strong> auf drei Ebenen<br />

Je mehr Erfahrungen wir <strong>mit</strong> den <strong>Familien</strong> gesammelt haben, um so stärker hat sich<br />

unser Blickwinkel vom anfänglich oft engen Starren auf das Alkoholproblem erweitert<br />

auf „die Familie als Ganzes in ihrer Lebenssituation als Ganzes“. Die<br />

Lebensbedingungen <strong>der</strong> <strong>Familien</strong> sind nicht nur geprägt vom Alkohol, son<strong>der</strong>n<br />

setzen sich zusammen aus einer Vielzahl von Schwierigkeiten - und einer Vielzahl<br />

von Ressourcen. Ein klarer, scharfer Blick auf die Beeinträchtigungen <strong>der</strong> Eltern und<br />

die Gefährdungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ist notwendig, um entsprechende Hilfen einzuleiten und<br />

zu um zu beurteilen, ob die gewährte Hilfe die richtige ist und auch tatsächlich eine<br />

Chance hat, zu greifen. Während einem die Nöte, Sorgen und Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />

Familie meist un<strong>mit</strong>telbar ins Auge springen, fällt <strong>der</strong> differenzierte Blick auf die<br />

Ressourcen <strong>der</strong> einzelnen <strong>Familien</strong><strong>mit</strong>glie<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Familie als Ganzes meist<br />

schwerer - dies gilt beson<strong>der</strong>s für Eltern, die trinken. Für die Menschen, <strong>mit</strong> denen<br />

wir arbeiten, ist es aber wichtig, dass wir ihre Möglichkeiten erkennen und ihnen<br />

zurückspiegeln. Weil sie selbst meist das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen<br />

verloren haben, brauchen sie jemanden, <strong>der</strong> an sie glaubt und <strong>der</strong> ihnen wie<strong>der</strong><br />

Hoffnung macht - und zwar durch den Verweis auf ihre Möglichkeiten und<br />

Fähigkeiten und ihre Kraft. Werden also diese Ressourcen nicht einmal von uns<br />

Helfern wahrgenommen, kann sich nichts wirklich zum Guten wenden. 13<br />

Insbeson<strong>der</strong>e in Kapitel 3 wurde viel über die Notwendigkeit geschrieben, gezielten<br />

Druck auf die Familie auszuüben - zugleich aber müssen wir ihr <strong>mit</strong> einer Haltung<br />

von Wertschätzung begegnen (was bei einem Alkoholproblem oft schwer ist).<br />

Klienten haben ein sehr genaues Gespür dafür, ob wir sie wirklich achten und<br />

wertschätzen. Die Klientel <strong>der</strong> Jugend- und Suchthilfe ist meist <strong>im</strong> Glauben an sich<br />

selbst erschüttert und nicht eben verwöhnt von <strong>der</strong> Anerkennung an<strong>der</strong>er. Deshalb<br />

sind die Menschen misstrauisch, und skeptisch gegenüber wohlmeinenden<br />

Ratschlägen o<strong>der</strong> auch ehrlichen Kompl<strong>im</strong>enten. Eine <strong>der</strong> wichtigsten Botschaften,<br />

die wir ihnen ver<strong>mit</strong>teln können, ist deshalb <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> das Zutrauen in sie und<br />

ihre Fähigkeit, das Leben und ihre Ziele zu meistern.<br />

Man sollte den Klienten lieber etwas zumuten, als sie zu schonen und ihnen<br />

kompensatorische Angebote zu unterbreiten. Wenn sie sich für Ziele und Schritte<br />

entscheiden, ist es ratsam, die Anstrengung und die Entschlossenheit betonen, die<br />

es dafür braucht und gleichzeitig zu sagen, dass es man ihnen zutraut - aber nur<br />

wenn sie es wirklich wollen. Hilfe und Unterstützung sollten <strong>im</strong>mer <strong>mit</strong> einer<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung an die Kompetenzen <strong>der</strong> Klienten einhergehen. An welchen<br />

Punkten lässt sich nun ansetzen, um alkoholabhängige Eltern in ihrer Verantwortung<br />

zu for<strong>der</strong>n?<br />

13 Zur Anregung bei <strong>der</strong> Ressourcensuche ist dem Anhang <strong>der</strong> Ressourcenfragebogen <strong>der</strong> INTEGRA<br />

beigefügt.<br />

46


Hier sollen drei Ebenen <strong>der</strong> Unterstützung durch Professionelle unterschieden<br />

werden:<br />

1. Alltägliche Fragen des <strong>Familien</strong>managements<br />

2. Eingehen auf die Bedürfnisse und die Gefühle <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

3. Unterstützung bei <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung von Verhaltens- und Beziehungsmustern<br />

Ebene 1: Unterstützung bei Fragen des <strong>Familien</strong>managements<br />

Je ernsthafter das Alkoholproblem <strong>der</strong> Eltern ist, desto mehr sind es zunächst<br />

alltägliche Abläufe, die strukturiert werden müssen. Oft ist die wohnliche und<br />

finanzielle Situation vernachlässigt, ebenso wie viele soziale Kontakte abgebrochen<br />

sind. Mietrückstände o<strong>der</strong> Schuldenfragen müssen geklärt werden, Kita-Besuch<br />

und/o<strong>der</strong> För<strong>der</strong>angebote für die Kin<strong>der</strong> eingeleitet, <strong>der</strong> Kontakt zu unterstützenden<br />

Personen des Umfelds wie<strong>der</strong> aufgegriffen und Freizeitaktivitäten entwickelt werden.<br />

Auch gesundheitliche Fragen sollten beachtet werden. 14 Bei all diesen<br />

Problemkomplexen gilt es, die Dinge nicht für, son<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> den Eltern zu tun, bzw.<br />

<strong>mit</strong> ihnen die notwendigen Schritte zu erarbeiten und sie bei <strong>der</strong>en Umsetzung zu<br />

unterstützen.<br />

Zweier Gefahren sollte man dabei eingedenk bleiben:<br />

1. <strong>der</strong> Gefahr, die Kontrolle zu übernehmen und den Eltern klarzumachen, was zu<br />

tun ist.<br />

⇒ Diesen Part sollte man sehr klar dem Jugendamt bzw. den Eltern selbst<br />

überlassen. Wird diese Aufgabe seitens ASD nicht in ausreichen<strong>der</strong> Klarheit<br />

vertreten, ist es unbedingt ratsam, das Gespräch zu suchen. Hier sollte aus einer<br />

fachlichen Sicht dargestellt werden, dass man selbst in eine Rolle von Co-<br />

Abhängigkeit käme, würde man die Eltern zugleich kontrollieren und unterstützen<br />

wollen. Dadurch würde man für seine eigentliche Aufgabe unwirksam werden.<br />

Anzustreben ist also eine Aufgabenverteilung von Konfrontation und Kontrolle<br />

bzgl. <strong>der</strong> anstehenden Schritte (durch den ASD) und Beratung und Unterstützung<br />

bei <strong>der</strong>en Umsetzung (durch die beauftragte Fachkraft).<br />

2. die Gefahr, <strong>der</strong> Motor und Initiator für die anstehenden Schritte zu werden. Auch<br />

dieses wäre ein Verhalten <strong>im</strong> Co-Muster, welches die Eltern dazu einlädt, sich<br />

„zurückzulehnen“ und den Helfer „ackern“ zu lassen, anstatt selber in die<br />

Verantwortung zu gehen.<br />

⇒ Viele Eltern brauchen beson<strong>der</strong>s am Anfang einen Anschub und eine<br />

Motivierung, um konkrete Schritte anzugehen. Dies kann da<strong>mit</strong><br />

zusammenhängen, dass sie keinen ausreichenden Verän<strong>der</strong>ungsdruck spüren<br />

o<strong>der</strong> aber nichts verän<strong>der</strong>n wollen. Oft sehen sie sich aber auch einem riesigen<br />

Berg von Problemen gegenüber und wissen sie einfach nicht, wo sie anfangen<br />

14 Welche Untersuchungen o<strong>der</strong> Unterstützungsangebote brauchen die Kin<strong>der</strong>, welche die Eltern? Einige Eltern<br />

sind vom Alkohol <strong>der</strong>maßen abgezehrt, dass sie ein Aufbauprogramm machen müssen, um wie<strong>der</strong> voll<br />

leistungsfähig zu sein. Hier kann z.B. die Einschätzung des Hausarztes o<strong>der</strong> einer Klinik, aber auch des sozialmedizinischen<br />

o<strong>der</strong> sozial-psychiatrischen Dienstes hilfreich sein, auch wenn es um eine Ver<strong>mit</strong>tlung zu<br />

entsprechenden Hilfen geht.<br />

47


48<br />

sollen. In Anbetracht <strong>der</strong> vielen <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> zusammenhängenden Probleme<br />

befinden sie sich in einer Art „Problemtrance“ o<strong>der</strong> einer einzigen großen<br />

„Problemwolke“.<br />

Hilfreich ist es, zusammen <strong>mit</strong> den Eltern diese große Problemwolke in einzelne kleine<br />

Wolken zu zerlegen („Was <strong>im</strong> Einzelnen macht ihnen Sorgen?“) - o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> einem an<strong>der</strong>en<br />

Bild: Aus dem großen Problemberg in kleinere, unterschiedlich große Häufchen zu<br />

machen. Diese können dann ihrer Bedeutung und Dringlichkeit nach geordnet werden.<br />

Das ist ein erster und sehr wichtiger Schritt, in dem <strong>der</strong> Berater die Eltern unterstützen<br />

kann. Sie gewinnen dadurch mehr Überblick. Dadurch wird es Ihnen möglich, in einem<br />

zweiten Schritt konkrete, positive Ziele für jeden „Haufen“ zu entwickeln. Erst danach<br />

sind sie soweit, auch konkrete Schritte ins Auge zu fassen („Was wollen Sie jetzt tun?“).<br />

Der Berater kann die Eltern durch best<strong>im</strong>mte Fragen in ihrem Klärungsprozess anregen:<br />

„Wollen Sie sich erst mal eine Wolke genauer anschauen, o<strong>der</strong> gleich alle? Mit welchem<br />

Haufen wollen Sie anfangen: Mit dem dringlichsten, dem größten o<strong>der</strong> erst mal <strong>mit</strong> etwas<br />

einfacherem?“ Dabei sollte man darauf achten, dass sich die Eltern kleine, realistische<br />

Ziele stecken und ihre Schritte so wählen, dass Erfolge möglich werden (nach Biene,<br />

unveröffentlichtes Manuskript).<br />

Hat eine Fachkraft die Fähigkeit, ordnend o<strong>der</strong> strukturierend einzugreifen und „die<br />

Ärmel hochzukrempeln“, o<strong>der</strong> die Tendenz, Ausfälle <strong>der</strong> Eltern zu kompensieren und<br />

etwas Gutes für die Kin<strong>der</strong> zu tun, sollte sie beson<strong>der</strong>s sensibel darauf achten, diese<br />

beiden Gefahren zu umgehen.<br />

Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, auf welche<br />

Unterstützungsmöglichkeiten des sozialen Umfeldes die Familie zurückgreifen<br />

kann. Hierzu gehören Verwandte und Bekannte ebenso wie kommunale Angebote, in<br />

denen die Familie Kontakte knüpfen, Freizeitangebote wahrnehmen und „Hilfe zur<br />

Selbsthilfe“ erhalten kann. 15 Der Familie den Weg zu diesen Angeboten zu weisen,<br />

stellt eine wertvolle Integrationshilfe für sie dar, durch die sich die Fachkraft selbst<br />

entlasten und die Erfolge <strong>der</strong> Arbeit dauerhaft verankern kann.<br />

Ebene 2: Unterstützung be<strong>im</strong> Eingehen auf die Bedürfnisse und Gefühle <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong><br />

Immer wird es <strong>im</strong> Rahmen von Hilfen zur Erziehung darum gehen, die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu för<strong>der</strong>n. Neben <strong>der</strong> Bewältigung äußerer Lebensbedingungen müssen<br />

die Eltern lernen zu sehen, was ihre Kin<strong>der</strong> von ihnen brauchen.<br />

In manchen Fällen wird es zunächst darum gehen, die physischen und emotionalen<br />

Grundbedürfnisse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu sichern, wie regelmäßiges Essen und Trinken, die<br />

hygienische Versorgung, ausreichen<strong>der</strong> Schlaf und Bewegung und die nötige<br />

Ansprache. Gerade bei kleinen Kin<strong>der</strong>n, insbeson<strong>der</strong>e Säuglingen kann es sehr<br />

schnell lebensbedrohliche Auswirkungen haben, wenn dies nicht gewährleistet ist.<br />

Wenn man sich hier nicht sicher sein kann, müssen Kontaktabbrüche seitens <strong>der</strong><br />

Klienten dem Jugendamt <strong>im</strong>mer umgehend gemeldet werden. Auch eine Diagnostik<br />

durch den sozialmedizinischen Dienst, ein sozialpädiatrisches Zentrum o<strong>der</strong> den<br />

Kin<strong>der</strong>arzt kann angezeigt sein, wenn es darum geht, Entwicklungsverzögerungen<br />

15 s. Ressourcenfragebogen <strong>der</strong> INTEGRA (<strong>im</strong> Anhang), und Rothe, M. (2000).


<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> rechtzeitig zu erkennen und För<strong>der</strong>maßnahmen einzuleiten. Es ist<br />

bekannt, dass gerade Vernachlässigungen <strong>im</strong> frühen Kindesalter zu gravierenden<br />

Beeinträchtigungen <strong>der</strong> weiteren Entwicklung führen (z.B. <strong>im</strong> Sprachbereich).<br />

In weniger dramatischen Fällen schaffen es die Eltern oft erstaunlich gut, ihre Kin<strong>der</strong><br />

- was ein gepflegtes Äußeres und die Grundbedürfnisse angeht - zu versorgen. Das<br />

ist <strong>mit</strong> ein Grund, weshalb diese Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Schule oft über Jahre nicht auffallen.<br />

Die emotionale Unterversorgung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ist aber fast <strong>im</strong>mer erheblich - eine<br />

Größe, die langfristig genauso schl<strong>im</strong>me Auswirkungen hat, aber sehr viel<br />

schwieriger anzugehen ist. Dies beruht auf einer mangelnden Sensibilität für die<br />

Kin<strong>der</strong>. Diese muss oft erst (wie<strong>der</strong>) aufgebaut werden: Die Eltern sind meistens so<br />

<strong>mit</strong> sich und ihren Problemen beschäftigt, dass sie gar keinen Blick mehr für die<br />

eigentlichen kindlichen Gefühle und Bedürfnisse haben. Oftmals haben die Eltern<br />

zwar eine enge Bindung an das Kind, bei näherem Hinsehen entsteht aber <strong>mit</strong>unter<br />

<strong>der</strong> Eindruck, dass die Kin<strong>der</strong> eher für die Bedürfnisse ihrer Eltern da sind als<br />

umgekehrt.<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Fachkraft ist es hier, die Eltern darin zu unterstützen, sich in die<br />

Perspektive <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> einzufühlen. Da<strong>mit</strong> die angestrebten Verän<strong>der</strong>ungen nicht<br />

die Ziele <strong>der</strong> Helfer bleiben, son<strong>der</strong>n wirklich von den Eltern <strong>mit</strong> Engagement verfolgt<br />

werden, ist es nötig, dass sie ein Gefühl dafür bekommen, was ihre Kin<strong>der</strong> brauchen.<br />

Dies lässt sich nicht erreichen, indem man es ihnen sagt, son<strong>der</strong>n sie brauchen die<br />

eigene Erfahrung, die Kin<strong>der</strong> selbst wahrzunehmen. Der hierzu nötige<br />

Perspektivenwechsel kann regelrecht geübt werden:<br />

„Wenn Sie ihr Kind jetzt betrachten, was sehen Sie? Was glauben sie, geht in ihrem<br />

Kind vor? Wie mag es sich fühlen, was könnte es sich jetzt von Ihnen wünschen? -<br />

Wie, glauben Sie, wirkt das, was Sie sagen/tun auf ihr Kind? Was ver<strong>mit</strong>telt Ihnen<br />

diesen Eindruck?“<br />

Auf <strong>der</strong> konkreten Handlungsebene kann dies zum Beispiel bedeuten, sich mehr<br />

<strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n zu beschäftigen und ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen:<br />

Ihnen zuzuhören, sie bei best<strong>im</strong>mten Aufgaben o<strong>der</strong> Schwierigkeiten zu<br />

unterstützen, etwas <strong>mit</strong> ihnen zu unternehmen o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> ihnen zu spielen. Die Eltern<br />

brauchen oft Anregungen, wie sie dies tun können. Werden hier neue Schritte<br />

entwickelt, ist <strong>der</strong>en gemeinsame Reflektion und ein differenziertes Feed-back durch<br />

den Helfer wichtig. 16<br />

Dabei sind sowohl die Gefühle <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu beachten als auch die <strong>der</strong> Eltern. In<br />

den meisten <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen ist das Wahrnehmen und <strong>der</strong> adäquate<br />

Ausdruck von Gefühlen eine große Schwierigkeit. Die Eltern dürften daher die<br />

Unterstützung des Beraters brauchen, um einen Zugang zu ihren vielfältigen, oft<br />

ambivalenten Gefühlen zu bekommen. Auch in <strong>der</strong> Interaktion <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n stellt<br />

es für die Eltern ein Lernfeld dar, eigene Grenzen wahrzunehmen und den Kin<strong>der</strong>n<br />

gegenüber angemessen zu ver<strong>mit</strong>teln. Im Umgang <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n brauchen die<br />

16 Hier stellte übrigens eine Kombination von SPFH und Video-Home-Training (VHT) in einigen Fällen<br />

eine sehr wirksame Hilfeform dar: Die Umsetzung in <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>hilfe entwickelter Ziele und Schritte<br />

kann durch die Begleitung <strong>mit</strong> VHT positiv unterstützt werden. Gerade die ausschließlich<br />

erfolgsbezogenen Rückmeldungen anhand kurzer Videosequenzen helfen den Eltern, ihre<br />

Fähigkeiten wahrzunehmen und positive Interaktionssequenzen weiter auszubauen.<br />

49


Eltern <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Hinweise, wie sie für die Gefühlswelt ihrer Kin<strong>der</strong> da sein<br />

können. 17<br />

Gibt es eine schwierige Beziehung zwischen dem Kind und einem Elternteil,<br />

beruht dies oft darauf, dass das Kind ihn an etwas erinnert, was schwierig<br />

anzunehmen ist: Dies kann entwe<strong>der</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Beziehung zu dem an<strong>der</strong>en Elternteil<br />

zu tun haben, o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> einem Teil <strong>der</strong> eigenen Geschichte und Persönlichkeit.<br />

Gerade Eltern <strong>mit</strong> Alkoholproblemen haben oft sehr schwierige eigene<br />

Kindheitserfahrungen, die dadurch reaktiviert werden, dass sie sich selbst <strong>im</strong> Kind<br />

wie<strong>der</strong>erkennen. Indem die Eltern nun das Kind ablehnen, o<strong>der</strong> sich nicht auf seine<br />

Gefühlswelt einlassen, hoffen sie diese Erinnerungen abwehren zu können. Die<br />

verschleiernde Wirkung des Alkohols kann dabei ebenfalls hilfreich sein.<br />

Bei einer vertrauensvollen und tragfähigen Arbeitsbeziehung können Fragen gestellt<br />

werden wie: „Wenn es für sie so schwierig wird <strong>mit</strong> Max, was fühlen Sie dann? Wie<br />

erleben Sie Max dann? Fühlen Sie sich dann durch ihn an etwas (jemanden)<br />

erinnert? - Wo sehen sie sich selbst in dem Kind? Wie haben sie sich damals<br />

gefühlt?“ Dadurch kann diese verdrängte Ebene bewusst gemacht werden. Wichtig<br />

ist es dann aber, dabei nicht dabei stehen zu bleiben, son<strong>der</strong>n zusammen <strong>mit</strong> den<br />

Eltern einen Schritt über das Schwierige hinaus zu gehen: „Was hätten Sie sich<br />

damals gewünscht? Was braucht Ihr Kind heute von Ihnen?“<br />

Eine häufige Lernaufgabe für viele Eltern ist es, den Kin<strong>der</strong>n Grenzen zu setzen und<br />

Orientierung zu geben. Der Berater kann die Eltern dann darin unterstützen,<br />

angemessene Regeln zu entwickeln und klare Grenzen zu setzen. Viele Eltern<br />

haben diese Erfahrung selbst nicht in ausreichen<strong>der</strong> Weise gehabt, so dass es für<br />

sie einen psychischen Kraftakt bedeutet, in diese Rolle zu gehen.<br />

In vielen Konstellationen ist es lei<strong>der</strong> auch ein wichtiges Thema, insbeson<strong>der</strong>e <strong>mit</strong><br />

den Müttern daran zu arbeiten, wie sie ihre Kin<strong>der</strong> vor sexuellen o<strong>der</strong> gewalttätigen<br />

Übergriffen schützen können. Nicht <strong>im</strong>mer liegt eine eindeutige Gefährdung vor, so<br />

dass es hier darum geht, die Eltern für die Signale <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu sensibilisieren. Für<br />

das zuständige Elternteil bedeutet dies, eine klare Position für das Kind<br />

einzunehmen, und sich potentiellen Bedrohern gegenüber stark zu machen. Sollte<br />

sich ein konkreter Verdacht aufdrängen, gilt es in gut abgest<strong>im</strong>mter Kooperation <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> zuständigen ASD-Mitarbeiterin ein Handlungskonzept zu entwickeln - welches<br />

möglichst auch den Eltern gegenüber transparent gemacht werden sollte.<br />

17 Literaturhinweis: Solter, A.J. (1994): Wüten, toben, traurig sein - Starke Gefühle bei Kin<strong>der</strong>n<br />

50


Fallbeispiel:<br />

Eine alleinerziehende Mutter <strong>mit</strong> Alkoholproblemen wurde von einer SPFH betreut.<br />

Zwei ihrer Kin<strong>der</strong> leben bei ihr, ihre älteste Tochter (8J.) aber bei den Großeltern<br />

mütterlicherseits. Der Großvater trinkt und war schon früher gegenüber seiner Frau<br />

und <strong>der</strong> Mutter gewalttätig gewesen und hatte die Mutter als Kind sexuell<br />

missbraucht. Auch heute noch hat die Mutter eine Abhängigkeitsbeziehung ihm. Der<br />

Kindsvater, ebenfalls Alkoholiker, hatte diesen Mann nun angezeigt, weil er die<br />

Kindsmutter in ihrer Kindheit missbraucht habe. Infolge <strong>der</strong> Anzeige dementierte aber<br />

die Mutter einen früheren Missbrauch und nahm zahlreiche Geschenke von ihrem<br />

Vater an.<br />

In <strong>der</strong> Fallberatung <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>helferin brachte diese ein zunehmendes<br />

Unbehagen zum Ausdruck, da sie den Verdacht hatte, die heute 8-jährige Tochter<br />

sei nicht ausreichend vor sexuellen Übergriffen durch den Großvater geschützt. Die<br />

Großeltern leben in einem an<strong>der</strong>en Landkreis, wodurch eine direkte Einflußnahme<br />

weiter erschwert wurde. In einem Brief hat die <strong>Familien</strong>helferin dann dem Jugendamt<br />

ihre Sorge <strong>mit</strong>geteilt. Eine Kopie des Briefes gab sie <strong>der</strong> Mutter. Die Mutter hat<br />

daraufhin überstürzt sämtliche Brücken abgebrochen: Sie kündigte ihre Arbeitsstelle,<br />

brach den Kontakt zur <strong>Familien</strong>helferin ab und zog <strong>mit</strong>samt ihren Kin<strong>der</strong>n zu den<br />

Eltern.<br />

Nach ca. einem halben Jahr meldete sie sich wie<strong>der</strong> be<strong>im</strong> hiesigen Jugendamt.<br />

Inzwischen hatte sie nach einer neuerlichen sexuellen Nötigung durch ihren Vater bei<br />

<strong>der</strong> Polizei alles über den sexuellen Missbrauch ausgesagt und einige Zeit in einem<br />

Frauenhaus gelebt. Ihre Arbeitsstelle hatte sie wie<strong>der</strong> aufgenommen.<br />

Lei<strong>der</strong> hat sie kurz darauf ihre eigene Anzeige nochmals wi<strong>der</strong>rufen, und das Kind<br />

lebt <strong>im</strong>mer noch bei den Großeltern, obwohl man weiterhin von einer Gefährdung<br />

ausgehen muss. Auch wenn die Mutter sich noch nicht in <strong>der</strong> Lage sieht, ihre eigene<br />

Abhängigkeit von dem Vater aufzulösen und die Tochter zu sich zu nehmen, ist hier<br />

dennoch etwas in Bewegung gekommen: Dass die Mutter auf das Schreiben <strong>der</strong><br />

<strong>Familien</strong>helferin hin <strong>mit</strong> ihren an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n zu den Großeltern zog, kann auch so<br />

gedeutet werden, dass sie vor Ort sein wollte, um auf ihre Tochter aufzupassen. Ihr<br />

eigener Missbrauch ist nunmehr ein offenes Thema geworden, ebenso wie die<br />

Gefährdung ihrer Tochter. Da<strong>mit</strong> ist ein Prozess angestoßen, dessen Ausgang bis<br />

jetzt sicher nicht zufriedenstellend ist, in seiner weiteren Entwicklung aber noch<br />

offen.<br />

Ebene 3: Unterstützung bei <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung von Verhaltens- und<br />

Beziehungsmustern<br />

Wie das obige Fallbeispiel zeigt, macht die Erreichung konkret auf die Kin<strong>der</strong><br />

bezogener Ziele nicht <strong>im</strong>mer, aber oft genug weitreichende Verän<strong>der</strong>ungen<br />

grundlegen<strong>der</strong> Verhaltens- und Beziehungsmuster nötig. Dies kann eine tiefgreifende<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> <strong>der</strong> eigenen Lebensgeschichte bedeuten, die einer<br />

geeigneten fachlichen Unterstützung bedarf, die die Kompetenzen einer<br />

Sozialpädagogischen <strong>Familien</strong>hilfe meist überschreiten wird.<br />

In dem o.g. Fallbeispiel bezog sich <strong>der</strong> Auftrag für die SPFH auf die<br />

Verhaltensauffälligkeiten eines <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Fragen <strong>der</strong> Umgangsregelung <strong>mit</strong><br />

dem Kindsvater. Oftmals ist es aber in <strong>der</strong> Praxis nicht möglich, in enger Begrenzung<br />

auf den anfänglichen genannten Auftrag zu arbeiten. In <strong>der</strong> näheren Arbeit <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Familie werden teilweise Zusammenhänge deutlich, die einer Klärung bedürfen, nicht<br />

51


zuletzt um in bezug auf den ursprünglichen Auftrag voran zu kommen. Wie das<br />

Beispiel ebenfalls zeigt, brauchen diese Prozesse oftmals einen langen Atem und<br />

haben keine eind<strong>im</strong>ensionale Vorwärtsbewegung. Vielmehr gilt es für die Fachkräfte,<br />

das Auf und Ab, Vorwärts und Rückwärts dieser Fallverläufe auszuhalten, und<br />

gegebenenfalls Sorge für das Wohl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu tragen.<br />

Wie auch in Kap.1 beschrieben, verdeckt das Symptom des Trinkens häufig eine<br />

Reihe ausgesprochen schwieriger familiärer Zusammenhänge. Zudem stellt es einen<br />

innerpsychischen Regulationsmechanismus dar, durch den traumatische<br />

Erfahrungen betäubt, Selbstwertprobleme, Depressionen o<strong>der</strong> Aggressionen<br />

verdrängt und Auseinan<strong>der</strong>setzungen gemieden werden können. Letztlich ist das<br />

Trinken also ein dysfunktionales Muster <strong>der</strong> Problembewältigung. Machen die<br />

Erfor<strong>der</strong>nisse in Bezug auf die Kin<strong>der</strong> Verhaltensän<strong>der</strong>ungen nötig, die auch eine<br />

Abkehr vom Trinkmuster erfor<strong>der</strong>n, müssen auch die hier<strong>mit</strong> zusammenhängenden<br />

Vermeidungsstrategien bearbeitet und neue Muster entwickelt werden.<br />

Wenn es <strong>im</strong> Verlauf z.B. einer <strong>Familien</strong>hilfe gelingt, den Klienten an diesem Punkt<br />

<strong>der</strong> Erkenntnis zu führen, sollte <strong>der</strong> eigene Einfluss dahingehend genutzt werden,<br />

eine weiterführende therapeutische Unterstützung anzuregen und den Weg zu<br />

geeigneten Hilfen zu weisen. Das sollte in erster Linie eine<br />

Alkoholentwöhnungstherapie sein (� Ver<strong>mit</strong>tlung in die Suchtberatungsstelle). Unter<br />

best<strong>im</strong>mten Umständen kann diese Arbeit auch eine therapeutisch orientierte Hilfe<br />

zur Erziehung leisten (EFB) - <strong>der</strong>en Fokus jedoch in erster Linie die Stärkung <strong>der</strong><br />

elterlichen Erziehungskompetenz sein wird. Diesen Prozess des „Umlernens“ zu<br />

begleiten kann auch eine gemeinsame Aufgabe von Suchtkrankenhilfe und<br />

Erziehungsberatung sein, die gegebenenfalls zeitversetzt erfolgen kann. Da<strong>mit</strong> die<br />

Ver<strong>mit</strong>tlung in weiterführende Hilfen gelingt, können gegenseitige Konsultationen und<br />

Fallberatungen hilfreich sein. Die meisten Suchtberatungsstellen werden sicher<br />

gerne bereit sein, zusammen <strong>mit</strong> einer Fachkraft <strong>der</strong> Jugendhilfe darüber<br />

nachzudenken, wie es am besten gelingen kann, den Betroffenen auf die<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Suchthilfe hinzuweisen. Ein solcher fachlicher Austausch kann<br />

auch anonym geschehen.<br />

4.1.4. Elternarbeit bei Fremdunterbringung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

Wenn es zu einer Fremdunterbringung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> kommt, wird den Eltern häufig<br />

<strong>der</strong>en Rückkehr in Aussicht gestellt wird, sofern sie sich hinreichend dafür<br />

engagieren. Häufig brechen die Eltern aber kurz nach <strong>der</strong> Unterbringung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

den Kontakt ab und rutschen vollends in die Sucht ab. Dies kann man so werten,<br />

dass sie bereits eine Entscheidung gegen die Kin<strong>der</strong> getroffen haben. Will man <strong>der</strong><br />

Rückkehr aber eine realistische Chance geben, ist es wichtig, den Eltern<br />

• klare Kriterien an die Hand zu geben, anhand <strong>der</strong>er die Möglichkeit zur Rückkehr<br />

bewertet wird (Ziele, Schritte, Zeitvorgaben) und<br />

• fachkundige Unterstützung zur Umsetzung dieser Schritte zu gewähren.<br />

Bei den Kriterien ist abzuwägen, dass diese nur dann eine Chance zur Umsetzung<br />

haben, wenn sie in Übereinst<strong>im</strong>mung <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Motivation und den Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Eltern stehen und <strong>mit</strong> diesen zusammen entwickelt wurden. Hier kann die<br />

Erarbeitung eines „Stufenplans“ (abgestufte Ziele) sinnvoll sein. Dann allerdings<br />

52


sollen sie als verbindliche Vereinbarung betrachtet werden, die nicht je nach<br />

Tagesform von den Eltern außer Kraft gesetzt werden kann. An<strong>der</strong>erseits ist zu<br />

bedenken, ob evtl. Vorgaben gemacht werden müssen, z.B. <strong>der</strong> regelmäßige Besuch<br />

einer Suchtberatungsstelle, Beschaffung neuen Wohnraums o.ä.. Bei <strong>der</strong> Bewertung<br />

<strong>der</strong> Chancen und <strong>der</strong> zeitlichen Planung einer möglichen Rückkehr ist es auch<br />

wichtig, das Zeitempfinden <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu berücksichtigen. Insbeson<strong>der</strong>e für kleinere<br />

Kin<strong>der</strong> können wie<strong>der</strong>holte Kontaktabbrüche und längere „Zwischenlösungen“<br />

gravierende Auswirkungen haben.<br />

Sinnvolle Ziele für die Eltern können z.B. sein:<br />

• regelmäßiger Besuch <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

• Erlernen o<strong>der</strong> Beibehalten best<strong>im</strong>mter alltagsnaher Beschäftigungen <strong>mit</strong> den<br />

Kin<strong>der</strong>n (z.B. ein Buch lesen, spazieren gehen, sich unterhalten, etwas spielen)<br />

• Übernahme von Verantwortlichkeiten o<strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bei<br />

best<strong>im</strong>mten Aufgaben (z.B. Hausaufgaben, füttern, wickeln o<strong>der</strong> ins Bett bringen<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, Begleitung bei täglichen Wegen, Arztbesuchen)<br />

• klare Regeln <strong>im</strong> Umgang <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n zu entwickeln, lernen, sich<br />

durchzusetzen.<br />

Für beide Seiten ist es hilfreich, wenn diese Ziele an ein möglichst alltägliches Leben<br />

anknüpfen und dabei helfen, die Beziehung zwischen Eltern und Kind aufrecht zu<br />

erhalten und zu för<strong>der</strong>n. Völlig unrealistisch dagegen ist es, wenn die Eltern die<br />

Kin<strong>der</strong> gelegentlich abholen, um dann einen tollen Ausflug <strong>mit</strong> ihnen zu machen,<br />

o<strong>der</strong> ihnen jedes Mal Geschenke <strong>mit</strong>bringen. Dies ist eher Ausdruck ihres schlechten<br />

Gewissens. Diese Gewissensbisse sind dann so belastend und lähmend für beide,<br />

dass sich die Eltern schnell wie<strong>der</strong> zurückziehen.<br />

Zur Umsetzung dieser Ziele brauchen die Eltern in <strong>der</strong> Regel Unterstützung und<br />

jemanden, <strong>mit</strong> dem sie die dabei gemachten Erfahrungen auswerten können. Dies zu<br />

leisten, kann nur bedingt Aufgabe von Erziehern in <strong>der</strong> He<strong>im</strong>gruppe o<strong>der</strong> Pflegeeltern<br />

sein. Es ist hervorragend, wenn die Eltern von den Fachkräften vor Ort dabei<br />

begleitet werden können, diese Ziele umzusetzen. Oft sprengt dies aber den<br />

Rahmen <strong>der</strong> Möglichkeiten. Darüber hinaus kann es wichtig sein, auftauchende<br />

Schuldgefühle o<strong>der</strong> Ambivalenzen in bezug auf eine Rückkehr <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> den<br />

Eltern zu bearbeiten. Dies Arbeit können diese Fachkräfte aufgrund ihrer<br />

Qualifikation aber meist nicht leisten, es entspräche zudem nicht ihrem Auftrag und<br />

brächte sie in einen Rollenkonflikt. Sinnvoll ist es deshalb, bei gegebener Motivation<br />

<strong>der</strong> Eltern kurzfristig in eine parallele Hilfe zu investieren, die diesen Prozess<br />

begleiten kann (z.B. eine entsprechend qualifizierte SPFH, AFT o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

spezielle Angebote, die eine solche Kooperation <strong>mit</strong> ASD, Einrichtung und <strong>der</strong><br />

Familie leisten können) - übrigens auch eine Vorgabe des KJHG (§37), die aber oft<br />

nicht umgesetzt wird.<br />

Natürlich ist es in vielen Fällen auch angezeigt, dass die Eltern eine<br />

Alkoholentwöhnungsbehandlung (o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Therapie) durchführen. Auch hier<br />

sollten Hilfestellungen gegeben werden, indem man einen ersten Kontakt zur<br />

Suchtberatungsstelle unterstützt o<strong>der</strong> ver<strong>mit</strong>telt. Wenn diese Bereitschaft besteht, ist<br />

es wichtig dafür zu sorgen, das währenddessen <strong>der</strong> Kontakt zu den Kin<strong>der</strong>n nicht<br />

abbricht.<br />

Bei allen Hilfen sollte<br />

53


• sorgfältig ausgehandelt werden, wer welche Aufgaben hat<br />

• <strong>mit</strong> möglichst großer Transparenz gearbeitet werden<br />

• und die Reflektion aktueller Entwicklungen in kurzen Zeitabständen erfolgen.<br />

4.2. <strong>Arbeiten</strong> <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n<br />

Wie in Kapitel 1.2. bereits ausgeführt, hat die elterliche Alkoholabhängigkeit<br />

weitreichende Folgen für die psychische Entwicklung. Für die Kin<strong>der</strong> aus <strong>Familien</strong><br />

<strong>mit</strong> Suchtproblemen sind in <strong>der</strong> Literatur charakteristische<br />

• Rollen und Verhaltensmuster und<br />

• familiäre Regeln und Glaubenssätze beschrieben worden 18 .<br />

Beides prägt das Selbstbild und die Persönlichkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bis ins hohe<br />

Erwachsenenalter 19 . Davon berührt sind das Selbstwertgefühl,<br />

Problembewältigungsmuster, die Berufs- und Partnerwahl und nicht zuletzt die<br />

Organisation eigener <strong>Familien</strong>beziehungen - was oft zu einer Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong><br />

Suchtstrukturen über Generationen hinweg führt. Aufgezeigt werden sollen hier<br />

pädagogische und therapeutische Ansatzmöglichkeiten, die den Kin<strong>der</strong>n helfen, sich<br />

aus einengenden o<strong>der</strong> destruktiven Vorgaben zu lösen und ihre Kompetenzen und<br />

Ressourcen frei zu entfalten.<br />

4.2.1. Wie kann man die spezifischen Schwierigkeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> pädagogisch<br />

aufgreifen?<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Aufgabe <strong>im</strong> Umgang <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n ist es, ihnen wie<strong>der</strong> einen<br />

Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zu ver<strong>mit</strong>teln. Infolge des<br />

angespannten und emotional unsicheren <strong>Familien</strong>kl<strong>im</strong>as haben viele Kin<strong>der</strong> ihre<br />

Gefühle stark kontrolliert: Sie unterdrücken ihre Sehnsüchte, Ängste und<br />

Schwächen, aber auch Aggressionen und Abgrenzungs<strong>im</strong>pulse. Für die Kin<strong>der</strong> gab<br />

es nicht den Raum, eigene Bedürfnisse einzufor<strong>der</strong>n. Vielmehr galt eine<br />

unausgesprochene Regel, die eigenen Bedürfnisse in Anbetracht <strong>der</strong> Not, in <strong>der</strong> sich<br />

die Familie befand, hinten anzustellen. Kin<strong>der</strong> aus Suchtfamilien müssen es deshalb<br />

<strong>mit</strong> Hilfe <strong>der</strong> Erwachsenen lernen, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu spüren<br />

und zum Ausdruck zu bringen.<br />

In vielen <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Suchtproblemen wird ein Loslassen von dieser allzu<br />

angestrengten Kontrolle über die eigenen Gefühle und den kontinuierlichen Verzicht<br />

auf eigene Bedürfnisse über das Sucht<strong>mit</strong>tel reguliert. In <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n<br />

geht es darum, dieser Gefahr vorzubeugen, indem sie Freiräume für spontane<br />

Gefühlsäußerungen bekommen und erleben, dass sie gemocht und aufgefangen<br />

werden, auch wenn sie sich „einfach einmal gehen lassen“. Gerade für Kin<strong>der</strong>, die<br />

sich aufgrund ihrer Rolle in <strong>der</strong> Familie sehr verantwortungsvoll und vernünftig<br />

18 zu Rollen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>: s. Wegschei<strong>der</strong>, Sh. (1989); Ehrenfried et al. (2000); Stich/Liebrecht in:<br />

Richelshagen, K. (1996), zu Glaubenssätze und Regeln: s. Schmidt. G. in Brakhoff (1987).<br />

19 siehe Winkelmann, A. (1990): Risikogruppe: Erwachsene Kin<strong>der</strong> von Alkoholikern.<br />

54


zeigen (insb. „<strong>der</strong> Held“), kann das Nachholen kindlicher Unbeschwertheit und die<br />

Möglichkeit, die eigene emotionale Bedürftigkeit zum Ausdruck zu bringen, eine<br />

wichtige Erfahrung sein. 20<br />

Wie <strong>im</strong>mer in <strong>der</strong> vorwiegend kindzentrierten Arbeit ist es eine Chance, zugleich aber<br />

auch eine Gefahr, dem Kind etwas zu bieten, was es bei den Eltern nicht findet und<br />

<strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Familie auch nicht leben kann. Wenn es nicht eine gute<br />

Rückkopplung und Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den Eltern gibt, kommt das Kind/den<br />

Jugendlichen in Loyalitätskonflikte, an denen die pädagogischen Bemühungen<br />

scheitern können. Es bedarf auch <strong>der</strong> inneren Einwilligung <strong>der</strong> Eltern, dass ihr Kind<br />

diese Entwicklungsschritte machen darf. Manchen Kin<strong>der</strong>n ist es möglich, die neuen<br />

Freiräume für sich zu integrieren und sie (evtl. auch erst später) zu nutzen. Für<br />

an<strong>der</strong>e bedeutet das einen Spagat, den sie psychisch nicht aushalten. Hier ist es die<br />

Verantwortung <strong>der</strong> Betreuer, sensibel auf die Zeichen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und ihrer Familie zu<br />

reagieren. Kommt das Kind/ <strong>der</strong> Jugendliche z.B. nur unregelmäßig in eine Gruppe,<br />

kann das ein Signal sein, in einen neuerlichen Klärungsprozess <strong>mit</strong> den Eltern zu<br />

treten.<br />

Von beson<strong>der</strong>er Bedeutung ist auch <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Abgrenzung bzw. <strong>der</strong> Nähe-<br />

Distanz-Regulation. Für die Kin<strong>der</strong> ist es wichtig zu spüren, dass es in Ordnung ist,<br />

auch ihr Bedürfnis nach Abgrenzung und Alleinsein zu leben. Hierbei hin<strong>der</strong>lich ist<br />

<strong>der</strong> familiäre Glaubenssatz, dass alle <strong>im</strong>mer füreinan<strong>der</strong> da sein müssen und dass<br />

Nähe bedeutet, einan<strong>der</strong> <strong>im</strong>mer ganz nah zu sein.<br />

An<strong>der</strong>e Menschen erleben diese Kin<strong>der</strong> in ihrem Kontaktverhalten oft als grenzenlos.<br />

Dahinter steht zum einen die große emotionale Bedürftigkeit, zum an<strong>der</strong>en spiegelt<br />

sich hier aber auch eben dieser Glaubenssatz wi<strong>der</strong>. Für den Pädagogen ist es<br />

deshalb wichtig, gut auf seine eigene Grenzen und die <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> zu achten<br />

und diese dem betroffenen Kind gegenüber freundlich deutlich zu machen. Dadurch<br />

kann es lernen, das Gefühl für ein gutes Maß <strong>im</strong> Umgang <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen zu<br />

entwickeln und erfährt, dass Abgrenzung nicht gleichbedeutend ist <strong>mit</strong> Ablehnung.<br />

Auch durch die Unbeständigkeit o<strong>der</strong> Regellosigkeit, die das Erziehungsverhalten<br />

<strong>der</strong> Eltern oft best<strong>im</strong>mt, haben diese Kin<strong>der</strong> keine verlässlichen Grenzen, anhand<br />

<strong>der</strong>er sie sich orientieren können. Der pädagogische Alltag <strong>mit</strong> diesen Kin<strong>der</strong>n sollte<br />

daher ein Raum sein, indem es klare Grenzen gibt. Viele Kin<strong>der</strong> genießen dies und<br />

sind sehr wohl in <strong>der</strong> Lage zu begreifen, dass an unterschiedlichen Orten<br />

unterschiedliche Regeln gelten. Dort, wo eine zu große Verwirrung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu<br />

beobachten ist, wird es wichtig sein, <strong>mit</strong> den Eltern hierüber zu sprechen. 21<br />

Eine weitere wichtige Lernerfahrung für diese Kin<strong>der</strong> ist es, Konflikte offen und<br />

direkt auszutragen. In ihrer Familie gibt es oft keine angemessenen<br />

Konfliktlösungsstrategien. Die pädagogischen Bezugspersonen können den Kin<strong>der</strong>n<br />

ein Modell anbieten, indem ein angemessener Ausdruck von Wut und Aggressionen<br />

geför<strong>der</strong>t und sogar als Ressource begriffen werden kann: Nach einer Klärung<br />

20 Häufig wird nämlich genau dieses Erleben jahrelang o<strong>der</strong> gar ein Leben lang abgewehrt,<br />

beeinträchtigt die eigene Beziehungsfähigkeit und kann zu eigenen Suchtstrukturen und <strong>der</strong> späteren<br />

Parentifizierung eigener Kin<strong>der</strong> führen.<br />

21 Wenn dies in einer nicht-anklagenden Weise geschieht, birgt das Gespräch u.U. die Chance, dass<br />

die Eltern auch eigene Erziehungsschwierigkeiten thematisieren und zu gegebenem Zeitpunkt eine<br />

Ver<strong>mit</strong>tlung an an<strong>der</strong>e Unterstützungsangebote (z.B. EFB, SPFH) möglich wird.<br />

55


versteht man sich oft viel besser und ist sich unter Umständen sogar näher als<br />

vorher. Wie eine Studie gezeigt hat, stellt gerade die Fähigkeit, Probleme <strong>mit</strong><br />

rational-kommunikativen Mitteln zu lösen einen entscheidenden suchtpräventiven<br />

Faktor dar (Kampe & Lachnit, 1996).<br />

Die Verantwortung, welche die Kin<strong>der</strong> für die Abläufe in <strong>der</strong> Familie übernommen<br />

haben, ist <strong>der</strong>art weitreichend, dass es eine zentrale pädagogische o<strong>der</strong><br />

therapeutische Aufgabe ist, die Kin<strong>der</strong> hiervon zu entlasten. Viele Kin<strong>der</strong> haben<br />

versorgende Aufgaben in bezug auf ihre Geschwister, den Haushalt und ihre Eltern<br />

übernommen. Im Versuch, Entgleisungen des <strong>Familien</strong>lebens zu verhin<strong>der</strong>n, haben<br />

sie oft starke Kontrolltendenzen ausgeprägt, und dies nicht nur bezogen auf den<br />

Alkoholkonsum <strong>der</strong> Eltern, son<strong>der</strong>n auch in ihrer Zuständigkeit für viele an<strong>der</strong>e<br />

Aspekte des <strong>Familien</strong>lebens. Oft werden sie von ihren Eltern in <strong>der</strong>en Konflikte <strong>mit</strong><br />

einbezogen o<strong>der</strong> als Partnerersatz funktionalisiert. Sie fühlen sich für ihre Eltern,<br />

Geschwister und das Gelingen des <strong>Familien</strong>lebens verantwortlich. Mit diesem<br />

Übermaß an Verantwortung sind die Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong>mer überfor<strong>der</strong>t.<br />

Verbunden da<strong>mit</strong> sind auch Schuld- und Schamgefühle. Die Kin<strong>der</strong> leiden unter<br />

latenten Versagensgefühlen, Selbstwertproblemen und Depressionen. Trotz größter<br />

Anstrengungen kann es ihnen nicht gelingen, den Trinkenden zu „retten“ und für<br />

harmonische Abläufe in <strong>der</strong> Familie zu sorgen. Zudem haben sie nicht nur<br />

gegenüber dem trinkenden Elternteil, son<strong>der</strong>n auch für den Nicht-Trinkenden<br />

ambivalente Gefühle. Sie sind sehr verunsichert darüber, ob sie ihre Eltern lieben<br />

dürfen o<strong>der</strong> wegen des Trinkens ablehnen müssen.<br />

56<br />

„Manchmal weiß ich nicht: Ist mein Vater ein Guter o<strong>der</strong> ein<br />

Schlechter?“<br />

(John, 7 J., Sohn eines Alkoholikers)<br />

Mit in diesen Problemkreis fällt das Tabu, welches den Kin<strong>der</strong>n auferlegt ist, über<br />

das Alkoholproblem offen zu sprechen. Die Kin<strong>der</strong> können nicht begreifen, warum<br />

ihre Eltern trinken und sie darüber so vernachlässigen. Sie haben Angst, ihre Eltern<br />

zu verraten, wenn sie sich an<strong>der</strong>en anzuvertrauen und diese Fragen stellen. In <strong>der</strong><br />

Arbeit <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n ist es wichtig, die Kin<strong>der</strong> von dem Tabu zu befreien, und ihnen<br />

zu ermöglichen, ihre ambivalenten Gefühle gegenüber den Eltern, aber auch<br />

an<strong>der</strong>en Menschen zum Ausdruck zu bringen.<br />

Fallbeispiel:<br />

Nach einer ca. 2-jährigen, vorübergehend stabilisierend wirkenden SPFH sprach die<br />

Mutter wie<strong>der</strong> stark dem Alkohol zu und vernachlässigte ihre Kin<strong>der</strong> (8 J., 4 J.)<br />

<strong>der</strong>art, dass diese aus <strong>der</strong> Familie herausgenommen werden mussten. In <strong>der</strong><br />

He<strong>im</strong>gruppe, in <strong>der</strong> sie zunächst untergebracht wurden, war man geschockt, in welch<br />

hohem Maße die beiden Kin<strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong> bezogen waren und sich <strong>der</strong> ältere<br />

Junge für seine kleine Schwester verantwortlich fühlte. Die Schwester wirkte<br />

ängstlich und schamhaft und klammerte sich sehr an den Bru<strong>der</strong>. Der Junge schien<br />

reif und vernünftig und war gegenüber seiner Schwester sehr fürsorglich. Zu einem<br />

späteren Zeitpunkt wurde deutlich, wie sehr <strong>der</strong> Junge <strong>mit</strong> dieser Verantwortung<br />

überfor<strong>der</strong>t war und dass er auch aggressive Gefühle gegenüber seiner Schwester<br />

hatte.<br />

Beide Kin<strong>der</strong> fragten <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Mutter und waren verunsichert, wie sie<br />

sich zu dem Alkoholproblem und ihrer Mutter selbst stellen sollten.


Mit den Erziehern wurde ein Ansatz erarbeitet, <strong>der</strong> den Kin<strong>der</strong>n <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> sanfte<br />

Angebote macht, ihre vertrauten Rollen zu verlassen, ohne ihnen diese jedoch allzu<br />

schnell weg zu nehmen. Die Rollen und starke Bezogenheit <strong>der</strong> Geschwister wurden<br />

begriffen als eine Art Korsett, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> die Kin<strong>der</strong> ihr Überleben in <strong>der</strong> Familie<br />

gesichert haben und das ihnen ein vertrautes Identitätsgefühl gab. Es wurde<br />

vereinbart, die Geschwisterloyalität zu respektieren, die Verantwortlichkeit des<br />

Bru<strong>der</strong>s aber nicht noch zu verstärken. Stattdessen machten die Erzieher dem<br />

Mädchen alternative Beziehungsangebote. Die Tatsache, dass <strong>der</strong> Junge nach ca.<br />

einem halben Jahr gegen die starke emotionale Beanspruchung durch seine<br />

Schwester aufbegehrte, lässt sich in diesem Zusammenhang als ein guter<br />

Entwicklungsschritt für ihn sehen.<br />

4.2.2. Wie kann man <strong>mit</strong> Kin<strong>der</strong>n über das Alkoholproblem ihrer Eltern reden?<br />

In Bezug auf den Alkoholkonsum <strong>der</strong> Mutter wurde den Kin<strong>der</strong>n ver<strong>mit</strong>telt, dass sie<br />

offen hierüber sprechen dürfen, aber ihre Mutter deshalb nicht abwerten müssen.<br />

Den Kin<strong>der</strong>n wurde nicht mehr erklärt, dass die Mutter krank sei, da hierdurch das<br />

Gefühl ihrer Verantwortung und die Schutz<strong>im</strong>pulse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> eher verstärkt werden<br />

könnten. Stattdessen sagte man ihnen z.B. einfach, ihre Mutter sei heute nicht<br />

gekommen, da sie zu viel getrunken haben. Die Kin<strong>der</strong> kennen das ja gut, durften es<br />

aber nie benennen.<br />

Man kann Kin<strong>der</strong>n durchaus auch die eigene Ratlosigkeit in bezug auf die<br />

Alkoholabhängigkeit ihrer Eltern zumuten. Verbunden <strong>mit</strong> dem Krankheitsbegriff ist<br />

meist die Vorstellung, dass <strong>der</strong> Kranke „nichts dafür kann“. Dieses Verständnis geht<br />

da<strong>mit</strong> einher, dass man einen Kranken nicht für sein Verhalten verantwortlich<br />

machen kann, und folglich auch nicht auf ihn böse sein darf. Dies verbietet den<br />

Kin<strong>der</strong>n, ihre eigene Wut und Hilflosigkeit zu spüren. Für die Kin<strong>der</strong> ist es aber<br />

wichtig, ihre Enttäuschung und ihre ohnmächtige Wut wahrzunehmen, um sich von<br />

diesem Teil des Elternbildes distanzieren zu können. Die Kin<strong>der</strong> in diesen Gefühlen<br />

zu begleiten, kann eine wichtige pädagogisch-therapeutische Aufgabe sein.<br />

Man kann den Kin<strong>der</strong>n sagen, dass man die Gründe <strong>der</strong> Mutter auch nicht versteht,<br />

aber weiß, das es für viele Menschen sehr schwer ist, <strong>mit</strong> dem Trinken aufzuhören,<br />

wenn sie sich erst einmal zu sehr daran gewöhnt haben. Bei ihrer Mutter sei es so<br />

schl<strong>im</strong>m geworden, dass sie nicht mehr für ihre Kin<strong>der</strong> sorgen kann. Das bedeute<br />

aber nicht, dass die Mutter ihre Kin<strong>der</strong> nicht liebe. Man glaube sogar , dass sie sehr<br />

traurig ist, dass die Kin<strong>der</strong> nun nicht mehr bei ihr leben können - genau wie die<br />

Kin<strong>der</strong> selbst auch darüber traurig sind.<br />

Wichtig ist es, den Kin<strong>der</strong>n zu signalisieren, dass sie offen über das Alkoholproblem<br />

sprechen dürfen, aber dennoch ihre Eltern nicht abwerten müssen. Uns scheint es<br />

von großer Bedeutung, dass die Kin<strong>der</strong> ihre Liebe und Loyalität zu den Eltern<br />

bewahren, zugleich aber ein realistisches Bild von ihnen haben dürfen. Die Kin<strong>der</strong><br />

neigen dazu, ihre Eltern entwe<strong>der</strong> abzuwerten o<strong>der</strong> zu idealisieren. Ein solch<br />

verzerrtes Elternbild ist jedoch prägend für ihren weiteren Lebensweg.<br />

57


Es ist wichtig, die Loyalitätsbande <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu achten und sie nicht zusätzlich in<br />

Konflikt zu bringen, indem man sie z.B. dazu ermuntert, abwertend über ihre Eltern<br />

zu sprechen o<strong>der</strong> dies selber tut - auch wenn man angesichts <strong>der</strong> Nöte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

durchaus wütend auf die Eltern werden kann. Die Kin<strong>der</strong> spüren sehr genau, welche<br />

emotionale Reaktion wir gegenüber den Eltern haben. Ein häufiges Muster von<br />

Kin<strong>der</strong>n ist es, die Erzieher zu testen, ob auch sie sich verächtlich über die Eltern<br />

äußern - um dann aber innerlich klar auf die Seite <strong>der</strong> Eltern zu gehen. Besser ist es<br />

in solchen Situationen zu sagen: „Ich werde auch wütend, wenn Deine Mutter Dich<br />

nicht abholt und ich sehe, wie Dich das traurig macht.“ Das ist authentisch und macht<br />

es den Kin<strong>der</strong>n möglich, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen.<br />

Es ist sehr schwer, den Kin<strong>der</strong>n gegenüber eine Position einzunehmen, die es ihnen<br />

ermöglicht, die Eltern auch <strong>mit</strong> ihren positiven Seiten zu sehen und zu lieben. Die<br />

Kin<strong>der</strong> haben oft Erinnerungen an schöne Zeiten und liebenswerte Seiten <strong>der</strong> Eltern,<br />

die für ihr weiteres Leben eine wichtige Kraftquelle darstellen. Wichtig ist es hier, die<br />

eigenen Gefühle <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zu reflektieren, um sie nicht auf die Kin<strong>der</strong> zu<br />

übertragen. Deshalb ist es wichtig, dass die Fachkräfte über Beratung und<br />

Supervision ausreichend Möglichkeiten zur eigenen Klärung und Distanzierung<br />

haben.<br />

Zu guter Letzt soll betont werden, dass bei allem Leid, das die Kin<strong>der</strong> durch und <strong>mit</strong><br />

ihren Eltern erlebt haben, sie dieses nicht nur erlitten, son<strong>der</strong>n auch getragen haben.<br />

Häufig sind den Kin<strong>der</strong>n hieraus beson<strong>der</strong>e Stärken und Fähigkeiten erwachsen.<br />

Es ist von großem Wert, diese Qualitäten wahrzunehmen und auch gegenüber den<br />

Kin<strong>der</strong>n/Jugendlichen in einen Zusammenhang <strong>mit</strong> ihrer Lebensgeschichte zu<br />

stellen. Dadurch erhalten die Kin<strong>der</strong> ein Feed-back, dass es ihnen ermöglicht, ihre oft<br />

schwere Geschichte auch positiv zu bewerten.<br />

4.2.3. Welche pädagogischen o<strong>der</strong> therapeutischen Angebote kann man den<br />

Kin<strong>der</strong>n machen?<br />

Der Schwerpunkt des Modellprojektes lag auf <strong>der</strong> Begleitung und Qualifizierung<br />

bereits etablierter Hilfen zur Erziehung, vorwiegend <strong>im</strong> ambulanten Bereich. In<br />

diesem Rahmen konnten die <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n alkoholabhängiger Eltern gesammelten<br />

Erfahrungen ausgewertet werden. In vielen Zusammenhängen <strong>der</strong> Jugendhilfe ist<br />

eine Klientel <strong>mit</strong> Suchthintergrund anzutreffen, für die es aber so gut wie keine<br />

spezialisierten Angebote gibt. Unser Interesse bezog sich deshalb darauf, inwieweit<br />

bekannte und vielerorts bereits vorhandene Angebote <strong>der</strong> Jugendhilfe und<br />

Jugendarbeit für diese Zielgruppe hilfreich sind bzw. nutzbar gemacht werden<br />

können.<br />

Die Initiative Jugendarbeitslosigkeit Neuruppin e.V. (IJN) als Projektträger hat <strong>im</strong><br />

Rahmen ihrer Jugendhilfearbeit verschiedene Angebote für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche:<br />

• zwei Treffpunkte offener Jugendarbeit<br />

• themenbezogene Projekte, z.T. unter Einsatz kreativer Methoden (z.B.<br />

Theaterworkshop, Malworkshop, Trommelworkshop)<br />

• Soziale Gruppenarbeit nach §29 (in Kooperation <strong>mit</strong> dem Jugendhilfeträger<br />

Outlaw gGmbH)<br />

• Erziehungsbeistandschaft und SPFH.<br />

58


In diesen Zusammenhängen werden oft auch Kin<strong>der</strong> alkoholabhängiger Eltern<br />

betreut. Die Erfahrungen zeigen, dass es für diese Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen möglich<br />

ist, in vielfacher Weise von regulären Angeboten <strong>der</strong> Jugendhilfe zu profitieren.<br />

Gruppenangebote können für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche aus <strong>alkoholbelasteten</strong><br />

<strong>Familien</strong> eine wertvolle Unterstützung sein, um positive Rückmeldungen über ihre<br />

individuellen Ressourcen zu bekommen, soziale Kompetenzen zu trainieren und<br />

neue Kontakte zu knüpfen. Hier ist es sehr von Vorteil, wenn die Betreuer Kenntnisse<br />

über die familiär bedingten Rollen (nach Wegschei<strong>der</strong>, 1988: Der Held, das schwarze<br />

Schaf, das verlorene Kind, das Maskottchen) und spezifischen Probleme von<br />

Kin<strong>der</strong>n aus Suchtfamilien haben. So können sie brachliegende Qualitäten gezielt<br />

för<strong>der</strong>n und es vermeiden, die Kin<strong>der</strong>/Jugendlichen ungewollt in ihren Mustern zu<br />

bestätigen (s. auch Ehrenfried et al., 2000).<br />

Sehr aufschlussreich waren für uns die Ergebnisse projektbezogener Aktivitäten:<br />

Projekte haben einen Anfang und ein Ende, dazwischen gibt es eine Phase oft<br />

intensiver Prozesse. Gerade die Endlichkeit von Projekten scheint beson<strong>der</strong>e<br />

Chancen zu bergen: Gemeinsam wird ein Ziel entwickelt, für das die individuellen<br />

Ressourcen <strong>der</strong> einzelnen gebraucht werden. Der begrenzte Zeitraum ermöglicht es,<br />

sich auf Gruppenprozesse einzulassen und <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> ein Stück Weg zu gehen,<br />

aber auch Auseinan<strong>der</strong>setzungen zu führen. Nach z.T. sehr chaotischen Prozessen<br />

in den Arbeitsphasen, die mehr als einmal eine Beendigung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

nahelegten, war es bemerkenswert, welche gesammelte Leistung bei den<br />

Aufführungen bzw. Ausstellungen von den Jugendlichen präsentiert wurde. In diesen<br />

Ergebnissen kristallisiert sich ein Wachstumsprozess, <strong>der</strong> den Jugendlichen - oft vor<br />

den Augen ihrer stolzen Eltern - ein positives Feed-back über ihre Ressourcen gibt.<br />

Sind die Projekte in einen kontinuierlichen Gruppenprozess eingebettet, lassen sich<br />

in <strong>der</strong> darauf folgende Phase typische “Hänger“ und „ Rückfälle“ beobachten. Diese<br />

wie<strong>der</strong>um können durch die pädagogische Begleitung als eine notwendige Erfahrung<br />

von Leere und Neuorientierung reflektiert gemacht werden.<br />

In dem Theaterworkshop haben die Jugendlichen Szenen entwickelt, in die<br />

Erfahrungen aus ihrem häuslichen Alltag einflossen, u.a. wurden auch<br />

Alkoholprobleme <strong>der</strong> Eltern dargestellt. Der Schutz <strong>der</strong> Rolle machte es möglich, sich<br />

<strong>mit</strong> dieser Thematik auseinan<strong>der</strong> zu setzen, ohne sie direkt benennen zu müssen.<br />

Zudem konnten bei <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Szene verschiedene Lösungsansätze<br />

durchgespielt werden.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Einsatz kreativer Medien ermöglicht es den Heranwachsenden,<br />

neue Seiten und unbekannte Ressourcen in sich zu entdecken. Es werden Prozesse<br />

auf einer tieferen Ebene <strong>der</strong> Persönlichkeit angestoßen, die Worten nicht zugänglich<br />

sind. Oft können nur so best<strong>im</strong>mte Erfahrungen verarbeitet und zum Ausdruck<br />

gebracht werden. Für die begleitenden Fachkräfte ergibt sich oft ein neuer Zugang<br />

zu den Kin<strong>der</strong>n/Jugendlichen, wenn sie durch diese Prozesse hindurch begleiten.<br />

Für schulpflichtige Kin<strong>der</strong> haben sich Tagesgruppen als ein wichtiges<br />

Gruppenangebot herauskristallisiert. Die Kin<strong>der</strong> erfahren hier Entlastung von den<br />

anhaltenden Spannungen <strong>im</strong> Elternhaus und erhalten durch die pädagogische<br />

59


Betreuung wesentliche Entwicklungschancen. Auch hier sind kreative Angebote<br />

überaus wertvoll und tragen spielerisch zu einer Entfaltung <strong>der</strong> Persönlichkeit bei.<br />

Eine Erziehungsbeistandschaft kann insbeson<strong>der</strong>e dort angeraten erscheinen, wo<br />

ein dichterer För<strong>der</strong>bedarf gesehen wird und best<strong>im</strong>mte Entwicklungsschritte nur in<br />

engerer Betreuung erreicht werden können. Zudem birgt diese Arbeitsform die<br />

Chance (ähnlich wie u.U. auch die Tagesgruppe), durch begleitende Elterngespräche<br />

und <strong>Familien</strong>arbeit wichtige Anstöße auf <strong>der</strong> Elternebene zu geben.<br />

All diese Hilfen verfolgen Ziele, die sich zu einem großen Teil <strong>mit</strong> den Ansätzen <strong>der</strong><br />

suchtunspezifischen, pr<strong>im</strong>ären Prävention decken (vgl. Teil 1, Kap. 6.: Prävention).<br />

In <strong>der</strong> Literatur gibt es zahlreiche methodische Vorschläge zur Umsetzung pr<strong>im</strong>ärer<br />

Präventionsarbeit, die sich problemlos in das pädagogische <strong>Arbeiten</strong> integrieren<br />

lassen und eine interessante Bereicherung darstellen. 22 Auch durch entsprechende<br />

Fortbildungen ließe sich die Wirksamkeit <strong>der</strong> gängigen Hilfen gerade für Kin<strong>der</strong> aus<br />

Suchtfamilien noch weiter intensiven.<br />

Für manche Kin<strong>der</strong> und Jugendliche wird darüber hinaus ein therapeutischer<br />

Bedarf erkennbar, <strong>der</strong> oft nur in Abhängigkeit von <strong>der</strong> regionalen Angebotsstruktur<br />

umgesetzt werden kann. Hier kommen Einzel-, <strong>Familien</strong>- o<strong>der</strong> Gruppentherapie in<br />

Frage, angeboten z.B. über Erziehungs- und <strong>Familien</strong>beratungsstellen,<br />

nie<strong>der</strong>gelassene Therapeuten o<strong>der</strong> auch die Kin<strong>der</strong>- und Jugendpsychiatrie.<br />

Ein Arbeitskreis in Wittstock beschäftigt sich <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Idee, eine Gruppe speziell für<br />

Kin<strong>der</strong>/Jugendliche aus <strong>Familien</strong> <strong>mit</strong> Alkoholproblemen aufzubauen. Im Rahmen<br />

des Fortbildungsprogramms wurde ein Dozent eingeladen, <strong>der</strong> über langjährige<br />

Praxiserfahrungen aus <strong>der</strong> Gruppenarbeit <strong>mit</strong> diesen Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

informierte (R. Mayer aus <strong>der</strong> Balinger Autorengruppe Ehrenfried et al., 2000 - ein<br />

empfehlenswertes Buch, indem sich neben <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Situation und<br />

beson<strong>der</strong>en Rollen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> pädagogische Empfehlungen und Hinweise zur<br />

Gestaltung eines solchen speziellen Gruppenangebotes finden ).<br />

Die Vor- und Nachteile einer zielgruppenspezifischen vs. -unspezifischen<br />

Angebotsstruktur wurden vielfach diskutiert. Wesentliche Vorteile <strong>der</strong> unspezifisch<br />

ausgerichteten Gruppenarbeit scheinen uns zu sein, dass diese einen<br />

unproblematischeren Zugang ermöglichen und nicht die Gefahr einer weiteren<br />

Stigmatisierung durch die explizite Fokussierung des Alkoholproblems bergen.<br />

Zudem kann gerade die gemischte Gruppenzusammensetzung den Effekt haben,<br />

dass die Kin<strong>der</strong> durch ihren teilweise ähnlichen, teilweise an<strong>der</strong>sartigen<br />

Erfahrungshintergrund auch unterschiedliche Bewältigungsmuster und Ressourcen<br />

<strong>mit</strong>bringen, von denen sie wechselseitig profitieren können. Die Vorteile einer<br />

speziell für die Kin<strong>der</strong> alkoholabhängiger Eltern konstituierten Hilfe liegen dagegen in<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit, die Betroffenheit von dem tabu- und schambelasteten Thema <strong>mit</strong><br />

an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n teilen zu können. Eine solche Gruppe würde außerdem ein<br />

22 Spezielle Literaturhinweise zur Suchtprävention finden sich <strong>im</strong> Literaturverzeichnis.<br />

60


eson<strong>der</strong>es Eingehen entsprechend geschulter Gruppenleiter auf die beson<strong>der</strong>en<br />

Themen und Beeinträchtigungen <strong>der</strong> Problematik ermöglichen. 23<br />

Wir möchten diese Diskussion offen halten und einen Erfahrungsaustausch anregen.<br />

Zugleich plädieren wir dafür, die jeweils vor Ort gegebenen Möglichkeiten zu nutzen<br />

und das Entwicklungspotential, welches die gegenwärtig vorgehaltenen Angebote<br />

auch für die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen aus Suchtfamilien bieten, kreativ<br />

auszuschöpfen.<br />

Zusammenfassung:<br />

� In <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n sollen Erfahrungen und Ressourcen geför<strong>der</strong>t<br />

werden, die eine Erweiterung <strong>der</strong> familiär bedingten Rollen und Verhaltensmuster<br />

erlauben.<br />

� Speziell <strong>der</strong> Umgang <strong>mit</strong> Gefühlen, Bedürfnissen, Konflikten und Grenzen ist zu<br />

unterstützen. Auch die Entlastung von dem Tabu und von Scham- und<br />

Schuldgefühlen ist von zentraler Bedeutung.<br />

� Für die Kin<strong>der</strong> ist es wichtig, ein realistisches Bild von ihren Eltern zu entwickeln,<br />

ohne diese abzuwerten. Für die Betreuer bedeutet das die Reflektion <strong>der</strong> eigenen<br />

Haltung gegenüber den Eltern.<br />

� Die Angebote <strong>der</strong> Jugendhilfe sind oft auch für Kin<strong>der</strong> aus Suchtfamilien<br />

geeignete Hilfen. Durch die Integration von Ansätzen <strong>der</strong> pr<strong>im</strong>ären<br />

Suchtprävention lassen sich hier weitere Potentiale ausschöpfen. Im Einzelfall<br />

ist zu prüfen, ob den Kin<strong>der</strong>n therapeutische Angebote zugänglich gemacht<br />

werden sollten.<br />

5. Kooperation leicht gemacht (?) - Hinweise für eine gelingende<br />

Zusammenarbeit<br />

<strong>Arbeiten</strong> mehrere Helfer am selben Fall, wird die Koordinierung <strong>der</strong> Aufträge und<br />

Aufgabengebiete <strong>im</strong>mer wichtiger. Die Erfahrungen des Projektes haben gezeigt,<br />

dass dies ein beson<strong>der</strong>s schwieriges Anliegen ist, vor allem dann, wenn die<br />

zuständigen Fachkräfte aus unterschiedlichen Hilfesystemen kommen. Nicht nur,<br />

dass die Mitarbeiter auf <strong>der</strong> Basis ganz an<strong>der</strong>er Grundannahmen arbeiten, meistens<br />

sind auch die Vorstellungen von dem, was <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Helfer tut bzw. tun kann o<strong>der</strong><br />

sollte, diffus. Hieraus ergeben sich eine Vielzahl von Missverständnissen.<br />

Wir haben festgestellt wie wichtig es ist, dass die beteiligten Fachkräfte<br />

1. einan<strong>der</strong> kennen und wissen <strong>mit</strong> welchen Aufgaben <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>e betraut ist,<br />

23 Eine beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung bei speziellen Gruppenangeboten für Kin<strong>der</strong> aus Alkoholfamilien<br />

stellt die Entwicklung eines tragfähigen Finanzierungskonzeptes dar. Um das plötzliche Abbrechen<br />

einer solchen Hilfe zu vermeiden, muss überlegt werden, wie <strong>mit</strong> Mitteln <strong>der</strong> Jugend- und<br />

Gesundheitshilfe ein dauerhaft angelegtes Angebot gewährleistet werden kann.<br />

61


2. Absprachen treffen, wie diese Aufgaben zum Wohle <strong>der</strong> Klienten aufeinan<strong>der</strong><br />

abgest<strong>im</strong>mt werden können und<br />

3. Vereinbarungen zur Rückkopplung in bezug auf best<strong>im</strong>mte Fragen o<strong>der</strong><br />

Situationen treffen.<br />

Dort, wo dies nicht <strong>der</strong> Fall ist kommt es unserer Erfahrung nach zu<br />

• Verschiebungen <strong>der</strong> Verantwortung <strong>im</strong> Hilfesystem<br />

• Überschneidungen <strong>der</strong> Aufgabenfel<strong>der</strong><br />

• Äußerungen seitens <strong>der</strong> Klienten, die die Fachkräfte gegeneinan<strong>der</strong> aufbrachten<br />

(o<strong>der</strong> ausspielten)<br />

• gegenseitigen Vorwürfen.<br />

Im Projektverlauf wurde deshalb eine Zusammenarbeit entwickelt, die es erlaubt,<br />

gemeinsame Fallberatungen und eine gemeinsame Hilfeplanung durchzuführen. Es<br />

besteht ein Einverständnis <strong>der</strong> hiesigen Fachkräfte, dass es auch möglich ist, Fälle<br />

zunächst anonym zu beraten, um die speziellen Fachkompetenzen wechselseitig<br />

nutzen zu können und eine geeignete Vorgehensweise zu entwerfen. Dies ist<br />

beson<strong>der</strong>s in den Fällen von Vorteil, wo es keine Schweigepflichtsentbindung seitens<br />

<strong>der</strong> Klienten bzw. keine akute Kindeswohlgefährdung gibt. 24<br />

5.1. Erarbeiten einer Kooperationsebene<br />

Die Erfahrung zeigt, wie wichtig es ist, möglichst schon <strong>im</strong> Vorfeld von Einzelfällen<br />

eine gemeinsame Arbeitsbasis zu entwickeln. Dies kann zum Beispiel geschehen,<br />

indem zunächst die Leitungskräfte, dann aber auch unbedingt die Teams selbst<br />

zusammentreffen, um einan<strong>der</strong> kennen zu lernen (z.B. ASD und<br />

SpD/Suchtberatung, Freier Träger und Suchtberatung, Suchtberatung und<br />

Erziehungsberatung). Im Vorfeld dieser Zusammenkünfte sollten bereits teamintern<br />

die Problemfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit ausgelotet und konstruktive Fragen an das<br />

Gegenüber formuliert werden, da<strong>mit</strong> es nicht zu einer emotional aufgeheizten<br />

Diskussion über misslungene Einzelfälle kommt.<br />

Als Diskussionsanregungen für weitere Treffen können folgende Fragen dienen (vgl.<br />

Teil 1, Kap. 3.3.5. und die Handreichungen <strong>im</strong> Anhang):<br />

62<br />

� Kooperation wann und wozu?<br />

� Welche Möglichkeiten und Wege <strong>der</strong> Kooperation gibt es? Wie kann<br />

Kooperation <strong>im</strong> Einzelfall aussehen?<br />

� Wann genügt die Koordination von Hilfen, wann geht es um eine inhaltliche<br />

Kooperation <strong>der</strong> Fachkräfte?<br />

� Grenzen <strong>der</strong> Kooperation(-sbereitschaft)<br />

Kooperation sollte nicht zum Selbstzweck werden, son<strong>der</strong>n zu einer Opt<strong>im</strong>ierung von<br />

Arbeitsabläufen und <strong>der</strong> Verbesserung konkreter Hilfen führen. Angesichts des<br />

24 Oftmals läßt sich aber das Einverständnis <strong>der</strong> Klienten zur Schweigepflichtsentbindung erwirken,<br />

was dann ein sehr viel freieres <strong>Arbeiten</strong> und auch gemeinsame Hilfeplangespräche ermöglicht. Dazu<br />

ist es wichtig, dem Klienten zu signalisieren, dass durch eine gute Abst<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Fachkräfte das<br />

beste für ihn erreicht werden soll und die Vorzüge <strong>der</strong> Kooperation transparent zu machen.


erheblichen Aufwandes insbeson<strong>der</strong>e zeitlicher Ressourcen ist es deshalb<br />

entlastend, sich auch über die Grenzen von Kooperation zu unterhalten. 25<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Kooperationsgruppe wurde erörtert, wann welcher Dienst<br />

einbezogen werden sollte. Diskutiert wurde auch, in welcher Form die<br />

Kontaktaufnahme wünschenswert erscheint und welcher Weg eher problematisch ist.<br />

Übersichtsartig wurden die Ergebnisse zusammengefasst und den zuständigen<br />

Mitarbeitern als Handreichung zugänglich gemacht (siehe Anhang).<br />

Die Klippen, aber auch Chancen von Kooperation sollen anhand eines Fallbeispiels<br />

dargestellt werden:<br />

Fallbeispiel:<br />

Außerhalb <strong>der</strong> Sprechzeiten des Jugendamtes trat aufgrund eines Alkoholexzesses<br />

einer Mutter eine akute Krisensituation ein (s. Fallbeispiel in Kap. 3.3.). Die<br />

<strong>Familien</strong>helferin rief zur Einschätzung und Bewältigung <strong>der</strong> Situation eine Kollegin<br />

<strong>der</strong> Suchtberatungsstelle zu Hilfe. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden zusammen<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Projektkoordinatorin Stärken und Schwächen dieser Situation ausgewertet. In<br />

einem weiteren Termin trafen das Team <strong>der</strong> <strong>Familien</strong>helferin und die Mitarbeiterin<br />

<strong>der</strong> Suchtberatungsstelle zusammen, unterstützt jeweils von ihren Leitungskräften,<br />

die bereits seit fast zwei Jahren Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kooperationsgruppe des<br />

Modellprojektes waren. Das Teamtreffen diente dem gegenseitigen Kennenlernen<br />

weiterer Mitarbeiter und dem fachlichen Austausch über aktuelle Entwicklungen in<br />

diesem und einem weiteren Fall. An die Fallbesprechungen schloss sich eine<br />

lebhafte Diskussion über verschiedene Fragen <strong>der</strong> Zusammenarbeit an.<br />

Im weiteren Fallverlauf trat eine Störung <strong>der</strong> Zusammenarbeit auf:<br />

Mittlerweile war die Mutter, vor allem auch durch den Druck seitens des<br />

Jugendamtes, regelmäßig zu den vereinbarten Beratungsgesprächen in die<br />

Suchtberatungsstelle gekommen. Nachdem sie bereits an <strong>der</strong> wöchentlich<br />

stattfindenden Motivationsgruppe teilgenommen hatte, gelang es, sie für die eine<br />

ambulante Therapie zu interessieren, was die Frage nach <strong>der</strong> Betreuung ihrer Kin<strong>der</strong><br />

für diese Zeit aufwarf. Die Mitarbeiterin <strong>der</strong> Suchtberatungsstelle äußerte den<br />

Vorschlag, ob vielleicht die <strong>Familien</strong>helferin einspringen könne. Als die Mutter diese<br />

Idee an sie heran trug, war die <strong>Familien</strong>helferin darüber nicht beson<strong>der</strong>s glücklich:<br />

Nachdem sie sich schrittweise aus einer kompensatorischen Entlastung <strong>der</strong> Familie<br />

zurückgezogen hatte, sah sie ihre Aufgaben nun vorrangig in <strong>der</strong> begleitenden<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Eltern bei <strong>der</strong> Umsetzung ihrer eigenen Ziele. Zudem ging die<br />

Maßnahme ihrem Ende entgegen. Aus Sicht <strong>der</strong> SPFH wäre es günstiger, wenn die<br />

Mutter auf an<strong>der</strong>e Möglichkeiten ihres Umfeldes zurückgreift, um die<br />

Kin<strong>der</strong>betreuung zu sichern. Hierfür kam z.B. <strong>der</strong> Kindsvater in Betracht.<br />

Die Fachkraft <strong>der</strong> Jugendhilfe fühlte sich durch den Vorschlag <strong>der</strong><br />

Suchthilfe<strong>mit</strong>arbeiterin gekränkt und in ihren Aufgaben verkannt. Anstatt sich jedoch<br />

zurückzuziehen, suchte sie <strong>mit</strong> Hilfe <strong>der</strong> Leitung erneut den Dialog zur<br />

Suchtberatungsstelle. In dem Gespräch gelang es, eine neue Ebene des<br />

Verständnisses über die Arbeitsweise einer ressourcenorientierten SPFH zu<br />

erreichen.<br />

25 Siehe Schweitzer, J. (1998): Gelingende Kooperation<br />

63


Das Beispiel zeigt, wie vage die gegenseitigen Vorstellungen von <strong>der</strong> konkreten<br />

Arbeitsweise an<strong>der</strong>er Fachkräfte oft bleiben, auch wenn grundlegende Fragen<br />

bereits erörtert wurden. Im Einzelfall ist es deshalb <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> nötig,<br />

Feinabst<strong>im</strong>mungen vorzunehmen und sich nicht aufgrund auftreten<strong>der</strong><br />

Dissonanzen enttäuscht zurückzuziehen. Im Interesse <strong>der</strong> Klienten sollten Störungen<br />

und Missverständnisse als Gelegenheit und Anlass genutzt werden, um einan<strong>der</strong><br />

durch ein offenes Gespräch näher zu kommen. Nur so kann aus unserer Sicht<br />

Kooperation in <strong>der</strong> Praxis verschiedener Arbeitsfel<strong>der</strong> auch tatsächlich gelingen.<br />

Zudem sei darauf hingewiesen, dass ein Konsens auf Leitungsebene den direkten<br />

Dialog <strong>der</strong> Mitarbeiter noch nicht ersetzt, son<strong>der</strong>n vielmehr die notwendige<br />

Voraussetzung ist, um eine konkrete, einzelfallbezogene Zusammenarbeit<br />

anzuregen und zu begleiten.<br />

5.2. Empfehlungen für Suchtkrankenhelfer<br />

Zu guter Letzt hier noch einige Hinweise für Suchtkrankenhelfer, verfasst von den<br />

Kooperationspartnern <strong>der</strong> Integrierten Suchtberatungsstelle Neuruppin (DHTB e.V.)<br />

und dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes Ostprignitz-Ruppin:<br />

64<br />

Empfehlungen für Suchtkrankenhelfer<br />

* Die <strong>Familien</strong> müssen in <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> den Suchtkranken mehr Berücksichtigung<br />

finden!<br />

• Es sind zusätzliche Hilfsangebote für Betroffene und ihrer Angehörigen bzw. für<br />

Letztere einschließlich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lich.<br />

• Informiere Dich über weitere Hilfemöglichkeiten insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong><br />

Jugendhilfebereich.<br />

• Kläre die eigene Zuständigkeit.<br />

• Frage nach.<br />

• Biete Dich als kompetenter Partner <strong>der</strong> Jugendhilfe an.<br />

• Gehe auf an<strong>der</strong>e Beteiligte zu. Kontaktängste sind unnötig.<br />

• Weise auf suchtbedingte Konsequenzen hin. Diese können sich auch auf die<br />

Sorgfaltspflichterfüllung gegenüber den Kin<strong>der</strong>n auswirken.<br />

• Unterstütze die Jugendhilfe in ihrem Mut zu konsequentem Handeln.<br />

• Arbeite transparent für Betroffene und an<strong>der</strong>e Helfer.<br />

• Vertraue auf die Kompetenz des an<strong>der</strong>en.<br />

• Anerkenne ggf. ein eigenes Rückzugserfor<strong>der</strong>nis.


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66


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einer Veranstaltungsreihe, 1994. Beiträge zur Fragen <strong>der</strong> Suchtprävention, Band 8,<br />

Senatsverwaltung für Jugend und Familie .<br />

Krowatschek, Dieter (1999): Nein sagen können: Suchtprävention. AOL-Verlag.<br />

Peschel, Andrea (1996): Ich bin froh, dass es mich gibt! Band 1 und 2, Fächerübergreifende<br />

Unterrichtsmodelle und Projekte zur Entwicklung von Persönlichkeit und Ich-Stärke für die 1.-<br />

4. Jahrgangsstufe <strong>der</strong> Grundschule. Care-Line Verlag, 2. Aufl.<br />

Kaufmann, Heinz (1997): Suchtvorbeugung in <strong>der</strong> Praxis. Ein Arbeitsbuch für Schule und<br />

Jugendarbeit. 99 Übungen und Anregungen. Beltz praxis.<br />

Schlieckau, Traudel.; Tilke, Barbara (1996): Mäxchen, trau Dich! Arbeitsmaterialien zur<br />

Suchtvorbeugung <strong>im</strong> Kin<strong>der</strong>garten. Aktion Jugendschutz (ajs), Landesarbeitsstelle Baden-<br />

Württemberg, 2. Aufl.<br />

Suckfüll, Thomas; Stillger, Barbara (2000): Starke Kin<strong>der</strong> brauchen starke Eltern.<br />

<strong>Familien</strong>bezogene Suchtprävention – Konzepte und Praxisbeispiele, Bd. 7. Hrsg.:<br />

Bundeszentrale zur gesundheitlichen Aufklärung (BZgA).<br />

Tilke, Barbara (1996): Theaterspiel <strong>im</strong> Kin<strong>der</strong>garten. Dokumentation einer<br />

Fortbildungsveranstaltung. Aktion Jugendschutz, 1996.<br />

Tilke, Barbara ; Wurz, Andreas (1998): Eltern stark machen. Bausteine für Elternabende zur<br />

Suchtvorbeugung und für ähnliche Erziehungsaufgaben. Ajs, 2.Aufl.<br />

Tilke, Barbara (1995):Suchtprävention in <strong>der</strong> Grundschule. Sichtung von AV-Medien zur<br />

Suchtvorbeugung. Dokumentation einer Fortbildungsveranstaltung. Ajs,<br />

Miller, Reinhold: Schule <strong>im</strong> Gespräch: Kommunikation und Beziehungen. AOL-Verlag.<br />

Miller, Reinhold: „Halt `s Maul, Du dumme Sau!“ - Schritte zum fairen Gespräch. AOL-<br />

Verlag.<br />

Vogel, Georg (1999): „...<strong>im</strong>mer gut drauf?“. Hrsg.: Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle<br />

Bayern e.V.<br />

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Verzeichnis <strong>der</strong> verwendeten Abkürzungen<br />

AFB Aufsuchende <strong>Familien</strong>beratung<br />

AFT Aufsuchende <strong>Familien</strong>therapie<br />

ASD Allgemeiner Sozialpädagogischer Dienst des Jugendamtes<br />

DHTB e.V. Drogenhilfe Tannenhof Berlin e.V.<br />

EFB Erziehungs- und <strong>Familien</strong>beratungsstelle<br />

HzE Hilfen zur Erziehung<br />

IJN Initiative Jugendarbeitslosigkeit Neuruppin e.V.<br />

ISB Integrierte Suchtberatungsstelle Neuruppin<br />

KJHG Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfegesetz<br />

KJPD Kin<strong>der</strong>- und Jugendpsychiatrischer Dienst (des Gesundheitsamtes)<br />

LJA Landesjugendamt<br />

OPR Ostprignitz-Ruppin<br />

SGB Sozialgesetzbuch<br />

SpD Sozialpsychiatrischer Dienst des Gesundheitsamtes<br />

SPFH Sozialpädagogische <strong>Familien</strong>hilfe<br />

VHT Video-Home-Training<br />

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