20.11.2012 Aufrufe

Frieden leben lernen - mit der Schneller-Mission? - Evangelische ...

Frieden leben lernen - mit der Schneller-Mission? - Evangelische ...

Frieden leben lernen - mit der Schneller-Mission? - Evangelische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Katja Baur (Hg.)<br />

Möglichkeiten zur didaktischen Gestaltung von<br />

Hochschulstudientagen am Beispiel<br />

eines hochschulöffentlichen Studientages<br />

an <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Hochschule Ludwigsburg<br />

zum Thema<br />

<strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong><br />

- <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong>?<br />

Kooperation zwischen <strong>der</strong> EH Ludwigsburg,<br />

dem EVS (<strong>Evangelische</strong>r Verein für die <strong>Schneller</strong>-Schulen)<br />

und dem EMS (<strong>Evangelische</strong> <strong>Mission</strong> in Solidarität)<br />

� Informationen<br />

� Konzeption<br />

� Dokumentation<br />

� Evaluation<br />

1


Katja Baur (Hg),<br />

Hochschulstudientag: <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong> – <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong>?<br />

Didaktische Gestaltung und Dokumentation eines hochschulöffentlichen<br />

Studientages<br />

an <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Hochschule Ludwigsburg<br />

im Juli 2010<br />

ISBN 978-3-00-038011-2<br />

© Katja Baur<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

Hochschulstudientage als didaktische Herausfor<strong>der</strong>ung: Zur inhaltlichen und<br />

didaktischen Konzeption des Studientages......................................................5<br />

Teil A: Dokumentation des Studientages .........................................................9<br />

1. Einladungsflyer und Programm......................................................... 10<br />

2. Ankommen im Offenen Foyer <strong>mit</strong> Präsentationen............................. 11<br />

2.1. BIDA Studienprojekte <strong>der</strong> EH Ludwigsburg.............................................14<br />

2.2. Forschungsprojekt zum BIDA Studienprojekt- Dr. Thomas Fliege ............17<br />

2.3. Projektstudium im Kin<strong>der</strong>garten <strong>der</strong> TSS in Amman Präsentation Simone<br />

Dlugosch, EH Ludwigsburg..........................................................................18<br />

2.4. Bericht von <strong>der</strong> Studienreise nach Israel,<br />

studentische Selbstorganisation durch Maria Rehm ..........................................20<br />

2.5. Publikationen <strong>der</strong> EH zum Thema des Studientages .................................21<br />

2.6. Auszüge aus <strong>der</strong> BA Thesis von Linda Gugelfuss (s. Kap. 8).....................21<br />

2.7. Präsentation des EVS: Die <strong>Schneller</strong> Schulen im Nahen Osten..................22<br />

3. Thematische Einführung durch Vorträge und studentische Inputs...... 23<br />

1. <strong>Mission</strong> ist Glaubenszeugnis (Evangelisation) in Wort und Tat................... 23<br />

a) Der <strong>Mission</strong>sgedanke Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s (Katja Baur) ..................23<br />

b) Erfahrungsinput zur <strong>Mission</strong> als Zeugnis aus dem BIDA Studienprojekt<br />

2007 (Simone Breischaft, Damaris Rebmann) ................................................27<br />

c) Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s <strong>Mission</strong>sverständnis und dessen Anfragen an<br />

<strong>Mission</strong>sarbeit heute (Andreas Maurer, EVS/EMS) .....................................28<br />

2. <strong>Mission</strong> ist tätige Sozialarbeit........................................................................... 32<br />

a) Das Wirken <strong>Schneller</strong>s und seiner Söhne an und für benachteiligte Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche im Nahen Osten (Katja Baur) ........................................32<br />

c) Erfahrungsinput zur <strong>Mission</strong> als Sozialarbeit aus dem BIDA Studienprojekt<br />

(Beate Bauer, Katja Reiber)..........................................................................37<br />

c) Die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als Beispiel tätiger sozialer und diakonischer Arbeit<br />

– auch eine Anfrage an Soziale Arbeit heute? (Prof. Dr. Samir Akel) ..........39<br />

3. <strong>Mission</strong> ist <strong>Frieden</strong>sarbeit................................................................................. 42<br />

a) <strong>Mission</strong>sarbeit als Konfliktmanagement (Katja Baur).................................42<br />

b) Erfahrungsinput zum friedenspädagogischen Wirken <strong>der</strong> TSS aus dem<br />

Studienprojekt 2007 und 2009 (Andrea Kalmbach, Carina Wegner) ...............45<br />

c) <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> als <strong>Frieden</strong>sarbeit (Musa al Munaizel) ..........................47<br />

4. <strong>Mission</strong> ist Bildungsarbeit................................................................................. 52<br />

a) Schulische Bildungsarbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung (Katja Baur).................52<br />

b) Erfahrungsinput zu missionarischer Bildungsarbeit aus dem Studienprojekt<br />

(Daniela Kehr, Judith Förster)......................................................................55<br />

c) Impulse zur <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als Bildungsarbeit (Dr. Jakob Eisler) ............56<br />

5. <strong>Mission</strong> ist gesellschaftspolitische Arbeit ........................................................ 64<br />

a) Die <strong>Schneller</strong> Schulen kooperieren <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Politik (Katja Baur) .................64<br />

3


) Erfahrungsinput zum politischen Wirken <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>mission vom<br />

Studienprojekt 2007 (Linda Gugelfuß, Lydia Müller).....................................67<br />

c) Impulse zur <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als politische Arbeit<br />

geplant: Prof. Dr. Däubler- Gmelin................................................................68<br />

d) <strong>Mission</strong> und Politik- eine Verhältnisbestimmung in Bezug auf<br />

Lebenswelten in <strong>der</strong> Fremde – Fremde Lebenswelten (Dr. Jakob Eisler) .....68<br />

6. <strong>Mission</strong> ist interreligiöse Dialogarbeit .................................................................. 74<br />

a) Die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als Vorbild für missionarisches Wirken <strong>der</strong><br />

Religionen? (Katja Baur) ...........................................................................74<br />

b) Erfahrungsinput zum interreligiösen Miteinan<strong>der</strong> aus dem Studienprojekt<br />

Amman 2007/2008 (Lydia Müller, Linda Gugelfuß, Veronika Schlechter,<br />

Birgit Laslakowski).....................................................................................76<br />

c) Die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> heute- ein Modell für interreligiöse Dialogarbeit?<br />

Wahrnehmungen von jüdischen und muslimischen Lehrbeauftragten <strong>der</strong> EH<br />

...............................................................................................................77<br />

d) <strong>Mission</strong> und Dialog – eine Verhältnisbestimmung aus jüdischer Sicht<br />

(Barbara Traub)................................................................................................77<br />

e) <strong>Mission</strong> und Dialog – eine Verhältnisbestimmung aus muslimischer Sicht<br />

(Emina Čorbo-Mešić ).................................................................................79<br />

4. Dokumentation <strong>der</strong> Gruppendiskussionen über die einzelnen Aspekte<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> und des <strong>Mission</strong>sverständnisses heute............. 81<br />

5. Podiumsdiskussion: Zum Für und Wi<strong>der</strong> von <strong>Mission</strong> für den <strong>Frieden</strong><br />

in einer Gesellschaft ......................................................................... 95<br />

6. Abschluss des Studientages: Dank und Weggeleit (Katja Baur)......... 102<br />

7. Liturgischer Ausklang <strong>mit</strong> einem Hochschulgottesdienst ................. 103<br />

Teil B: Studentische Arbeiten und Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur<br />

zum Thema im Rahmen des <strong>Schneller</strong>-Jubiläumsjahres..........108<br />

1. Linda Gugelfuß: „<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“. Die Theodor-<strong>Schneller</strong>-<br />

Schule in Amman als Lernort für friedliches Zusammen<strong>leben</strong> in <strong>der</strong><br />

Einen Welt. Ein Unterrichtsprojekt für den Religionsunterricht....... 108<br />

2. Markus Maurer: <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> und christliches Zeugnis im<br />

Heiligen Land?............................................................................... 117<br />

3. Katja Baur: <strong>Frieden</strong> unterrichten? Impulse <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen für<br />

friedenspädagogisches Lernen ........................................................ 120<br />

4. Katja Baur: <strong>Schneller</strong>s Impulse für heutiges Christsein:<br />

Evangelisch in multikultureller Gesellschaft.................................... 135<br />

4


Didaktische Konzeption des Studientages (Katja Baur)<br />

Hochschulstudientage als didaktische Herausfor<strong>der</strong>ung:<br />

Zur inhaltlichen und didaktischen Konzeption des Studientages<br />

Hochschulen für Angewandte Wissenschaften<br />

nehmen eine wichtige Brückenfunktion<br />

zwischen Theorie und Praxis,<br />

Wissenschafts- und Berufsorientierung<br />

wahr. Diese Funktion bildet sich in<br />

hochschulöffentlichen Studientagen ab,<br />

welche gesellschaftsrelevanten Fragestellungen<br />

in die Hochschule hinein und aus<br />

ihr heraus kommunizieren. Hochschulen<br />

in kirchlicher Trägerschaft erfüllen diesen<br />

Anspruch in doppelter Weise: Sie reagieren<br />

auf gesellschaftlich und religiös<br />

relevante Fragestellungen, indem sie <strong>mit</strong><br />

hochschulöffentlichen Studientagen Foren<br />

zum Diskurs und zur Lösungssuche<br />

anbieten. Lei<strong>der</strong> gibt es noch wenig<br />

hochschuldidaktisch aufbereitetes Material<br />

zur Konzeption, Durchführung und<br />

Evaluation von Studientagen an Hochschulen<br />

für Angewandte Wissenschaften.<br />

Vorliegende Dokumentation versteht<br />

sich so<strong>mit</strong> als Motivationshilfe für<br />

Hochschulen, Studientage anzubieten<br />

und Ideen zur Konzeption zu entwickeln.<br />

Wir denken, dass es auch <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Fragestellungen möglich und effektiv<br />

ist, hochschulöffentliche Studientage<br />

als Präsentationsforen studentischer<br />

Arbeit, als Chance zum Einüben vom<br />

Mo<strong>der</strong>ationsformen usw. o<strong>der</strong> als Projekt<br />

<strong>der</strong> Evaluation des Ineinan<strong>der</strong>s von<br />

Theorie und Praxis zu nutzen. Insofern<br />

ist diese Dokumentation als exemplarische<br />

Handreichung zur Konzeption von<br />

Studientagen zu sehen, die inspirieren<br />

mag, die Lernform eines Studientages<br />

noch stärker in hochschuldidaktischen<br />

Konzeptionen und Fortbildungen zu<br />

nutzen. Über kritische Rückmeldungen<br />

zum Konzept, zur Didaktik und Methodik<br />

sind wir dankbar.<br />

Die <strong>Evangelische</strong> Hochschule Ludwigsburg<br />

(EHLB) arbeitet in Projekten,<br />

Lehrveranstaltungen und Forschung in<br />

vielfältiger Weise <strong>mit</strong> Kooperationspart-<br />

5<br />

nern aus dem Bereich <strong>der</strong> kirchlichen<br />

Sozial- und Bildungsarbeit zusammen.<br />

Dadurch werden Studierenden spätere<br />

Arbeitsfel<strong>der</strong> bereits im Studium erschlossen.<br />

Hochschule und Kooperationspartner<br />

profitieren wechselseitig von<br />

<strong>der</strong> Zusammenarbeit, z.B. durch Lehrendenaustausch,<br />

gemeinsame Praxis-<br />

bzw. Forschungsprojekte o<strong>der</strong> Evaluationen.<br />

Ein Kooperationspartner <strong>der</strong> EH<br />

Ludwigsburg ist <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong> Verein<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen (EVS), <strong>der</strong> unter<br />

dem Dach <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n <strong>Mission</strong> in<br />

Solidarität (EMS) arbeitet. Es gibt einen<br />

Kooperationsvertrag zwischen <strong>der</strong> EH<br />

Ludwigsburg und dem EVS.<br />

Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> ist für die Äußere<br />

<strong>Mission</strong> das, was Johann Hinrich<br />

Wichern für die Innere <strong>Mission</strong> ist:<br />

Wegbereiter gelebter und konzeptionell<br />

durchdachter Diakonie im Erziehungs-<br />

und Bildungswesen, die sich insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Benachteiligten annimmt. Die<br />

<strong>Schneller</strong>-Bewegung ist in Württemberg<br />

beheimatet, auch wenn die <strong>Schneller</strong>-<br />

Schulen bis heute im Nahen Osten die<br />

tägliche Arbeit vor Ort verrichten. Insofern<br />

liegt es nahe, dass eine evangelische<br />

Hochschule in Württemberg, die für Berufsfel<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Sozialen Arbeit, Diakonie<br />

und Religionspädagogik, <strong>der</strong> Frühkindlichen<br />

Pädagogik, <strong>der</strong> Heilpädagogik und<br />

Inklusion ausbildet, die regionalen Bezüge<br />

für Lern- Lehrerfahrungen sowie globale<br />

Netzwerkarbeit nutzt.<br />

Die Ideen <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung werden<br />

an <strong>der</strong> EH LB in Seminaren zum interkulturellen<br />

und interreligiösen Lernen,<br />

in Lehrveranstaltungen zu Diakonie und<br />

Inklusion, in Vorlesungen zur Religionspädagogik<br />

in internationaler Perspektive<br />

o<strong>der</strong> in Projekten zur Bildung und Frühkindlichen<br />

Bildung in Nahost bearbeitet.<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Auseinan<strong>der</strong>setzung findet<br />

im Studienprojekt BIDA (Brücken<br />

zum interkulturelle und interreligiösen


Didaktische Konzeption des Studientages (Katja Baur)<br />

Dialog<strong>lernen</strong> in Amman und Nahost)<br />

statt, das die EH LB seit 4 Jahren in Kooperation<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> EH Nürnberg, Moritzburg,<br />

Berlin, Freiburg und FH Hannover<br />

durchführt. Jährlich studieren 40 Studierende<br />

<strong>der</strong> beteiligten Hochschulen drei<br />

Wochen im September ein Modul zum<br />

Globalen Lernen in Amman. Sie <strong>leben</strong><br />

dazu auf dem Gelände <strong>der</strong> Theodor<br />

<strong>Schneller</strong> Schule (TSS). Die TSS ist in<br />

Inhalte, Organisation und Lernprozesse<br />

des BIDA Studienprojektes vielfältig<br />

einbezogen. Zu Personen, die in <strong>der</strong> TSS<br />

<strong>leben</strong> o<strong>der</strong> arbeiten, werden von den<br />

Studierenden und Dozierenden nachhaltige<br />

Kontakte geknüpft, die auch über<br />

Jahre noch bestehen. Auch aus diesem<br />

Grunde ließ sich die EHLB motivieren,<br />

<strong>der</strong> Anfrage des EVS nachzukommen,<br />

im Rahmen des <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahres<br />

<strong>der</strong> württembergischen Landeskirche<br />

eine Veranstaltung zur <strong>Schneller</strong> Bewegung<br />

an <strong>der</strong> EH Ludwigsburg anzubieten.<br />

Überlegungen in den Gremien <strong>der</strong> EH<br />

machten deutlich: Die Veranstaltung an<br />

<strong>der</strong> EH Ludwigsburg sollte in Kooperation<br />

<strong>mit</strong> dem EVS durchgeführt werden<br />

und möglichst viele Studierende aus dem<br />

BIDA Studienprojekt, aus den Seminaren<br />

zum interkulturellen und interreligiösen<br />

Lernen sowie aus Projekten, die an<br />

<strong>der</strong> TSS absolviert wurden und Forschungsprojekten<br />

<strong>der</strong> EH zur interkulturellen<br />

Kompetenzbildung, einbinden.<br />

Zudem war uns daran gelegen, Menschen,<br />

die in Projekten <strong>der</strong> TSS arbeiteten<br />

o<strong>der</strong> arbeiten o<strong>der</strong> sich wissenschaftlich<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Bewegung auseinan<strong>der</strong>setzen,<br />

in die Hochschulveranstaltung<br />

zu integrieren. Da<strong>mit</strong> fiel die Entscheidung,<br />

eine hochschulöffentliche<br />

Veranstaltung zu konzipieren und allen<br />

Studierenden die Möglichkeit zu eröffnen,<br />

an dieser Veranstaltung teilzunehmen.<br />

Als Lehrform bot sich die Konzeption<br />

eines hochschulöffentlichen Studientages<br />

an, <strong>der</strong> anschlussfähig für Themen<br />

<strong>der</strong> sozialen Arbeit und Religions-<br />

6<br />

pädagogik sein sollte. Es sollten keine<br />

an<strong>der</strong>en Lehrveranstaltungen parallel<br />

zum Studientag stattfinden, son<strong>der</strong>n in<br />

diesen integriert werden. Das Datum<br />

wurde durch die Mitwirkenden aus<br />

Amman bestimmt, die sich im Juli 2010<br />

für eine Woche in Stuttgart aufhielten.<br />

Anfängliche Bedenken, dass ein Studientag,<br />

<strong>der</strong> im Juli stattfindet, we<strong>der</strong> Studierende<br />

noch Personen außerhalb <strong>der</strong><br />

Hochschule in die Räume <strong>der</strong> EH locken<br />

könnte, bestätigten sich nicht: am Studientag<br />

nahmen ca. 120 Studierende und<br />

Lehrende <strong>der</strong> EH teil und zusätzlich ca.<br />

150 Personen, die <strong>mit</strong> dem Thema o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> EH verbunden waren. Die Organisation<br />

des Studientages (Einladungsflyer,<br />

Versendung von Einladungen, Raumkonzept<br />

usw) übernahm das Öffentlichkeitsreferat<br />

<strong>der</strong> EH, die inhaltliche Konzeption<br />

und Durchführung die Studiengangsleitung<br />

Religionspädagogik <strong>der</strong><br />

EHLB.<br />

Bei <strong>der</strong> Themenfindung war es uns wichtig,<br />

die Idee <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Bewegung unter<br />

einem Thema zu focussieren. Es sollte<br />

ein exemplarischer Zugang zum Thema<br />

gewählt werden, <strong>der</strong> das Wesen <strong>der</strong><br />

Idee <strong>Schneller</strong>s abbildet und zugleich an<br />

unserer Hochschule für kontroverse<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung sorgt. Gespräche<br />

<strong>mit</strong> etlichen BIDA Studierenden sowie<br />

Rückmeldungen vom ASTA und von<br />

Studierenden aus Seminaren zum „Globalen<br />

Lernen“ zeigten, dass es an unserer<br />

Hochschule verstärkt kontroverse<br />

Diskussionen über das Für und Wi<strong>der</strong><br />

von <strong>Mission</strong> in einer multikulturellen<br />

Gesellschaft und an einer ev. Hochschule<br />

gibt. Einige Studierende sind <strong>der</strong> Meinung,<br />

dass man an einer ev. Hochschule<br />

vom Absolutheits- und alleinigen Wahrheitsanspruch<br />

des Christentums allen<br />

Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen<br />

gegenüber ausgehen sollte.<br />

Sie halten es für richtig, ihre an<strong>der</strong>skonfessionellen<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>sreligiösen<br />

Kommilitonen und Kommilitoninnen,<br />

die in den nicht konfessionell gebunde-


Didaktische Konzeption des Studientages (Katja Baur)<br />

nen Studiengängen studieren, vom alleinigen<br />

Wahrheitsgehalt des evangelischchristlichen<br />

Glaubens zu überzeugen.<br />

Dadurch fühlen sich eher säkular o<strong>der</strong><br />

nichtchristlich orientierte Studierende in<br />

Seminaren und im Hochschul<strong>leben</strong> bedrängt.<br />

Für Letztere ist das Wort „<strong>Mission</strong>“<br />

<strong>mit</strong>tlerweile ein Reizwort geworden.<br />

Diese Kontroversen boten den Anlass,<br />

im Rahmen des Studientages den<br />

<strong>Mission</strong>sansatz <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Bewegung<br />

kennen zu <strong>lernen</strong>, zu hinterfragen und<br />

daraus Impulse für den Umgang <strong>mit</strong><br />

dem Thema „<strong>Mission</strong>“ im Hochschul<strong>leben</strong><br />

zu gewinnen. Letztlich sollte überlegt<br />

werden, ob und wie missionarisches<br />

Wirken den <strong>Frieden</strong> in einer Region an<br />

unserer EH o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> ganzen bewohnten<br />

Erde beför<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>n kann.<br />

Da<strong>mit</strong> ergab sich das Motto des Studientages:<br />

<strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong>- <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>?!<br />

Die didaktische Konzeption und Artikulation<br />

des Studientages berücksichtigte<br />

folgende Aspekte:<br />

� Offenes Foyer: Möglichst viele Studierende<br />

sollten in die Gestaltung eingebunden<br />

werden. Ihre unterschiedlichen<br />

Begabungen und Zugänge zum Thema<br />

sollten genutzt werden. Dieses Anliegen<br />

konnte im „offenen Foyer“ verwirklicht<br />

werden, einem Raum, in dem die Studierenden,<br />

sowie Lehrende o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Mitwirkende zum Gespräch einladen<br />

und zugleich ihre Nahostprojekte vorstellen.<br />

Die Präsentationen, die Studierende<br />

hier einbrachten, konnten als Leistungsnachweis<br />

für Seminare dienen.<br />

� Referatinputs: „Authentische Personen“,<br />

die <strong>mit</strong> ihren Ideen und ihrem<br />

Handeln für die <strong>Schneller</strong> Bewegung<br />

stehen, sollten zentrale Anliegen ihres<br />

Zugangs zur <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> vorstellen.<br />

Das Modell des „Lernens in Gegenwart<br />

des/<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en“ im Sinne des<br />

Biographie<strong>lernen</strong>s wurde leitend. Um eine<br />

Vielfalt von Zugängen zu entdecken,<br />

verzichteten wir auf ein Hauptreferat<br />

7<br />

und ersetzten es durch Inputs <strong>der</strong> Referierenden.<br />

Die Auswahl <strong>der</strong> Referierenden<br />

erfolgte nach thematischen Schwerpunkten<br />

zum Thema „<strong>Mission</strong>“. Auch<br />

wenn die Referierenden nicht auf einen<br />

Aspekt festzulegen waren, sollten sie<br />

doch den Focus auf den Aspekt lenken,<br />

den sie <strong>mit</strong> ihrem Wirken am meisten<br />

ausfüllten. Da<strong>mit</strong> die Inputs <strong>der</strong> Referierenden<br />

we<strong>der</strong> zu theorielastig noch zu<br />

weit entfernt von Fragen von Studierenden<br />

sind, entschlossen wir uns, BIDA<br />

Studierende zu bitten, ihre Erfahrungen<br />

aus dem Studienprojekt in Amman beim<br />

jeweiligen Schwerpunkt <strong>mit</strong> einzubringen.<br />

Der historische Bezug sowie die Zusammenstellung<br />

aller Aspekte zu einem<br />

organischen Ganzen sollte durch eine<br />

Dozierende <strong>der</strong> EH erfolgen. Dieser<br />

thematische Inputteil, <strong>der</strong> Informationen<br />

bereit stellt, kontroverse Zugänge zum<br />

Thema deutlich macht und den Theorie-<br />

Praxistransfer zur Arbeit <strong>der</strong> heutigen<br />

<strong>Schneller</strong> Schulen und unserer EH aufzeigt,<br />

sollte den inhaltlichen Auftakt<br />

zum Studientag bilden. Er folgt <strong>der</strong> Dynamik<br />

von Bildungsprozessen: Die Teilnehmenden<br />

werden zunächst in die Rolle<br />

<strong>der</strong> Zuhörenden und Zuschauenden<br />

versetzt, um sich als „Kundige“ eigene<br />

Fragen und Meinungen zu bilden, die<br />

darauf ausgetauscht werden können.<br />

� Gespräch in Kleingruppen: Entgegen<br />

<strong>der</strong> Artikulation etlicher Studientage, die<br />

auf ein Hauptreferat eine Podiumsdiskussion<br />

und dann Gespräche in Gruppen<br />

folgen lassen, entschieden wir uns, gleich<br />

nach den Inputs in Gruppen zu gehen.<br />

Die Teilnehmenden sollten die Möglichkeit<br />

erhalten, sich intensiver <strong>mit</strong> einem<br />

thematischen Aspekt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> referierenden<br />

Person auseinan<strong>der</strong>zusetzen, <strong>der</strong> ihr<br />

beson<strong>der</strong>es Interesse geweckt hatte. Deshalb<br />

teilten sich die Referierenden auf<br />

Gesprächsgruppen auf. Da Vorbereitung,<br />

Durchführung und Evaluation von<br />

Gruppengesprächen sowie die Übernahme<br />

<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ation zur Professionalität<br />

von Sozial- und Religionspädago-


Didaktische Konzeption des Studientages (Katja Baur)<br />

gen/innen gehört, entschieden wir uns,<br />

die Gestaltung <strong>der</strong> Gruppenarbeitsphase<br />

<strong>mit</strong> Studierenden in einem Seminar vorzubereiten<br />

und in die Hand <strong>der</strong> Studierenden<br />

zu legen. Da die Teilnehmenden<br />

auf ihrer Anmeldung nicht angeben<br />

mussten, an welcher Gruppe sie teilnehmen<br />

würden, waren Teilnehmendenzahl<br />

und Zusammensetzung <strong>der</strong> Teilnehmenden<br />

(eher Studierende, eher<br />

Menschen von außen) im Vorfeld nicht<br />

klar. Um Studierende bei Bedarf (soweit<br />

Studierende diesen signalisieren) beim<br />

Mo<strong>der</strong>ieren zu unterstützen, teilte sich<br />

je<strong>der</strong> Gesprächsgruppe auch mind. ein/e<br />

Professorin <strong>der</strong> EH zu.<br />

� Podiumsdiskussion: Die Ergebnisse und<br />

offenen Fragen <strong>der</strong> Gruppengesprächsphasen<br />

sollten ins Plenum rückgebunden<br />

werden können. Anstelle einer Berichtphase<br />

aus den Gruppen und einer Fragerunde<br />

an die Referierenden (was bei etlichen<br />

Veranstaltungen, die wir im Vorfeld<br />

<strong>der</strong> Planung unseres Studientages<br />

besuchten und evaluierten, dazu führt,<br />

dass es entwe<strong>der</strong> einige „Dauerredner/innen<br />

aus dem Publikum“ gibt o<strong>der</strong><br />

einzelne Referierende sehr dominant ihre<br />

Thesen verteidigen, anstelle diese ins<br />

Gespräch zu bringen) entschlossen wir<br />

uns, eine Podiumsdiskussion ans Ende<br />

des Studientages zu stellen. Nicht nur die<br />

Gruppendynamik (Plenum – Gruppen –<br />

Plenum), son<strong>der</strong>n auch die Chance zur<br />

inhaltlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung über<br />

Kontroversen motivierte uns zu dieser<br />

Arbeitsform. Die Referierenden konnten<br />

Themen und Anliegen aus den Gesprächsgruppen<br />

in die Podiumsdiskussion<br />

einbringen und auf diese Weise das<br />

Publikum einbinden. Zudem sollte es am<br />

Ende <strong>der</strong> Podiumsdiskussion noch die<br />

Möglichkeit für das Publikum geben,<br />

sich <strong>mit</strong> Fragen o<strong>der</strong> Anmerkungen in<br />

die Podiumsdiskussion einzuschalten.<br />

Wichtig war uns, dass es durch die Mo<strong>der</strong>ation<br />

möglich würde, unterschiedliche<br />

Positionen einan<strong>der</strong> gegenüber zu<br />

stellen, Gegensätze herauszuarbeiten<br />

8<br />

und Möglichkeiten <strong>der</strong> Annäherung zu<br />

suchen. Deshalb sollte die Mo<strong>der</strong>ation<br />

durch eine Professorin <strong>der</strong> EH durchgeführt<br />

werden. Um die unterschiedlichen<br />

Sichtweisen und Standpunkte <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong><br />

ins Gespräch bringen zu können,<br />

setzen wir die Referierenden nicht- wie<br />

oft bei Podiumsdiskussionen in den Medien<br />

o<strong>der</strong> bei Tagungen zu sehen- „aneinan<strong>der</strong>gereiht“<br />

an einen Tisch, son<strong>der</strong>n<br />

baten sie, sich auf dem Podium an drei<br />

Bistrotische, die halbkreisartig aufgebaut<br />

waren, aufzuteilen. So<strong>mit</strong> fand die Podiumsdiskussion<br />

im Stehen statt und ver<strong>mit</strong>telte<br />

den Charakter eines zwanglosen,<br />

aber dennoch engagierten Sprechens <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> Möglichkeit, den Platz zu wechseln<br />

und evtl. sichtbare Koalitionen zu bilden.<br />

Die Diskussionsleiterin befand sich<br />

in <strong>der</strong> Mitte. Ihre Aufgabe sollte es sein,<br />

die Argumente <strong>der</strong> Teilnehmenden <strong>der</strong><br />

Podiumsdiskussion zu artikulieren, unterschiedliche<br />

Standpunkte (im Sinne des<br />

Wortes durch Zusammenstellen von<br />

Personen samt Meinungen an den Bistrotischen)<br />

sichtbar zu machen, nachzufragen<br />

und öffentlich Lösungen zu artikulieren,<br />

die von den Teilnehmenden<br />

<strong>mit</strong> getragen werden können. Dem Profil<br />

einer Podiumsdiskussion entsprechend<br />

bewahrt die Mo<strong>der</strong>atorin dabei Neutralität<br />

und Fairness allen Beteiligten gegenüber,<br />

auch wenn sie eigene Standpunkte<br />

durchaus ins Gespräch einbringen kann,<br />

indem sie sich zu Personen an den unterschiedlichen<br />

Bistrotischen stellt. Mit dem<br />

Arrangement wechseln<strong>der</strong> Konstellationen<br />

an den Bistrotischen zu unterschiedlichen<br />

Aspekten beabsichtigten wir eine<br />

Veranschaulichung <strong>der</strong> Kontroversen.<br />

Das Gespräch darüber sollte dazu beitragen,<br />

Positionen zuklären und neue<br />

Sichtweisen sowie Handlungsmöglichkeiten<br />

zu entwickeln. Effektive Podiumsdiskussionen<br />

finden statt, wenn die<br />

Zahl <strong>der</strong> Diskutierenden nicht mehr als<br />

fünf Personen beträgt. Da es unser Anliegen<br />

war, alle Referierenden am Podium<br />

zu beteiligen, entschlossen wir uns,<br />

den Diskussionsteilnehmenden ca. eine


Didaktische Konzeption des Studientages (Katja Baur)<br />

Woche vor <strong>der</strong> Veranstaltung eine Mail<br />

<strong>mit</strong> Fragen zukommen zu lassen und<br />

mögliche ähnliche Antworten zusammenzubündeln.<br />

Da<strong>mit</strong> wird nicht zu je<strong>der</strong><br />

Frage jede/r Teilnehmende an <strong>der</strong><br />

Diskussion um ein Statement gebeten,<br />

wohl aber ist jede Position vertreten.<br />

� Der Semesterschlussgottesdienst folgte<br />

im Anschluss an den Studientag: an <strong>der</strong><br />

EH LB ist es Tradition, das Semester <strong>mit</strong><br />

einem Semesterschlussgottesdienst zu<br />

beenden. Da Studientag und Semesterschlussgottesdienst<br />

auf den gleichen Tag<br />

fielen, sollten die Teilnehmenden des<br />

Studientages zum Semesterschlussgottesdienst<br />

eingeladen werden. Der Gottesdienst<br />

sollte das Thema des Studientages<br />

aufnehmen und Gäste aus dem<br />

EVS, aus Amman – falls möglich- beteiligen.<br />

Dennoch war es Konsens, dass <strong>der</strong><br />

Gottesdienst den Charakter eines Semesterschlussgottesdienstes<br />

behalten sollte<br />

und -wie auch sonst- durch die Hochschulgemeinde<br />

vorbereitet und verantwortet<br />

würde. Da die Theologen/innen,<br />

die an <strong>der</strong> EH lehren, im Wechsel an <strong>der</strong><br />

Gestaltung <strong>der</strong> Hochschulgottesdienste<br />

beteiligt werden, sollte die für den Studientag<br />

verantwortliche Professorin den<br />

9<br />

Gottesdienst zusammen <strong>mit</strong> Studierenden<br />

und Mitwirkenden aus dem „<strong>Schneller</strong><br />

Team“ vorbereiten und gestalten.<br />

Das Opfer des Gottesdienstes sollte <strong>der</strong><br />

<strong>Frieden</strong>spädagogischen Arbeit <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong> Schule in Amman zukommen.<br />

Weil ein Studientag auch vom kulinarischen<br />

Rahmen lebt, fanden sich Studierende<br />

aus dem BIDA 4 Projekt, die vor<br />

und nach den jeweiligen Einheiten zum<br />

orientalischen Buffet einluden, das sie im<br />

Foyer <strong>der</strong> EH aufgebaut hatten. Hier<br />

verweilten viele Teilnehmende noch bis<br />

spät in den Abend hinein.<br />

Eine Evaluation des Studientages zeigte,<br />

dass die Artikulation sinnvoll und die<br />

Beteiligung vieler Studieren<strong>der</strong> sehr positiv<br />

rückgemeldet wurden. Ohne das Engagement<br />

und die Unterstützung <strong>der</strong><br />

Studierenden aus den BIDA Studienprojekten,<br />

ohne Frau Faulhaber vom Öffentlichkeitsreferat<br />

und die Mitwirkung etlicher<br />

Kollegen und Kolleginnen unserer<br />

Hochschule wäre ein das vorliegende<br />

Projekt nicht zu schultern gewesen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

den Studierenden sei <strong>mit</strong> dieser<br />

Publikation für Ihr Interesse und ihr<br />

tatkräftiges Denken und Handeln gedankt.<br />

Informationsstände am<br />

Rande des Studientages bereichern<br />

das Programm


Dokumentation: Vorbereitung<br />

Teil A: Dokumentation des Studientages<br />

1. Einladungsflyer und Programm<br />

10


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

2. Ankommen im Offenen Foyer <strong>mit</strong> Präsentationen<br />

Ab 13.00h besteht die Möglichkeit, in einem Hörsaal und im Foyer <strong>der</strong> EH Informationen<br />

über die Arbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen, die Arbeit des Vereins <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen<br />

sowie Nahost-Studienprojekte <strong>der</strong> EH Ludwigsburg zu erhalten. An einzelnen Ständen<br />

laufen Präsentationen; Studierende, Dozierende und Veranstalter bieten an den jeweiligen<br />

Ständen Möglichkeiten zu Begegnung und Gespräch an.<br />

Folgende Stände und Präsentationen sind im Hörsaal angeboten:<br />

1. BIDA (Brücken zum interreligiösen und interkulturellen Dialog in Amman und<br />

Nahost) Studienprojekte <strong>der</strong> EH Ludwigsburg in Kooperation <strong>mit</strong> <strong>der</strong> EH Nürnberg,<br />

Berlin, Moritzburg, FH Hannover und EH Freiburg (Freiburg: bislang Beteiligung<br />

in Koordination, ab 2011 aktive Beteiligung <strong>der</strong> EH Freiburg). Das Studienprojekt<br />

findet jährlich im September statt. 40 Studierende aller beteiligten<br />

EH´s nehmen am Projekt teil, das wechselweise von einer EH koordiniert und begleitet<br />

wird. Aus jedem Jahrgang informieren Ludwigsburger Studierende und<br />

zeigen PP Präsentationen ihres Studienprojektes.<br />

Referenten und Gäste sind aus Deutschland und Jordanien zum Studientag des<br />

BIDA-Projektes angereist.<br />

11


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

2. BIDA Forschungsprojekt: Das Forschungsinstitut <strong>der</strong> EH Ludwigsburg begleitet<br />

das BIDA Studienprojekt <strong>mit</strong> einer Begleitstudie zur Erhebung des interreligiösen,<br />

interkulturellen und internationalen Kompetenzzuwachses. Mitarbeitende des<br />

Forschungsinstituts, vor allem Dr. Thomas Fliege als Projektleiter, informieren<br />

am Stand über Forschungsmethoden, -ergebnisse. Dazu läuft eine Präsentation<br />

zum Forschungsprojekt.<br />

3. Projektstudium in Amman: Drei Studierende <strong>der</strong> EH Ludwigsburg haben ihr Projektstudium<br />

an <strong>der</strong> TSS in Amman absolviert: Simone Dlugosch hat im neu gegründeten<br />

Kin<strong>der</strong>garten <strong>der</strong> TSS <strong>mit</strong>gearbeitet, Carina Wegner den Streichelzoo<br />

<strong>der</strong> TSS <strong>mit</strong> konzipiert und aufgebaut, Andreas Gruber hat Konzepte für erlebnispädagogisches<br />

Arbeiten im Hochseilgarten entwickelt und <strong>mit</strong> Schülern <strong>der</strong> TSS<br />

erprobt, die es den Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen <strong>der</strong> TSS ermöglichen, den Hochseilgarten<br />

auf dem Gelände <strong>der</strong> TSS zu nutzen. Alle drei Studierenden berichteten<br />

über ihre Projekt und stellten dazu Bil<strong>der</strong> an Stellwänden sowie Kurzberichte bereit.<br />

4. Nahost Studienreise vom Mai 2010: 25 Studierende <strong>der</strong> EH Ludwigsburg haben<br />

im Mai an einer Israelreise unter Leitung des emeritierten Lehrbeauftragten <strong>der</strong><br />

EH Ludwigsburg, Dr. Erich Scheurer, teilgenommen. Sie informieren am Stand<br />

über Ihre Eindrücke von <strong>der</strong> Reise und über biblisch-theologische Erkenntnisse,<br />

die auf <strong>der</strong> Studienreise gewonnen wurden. Dazu läuft eine PP Präsentation.<br />

5. Vorstellung von Publikationen <strong>der</strong> EH zum Thema des Studientages: Das BIDA<br />

Studienprojekt in Amman (K. Baur), Unterrichtsmaterial zu den <strong>Schneller</strong> Schulen<br />

(K. Baur, M. Landgraf) sowie weitere EH Publikationen aus <strong>der</strong> EH Schriftenreihe<br />

durch Studierende und Dozierende <strong>der</strong> EH Ludwigsburg<br />

6. Stand des International Office <strong>der</strong> EH Ludwigsburg: Informationen zum Studieren<br />

im Ausland, insbeson<strong>der</strong>e Studienmöglichkeiten in Nahost, vorgestellt <strong>mit</strong><br />

Stellwänden, Bil<strong>der</strong>n und Infomaterial von S. Aydogdu aus dem IO <strong>der</strong> EH Ludwigsburg<br />

12


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

7. <strong>Mission</strong>- ein schwieriges, notwendiges Thema?! Vorstellung von zwei BA Thesisarbeiten<br />

zweier BIDA Studieren<strong>der</strong>: Linda Gugelfuss: <strong>Frieden</strong> Leben Lernen, BA<br />

Thesis zur <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> <strong>mit</strong>samt Konzeption einer Unterrichtseinheit zur<br />

<strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> für den RU <strong>der</strong> Grundschule. Judith Förster: <strong>Mission</strong>, eine biblische<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung, BA Thesis zum Zusammenhang von <strong>Mission</strong> und Diakonie.<br />

Beide Studierende stellen ihre BA Thesis am Stand vor, laden zum Gespräch<br />

über Ihre Thesen ein und veranschaulichen Aspekte <strong>mit</strong> Hilfe von Bil<strong>der</strong>n<br />

und Aussagen an Stellwänden.<br />

8. EVS: <strong>Evangelische</strong>r Verein für die <strong>Schneller</strong> Schulen: Präsentation zu den <strong>Schneller</strong><br />

Schulen in Nahost sowie ein Tisch <strong>mit</strong> Verkaufsartikeln (<strong>Schneller</strong>produkte<br />

wie Öl, Wein o<strong>der</strong> Süßigkeiten, Holzartikel, Publikationen, u.a. Unterrichtsmaterial<br />

zum <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahr). Mitarbeitende aus dem EMS stehen zum Gespräch<br />

über die Arbeit des EVS zur Verfügung.<br />

9. Orientalischer Imbiss: Studierende aus dem BIDA Projekt 2010 haben ein orientalisches<br />

Buffet gerichtet und bieten Salate, Falafel, Gebäck, arabischen Kaffee o<strong>der</strong><br />

Tee an.<br />

10. Ausstellung zum <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahr: Die <strong>Schneller</strong> Schulen im Nahen Osten.<br />

16 Rollups <strong>mit</strong> Bil<strong>der</strong>n und Informationen zur <strong>Schneller</strong> Bewegung, konzipiert<br />

und dargestellt vom EVS/EMS in Kooperation <strong>mit</strong> dem Landeskirchlichen<br />

Museum <strong>der</strong> Württembergischen Landeskirche Stuttgart.<br />

13


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

Auszüge aus Informationen und Präsentationen:<br />

2.1. BIDA Studienprojekte <strong>der</strong> EH Ludwigsburg<br />

14<br />

BIDA I


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

15<br />

BIDA II<br />

2008


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

16


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

2.2. Forschungsprojekt zum BIDA Studienprojekt- Dr. Thomas Fliege<br />

17


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

2.3. Projektstudium im Kin<strong>der</strong>garten <strong>der</strong> TSS in Amman<br />

Präsentation Simone Dlugosch, EH Ludwigsburg<br />

Im April 2000 trafen sich Menschen aus 164 Staaten zu einem Weltbildungsforum. Alle<br />

teilnehmenden Län<strong>der</strong>, unter an<strong>der</strong>em Jordanien, unterschrieben den Aktionsplan „Bildung<br />

für alle“ (Education for All, EFA). In diesem Plan werden sechs Punkte definiert,<br />

<strong>der</strong>en Ziel es ist, das internationale Bildungsniveau zu steigern. Ziel 1 besagt, dass die<br />

Frühkindliche Bildung ausgebaut und verbessert werden soll, beson<strong>der</strong>s auch für benachteiligte<br />

Kin<strong>der</strong>. 1<br />

Betrachtet man die Tabelle unten, kann man daraus erkennen, dass in den arabischen<br />

Staaten nur 15,7 % <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> eine Vorschule besuchen. Die Theodor-<strong>Schneller</strong>-Schule<br />

in Amman hat vor einiger Zeit diese Diskrepanz entdeckt und einen Kin<strong>der</strong>garten geplant.<br />

Im November 2009 war es dann soweit, erstmals öffneten sich die Türen des Kin<strong>der</strong>gartens.<br />

Eine weitere Erneuerung war, das auch Mädchen den Kin<strong>der</strong>garten besuchen<br />

dürfen und so die Möglichkeit bekommen, ein Teil <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>familie zu werden.<br />

Bruttoeinschulungsraten in <strong>der</strong> Vorschulbildung 2004 (%),<br />

http://www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Bildung/efareport2007dt.pdf<br />

Bei einer Studienreise im September 2009, führte uns <strong>der</strong> Psychologische Berater <strong>der</strong> TSS<br />

durch den noch im Rohbau befindlichen Kin<strong>der</strong>garten. Ich fand dieses Projekt des Kin<strong>der</strong>gartens<br />

so spannend, dass ich mich dazu entschloss mein Projektstudium dort zu absolvieren.<br />

Ende Februar 2010 fing ich in dem schon bestehenden Kin<strong>der</strong>garten an. Der<br />

Kin<strong>der</strong>garten wird aktuell von sechs Kin<strong>der</strong>n besucht, drei Mädchen und drei Jungen,<br />

1 http://www.unesco.org/education/gmr2008/GMR2008SumGER.pdf<br />

18


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

was für ein ausgewogenes Verhältnis unter den Kin<strong>der</strong>n sorgt. Die Betreuung wird von<br />

zwei festen Mitarbeiterinnen sichergestellt und von einer weiteren deutschen ehrenamtlichen<br />

Mitarbeiterin zweimal<br />

wöchentlich betreut. Zusätzlich<br />

betreut eine weitere deutsche<br />

ehrenamtliche Mitarbeiterin<br />

die Kin<strong>der</strong> zweimal wöchentlich.<br />

Eine <strong>der</strong> zwei FestangestelltenKin<strong>der</strong>gärtnerinnen<br />

wuchs in Deutschland auf<br />

und machte dort auch eine<br />

Ausbildung zur Kin<strong>der</strong>pflegerin.<br />

Aus <strong>der</strong> Zusammenstellung<br />

von Mitarbeiterinnen und<br />

Kin<strong>der</strong>n ergibt sich ein sehr guter<br />

Betreuungsschlüssel von<br />

1:3, den man so in Deutschland<br />

in keinem Kin<strong>der</strong>garten<br />

finden wird und hinter dem ein<br />

hohes Potenzial an Frühkindlicher<br />

För<strong>der</strong>ung und Erziehung<br />

steckt. Auch die räumlichen<br />

Möglichkeiten versprechen ein hohes Potenzial an individueller Betreuung.<br />

Den Kin<strong>der</strong>n stehen vier Räume zur Verfügung um sich frei entwickeln zu können. Außerdem<br />

gibt es auch noch ein großzügiges Büro für die Angestellten. Für die Zukunft ist<br />

es geplant jeden Raum unter ein bestimmtes Motto zu stellen. Drei <strong>der</strong> vier Räume stehen<br />

den Kin<strong>der</strong>n momentan als Aufenthaltsraum zur Verfügung, in dem vierten Raum<br />

soll eine Wohlfühloase geschaffen werden, in dem sich die Kin<strong>der</strong> zurückziehen können<br />

aber auch Gespräche <strong>mit</strong> Eltern stattfinden können.<br />

Die Konzeption des Kin<strong>der</strong>gartens befindet sich gerade noch im Aufbau. Da die Kin<strong>der</strong><br />

meist aus schwierigen Verhältnissen kommen (Gewalterfahrung, Traumatisierungen,<br />

Waisen o<strong>der</strong> Halbwaisen sind), bedarf es bei <strong>der</strong> Erstellung beson<strong>der</strong>er Feinfühligkeit.<br />

An erster Stelle soll<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>garten<br />

für die Kin<strong>der</strong> ein<br />

Ort <strong>der</strong> Sicherheit<br />

sein. Wenn dies geschafft<br />

ist, ist <strong>der</strong><br />

nächste Schritt,<br />

dass <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>garten<br />

eine feste Struktur<br />

bekommt. Dies<br />

bedeutet, dass die<br />

Kin<strong>der</strong> den Tagesablauf<br />

kennen und<br />

sich darauf einstellen<br />

können.<br />

19


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

2.4. Bericht von <strong>der</strong> Studienreise nach Israel,<br />

studentische Selbstorganisation durch Maria Rehm<br />

Ein Plakat an einer Stellwand zeigte den Ablauf und die Intention <strong>der</strong> Reise: Studierende<br />

<strong>der</strong> Religionspädagogik wollten sich kundig machen über biblisch bedeutsame Orte und<br />

gegenwärtige Lebensmöglichkeiten an diesen Orten. Sie baten einen emeritierten Lehrbeauftragten,<br />

dieses Projekt <strong>mit</strong> ihnen durchzuführen und führten eine Studienreise in<br />

studentischer Selbstorganisation durch. Am Stand waren zudem Tücher aus Palästina,<br />

Karten von Israel und Postkarten des Landes aufgehängt. Auf dem Tisch davor waren<br />

die Erzeugnisse von „Life Gate“ aufgeschlichtet, die die Studierenden zum Verkauf und<br />

zu Besichtigung vorstellten. Neben <strong>der</strong> Möglichkeit, sich im Gespräch anhand <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

an <strong>der</strong> Stellwand über die Studienreise zu informieren, war auch ein Laptop platziert, auf<br />

dem eine Fotoshow von <strong>der</strong> Studienreise lief.<br />

20


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

2.5. Publikationen <strong>der</strong> EH zum Thema des Studientages<br />

a) Katja Baur (Hg.), Abraham - Impulsgeber für <strong>Frieden</strong> im Nahen Osten?!<br />

Ein friedenspädagogisches Studienprojekt evangelischer Hochschulen zum<br />

interreligiösen und interkulturellen Lernen in Jordanien und Israel<br />

Kann man Gewalt verhin<strong>der</strong>n? Studierende, die sich im Rahmen des BIDA-<br />

Studienprojektes in Jordanien und Israel <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Komplexität von Gewaltprävention<br />

beschäftigt haben, fühlen sich für diese Aufgabe vorbereitet. In wissenschaftlicher<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung und Begegnungen konnten sie Dialogmodelle zum interkulturellen<br />

und interreligiösen Lernen erproben. Die Dokumentation stellt vor dem<br />

Hintergrund <strong>der</strong> Abrahamstradition kontroverse Sichtweisen und Lösungswege auf<br />

Konfliktthemen dar. So eignet sich das Buch beson<strong>der</strong>s für Schulen, Hochschulen<br />

und <strong>Frieden</strong>sprojekte, die interkulturelles und interreligiöses Begegnungs<strong>lernen</strong> för<strong>der</strong>n.<br />

BIDA – Brücken zum interreligiösen und interkulturellen Dialog in Amman/Nahost,<br />

Bd. 1, ISBN 3-8258-1233-1;<br />

Bd. 2, Kessler, Hildrun; Wießmeier,Brigitte: Kultur des Aufwachsens – Soziale Arbeit,<br />

Bildung und Religion in Jordanien,Libanon und Deutschland, ISBN:978-3-<br />

643-10388-8.<br />

Detailinformationen: http://www.lit-verlag.de/isbn/3-8258-1233-1<br />

Weitere Bände: http://www.lit-verlag.de/reihe/bida<br />

b) Katja Baur, Michael Landgraf:<br />

Schule für <strong>Frieden</strong> und Hoffnung. Zusammen <strong>leben</strong> und <strong>lernen</strong> von Christen und<br />

Muslimen in den <strong>Schneller</strong>-Schulen in Nahost. Einführung und Unterrichtsbausteine<br />

für Schule und Gemeinde<br />

„Schule für <strong>Frieden</strong> und Hoffnung“ – drei wichtige Themenfel<strong>der</strong> einer zukunftsfähigen<br />

Gesellschaft. In <strong>der</strong> Schule geht es um das Miteinan<strong>der</strong> von Leben und Lernen,<br />

hier dargestellt am Beispiel <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule in Jordanien. Konfliktfel<strong>der</strong><br />

und Sehnsüchte im Schulalltag von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen werden auf dem<br />

Hintergrund einer oftmals unfriedlichen Welt dargestellt. Dabei spielen Themen<br />

wie Gerechtigkeit und das Zusammen<strong>leben</strong> <strong>der</strong> Religionen eine zentrale Rolle. Der<br />

zweite Schwerpunkt <strong>Frieden</strong> steht für das Leitbild <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen: <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong><br />

<strong>lernen</strong>. Er gibt Impulse für ein friedliches Zusammen<strong>leben</strong> – auch in deutschen<br />

Schulen. Dadurch wird deutlich, dass die <strong>Schneller</strong>-Schulen Träger von Hoffnung in<br />

<strong>der</strong> Region Nahost und auch bei uns sein können. In <strong>der</strong> Begegnung <strong>mit</strong> Menschen,<br />

die in diesen Schulen <strong>leben</strong> und arbeiten, wird globales Lernen konkret: Wenn<br />

Menschen Brücken zueinan<strong>der</strong> bauen, wird <strong>Frieden</strong> spürbar. „Schule für <strong>Frieden</strong><br />

und Hoffung“ bietet differenzierte und praxisnahe Materialien und Bausteine für die<br />

Arbeit in Schule und Gemeinde, <strong>mit</strong> Kin<strong>der</strong>n, Jugendlichen und Erwachsenen.<br />

Detailinformationen: http://www.ems-online.org/shop.html<br />

2.6. Auszüge aus <strong>der</strong> BA Thesis von Linda Gugelfuss (s. Kap. 8)<br />

21


Dokumentation: Informationen und Präsentationen<br />

2.7. Präsentation des EVS: Die <strong>Schneller</strong> Schulen im Nahen Osten<br />

22


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

3. Thematische Einführung durch Vorträge und studentische Inputs<br />

<strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong> - durch<br />

die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>?<br />

Unterschiedliche Facetten des<br />

<strong>Mission</strong>sbegriffes <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong><br />

Die einzelnen Abschnitte sind jeweils in einem Dreischritt aufgebaut: In einem ersten<br />

Teil (a) wird von Katja Baur anhand <strong>der</strong> Chronologie <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> ein historischer<br />

Zugang zum Thema eröffnet. In einem zweiten Abschnitt (b) berichten Studierende,<br />

die am BIDA Studienprojekt (Brücken zum interkulturellen und interreligiösen Dialog<br />

in Amman) <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Hochschulen an <strong>der</strong> Theodor <strong>Schneller</strong> Schule in<br />

Amman teilgenommen hatten, von konkreten Erfahrungen <strong>mit</strong> dem Thema vor Ort. In<br />

einem dritten Abschnitt (c) führen Fachpersonen, die eine Beziehung zur Arbeit <strong>der</strong> TSS<br />

haben, in thematische Aspekte zum Thema ein. Die vorliegenden Beiträge wurden am<br />

<strong>Schneller</strong> Studientag teilweise gekürzt.<br />

1. <strong>Mission</strong> ist Glaubenszeugnis (Evangelisation) in Wort und Tat<br />

a) Der <strong>Mission</strong>sgedanke Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s (Katja Baur)<br />

Was treibt einen Menschen, <strong>der</strong><br />

in einer schönen, württembergischen<br />

Kleinstadt sein Zuhause<br />

gefunden hat, hinaus in die Ferne?<br />

Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>,<br />

<strong>der</strong> 1820 in Erpfingen auf <strong>der</strong><br />

schwäbischen Alb geboren wurde,<br />

erzählt ein Leben lang von<br />

<strong>der</strong> Natur, seiner warmherzigen<br />

Familie, aber auch <strong>der</strong> interessanten<br />

Bibelstunde am Sonntag,<br />

die ihm Heimat schenkten. In<br />

seiner kindlichen Phantasie<br />

23


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

stellte er sich die Orte Jesu vor und fand darin seine zweite Heimat. Groß geworden im<br />

Rahmen <strong>der</strong> süddeutschen Erweckungsbewegung, die von Biblizismus, frommem Idealismus,<br />

religiösem Individualismus und einer Jerusalemsehnsucht geprägt war, war für<br />

<strong>Schneller</strong> klar: Es kann nicht im Sinne Jesu sein, dass in Jesu Heimat Palästina Menschen<br />

heutzutage nichts mehr von <strong>der</strong> christlichen Hoffnung erfahren. Gott möchte, dass<br />

ich den arbeits- und orientierungslosen Menschen im Nahen Osten Arbeit, Bildung und<br />

Hoffnung bringe. Und deshalb schreibt <strong>Schneller</strong>:<br />

„Wir halten´s ja nicht <strong>mit</strong> denen, welche schreiben: man tut Unrecht, wenn man<br />

in jetziger Zeit Jerusalem an<strong>der</strong>s ansieht als irgendein an<strong>der</strong>es Nest in jedwedem<br />

Winkel <strong>der</strong> Erde. Wir haben die seligen Stunden unserer Kindheit im Geist<br />

dort verlebt, es ist ja unsere zweite Heimat geworden, es knüpfen sich unsere<br />

teuersten Hoffnungen für die Zukunft an diese Stadt und an dieses Land bis hinauf<br />

auf das Jerusalem, das droben ist. Der Ort bleibt uns ja geweiht und geheiligt<br />

vor allen an<strong>der</strong>en, seit Christus da sein Blut vergossen hat für unsere und<br />

aller Welt Sünden. Und es schmerzt uns alle gleicherweise, dass dieser teure<br />

Ort in den Händen <strong>der</strong> Feinde des Kreuzes Christi ist, und so dies arme und<br />

elende Volk noch heute im Schatten des Todes wandelt. Und, nicht wahr, wir<br />

fühlen´s einan<strong>der</strong> ab, wir halten uns gegenseitig berufen, ihre Füße aufzurichten<br />

auf den Weg des <strong>Frieden</strong>s“ (zitiert in: <strong>Schneller</strong>, Hermann: Johann Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong>, Metzingen, 1971 S.22)<br />

<strong>Schneller</strong>s Vision ist Weg und Ziel seiner<br />

<strong>Mission</strong>: Menschen aufzurichten und sie auf<br />

den Weg des <strong>Frieden</strong>s zu führen. Zunächst<br />

lässt <strong>Schneller</strong> sich in Württemberg zum Lehrer<br />

ausbilden. In Vaihingen an <strong>der</strong> Enz arbeitete<br />

er <strong>mit</strong> strafgefangenen Jugendlichen, in<br />

Auendorf <strong>mit</strong> Bauernkin<strong>der</strong>n. Immer umfasst<br />

die Schulbildung auch das Er<strong>lernen</strong> eines<br />

Handwerks und das Hören auf die Worte <strong>der</strong><br />

Bibel. Kein Sonntag verging, ohne dass<br />

<strong>Schneller</strong> ehrenamtlich in einem Gottesdienst<br />

o<strong>der</strong> einer Erbauungsstunde ein Bibelwort<br />

auslegte o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> seinen Schülern durch die<br />

schwäbische Heimat wan<strong>der</strong>te. „Vater<br />

<strong>Schneller</strong>“, wie man ihn im Ländle bald<br />

nannte, machte deutlich: „Wichtig ist nicht,<br />

was Du über die Wahrheit sagst, son<strong>der</strong>n wie<br />

Du lebst, was Du für wahr hältst“. Massen<br />

strömten, um <strong>Schneller</strong> predigen zu hören.<br />

1847 kam <strong>Schneller</strong> als Hausvater <strong>der</strong> Pilgermission<br />

nach St. Chrischona , um in <strong>der</strong><br />

dortigen <strong>Mission</strong>sschule junge Handwerker<br />

zu <strong>Mission</strong>aren auszubilden. Unter pri<strong>mit</strong>ivsten Bedingungen lebte er hier <strong>mit</strong> seinen<br />

Schülern zusammen. Nur verständlich, dass er von dort aus Kontakte zu einer alten Jugendfreundin<br />

aufnahm, die 1854 seine Frau wurde: in Eschenbach wurde Hochzeit <strong>mit</strong><br />

Magdalene Böhringer gefeiert. Da<strong>mit</strong> war eine Hausmutter für die <strong>Mission</strong> gefunden. So<br />

wurden die <strong>Schneller</strong>s nach Jerusalem geschickt.<br />

24


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

25<br />

Fünf Wochen segelten die<br />

<strong>Schneller</strong>s zusammen <strong>mit</strong> 6<br />

<strong>Mission</strong>aren von Marseille gen<br />

Palästina. <strong>Schneller</strong>s <strong>Mission</strong> sollte<br />

wahr werden: in Wort und Tat den<br />

Glauben an den Gott <strong>der</strong> Liebe,<br />

<strong>der</strong> sich in Jesus zeigt, niemandem<br />

vorzuenthalten. <strong>Schneller</strong> schreibt:<br />

„Ich möchte durch Nächstenliebe und<br />

praktisches Christentum das Gemüt<br />

<strong>der</strong> Leute für das Wort Gottes<br />

erschließen und ihre sozialen,<br />

wirtschaftlichen (und persönlichen)<br />

Verhältnisse sanieren“ (Buck, Katja,<br />

Zitat S. Akel in <strong>Schneller</strong><br />

Magazin 2/2010 S.6).<br />

Für <strong>Schneller</strong> war klar: Nicht ich,<br />

son<strong>der</strong>n Gott selbst bringt Licht<br />

ins Dunkel, wo man ihn einlässt.<br />

Seine <strong>Mission</strong> wäre „gelungen“,<br />

wenn die Strassenkin<strong>der</strong> im Orient<br />

und die vielen Bettler in <strong>der</strong><br />

Begegnung <strong>mit</strong> uns <strong>Mission</strong>aren<br />

Gott selbst am Werk sehen und<br />

sich entscheiden, fortan als (evangelische)<br />

Christen zu <strong>leben</strong>.<br />

Als württembergischer evangelischer Christ fühlte <strong>Schneller</strong> sich gut gerüstet für seine<br />

Aufgabe. Bibeltreue und Bibelkenntnis, Gebet und pietistisches Arbeitsverständnis im<br />

Sinne von: „Keiner soll <strong>mit</strong> Müßiggang dem Herrgott den Tag stehlen“ prägten sein<br />

Wirken. Als Werkzeug in <strong>der</strong> Hand Gottes wollte er die orthodoxen Christen, die im Hl.<br />

Land lebten, aber auch die Muslime und Juden nach dem Vorbild des evangelischen<br />

Württembergs zu guten evangelischen Christen machen und <strong>mit</strong> diesen eine eigene evangelisch-<br />

pietistische Gemeinde in Palästina gründen. Und so konnte <strong>Schneller</strong> beim Betreten<br />

Palästinas sagen:<br />

„Es geschah dies <strong>mit</strong> dem festen Entschluss, nicht mehr zurückzusehen und dem Gebetswunsch:<br />

im Dienst des Herrn darin zu <strong>leben</strong> und zu sterben und seine Bewohner, soviel an ihnen<br />

sei, zurückzuführen zur seligen Gemeinschaft <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> Gottes.“ 2<br />

Für <strong>Schneller</strong> war unverzichtbar: Wort und Tat hängen in <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> zusammen. Das<br />

gilt es bis heute sicherlich als Erbe zu bewahren. Geän<strong>der</strong>t hat sich zu Recht <strong>der</strong> Weg<br />

<strong>der</strong> <strong>Mission</strong>sarbeit: <strong>Schneller</strong> brachte das evangelisch -württembergische Christentum ins<br />

2 Ausspruch <strong>Schneller</strong>s beim Betreten Palästinas, zitiert in Akel, Samir: Anfänge in Jerusalem,<br />

in: Die <strong>Schneller</strong> Schulen, EMS Südwestdeutschland, Oktober 1993, S.13.


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Heilige Land: man sang aus dem württembergischen Gesangbuch, hielt die Stunde o<strong>der</strong><br />

betete wie die Pietisten seiner Heimat. Dass die ortsansässigen orthodoxen Christen in<br />

Jerusalem und Palästina an<strong>der</strong>s beteten o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s feierten als er selbst, hat <strong>Schneller</strong><br />

nicht sehen wollen o<strong>der</strong> können. Für die heutige <strong>Mission</strong>sarbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen ist<br />

deshalb die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den lokalen Trägerkirchen vor Ort, das Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Christen in <strong>der</strong> ökumenischen Bewegung unter <strong>der</strong> Maßgabe des Beschluss des ÖKR von<br />

1961 wichtig, <strong>der</strong> es verbietet, dass eine Konfession an<strong>der</strong>en Konfessionen die Mitglie<strong>der</strong><br />

abwirbt (Proselytentaufe). Doch Selbstbewusstsein im Glauben und Heimat im Glauben<br />

gelten dabei als wichtige Basis für die Persönlichkeit und den <strong>Frieden</strong> in einer Gesellschaft.<br />

<strong>Mission</strong>ierung von Muslimen zum Christentum ist heute in Jordanien verboten.<br />

Deshalb vermeidet die Schule in Amman heute alles, was dem Verdacht ausgesetzt wäre,<br />

<strong>mit</strong> den damaligen Methoden eines Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> zu missionieren. Dennoch<br />

stehen die <strong>Schneller</strong> Schulen bis heute zum christlichen Profil ihrer Arbeit, erteilen<br />

christlichen und muslimischen Religionsunterricht, beten <strong>mit</strong> allen Jugendlichen vor dem<br />

Essen und verschweigen nicht, dass sie ihre Arbeit als Christen tun. Die Verfolgung und<br />

Bedrohung von Christen im Nahen Osten nötigt uns meines Erachtens in beson<strong>der</strong>er<br />

Weise, die <strong>Mission</strong>sarbeit, die heute im Nahost vielerorts von Christen geleistet wird, zu<br />

würdigen und zu unterstützen.<br />

Menschen, die ihre <strong>Mission</strong> <strong>leben</strong>, sind kantig- aber klar. <strong>Schneller</strong> wollte das Evangelium<br />

niemandem vorenthalten und er brachte es nicht nur zu den Nächsten innerhalb <strong>der</strong><br />

eigenen Glaubensgemeinschaft, son<strong>der</strong>n zu den bedürftigen Fernsten- das ist bis heute<br />

faszinierend und provozierend.<br />

26


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

b) Erfahrungsinput zur <strong>Mission</strong> als Zeugnis aus dem BIDA Studienprojekt 2007<br />

(Simone Breischaft, Damaris Rebmann)<br />

Als wir, 40 Studierende evangelischer Hochschulen aus Deutschland, davon 20 aus<br />

Ludwigsburg, im September 2007 am BIDA-Studienprojekt in Amman teilnahmen, haben<br />

wir beim Studientag an <strong>der</strong> Islamischen Fakultät <strong>der</strong> Jordanischen Universität eine<br />

Ahnung davon erhalten, was Johann <strong>Schneller</strong> für seine <strong>Mission</strong> als Evangelisation<br />

wichtig war- und auch uns wichtig ist: den eigenen Glauben niemandem vorzuenthalten.<br />

Vor uns saßen bärtige Professoren – ganz im Stile Vater <strong>Schneller</strong> – die aber keine Christen,<br />

son<strong>der</strong>n Muslime waren. Sie lehrten alle Islam, islamischen Glauben, islamisches<br />

Recht usw. Obwohl sie Semesterferien hatten, waren alle gekommen, um <strong>mit</strong> uns deutschen<br />

Studierenden einen Studientag zum christlich-islamischen Dialog zu halten.<br />

Sie begrüßten uns freundlich,<br />

antworteten auf alle unsere Fragen,<br />

machten aber auch ganz klar ihre<br />

Position deutlich: Der Islam ist das<br />

Update <strong>der</strong> Religionen. Niemand würde<br />

eine Software von 1998 benutzen,<br />

wenn er eine von 2007 einspielen könnte.<br />

So sei es auch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Religion: <strong>der</strong><br />

Islam bringe <strong>Frieden</strong> und habe den besten<br />

Weg bereit, um <strong>Frieden</strong> unter den<br />

Menschen und <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> Gott zu<br />

bringen. Deshalb sollen überall auf <strong>der</strong><br />

27


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Welt Menschen zu guten Muslimen geführt werden – auch wir Christen.“<br />

Obwohl uns ihre Meinung nicht passte, überzeugte uns die Klarheit und Offenheit, <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> sie versuchten, uns von ihrem Glauben zu überzeugen. Das hin<strong>der</strong>te nicht daran,<br />

trotzdem über Küngs Weltethosidee zu sprechen, über die einer <strong>der</strong> Professoren promoviert<br />

hatte. Als die Professoren uns dann <strong>mit</strong>tags zum Mittagessen in die Mensa einluden,<br />

uns aber baten, dort 10 Minuten auf sie zu warten, weil sie vor dem Essen gemeinsam<br />

in <strong>der</strong> Universitätsmoschee beten würden, waren wir total beeindruckt von dieser<br />

Glaubenssicherheit, die sie überzeugend ausstrahlten. Vielen von uns wurde an diesem<br />

Tag deutlich, was <strong>Mission</strong> uns bedeutet: Überzeugt vom Eigenen- dem An<strong>der</strong>en in Liebe<br />

zugewandt begegnen- aber auch offen den eigenen Glauben einbringen. Wir wünschen,<br />

dass ein „Ja“ zur christlichen <strong>Mission</strong>, die von Zuwendung und eben nicht von Bevormundung<br />

lebt, auch an unserer EH erlebbar wird.<br />

c) Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s <strong>Mission</strong>sverständnis und dessen Anfragen an<br />

<strong>Mission</strong>sarbeit heute (Andreas Maurer, EVS/EMS)<br />

Begrüßung durch den Studierenden Martin Hoffmann, BIDA Projekt 2010:<br />

Martin Hoffmann (EH<br />

Ludwigsburg) begrüßte<br />

die Referentinnen und<br />

Referenten und mo<strong>der</strong>ierte<br />

die Vorträge an.<br />

<strong>Mission</strong> aus christlicher Nächstenliebe heraus sagt bewusst „Ja“<br />

zum Zeugnischarakter des Evangeliums. Dieses Zeugnis gründet<br />

sich auf die Worte des auferstandenen Christus: „Wie mich mein<br />

Vater gesandt hat, so sende ich euch“ Das Beson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> christlichen<br />

<strong>Mission</strong> besteht für <strong>Schneller</strong> und viele von uns darin, dass<br />

wir nicht nur in unseren Glaubenskreisen und Familien einan<strong>der</strong><br />

helfen, son<strong>der</strong>n alle Bedürftigen dieser Welt als unsere Nächsten<br />

sehen. Man könnte sagen: Christliche <strong>Mission</strong> ist ursächlich sozial<br />

und global. Doch das ist auch provokativ.<br />

An unserer Hochschule gibt es immer wie<strong>der</strong> Diskussionen darüber,<br />

ob Christen in <strong>der</strong> heutigen multireligiösen Welt noch das<br />

Evangelium weitergeben sollen. Ich gehöre zum Kreis <strong>der</strong> Studierenden,<br />

die in sechs Wochen am BIDA Projekt in Amman<br />

teilnehmen werden. Bei unserer Vorbereitung fragten wir uns,<br />

wie Menschen, die heutzutage in einem christlichen <strong>Mission</strong>swerk<br />

arbeiten, diese Frage beantworten würden. Manche sagen<br />

ja, dass <strong>Schneller</strong> sein Werk nicht- wie so oft aufgezeigt- als charismatische<br />

Einzelperson erwirkte, son<strong>der</strong>n seine Ideen nur deshalb<br />

durchsetzen konnte, weil er in einer <strong>Mission</strong>sgesellschaft arbeitete<br />

und von daher Rückendeckung für sein Tun erhielt. Ist es<br />

bei Ihnen ähnlich?<br />

Wir freuen wir uns, dass Pfarrer Andreas Maurer vom <strong>Evangelische</strong>n<br />

<strong>Mission</strong>swerk Stuttgart und zugleich Vorstand des Vereins<br />

für die <strong>Schneller</strong> Schulen bei uns ist. Er wird uns sprechen zum<br />

Thema: „<strong>Mission</strong> als Evangelisation“.<br />

28


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

<strong>Mission</strong> und Evangelisation – eine Verhältnisbestimmung (Pfarrer Andreas Maurer)<br />

Es ist nicht immer nur die reine Freude, <strong>mit</strong><br />

einer halben Stelle als Geschäftsführer des<br />

<strong>Evangelische</strong>n Vereins für die <strong>Schneller</strong>-<br />

Schulen (EVS) zu arbeiten - <strong>mit</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Hälfte bin ich Verbindungsreferent<br />

Nahost des <strong>Evangelische</strong>n <strong>Mission</strong>swerks<br />

in Südwestdeutschland (EMS). Es sind<br />

nicht nur sehr viele Fäden, die man zusammenhalten<br />

muss, verschiedenste Kirchen<br />

hier und dort, verschiedene Län<strong>der</strong><br />

<strong>mit</strong> verschiedenen Bildungssystemen, unterschiedlichen<br />

Kulturen und Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

(Libanon – Jordanien – Israel/Palästina),<br />

aber auch das leidige sich<br />

Herumschlagen <strong>mit</strong> Geldsorgen hier und<br />

dort, <strong>der</strong> Wettbewerb auf dem Spendenmarkt, die Öffentlichkeitsarbeit <strong>mit</strong> dem Versuch<br />

die <strong>Schneller</strong>-Schulen in die Öffentlichkeit zu tragen, gleichzeitig das sensible Thema<br />

Nahost - da spielt unsere deutsche Geschichte und unser Verhältnis zum Judentum <strong>mit</strong><br />

hinein, und natürlich auch das Verhältnis zum Islam hier und dort, <strong>Frieden</strong>spädagogik,<br />

Heimpädagogik, Berufsausbildung in unterschiedlichen Systemen, das Erschließen von<br />

Einnahmequellen hier wie dort, das Stellen von Anträgen und so weiter. Diese Fülle und<br />

noch Manches mehr macht die Arbeit aus. Sie macht die Arbeit abwechslungsreich und<br />

spannend, manchmal aber auch spannungsreich und in <strong>der</strong> Fülle erdrückend.<br />

Doch eigentlich will ich auf die an<strong>der</strong>e Seite hinaus. Denn trotz allem halte ich manchmal<br />

in meiner Arbeit inne und verspüre ein tiefes Glücksgefühl. Es ist das Gefühl bei <strong>der</strong><br />

„<strong>Schneller</strong>-Arbeit“ Teil von etwas Beson<strong>der</strong>em zu sein, beson<strong>der</strong>s, weil hier ganz viel zusammenfällt,<br />

was für mich mein Christsein ausmacht und das sinnstiftend ist. So ist die<br />

<strong>Schneller</strong>-Arbeit für mich eine <strong>Mission</strong> im doppelten Sinn: Es ist eine sinnerfüllte Aufgabe<br />

<strong>mit</strong> einem großen Ziel. Und sie ist tätiges, christliches Zeugnis im Sinne von Jesu<br />

Wort vom Salz und vom Licht in Mt 5, 13-16:<br />

Ihr seid das Salz <strong>der</strong> Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, wo<strong>mit</strong> soll man salzen? Es ist zu<br />

nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet<br />

und lässt es von den Leuten zertreten. Ihr seid<br />

das Licht <strong>der</strong> Welt. Es kann die Stadt, die auf<br />

einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man<br />

zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter<br />

einen Scheffel, son<strong>der</strong>n auf einen Leuchter;<br />

so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst<br />

euer Licht leuchten vor den Leuten, da<strong>mit</strong> sie<br />

eure guten Werke sehen und euren Vater im<br />

Himmel preisen.<br />

29<br />

Als ReferentInnen und im Zuhörerkreis von<br />

links nach rechts: Andreas Maurer (EMS),<br />

Emina Corbo-Mesic (islamische Lehrbeauftragte<br />

<strong>der</strong> EH Ludwigsburg,, Pfarrer Klaus<br />

Schmid (EVS), Musa Al-Munaizel (<strong>Schneller</strong>-<br />

Schule, Amman) und Ghazi Musharbash (<br />

Leiter <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule in Amman)


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

„<strong>Mission</strong>“ war für mich für lange Zeit ein belasteter Begriff. <strong>Mission</strong> ist verbunden <strong>mit</strong><br />

Macht, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Gier europäischer Nationen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Unterdrückung <strong>der</strong> je einheimischen<br />

Menschen und ihrer Kulturen und <strong>mit</strong> Ausbeutung.<br />

Erst <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Zeit habe ich gelernt, dass es mindestens so viel positive Beispiele christlicher<br />

<strong>Mission</strong> gibt wie negative: <strong>Mission</strong>are und <strong>Mission</strong>arinnen, die sich tief in die neuen Kulturen<br />

eingefühlt haben, die den Menschen Entscheidendes gebracht haben, die auch befreit<br />

haben aus Angst machenden Systemen des Aberglaubens, die zur Emanzipation von<br />

Kulturen beigetragen haben, die grundlegende Forschungen über Sprachen betrieben haben.<br />

Sprechen Sie mal <strong>mit</strong> einem Presbyterianer in Ghana über <strong>Mission</strong>. Er kann unsere<br />

Probleme in <strong>der</strong> Regel in keiner Weise nachvollziehen.<br />

Heute ist <strong>Mission</strong> für mich konstitutiver Bestandteil meiner christlichen Existenz. Erst<br />

<strong>Mission</strong> macht aus Kirche mehr als nur Selbstzweck. Für wen sind wir Christen denn da?<br />

Für uns o<strong>der</strong> für an<strong>der</strong>e? Geht es um spirituelle Bereicherung meiner selbst, o<strong>der</strong> geht es<br />

nicht vielmehr immer um die an<strong>der</strong>en? So wie „Christus <strong>der</strong> Mensch für an<strong>der</strong>e ist“, sagt<br />

Bonhoeffer, so gelte auch: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für an<strong>der</strong>e da ist.“ 3 Wenn wir<br />

mehr sein wollen als eine kleine Gemeinde, die um ihren Kirchturm kreist, o<strong>der</strong> eine<br />

Landeskirche, die sich in <strong>der</strong> „Gänsheide“ (Sitz des Oberkirchenrates <strong>der</strong> württembergischen<br />

Landeskirche) erschöpft, müssen wir missionarische Kirche sein.<br />

So weit so gut. Aber wie soll das Gestalt gewinnen? Mein erstes Bibelzitat war nicht zufällig<br />

das Wort von Licht und Salz (Mat 5), und nicht: „Gehet hin und machet zu Jüngern<br />

alle Völker“ aus Mat 28,19. Nicht dass ich prinzipiell etwas gegen dieses Wort hätte,<br />

aber die herkömmliche Übersetzung steht gegen mein Verständnis von <strong>Mission</strong>. Denn<br />

das im außerbiblischen Griechisch ausschließlich intransitiv gebrauchte Verb matetheuo<br />

wird nur im Neuen Testament transitiv gebraucht und <strong>mit</strong> „zu Jüngern machen“ übersetzt.<br />

Doch ist das machbar? Kann ich jemanden zum Christen o<strong>der</strong> zur Christin machen? Ist<br />

dabei nicht immer Gott <strong>der</strong> Handelnde und nicht ich als Mensch egal was für Methoden<br />

und Strategien ich auch anwende? Ich kenne nur eine Übersetzung, die dem bei <strong>der</strong><br />

Übersetzung dieses Verses gerecht wird. In <strong>der</strong> „Bibel in gerechter Sprache“ heißt es:<br />

Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker <strong>mit</strong><strong>lernen</strong>!<br />

Lei<strong>der</strong> sitzt bei den meisten Menschen aber noch die herkömmlicher Übersetzung fest. In<br />

<strong>der</strong> <strong>Mission</strong>stheologie hat sich aber seit langem die Erkenntnis durchgesetzt, dass christliche<br />

<strong>Mission</strong> nicht zuerst das Handeln von Menschen ist, son<strong>der</strong>n das Handeln Gottes.<br />

Man spricht daher von <strong>der</strong> missio dei, <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> Gottes. In <strong>der</strong> theologischen Orientierung<br />

des EMS (TO, http://www.ems-online.org/ueber-uns/theologische-orientierung),<br />

die von allen Kirchen <strong>der</strong> internationalen Gemeinschaft des EMS verabschiedet wurde,<br />

heißt es daher: <strong>Mission</strong> ist zuerst Gottes Zuwendung zur Welt, in <strong>der</strong> Schöpfung, in <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>mit</strong> den Menschen, in Jesus Christus und in <strong>der</strong> Kraft des Geistes. Unser<br />

Zeugnis ist Antwort und Beteiligung an Gottes leidenschaftlich-<strong>mit</strong>leiden<strong>der</strong> und verwandeln<strong>der</strong><br />

Liebe (TO Punkt 2).<br />

Da<strong>mit</strong> ist auch schon gesagt, was ist Movens für christl. <strong>Mission</strong> ist. Nicht das drohende<br />

Gericht son<strong>der</strong>n Gottes einladende Liebe. Unser Zeugnis ist Antwort und Beteiligung an<br />

Gottes leidenschaftlich-<strong>mit</strong>leiden<strong>der</strong> und verwandeln<strong>der</strong> Liebe (ebenda). Wichtig ist daher<br />

auch die Ganzheitlichkeit von <strong>Mission</strong>. Es geht nicht darum vor allem zu reden, o<strong>der</strong><br />

gar Menschen zu indoktrinieren, son<strong>der</strong>n die christliche Botschaft ganzheitlich erleb-<br />

3<br />

D. Bonhoeffer, Wi<strong>der</strong>stand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus <strong>der</strong> Haft, hrsg. v. C. Gremmels,<br />

E. Bethge und R. Bethge in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> I. Tödt, München 1998, S. 560.<br />

30


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

bar zu machen: Das Evangelium gilt allen Dimensionen des Lebens. Unser Zeugnis ist<br />

deshalb ganzheitlich. Verkündigung des Evangeliums, Gottesdienst und Gebet, Seelsorge,<br />

Religionspädagogik, Diakonie sowie <strong>der</strong> Einsatz für Gerechtigkeit, <strong>Frieden</strong>, Versöhnung<br />

und die Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung gehören unlösbar zusammen (TO Punkt 4).<br />

Und es gehört auch eine beson<strong>der</strong>e Offenheit für Angehörige an<strong>der</strong>er Religionen dazu.<br />

Denn wenn es Gottes Liebe ist, die mich treibt, dann muss ich auch offen zugewandt -<br />

und das echt und nicht nur zum Schein – auf Menschen an<strong>der</strong>en Glaubens zugehen und<br />

<strong>mit</strong> ihnen umgehen: In unserem Zeugnis begegnen wir, mutig und demütig zugleich,<br />

Menschen an<strong>der</strong>er religiöser Überzeugungen und Weltanschauungen <strong>mit</strong> Achtung, Respekt<br />

und Einfühlungsvermögen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Bereitschaft zuzuhören und als gute Nachbarn<br />

zusammenzu<strong>leben</strong> (TO Punkt 9).<br />

Erst in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heitensituation als Christ im Nahen Osten habe ich verstanden (Anmerkung:<br />

A. Maurer war nach dem Studium u.a. an <strong>der</strong> Dor<strong>mit</strong>io in Jerusalem für einige<br />

Jahre Pfarrer <strong>der</strong> deutschen Gemeinde in Beirut, Libanon), was es heißt Christ zu sein.<br />

Es ist mehr als nur ein privates Vergnügen o<strong>der</strong> eine persönliche Überzeugung, es ist Teil<br />

meiner Existenz. Das wird einem in einer Region, in <strong>der</strong> Religion nicht Privatsache ist<br />

und in <strong>der</strong> man selbstverständlich auf seinen Glauben angesprochen und auch positiv darauf<br />

behaftet wird, sehr viel bewusster als bei uns in Deutschland.<br />

<strong>Schneller</strong> hat vieles von dem schon vor 150 Jahren erlebt und schon damals vorgemacht.<br />

Seine Sprache ist nicht unsere Sprache heute. Aber auf dem Weg, den er eingeschlagen<br />

hat, kann ich auch heute noch voller Überzeugung weitergehen. Und da<strong>mit</strong> bin ich zum<br />

Glück nicht allein.<br />

Gottesdienst in <strong>der</strong> Kirche <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong>-Schule, Amman<br />

31


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

2. <strong>Mission</strong> ist tätige Sozialarbeit<br />

a) Das Wirken <strong>Schneller</strong>s und seiner Söhne an und für benachteiligte Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche im Nahen Osten (Katja Baur)<br />

<strong>Schneller</strong>s Vision brach sich schnell an den Realitäten. Er war erschrocken, wie wenig<br />

Infrastruktur es in Palästina gab, wie viele Menschen<br />

bettelten o<strong>der</strong> Analphabeten waren. Jesu Zuwendung zu<br />

den Schwächsten <strong>der</strong> Gesellschaft wurde für <strong>Schneller</strong><br />

leitend für seine missionarische Sozialarbeit: Jesus, Urbild<br />

eines diakonischen Sozialarbeiters motivierte ihn, zu<br />

heilen, zu teilen, hinzuhören, sich in die Situation <strong>der</strong><br />

vielen Strassenkin<strong>der</strong> in Jerusalem einzufühlen o<strong>der</strong> das<br />

eigene Essen und Zuhause <strong>mit</strong> Hungrigen zu teilen.<br />

Gleichzeitig aber versuchte <strong>Schneller</strong>, die Bettelnden auf<br />

<strong>der</strong> Strasse ein Handwerk zu lehren, <strong>mit</strong> dem sie ihr<br />

eigenes Geld verdienen konnten. Und er setzte sich <strong>mit</strong><br />

seiner Bibel auf die Strasse, um den herumhängenden<br />

Menschen <strong>mit</strong> ihr Lesen und Schreiben beizubringen. Wer<br />

den Menschen sozial dienen will, muss sie auch religiös<br />

sozialisieren. <strong>Schneller</strong> sagte das so: „Ich kann nicht in einem<br />

des Evangeliums so bedürftigen Landes das Wort<br />

Gottes lassen und zu Tisch dienen“(zitiert in: <strong>Schneller</strong>, Hermann: Johann Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong>, Metzingen, 1971 S.23)<br />

Für <strong>Schneller</strong> ist <strong>der</strong> Mensch ein Beziehungswesen. Er ist auf Begegnung <strong>mit</strong> sich selbst,<br />

den Mitmenschen und <strong>mit</strong> Gott hin angelegt. Wird eine Ebene ausgeblendet, können<br />

Menschen sich nicht entfalten und sozial <strong>leben</strong>. <strong>Mission</strong>sarbeit hilft, die Beziehungsfähigkeit<br />

eines Menschen zu stützen und diesem eine Würde zu geben. Sie ist letztlich. Erziehungsarbeit.<br />

Deshalb ist sie ursächlich sozial, d.h. persönlichkeits- gemeinschafts- und<br />

transzendenzbezogen.<br />

Alle drei Ebenen versuchten die <strong>Mission</strong>are <strong>der</strong> Pilgermission St. Chrischona in Jerusalem<br />

zu verwirklichen, doch blieb sichtbarer Erfolg<br />

in Form von zählbaren Konvertiten aus. Die <strong>Mission</strong>are<br />

wurden an an<strong>der</strong>e Orte entsandt. <strong>Schneller</strong><br />

und seine Frau wollten dennoch weiter als <strong>Mission</strong>are<br />

<strong>der</strong> Pilgermission St. Chrischona in Jerusalem<br />

arbeiten. So blieben sie dort und arbeiteten unter<br />

pri<strong>mit</strong>ivsten Bedingungen, aber <strong>mit</strong> viel Idealismus,<br />

an <strong>der</strong> Verwirklichung ihrer Vision. <strong>Schneller</strong> bleibt<br />

Angestellter <strong>der</strong> Pilgermission und bezieht von dieser<br />

bis 1888 (also über 25 Jahre) sein monatliches<br />

Gehalt, auch wenn er sich immer mehr von dieser<br />

distanziert (indem er z.B. eigenständig Gel<strong>der</strong> in<br />

Württemberg sammelt o<strong>der</strong> das Waisenhaus vergrößert,<br />

kurz vor <strong>Schneller</strong>s Tod war <strong>der</strong> Bruch <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> Pilgermission St. Chrischona vollzogen und das<br />

Waisenhaus an den „Verein für das Syrische Waisenhaus<br />

Jerusalem“ angeglie<strong>der</strong>t). Bei seiner Arbeit<br />

konzentriert <strong>Schneller</strong> sich nun zuerst einmal auf<br />

32


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

hat uns Gott unsere Aufgabe vor die Augen hingelegt.“ 4<br />

Das syrische Waisenhaus<br />

in Jerusalem<br />

33<br />

die auf dem Lande <strong>leben</strong>de Bevölkerung.<br />

Die evangelisch arabische<br />

Gemeinde, die er im<br />

Blick hatte, sollte- gut biblisch<br />

und <strong>der</strong> Templeridee verwandt-<br />

vom Ackerbau <strong>leben</strong>. <strong>Schneller</strong><br />

schreibt in sein Tagebuch: „Nun<br />

finden wir, dass die Judenmission<br />

und die unter den orientalischen<br />

Christen hier in Jerusalem und den<br />

Städten des Landes arbeitende englische<br />

<strong>Mission</strong>stätigkeit gut besetzt<br />

ist. Aber <strong>der</strong> Leute auf dem Land<br />

nimmt sich niemand an. In ihnen<br />

<strong>Mission</strong> braucht manchmal einen passenden Ort, einen passenden Anlass und passende<br />

Personen. Alles fand sich 1860: Im Libanon herrschte Krieg. Viele Kin<strong>der</strong> wurden zu<br />

Kriegswaisen. Das Elend vor Augen, dachte <strong>Schneller</strong> „Ich muss die Kin<strong>der</strong> ermordeter<br />

Christen nach Jerusalem holen“. So reiste er im Auftrag <strong>der</strong> Pilgermission St.Chrischona<br />

in den Libanon und kam <strong>mit</strong> neun Waisenkin<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>, die er bei sich aufnahm. Das<br />

war <strong>der</strong> Beginn des Syrischen Waisenhauses, <strong>der</strong> neuen Heimat von Kin<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong><br />

damaligen Provinz Syrien. Zu<br />

Zeiten Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s<br />

befanden sich Schule, Internat und<br />

Berufsausbildung noch in einem<br />

Haus. Es gab keine Kirche, son<strong>der</strong>n<br />

Gebet, Feiern und Gottesdienste<br />

wurden im Stile <strong>der</strong> frühchristlichen<br />

Hausgemeinden im eigenen<br />

Zuhause gefeiert. Doch bereits 50<br />

Jahre nach seiner Gründung<br />

standen etliche Häuser auf dem<br />

<strong>Schneller</strong> Areal und seit 1890 gab es<br />

auch eine Kirche. Diese wurde erst<br />

gebaut, nachdem <strong>Schneller</strong> sich von<br />

<strong>der</strong> Pilgermission St. Chrischona getrennt<br />

hatte. Sie – sowie das ganze<br />

<strong>Schneller</strong> Areal- brannte 1910 ab,<br />

doch wurde alles innerhalb eines<br />

Jahres wie<strong>der</strong> aufgebaut. Die<br />

Architekten <strong>der</strong> deutschen Kirchen<br />

in Jerusalem, <strong>der</strong> Erlöserkirche, <strong>der</strong><br />

4 J.L. <strong>Schneller</strong>, zitiert in EMS: <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong> (2010) S.35.


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Dor<strong>mit</strong>io Kirche und Augusta Victoria stimmten den Klang <strong>der</strong> Glocken dieser Kirchen<br />

aufeinan<strong>der</strong> ab, sodass über ganz Jerusalem von Bethlehem zum Zion zum Ölberg und<br />

zum <strong>Schneller</strong> Areal die Einladung zu den christlichen Gottesdiensten zu hören war. Das<br />

Gelände des Syrischen Waisenhauses, das vor den Toren Jerusalems lag, war 50 Jahre<br />

nach seiner Gründung größer als die damalige Altstadt Jerusalems. Dieses Areal ist bis<br />

heute erhalten. Das Hauptgebäude und einige Häuser, die nach deutschen Städten benannt<br />

waren, grenzen heute an Mea Shearim an.<br />

Dass es bei den <strong>Schneller</strong>s ein Zuhause für Kin<strong>der</strong> gab, die ansonsten auf <strong>der</strong> Strasse <strong>leben</strong><br />

müssten, sprach sich schnell herum. Nach einem Jahr lebten bereits 41, 1888 dann<br />

mehr als 90 Kin<strong>der</strong> im Waisenhaus. Angehörige mussten sich verpflichten, ihre Kin<strong>der</strong><br />

bis zum 15. Lebensjahr bei den <strong>Schneller</strong>s zu lassen, da<strong>mit</strong> die Erziehung fruchten könne.<br />

<strong>Schneller</strong> schreibt: „Die Kin<strong>der</strong>rettungshäuser sollten also vor <strong>der</strong> bösen Welt draußen bewahren<br />

und <strong>mit</strong> dem Eintritt des Kindes ins Waisenhaus wurde um seine neue Identität gerungen.“<br />

5<br />

Das Zusammen<strong>leben</strong> im Waisenhaus<br />

war klar geregelt: Der Tag begann<br />

<strong>mit</strong> einer Morgenandacht, es<br />

wurde gearbeitet, gelernt, gespielt,<br />

gesungen und abends aus <strong>der</strong> Bibel<br />

vorgelesen. Es gab feste Regeln.<br />

<strong>Schneller</strong> teilte sein Privat<strong>leben</strong> <strong>mit</strong><br />

den Heimkin<strong>der</strong>n, unterrichtete sie<br />

und war dennoch das Oberhaupt.<br />

Jedes Kind bekam eine Schul- und<br />

Berufsausbildung. Die Werkstätten<br />

für Schmiede-, Schreiner- und Töpferlehrlinge,<br />

Schuhmacherei,<br />

Schnei<strong>der</strong>ei, Bäckerei, Buchdruckerei,<br />

Buchbin<strong>der</strong>ei, Maurerei, Landwirtschaft<br />

und Schlosserei führten<br />

zur Bildung einer protestantischen<br />

Mittelschicht. Später wurde zudem eine Klasse für Schullehrer und Evangelisten eingerichtet,<br />

aus <strong>der</strong> führende Vertreter des arabischen Protestantismus hervorgingen. Hier<strong>mit</strong><br />

entstand erstmals eine protestantische Oberschicht in Palästina. Das pädagogische Prinzip<br />

für alle war eine Erziehung zur Verantwortung: Größere Schüler passten auf Kleinere<br />

auf, Schwache wurden von Starken unterstützt; Geben und Nehmen gingen Hand in<br />

Hand. Neben aller Arbeit wurde- wie auch heute in den <strong>Schneller</strong> Schulen- Sport getrieben,<br />

musiziert, im Garten gearbeitet, Tiere versorgt und <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> gefeiert. Alle Sinne<br />

wurden aktiviert, um die Ganzheit <strong>der</strong> Persönlichkeit zu formen. <strong>Schneller</strong> sagt das so:<br />

„Was ist bildsamer, was ist viel versprechen<strong>der</strong> als ein Kind?[...] Unser Haus ist eine Erziehungs-<br />

und Bildungsanstalt, wo arme Menschenkin<strong>der</strong> zu nützlichen Glie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> menschlichen<br />

Gesellschaft erzogen und gebildet werden“(Akel, Samir(1978): Der Pädagoge und <strong>Mission</strong>ar<br />

Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> und seine Erziehungsanstalten, Bielefeld. S.100) „Seine<br />

(<strong>Schneller</strong>s) Kin<strong>der</strong> sollten <strong>der</strong> <strong>Mission</strong>ierung Palästinas dienen; sie sollten unter den Mohammedanern<br />

im Lande ´Salz und Licht´ sein. Durch ein vorbildliches christliches Leben<br />

sollten sie auf die Umgebung wirken und sie zur Nachahmung ermutigen.“ 6<br />

5<br />

Eissler, Jakob (1999):Der Kaiser reist ins Hl. Land, 15.<br />

6<br />

<strong>Schneller</strong>, Hermann: Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>, Metzingen, 1971, S.49<br />

34


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Bis heute ist es so, dass <strong>der</strong> Name <strong>Schneller</strong> für bewusste Übernahme soziale Verantwortung<br />

stand und steht. Die Zuwendung zu Flüchtlingskin<strong>der</strong>n <strong>mit</strong> ihren Traumata, Gewalterfahrungen<br />

usw. spielt dabei eine beson<strong>der</strong>e Rolle. Es begann <strong>mit</strong> den Waisenkin<strong>der</strong>n aus Syrien;<br />

nach den Massakern in Armenien wurden über 100 Kin<strong>der</strong> aufgenommen; nach dem 67er-<br />

Krieg fanden heimatlose Palästinenserkin<strong>der</strong> bei den <strong>Schneller</strong> Nachfahren ein Zuhause. Und<br />

zur Zeit würden unzählige Kin<strong>der</strong> und Jugendliche aus dem Irak auf <strong>der</strong> Strasse landen, wenn<br />

sie nicht in den <strong>Schneller</strong> Schulen ein neues Zuhause finden würden.<br />

Zurück zur Geschichte: Nach <strong>Schneller</strong>s Tod übernehmen seine Söhne die Leitung des<br />

Waisenhauses. Theodor fügt dem Waisenhaus nun auch eine Blindenanstalt bei. Weitere<br />

<strong>Schneller</strong> Einrichtungen entstehen, z.B. seit 1910 in Nazareth. Im 1. Weltkrieg wird das<br />

Waisenhaus nach <strong>der</strong> Eroberung des Landes durch die Englän<strong>der</strong> zunächst geschlossen,<br />

doch nach dem 1. Weltkrieg kann Johann Ludwigs <strong>Schneller</strong>s Sohn Theodor 1920 die<br />

Leitung des Waisenhauses in Jerusalem übernehmen. 1927 übergibt er diese an seinen<br />

ältesten Sohn Herrmann. 1930 ist das Syrische Waisenhaus die mo<strong>der</strong>nste Berufsschule<br />

im Nahen Osten. Der Name <strong>Schneller</strong> steht für Qualität. So schreibt sein Sohn Ludwig:<br />

„Dieser große Landkomplex ist für die Zukunft des Hauses, das längst nicht mehr bloß <strong>der</strong> Waisenversorgung<br />

dient, son<strong>der</strong>n zu einer <strong>Mission</strong>sanstalt für ganz Palästina geworden ist, von <strong>der</strong> allergrößten<br />

Wichtigkeit. Hier, rings um das Haus, werden jetzt Jahr für Jahr mehr solche evangelischen<br />

arabischen Familien angesiedelt, welche im Haus erzogen wurden. In Kirche und Schule des Syrischen<br />

Waisenhauses finden sie ihren naturgemäßen Zusammenschluss zu einer Gemeinde, die sich<br />

wie eine stets wachsende, große Familie um das Mutterhaus <strong>mit</strong> seinen 300 Bewohnern lagern soll.<br />

Im gewerblichen Leben Jerusalems und in den industriellen Anlagen des Syrischen Waisenhauses<br />

finden diese Gemeindeglie<strong>der</strong> ihr Brot und lohnenden Verdienst. An<strong>der</strong>thalb Tausend arabischer<br />

Männer und Jünglinge sind jetzt durch das Haus hindurch gegangen. Und wer einmal Palästina<br />

durchquert und selbst in den entlegendsten Gegenden, wie Samaria und Galiläa und auf dem<br />

Libanon, immer wie<strong>der</strong> arabischen Männern begegnet ist, die ihn <strong>mit</strong> dem traulichen ‚Grüß Gott‘<br />

anredeten, <strong>der</strong> wird einen Eindruck davon bekommen haben, dass die Arbeit „Vater <strong>Schneller</strong>s“<br />

nicht vergeblich gewesen ist.“ 7<br />

7<br />

Ludwig <strong>Schneller</strong>, 1897 zitiert bei: Waiblinger, Martina: Johann <strong>Schneller</strong> und das Syrische Waisenhaus.<br />

<strong>Schneller</strong> Magazin, S.106.<br />

35


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Infolge <strong>der</strong> politischen Wirren in<br />

Deutschland und <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Einwan<strong>der</strong>ung von Juden nach Palästina,<br />

waren deutsche Einrichtungen im Hl.<br />

Land nach dem 1.Weltkrieg zunehmend<br />

gefährdet. Mit Sorge sah <strong>Schneller</strong>s Sohn<br />

Ludwig, was <strong>mit</strong> dem Syrischen<br />

Waisenhaus passieren könnte. Er gehörte<br />

zur Jerusalemabteilung <strong>der</strong> Bekennenden<br />

Kirche und hoffte auf diese<br />

Unterstützung. Im Gegensatz zu Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong>, <strong>der</strong> in Köln lebte, schlossen<br />

sich Hermann und Ernst <strong>der</strong> NSDAP<br />

Ortsgruppe von Jerusalem an. Ernst war<br />

sogar leitendes Mitglied dieser<br />

Ortsgruppe geworden- vielleicht auch, um<br />

das Waisenhaus zu retten. Im Syrischen<br />

Waisenhaus hing nun eine Hakenkreuzfahne.<br />

Nach Ausbruch des 2.<br />

Weltkrieges wurde Hermann <strong>mit</strong> weiteren<br />

Palästina-Deutschen nach Australien<br />

gebracht. 1940 wurde die Anstalt von den<br />

Englän<strong>der</strong>n geschlossen und als Kaserne<br />

benutzt.<br />

Die Kin<strong>der</strong> des Waisenhauses wurden ihren Familien zurückgegeben. Nur zwölf Kin<strong>der</strong>,<br />

die kriegsbedingt nicht nach Hause gehen konnten, flohen <strong>mit</strong> dem arabischen Schulleiter<br />

von <strong>der</strong> Zweiganstalt in Nazareth in den Libanon. Hermann <strong>Schneller</strong> führte später im<br />

Libanon das Werk seines Großvaters fort. Auch für ihn galt: <strong>Mission</strong>sarbeit ist vor allem<br />

Sozialarbeit. Wer den Flüchtligen, Heimatlosen und Randständigen ein Zuhause gibt,<br />

bringt Licht ins Dunkel.<br />

36


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

c) Erfahrungsinput zur <strong>Mission</strong> als Sozialarbeit aus dem BIDA Studienprojekt<br />

(Beate Bauer, Katja Reiber)<br />

Während unseres Studienprojektes in Amman lebten wir drei Wochen auf dem Gelände<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule. Neben dem Studienprogramm war <strong>der</strong> Kontakt zu den Jungen im<br />

Internat von beiden Seiten gewünscht. Wir 40 Studierende wurden in Gruppen aufgeteilt<br />

und jeweils einer Internatsgruppe zugeteilt. Mit unserer Gruppe- z.B. <strong>der</strong> Gruppe „family<br />

1“ o<strong>der</strong> „ peace family“ spielten wir abends auf dem Gelände Fussball, halfen bei den<br />

Hausaufgaben o<strong>der</strong> aßen <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong>. Etliche Internatskin<strong>der</strong> haben keine Familie o<strong>der</strong><br />

eine verwahrloste Familie. Viele von uns Studierenden haben in <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule<br />

hautnah erlebt, wie das Aufwachsen in einem Flüchtlingslager o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Krieg im Irak das<br />

Leben von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen behin<strong>der</strong>t- stille, weinende Kin<strong>der</strong>, die ihrer Heimat<br />

nachtrauern und nichts für all das Elend können, das sie nun ausbaden müssen. Das<br />

hat uns echt bewegt. Wir freuten uns, wenn diese Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> uns etwas Spaß am Leben<br />

erfahren konnten- z.B. beim Baden im Schwimmbad, dem Pausenhof <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule<br />

in Amman. Wenn wir unsere Familie im Internat besuchten, zeigten die Kin<strong>der</strong> uns<br />

stolz ihr eigenes Bett und die kleine Kiste <strong>mit</strong> Habseligkeiten, die unter dem Bett steht.<br />

Was für Kin<strong>der</strong> in Deutschland selbstverständlich ist, ist hier eine kleine Kostbarkeit.<br />

Uns befremdeten die festen Regeln und Rituale im Internat manchmal, aber wir sahen,<br />

dass sie den Kin<strong>der</strong>n Halt geben. Wenn wir in <strong>der</strong> Frühe ab und zu in unserer Internatsgruppe<br />

gegessen haben, hing uns nach dem Frühstück oft noch <strong>der</strong> Magen durch. Es gab<br />

Fladenbrot und Satar sowie Tee- so zugeteilt, dass es für alle reicht. Aber satt wurden wir<br />

davon nicht. Die Kin<strong>der</strong> waren fürs Zubereiten, Abspülen usw. zuständig. Jedes hatte<br />

eine Aufgabe. Nur wenn man Geburtstag hatte, musste man nicht <strong>mit</strong>helfen. Je<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>geburttag<br />

wurde beson<strong>der</strong>s gefeiert- so, wie schon damals die Geburtstagskin<strong>der</strong> neben<br />

<strong>Schneller</strong> sitzen durften und beson<strong>der</strong>s beachtet wurden. Uns beeindruckte , wie diese<br />

Kin<strong>der</strong> in all <strong>der</strong> Armut bereit sind, ihr Essen auch noch <strong>mit</strong> uns zu teilen, wie offen<br />

sie auf uns zugehen und uns zum Feiern einladen.<br />

37


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Und gleichzeitig wird niemand zum Teilen gezwungen. Meine Gruppe erzählte uns<br />

z.B., dass die christlichen Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gruppe im letzten Jahr vom jordanischen Königshaus<br />

zum Weihnachtsempfang eingeladen wurden. Jedes Kind erlebte einen tollen Tag,<br />

superleckeres Essen und bekam dann noch 5 Dinar geschenkt- für <strong>Schneller</strong> Kin<strong>der</strong> total<br />

viel Geld. Wie<strong>der</strong> daheim in <strong>der</strong> Internatsgruppe, berichteten sie den muslimischen Kin<strong>der</strong>n<br />

von diesem tollen Tag und zeigten ihr Geld. Das war wohl eine ganz eigenartige Situation.<br />

Ein christliches Kind reagierte und schlug vor, das Geld <strong>mit</strong> den Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Internatsgruppe<br />

zu teilen. Man einigte sich, dass freiwillig zu machen. Mit einer Ausnahme<br />

gaben alle christlichen Kin<strong>der</strong> ihr Geld in die Gemeinschaftskasse. Nur ein Junge, <strong>der</strong><br />

erst jüngst aus dem Irak gekommen war, behielt seine 5 Dinar. Kommentar <strong>der</strong> Gruppe:<br />

„Er hat so viel verloren, seine ganze Familie, sein Zuhause, seine Freunde- da wollte er<br />

jetzt das Geld behalten. Und er soll es behalten- für uns ist das so in Ordnung.“<br />

Wenn wir heute in den Schulpraktischen Übungen in <strong>der</strong> Grundschule, zehn Minuten<br />

von unserer Hochschule entfernt, Kin<strong>der</strong> im zweiten Schuljahr er<strong>leben</strong>, die wohlstandsverwahrlost<br />

sind, die Geld für alles haben, aber sich zum Geburtstag am meisten wünschen,<br />

dass ihre Eltern sich Zeit nehmen, <strong>mit</strong> ihnen Kin<strong>der</strong>geburtstag zu feiern (und<br />

dann enttäuscht sind, dass sie wie<strong>der</strong> nur Geld bekommen) , dann denken wir an diese<br />

Jungen in Amman: sie sind arm, aber sie haben die Chance, Gemeinschaft zu er<strong>leben</strong><br />

und daran zu reifen. Viele Kin<strong>der</strong> bei uns in Deutschland bräuchten für ihre Entwicklung<br />

so eine missionarische Sozialarbeit, die <strong>Schneller</strong> praktiziert.<br />

38


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

c) Die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als Beispiel tätiger sozialer und diakonischer Arbeit<br />

– auch eine Anfrage an Soziale Arbeit heute? (Prof. Dr. Samir Akel)<br />

Einführung durch den Studierenden Martin Hoffmann, BIDA 2010:<br />

Ich glaube, es gibt keinen Menschen, <strong>der</strong> anschaulicher vom Innen<strong>leben</strong> des Syrischen<br />

Waisenhauses berichten kann als Prof. Samir Akel. Im Arabisch Kurs an unserer Hochschule,<br />

in dem Sie uns seit einem Jahr auf die Zeit in Amman vorbereiten, <strong>lernen</strong> wir<br />

nicht nur Ihre Muttersprache von Ihnen, son<strong>der</strong>n wir hören auch viel von Ihrer ganz persönlichen<br />

Beziehung zu Hermann <strong>Schneller</strong>. Sie sagten oft: „Ich verdanke meinen Weg<br />

Hermann <strong>Schneller</strong>“.<br />

Sie erzählten uns ihren Weg: Sie wurden in Nazareth als eines von neun Kin<strong>der</strong>n ihrer<br />

Eltern geboren und wuchsen dort auf. Ihre Mutter erkrankte, sodass sie die Familie nicht<br />

mehr versorgen konnte. In dieser Situation war ihr Vater um eine gute Schulbildung seiner<br />

Kin<strong>der</strong> bemüht. Ihr Vater war allerdings im englischen Bereich tätig. Deshalb wurde<br />

Samir von <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Nazareth aufgenommen, ihr Bru<strong>der</strong> von einer katholischen<br />

Schule - das führt bis heute dazu, dass es in <strong>der</strong> Familie verschiedene Konfessionen<br />

gibt. Dann beginnt <strong>der</strong> Krieg. Ihre Eltern <strong>leben</strong> im israelischen Bereich, Samir als<br />

Zweitklässler <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule im englischen Bereich. Als die vier <strong>Schneller</strong> Schulen<br />

Palästinas geschlossen wurden, können Sie und elf an<strong>der</strong>e Buben nicht mehr nach Hause.<br />

Doch <strong>der</strong> arabische Direktor <strong>der</strong> Schule brachte Sie und die an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> dem<br />

Lastwagen gen Libanon, weil er dachte, sie von da aus <strong>mit</strong> dem Schiff nach Israel zurück<br />

zu ihren Familien zu führen. Das klappte nicht. 1948 befinden Sie und die elf Mitschüler<br />

sich immer noch im Libanon in einer provisorischen Schule. Doch dann wird auch die<br />

Schule im Libanon geschlossen. Zu <strong>der</strong> Zeit bittet <strong>der</strong> lutherische Weltbund Hermann<br />

<strong>Schneller</strong> (er arbeitete damals nach seiner Internierung in Australien nun als Pfarrer in<br />

Württemberg), nach Bethlehem zu gehen und dort den Flüchtlingen zu helfen. Herman<br />

<strong>Schneller</strong> macht das unter einer Bedingung: es gibt noch 12 verlassene <strong>Schneller</strong> Kin<strong>der</strong><br />

im Libanon. Wenn er die holen und <strong>mit</strong> nach Bethlehem nehmen kann, wird er gehen.<br />

Es geschah so. Hermann <strong>Schneller</strong> holte Samir und die an<strong>der</strong>en elf Kin<strong>der</strong> aus dem Libanon<br />

ab und fuhr <strong>mit</strong> ihnen nach Bethlehem, damals im jordanischen Gebiet. H.<br />

<strong>Schneller</strong> gründete dann sechs Schulen für Flüchtlingskin<strong>der</strong>. Sie nannten sich nicht<br />

„<strong>Schneller</strong> Schulen“, waren aber dem pädagogischen Ansinnen <strong>Schneller</strong>s nahe. Samir<br />

geht nun in Bethlehem zur Schule und wird in Bethlehem von Hermann <strong>Schneller</strong> konfirmiert.<br />

Die Konfirmation war – wie einst bei Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> - ein ganz beson<strong>der</strong>es<br />

Fest : zu Zeiten von Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> durfte man sich als Konfirmierter<br />

die Haare wachsen lassen und erhielt zur Konfirmation eine Bibel als Geschenk. Wichtig<br />

war, dass je<strong>der</strong> Konfirmand einen /eine Paten/in (Mitarbeiter/in) zur Seite gestellt wurde.<br />

Diese Paten/in kümmerten sich um die Gestaltung <strong>der</strong> Zukunft <strong>der</strong> Konfirmanden.<br />

Für Samir Akel übernimmt Maria <strong>Schneller</strong>, die Schwester des Direktors, die Patenschaft,<br />

denn keiner von Samirs Verwandten konnte an seiner Konfirmation teilnehmen.<br />

1951 wird H. <strong>Schneller</strong> gebeten, auch eine Schule im Libanon zu gründen. Er nimmt<br />

Samir und seine 11 an<strong>der</strong>en großen Buben <strong>mit</strong>, sowie seine eigene Familie. Vor<strong>mit</strong>tags<br />

wurden die Jungen von <strong>Schneller</strong> unterrichtet, nach<strong>mit</strong>tags halfen sie bei <strong>der</strong> Landvermessung<br />

in Kirbet Kanafar. 1952 wurde die Schule im Libanon gegründet. Von 1958-65<br />

arbeitet Samir Akel als Lehrer und später Schulleiter <strong>der</strong> Elementarschule an <strong>der</strong> JLS im<br />

Libanon. Darauf geht er nach Deutschland zum Studium. Er wird Professor an <strong>der</strong> EH<br />

in Reutlingen. Als <strong>der</strong> Geschäftsführer des EMS in Stuttgart ihn bittet, weiterhin Kurse<br />

für Erzieher bei<strong>der</strong> Schulen zu halten, sagt er „ja“. Bis heute begleitet er die Pädagogik in<br />

beiden Schulen.<br />

39


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Hermann <strong>Schneller</strong> hat vorgelebt, was die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> will: Kin<strong>der</strong>n wie Samir eine<br />

Zukunft zu geben und dafür das eigene Zuhause und das eigene Herz zu öffnen für<br />

Bedürftige. So war es für SamirAkel keine Frage, da zu sein, wenn Hermann <strong>Schneller</strong><br />

ihn brauchte und ihn bis zu seinem Tod mindestens ein Mal wöchentlich im Altenheim<br />

in Tübingen zu besuchen. Oft erfuhr Hermann <strong>Schneller</strong> von <strong>der</strong> Notlage einiger <strong>Schneller</strong>schüler<br />

in Deutschland. In diesen Fällen brauchte er die Hilfe von Herrn Akel.<br />

Wenn Sie im Arabischkurs vom<br />

diakonischen Wirken <strong>der</strong> Söhne<br />

und Enkel <strong>Schneller</strong>s erzählen,<br />

er<strong>leben</strong> wir Studierenden <strong>der</strong><br />

Sozialen Arbeit und<br />

Religionspädagogik, wie Diakonie<br />

professionell gestaltet<br />

und gleichzeitig persönlich<br />

gelebt werden kann. <strong>Schneller</strong>s<br />

soziale Anliegen sind bis heute<br />

wichtig: es gibt immer noch<br />

arme- und Flüchtlingskin<strong>der</strong>, die<br />

unter die Rä<strong>der</strong> kommen<br />

würden, wenn man ihnen in den<br />

<strong>Schneller</strong> Schulen nicht ein neues Zuhause geben würde. Uns Studierende hat bei Ihren<br />

Erzählungen stets beeindruckt, wie Sie <strong>mit</strong> ihrer ganzen Person für die <strong>Schneller</strong> Idee<br />

einstehen. Auch Sie nahmen später immer wie<strong>der</strong> fremde Kin<strong>der</strong> in ihre eigenen Familien<br />

auf. Hermann <strong>Schneller</strong>s Tochter Ulla ist für Sie wie eine Schwester.<br />

Ich denke, das soziale Anliegen <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> lebt von dieser Bereitschaft, sein eigenes Leben<br />

in den Dienst <strong>der</strong> benachteiligten Kin<strong>der</strong> und Jugendliche zu stellen. Heute, wo Sozialarbeit<br />

„professionell“ gemacht wird, wo Mitarbeitende an den <strong>Schneller</strong> Schulen auch<br />

<strong>lernen</strong>, wie das Privat<strong>leben</strong> und das Berufs<strong>leben</strong> zu trennen sind, indem man z.B. nicht<br />

mehr auf dem Gelände <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule wohnt, sehen Sie Probleme. Sie haben uns<br />

auch erzählt, dass Sie manche kritische Anfragen an die pädagogische Arbeit <strong>der</strong> heutigen<br />

<strong>Schneller</strong> Schulen haben. Diese betrifft vor allem die Mitarbeitenden und ihre Kompetenz.<br />

Hermann <strong>Schneller</strong> war – wie sein Vater und Großvater- eine autoritäre Führungspersönlichkeit.<br />

Aber an ihm konnten Sie sich orientieren. Sie sagten: „Hermann<br />

<strong>Schneller</strong> strafte uns- und er betet <strong>mit</strong> uns und vergab uns. Das gehört zusammen.“ Sie<br />

sind davon überzeugt, dass die <strong>Schneller</strong> Schulen bis heute solche Führungspersönlichkeiten<br />

brauchen, die <strong>der</strong> sozialen Arbeit, die dort geschieht, eine Kontur geben. So freuen<br />

wir uns, dass Sie jetzt über das Thema: „Das Verhältnis von <strong>Mission</strong> und Sozialarbeit“<br />

zu uns sprechen.<br />

40


<strong>Mission</strong> und Soziale Arbeit<br />

– eine Verhältnisbestimmung<br />

(Samir Akel)<br />

Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

<strong>Mission</strong> ist Bildungs- und Sozialarbeit<br />

und für eine humane Gesellschaft unverzichtbar.<br />

Wir wissen, dass zwei Vorstellungen<br />

von <strong>Mission</strong> die evangelische Welt bewegen:<br />

die Evangelikale und die Ökumenische.<br />

Der <strong>Mission</strong>sgedanke <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong>s hat sich vom Großvater über<br />

den Sohn zum Enkel stark verän<strong>der</strong>t. In<br />

meinem kurzen Statement werde ich<br />

mich auf die Epoche, die ich in <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong>schule unter <strong>der</strong> Leitung des<br />

Enkels, Direktor Hermann <strong>Schneller</strong><br />

verbrachte, beziehen.<br />

Allen <strong>Schneller</strong>s war <strong>der</strong> „Samariterdienst“, Hilfe in <strong>der</strong> speziellen Not, ein Maßstab ihres<br />

Handelns. Durch ihr Tun haben sie auf die Würde des „armen Menschen“ hingewiesen.<br />

Für Hermann <strong>Schneller</strong> bedeutete <strong>Mission</strong> Bildungs- und Sozialarbeit, die Voraussetzung<br />

ist für die Entstehung einer humanen Gesellschaft .Wenn ich über seine Pädagogik<br />

spreche, so beinhaltet dies sein <strong>Mission</strong>sverständnis.<br />

Im Erziehungs- und Bildungsprozess sollte sichergestellt werden, dass die Entfaltung des<br />

ganzen Menschen gewährleistet und die wechselseitige Beziehung seiner spirituellen,<br />

physischen, mentalen und emotionalen Komponente berücksichtigt wird.<br />

Seine Konzeption beinhaltete folgende Aspekte:<br />

1. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> persönlichen intellektuellen Fähigkeiten. För<strong>der</strong>ung von relevanten<br />

Zukunftsperspektiven. (Ausbildung in Schule, Handwerk, Verwaltung, immer zukunftsgerichtet.<br />

Spätere Betreuung vor Ort.)<br />

2. Spirituelles Leben (fundierte christliche offene und kritische Haltung und Entwicklung<br />

von ethischen Werten.). Für Hermann <strong>Schneller</strong> bedeutete das, das Evangelium<br />

in die Situation seiner Schüler zu übersetzen.<br />

3. Entwicklung des Gefühls<strong>leben</strong>s (Musische Bildung: Chor, Erlernung von Instrumenten<br />

und Feste feiern)<br />

4. Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls („Mohammad ist dein Bru<strong>der</strong>“). Ich erinnere<br />

mich an einen Satz von H. <strong>Schneller</strong>, als ich ihn im Altenheim in Tübingen<br />

besucht habe: „Samir, ich habe gehört, dass es deinem Bru<strong>der</strong> Mohammad nicht<br />

gut geht. Sieh nach und kümmere dich um ihn.“<br />

Von dieser Wurzel heraus „Entwicklung des Intellekts, <strong>der</strong> Spiritualität, des Gefühls<strong>leben</strong>s<br />

und des Gemeinschaftsgefühls“ kann <strong>der</strong> <strong>Mission</strong>sgedanke auch für die heutige Zeit<br />

seine Verwirklichung finden. Hermann <strong>Schneller</strong>s Gedanken zu einer pädagogischtheologisch-kulturellen<br />

Konzeption lauteten ganz konkret: Sich „eine Gesellschaft zu<br />

schaffen, in <strong>der</strong> Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Offenheit und Freiheit den Willen Gottes<br />

in seiner Schöpfung wi<strong>der</strong>spiegelt“. In <strong>der</strong> Festschrift zum 90. Jahrestag im Jahr 1950, also<br />

bevor die zwei Schulen im Libanon und Jordanien gegründet wurden, schreibt er: „Es<br />

ist christliche Verpflichtung, unter Negierung eigener Bedürfnisse und Ängste zu helfen,<br />

wo Not vorhanden ist. … So ist denn eine solche Anstalt ein Zeugnis für die Liebe Christi,<br />

sie ist „ein Zeugnis“, das seinen Namen verkündet.“ Vieles davon ist in meine Lehre<br />

eingeflossen.<br />

41


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

3. <strong>Mission</strong> ist <strong>Frieden</strong>sarbeit<br />

a) <strong>Mission</strong>sarbeit als Konfliktmanagement (Katja Baur)<br />

Wo Menschen unterschiedlicher<br />

Kulturen o<strong>der</strong> sozialer<br />

Schichtungen aufeinan<strong>der</strong> treffen,<br />

kommt es leicht zu Konflikten, so<br />

auch bei den <strong>Schneller</strong>s: „Die Kin<strong>der</strong><br />

kamen im elendsten ,unreinlichsten<br />

Zustand und manche kränklich in unser<br />

Haus, und es waren lauter neue,<br />

ungeübte Kräfte, wirkend an Kin<strong>der</strong>n,<br />

die einan<strong>der</strong> fremd und feindlich<br />

gegeneinan<strong>der</strong> eingestellt waren“ (J.L:<br />

<strong>Schneller</strong>, zitiert in EMS: 2010: <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong><br />

<strong>lernen</strong>, S.36). Von Anfang an<br />

verstehen sich die <strong>Schneller</strong><br />

Schulen als Schule für Hoffnung<br />

und <strong>Frieden</strong>, die einen eigenen<br />

Beitrag zum <strong>Frieden</strong> im Nahen<br />

Osten leisten. Ihr Ziel ist es, den<br />

Kin<strong>der</strong>n Möglichkeiten aufzuzeigen,<br />

wie man <strong>mit</strong> Konflikten<br />

konstruktiv umgehen kann. So schreibt Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>: „Und, nicht wahr, wir<br />

fühlen´s einan<strong>der</strong> ab, wir halten uns gegenseitig berufen, ihre Füße aufzurichten auf den Weg des<br />

<strong>Frieden</strong>s“ (zitiert in: <strong>Schneller</strong>, Hermann: Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>, Metzingen, 1971, S.22)<br />

1959 wurde auf dieser Basis in Amman eine weitere <strong>Schneller</strong> Schule gegründet. Heute<br />

gibt es eine <strong>Schneller</strong> Schule im Libanon und eine in Jordanien. Wenn heutige Unternehmen<br />

wie die New Consulting Group in ihrem Leitbild festhalten, dass <strong>Mission</strong> und<br />

Vision als Orientierung für die Unternehmensstrategie dienen,<br />

(www.inszenagroup.com/sv_mission_vision_leitbild.php) dann kann man sagen, dass<br />

dieses auch für die <strong>Schneller</strong> Schulen galt und gilt: Die Vision vom <strong>Frieden</strong> nimmt in<br />

missionarischen <strong>Frieden</strong>sprojekten konkret Gestalt an.<br />

Friede – das ist für <strong>Schneller</strong> eine Erfahrung zufriedenen Lebens, den die Person <strong>mit</strong> sich<br />

selbst , den Nächsten und Fernsten sowie <strong>mit</strong> Gott hat. Insofern ist <strong>Frieden</strong> mehr als die<br />

Abwesenheit von Krieg. Es ist <strong>der</strong> Zustand, <strong>der</strong> Gewalt o<strong>der</strong> Krieg zu verhin<strong>der</strong>n sucht,<br />

indem Konfliktfähigkeit, Streitschlichtung, aber auch Rituale <strong>der</strong> Versöhnung eingeübt<br />

werden. <strong>Schneller</strong> war sich bewusst, dass <strong>Frieden</strong> ein Geschenk Gottes ist, das wir Menschen<br />

gut zu verwalten haben. Deshalb wurde im Syrischen Waisenhaus täglich um den<br />

<strong>Frieden</strong> gebetet und Gott zugleich gedankt für den <strong>Frieden</strong>, <strong>der</strong> höher ist als alle Vernunft.<br />

Am Abend mussten die, die am Tag gestritten hatten, sich versöhnen und gemeinsam<br />

das Vaterunser beten. Wer Schlimmeres getan hatte, musste in <strong>Schneller</strong>s Arbeitszimmer<br />

kommen, um <strong>mit</strong> ihm das Vergehen zu besprechen. Anhand <strong>der</strong> Bibel zeigte<br />

<strong>Schneller</strong> den Übeltätern Möglichkeiten <strong>der</strong> Reue auf. <strong>Schneller</strong> war bemüht, etliche<br />

Übungsfel<strong>der</strong> für Friedfertigkeit bereit zu stellen. Er ließ die Kin<strong>der</strong> z.B. die Spenden<strong>mit</strong>tel,<br />

die aus Deutschland und an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n kamen, in ein Heft eintragen. So waren al-<br />

42


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

le informiert über das Budget. Zugleich sollten die Kin<strong>der</strong>, Jugendlichen und Mitarbeitenden<br />

<strong>mit</strong> ihm zusammen entscheiden, wofür das Geld ausgeben werden sollte. Da kam<br />

es oft zu heftigen Auseinan<strong>der</strong>setzungen. <strong>Schneller</strong> schreibt: „Die Schüler sollen in die<br />

finanziellen Verhältnisse des Waisenhauses Einblick erhalten und die Erfahrung machen,<br />

dass <strong>der</strong> Unterhalt <strong>der</strong> Anstalt Schwierigkeiten <strong>mit</strong> sich bringt, die gemeinsam getragen<br />

und gelöst werden müssen“ (<strong>Schneller</strong> Magazin 2/2010, S.10)<br />

<strong>Frieden</strong>serziehung betraf aber auch die Stärkung des einzelnen. Auffällige Schüler wurden<br />

öffentlich gelobt und getadelt. Heute sind die <strong>Schneller</strong> Schulen Vorreiter einer <strong>Frieden</strong>spädagogik<br />

im Nahen Osten. <strong>Frieden</strong>serziehung bedeutet heute, wie im <strong>Schneller</strong> Boten<br />

beschrieben: „christlichen und muslimischen Kin<strong>der</strong>n aus armen und benachteiligten Familien<br />

eine Heimat und Zukunft geben“<br />

(Waiblinger,Martina (2002): Blick in die Zukunft. Die <strong>Schneller</strong> Schulen stellen sich kommenden Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

In: Gemeinde Sonnenbühl (Hrsg): Mit Ehren ihr eigen Brot essen. J.L. <strong>Schneller</strong>. Begrün<strong>der</strong> des Syrischen Waisenhauses<br />

in Jerusalem. Ausstellungskatalog. S. 30).<br />

<strong>Frieden</strong> ist so<strong>mit</strong> nicht ein Zustand, son<strong>der</strong>n eine Kultur. Es ist ein Prozess abnehmen<strong>der</strong><br />

Gewalt und zunehmen<strong>der</strong> Gerechtigkeit. <strong>Frieden</strong> hat als Voraussetzung die Anwesenheit<br />

und Bannung von Kriegen als Minimalbedingung und meint im umfassenden Sinne, was<br />

das alttestamentliche Schalom einschließt: die Existenz einer heilen Gemeinschaft, die<br />

von wechselseitiger Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit geprägt ist. Praktische <strong>Frieden</strong>serziehung<br />

umfasst nach Uli Jäger vom friedenspädagogischen Institut in Tübingen<br />

die Ver<strong>mit</strong>tlung von <strong>Frieden</strong>skompetenz, die Hinführung zur <strong>Frieden</strong>sfähigkeit sowie die<br />

Befähigung zum <strong>Frieden</strong>shandeln. Das zusammen erwirkt die För<strong>der</strong>ung von prosozialem<br />

Verhalten. Die <strong>Frieden</strong>spädagogik, die das pädagogische Konzept <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Bewegung<br />

prägt, umfasst auf dieser Basis drei Ebenen: Friede im Glauben, <strong>mit</strong> mir selbst,<br />

<strong>mit</strong> dem Nächsten:<br />

<strong>Frieden</strong> im Glauben konkretisiert<br />

sich in Erfahrungsräumen<br />

gelebter Spiritualität. An den<br />

<strong>Schneller</strong> Schulen wird muslimischer<br />

und christlicher Religionsunterricht<br />

erteilt, die Kirche auf<br />

dem Gelände steht allen zum Beten<br />

offen und Feste <strong>der</strong> Religionen<br />

werden im Schul<strong>leben</strong> berücksichtigt.<br />

Im gerade im Entstehen<br />

befindlichen Abraham-<br />

Sinnesgarten kommen alle Schüler<br />

zusammen, um dort beim Ertasten<br />

von Bäumen o<strong>der</strong> beim<br />

gemeinsamen Lesen von Bibel<br />

und Koran den verbindenden Wurzeln des Glaubens nachzuspüren. Muslimische Mitschüler<br />

werden heute nicht bekehrt, son<strong>der</strong>n in ihrem Glauben gestärkt, wohl aber die<br />

gemeinsamen ethischen Verpflichtungen <strong>der</strong> Religionen zur Basis von Konfliktlösung erhoben.<br />

<strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> sich selbst konkretisiert sich in vielen Projekten, die <strong>der</strong> Persönlichkeitsstärkung<br />

dienen. So können Kin<strong>der</strong> und Jugendliche im Hochseilgarten<br />

eigene Kräfte erproben, Mut gewinnen und einan<strong>der</strong> stützen helfen. Der Streichelzoo<br />

ermöglicht Erfahrungen von Geborgenheit und Übernahme von Verantwortung.<br />

43


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

<strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> dem Nächsten<br />

konkretisiert sich in Workshops, die<br />

im <strong>Frieden</strong>scamp angeboten werden,<br />

in denen israelische, palästinensische<br />

und europäische Jugendliche <strong>lernen</strong>,<br />

einan<strong>der</strong> wahrzunehmen, sich ins<br />

Gegenüber einzufühlen und<br />

Strategien <strong>der</strong> Konfliktlösung zu<br />

erproben. Dazu befindet sich auf dem<br />

Gelände <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in<br />

Amman ein pädagogisches Zentrum,<br />

in dem Räumlichkeiten und Personal<br />

für friedenspädagogische Projekte bereit<br />

stehen.<br />

Obwohl die TSS sich <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>spädagogik<br />

verpflichtet weiß, weiß sie<br />

darum, dass <strong>Frieden</strong>spädagogik ein<br />

Import <strong>der</strong> europäischen Welt nach<br />

Nahost ist. Sie ist in <strong>der</strong> arabischen Welt an<strong>der</strong>es konnotiert als in Europa. Es geht in <strong>der</strong><br />

arabischen Welt weniger um <strong>Frieden</strong>serziehung, denn um die friedliche Beilegung von<br />

Konflikten- zumal die Vorstellung einer „Zivilen Gesellschaft“ noch kein in die Gesellschaft<br />

implementierter Begriff ist. Nach Prof. Dr. Musa Sheteiwi, Professor am Institut<br />

for Social Research <strong>der</strong> Jordanischen Universität, lebt die arabische Welt immer noch<br />

eher von einer Kultur <strong>der</strong> Nichtanerkennung des An<strong>der</strong>en in seiner kulturellen o<strong>der</strong> religiösen<br />

An<strong>der</strong>sartigkeit, denn von Diversity. Er verweist zum Beleg auf Untersuchungen,<br />

die zeigen, dass es in jordanischen Familien viel Gewalt gibt, die oftmals in Autoritätskonflikten<br />

gründet (unveröffentlichter Vortrag beim Symposium zur <strong>Frieden</strong>spädagogik<br />

<strong>der</strong> TSS, Amman, Dezember 2010). Voraussetzung für <strong>Frieden</strong>serziehung in <strong>der</strong> arabischen<br />

Welt ist seiner Aussage nach die Akzeptanz von Gleichheit und ein konstruktiver<br />

Umgang <strong>mit</strong> Asymmetrien. <strong>Frieden</strong>spädagogik in und für die jordanische Gesellschaft<br />

muss nach Sheteiwi sich zunächst darauf konzentrieren, in Bildung und Erziehung ein<br />

demokratisches Miteinan<strong>der</strong> einzuüben, in dem Kin<strong>der</strong> den Prozess <strong>der</strong> (Familien-<br />

Schul-) Gemeinschaft <strong>mit</strong><br />

gestalten können wie die<br />

Erwachsenen. Es gilt zu<br />

<strong>lernen</strong>, dass eine Vielfalt<br />

von Meinungen und Lebensweisen<br />

ein Reichtum<br />

einer Gesellschaft sein<br />

kann, <strong>der</strong> die arabische<br />

Identität nicht in Frage<br />

stellt, son<strong>der</strong>n als verbindendes<br />

Element von Gemeinschaft<br />

nutzt. Die<br />

<strong>Schneller</strong> Schulen sind dazu<br />

seiner Meinung nach<br />

ein guter Wegbereiter.<br />

44


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

b) Erfahrungsinput zum friedenspädagogischen Wirken <strong>der</strong> TSS aus dem Studienprojekt<br />

2007 und 2009 (Andrea Kalmbach, Carina Wegner)<br />

Kalmbach: Was <strong>Frieden</strong>serziehung in <strong>der</strong> TSS bedeutet, sahen wir aus dem Studienprojekt<br />

2007 schnell, als wir die Kin<strong>der</strong> im Internat besuchten: muslimische und christliche<br />

Kin<strong>der</strong> wohnen in Wohngruppen ebenso gemischt <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> wie irakische und palästinensische<br />

Kin<strong>der</strong>. Nationen, Kulturen und Religionen werden in ihrer Vielfalt als<br />

Reichtum ver<strong>mit</strong>telt und das Verbindende gesucht. <strong>Frieden</strong> stiften betrifft vor allem auch<br />

den <strong>Frieden</strong> unter den Religionen. Wenn wir <strong>mit</strong>tags im Internat aßen, haben alle Kin<strong>der</strong><br />

einer Wohngruppe vor dem Essen zusammen gebetet- Gott, wir danken Dir für das Essen.<br />

Amen.“ Praktisch ist natürlich, dass Gott im Arabischen „Allah“ heißt. Ob man nun<br />

zum gleichen Gott betet, war nicht so wichtig wie die Dankbarkeit darüber, dass Gott<br />

etwas zum Essen schenkt. Aber- so fragten wir, ist es <strong>Frieden</strong>, die gleichen Worte zu sagen<br />

und Verschiedenes zu denken o<strong>der</strong> gar zu glauben?<br />

Wegner: Ich bin nach<br />

dem Studienprojekt<br />

2009 nochmals nach<br />

Amman gereist und<br />

habe mein Praxisprojekt<br />

dort durchgeführt.<br />

Meine Aufgabe<br />

bestand darin, den<br />

Streichelzoo <strong>mit</strong> aufzubauen.<br />

Wir haben<br />

Ställe für die Tiere<br />

gebaut und den ersten<br />

Umgang <strong>mit</strong> Tieren<br />

eingeübt. Ich habe<br />

gemerkt, wie viele<br />

Kin<strong>der</strong> sich nicht<br />

trauen, ein Tier zu<br />

halten o<strong>der</strong> es zu<br />

streicheln. Aber wenn <strong>der</strong> Knoten geplatzt ist, dann wollen sie das Schäfchen kaum mehr<br />

hergeben. <strong>Frieden</strong>- <strong>der</strong> entsteht an <strong>der</strong> TSS durch kleine Schritte <strong>der</strong> Erfahrung von Geborgenheit.<br />

Das bestätigen auch meine beiden Mitstudierenden, die ihr Praxisprojekt in<br />

<strong>der</strong> Erlebnispädagogik und <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>gruppe absolvierten.<br />

45


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Kalmbach: Zum<br />

Studienprojekt BIDA<br />

gehört eine intensive<br />

Begegnung <strong>mit</strong> jordanischen<br />

Studierenden <strong>der</strong><br />

Deutsch<br />

Jordanischen<br />

Universität. Wir<br />

waren <strong>mit</strong> ihnen<br />

nicht nur 4 Tage<br />

zusammen auf<br />

Exkursion, sie<br />

nahmen auch an<br />

unserem<br />

Studienprojekt teil<br />

und gingen auf dem<br />

Gelände <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule ein und aus. Die meisten von ihnen waren Muslime aus<br />

gut betuchten Familien. Niemand von diesen jordanischen Studierenden kannte bislang<br />

die <strong>Schneller</strong> Schule und ihre Arbeit- obwohl viele in Amman aufgewachsen waren. Und<br />

dabei ist die Schule eine große Einrichtung. Sie grenzt an das <strong>Schneller</strong> Flüchtlingscamp<br />

an und beschult ca. 400 Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Schule bzw. beherbergt 300 im Internat. Etliche<br />

jordanische Studierende waren betroffen von dem Schicksal <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> hier. So war es<br />

für die jordanischen Studierenden keine Frage, uns Deutschen Studies beim Projekttag<br />

für alle Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule und des Internats, <strong>der</strong> zum festen Bestandteil des<br />

Studienprogramms in Amman gehört, zu helfen. Sie übersetzten, brachten ihre Trommeln<br />

<strong>mit</strong> o<strong>der</strong> beteiligten sich an Bewegungsspielen. Verwun<strong>der</strong>t fragten die jordanischen<br />

Studierenden und Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> TSS uns dabei auch, worin denn <strong>der</strong> Sinn bestehen würde,<br />

dass eine Gruppe im Rahmen des Projekttages auf dem Gelände den Müll einsammeln<br />

sollte. Umwelterziehung ist in Jordanien Neuland. Ebenso fragten sie, wozu es einen<br />

Hochseilgarten gibt, wo man doch auf dem Gelände auch an<strong>der</strong>e Möglichkeiten habe,<br />

ungefährlicher zu spielen.<br />

Ihre Rückfragen wurden uns zur Frage: <strong>Frieden</strong>serziehung, wie wir sie erlebten, ist vom<br />

europäischen Denken her geprägt: Die <strong>Schneller</strong> Schule besitzt den einzigen Hochseilgarten<br />

Jordaniens und verfolgt ein europäisches Konzept von Erlebnispädagogik. Umwelterziehung<br />

gehört zur Schulbildung. Interreligiöses Lernen ist ein Ziel <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>spädagogik.<br />

Wir fragten uns, ob es auch eine arabische Erlebnispädagogik, Umwelt- o<strong>der</strong><br />

<strong>Frieden</strong>spädagogik gibt bzw. wo und wie orientalisches Denken in <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>sarbeit an<br />

<strong>der</strong> TSS aufgenommen wird. Darüber haben wir oft <strong>mit</strong> den jordanischen Studierenden<br />

gesprochen. Wir haben bis heute Kontakt zu manchen von ihnen, zumal einige dieser<br />

Studierenden gerade in Deutschland sind. Miteinan<strong>der</strong> fanden wir heraus: <strong>Frieden</strong>- das<br />

ist nicht <strong>der</strong> kleinste gemeinsame Nenner, son<strong>der</strong>n die größte gemeinsame Möglichkeit.<br />

Der Austausch an <strong>der</strong> TSS motiviert uns, hier alles dafür zu tun, dass Araber und Muslime<br />

bei uns gut <strong>leben</strong> können, so wie auch die jordanischen Studierenden durch den<br />

Kontakt <strong>mit</strong> uns sich heute dafür einsetzen, dass Christen in ihrem Land gut <strong>leben</strong> und<br />

ihren Glauben verbreiten können- denn das diene dem <strong>Frieden</strong>, wie sie sagen.<br />

46


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

c) <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> als <strong>Frieden</strong>sarbeit (Musa al Munaizel)<br />

Begrüßung durch den Studierenden Martin Hoffmann, BIDA 2010:<br />

Wenn die Ammanies <strong>der</strong> letzten drei Jahrgänge vom Studienprojekt in Amman sprechen,<br />

dann erzählen sie ganz oft von „Musa“. Musa Al Munaizel, <strong>der</strong> Leiter des <strong>Schneller</strong><br />

Educational Trainig Center <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman, ist von Geburt her Jordanier.<br />

Musa ist <strong>mit</strong> seinen sieben Geschwistern im christlichen Dorf Al-Fuheis aufgewachsen,<br />

einem Vorort von Amman. Dort wohnen seine Eltern und einige Geschwister<br />

und auch er selbst <strong>mit</strong> Familie bis heute- <strong>der</strong> Ort ist ein kleines Refugium nach <strong>der</strong> Arbeit<br />

an <strong>der</strong> TSS. Dann geht Musa zum Kaffeetrinken zu seiner Mutter und genießt es, ganz<br />

biblisch, unter Weinranken und Feigenbäumen auszuruhen. Musa kommt selbst aus<br />

ärmlichen Verhältnissen. Seine Eltern hätten ihm nie eine höhere Schulbildung finanzieren<br />

können. Ein Nachbar ver<strong>mit</strong>telte ihm einen Job an <strong>der</strong> TSS. Durch diesen Job konnte<br />

Musa sich sein Studium verdienen und zugleich Einblicke in die Arbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong><br />

Schule gewinnen. Nach dem Studium <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>pädagogik, Pädagogik, Psychologie und<br />

Religionswissenschaften an <strong>der</strong> Universität Bielefeld und Würzburg, wo Musa auch seine<br />

Frau kennen lernte, war Musa Al Munaizel bis 2004 Dozent für Pädagogik an <strong>der</strong> Universität<br />

Würzburg. Er hatte zudem einige Lehraufträge an deutschen und jordanischen<br />

Universitäten und Fachhochschulen. In Deutschland wurden auch seine drei Töchter<br />

geboren. Doch als das <strong>Evangelische</strong> <strong>Mission</strong>swerk Musa 2004 bat, die pädagogische Arbeit<br />

an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman zu professionalisieren, ließ er sich nicht zwei Mal<br />

bitten- und die Familie willigte ein. So arbeitet Musa Al Munaizel heute an <strong>der</strong> TSS in<br />

Amman. Er hat dort einiges bewirkt, z.B. das pädagogische Zentrum aufgebaut o<strong>der</strong> eine<br />

Erzieherausbildung für die Erziehenden <strong>der</strong> TSS entwickelt, die modularisiert in Kooperation<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> hasche<strong>mit</strong>ischen Uni von Amman stattfindet. Es ist nicht leicht, Erziehung<br />

als Ausbildung zu verstehen, weil Erziehung in Jordanien als Sache <strong>der</strong> Familie gesehen<br />

wird, die je<strong>der</strong> kann. So hat die deutsch jordanische Universität in Amman bis heute lei<strong>der</strong><br />

noch keinen Ausbildungsgang für Sozialpädagogik o<strong>der</strong> Erziehungswissenschaft<br />

etablieren können. In <strong>der</strong> Praxis arbeiten an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule auch heute noch - nach<br />

dem Vorbild <strong>Schneller</strong>s- viele Handwerker in den Ausbildungsstätten und „nebenbei“ als<br />

Erzieher. Das führt in <strong>der</strong> Praxis oft zu Problemen, zumal man in Jordanien von einem<br />

Erziehergehalt nicht <strong>leben</strong> kann und noch ein bis zwei Nebenjobs dazu braucht, um eine<br />

Familie ernähren zu können. Neben <strong>der</strong> Erzieherausbildung, die Musa sehr am Herzen<br />

liegt, hat er durch seine vielen Kontakte auch den Hochseilgarten und Sinnesgarten errichten<br />

lassen- und er gehört zu den treuen Begleitern und Mitgestaltern des Studienprojektes<br />

ev. Hochschulen in Amman. Wenn er gefragt wird, was seine Arbeit ausmacht,<br />

sagt er: „Ich arbeite friedenspädagogisch für die <strong>Schneller</strong> Schule“. Deshalb freut Musa<br />

sich beson<strong>der</strong>s, dass ab April 2011 eine <strong>Frieden</strong>sfachkraft vom DED, die von <strong>der</strong> GIZ finanziert<br />

wird, zur Unterstützung <strong>der</strong> friedenspädagogischen Arbeit an die TSS delegiert<br />

wird. Sie wird schnell merken: Diversity ist für die <strong>Frieden</strong>sarbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen<br />

kein Schlagwort, son<strong>der</strong>n Gestaltungsprinzip. Musa Al Munaizel wird zu uns sprechen<br />

über das Verhältnis von <strong>Mission</strong> und <strong>Frieden</strong>spädagogik an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman.<br />

47


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

<strong>Mission</strong> und <strong>Frieden</strong>spädagogische Arbeit: eine Verhältnisbestimmung<br />

(Musa Al Munaizel)<br />

Gerade sind die Auswahlgespräche für die neuen<br />

Schüler und Schülerinnen zu Ende gegangen.<br />

In diesen Gesprächen hat sich wie<strong>der</strong> einmal<br />

die Notwendigkeit <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> TSS gezeigt.<br />

Lei<strong>der</strong> können wir nicht jede Anmeldung<br />

berücksichtigen, weil die Zahl <strong>der</strong> Bewerber die<br />

Zahl <strong>der</strong> Plätze um ein Vielfaches übertrifft. Die<br />

Kluft zwischen Arm und Reich, <strong>der</strong> Wertewandel,<br />

die Flüchtlingsproblematik und die soziale<br />

Ungerechtigkeit machen sich bemerkbar. Man<br />

kann nicht <strong>mit</strong> einer veralteten Pädagogik Zukunft<br />

gestalten. Daher ist es uns ein Anliegen<br />

neue Konzepte einzuführen, die auf die Bedürfnisse<br />

unserer Gesellschaft zugeschnitten sind<br />

und das pädagogische Erbe <strong>Schneller</strong>s bewahren.<br />

Für mich ist die pädagogische Arbeit im<br />

Geiste <strong>Schneller</strong>s heute <strong>Frieden</strong>sarbeit. Wir versuchen,<br />

Gegensätze zwischen uns konstruktiv<br />

anzunehmen. Das mögen einige Beispiele zeigen:<br />

Zum ersten Mal in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman sind zum neuen<br />

Schuljahr Mädchen zur Koedukation aufgenommen worden. Wir hatten so viele Anfragen<br />

von Mädchen o<strong>der</strong> ihren Erziehungsberechtigten, die bei uns einen Zufluchtsort vor<br />

Vergewaltigung in <strong>der</strong> Familie, vor Missbrauch und an<strong>der</strong>er Demütigung suchten- insbeson<strong>der</strong>e<br />

gilt das für Flüchtlingsmädchen aus dem Irak, die oft wie Freiwild behandelt<br />

werden. Durch dieses „Haus <strong>der</strong> Hoffnung“ versucht die <strong>Schneller</strong> Schule, positive Impulse<br />

an die jordanische Gesellschaft weiterzugeben: Mädchen haben eine Würde und<br />

die gleiche Berechtigung und Fähigkeit, eine gute Schul- und Ausbildung zu absolvieren.<br />

Auch im Bereich <strong>der</strong> frühkindlichen Erziehung gehen wir neue Wege: seit letztem Schuljahr<br />

haben wir auch Mädchen im Kin<strong>der</strong>garten <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule und führen sie<br />

Schritt für Schritt in die Schule über. Die <strong>Frieden</strong>sarbeit in Kin<strong>der</strong>garten und Schule<br />

kann nur erfolgreich sein, wenn das nötige Personal und die richtigen Fachkenntnisse zur<br />

Verfügung stehen. Diese werden seit neuestem an <strong>der</strong> TSS unterstützt und ver<strong>mit</strong>telt<br />

durch das <strong>Schneller</strong> Educational Training Center, ein mo<strong>der</strong>n ausgestattetes Institut, in<br />

dem wir Fort- und Weiterbildungen für das pädagogische Personal zu Themen wie Konfliktmanagement,<br />

Anti-Gewalttraining und Traumaarbeit anbieten. Außerdem ermöglicht<br />

es uns im regionalen Kontext, Module zur Umwelterziehung und <strong>Frieden</strong>sarbeit zu<br />

entwickeln. So konnten hier in Workshops Pädagogen aus dem Irak, Libanon, Palästina<br />

und Jordanien gemeinsam didaktisches Material und Lehrpläne für die pädagogische Arbeit<br />

erarbeiten. Im Nahen Osten gibt es eine Vielzahl von Themen, die für Pädagogen<br />

wichtig sind, doch wenig Möglichkeiten, sich <strong>mit</strong> diesen wissenschaftlich auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

So arbeitet unser Zentrum als Dialogpunkt für diese Bereiche. Der Umwelt- und<br />

Sinnesgarten dient gezielten Maßnahmen zur Sensibilisierung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

(insbeson<strong>der</strong>e traumatisierten): Die Kin<strong>der</strong> sammeln durch Hören, Fühlen,<br />

Schmecken, Tasten o<strong>der</strong> Gleichgewichtsspiele Natur- und Selbsterfahrung. Auch ihr<br />

Umgang <strong>mit</strong> Wasser o<strong>der</strong> Abfällen wird sorgsamer. Die Sandspieltherapie nach <strong>der</strong><br />

Schweizer Psychotherapeutin Doris Klaff animiert, Figuren im Sand zu gestalten und<br />

48


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Der Hochseilgarten ist ein Kernstück <strong>der</strong> erlebnispädagogischen<br />

Räume <strong>der</strong> TSS<br />

49<br />

da<strong>mit</strong> innere Bil<strong>der</strong> sichtbar zu machen.<br />

Der Respekt vor Tieren als Geschöpfen<br />

Gottes steht im Mittelpunkt <strong>der</strong> Realisierung<br />

unseres heilpädagogischen Streichelzoos.<br />

Pädagogen können hier sehr sensibel<br />

eingreifen. In den Fragen eines Kindes<br />

„Spüren Tiere Schmerzen?“ o<strong>der</strong> „Warum<br />

verlässt eine Katze ihre Kätzchen?“ spiegeln<br />

sich nämlich die Erfahrungen und seelischen<br />

Verletzungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die selbst<br />

aus zerrütteten Verhältnissen kommen und<br />

Gewalt er<strong>leben</strong> mussten. Interreligiöses<br />

Lernen wird durch unseren abraha<strong>mit</strong>ischen<br />

Sinnesgarten ermöglicht. Er ergänzt<br />

den christlichen und muslimischen Religionsunterricht,<br />

<strong>der</strong> vorrangig <strong>der</strong> Identitätsstärkung<br />

im eigenen dient, um Erfahrungsräume<br />

des Gemeinsamen. Die Jugendlichen<br />

erkennen und erspüren die gemeinsamen<br />

Wurzeln <strong>der</strong> abraha<strong>mit</strong>ischen Religionen<br />

sowie ihren gemeinsamen ethischen Auftrag,<br />

wenn sie gemeinsam einen Olivenbaum<br />

ergründen. Es wird keinen <strong>Frieden</strong> im<br />

Nahen Osten geben, ohne den friedlichen<br />

Umgang <strong>der</strong> Religionen <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong>. Der<br />

abraha<strong>mit</strong>ische Garten ist ein Ort, an dem<br />

Toleranz und Dialog in <strong>der</strong> Praxis eingeübt<br />

wird. Schon seit dem letzten Schuljahr<br />

existiert ein Kin<strong>der</strong>garten, in dem Mädchen<br />

und Jungen, die hauptsächlich aus dem benachbarten Flüchtlingslager kommen, spielen<br />

und <strong>lernen</strong>. Palästinensische Familien haben normalerweise kein Geld für einen Kin<strong>der</strong>gartenplatz,<br />

was diese Kin<strong>der</strong> von Anfang an bildungsmäßig benachteiligt. Wir freuen<br />

uns, dieses Jahr die doppelte Anzahl von Kin<strong>der</strong>n in den Kin<strong>der</strong>garten aufnehmen zu<br />

können.<br />

Im Internat wird über 140 Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen, die aus dem ganzen Nahen Osten<br />

kommen, in mehreren „Familien“ – ganz im Sinne <strong>Schneller</strong>s- ein zweites Zuhause geboten.<br />

Außerdem gibt es für Kin<strong>der</strong>, die einer beson<strong>der</strong>en Zuwendung bedürfen, eine<br />

psychologische und medizinische Betreuung. Die eigentliche Schule <strong>der</strong> TSS ist eine<br />

staatlich anerkannte christliche Privatschule. In den letzten Jahren ist es uns gelungen,<br />

die musische und künstlerische Erziehung zu verstärken, um Erfahrungsräume für<br />

Kreativität bereit zu stellen. Neben Englisch als erster Fremdsprache <strong>lernen</strong> unsere<br />

Schüler zusätzlich auch Deutsch- und beides ab <strong>der</strong> ersten Klasse. So sind sie in <strong>der</strong><br />

Lage, vielsprachig zu kommunizieren und die Denkart an<strong>der</strong>er Menschen über<br />

Sprachverstehen zu erfassen. Vielleicht auch ein Grund, warum bis heute je<strong>der</strong> Absolvent<br />

<strong>der</strong> Berufsausbildung an <strong>der</strong> TSS Arbeit findet und meistens unter verschiedenen<br />

Arbeitsstellen auswählen kann.


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Warum ich dieses aufzeige?<br />

Weil <strong>Frieden</strong>sarbeit<br />

letztlich übersetzt heißt:<br />

„es darf kein Kind verloren<br />

gehen“. <strong>Schneller</strong> Pädagogik<br />

steht dafür, Lebenshoffnung<br />

zu entwickeln<br />

und den uns anvertrauten<br />

Kin<strong>der</strong>n Perspektiven<br />

zu weisen. Denn<br />

Menschen <strong>mit</strong> Perspektive<br />

und gesundem Selbstvertrauen<br />

neigen nicht dazu,<br />

Konflikte <strong>mit</strong> Gewalt zu<br />

lösen. Meine <strong>Mission</strong> in<br />

Jordanien sehe ich darin,<br />

im Sinne <strong>Schneller</strong>s <strong>Frieden</strong><br />

zu bringen- <strong>mit</strong> vielen<br />

kleinen Schritten. Allerdings geht es mir dabei nicht vorrangig um den Glaubensfrieden,<br />

<strong>der</strong> für Johann <strong>Schneller</strong> und seine Familie so wichtig war, son<strong>der</strong>n eher um den <strong>Frieden</strong><br />

unter Völkern im Nahen Osten. Für mich ist interkulturelle Pädagogik <strong>der</strong> Weg zum<br />

<strong>Frieden</strong> in dieser Region. Wenn wir den an<strong>der</strong>en in seiner Kultur, <strong>mit</strong> seinen Prägungen<br />

und Verletzbarkeiten verstehen, dann wird es leichter, <strong>mit</strong> ihm umzugehen. Vorausgesetzt,<br />

Menschen legen es nicht darauf an, einan<strong>der</strong> zu verletzen. Wer von Kind an lernt,<br />

dass das Zusammen<strong>leben</strong> mehr Freude macht und gelingt, wenn ich den An<strong>der</strong>en nicht<br />

als Bedrohung, son<strong>der</strong>n als Bereicherung meines Lebens sehe, wird sich am Mitmenschen<br />

nicht so leicht vergreifen. Das ist unser heutiges Problem im Nahen Osten. Viele<br />

Kin<strong>der</strong> wachsen <strong>mit</strong> Vorurteilen ihrem an<strong>der</strong>skulturellen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>sreligiösen Nachbarn<br />

gegenüber auf, anstatt sich ein eigenes Bild vom An<strong>der</strong>en machen zu können bzw. zu<br />

machen. Das ist <strong>der</strong> Ansatz <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>spädagogik an <strong>der</strong> TSS und ich denke, er ist<br />

<strong>Schneller</strong>s Idee nahe: „<strong>Frieden</strong>spädagogik schafft die Rahmenbedingungen, die es Kin<strong>der</strong>n ermöglichen,<br />

ein positives Selbstbild von sich zu entwickeln und zu <strong>lernen</strong>, Konflikte auf friedlichem<br />

Wege zu lösen. Jedes Kind hat eine Würde, die von keinem Menschen angetastet werden darf. Das<br />

gilt für die Kin<strong>der</strong> untereinan<strong>der</strong>, aber auch für Eltern, Erzieher und Lehrer. <strong>Frieden</strong>spädagogik an<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule bedeutet auch, dass Kin<strong>der</strong> sensibilisiert werden für die Themen Toleranz, Dialog<br />

und friedliches Zusammen<strong>leben</strong>.“<br />

(Al Munaizel, in: Lesebuch zum <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahr S.15)<br />

Ich möchte das an zwei Beispielen konkretisieren:<br />

� Bei uns wohnt Mustafa <strong>mit</strong> seinen drei Brü<strong>der</strong>n. Die Mutter lebt in einer Kellerwohnung<br />

in einem Außenviertel von Amman. Ihr Körper ist übersät <strong>mit</strong> Narben,<br />

die ihr Mann ihr zugefügt hatte. Weil <strong>der</strong> Vater spielsüchtig ist und das ganze Geld<br />

verspielte, gibt es oft Streit unter den Eltern. Mustafa hat das alles <strong>mit</strong>bekommen.<br />

Selten besucht er die Eltern, die so wenig Geld haben, dass ihre Buben nach dem<br />

Besuch daheim immer ganz ausgehungert an die <strong>Schneller</strong> Schule kommen. Der<br />

Vater schlägt seine Jungen- manchmal sogar krankenhausreif. Als er sich einmal<br />

wie<strong>der</strong> an Mustafa vergreifen wollte, ruft <strong>der</strong> seinem Vater zu: „Halt, schlag mich<br />

nicht, wir können darüber reden.“ Das ist <strong>der</strong> erste Schritt. Und in <strong>der</strong> Tat: es gelingt<br />

Mustafa, Kontakt zwischen seinem Erzieher und dem Vater herzustellen.<br />

Mittlerweile gibt es regelmäßige Treffen <strong>mit</strong> dem Vater. Wir haben ihn darauf auf-<br />

50


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

merksam gemacht, dass wir nach jordanischem Recht verpflichtet wären, den Vater<br />

anzuzeigen, es aber unterlassen, sofern er das Schlagen lässt. Mittlerweile haben die<br />

Jungen weniger blaue Flecken und auch das Schlagen <strong>der</strong> Mutter muss zurückgegangen<br />

sein. <strong>Frieden</strong>sarbeit bedeutet für uns, systemisch zu arbeiten: über die Kin<strong>der</strong><br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> ganzen Familie, aber es ist oft schwer, das Vertrauen <strong>der</strong> muslimischen<br />

Familien o<strong>der</strong> Angehörigen zu gewinnen.<br />

� Ali hat bei uns in <strong>der</strong> TSS Autoschlosser gelernt. Er heiratete eine muslimische<br />

Frau. Sie konnten keine Kin<strong>der</strong> bekommen. Für einen muslimischen Mann ein<br />

Grund, sich scheiden lassen zu können. Ali ließ sich nicht scheiden- zum Entsetzen<br />

seiner Familie. Warum er das nicht mache? Er sagt „ ich war Schüler <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong><br />

Schule. Dort habe ich erlebt, dass je<strong>der</strong> Mensch wertvoll und von Gott geliebt ist.<br />

Wie sollte ich meine Frau verstoßen, die ich liebe? Inschallah- Gott wird wissen,<br />

was er <strong>mit</strong> uns vorhat.“ Heute arbeiten beide als Erzieher an <strong>der</strong> TSS. <strong>Frieden</strong>sarbeit-<br />

das ist für uns eine an die Kultur angepasste Arbeit, die aber auch Verhaltensweisen,<br />

die die Menschenwürde infrage stellen o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>n, beim Namen nennt.<br />

Wenn Muslime bei uns <strong>lernen</strong>, dass es we<strong>der</strong> arabisch noch islamisch ist, das Eigeninteresse<br />

an Nachkommen über die Liebe zur Frau zu stellen, dann werden sie<br />

erkennen, was Friede im Islam bedeutet. Im pädagogischen Zentrum arbeiten wir<br />

<strong>mit</strong> Erziehern und Lehrern und fragen da z.B. nach dem Verhältnis von Tradition<br />

und Religion, von Kultur und Eigenverantwortung für friedliches Miteinan<strong>der</strong>.<br />

Daraus folgert für die heutige Sicht auf <strong>Schneller</strong>s <strong>Mission</strong>sidee <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>sstiftung:<br />

<strong>Schneller</strong>s pädagogisches Prinzip war die Isolation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> von ihren Familien. Viele<br />

waren sowieso Waisenkin<strong>der</strong> und hatten keine Herkunftsfamilien mehr. So gelang es<br />

<strong>Schneller</strong>, die Kin<strong>der</strong> nach seinen Vorstellungen zu formen. Heute beherbergen wir in<br />

den <strong>Schneller</strong> Schulen viele Kin<strong>der</strong>, die Opfer gesellschaftlicher Entwicklungen sind: ihre<br />

Eltern sind arbeitslos und zunehmend gewaltbereit. Deshalb ist mein Ideal von <strong>Mission</strong><br />

als <strong>Frieden</strong>sarbeit nicht die Isolation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> aus ihren Familien, son<strong>der</strong>n die Verän<strong>der</strong>ung<br />

des Familiensystems <strong>mit</strong> unserer Unterstützung. <strong>Frieden</strong>sarbeit ist systemische<br />

Arbeit. Auch deshalb haben wir als TSS uns z.B. auch an <strong>der</strong> Kampagne des jordanischen<br />

Königshauses 2009: „Nein zur Gewalt an Kin<strong>der</strong>n“ beteiligt. Wer <strong>mit</strong> aufmerksamen<br />

Augen durch Amman fährt, wird vielerorts große Plakate entdecken, auf denen<br />

Gewalt an Kin<strong>der</strong>n verurteilt wird- wir vom pädagogischen Team <strong>der</strong> TSS haben diese<br />

Plakate <strong>mit</strong> entwickelt. Es freut uns, dass das Königshaus unsere Arbeit so wertschätzt,<br />

dass es an als Berater anfragt. Wir möchten- und das ganz im Sinne <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Idee-<br />

dass unsere Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen, die die <strong>Schneller</strong> Schule besucht haben, <strong>Frieden</strong>sboten<br />

im Nahen Osten sind. Das ist auch <strong>der</strong> Grund, warum wir das Jubiläumsjahr <strong>mit</strong><br />

dem Titel versehen haben: <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong>. Ich sehe meine Arbeit als <strong>Mission</strong>sarbeit,<br />

denn ich möchte <strong>mit</strong>wirken, dass die <strong>Schneller</strong> Schulen ein Lern- und Lebensort<br />

sind, wo Kin<strong>der</strong> und Jugendlicher er<strong>leben</strong>, wie Menschen sich in <strong>Frieden</strong> begegnen.<br />

51


4. <strong>Mission</strong> ist Bildungsarbeit<br />

Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

a) Schulische Bildungsarbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung (Katja Baur)<br />

Auf <strong>Schneller</strong>s Grabstein, <strong>der</strong> sich auf dem Zionsfriedhof in Jerusalem befindet, steht ein<br />

Bibelvers aus Dan.12,3: „Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die so viele<br />

zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich“. Das spiegelt <strong>Schneller</strong>s Überzeugung,<br />

die Kreise zog: Bildung erwirkt Gerechtigkeit und <strong>Frieden</strong>.<br />

Heute gibt es keine <strong>Schneller</strong>-<br />

Schule mehr in Israel. Das Erbe<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung wird<br />

offiziell we<strong>der</strong> in Israelischen<br />

Museen noch in <strong>der</strong><br />

pädagogischen Ausbildung gewürdigt.<br />

In Israel gibt es keine<br />

vom Staat Israel initiierte<br />

Veranstaltung zum <strong>Schneller</strong><br />

Jubiläumsjahr. Wohl aber wird<br />

die Bürgermeisterin von<br />

Jerusalem am 1. Advent ein<br />

Grußwort im Rahmen des von <strong>der</strong> ev. Kirche Jerusalems initiierten <strong>Schneller</strong>-<br />

Symposiums an <strong>der</strong> Augusta Victoria Kirche auf dem Ölberg sprechen. Und dabei ist<br />

das <strong>Schneller</strong> Compound bis heute teilweise erhalten und Vater <strong>Schneller</strong> samt Familie<br />

liegen auf dem Zionsfriedhof in Jerusalem begraben. Auch <strong>der</strong> Altar <strong>der</strong> Kirche des Syrischen<br />

Waisenhauses, <strong>der</strong> erst 2009 entdeckt wurde, gehört dem Staat Israel. D.h.: Spuren<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s sind sowohl archäologisch, als durch Menschen, die in <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<br />

Bewegung arbeiteten, bis heute in Israel erhalten. Christliche Organisationen haben so<br />

manche Spuren hinterlassen, die auch das israelische Bildungswesen nachhaltig beeinflussen.<br />

Nicht nur die <strong>Schneller</strong>-Bewegung, auch <strong>der</strong> Kaiserswerther Verband, die Herrenhuter,<br />

<strong>der</strong> Verein vom Heiligen Land o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jerusalemsverein- um nur einige zu nennen- zeigen,<br />

dass die <strong>Mission</strong>sidee dieser Einrichtungen nicht vorrangig darin bestand, die Kin<strong>der</strong><br />

zu drängen, evangelisch zu werden (dazu bedurfte es <strong>der</strong> Zustimmung <strong>der</strong> Eltern),<br />

son<strong>der</strong>n ihnen Bildung auf ihrem Weg zu geben. Dazu gehörte neben Schulen und Internaten<br />

auch <strong>der</strong> Aufbau eines Krankenwesens,<br />

sodass Schulpflicht und<br />

medizinische Grundversorgung zur<br />

Basisbildung zählten. Für die <strong>Schneller</strong>-Bewegung<br />

war es klar, dass auch<br />

die vielen Blinden, die es im Orient<br />

gab und gibt, ein Recht auf eine angemessene<br />

Schulbildung haben sollten.<br />

Bildungsarbeit war Rettungsarbeit.<br />

Sie unterschieden sich da<strong>mit</strong><br />

bewusst von <strong>der</strong> Karmelmission, die<br />

bis heute im Nahen Osten arbeitet,<br />

um Muslime und Juden zum christ-<br />

52


lichen Glauben zu bekehren.<br />

Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Dass Bildungsarbeit immer als<br />

ganzheitliches Geschehen zu gestalten<br />

ist, zeigt sich nicht nur im<br />

Nahen Osten, son<strong>der</strong>n auch hier<br />

auf <strong>der</strong> Karlshöhe. Der Schulleiter<br />

<strong>der</strong> Berufsschule hier auf <strong>der</strong><br />

Karlshöhe, Herr <strong>Schneller</strong>, setzt<br />

sich vor Ort dafür ein, dass die,<br />

die sonst kaum Chancen hätten,<br />

in dieser Einrichtung Bildung<br />

und Ausbildung erhalten. Das<br />

war den <strong>Schneller</strong>s von je her<br />

wichtig: Wenn man bedenkt,<br />

dass im osmanischen Reich nur<br />

ca. 10% <strong>der</strong> Bevölkerung zur<br />

Schule gingen, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> sich die Zahl verdoppelte und verdreifachte,<br />

dann war hier ein Schritt in die gewünschte Richtung gemacht. Auch wenn wir heute kritisch<br />

darüber urteilen können, dass Einflüsse <strong>der</strong> württembergischen Waisenhauspädagogik,<br />

<strong>der</strong> württembergische Bildungsplan, eine protestantische Arbeitsethik usw. das Bildungsprofil<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen prägten, muss man doch anerkennen, dass die <strong>Schneller</strong><br />

Schulen Impulsgeber für staatliche, jüdische und muslimische Schulen wurden, die<br />

sich die pädagogischen Ideen <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s zum Vorbild nahmen. 1914 gab es bereits ca.<br />

100 staatliche Schulen in Palästina, heute werden auch Schulen für Menschen <strong>mit</strong> Assistenzbedarf<br />

im Nahen Osten vom Staat geführt.<br />

Was die <strong>Schneller</strong> Schulen von an<strong>der</strong>en Schulen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> immer unterschied und<br />

bis heute unterscheidet ist, dass sie sich als „Schule für die Armen“ verstehen. Sie wollen<br />

denen, die zu den Globalisierungsverlierern gehören, Wissen, Werte und Haltungen<br />

schenken frei nach <strong>Schneller</strong>s Motto: <strong>Schneller</strong> Schüler sollen „Mit Ehren ihr eigen Brot<br />

essen“. Sie sind bis heute ein Kontrastprogramm zu den „Schulen für Reiche“, die auch<br />

von Christen o<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>n unterhalten werden, aber nur <strong>mit</strong> viel Schulgeld zugänglich<br />

sind. Zudem hatten und haben die <strong>Schneller</strong> Schüler durch ihre mehrsprachliche Erziehung<br />

in Arabisch, Englisch und Deutsch Vorteile auf dem Arbeitsmarkt. Das ist bis<br />

heute so. Kehrseite ist auch, dass viele <strong>Schneller</strong> Schüler heute ins Ausland gehen und ihre<br />

Kompetenzen im Nahen Osten fehlen.<br />

Auch deshalb bleibt die Frage aktuell,<br />

was das Bildungskonzept <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> für den Staat Israel<br />

sowie den Nahen Osten bedeutete und<br />

auch heute bedeuten könnte. Die<br />

Spannung zwischen individuellem<br />

„För<strong>der</strong>n und For<strong>der</strong>n“ nach europäischem<br />

Verständnis, die immer auch<br />

einen kritischen Blick auf die eigene<br />

Kultur erwirkt einerseits und dem<br />

„Bleiben und Ruhen im Konstanten“,<br />

das sich im Vertrauten beheimatet, gilt<br />

es bildungsmäßig zu gestalten.<br />

53


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

54


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

b) Erfahrungsinput zu missionarischer Bildungsarbeit aus dem Studienprojekt 2007<br />

(Daniela Kehr, Judith Förster)<br />

Im Rahmen unserer Exkursion gen Süden besuchten wir auch die diakonische Einrichtung<br />

HILD (Holy Land Instituts fort the Deaf/Salt) in Salt. Sie ist- wie die <strong>Schneller</strong><br />

Schule- von Christen aufgebaut und getragen. Hier werden gehörlose Kin<strong>der</strong> beschult<br />

und er<strong>lernen</strong> einen Beruf. Der Leiter <strong>der</strong> Einrichtung, Bru<strong>der</strong> Andreas, erzählte uns, dass<br />

es in Jordanien lange keine Schulen für gehörlose Kin<strong>der</strong> gab. Diese blieben in ihren Familien<br />

und wurden dort versteckt o<strong>der</strong> versorgt. So fahren Mitarbeitende von SALT im<br />

Lande herum, fragen und suchen gehörlose Kin<strong>der</strong> und versuchen Familien zu überzeugen,<br />

diese in Kin<strong>der</strong>gruppen o<strong>der</strong> auch in <strong>der</strong> Einrichtung selbst för<strong>der</strong>n zu lassen. Wir<br />

haben in einer Außenstelle von SALT so eine Kin<strong>der</strong>gruppe beim Spielen erlebt und waren<br />

beeindruckt, wie diese mehrfach behin<strong>der</strong>ten Kin<strong>der</strong> hier einfache Tätigkeiten und<br />

spielerisch <strong>lernen</strong> können. In einer Gesellschaft, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Wert eines Menschen vor<br />

allem an seiner Arbeitsfähigkeit orientiert, haben die, die krank o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>t sind, weniger<br />

Chancen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.<br />

Christliche Schulen, die den Wert und die Würde eines Menschen nicht an <strong>der</strong> Leistung<br />

fest machen, sind in unseren Augen wichtig, um die Kluft zwischen Arm und Reich,<br />

Krank und Gesund, Jungen und Mädchen nicht noch weiter auseinan<strong>der</strong>klaffen zu lassen.<br />

Umso mehr irritierte es uns, dass wir mehrfach hörten, dass Christen zunehmend<br />

aus dem Nahen Osten auswan<strong>der</strong>n, weil sich ihre Arbeitsbedingungen und ihre wirtschaftliche<br />

Situation dort zunehmend verschlechtern. Der wachsende islamische Fundamentalismus,<br />

<strong>der</strong> aus dem Iran und Irak nach Jordanien strömt, ist auch verantwortlich<br />

für Rückschritte im Bildungswesen. Das geht dann wie<strong>der</strong> auf Kosten <strong>der</strong> schwachen und<br />

kranken Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen. Das aber macht die Präsenz von Christen im Bildungswesen<br />

in Nahost wohl wie<strong>der</strong> neu dringend- neue „<strong>Schneller</strong>s“ sind gefragt- vielleicht<br />

auch mal als zukünftige Arbeitsstelle für uns Sozial- und Religionspädagogen.<br />

55


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

c) Impulse zur <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als Bildungsarbeit (Dr. Jakob Eisler)<br />

Begrüßung durch den Studierenden Martin Hoffmann, BIDA 2010:<br />

Kaum jemand hat so viel zur <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> publiziert wie Dr. Jakob Eisler. Sie sind<br />

– wie viele sagen – ein „wandelndes Lexikon“, wenn es um Informationen zu den<br />

<strong>Schneller</strong>s geht und ein begehrter Referent im <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahr. Interessant ist,<br />

dass Sie das historische Erbe <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung genauestens untersuchen. Sie haben<br />

z. B. entdeckt, dass die Söhne Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s das Erbe ihres Vaters idealisierten.<br />

So gibt es Diskrepanzen zwischen <strong>der</strong> Historie und Aussagen <strong>der</strong> Erben <strong>Schneller</strong>s.<br />

Hermann <strong>Schneller</strong> stellt die Kindheit seines Vaters z. B. gerne als Flüchtlingsschicksal<br />

dar. Sie hingegen weisen nach, dass die Familie <strong>Schneller</strong> 120 Jahre vor <strong>der</strong><br />

Flüchtlingswelle ins Schwabenland kam und <strong>Schneller</strong>s Einsatz für Flüchtlingskin<strong>der</strong><br />

keine eigenen biografischen Wurzeln aufzeigt. Ihren Forschungen nach waren die ersten<br />

25 Jahre <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> etwas unspektakuläres und recht nüchternes. Erst als<br />

Ludwig und Theodor <strong>Schneller</strong> Zugang zu höheren Kreisen fanden und dann ab 1911<br />

nach dem 1.Weltkrieg ein Aufschwung <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> durch Kontakte zu Bethel<br />

stattfand, wurde die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> vielerorts bekannt. Ihrer Meinung nach wollten<br />

beson<strong>der</strong>s Hermann und Ludwig sich nicht <strong>mit</strong> <strong>der</strong> NSDAP Vergangenheit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s<br />

auseinan<strong>der</strong>setzen und im Gegenzug eine „Heile Familie“ darstellen. So erwähnen<br />

die beiden Brü<strong>der</strong> bewusst nicht, dass ihre Schwester einen Templer geheiratet hat, um<br />

sich selbst nicht <strong>mit</strong> Menschen zu „beflecken“, die nicht so in das kirchlich- pietistische<br />

Bild <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> passten. Aus diesem Grunde sind Sie als Historiker auch zurückhaltend,<br />

die Bildungsarbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s an Darstellungen festzumachen, die vor allem<br />

aus <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> dieser Söhne stammen. Ihrer Meinung nach haben die <strong>Schneller</strong> Schulen<br />

seit <strong>der</strong> Mandatszeit eigentlich keine große Bedeutung mehr für die Gesellschaft- das<br />

war in <strong>der</strong> 1.-3. Generation <strong>der</strong> Schulen noch an<strong>der</strong>s. In Israel, Jordanien und im Libanon<br />

herrscht heute Schulpflicht. Es liegt evtl. auch daran, dass die Idee <strong>der</strong> Analphabeten-<br />

und Handwerkermission, bei <strong>der</strong> man Menschen über wirtschaftliche Möglichkeiten<br />

zum Glauben bringt, heute nicht mehr fruchtet.<br />

Sie sind als Jude geboren und in Israel aufgewachsen, stammen also aus dem Nahen Osten.<br />

Sie studierten in Haifa historische Wissenschaften. Wir hörten, dass Ihr Doktorvater,<br />

Prof. Dr. Alex Carmel, Herrn Akels Promotion gelesen hatte und Ihnen davon berichtete.<br />

So haben Sie in Israel als Student <strong>der</strong> Geschichte über ihren Doktorvater das erste Mal<br />

etwas von <strong>der</strong> Bildungsarbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s gehört und sich fortan dafür interessiert. Sie<br />

promovierten dann in Haifa über Christen im Hl. Land und ihre Bedeutung für das Hl.<br />

Land. Als Jude waren und sind Sie interessiert an <strong>der</strong> europäischen Bildungsarbeit und<br />

<strong>der</strong> Frage ihres Einflusses auf das israelische Bildungswesen. Lei<strong>der</strong> wurde <strong>der</strong> Lehrstuhl<br />

Ihres verstorbenen Doktorvaters eingespart, sonst würden Sie heute evtl. in Israel über<br />

die europäische Bildungsarbeit und ihre Verbindungen zum jüdisch- israelischen Bildungswesen<br />

lehren. Sie siedelten nach Deutschland über und arbeiten hier wissenschaftlich<br />

und historisch über die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>. Sie werten z. B. Filmmaterial aus, das<br />

neue Erkenntnisse über <strong>der</strong>en Geschichte aufdeckt. Im Landeskirchlichen Museum, in<br />

dem Sie heute als Historiker arbeiten, sind Sie verantwortlich für die Ausstellung zum<br />

<strong>Schneller</strong> Jahr, die wir teilweise heute auch hier an <strong>der</strong> EH aufgestellt haben. Ihnen ist es<br />

wichtig, dass die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> bis heute <strong>mit</strong> Menschen arbeitet, die am Rande <strong>der</strong><br />

Gesellschaft stehen-Flüchtlinge, Opfer von Gewalt usw., und dass die Idee des Weltethos<br />

von Hans Küng die Werteorientierung an <strong>der</strong> TSS prägt. Es ist ihrer Meinung nach heute<br />

eher ein humanes, denn ein religiöses Weltethos, aber es sind Werte, die unsere Gesellschaft<br />

und <strong>der</strong> Nahe Osten dringend benötigt: <strong>Frieden</strong>, Gerechtigkeit, Solidarität <strong>mit</strong> den<br />

Schwachen und Bildung für alle. Dabei kommt auch das Verhältnis von <strong>Mission</strong> und<br />

Bildung im Schulwesen <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s zur Sprache, über das Sie nun referieren werden.<br />

56


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Bildungsarbeit und <strong>Mission</strong>sarbeit- eine Verhältnisbestimmung<br />

(Dr. Jakob Eisler, gekürzte Vortragsfassung)<br />

Dem württembergischen Pietismus, <strong>der</strong> sich<br />

beson<strong>der</strong>s im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t entfaltete, war<br />

um 1700 <strong>der</strong> Hallesche Pietismus vorausgegangen.<br />

Im Jahre 1698 gründete Hermann<br />

August Francke (1663–1727) in Halle das erste<br />

Waisenhaus, dem Schulen und Ausbildungsstätten<br />

folgten. Die Franckeschen Stiftungen<br />

zeigen viele Parallelen zu den Einrichtungen<br />

des später gegründeten Syrischen Waisenhauses<br />

in Jerusalem. Auch <strong>der</strong> württembergische<br />

Pietismus bejahte den Christenmenschen <strong>der</strong><br />

Tat, <strong>der</strong> über das Gemeinde<strong>leben</strong> und die Gottesdienste<br />

hinaus den Glauben auch in die Tat<br />

- in christlichen Liebeswerken - umgesetzt sehen<br />

wollte. Der pietistische Lehrer Philipp Johann<br />

Spener (1635–1705) erklärte: „…daß es<br />

<strong>mit</strong> dem Wissen in dem Christentum durchaus nicht<br />

genug sei, da0 es vielmehr in <strong>der</strong> praxi bestehe…“ 8<br />

In Württemberg waren zu Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts infolge von Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

<strong>der</strong> Pietisten <strong>mit</strong> <strong>der</strong> evangelischen Amtskirche rein pietistische Gemeinden entstanden,<br />

so z. B. in Korntal 1819 und in Wilhelmsdorf 1824. Die Pietisten pflegten die eigenständige<br />

Bibelauslegung in ihren Gemeinschaften sowie die Aktivität <strong>der</strong> Laien. Beson<strong>der</strong>s<br />

einflussreich wurde die schon<br />

1780 von dem evangelischen Theologen<br />

Johann August Urlsperger (1728–<br />

1816) gegründete Deutsche Christentumsgesellschaft,<br />

<strong>der</strong>en Sekretär seit<br />

1801 Christian Friedrich Spittler<br />

(1782–1867) war, und die ihren Sitz in<br />

Basel hatte. Spittler, <strong>der</strong> aus Wimsheim<br />

in Württemberg stammte, sorgte<br />

während seiner Tätigkeit in Basel für<br />

die Gründung vieler karitativer und<br />

missionarischer Institutionen. 9 Die<br />

bedeutendste Gründung ist bis heute<br />

die Basler <strong>Mission</strong>, die 1815 auf Initiative<br />

<strong>der</strong> Christentumsgesellschaft ins<br />

Leben gerufen wurde. Spittler schuf in<br />

<strong>der</strong> inneren und äußeren <strong>Mission</strong> vorbildliche<br />

Einrichtungen, die viele<br />

Nachahmer fanden. Zwei davon sind<br />

für die Geschichte des Syrischen Waisenhauses<br />

beson<strong>der</strong>s wichtig:<br />

8 Thomas Kuhn: Religion und neuzeitliche Gesellschaft, Tübingen 2003.<br />

9 Hermann Ehmer: Gott und die Welt in Württemberg, Stuttgart 2000.<br />

57


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

1820 gründete Spittler die Armenkin<strong>der</strong>anstalt im Schloss Beuggen bei Basel, die von<br />

Christian Heinrich Zeller (1779–1860) geleitet wurde. Diese Anstalt wurde zum Vorbild<br />

für viele Kin<strong>der</strong>rettungshäuser - und dies nicht nur im deutschen Südwesten: zum Beispiel<br />

für die Gustav-Wernerschen Anstalten (1840) in Reutlingen o<strong>der</strong> das von Johann<br />

Heinrich Wichern gegründete „Rauhe Haus“ (1833) in Hamburg. Diese Rettungshäuser<br />

entstanden im Zuge <strong>der</strong> Industrialisierung. Durch die Erwerbstätigkeit <strong>der</strong> Eltern außerhalb<br />

<strong>der</strong> heimischen Welt wurden die Familien auseinan<strong>der</strong> gerissen, die häusliche Welt<br />

zerbrach und das Problem <strong>der</strong> Straßenkin<strong>der</strong> war geschaffen. Um diese Kin<strong>der</strong> kümmerten<br />

sich die Kin<strong>der</strong>rettungshäuser. Zellers Wirken reichte über seine Tätigkeit in Beuggen<br />

hinaus. Er schrieb ein Buch über die pietistische Schulerziehung <strong>mit</strong> dem Titel „Lehren<br />

<strong>der</strong> Erfahrung“ (Basel 1865), das weite Verbreitung fand und sicherlich auch den Geist<br />

des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem nachhaltig prägen sollte. 10<br />

Im Jahre 1840 gründete<br />

Spittler dann die Pilgermissionsanstalt<br />

St. Chrischona<br />

bei Basel. Als 1841<br />

das evangelische Bistum in<br />

Jerusalem ins Leben gerufen<br />

worden war, wurde auch in<br />

Basel und im deutschen<br />

Südwesten die Palästina-<br />

<strong>Mission</strong> vorbereitet. 1846 beschloss<br />

Spittler, das<br />

<strong>Mission</strong>swerk in Jerusalem<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Gründung des<br />

Brü<strong>der</strong>hauses zu beginnen.<br />

Ab Dezember 1846 war auch<br />

Samuel Gobat als Bischof in<br />

10<br />

Über Christian Heinrich Zellers Erziehungsmethoden s. Hui-Chung Ho: Christian Heinrich Zellers Erziehungsdenken<br />

als Grundlage seiner Tätigkeit an <strong>der</strong> „freiwilligen Armen-Schullehrer-Anstalt“ in Beuggen, Frankfurt<br />

1989. Christian Heinrich Zeller war auch <strong>der</strong> Schwiegervater von Samuel Gobat, dem späteren Bischof von<br />

Jerusalem. Gobat war in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts als Zögling <strong>der</strong> Basler <strong>Mission</strong> auch<br />

nach Beuggen gekommen. Er hatte Zellers Tochter geheiratet. Das Netz war also nach Jerusalem ziemlich<br />

eng geknüpft. S. Herbert Leube: Familie und christliche Diakonie, Lahr 1999.<br />

58


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Jerusalem tätig. Er überzeugte Spittler, dass das Brü<strong>der</strong>haus als Ausgangspunkt für die<br />

<strong>Mission</strong> nach Abessinien, die so genannte „Apostelstraße“, dienen sollte. Hier sollten<br />

nun die Handwerker-<strong>Mission</strong>are für den Dienst in Afrika geschult werden. Das Haus<br />

kam zunächst jedoch zu keiner rechten Entfaltung, es schien sogar von <strong>der</strong> Auflösung<br />

bedroht, so dass Bischof Gobat 1854 Spittler dringend um einen Leiter und Hausvater für<br />

das Brü<strong>der</strong>haus in Jerusalem bat. Spittler schickte ihm den damals 34 Jahre alten Johann<br />

Ludwig <strong>Schneller</strong>, <strong>der</strong> seit 1847 als Hausvater und Lehrer auf St. Chrischona wirkte. 11<br />

Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>, <strong>der</strong> am 15. Januar 1820 in Erpfingen auf <strong>der</strong> Schwäbischen<br />

Alb geboren wurde, hatte als Bauernkind <strong>mit</strong> viel Energie, Begabung und Fleiß, unterstützt<br />

vom Pfarrer und Lehrer des Heimatortes, als 18jähriger das Lehrerexamen als Externer<br />

<strong>mit</strong> Auszeichnung bestanden und durfte nach dem zweiten Examen selbst Lehrer<br />

für den württembergischen Schuldienst ausbilden. Nach einigen Schulstellen in Württemberg<br />

und Besuchen in <strong>der</strong> „Kin<strong>der</strong>rettungsanstalt Wilhelmshilfe“ bei Göppingen<br />

wurde er, <strong>der</strong> seine geistige Heimat früh in den pietistischen Kreisen von Korntal fand,<br />

von Spittler nach Basel berufen. Als Hausvater auf St. Chrischona führte er ein äußerst<br />

karges Leben. Er erhielt von Spittler kein Gehalt, nur das Nötigste an Nahrung und Kleidung<br />

für sich und die 20 Brü<strong>der</strong>, <strong>mit</strong> denen er sich in <strong>der</strong> Kapelle St. Chrischona einrichtete.<br />

<strong>Schneller</strong> galt als äußerst asketisch und hart gegen sich selbst, und dies befähigte ihn<br />

wohl auch, spätere Durststrecken zu überstehen.<br />

1854 brach er von Basel <strong>mit</strong> seiner Frau Magdalena Böhringer, einer Gastwirtstochter<br />

aus Eschenbach in <strong>der</strong> Nähe von Göppingen, und <strong>mit</strong> weiteren sechs Brü<strong>der</strong>n nach Palästina<br />

auf. Er hatte seine Frau in den Korntaler pietistischen Kreisen kennen gelernt. Sie<br />

selbst arbeitete vor ihrer Auswan<strong>der</strong>ung als Aufseherin in Wilhelmsdorf. 12<br />

In Jerusalem gelang es <strong>Schneller</strong> schon 1855, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Mitgift seiner Frau ein eigenes<br />

Grundstück weit außerhalb <strong>der</strong> Stadtmauern von Jerusalem zu erwerben, wo er ein einfaches<br />

Haus errichtete. Zu diesem Entschluss gehörte sehr viel Mut, denn die Gegend um<br />

die Altstadt ähnelte eher einer Wildnis, in <strong>der</strong> Räubergruppen ihr Unwesen trieben. Es<br />

gab damals um die Altstadt we<strong>der</strong> Bauten noch landwirtschaftlich genutztes Land.<br />

<strong>Schneller</strong> wurde auf seinem Weg nach Hause oftmals von Arabern angegriffen. Nachdem<br />

sein Haus von Räubern überfallen und er ausgeraubt worden war, kehrte er 1858 ins<br />

Brü<strong>der</strong>haus zurück. Erst als die türkische Behörde den Weg von Jerusalem nach Jaffa<br />

bewachen ließ, konnte <strong>Schneller</strong> sein Haus wie<strong>der</strong> beziehen.<br />

Im Sommer 1860 brach im Libanon ein Bürgerkrieg aus: Zehntausende Christen wurden<br />

von Muslimen und Drusen umgebracht. Als Spittler in Basel vom Ausmaß <strong>der</strong> Katastrophe<br />

erfuhr, gab er <strong>Schneller</strong> im September 1860 den Auftrag, Waisenkin<strong>der</strong> in sein Haus<br />

aufzunehmen. Ende Oktober 1860 reiste <strong>Schneller</strong> nach Beirut, um von dort Waisenkin<strong>der</strong><br />

nach Jerusalem zu bringen. Trotz <strong>der</strong> großen Not wollte man ihm aber keine Waisen<br />

anvertrauen. <strong>Schneller</strong> ging nach Sidon und konnte dort nach vielen Mühen neun Waisenkin<strong>der</strong><br />

finden, die <strong>mit</strong> ihm nach Jerusalem gingen. Sie kamen am 11. November 1860<br />

in seinem Haus an. Dies war <strong>der</strong> Gründungstag des Syrischen Waisenhauses von Jerusalem.<br />

13<br />

11<br />

Alex Carmel: Christen als Pioniere im Heiligen Land, Basel 1981.<br />

12<br />

S. Jakob Eisler/Arno G. Krauß: Nach Jerusalem müssen wir fahren, Biersfelden 2002.<br />

13<br />

Ebd. Historische Einleitung. S. über das Syrische Waisenhaus Ludwig <strong>Schneller</strong>: Vater <strong>Schneller</strong>, Leipzig<br />

1925. S. auch Roland Löffler: Protestanten in Palästina, Stuttgart 2008, S. 244-288.<br />

59


Spittler sandte einige Chrischona-Zöglinge<br />

als Lehrer und<br />

Helfer ins Waisenhaus. In den<br />

ersten Jahren wurde Johann<br />

Ludwig <strong>Schneller</strong> von St. Chrischona<br />

auch finanziell unterstützt,<br />

aber langsam distanzierte<br />

er sich von <strong>der</strong> Pilgermission. Er<br />

sammelte in eigenständigen Aktionen<br />

Gel<strong>der</strong> in Württemberg<br />

und vergrößerte das Waisenhaus,<br />

um neue Zöglinge aufnehmen<br />

zu können: Waren es zu<br />

Ende des Gründungsjahres noch<br />

41 Kin<strong>der</strong>, so lag ihre Zahl zehn<br />

Jahre später schon bei 70 und im<br />

Jahre 1880 bereits bei über 130.<br />

Situationsplan des Syrischen Waisenhauses<br />

aus dem Jahr 1892. Aus <strong>der</strong><br />

Austellung im Landeskirchlichen Archiv<br />

zum 150-jährigen Bestehen <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schulen,<br />

Foto: W. Baur.<br />

Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Von Anfang an wurde neben <strong>der</strong> schulischen Ausbildung großes Gewicht auf die handwerkliche<br />

Arbeit gelegt, so dass im Laufe <strong>der</strong> Zeit eine große Zahl verschiedener Werkstätten<br />

im Waisenhaus eingerichtet wurde. Außer den Werkstätten <strong>der</strong> Schuster, Tischler,<br />

Schnei<strong>der</strong>, Schmiede, Drechsler und Schlosser gab es im Syrischen Waisenhaus auch<br />

eine Ziegelei, eine Töpferei und die beste Buchdruckerei Palästinas. Ein Seminar bildete<br />

ab 1888 arabische Lehrer und Hilfspastoren aus. So<strong>mit</strong> konnten die Schüler gemäß ihren<br />

Neigungen und Begabungen einen Beruf er<strong>lernen</strong>, <strong>der</strong> ihnen ein selbstständiges Leben<br />

ermöglichte.<br />

60


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Der Tagesablauf im Syrischen Waisenhaus war streng geregelt und ausgefüllt <strong>mit</strong> Arbeit,<br />

Gebet und Gesang. Schule, Handarbeit, Landarbeit und Andachten bestimmten das Leben<br />

<strong>der</strong> Schüler. Für die Jüngeren gab es eine Spielstunde, natürlich unter Aufsicht. Die<br />

Grundlage <strong>der</strong> Schulbildung im Syrischen Waisenhaus bildete <strong>der</strong> Lehrplan <strong>der</strong> württembergischen<br />

Volksschule des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, dessen Lehrbücher z. T. ins Arabische<br />

übersetzt wurden. Neben Arabisch lernten die Kin<strong>der</strong> ein gutes Deutsch in Wort und<br />

Schrift. Lehrbasis war die Lutherbibel und alle Realfächer wurden dem Kernfach Religionsunterricht<br />

zu- und untergeordnet. 14<br />

Die süddeutschen Rettungshäuser, die von pietistischem Gedankengut durchdrungen<br />

waren, waren Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s Vorbild, vor allem die Lehren Christian Heinrich<br />

Zellers, des Leiters <strong>der</strong> Beuggener Anstalten. Zeller war ein Pestalozzi-Schüler und<br />

hatte von diesem persönlich pädagogische und philanthropische Anschauungen und Methoden<br />

übernommen, etwa die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> musischen Fähigkeiten und <strong>der</strong> körperlichen<br />

Ertüchtigung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. Wan<strong>der</strong>n und Naturverbundenheit wurden gepflegt. „Erziehung<br />

ist Liebe, Beispiel und Vorbild“, das hatte Pestalozzi gelehrt. Für Zeller war dies<br />

alles aber dem <strong>Mission</strong>sziel untergeordnet: die Rettungshäuser sollten „<strong>Mission</strong>sanstalten<br />

in<strong>mit</strong>ten <strong>der</strong> Heimat“ sein. Es ging ihm um die Rettung und Erziehung des Schülers zum<br />

Kind Gottes. Es war eine Zwei-Welten-Lehre, die die Basis seines pietistisch geprägten<br />

Weltbildes ausmachte: Der Welt <strong>der</strong> Finsternis und Sünde wurde die Welt des Lichts<br />

und <strong>der</strong> christlichen Erleuchtung gegenübergestellt. Der bekehrte Sün<strong>der</strong>, <strong>der</strong> die alte böse<br />

Welt hinter sich lässt, wird zum Kind Gottes. Die Kin<strong>der</strong>rettungshäuser sollten also<br />

vor <strong>der</strong> bösen Welt draußen bewahren und <strong>mit</strong> dem Eintritt des Kindes ins Waisenhaus<br />

wurde um seine neue Identität als Kind Gottes gerungen. 15 Die christliche Erziehung<br />

wurde durch gezielte Maßnahmen unterstützt: Rettungshäuser befanden sich außerhalb<br />

städtischer Siedlungen. Die Beuggener Anstalten beispielsweise lagen ganz für sich in einem<br />

geschlossenen Gebäudekomplex direkt am Rhein und auch <strong>Schneller</strong>s Syrisches<br />

Waisenhaus war außerhalb <strong>der</strong> Stadttore Jerusalems angesiedelt. Bei <strong>Schneller</strong> fand sich<br />

die sündige Welt <strong>der</strong> Straße, von <strong>der</strong> es daheim Abstand zu nehmen galt, in <strong>der</strong> klischeehaften<br />

Vorstellung von <strong>der</strong> min<strong>der</strong>wertigen, verkommenen und arbeitsscheuen einheimischen<br />

arabischen Bevölkerung wie<strong>der</strong>, von <strong>der</strong> die Waisenhauskin<strong>der</strong> möglichst lange,<br />

mindestens aber bis zum Abschluss ihrer Berufsausbildung, ferngehalten werden sollten.<br />

Nach <strong>Schneller</strong>s Vorstellung sollten sie dann als erwachsene Christen das arabische Volk<br />

über ein Netzwerk von Gemeinden, <strong>Schneller</strong> spricht von „Waisenhaus-Colonien“, missionieren.<br />

Diesem Plan war jedoch nicht viel Erfolg beschieden. <strong>Schneller</strong> musste bald erfahren,<br />

dass <strong>Mission</strong> in Palästina nicht unbedingt Heidenmission bedeutete – denn nur<br />

ganz wenige Muslime und Juden, die die Anstalt besuchten, traten in all den Jahren zum<br />

christlichen Glauben über. 16<br />

14<br />

Jakob Eisler: Der deutsche Beitrag zum Aufstieg Jaffas 1850–1914, Wiesbaden 1997 (im Folgenden: Eisler<br />

1997).<br />

15<br />

August Hin<strong>der</strong>er: Was zur Tat wurde. Bil<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> inneren <strong>Mission</strong> in Württemberg, Stuttgart 1910.<br />

16 Eisler 1997.<br />

61


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Orangenplantage <strong>mit</strong> Bewässerung bei Bir Salem,<br />

Foto: Wikimedia .<br />

62<br />

Ein weiterer Plan Johann Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong>s war es, eine mo<strong>der</strong>ne<br />

evangelische arabische Gesellschaft zu<br />

gründen. Sie sollte vornehmlich vom<br />

Ackerbau <strong>leben</strong>. Die deutschen württembergischen<br />

Templer, die sich 1869<br />

in Palästina nie<strong>der</strong>ließen, brachten ihn<br />

auf die Idee, in <strong>der</strong> Nähe von Ramle<br />

eine arabische landwirtschaftliche<br />

Siedlung zu gründen. Zu diesem<br />

Zweck wollte <strong>Schneller</strong> 1877 von <strong>der</strong><br />

türkischen Regierung Grundstücke in<br />

<strong>der</strong> Philisterebene erwerben. Aber erst<br />

1889 gelang es ihm – <strong>mit</strong><br />

Unterstützung von Kaiser Wilhelm II.<br />

– das Terrain Bir Salem<br />

(„<strong>Frieden</strong>sbrunnen“) auf 40 Jahre zu<br />

pachten. Und erst 1907 konnte sein<br />

Sohn Theodor das Gelände endgültig<br />

kaufen. Die dort errichtete Ansiedlung<br />

sollte unter <strong>der</strong> Leitung von Matthäus<br />

Spohn (1866–1935) in wirtschaftlicher<br />

und technischer Hinsicht zum Vorbild<br />

in Palästina werden. Als schwäbischer<br />

Pietist suchte <strong>Schneller</strong> vor allem die<br />

Abneigung <strong>der</strong> orientalischen<br />

Bevölkerung gegen körperliche Arbeit<br />

zu überwinden. 17 Selbst die Blinden,<br />

die bei <strong>Schneller</strong> eine handwerkliche<br />

Ausbildung erhielten, sollten nicht,<br />

wie sonst im Orient üblich, als Bettler <strong>leben</strong> müssen. Auch wurde <strong>der</strong> Bezug <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

zum eigenen Land nicht nur durch die Landwirtschaft, die Bearbeitung des eigenen Bodens<br />

und die Kenntnis seiner Erträge und Früchte geför<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n auch durch regelmäßige<br />

Wan<strong>der</strong>ungen in Palästina. Das Land wurde ihnen als die Heimat Jesu und als<br />

die Landschaft <strong>der</strong> Bibel nahe gebracht. Selbst Freizeiten <strong>mit</strong> Badeurlaub am Mittelmeer<br />

gehörten zu den angenehmen Abwechslungen im strengen Schulalltag, die, wie <strong>Schneller</strong><br />

<strong>mit</strong> einigem Humor <strong>mit</strong>teilt, durch das bescheidene Leben in Zelten und die äußerst einfach<br />

gehaltene Küche <strong>der</strong> Schule unterm Strich sogar zum Sparen verhalfen.<br />

Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> stellte das Waisenhaus noch vor seinem Lebensende auf eigene<br />

Füße. <strong>Schneller</strong> löste sich von <strong>der</strong> Pilgermission St. Chrischona, indem er den „Verein<br />

für das Syrische Waisenhaus in Jerusalem“ <strong>mit</strong> Sitz in Deutschland gründete, <strong>der</strong> unter<br />

<strong>der</strong> Leitung seines zweiten Sohnes Ludwig fortan für die Heimatarbeit und die Spendenbeschaffung<br />

zuständig war. Sein ältester Sohn Theodor, <strong>der</strong> in Deutschland zum Pfarrer<br />

17 „Arbeit, Arbeit ist´s vor allem, was wir diesem Volke außerdem noch beibringen müssen. Wofür lehren wir die Kin<strong>der</strong>,<br />

wenn wir sie nicht in den Stand setzen, hernach <strong>mit</strong> Ehren ihr eigen Brot zu essen? Sollten wir etwa gelehrte Bettler<br />

erziehen? Wofür lehren wir sie evangelische Erkenntnis und Religionsübung? Sollten wir etwa faule, fromme Schwätzer<br />

erziehen? Wir tun dies im vollen Bewußtsein, daß wir da<strong>mit</strong> gegen die Strömung dieses Volkes schwimmen.“ In:<br />

Ludwig <strong>Schneller</strong>: Vater <strong>Schneller</strong>, Leipzig 1898, S. 109.


Die Johann-Ludwig-<strong>Schneller</strong> Schule<br />

im Libanon<br />

Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

und Lehrer ausgebildet worden<br />

war, übernahm die Leitung des<br />

Syrischen Waisenhauses in Jerusalem.<br />

Bis ins hohe Alter hinein war es<br />

Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> vergönnt,<br />

seinem vielseitigen Werk<br />

vorzustehen. Nach seinem Tod<br />

im Jahre 1896 führte sein Sohn<br />

die Anstalt in dessen Sinne weiter.<br />

Theodor erweiterte das Syrische<br />

Waisenhaus 1902 um eine<br />

Blindenanstalt. Im Ersten Weltkrieg<br />

wurde die Einrichtung nach<br />

<strong>der</strong> Eroberung des Landes durch<br />

die Englän<strong>der</strong> geschlossen. Erst<br />

1921 wurde sie wie<strong>der</strong>eröffnet,<br />

und Ende <strong>der</strong> 1920er Jahre<br />

übernahm Theodors Sohn<br />

Hermann bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ihre Leitung. Die Zeit nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg brachte für das Syrische Waisenhaus viele Umbrüche und Umnutzungen.<br />

Heute sind die Gebäude unter Denkmalschutz gestellt und eine Gruppe von israelischen<br />

Wissenschaftlern arbeitet an <strong>der</strong> Erhaltung <strong>der</strong> Gebäude unter <strong>der</strong> Leitung von<br />

Architekt Gil Gordon. Die Planung sieht eine Restaurierung <strong>der</strong> Gebäude vor, die einer<br />

kulturellen und öffentlichen Nutzung zugeführt werden sollen.<br />

Nach dem Krieg bemühte Hermann <strong>Schneller</strong> sich gemeinsam <strong>mit</strong> seinem Bru<strong>der</strong> Ernst,<br />

die <strong>Schneller</strong>schulen im Nahen Osten wie<strong>der</strong> zu be<strong>leben</strong>. In den 1950er Jahren wurde in<br />

Khirbet Kanafar im Libanon die „Johann-Ludwig-<strong>Schneller</strong> Schule“ gegründet und<br />

schon Anfang <strong>der</strong> 1960er Jahre konnte Ernst <strong>Schneller</strong> in Amman in Jordanien die<br />

„Theodor-<strong>Schneller</strong> Schule“ einrichten. 18<br />

So<strong>mit</strong> steht die Wirkungsgeschichte des Syrischen Waisenhauses im Nahen Osten aus<br />

<strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> einheimischen Bevölkerung im Spannungsfeld zwischen Überfremdung und<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung. Auf <strong>der</strong> einen Seite findet sich sozialer Aufstieg und Existenzsicherung<br />

für den einzelnen in einem armen Land, Ausbildung auch für Mädchen und Blinde,<br />

Koedukation <strong>der</strong> Geschlechter im Familienmodell <strong>der</strong> Wohngemeinschaften,<br />

Bildungsoptimismus <strong>der</strong> Aufklärung und technologischer Fortschritt – auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite die Abtrennung von <strong>der</strong> eigenen als min<strong>der</strong>wertig eingestuften Kultur, die<br />

Unkenntnis <strong>der</strong> kulturellen Vergangenheit des Landes, <strong>der</strong> Geschichte des eigenen<br />

Volkes, seiner Mythen und Märchen. Es scheint aber, dass die Verluste aufgewogen<br />

wurden durch die christliche Liebeszuwendung und Achtung <strong>der</strong> Schüler als Kin<strong>der</strong><br />

Gottes, die die Zöglinge des Syrischen Waisenhauses erfuhren. 19<br />

18<br />

S. Anna Barkefeld: Mit Ehren ihr eigen Brot essen. Begrün<strong>der</strong> des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem. Johann<br />

Ludwig <strong>Schneller</strong>, Sonnenbühl 2002.<br />

19<br />

S. Katja Buck (Hg.) <strong>Frieden</strong> Leben Lernen: ein Lesebuch zum 150-jährigen Jubiläum <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schulen in<br />

Nahost, Stuttgart 2010.<br />

63


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

5. <strong>Mission</strong> ist gesellschaftspolitische Arbeit<br />

a) Die <strong>Schneller</strong> Schulen kooperieren <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Politik (Katja Baur)<br />

Manche fragen verwun<strong>der</strong>t, warum die<br />

<strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> eines Jubiläumsjahres<br />

würdig sei. <strong>Mission</strong> – das klingt in vielen<br />

Ohren nach Kolonisation, Gewalt, Bevormundung.<br />

In <strong>der</strong> Tat: <strong>Mission</strong> gehört zu<br />

den Schlagworten <strong>der</strong> deutschen Presse<br />

„Merkel startet ihre Klima- <strong>Mission</strong>“,<br />

„Joachim Löw hat seine <strong>Mission</strong> erfüllt“,<br />

„Blon<strong>der</strong> Hetzer <strong>mit</strong> Anti- Islam- <strong>Mission</strong>“<br />

usw.<br />

Der Begriff „<strong>Mission</strong>“ steht für die Durchsetzung<br />

einer Idee. Da missionarisches<br />

Wirken immer in Lebensbereiche von an<strong>der</strong>en<br />

Menschen eingreift, also gesellschaftlich<br />

und politisch agiert, gilt es zu fragen,<br />

ob und wie die ursprünglich friedensstiftende<br />

Idee von christlicher <strong>Mission</strong> in einer<br />

global vernetzten Welt aufrecht erhalten<br />

werden kann. Gibt es so etwas wie eine<br />

Kultur humaner <strong>Mission</strong>, einen rechtlichen<br />

Rahmen, <strong>der</strong> Möglichkeiten und Grenzen<br />

von <strong>Mission</strong>sarbeit steckt? Gibt es politische<br />

und diplomatische Vereinbarungen,<br />

die missionarisches Wirken för<strong>der</strong>n und<br />

kontrollieren?<br />

Dass <strong>Mission</strong> auch für die Politik interessant sein<br />

kann, zeigen auch Begebenheiten aus <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>. König Friedrich<br />

Wilhelm IV. von Preußen z. B. knüpfte Kontakte<br />

nach London, um die Protestanten am<br />

anglikanischen Bischofssitz in Jerusalem zu<br />

beteiligen. 1841 kam es zur Gründung des<br />

Englisch-Preußischen Bistums, das die evangelische<br />

<strong>Mission</strong>stätigkeit im Land schützen sollte. Von<br />

dieser Ökumene konnte auch <strong>Schneller</strong> profitieren.<br />

Zudem hängt die Beziehung zwischen Politik und<br />

Kirche oft an persönlichen Kontakten: Johann<br />

<strong>Schneller</strong> war z. B. auch ein Öffentlichkeitsreferent<br />

seiner <strong>Mission</strong>. Nicht nur, dass er alle seine<br />

Kontakte nach Württemberg aktivierte und ein<br />

Spendennetzwerk für seine Arbeit aufbaute, er<br />

zeigte <strong>der</strong> Stadt Jerusalem auch, was im<br />

Waisenhaus geschah. Es wird berichtet, dass alle<br />

<strong>Schneller</strong> Mitarbeite/innen und Schüler/innen<br />

sonntags nach <strong>der</strong> Kirche in festlicher Kleidung<br />

64


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

durch Jerusalem zogen und Einheit demonstrierten. Voller Bewun<strong>der</strong>ung müssen einheimische<br />

Bevölkerung und Politiker das Geschehen beobachtet haben. In <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s<br />

Druckerei wurde <strong>der</strong> „Bote vom Zion“ sowie Postkarten aus dem Hl. Land gedruckt und<br />

in die ganze Welt verschickt. Auch <strong>Schneller</strong>s Söhne waren um gute Kontakte zur Politik<br />

bemüht. So schreibt Roland Löffler: „Die Familie <strong>Schneller</strong> war kaisertreu, patriotisch<br />

und antisozialistisch eingestellt.“ (Löffler, Roland in EMS, Festschrift, S.48) Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong> nämlich führte Kaiser Wilhelm II. persönlich durchs Hl. Land und nannte diesen<br />

„seinen Freund“.<br />

Als 1910 das 50 jährige Bestehen des<br />

Syrischen Waisenhauses gefeiert wurde,<br />

schickte <strong>der</strong> deutsche Kaiser seinen Sohn<br />

Eitel Friedrich nach Jerusalem, um die<br />

Himmelfahrtkirche einzuweihen. Bei<br />

dieser Gelegenheit nahm er auch an den<br />

Feierlichkeiten des Waisenhauses teil und<br />

überbrachte die Glückwünsche des deutschen<br />

Volkes. Nach dem Ende <strong>der</strong><br />

Monarchie zelebrierte Ludwig im<br />

holländischen Exil -quasi als Hofprediger-<br />

Geburtstagsgottesdienste für den<br />

Monarchen. Ein dunkles und bis heute<br />

noch nicht gänzlich aufgearbeitetes<br />

Kapitel <strong>der</strong> Verbindung von <strong>Mission</strong> und<br />

Politik ist sicherlich die Zeit <strong>der</strong> 30ger<br />

Jahre des 20.Jahrhun<strong>der</strong>ts. Hier spalten<br />

sich die Erben <strong>Schneller</strong>s in zwei Lager:<br />

Die Enkel des Grün<strong>der</strong>s, Ernst und<br />

Hermann, arbeiteten in <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong><br />

NSDAP Ortsgruppe in Jerusalem <strong>mit</strong>.<br />

Ernst <strong>Schneller</strong> betrachtete die Tätigkeit<br />

im Syrischen Waisenhaus als Dienst für<br />

Führer und Volk- was nicht nur die<br />

Fahnen bezeugen, die im Syrischen<br />

Waisenhaus hingen. Auch Hermann<br />

<strong>Schneller</strong> hat z. B. in Australien für die<br />

dortigen Deutschen Gedenkgottesdienste<br />

für Adolf Hitler gehalten, auch wenn er sich in seiner Zeit in Australien zugleich sehr kritisch<br />

über die Nationalsozialisten äußerte. Ludwig <strong>Schneller</strong> hingegen hielt sich von <strong>der</strong><br />

NSDAP fern und trat <strong>der</strong> „Bekennenden Kirche“ bei. Hermann musste die <strong>Schneller</strong><br />

Schule 1940 an die englische Armee abgeben. Später und bis heute übernehmen Englän<strong>der</strong><br />

und Deutsche, anglikanische und protestantische Kirchen eine gemeinsame Verantwortung<br />

für das Erbe <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>.<br />

65


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Kurz, bevor die TSS in Amman gebaut wurde, hatte <strong>der</strong> jordanische Staat ein Gesetz erlassen,<br />

das den Neubau von christlichen Einrichtungen in Jordanien verbot. Dennoch<br />

nahm König Hussein von Jordanien 1959 an <strong>der</strong> Grundsteinlegung <strong>der</strong> Schule teil. Sie<br />

wurde zum Teil <strong>mit</strong> Gel<strong>der</strong>n finanziert, die <strong>der</strong> Staat Israel einst als Entschädigung für<br />

das in Besitz genommene <strong>Schneller</strong> Areal zahlte. Das jordanische Königshaus unterstützte<br />

von Anfang an die Gründung <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman und begleitet sie bis<br />

heute. Das Königshaus schenkte <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman zum 50. Geburtstag z.<br />

B. einen Bus. Als im Rahmen des <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahres Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong><br />

Stiftung in Amman waren, begrüßte Prinz Faisal von Jordanien die Gruppe im Basman<br />

Palast und brachte die hohe Wertschätzung des Königshauses für die Arbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong><br />

Schulen zum Ausdruck.<br />

Auch <strong>der</strong> stellvertretende<br />

Premierminister Dr. Rajai<br />

Muasher nahm am Festakt<br />

teil. Gelobt wurde von ihm<br />

u. a. auch die weltweite<br />

Vernetzung <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<br />

Bewegung, die die Ideen<br />

<strong>Schneller</strong>s in viele Län<strong>der</strong><br />

trägt und dort Impulse für<br />

Bildung und Erziehung gibt.<br />

Man könnte also sagen:<br />

<strong>Mission</strong> braucht nicht nur<br />

das Evangelium, soziales<br />

und Bildungsbewusstsein,<br />

son<strong>der</strong>n immer auch die<br />

richtige Politik an ihrer Seite?<br />

66


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

b) Erfahrungsinput zum politischen Wirken <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>mission vom Studienprojekt<br />

2007 (Linda Gugelfuß, Lydia Müller)<br />

Schon die Verbreitung des Christentums<br />

in die jüdische und römische<br />

Welt hinein zeigt, dass die<br />

Weitergabe des Glaubens immer<br />

ein Stück Inkulturalisation ist. So<br />

hängen <strong>Mission</strong> und Politik eng<br />

zusammen. Wie das aussehen<br />

kann, erlebten wir bei einem Studientag<br />

zum Thema „Soziale Gerechtigkeit“,<br />

den die Konrad Adenauer<br />

Stiftung in Amman für uns<br />

ausrichtete. Der Präsident des<br />

„National Forums for Youth and<br />

Culture“ <strong>der</strong> KAS hatte Studierende<br />

aus dem Libanon, Syrien und eben Jordanien eingeflogen, die <strong>mit</strong> uns zusammen<br />

über das Verständnis von Gerechtigkeit in Europa und <strong>der</strong> arabischen Welt diskutierten,<br />

spielerisch Situationen erprobten usw. Wir erfuhren dabei auch etwas über das Projekt<br />

„women empowerment“. In Regionalgruppen finden sich Jugendliche übers Land verteilt<br />

zusammen, die <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> Wege suchen, wie die Situation von Frauen in ihrer Region<br />

verbessert werden kann, sich Strategien überlegen und diese <strong>mit</strong> Politikern diskutieren<br />

und umsetzen . Bei ihrer Arbeit schauen sie bewusst darauf, wie die verschiedenen<br />

Kulturen, Nationen aber auch Religionen in ihrem Lande <strong>mit</strong> z. B. <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong><br />

außerhäuslichen Berufstätigkeit <strong>der</strong> Frau umgehen.<br />

In <strong>der</strong> Kleingruppenarbeit<br />

merkten wir, dass die arabischen<br />

Studierenden und wir ganz<br />

unterschiedliche Vorstellungen<br />

von Geschlechtergerechtigkeit<br />

haben. Wir brauchten die meiste<br />

Zeit, um uns über die<br />

unterschiedlichen Kontexte, in<br />

denen wir über Frauenthemen<br />

nachdenken, auszutauschen.<br />

Uns wurde dabei deutlich, dass<br />

<strong>Mission</strong>sarbeit davon lebt, dass<br />

Menschen sich viel Zeit nehmen<br />

müssen, um erst einmal<br />

<strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> Begriffe zu klären,<br />

unterschiedliche religiöse o<strong>der</strong> kulturelle Motive wahrzunehmen usw. Auch in <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong> Schule lebt viel Verstehen vom Einfühlen in die An<strong>der</strong>sartigartigkeit <strong>der</strong> Mitschüler.<br />

Wir konnten er<strong>leben</strong>, wie Berufsschüler darüber stritten, ob bei einem Fest Schischa<br />

geraucht werden darf und je<strong>der</strong> frei nach seiner Religion <strong>mit</strong>raucht o<strong>der</strong> nicht o<strong>der</strong><br />

ob man Rauchen und Alkohol lassen solle, weil das etliche muslimische Schüler am Mitfeiern<br />

hin<strong>der</strong>n würde. Heute denken wir, dass <strong>Mission</strong> eigentlich Übersetzungsarbeit ist.<br />

Wo es nicht gelingt, eigene und fremde Bedürfnisse <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> auszuhandeln, ist dem<br />

Missbrauch von <strong>Mission</strong> Tür und Tor geöffnet.<br />

67


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

c) Impulse zur <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als politische Arbeit<br />

geplant: Prof. Dr. Däubler- Gmelin<br />

Text zur geplanten Begrüßung durch den Studierenden Martin Hoffmann, BIDA 2010:<br />

Wer die Presse im<br />

April aufmerksam<br />

verfolgte, hat zur<br />

Kenntnis genommen,<br />

dass Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong> Stiftung in<br />

Amman waren. Von<br />

je her haben Politiker<br />

und Politikerinnen<br />

soziale Projekte unterstützt<br />

und ihren<br />

Namen bewusst eingesetzt, um die Öffentlichkeit auf soziale Brennpunkte aufmerksam<br />

zu machen. Das kam und kommt auch <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> zugute- und so ist heute<br />

Frau Prof.Dr. Herta Däubler Gmelin, ehemalige Bundesjustizministerin, u. a. engagiert<br />

in <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Stiftung. Ihr beson<strong>der</strong>er Einsatz gilt den Kin<strong>der</strong>n und Kin<strong>der</strong>rechten, z.<br />

B. in <strong>der</strong> Organisation: „Kin<strong>der</strong> brauchen <strong>Frieden</strong>.“ Sie war im April dieses Jahres <strong>mit</strong><br />

dabei auf <strong>der</strong> Jubiläumsreise <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Stiftung nach Amman und wird ab WS dieses<br />

Jahres als Honorarprofessorin an <strong>der</strong> EH Ludwigsburg arbeiten- und dann sicherlich<br />

auch hier vor Ort das Anliegen und politische Wirken u. a. <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> in die<br />

Lehre einbringen. Lei<strong>der</strong> hat Frau Dr. Däubler Gmelin sich heute früh abgemeldet, sodass<br />

wir Ihre Ausführungen zum Thema nicht hören können. Herr Dr. Eisler hat sich<br />

deshalb bemüht, einige Aspekte zur politischen Dimension <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong><br />

in seinen Vortrag aufzunehmen.<br />

Da <strong>der</strong> Input von Frau Prof. Dr. Däubler-Gmelin nicht vorlag, stellte Herr Dr. Eisler<br />

freundlicherweise für die Publikation einen Vortrag zum Thema zur Verfügung<br />

d) <strong>Mission</strong> und Politik- eine Verhältnisbestimmung in Bezug auf Lebenswelten in<br />

<strong>der</strong> Fremde – Fremde Lebenswelten (Dr. Jakob Eisler)<br />

1. Die Familie <strong>Schneller</strong> und ihre politischen Kontakte<br />

Zu den zahlreichen Württembergern, die im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t nach Palästina übersiedelten,<br />

gehörte auch Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>, <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> des Syrischen Waisenhauses in<br />

Jerusalem und sicherlich einer <strong>der</strong> profiliertesten und eigenwilligsten Persönlichkeiten<br />

unter den Palästinadeutschen, nicht nur seiner Generation. Im Januar 1820 in dem kleinen<br />

Dorf Erpfingen auf <strong>der</strong> Schwäbischen Alb geboren, war es ihm nach dem Willen seiner<br />

Eltern eigentlich bestimmt, den bäuerlichen Beruf seiner Vorfahren fortzusetzen. Seine<br />

früh zu Tage tretende, von Ortspfarrer wie Dorflehrer gleichermaßen erkannte, wie geför<strong>der</strong>te<br />

intellektuelle Begabung sollte ihn jedoch an<strong>der</strong>e Wege beschreiten lassen. Dank<br />

des Privatunterrichtes, den er in Erpfingen bei Pfarrer und Lehrer genossen hatte, war es<br />

ihm möglich, weiterführenden Schulen zu besuchen und nach Abschluss <strong>der</strong> Lehrerprüfung<br />

ab 1838 als Pädagoge in Bergfelden (bei Sulz), Kleineislingen und Ganzloßen zu arbeiten.<br />

Von 1843 bis 1847 betreute er entlassene Sträflingen in Vaihingen/Enz, eine Tä-<br />

68


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

tigkeit, die ihm die Aufmerksamkeit des in pietistischen Kreisen hochangesehenen Christian<br />

Friedrich Spittler von <strong>der</strong> Pilgermission St. Chrischona einbrachte.<br />

Die entscheidende Wende im Leben Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s fiel in das Jahr 1847, als<br />

ihn Spittler an die Pilgermission nach Basel berief, wo er als Hausvater und Erzieher<br />

wirkte. Wie sehr sich Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> das Vertrauen und die Wertschätzung<br />

Spittlers zu erwerben gewusst hatte, zeigt die ehrenvolle Aufgabe, die <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Pilgermission<br />

ihm kurz nach seiner Eheschließung <strong>mit</strong> Magdalena Böhringer (1821-1902),<br />

<strong>der</strong> Tochter eines vermögenden Gastwirtes aus Eschenbach, anbot: Als Hausvater des<br />

1846 gegründeten Brü<strong>der</strong>hauses in Jerusalem sollte <strong>Schneller</strong> an herausragen<strong>der</strong> Stelle an<br />

einem <strong>der</strong> ehrgeizigsten Projekte <strong>der</strong> Pilgermission <strong>mit</strong>wirken.<br />

1854 traf das Ehepaar <strong>Schneller</strong> in Jerusalem ein, wo <strong>Schneller</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> ihm eigenen Tatkraft<br />

und Eigenwilligkeit seine neue Tätigkeit aufnahm. Das Brü<strong>der</strong>haus in seinem Geist<br />

zu formen, sollte ihm allerdings versagt bleiben – finanzielle Schwierigkeiten, vor allem<br />

aber persönliche Differenzen unter den Brü<strong>der</strong>n, standen dem entgegen. Wie an<strong>der</strong>e<br />

Brü<strong>der</strong>, ging auch <strong>Schneller</strong> daher früh seine eigenen Wege. Obwohl nach wie vor offiziell<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Funktion eines Hausvaters betraut, blieb er auch nicht länger im Brü<strong>der</strong>haus<br />

wohnen. Bereits 1855 erwarb er <strong>mit</strong> dem Erbteil seiner Frau ein außerhalb <strong>der</strong> Stadtmauern<br />

Jerusalems gelegenes Grundstück, um darauf eine bescheidene Behausung zu errichten<br />

– ein Entschluss, <strong>der</strong> von erheblichem Mut zeugt, denn in<strong>mit</strong>ten <strong>der</strong> die Altstadt umgebenden<br />

Wildnis war das Anwesen völlig ungeschützt. Nachdem er mehrfach auf dem<br />

Weg vom Brü<strong>der</strong>haus zu seiner Behausung von vagabundierenden Arabern belästigt<br />

worden war und 1858 sein Haus von Dieben überfallen und ausgeplün<strong>der</strong>t vorfand, kehrte<br />

<strong>Schneller</strong> zeitweilig ins Brü<strong>der</strong>haus zurück. Erst als die osmanische Regierung den<br />

Weg von Jerusalem nach Jaffa, an dem das Anwesen lag, bewachen ließ, kehrte <strong>Schneller</strong><br />

in sein Anwesen zurück.<br />

Als im November 1860 die ersten Waisen aus dem Libanon in <strong>Schneller</strong>s Haus untergebracht<br />

wurden, war dies die Geburtsstunde des Syrischen Waisenhauses. Die Anfänge<br />

<strong>der</strong> neuen Einrichtung, die <strong>Schneller</strong> zuerst im Auftrag <strong>der</strong> Pilgermission, bald jedoch eigenständig<br />

führte, waren bescheiden. Schon früh wandte sich <strong>Schneller</strong> daher <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Bitte<br />

um Unterstützung an die alte Heimat: Ob nicht jede Gemeinschaft von <strong>der</strong> Reutlinger, Uracher,<br />

Münsinger und Blaubeurer Alb uns für unsere Waisen je einen neuen Strohsack <strong>mit</strong> einfachem<br />

Bettzeug stiften könnte. Denn unsere Waisen schlafen samt und son<strong>der</strong>s noch auf dem Boden, <strong>der</strong><br />

<strong>mit</strong> einer Strohmatte bedeckt ist (Ludwig <strong>Schneller</strong>, Vater <strong>Schneller</strong>, S.).<br />

Von diesen bescheidenen Anfängen war binnen weniger Jahrzehnte nichts mehr zu erahnen.<br />

Als im Jahr 1910 das 50jährige Jubiläum des Syrischen Waisenhauses gefeiert wurde,<br />

waren an die Stelle <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>schen Behausung zahlreiche Gebäude in einem weitläufigen<br />

Gelände getreten, dessen Ausdehnung die Altstadt von Jerusalem flächenmäßig<br />

übertraf. Die zwischenzeitliche Bedeutung hatte einer <strong>der</strong> Söhne des Grün<strong>der</strong>s, Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong>, kurz zuvor wie folgt charakterisiert: Dieser große Landbesitz ist für die Zukunft<br />

des Hauses, das längst nicht mehr bloß <strong>der</strong> Waisenversorgung dient, son<strong>der</strong>n zu einer<br />

<strong>Mission</strong>sanstalt für ganz Palästina geworden ist, von <strong>der</strong> aller größten Wichtigkeit.<br />

Hier, rings um das Haus, werden jetzt Jahr für Jahr mehr solche evangelischen arabischen<br />

Familien angesiedelt, welche im Haus erzogen wurden.<br />

„In Kirche und Schule des Syrischen Waisenhauses finden sie ihren naturgemäßen Zusammenschluss<br />

zu einer Gemeinde, die sich wie eine stets wachsende, große Familie um das Mutterhaus <strong>mit</strong><br />

seinen 300 Bewohnern lagern soll. Im gewerblichen Leben Jerusalems und in den industriellen Anlagen<br />

des Syrischen Waisenhauses finden diese Gemeindeglie<strong>der</strong> ihr Brot und lohnenden Verdienst.<br />

An<strong>der</strong>thalb Tausend arabische Männer und Jünglinge sind jetzt durch das Haus hindurch gegangen.<br />

Und wer einmal Palästina durchquert und selbst in den entlegendsten Gegenden, wie Samaria<br />

und Galiläa und auf dem Libanon, immer wie<strong>der</strong> arabischen Männern begegnet ist, die ihn <strong>mit</strong><br />

69


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

dem traulichen „Grüß Gott“ anredeten, <strong>der</strong> wird einen Eindruck davon bekommen haben, daß die<br />

Arbeit von „Vater <strong>Schneller</strong>“ nicht vergeblich gewesen ist“ (<strong>Schneller</strong>, Wünschet Jerusalem Glück.)<br />

Die Hommage des Sohnes an seinen Vater hob auf dessen großartiges Werk ab, das in<br />

den <strong>Schneller</strong>schulen in Khirbet Kanafar und Amman bis auf den heutigen Tag fortbesteht,<br />

und projizierte die Aufmerksamkeit auf den Grün<strong>der</strong>, dessen Wirken Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong> in zahlreichen Büchern geschickt vermarktete. Nicht vergessen werden aber<br />

darf, dass <strong>der</strong> erfolgreiche Ausbau des Syrischen Waisenhauses zur größten Erziehungsanstalt<br />

im gesamten Vor<strong>der</strong>en Orient und <strong>der</strong> soziale Aufstieg <strong>der</strong> Familie <strong>Schneller</strong><br />

Hand in Hand gingen. Die entscheidenden Weichen hierzu hatte <strong>der</strong> alte Patriarch noch<br />

selbst gestellt, <strong>der</strong> das Syrische<br />

Waisenhaus gezielt als exklusives<br />

Familienunternehmen zu betreiben<br />

suchte und seine beiden ältesten Söhne<br />

Theodor und Ludwig geschickt in<br />

Positionen platziert hatte, die diesen<br />

Ambitionen för<strong>der</strong>lich waren: Nach dem<br />

Besuch <strong>der</strong> Lateinschule in Schorndorf<br />

und erfolgreich absolviertem<br />

Theologiestudium an <strong>der</strong> Universität<br />

Tübingen wurde Theodor an <strong>der</strong> Seite<br />

seines Vaters in <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> höheren<br />

Schule des Syrischen Waisenhauses<br />

tätig, während Ludwig 1884 in den<br />

Dienst des Jerusalemsvereins als Pfarrer Auf dem Gelände <strong>der</strong> Theodor-<strong>Schneller</strong> Schule in Amman<br />

von Bethlehem trat. Von dieser Position<br />

aus gelang es ihm, 1887 zusammen <strong>mit</strong><br />

seinem Bru<strong>der</strong> in das aus sechs Personen bestehende Lokalko<strong>mit</strong>ee des Syrischen Waisenhauses<br />

in Jerusalem aufgenommen zu werden, das eigentlich als Aufsichtsorgan <strong>der</strong><br />

Pilgermission fungieren sollte. Dieser Funktion ging das Lokalko<strong>mit</strong>ee in dem Moment<br />

verloren, als Ludwig <strong>Schneller</strong> 1887 die<br />

Tochter des deutschen Konsuls Thankmar<br />

von Tischendorf, <strong>der</strong> durch sein Amt dem<br />

Lokalko<strong>mit</strong>ee angehörte, geheiratet hatte:<br />

selbst <strong>mit</strong> drei Familien<strong>mit</strong>glie<strong>der</strong>n – Johann<br />

Ludwig, Theodor und Ludwig – in<br />

dem Gremium vertreten, verfügte die Familie<br />

nun dank ihrer verwandtschaftlichen<br />

Beziehungen über die Mehrheit im dem<br />

Ko<strong>mit</strong>ee. Dies war die entscheidende Voraussetzung,<br />

um das Syrische Waisenhaus<br />

von <strong>der</strong> Pilgermission zu lösen und faktisch<br />

zu einem „Unternehmen“ <strong>der</strong> Familie<br />

<strong>Schneller</strong> zu machen. Als Aufsichtsorgan<br />

fungierte nun <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong> Verein für<br />

das Syrische Waisenhaus in Jerusalem, zunächst<br />

<strong>mit</strong> Sitz Stuttgart, dann (seit 1889)<br />

unter dem Vorsitz von Ludwig <strong>Schneller</strong><br />

<strong>mit</strong> Sitz in Köln. Von hier aus organisierte<br />

Ludwig <strong>Schneller</strong> die Sammlung <strong>der</strong><br />

Spendengel<strong>der</strong>, denen für die Finanzierung<br />

70


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

des Waisenhauses eine entscheidende Rolle zukam, und betrieb eine äußerst effektive Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Die Kaiserreise ins Heilige Land 1898 verschaffte ihm dann den Zugang<br />

zu den Eliten des Deutschen Reiches: Nachdem er Kaiser Wilhelm II. durch weite<br />

Teile Palästinas geführt hatte, verband beide ein tiefer gegenseitiger Respekt, <strong>der</strong> auch<br />

das Ende des Ersten Weltkrieges überdauerte. So wurde Ludwig <strong>Schneller</strong> des Öfteren<br />

gebeten, im Haus Doorn, dem Domizil des Kaisers im holländischen Exil, zu predigen,<br />

ab 1933 war er dort sogar ständiger Gast. Von <strong>der</strong> Kaisernähe Ludwig <strong>Schneller</strong>s und <strong>der</strong><br />

Verwurzelung <strong>der</strong> Familie in Palästina profitierte schließlich auch das jüngste Kind Johann<br />

Ludwig <strong>Schneller</strong>s, sein Sohn Johannes (1865-1901), <strong>der</strong> 1900 die Stelle eines deutschen<br />

Konsuls in Kairo erhielt.<br />

Bereits die zweite Generation <strong>der</strong> Familie hatte <strong>mit</strong>hin Anschluss an die Eliten des Kaiserreiches<br />

gefunden, ein sozialer Aufstieg im Dienste <strong>der</strong> christlichen <strong>Mission</strong>, wie er rascher<br />

kaum vorstellbar scheint. Im Lebensstil <strong>der</strong> Familie schlug sich dies naturgemäß<br />

nie<strong>der</strong>. Wohnte Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> zunächst noch <strong>mit</strong> seiner Familie im Hauptgebäude<br />

des Waisenhauses, so übersiedelte er Ende <strong>der</strong> 1880er Jahre, also un<strong>mit</strong>telbar nach<br />

<strong>der</strong> Trennung von <strong>der</strong> Pilgermission, in ein kleines, neu errichtetes Haus auf dem Gelände<br />

des Waisenhauses (altes Direktorenhaus). Den Ansprüchen seines Sohnes Theodor<br />

vermochte allerdings auch dieses Gebäude nicht mehr zu genügen. Auf ihn geht das um<br />

die Jahrhun<strong>der</strong>twende errichtete neue Direktorenhaus zurück, das in Baustil, Größe und<br />

Interieur ganz den Charakter einer bürgerlichen Villa aufwies. In diesem anfangs nur<br />

zweistöckigen, später dreistöckigen Bau befanden sich sein Büro <strong>mit</strong> Sekretariat sowie<br />

die Wohnräume <strong>der</strong> Familie. Seine drei Söhne Hermann, Paul und Ernst wurden teils in<br />

Palästina, teils in Deutschland erzogen und ergriffen durchweg Berufe, die ihrer Herkunft<br />

aus dem gebildeten Bürgertum entsprachen – Hermann studierte Theologie, Paul Medizin<br />

und Ernst Ingenieurswesen.<br />

Bereits früh waren sowohl Hermann als auch Ernst in führenden Positionen des Syrischen<br />

Waisenhauses tätig. Dementsprechend unkompliziert war die Fortführung des<br />

Familienunternehmens auch in <strong>der</strong> dritten Generation, nachdem Theodor <strong>Schneller</strong> 1927<br />

in den Ruhestand getreten war – während Hermann <strong>Schneller</strong> die Leitung <strong>der</strong> Erziehungsanstalt<br />

übernahm und da<strong>mit</strong> die Gesamtverantwortung trug, leitete <strong>der</strong> ausgebildete<br />

Ingenieur Ernst die neu erbauten Werkstätten. Einan<strong>der</strong> in ihrem beruflichen Wirken<br />

ergänzend, verblieben beide Brü<strong>der</strong> letztlich jener bürgerlichen Mentalität verhaftet, für<br />

die, zu wesentlichen Teilen im Kaiserreich geformt, Religion, bürgerlicher Lebensstil und<br />

ausgeprägter Nationalismus von konstitutiver Bedeutung waren. Ihre Empfänglichkeit<br />

für den Nationalsozialismus war von hier aus prädisponiert, sie überschattet das sonst so<br />

erfolgreiche Wirken <strong>der</strong> beiden Brü<strong>der</strong>, denen es gelungen war, auch unter den völlig<br />

verän<strong>der</strong>ten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen das<br />

Syrische Waisenhaus bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erfolgreich fortzuführen.<br />

Für beide – Hermann <strong>Schneller</strong> wurde zeitweilig in Australien interniert – erwies es<br />

sich daher als ausgesprochen schwierig, sich in dem völlig verän<strong>der</strong>ten Nachkriegsdeutschland<br />

wie<strong>der</strong> zu etablieren. Dass auf ihr Können, ihr Wissen und ihre Erfahrung<br />

nicht dauerhaft verzichtet werden konnte, beweisen die Aufgaben, <strong>mit</strong> denen sie seit den<br />

50er Jahren durch den Vorstand des Syrischen Waisenhauses betraut wurden: 1952 errichtete<br />

Hermann <strong>Schneller</strong>, auf die Grundsätze des Großvaters zurückgreifend, die Johann-Ludwig-<strong>Schneller</strong>-Schule<br />

in Khirbet Kanafar im Libanon, <strong>der</strong> wenig später, 1966,<br />

die Theodor-<strong>Schneller</strong>-Schule in Amman (Jordanien) folgte, ein Werk seines Bru<strong>der</strong>s<br />

Ernst. Mit diesen beiden bis heute existierenden Einrichtungen, die in <strong>der</strong> Tradition des<br />

Syrischen Waisenhauses in Jerusalem stehen, krönten die Brü<strong>der</strong> ihr Lebenswerk.<br />

71


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

2. Grenzgänger<br />

Wie die zahlreichen deutschen <strong>Mission</strong>are und Siedler im Palästina des 19. und frühen<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts von <strong>der</strong> einheimischen Bevölkerung wahrgenommen wurden, ist aufgrund<br />

des gegenwärtigen Forschungsstandes kaum zu erheben. Seriöse Forschungsarbeit<br />

auf diesem schwierigen Feld wurde bislang kaum geleistet, zu sehr verzeichnen Vorurteile<br />

und Stereotype das Bild. Außer Frage steht, dass die autochthone, weitestgehend muslimische<br />

Bevölkerung Palästinas die Möglichkeiten zu nutzen suchte, die ihnen insbeson<strong>der</strong>e<br />

die deutschen <strong>Mission</strong>seinrichtungen in zahlreichen Bereichen wie dem Bildungs-<br />

und Gesundheitswesen eröffneten, und äußerst kreativ die zahlreichen Anstöße<br />

zur wirtschaftlichen Mo<strong>der</strong>nisierung handhabte, die von den deutschen <strong>Mission</strong>aren und<br />

Siedlern ausgingen. Einem kulturellen Austausch im eigentlichen Sinne des Wortes waren<br />

gleichwohl enge Grenzen gesetzt. Neben zahlreichen Hemmnissen wie Sprache und<br />

Religion stand dem vor allem eines entgegen: <strong>der</strong> Akkulturationsanspruch <strong>der</strong> europäischen<br />

Neuankömmlinge, <strong>der</strong>, ob bewusst o<strong>der</strong> unbewusst, ob klar artikuliert o<strong>der</strong> lediglich<br />

subkutan empfunden, die vielfältigen gesellschaftlichen Wirklichkeiten Palästinas vor<br />

allem an <strong>der</strong> eigenen maß. In <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>der</strong> württembergischen Templer Die Warte<br />

liest sich dies noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wie folgt: Alle Beispiele und<br />

Erfolge <strong>der</strong> deutschen und israelitischen Ansiedlungen haben höchstens den Neid <strong>der</strong> eingeborenen<br />

Bevölkerung erregt, ohne aber im Allgemeinen zur Nachahmung anzuspornen (nach Carmel,<br />

Templer, S. 239). Nachahmung wurde erwartet, Neid konstatiert – prägnanter konnte die<br />

Erwartungshaltung nicht aller, aber vieler Deutscher im Heiligen Land kaum artikuliert<br />

werden. Inwieweit dem Akkulturationsanspruch <strong>der</strong> einen Seite mehr o<strong>der</strong> weniger militantes<br />

Beharren auf kulturelle Eigenständigkeit und Ebenbürtigkeit entgegengesetzt wurde,<br />

bedürfte – wie bereits gesagt – erst noch <strong>der</strong> wissenschaftlichen Aufarbeitung. Was<br />

die Reibungsflächen zwischen Deutschen und Arabern in Palästina jedoch deutlich gemin<strong>der</strong>t<br />

haben dürfte, war zweierlei: zum einen <strong>der</strong> letztendlich eher geringe gegenseitige<br />

Kontakt, <strong>der</strong> sich vor allem auf die größeren Städte konzentrierte, zum an<strong>der</strong>en die (wenigstens<br />

partiell) gemeinsamen Animositäten gegenüber einem dritten, dem an steter Bedeutung<br />

gewinnenden Judentum.<br />

In den Bil<strong>der</strong>n Paul Hommels spiegelt sich von all dem wenig. Aus dem vielschichtigen<br />

Zusammen<strong>leben</strong> von Deutschen und Arabern beleuchten sie nur einen schmalen Ausschnitt,<br />

vor allem die arabischen Mitarbeiter und Zöglinge <strong>der</strong> deutschen evangelischen<br />

<strong>Mission</strong>seinrichtungen, namentlich des Syrischen Waisenhauses. Von den Chancen und<br />

Problemen, denen sich diese Grenzgänger zwischen zwei Kulturen ausgesetzt sahen, erzählen<br />

sie nicht direkt. Im Verzicht auf die arabische Kleidung, die zugunsten <strong>der</strong> europäischen<br />

Mode <strong>der</strong> 20er Jahre abgelegt wurde, o<strong>der</strong> den Versuchen, in <strong>der</strong> Kleidung und<br />

Die gleichen Mädchen in arabischer und europäischer Kleidung<br />

72


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Wohnkultur Orient und Okzident zu vereinen: Auf einer Fotographie ist ein gegensätzlicher<br />

Raum zu sehen: Die Bezüge <strong>der</strong> Sitzecke sind orientalisch, die Bil<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Wand<br />

zeigen Alpenlandschaften aus <strong>der</strong> deutschen Fremde; ein an<strong>der</strong>es Bild zeigt die Töchter<br />

eines arabischen Mitarbeiters in Klei<strong>der</strong>n, die orientalische Muster <strong>mit</strong> europäischem<br />

Schnitt verbinden.<br />

3. Jüdische und arabische Zitate und Quellen über die deutschen Kolonien<br />

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg besuchten Juden aus Europa Palästina, um das<br />

zu besiedelnde Land zu erkunden. Yechiel Bril, <strong>der</strong> 882 eine dieser Reisen unternahm,<br />

schrieb in seinem Buch über die Kolonie Sarona folgendes:<br />

Ich besuchte die Kolonie Sarona [...], die von den Templern <strong>mit</strong> Überlegung und Klugheit, <strong>mit</strong> fleißiger<br />

Hand und im Schweiße ihres Angesichts [...] erbaut worden war. In dieser Kolonie saßen wir<br />

[am 4. April 1883] und tranken nach Herzenslust; und nachdem wir die Häuser und Fel<strong>der</strong> in ihrer<br />

Schönheit und Ordnung, und die Zufriedenheit und Ruhe, die in dieser Siedlung herrschten, gesehen<br />

und bestaunt hatten, sagten wir uns [...]: wenn die Templergemeinschaft, die sich aus Menschen<br />

<strong>mit</strong>telmäßigen Könnens und Besitzes zusammensetzt, <strong>der</strong>en einziger Reichtum <strong>der</strong> eherne Wille ist,<br />

das Heilige Land wie<strong>der</strong> zu einem bevölkerten zu machen, wie es einst gewesen ist [...], wenn sie die<br />

Kraft und den Willen aufbrachten, ein solches Dorf aufzubauen, das seinesgleichen selbst in<br />

Deutschland nicht hat, um wieviel mehr müssen wir [dies auch tun können] (Bril, Jesod Ha-Ma’ala, S.<br />

47 und 194).<br />

Auch die Templer bestaunten die ersten jüdischen landwirtschaftlichen Kolonien. Im<br />

Februar 1883 unternahmen einige Templer einen Ausflug nach Rischon le Zion und berichteten<br />

darüber:<br />

Eine Stunde von Jaffa angekommen, erblickten<br />

wir schon das neu entstandene Rischon le<br />

Zion (die Ersten zu Zion) <strong>mit</strong> seinen nach europäischer<br />

Art <strong>mit</strong> Ziegeldach, erbauten sieben<br />

Häuschen. Wie wohlthuend ein solcher<br />

Anblick, ein solcher Fortschritt in diesem zerfallenen,<br />

<strong>der</strong> Hilfe harrenden Land auf den<br />

Geist eines Menschen Macht, welcher an <strong>der</strong><br />

Hebung dieses Landes sich zur Aufgabe gestellt<br />

hat [...]. Auf Rischon le Zion angekommen,<br />

begrüßten uns muth- und hoffnungsvolle<br />

Gesichter, aus welchen zum Theil Freudensthränen<br />

flossen, weil auch die deutschen Gäste<br />

so viel Interesse an ihrem Unternehmen bekunden.<br />

Dieser Tag war für diese Leute ein<br />

beson<strong>der</strong>er Glückstag. Es wurde <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Anlage<br />

<strong>der</strong> Kolonie an diesem Anhang auch ein<br />

Brunnen gegraben. Sie haben dann bei zehn<br />

Meter Tiefe ein <strong>leben</strong>diges frisches Wasser gefunden<br />

[...]. Beim Weggehen konnten wir<br />

dem Unternehmen nur Glück wünschen, in<br />

<strong>der</strong> Hoffnung, daß <strong>der</strong> Herr auch <strong>mit</strong> ihnen<br />

Mandelernte in Rischon Le Ziion<br />

sei (Warte, 12.04.1883, S. 8-9).<br />

73


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

6. <strong>Mission</strong> ist interreligiöse Dialogarbeit<br />

a) Die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> als Vorbild für missionarisches Wirken <strong>der</strong> Religionen? (Katja<br />

Baur)<br />

Für <strong>Schneller</strong> war <strong>Mission</strong> ein<br />

Angebot, nicht aber Dialog auf<br />

Augenhöhe: „Auch die <strong>Mission</strong>sarbeit<br />

an Heiden, Juden und Mohammedanern<br />

schloß er (<strong>Schneller</strong>) in seine Gebete ein<br />

und flehte, Gott wolle sich aller Menschen<br />

erbarmen, da<strong>mit</strong> sie zur Erkenntnis <strong>der</strong><br />

Wahrheit kommen und gerettet<br />

werden.“ 20 <strong>Schneller</strong> betete so, auch<br />

wenn er davon überzeugt war, dass<br />

die Juden sich zu Jehova bekennen<br />

und auf den krummen Wegen Gottes<br />

wandeln.<br />

<strong>Schneller</strong> gewann ein aktives Bild von den palästinensischen Juden seiner Zeit: Juden beten,<br />

lesen Thora, kommen zum Studium <strong>der</strong> Hl. Schriften zusammen und sind sehr arbeitstüchtig.<br />

Anfangs war das <strong>Schneller</strong> Areal weit weg vom jüdischen Leben, aber im<br />

Laufe <strong>der</strong> Zeit wuchs es <strong>der</strong> Altstadt Jerusalems und dem jüdischen Leben entgegen.<br />

1878 schrieb <strong>Schneller</strong> über die Kontakte zu den Juden „Unsere Freunde aus Israel“. Die<br />

Juden hingegen bewun<strong>der</strong>ten die Landwirtschaft <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung, zumal auch<br />

etliche Juden in <strong>der</strong> Landwirtschaft <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>s arbeiteten. Auch wenn das damalige –<br />

und vielleicht auch heutige – Judentum in Palästina und Israel <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung<br />

kaum Bedeutung beimisst, war die Arbeitstüchtigkeit und das Handwerk <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong><br />

Einrichtungen sehr geschätzt. Die dahinter sich verbergende christliche Botschaft fand<br />

und findet hingegen kaum Interesse. <strong>Schneller</strong>s Mitstreiter Gobat hatte Johann Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong> von Anfang an geraten, die Judenmission sein zu lassen. Es sei, wie er sagte,<br />

wie wenn ein goldener Fisch ins Netz ginge. <strong>Schneller</strong> befolgte den Rat seines Freundes<br />

und verwies in <strong>der</strong> Beziehung zwischen Juden und Christen auf den Satz aus <strong>der</strong> Bibel,<br />

<strong>der</strong> für beide gilt: „Ihr sollt die Fremdlinge im Lande halten wie die Einheimischen“.<br />

In <strong>der</strong> Tat war die deutsche <strong>Mission</strong> im Hl. Land im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t keine Judenmission.<br />

Die christliche <strong>Mission</strong> war Teil <strong>der</strong> messianischen Idee, den Messias in Jerusalem<br />

zu verehren. Auch Kaiser Wilhelm II. riet, die Judenmission zu verhin<strong>der</strong>n. Dass es<br />

solche Strömungen dennoch gab, hing wohl auch da<strong>mit</strong> zusammen, dass Christen, die<br />

nach Palästina auswan<strong>der</strong>ten, nicht von <strong>der</strong> Kirche o<strong>der</strong> dem deutschen Reich, wohl aber<br />

von wirtschaftlichen Unternehmen im deutschen Reich bezahlt wurden. Auch die Templer<br />

waren nicht vorrangig Bauern, son<strong>der</strong>n sie entstammten <strong>der</strong> Wirtschaft. So hat das<br />

Für und Wi<strong>der</strong> zur <strong>Mission</strong> oft auch eine ganz materielle Dimension <strong>der</strong> Einladung.<br />

Auch die Konversion von Muslimen zum Christentum blieb bei <strong>Schneller</strong> weitgehend<br />

aus. Dennoch genießt die <strong>Schneller</strong>-Bewegung unter den Palästinensern mehr Anerkennung<br />

als unter den Juden. Für Palästinenser wie z. B. Dr. Mitri Raheb besteht die <strong>Mission</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Bewegung vor allem darin, den Palästinensern eine Identität zu geben.<br />

20<br />

Carmel, Alex/ Eissler, Jakob (1999): Der Kaiser reist ins Hl. Land, S.12-13.<br />

74


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Er machte sie durch Bildung und religiöse Werte zu aktiven Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Die „Marke <strong>Schneller</strong>“ steht für Inter-Pluralität: <strong>Schneller</strong> Schüler können Glauben und<br />

Bildung in eine Beziehung setzen; für Inter- Nationalität: <strong>Schneller</strong> Schüler können sich<br />

mehrsprachig verständigen und für Inter-Religiosität: <strong>Schneller</strong> Schüler setzen sich für religiöse<br />

Werte ein und bauen dadurch Brücken zu an<strong>der</strong>en religiösen Menschen. Nach<br />

Raheb wollte <strong>Schneller</strong> <strong>mit</strong> solchen Inter- Persönlichkeiten eine palästinensische (nicht<br />

eine jüdische) Kolonie bilden. Insofern ist das Ende <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen in Palästina<br />

für die Palästinenser beson<strong>der</strong>s tragisch.<br />

Man kann wohl festhalten, dass <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>ar war und durchaus den Wunsch hegte,<br />

das Christentum bis ans Ende <strong>der</strong> Welt – und vor allem in Palästina – zu verbreiten.<br />

Dabei ging er aber sehr fair <strong>mit</strong> Menschen an<strong>der</strong>er konfessioneller o<strong>der</strong> religiöser Herkunft<br />

um. Ob das ein Vorbild war für die Armenier, die später in Palästina siedelten,<br />

wird kontrovers diskutiert. <strong>Schneller</strong> selbst tat seine Arbeit an den Armeniern in Kooperation<br />

<strong>mit</strong> dem Jerusalemverein, d. h. er setze auf ökumenisches Miteinan<strong>der</strong> <strong>mit</strong> dem<br />

Ziel <strong>der</strong> Solidarität.<br />

Bis heute ist das Zusammen<strong>leben</strong> und -<strong>lernen</strong> von Kin<strong>der</strong>n verschiedener religiöser Herkunft<br />

ein Profilmerkmal <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen. Der Angebotscharakter, Glauben einladend<br />

vorzu<strong>leben</strong>, ist geblieben, doch die heutigen <strong>Schneller</strong> Schulen verstehen sich dabei<br />

als Wegbereiter des interreligiösen Dialoges. Sie möchten das verbindende Potential <strong>der</strong><br />

Religionen stark machen. Nach dem getrennt gehaltenen christlichen und muslimischen<br />

Religionsunterricht soll es gemeinsam in den Abraham- Sinnesgarten gehen, wo alle<br />

Schüler den Stamm eines Olivenbaumes ertasten, entdecken sollen- um dann <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong><br />

Texte aus Thora, Bibel und Koran zu hören, die vom Verwurzelt- Sein im Glauben<br />

sprechen.<br />

Während Vater <strong>Schneller</strong> davon überzeugt war,<br />

dass <strong>der</strong> Glaube und die Gottesvorstellungen<br />

von Muslimen und Juden ergänzungsbedürftig<br />

ist, hört man heute in <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule den<br />

Satz:<br />

„Wir wollen aus Muslimen gute Muslime und aus<br />

Christen gute Christen machen. Wer in <strong>der</strong> arabischen<br />

Welt konvertiert, wird seiner Familie entfremdet.<br />

Eine Konversion, d.h. eine neue Verwurzelung im<br />

Glauben würde zu einer Entwurzelung im sozialen<br />

Netzwerk führen- das kann nicht <strong>der</strong> Sinn christlicher<br />

Nächstenliebe sein.“ (Musa Al Munaizel).<br />

Die <strong>Mission</strong>sidee Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>s,<br />

die das Waisenhaus zu einer Keimzelle für ein<br />

evangelisches Palästina machen wollte, scheint<br />

in <strong>der</strong> heutigen globalen Welt eher vom Bild des<br />

Netzwerkes geprägt. Ist sie ein Modell für <strong>Mission</strong><br />

als Dialog?<br />

75


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

b) Erfahrungsinput zum interreligiösen Miteinan<strong>der</strong> aus dem Studienprojekt Amman<br />

2007/2008 (Lydia Müller, Linda Gugelfuß, Veronika Schlechter, Birgit Laslakowski)<br />

Es sind kleine Eindrücke, die für uns immer wie<strong>der</strong> Anlass zur Diskussion über den Sinn<br />

interreligiöser Arbeit waren:<br />

� Dass interreligiöses Miteinan<strong>der</strong> immer kontextuell ist, wenn es wirklich praktisch<br />

etwas bewirken will, wurde uns auch beim Studientag im Royal institute for interfaith<br />

studies deutlich. Baker Hilary, <strong>der</strong> Leiter, führte uns in die Amman Message ein, eine<br />

Verpflichtung <strong>der</strong> Muslime <strong>der</strong> Welt, <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> uns Christen zu wahren. Viele von<br />

uns entdeckten hier einen Islam, <strong>der</strong> Werte <strong>der</strong> Aufklärung wie Toleranz, Respekt<br />

und Achtung vor An<strong>der</strong>sgläubigen zur eigenen Sache macht. Natürlich fragten wir<br />

auch, ob die Amman Message einen friedlichen Islam aufzeigen will, <strong>der</strong> uns ins<br />

Haus des Islam <strong>mit</strong>nehmen möchte, o<strong>der</strong> ob sie ein muslimischer Aufruf zum <strong>Frieden</strong>,<br />

zur Akzeptanz und Toleranz auch an<strong>der</strong>en Religionen gegenüber ist. Anhand<br />

<strong>der</strong> für uns doppeldeutigen Botschaft diskutierten wir und überlegten: Ist Dialog nicht<br />

an sich schon eine westliche Konstruktion? Setzt er demokratische Strukturen voraus?<br />

Gibt es einen arabischen Dialog, <strong>der</strong> das Gehorsamsdenken vieler Araber <strong>mit</strong> Teilhabegerechtigkeit<br />

verbindet?<br />

� Wir erlebten den Ramadan in Jordanien. Viele muslimische Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> TSS aßen am<br />

Tag nichts. Die christlichen Kin<strong>der</strong> sollten aus Rücksicht auf ihre Mitschüler nicht<br />

vor <strong>der</strong>en Augen essen- und auch <strong>der</strong> Kiosk auf dem Gelände hatte zu. Das wurde<br />

von allen akzeptiert- wir fanden es schon toll, wie selbstverständlich die christlichen<br />

Jungen das akzeptierten und wie sie die fastenden Mitschüler achteten. Sollten wir<br />

die Themen <strong>der</strong> Dialoge nicht viel mehr aufs praktische Zusammen<strong>leben</strong> ausrichten?<br />

� In <strong>der</strong> Autowerkstatt <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule entdeckten wir im Aufenthaltsraum eine<br />

Bibel und einen Koran nebeneinan<strong>der</strong> stehen- je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Pause machte, sollte die<br />

Möglichkeit haben, sich auch <strong>mit</strong> den Worten <strong>der</strong> Schrift zu stärken. Im Klassenzimmer<br />

hing vorne das Bild des Königs, daneben eine Sure aus dem Koran- aber<br />

kein Bibelvers o<strong>der</strong> gar ein Kreuz. Einige von uns fragten, warum in <strong>der</strong> heutigen<br />

TSS, die von Christen aus Deutschland <strong>mit</strong> finanziert wird, nicht mutig- wie zu<br />

<strong>Schneller</strong>s Zeiten- christliche Symbole im Klassenzimmer auftreten. Dialogfähigkeit<br />

setzt Vertrautheit <strong>mit</strong> beiden Seiten voraus- warum nicht Symbole bei<strong>der</strong> Religionen<br />

im Klassenzimmer auf alle wirken lassen?<br />

� Wir reisten auch vier Tage nach Israel. Ein Highlight war die Nacht, die etliche von<br />

uns in <strong>der</strong> Grabeskirche übernachteten. Wir hatten uns abends vom muslimischen<br />

Wärter einschließen lassen und beobachteten das Nachttreiben- wie Mönche nach<br />

und nach Gottesdienste an ihren Altären hielten, wie Weihrauch und Gesang den<br />

Raum ausfüllten. Gerne hätten<br />

auch wir einen Platz zum Beten<br />

gehabt- aber in <strong>der</strong> Grabeskirche<br />

gibt es keinen evangelischen<br />

Altar. Hat <strong>Schneller</strong> das nicht<br />

auch geärgert? Für uns war diese<br />

Erfahrung ein Bild: wenn wir<br />

<strong>Evangelische</strong> Christen uns als<br />

Vorreiter des Dialoges sehen,<br />

dann kann es passieren, dass wir<br />

keinen Platz mehr für uns selbst<br />

finden.<br />

76


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

c) Die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> heute- ein Modell für interreligiöse Dialogarbeit? Wahrnehmungen<br />

von jüdischen und muslimischen Lehrbeauftragten <strong>der</strong> EH<br />

Begrüßung durch Martin Hoffmann, Studieren<strong>der</strong> aus dem BIDA Projekt 2010:<br />

Wenn wir <strong>mit</strong> Studierenden <strong>der</strong> Sozial- und Religionspädagogik an<strong>der</strong>er evangelischer<br />

Hochschulen o<strong>der</strong> aus den Universitäten zusammen kommen, fühlen wir uns manchmal<br />

privilegiert- an unserer Hochschule arbeiten z. B. eine jüdische und eine muslimische<br />

Lehrbeauftragte, die jeden Montag bei uns an <strong>der</strong> EH präsent sind und an den interreligiösen<br />

Seminaren <strong>mit</strong>wirken. Sie fliegen nicht nur ab und zu für 1-2 Stunden als Referentinnen<br />

für das Judentum und den Islam ein, son<strong>der</strong>n sie gehören zum Lehrkörper. Wir<br />

haben die Möglichkeit, <strong>mit</strong> ihnen Kontakt aufzunehmen, einan<strong>der</strong> vertraut zu werden<br />

und auch schwierige Dialogthemen <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> in Respekt, Empathie und Neugierde<br />

am Fremden zu bearbeiten frei nach dem didaktischen Modell des „Lernens in Gegenwart<br />

des /<strong>der</strong> An<strong>der</strong>e“. Das interreligiöse Seminar des Sommersemesters hat zusammen<br />

<strong>mit</strong> Ihnen, den Dozentinnen <strong>der</strong> interreligiösen Lehrveranstaltung an unserer EH, auch die<br />

anschließenden Diskussionsrunden vorbereitet. Im Seminar gab es bereits heftige Diskussionen<br />

darüber, ob Christen auch Juden und Muslime o<strong>der</strong> Muslime auch uns Christen<br />

missionieren können – dürfen – sollen. So sind wir gespannt, wie Frau Traub, die Vorsitzende<br />

<strong>der</strong> Repräsentanz <strong>der</strong> israelitischen Religionsgemeinde Baden Württemberg, und<br />

Frau Corbo Mesic, Vorstands<strong>mit</strong>glied <strong>der</strong> Christlich Islamischen Gesellschaft und islamische<br />

Religionspädagogin, die auf Deutsch islamischen Religionsunterricht erteilt, uns<br />

einführen in das Verhältnis von Dialogarbeit und <strong>Mission</strong>:<br />

d) <strong>Mission</strong> und Dialog – eine Verhältnisbestimmung aus jüdischer Sicht (Barbara Traub)<br />

Ich bin österreichische Jüdin und habe keine biographischen<br />

o<strong>der</strong> beruflichen Bezugspunkte zur<br />

<strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong>. Aber da ich seit 4 Jahren wöchentlich<br />

als jüdische Lehrbeauftragte an <strong>der</strong> EH arbeite, kommen<br />

Fragen zum Thema <strong>Mission</strong> und <strong>Schneller</strong> durch<br />

Studierende, die an Nahost-Studienprojekten <strong>der</strong><br />

Hochschule teilgenommen hatten, immer auch in unser<br />

Seminar hinein. Obwohl ich eine Weile in Israel gelebt<br />

habe und mein Mann dort an einer Universität lehrte,<br />

haben wir dort die <strong>Schneller</strong>-Bewegung nicht<br />

wahrgenommen. Ich denke aber, dass das, was <strong>Schneller</strong><br />

pädagogisch getan hat, auch heute in Israel Kreise zieht.<br />

Es gibt in Israel heute viele Formen <strong>der</strong><br />

<strong>Frieden</strong>serziehung z. B. eine Methode Betzavta, <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

an Schulen und in vielen Einrichtungen ein friedlicher<br />

Umgang <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> gelernt wird. Ebenso sind hier die demokratischen Schulen zu erwähnen,<br />

die in sozialen Brennpunkten angesiedelt sind und sich zur Aufgabe gestellt haben,<br />

demokratisches und friedliches Miteinan<strong>der</strong> und interkulturelles Lernen durch verschiedene<br />

pädagogisch-didaktische Programme in beson<strong>der</strong>er Weise zu ver<strong>mit</strong>teln und<br />

erfahrbar werden zu lassen. Am Beispiel von Konflikten und Dilemmata <strong>lernen</strong> Schüler,<br />

dass ein Problem <strong>mit</strong> verschiedenen Ansichten zu betrachten und zu lösen ist. Sie sollen<br />

sich in die Position ihres Nachbarn o<strong>der</strong> auch Gegners hineinversetzen. Da<strong>mit</strong> erscheint<br />

die an<strong>der</strong>e Position als Alternative innerhalb meiner selbst und <strong>der</strong> Mitmensch nicht als<br />

Gegner, son<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>e Wahl. Ich denke, solche Konzepte konnten dadurch entstehen,<br />

77


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

dass <strong>Schneller</strong> und die christliche Bildungsbewegung Gedanken <strong>der</strong> Aufklärung und ein<br />

Menschenbild, das von <strong>der</strong> Würde des einzelnen lebt, im Land <strong>der</strong> Juden reaktivierten.<br />

Denn Gerechtigkeit, Zedaka, ist auch für uns Juden die Basis von Bildung und Erziehung.<br />

In Jerusalem begegnen sich Judentum, Christentum<br />

und Islam auf engstem Raum: Direkt bei <strong>der</strong><br />

Benediktinerabtei Dor<strong>mit</strong>io Mariae befinden sich<br />

<strong>der</strong> traditionelle Abendmahlsaal, das Davidsgrab,<br />

eine Jeshiva und eine Moschee.<br />

Man sollte von deutscher Seite nicht zu kritisch<br />

darüber urteilen, dass <strong>Schneller</strong> nicht<br />

als Teil <strong>der</strong> Kultur des Staates Israel gesehen<br />

wird. Das hängt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> deutschen Geschichte<br />

zusammen. Immer noch gibt es in Israel<br />

viele Schoah-Über<strong>leben</strong>de. Bil<strong>der</strong> wie die einer<br />

Hakenkreuzfahne in Jerusalem wirken<br />

nach – auch wenn ich mich dafür einsetze,<br />

dass wir immer genauer hinschauen sollen,<br />

bevor wir verurteilen. Als Psychotherapeutin<br />

arbeite ich <strong>mit</strong> traumatisierten Menschen<br />

und weiß, dass das Shoa-Trauma in die dritte<br />

und vierte Generation weiterwirkt.<br />

Insofern sind wir Juden auch etwas vorsichtig<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Verhältnisbestimmung von <strong>Mission</strong><br />

und Dialog. Ich kann verstehen, dass<br />

<strong>Schneller</strong> seinen Glauben weitergeben wollte.<br />

Das war seine <strong>Mission</strong>. Als Jüdin habe<br />

ich auch eine Botschaft im Sinne eines Auftrags:<br />

ich möchte so <strong>leben</strong>, dass <strong>der</strong> Ewige<br />

durch mein Leben geehrt wird- d.h. dass ich<br />

Seinen <strong>Frieden</strong>, seine Zedaka in meinem<br />

Umfeld verwirkliche. Aber wir Juden missionieren<br />

nicht. Wir sind nicht so sehr eine Religion<br />

<strong>der</strong> Lehre, son<strong>der</strong>n des Lebens. Wir<br />

laden An<strong>der</strong>e nicht ein, Juden zu werden.<br />

Insofern habe ich – und das gilt sicherlich<br />

auch für Menschen in Israel – Mühe <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Idee, man wolle mir das Evangelium bringen, um mir die frohe Botschaft nicht vorzuenthalten.<br />

Denn im Judentum ist <strong>der</strong> Glaube an die Erweckung <strong>der</strong> Toten, wenn <strong>der</strong> Maschiach<br />

kommt nicht an den jüdischen Glauben gebunden. Juden glauben, dass alle<br />

Menschen vor das g“ttliche Gericht treten werden und, sofern sie gute Taten vollbracht<br />

haben, auch vom Tode erweckt werden. Daraus ergibt sich, dass man nicht Jude sein<br />

muss, um das ewige Leben zu erlangen. Die guten Taten sind es, die letztendlich ausschlaggebend<br />

sind für die Teilhabe am ewigen Leben. Daraus folgt demnach auch, dass<br />

Juden kein Interesse haben, an<strong>der</strong>e Menschen zum Judentum zu konvertieren. Im Gegenteil,<br />

nach jüdischer Überzeugung muss je<strong>der</strong> Mensch seinen Weg zum Glauben und<br />

zu G“tt alleine finden. Niemand darf ihn dazu überreden o<strong>der</strong> sogar nur zu bekehren<br />

versuchen. Die Juden selbst haben die Aufgabe, Zeugen und Vorbil<strong>der</strong> des<br />

Eing“ttglaubens zu sein. Den Weg zum Ewigen muss aber je<strong>der</strong> selbst für sich finden<br />

entsprechend des Auftrags an Abraham „Geh, geh für dich – Lech lecha“. Da im Lauf<br />

<strong>der</strong> Geschichte Juden immer wie<strong>der</strong> zwangsbekehrt wurden o<strong>der</strong>, um ein menschenwürdiges<br />

Leben führen zu können, die christliche o<strong>der</strong> muslimische Religion annehmen<br />

mussten, besteht unter Juden eine große Skepsis gegenüber je<strong>der</strong> <strong>Mission</strong>stätigkeit, auch<br />

wenn diese zum Wohl an<strong>der</strong>er Menschen dienen soll. Selbstverständlich beteiligen sich<br />

78


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

auch jüdische Gemeinden in einem gewissen Umfang an sozialer Unterstützung von<br />

nicht-jüdischen Menschen, jedoch geschieht dies ausschließlich, um die Notlage zu lin<strong>der</strong>n<br />

und darf niemals auch nur den Anschein einer missionarischen Tätigkeit erwecken.<br />

Als Mitglied <strong>der</strong> Repräsentanz <strong>der</strong> Israelitischen Religionsgemeinde setze ich mich sehr<br />

für den Dialog ein. Ich gestehe jedem Christen und Muslim zu, dass er für sich seinen<br />

Glauben gefunden hat, erwarte das aber auch für den Umgang <strong>mit</strong> mir. Dialoge können<br />

nur unter Personen stattfinden, die in ihren Identitäten gefestigt sind. Darin sehe ich bis<br />

heute ein Problem christlicher o<strong>der</strong> muslimischer <strong>Mission</strong>spraxis: sie stehen in <strong>der</strong> Gefahr,<br />

die Persönlichkeitsschwäche o<strong>der</strong> Armut von Menschen für eigene Zwecke zu benutzen.<br />

Wenn man das bewusst zu vermeiden sucht, ist es eine gute Sache, in einer Schule<br />

im Nahen Osten Juden, Christen und Muslime an ihre gemeinsamen Wurzeln, aber<br />

auch ihre gemeinsamen Verpflichtungen zu erinnern. Mir gefällt, dass die <strong>Schneller</strong><br />

Schulen dazu viel gemeinsam in den Texten <strong>der</strong> Heiligen Schriften lesen. Und dass sie<br />

dazu das Lehrhaus in einen Garten verlegen, finde ich interessant. So ein Abrahamgarten<br />

wäre auch hier in Stuttgart eine Möglichkeit, sich umgeben von Pflanzen <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> auf<br />

den Weg zu machen, ohne sich am Ziel zu sehen. Vielleicht können wir das Stuttgarter<br />

Lehrhaus einmal um einen Abrahamgarten erweitern.<br />

e) <strong>Mission</strong> und Dialog – eine Verhältnisbestimmung aus muslimischer Sicht<br />

(Emina Čorbo-Mešić )<br />

Als Muslima schätze ich Ihre Arbeit, die sie für die<br />

Muslime in Jordanien leisten sehr. Wofür ich Ihnen<br />

auch meinen herzlichen Dank aussprechen möchte. Ich<br />

sehe, dass viele benachteiligte muslimische Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche bei Ihnen erfahren, dass sie auch <strong>mit</strong> ihrer<br />

etwas an<strong>der</strong>en Identität dennoch wertvoll sind. Ich finde<br />

es bemerkenswert, dass sie in einer christlichen Einrichtung<br />

im Nahen Osten für muslimischen Religionsunterricht<br />

sorgen und muslimische Feste bedenken.<br />

Muslime müssten sich – wie in den Grundprinzipien des<br />

Islam gefor<strong>der</strong>t – ebenfalls mehr um solche Aufgaben<br />

bemühen, denn Islam bedeutet für uns das Streben nach<br />

<strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> Gott, seiner Umgebung und seinen Mitmenschen<br />

im Verantwortungsbewusstsein vor Gott. Glaube<br />

allein genügt dabei nicht. Das gesamte menschliche Leben, und nicht nur rituelle Handlungen,<br />

sollten von <strong>der</strong> Aufgabe geprägt sein, die Nähe Gottes zu suchen. Die Verpflichtung<br />

gegenüber Gott beinhaltet und bedingt die Verpflichtung gegenüber den Mitmenschen<br />

und dem eigenen Gewissen. So heißt es in einem Hadith, einem Ausspruch des<br />

Propheten Muhammad (s.a.s.): „Gott wird niemandes erbarmen, <strong>der</strong> sich nicht <strong>der</strong> Menschen<br />

erbarmt.“ Ein an<strong>der</strong>er Ausspruch lautet: „Wer den Menschen nicht dankbar ist, <strong>der</strong> ist auch<br />

Gott nicht dankbar.“<br />

Deshalb gibt es „die <strong>Mission</strong>“ in dem Sinne nicht im Islam. Gott ist es, <strong>der</strong> recht leitet<br />

(22,56). Demnach ist das Hinführen zum Islam ausschließlich Gottes Sache. Unsere Taten<br />

sollten unseren Glauben wi<strong>der</strong>spiegeln. An uns liegt es, uns zu erklären und uns einzuladen.<br />

Aus muslimischer Sicht verstehe ich <strong>Mission</strong> als das Bemühen, all das Gute, das<br />

man in seinem Glauben erfährt, auch <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en zu teilen.<br />

Ich selbst kenne den Islam in Jordanien nicht, aber Studierende, die im Nahen Osten waren,<br />

bringen Erfahrungen von dort oft ins Seminar ein, auch habe ich Bekannte, die dort<br />

studiert haben.<br />

79


Dokumentation: Erfahrungsberichte und Vorträge<br />

Muslime weltweit könnten sich an<br />

Jordanien ein Beispiel nehmen. Es<br />

versucht, die bereits in <strong>der</strong> Geschichte<br />

vorhandene schöpferische Zusammenarbeit<br />

zwischen Juden und<br />

Christen und Muslimen auf<br />

wissenschaftlichem und<br />

philosophischem Gebiet wie<strong>der</strong>be<strong>leben</strong><br />

zu lassen. Dies entspricht <strong>der</strong><br />

koranischen friedlichen Koexistenz<br />

aller Menschen. Deshalb können in<br />

einem islamischen Staat sonntags die<br />

Glocken <strong>der</strong> Kirchen zum Gottesdienst<br />

einladen o<strong>der</strong> Weihnachten<br />

ist ein Feiertag- so etwas wünschte ich<br />

uns auch hier in Deutschland.<br />

In 49, Sure Vers 13 erklärt Gott, dass<br />

<strong>Frieden</strong>sbild von christlichen und muslimischen Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong>-Schule in Amman<br />

er uns zu verschiedenen Völkern erschaffen hat, da<strong>mit</strong> wir uns kennen <strong>lernen</strong>. Dieses<br />

Kennen <strong>lernen</strong> bietet uns die Grundlage für den interreligiösen Dialog, für den ich mich<br />

seit vielen Jahren z. B. im Rahmen <strong>der</strong> CIG einsetze: wir zeigen uns gegenseitig, was wir<br />

glauben und wir nehmen wahr, was uns unterscheidet.<br />

Die Unterschiede werden zur eigenen Herausfor<strong>der</strong>ung. Ich denke, dass die christlichen<br />

und muslimischen Kin<strong>der</strong> an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule die gegenseitige Religiosität sicherlich<br />

als etwas ganz alltägliches und normales empfinden, vor allem weil die religiösen Unterschiede<br />

nicht vom Alltags<strong>leben</strong> getrennt werden. Man lebt in erster Linie zusammen und<br />

sieht dann, dass man religiös an<strong>der</strong>s ist. Das ist ein Problem vieler interreligiöser Dialoge<br />

bei uns- sie sind vom Zusammen<strong>leben</strong> isoliert. Insofern ist die <strong>Schneller</strong> Schule eine Modellschule<br />

für <strong>Mission</strong> und Dialog, denn sie stärkt die Identität ihrer Schüler, indem sie<br />

religiöse Vielfalt als Bereicherung ansieht.<br />

Probleme tauchen häufig auch da auf, wo Ideale nicht <strong>mit</strong> Idealen und die Praxis nicht<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Menschen verglichen werden. Bestimmte religiöse Begriffe werden<br />

häufig von an<strong>der</strong>n Motivationen vereinnahmt und benutzt. Wir sollten aber nicht vergessen,<br />

dass Religion ein weitaus größeres Potential bereithält, menschlichem Leben und<br />

Handeln Sinn zu geben, <strong>Frieden</strong> zu för<strong>der</strong>n und für Gerechtigkeit zu sorgen, in dem wir<br />

selbst als Einzelne gerecht handeln.<br />

Alle Religionen bieten uns die Möglichkeit dazu, verbieten jedoch jegliche Ausübung<br />

von Zwang in Glaubensfragen. Deshalb möchte ich gerne mein kurzes Statement <strong>mit</strong> einem<br />

Vers beenden, indem die Pluralität <strong>der</strong> Menschen als ein gottgewollte Ziel dargestellt<br />

wird, da<strong>mit</strong> wir im Guten Wetteifern o<strong>der</strong> auch voreinan<strong>der</strong> <strong>mit</strong> den beson<strong>der</strong>s<br />

schönen Aspekten unseres Glaubens kokettieren.<br />

Sure 5:48: ...Für jeden von euch (die ihr verschiedenen Bekenntnissen angehört) haben wir ein (eigenes)<br />

Brauchtum und einen (eigenen) Weg bestimmt. Und wenn Allah gewollt hätte, hätte er euch<br />

zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber er (teilte euch in verschiedene Gemeinschaften auf<br />

und) wollte euch (so) in dem, was er euch (von <strong>der</strong> Offenbarung) gegeben hat, auf die Probe stellen.<br />

Wetteifert nun nach den guten Dingen! Zu Allah werdet ihr (<strong>der</strong>einst) allesamt zurückkehren. Und<br />

dann wird er euch Kunde geben über das, worüber ihr (im Diesseits) uneins waret. (Koran Paret)<br />

80


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

4. Dokumentation <strong>der</strong> Gruppendiskussionen über die einzelnen Aspekte<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> und des <strong>Mission</strong>sverständnisses heute<br />

Studierende des Seminares zum interreligiösen Lernen aus dem SS 2010 haben im Seminar<br />

die Diskussion in den Gruppen vorbereitet. Die Studierenden teilten sich auf die Referierenden<br />

auf und gestalteten den Ablauf <strong>der</strong> Diskussion nach einer gemeinsam entwickelten<br />

Struktur, die individuell angepasst wurde. In je<strong>der</strong> Gruppe befanden sich zusätzlich<br />

Dozierende <strong>der</strong> EH, die aber an <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ation nicht beteiligt waren. Struktur des<br />

im Seminar geplanten Ablaufs <strong>der</strong> Gruppendiskussionen:<br />

� <strong>der</strong> Raum wird vor dem Studientag vorbereitet (Mittegestaltung passend zum<br />

thematischen Aspekt von <strong>Mission</strong> z. B. <strong>mit</strong> Tüchern, Symbole, Stühle zum Sitzkreis<br />

aufbauen)<br />

� Namensschil<strong>der</strong> <strong>der</strong> studentischen Mo<strong>der</strong>atoren, des Referenten bzw. <strong>der</strong> Referentin<br />

und <strong>der</strong> anwesenden Dozierenden herstellen, beim Ankommen verteilen und<br />

tragen<br />

� Begrüßung: (höchstens 5 Minuten): Begrüßung <strong>der</strong> Gruppe und des Referenten/in.<br />

Vorstellung <strong>der</strong> studentischen Mo<strong>der</strong>ationsgruppe (kurz) und <strong>der</strong> anwesenden<br />

Dozierenden <strong>der</strong> EH; Vorstellung <strong>der</strong> Teilnehmenden – abhängig von<br />

Gruppengröße.<br />

(Möglichkeiten z. B.: in <strong>der</strong> Mitte liegen Tonpapiere in drei Farben. Je<strong>der</strong> Teilnehmende<br />

schreibt seinen Namen auf: gelbe Farbe z. B.: ich gehöre zur EH, blaue<br />

Farbe: ich gehöre zum <strong>Schneller</strong> Verein o<strong>der</strong> Sympathiekreis <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen;<br />

weiße Farbe: ich interessiere mich für das Thema- Teilnehmende stellen sich<br />

nicht lange vor, son<strong>der</strong>n sagen ihren Namen und legen diesen auf dem Farbkreis<br />

vor sich ab- evtl. Raum für Nachfragen lassen); 1 Studieren<strong>der</strong>/e übernimmt die<br />

Vorstellung <strong>der</strong> Teilnehmenden<br />

� Einstiegimpuls durch eine/n Studierende/n, <strong>der</strong>/die zuerst dem Referenten das<br />

Wort gibt, aber gleich in den Diskurs einführt: „Was gehört für Sie unverzichtbar<br />

zur christlichen <strong>Mission</strong>?“; alternativ: „Sie haben in Ihren Ausführungen die These<br />

vertreten: <strong>Mission</strong> ist (Evangelisation, Sozialarbeit, <strong>Frieden</strong>sarbeit, Bildungsarbeit,<br />

Politische Arbeit, Dialogarbeit)“- wird <strong>der</strong> <strong>Mission</strong>sbegriff nicht verkürzt,<br />

wenn man ihn auf einen Aspekt focussiert? In <strong>der</strong> Bibel steht: „Gehet hin und machet<br />

zu Jüngern alle Völker“- da ist nicht gesagt, wie das geschehen soll….“; Möglichkeit<br />

für Referierende, Stellung zum Einstiegsimpuls zu beziehen; Raum für<br />

Rückfragen o<strong>der</strong> Anmerkungen aus dem Teilnehmendenkreis. Mo<strong>der</strong>ation im<br />

Rahmen des klassischen Mo<strong>der</strong>ationszyklus: Einstieg, Themen sammeln, Thema<br />

auswählen, Thema bearbeiten, Ergebnisse und weitere Massnahmen festhalten,<br />

Abschluss<br />

� Zweiter Impuls durch Studierende: „<strong>Mission</strong> hat viele Facetten – welche sind<br />

Pflicht, welche Kür – d.h. was ist für segensreiche <strong>Mission</strong> unverzichtbar“?<br />

� Sinnvoll ist es, wenn ein Studieren<strong>der</strong>/ Studierende, <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die diesen Punkt<br />

nicht mo<strong>der</strong>iert, die Themen und Diskussionspunkte nebenbei an einem Flipchart<br />

mindmapartig <strong>mit</strong>skizziert durch:<br />

a) Systematisieren <strong>der</strong> kontroversen Standpunkte (Gemeinsamkeiten, Unterschiede)<br />

b) Konkret: Unterschiedliche Standpunkte im Vorfeld auflisten und ggfalls optisch<br />

darstellen (Farbkreise) und im Diskussionsverlauf ergänzen<br />

c) Abwägen <strong>der</strong> Argumente im Diskurs<br />

d) Konkret: Meinungsbild erheben- wer ist für welchen Aspekt?<br />

81


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

e) Evtl. bei zu einhelliger Meinung: Kontroverse Position zur Position des Referenten/in<br />

formulieren<br />

f) Konkret: Sie sagen…. Die Gegenthese wäre:….<br />

g) evtl. Bezug zu Dialogmodellen herstellen: Multi- Inter- Trans.<br />

h) Konkret: Im Seminar haben wir die 3 Dialogmodelle kennen gelernt, die zu<br />

unterschiedlichen Meinungen über Inhalte von <strong>Mission</strong> führen (kurz erklären)-<br />

These: was Pflicht o<strong>der</strong> Kür ist, hängt ab von meinem Modell zum<br />

Miteinan<strong>der</strong> von Religionen und Kulturen<br />

i) Fazit <strong>der</strong> ersten Diskussionsrunde: Zusammenfassung <strong>der</strong> Diskussionsergebnisse-<br />

Festhalten <strong>der</strong> Ergebnisse auf einem Flipchard, sodass das Papier<br />

als Dokument dient, das in die Podiumsdiskussion <strong>mit</strong> eingebracht werden<br />

kann und im Foyer aufgehängt wird. Überleitung zu einem weiteren Aspekt<br />

� falls noch Zeit: 3. Impuls o<strong>der</strong> freien Raum für Rückfragen und Anmerkungen geben.<br />

Impuls: „<strong>Mission</strong> ist in und für die multireligiöse Gesellschaft doch ein Ärgernis<br />

und eigentlich out, o<strong>der</strong>?“ – Zum Für und Wi<strong>der</strong> von Evangelisation/<br />

Verkündigung im Zusammenhang <strong>mit</strong> <strong>Mission</strong>.<br />

Konkret: An unserer Hochschule ist das Wort „<strong>Mission</strong>“ immer wie<strong>der</strong> ein Reizwort.<br />

Während einige Studierende ganz überzeugt Straßenmission betreiben und<br />

das Evangelium wie Jesus und Paulus zu den Menschen tragen, for<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>e,<br />

den Begriff endlich abzuschaffen o<strong>der</strong> durch ein an<strong>der</strong>es Wort zu ersetzen. Dann<br />

würden wir das Wort „<strong>Mission</strong>“ <strong>der</strong> Alltagssprache o<strong>der</strong> dem Islam überlassen.<br />

Wäre das <strong>der</strong> heutige Weg, um glaubwürdig <strong>Mission</strong> zu betreiben?<br />

Themen, die sich aus dem Gesprächsverlauf noch ergeben könnten und für Studierende<br />

interessant sind:<br />

z. B.: An unserer Hochschule werden Menschen ausgebildet, die auch missionarisch<br />

arbeiten werden- als Religions- o<strong>der</strong> Sozialpädagogen/innen und als Diakone/innen.<br />

Was sollten wir als Studierende Ihrer Meinung nach können, da<strong>mit</strong> wir<br />

so missionarisch arbeiten, dass das, was wir tun, dem <strong>Frieden</strong> dient?<br />

� Abschluss <strong>der</strong> Gesprächsrunde: Formulierung <strong>der</strong> Ergebnisse, was bleibt offen?<br />

Dank für die Zusammenarbeit. Abschluss <strong>mit</strong> Zitat, Bibelvers, Sprichwort usw.<br />

zum Thema. Information über den weiteren Verlauf: 17:15 h Beginn <strong>der</strong><br />

Podiumsdiskussion<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> Gesprächsrunden<br />

Impulse und Ergebnisse aus <strong>der</strong> Gesprächsrunde <strong>mit</strong> Pfarrer Andreas Maurer<br />

Mo<strong>der</strong>ation und Protokoll: Anke Brummund, Sarah Franz, Christoph Reith, Dominik Frank,<br />

Kristina Brett<br />

Nach <strong>der</strong> Begrüßung und Vorstellungsrunde stiegen wir alle ins Gespräch ein und fragten<br />

uns, was denn <strong>Mission</strong> ist und ausmacht. Für viele von uns war klar, dass <strong>Mission</strong> als<br />

Evangelisation bedeutet, erst einmal bereit zu sein, Menschen anzunehmen <strong>mit</strong> allen ihren<br />

Verschiedenheiten. Annahme bedeutet, dem An<strong>der</strong>en und <strong>der</strong> An<strong>der</strong>en <strong>mit</strong> Respekt<br />

und Liebe zu begegnen. Das beinhaltet zugleich, ihr o<strong>der</strong> ihm gegenüber auch mich<br />

selbst nicht zu verstellen und authentisch zu sein. Dazu gehört, meinen eigenen Glauben<br />

82


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

zu vertreten und auch weitergeben. Viele aus unserer Gruppe fühlten sich dazu durch die<br />

Worte von Herrn Maurer bestärkt, die im <strong>Mission</strong>sbefehl „ruft alle Menschen auf, mir<br />

nachzufolgen“ grundgelegt sind. Herr Maurer machte danach deutlich, dass für ihn die<br />

Weitergabe des Evangeliums keine Indoktrination o<strong>der</strong> ein Überreden des An<strong>der</strong>en sein<br />

dürfe- die christliche <strong>Mission</strong>sgeschichte schmückt sich hier <strong>mit</strong> einigen Schattenseiten<br />

und die sollten wir heute nicht wie<strong>der</strong>holen. Für uns Studierende wurde im Gespräch<br />

deutlich, was <strong>Mission</strong>sarbeit möchte: <strong>Mission</strong> bedeutet, sprachfähig zu sein über den eigenen<br />

Glauben und den An<strong>der</strong>en auch ins Gespräch über den Glauben verwickeln zu<br />

können, ohne dass man dabei immer (zuerst) Bibelverse o<strong>der</strong> fromme Worte auf den<br />

Lippen haben muss. Evangelisation durch <strong>Mission</strong> ist eher eine Haltung.<br />

In einer zweiten Runde überlegten wir, wie Menschen, die noch nichts vom christlichen<br />

Gott gehört haben o<strong>der</strong> sich dafür nicht interessieren, Interesse dafür gewinnen könnten.<br />

Einig waren wir uns, dass kein Mensch von sich aus zu Gott finden kann. Bestimmt<br />

Gott, wer an ihn glaubt und wer nicht? Was können wir dann noch ausrichten? Die Frage<br />

<strong>der</strong> Prädestination, die zu den <strong>mit</strong> am heißesten diskutierten Themen an <strong>der</strong> EH gehört,<br />

stand gleich im Raum. Auf <strong>der</strong> einen Seite befreit es, zu wissen, dass Gott selbst<br />

entscheiden wird, wen er durch seine <strong>Mission</strong> zu sich holt, ob er alle Menschen zu sich<br />

holt und wen er evtl. außen vor lässt. Wir wollen Gott nicht ins Handwerk greifen. Wir<br />

überlegten weiter: „Wenn Gott <strong>der</strong> <strong>Mission</strong>ar ist und wir Handlanger, was ist dann unserer<br />

Aufgabe?“ Wir merkten im Gespräch, dass uns Fähigkeiten wie „Zuhören“, „Einfühlen“,<br />

„Beim An<strong>der</strong>en Bleiben“ usw. schnell einfallen, dass es uns aber manchmal schwer<br />

fällt, uns <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> „Handlanger“ zu begnügen- zu gerne würden etliche von uns<br />

gerne selbst durch ihr Leben an<strong>der</strong>e Menschen zum Glauben führen und dann wissen,<br />

dass alle Menschen bei Gott einen Platz haben.<br />

In einer dritten Runde fragten wir, wie es sich <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> an glaubenden Menschen,<br />

die als Juden, o<strong>der</strong> Muslime <strong>leben</strong>, verhält. Können und sollen wir sie auch einladen, Jesus<br />

nachzufolgen? Wir überlegten zuerst, ob Christen, Juden und Muslime an einen<br />

gemeinsamen Gott glauben. Hier gingen die Meinungen sehr auseinan<strong>der</strong>. Die meisten<br />

Studierenden meinten, dass es zwar manche Gemeinsamkeiten gäbe, aber auch viele Unterschiede.<br />

An<strong>der</strong>e Teilnehmende meinten, dass Christen, Juden und Muslime auf dem<br />

Weg zum gleichen Ziel wären und das in einem Zuhause bei dem einen Gott münden<br />

würde. Sie hielten es für nicht richtig, diese Gläubigen zum Christentum hin zu missionieren,<br />

wohl aber könne und solle man <strong>mit</strong> ihnen über Glaubensfragen sprechen und sich<br />

austauschen, um gemeinsam mehr zu machen als wir es in Deutschland gerade tun. Die<br />

<strong>Schneller</strong> -Schulen in Nahost könnten ein gutes Vorbild sein, um als Christen und Muslime<br />

gemeinsame Ziele zu verfolgen. Viele Studierende stimmten zu, dass es wichtig ist,<br />

viel gemeinsam zu tun, um das Zusammen<strong>leben</strong> zu verbessern, wollten aber die Unterschiede<br />

im Glauben dabei nicht außer Acht lassen.<br />

Als viertes Thema sprachen wir über den Unterschied von <strong>Mission</strong> hier und im Ausland.<br />

Einige äußerten die Vermutung, dass sich die Adressaten <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> bald umdrehen<br />

könnten: Deutschland wird mehr und mehr zum <strong>Mission</strong>sland. <strong>Schneller</strong> ging damals<br />

nach Palästina, um das Christentum, das hier noch <strong>leben</strong>dig war, dorthin zu bringen.<br />

Heute kommen Christen aus dem Nahen Osten, aus Afrika o<strong>der</strong> Südamerika, um uns<br />

Anteil zu geben an dem <strong>leben</strong>digen Glauben, den sie <strong>leben</strong> und uns dazu einzuladen. Sie<br />

bringen ihre Kultur, ihre Art des Feierns zu uns- was wird das <strong>mit</strong> uns machen? Wir diskutierten<br />

darüber, welchen Zusammenhang zwischen Kultur und Religion es gibt und<br />

was es für die Menschen im Umfeld <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen bedeutet, dass sie ein würt-<br />

83


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

tembergisch geprägtes Christentum kennen <strong>lernen</strong> und in ihrer Kultur <strong>leben</strong>. Herr Maurer<br />

gab etliche Erklärungen zum Verhältnis von Protestanten und Orthodoxen im Nahen<br />

Osten, wer wann kam, wie sie heute <strong>mit</strong> o<strong>der</strong> nebeneinan<strong>der</strong> <strong>leben</strong>, die sehr interessant<br />

waren. Im Gespräch waren wir uns einig, dass es heute an <strong>der</strong> Zeit ist, dass Christen unterschiedlicher<br />

Konfessionen mehr <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> auftreten und es in unserer säkularen<br />

Welt nicht sinnvoll wäre- wie einst bei <strong>Schneller</strong>- orthodoxe Christen zu Protestanten zu<br />

machen. Vielmehr müssten die Christen <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> ihre Stimme in <strong>der</strong> Welt erheben<br />

und im Sinne <strong>der</strong> Bergpredigt <strong>leben</strong> nach dem Motto: „wes das Herz voll ist, des geht <strong>der</strong><br />

Mund über“. Herr Maurer berichtete von Entwicklungspartnerschaften, in denen Verkündigung<br />

und Diakonie zusammenkommen und Christen verschiedener Konfessionen<br />

gemeinsam in Projekten arbeiten. Ihr Grundsatz ist: wir unterstützen uns im Zeugnis;<br />

lassen unser Licht leuchten und sind das Salz, das heute wirkt.<br />

Darüber kamen wir auf eine biblische Geschichte, die man als „gescheiterte <strong>Mission</strong>sgeschichte“<br />

o<strong>der</strong> „interreligiöse Dialoggeschichte“ bezeichnen kann. Die Geschichte <strong>der</strong><br />

Hl. Drei Könige. Sie beginnt <strong>mit</strong> einer Erfahrung, die zum Aufbruch wird und endet <strong>mit</strong><br />

einem <strong>Mission</strong>sbefehl. Doch die Hl. Drei Könige gehen nach dem Besuch bei Jesus wie<strong>der</strong>,<br />

aber nicht als Bekehrte! Sie gehen, wie sie gekommen sind und dürfen das auch.<br />

Das ist die christliche Freiheit und die christliche Liebe, die in <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> liegt. Wir<br />

fragten uns, warum man die Könige dennoch als „Heilige“ Drei Könige bezeichnet (sie<br />

sind eigentlich nicht heilig, nicht drei und keine Könige). Einem Teilnehmer fiel ein Satz<br />

von Bonhoeffer ein: „<strong>Mission</strong>are sind Menschen, die allein durch Gnade gerettet werden<br />

trotz ihrer sog. guten Taten“- vielleicht trifft das auf die Könige aus <strong>der</strong> Weihnachtsgeschichte<br />

auch zu.<br />

Zum Abschluss fassten wir das Ergebnis unseres Gespräches zusammen: Evangelisation,<br />

Begegnung <strong>mit</strong> dem Evangelium, gehört unverzichtbar zur christlichen <strong>Mission</strong>- wir<br />

können und wollen an<strong>der</strong>en Menschen nicht vorenthalten, was wir für uns als Reichtum<br />

er<strong>leben</strong> und sind dazu auch durch die Bibel aufgefor<strong>der</strong>t- aber wir können und wollen<br />

an<strong>der</strong>en Menschen den Glauben auch nicht „<strong>mit</strong> dem Knüppel im Sack“ bringen, son<strong>der</strong>n<br />

die eigentliche <strong>Mission</strong> Gott überlassen und es annehmen, dass wir nicht wissen,<br />

wer am Ende wo bei Gott ist. Gottes zugewandte Liebe zu den Menschen ist die theologische<br />

Quintessenz <strong>der</strong> Bibel. Das relativiert die Angst um mich o<strong>der</strong> die Menschen vor<br />

dem Gericht: „Ein Ochse, <strong>der</strong> nicht an die Allversöhnung glaubt, ein Esel, <strong>der</strong> sie predigt.“<br />

Impulse und Ergebnisse aus <strong>der</strong> Gesprächsrunde <strong>mit</strong> Prof. Dr. Samir Akel<br />

Mo<strong>der</strong>ation und Protokoll: Ute Pietrowski; Ramona Döring; Anja Groß; Andrea Schütz; Marit<br />

Spriegel; Hannah Herter<br />

Nach <strong>der</strong> Begrüßung <strong>der</strong> ca. 25 Personen und Vorstellung stiegen wir <strong>mit</strong> dem ersten Impuls<br />

ein. Herr Akel antwortete zunächst im Blick auf die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> und erklärte,<br />

dass es zwischen Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> und seinen Söhnen zwischen Johann Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong> und seinen Nachfolgern eine Verän<strong>der</strong>ung des <strong>Mission</strong>sverständnisses gegeben<br />

hatte. Seiner Ansicht nach war Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> überzeugt vom pietistischen<br />

<strong>Mission</strong>sverständnis. Er wollte durch <strong>Mission</strong> zur Bekehrung führen, in die er auch Juden<br />

und Muslime einbezogen hatte. Auch die „schwache“ orthodoxe Kirche war Ziel <strong>der</strong><br />

Evangelisation des Grün<strong>der</strong>vaters. Hermann <strong>Schneller</strong> hingegen war für Herrn Akel ein<br />

Oekumeniker. Seine <strong>Mission</strong> war: „Ich sehe, pflanze und gieße als Christ und stehe dazu, wenn<br />

84


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

ich gefragt werde“. Hermann <strong>Schneller</strong>s <strong>Mission</strong> zielte nicht zwingend auf eine christliche<br />

Bekehrung, aber seine christliche Lebensart hat Menschen trotzdem geprägt, unter an<strong>der</strong>em<br />

auch Herrn Akel. Hermann <strong>Schneller</strong> hat nach Herrn Akels Angaben auch orthodoxe<br />

Christen und Juden konfirmiert, wenn diese das wollten. So hat er ihnen die Bitte<br />

nicht abgeschlagen, Christ zu werden. Für Herrn Akel selbst ist das <strong>Mission</strong>sverständnis<br />

von Hermann <strong>Schneller</strong> prägend für seine eigene Arbeit: <strong>Mission</strong> ist ein christliches Leben,<br />

das sich an<strong>der</strong>en zeigt, ohne diese absichtlich zu vereinnahmen- und das auf<br />

Wunsch des An<strong>der</strong>en auch in eine Konversion überführt werden kann, aber nicht muss.<br />

Wer missionarisch lebt, muss aber auch den Mut haben, die Entscheidung eines Mitmenschen<br />

zum Christentum <strong>mit</strong> zu tragen und ihn dann auf diesem Wege zu begleiten.<br />

Beim zweiten Impuls zu „Kür- und Pflichtanteilen“ von <strong>Mission</strong> ist für Herrn Akel klar,<br />

dass die soziale Arbeit ein Pflichtteil missionarischer Arbeit ist ebenso wie die Fähigkeit,<br />

bei Rückfragen Rechenschaft über den Grund des eigenen Handelns und den eigenen<br />

Glauben geben zu können. Akel zeigt auf, dass die Schüler <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen über<br />

eine hohe soziale Kompetenz verfügen und zudem gut ausgebildet waren. So hatten sie<br />

einen guten Stand in <strong>der</strong> Gesellschaft, weil sie z. B. bei Konflikten ver<strong>mit</strong>teln konnten<br />

o<strong>der</strong> wussten, in welchen Bereichen o<strong>der</strong> bei welchen Themen Muslime z. B. verletzbar<br />

sind. In seiner Jugendzeit gehörten die <strong>Schneller</strong> Schüler zur Elite <strong>der</strong> Gesellschaft. Auf<br />

die Rückfrage, ob es Nachbildungen im arabischen Raum gab, erklärt Akel, dass die<br />

<strong>Schneller</strong> Schulen viel zur Entwicklung von Bildung und Erziehung im Orient beigetragen<br />

haben (sie haben z. B. Lesefibeln gedruckt). Man versuchte, das „Modell <strong>Schneller</strong>“<br />

zu kopieren, was aber kaum gelang, weil die <strong>Schneller</strong> Pädagogik vor allem von den Persönlichkeiten<br />

<strong>der</strong> Mitarbeitenden und <strong>der</strong> Leitung lebte. Hier gab es in unserer Gesprächsgruppe<br />

viele Rückfragen und Anmerkungen zur Bedeutung von Erzieherpersönlichkeiten<br />

und Überlegungen, ob und wie es kulturelle Unterschiede im Orient bzw. Okzident<br />

gibt. Herr Akel bestätigt dieses und führt etwas in die historischen Hintergründe<br />

und Entwicklungen im Orient ein. Provokant ist für etliche aus <strong>der</strong> Gesprächsgruppe die<br />

Ansicht, dass im Orient die Gemeinschaft o<strong>der</strong> Familie für das Soziale zuständig ist und<br />

eigentlich da<strong>mit</strong> je<strong>der</strong> o<strong>der</strong> jede ein Profi <strong>der</strong> Sozialarbeit ist- sodass es in Jordanien z. B.<br />

das Studienfach Soziale Arbeit lange nicht gibt. Uns wird dabei deutlich, dass <strong>Schneller</strong><br />

und seine Nachkommen Theologen o<strong>der</strong> Pädagogen, aber keine Sozialarbeiter waren<br />

und dass sie ihre Sozialarbeit aus <strong>der</strong> Situation heraus durchführten. Dennoch sollte das<br />

für heute kein Maßstab sein. <strong>Mission</strong>, die Internate und Schulen betreibt, braucht professionelle<br />

Sozialarbeiter/innen und Diakone/innen, die z. B. kulturelle Bedingungen, Rollen,<br />

Gen<strong>der</strong>fragen, Diversityherausfor<strong>der</strong>ungen, Inklusion usw. in Blick nehmen und<br />

heute nicht Württemberg nach Palästina bringen, son<strong>der</strong>n vor Ort und <strong>mit</strong> regionalen<br />

Bedingungen soziale Arbeit gestalten. Obwohl wir uns da weitgehend einig sind, macht<br />

uns Herrn Akels Kommentar doch nachdenklich. Er sagt, dass <strong>der</strong> Orient und die arabische<br />

Welt uns Europäer und uns Christen brauchen, weil es noch zu wenig ausgebildete<br />

eigene Kräfte gibt.<br />

Zum Schluss fassen wir zusammen: <strong>Mission</strong> ist nicht reine Sozialarbeit, aber Sozialarbeit<br />

ist sichtbarer Ausdruck von missionarischer Arbeit. Man muss für die missionarische Arbeit<br />

Methoden (pädagogische, theologische) finden, bei denen ich mich nicht verleugne<br />

und glaubwürdig mein Christsein einbringe, bei denen ich aber auch dem An<strong>der</strong>en seine<br />

Identität, sein kulturelles o<strong>der</strong> religiöses Erbe nicht abspenstig machen möchte, son<strong>der</strong>n<br />

ihm helfe auf „Augenhöhe“, ohne ihn o<strong>der</strong> sie für meine Ideen o<strong>der</strong> Projekte vereinnahmen<br />

zu wollen- einfach weil es mir im Moment gut geht und ich Kapazität und Freude<br />

habe, jemandem, dem es nicht gut geht, das Leben zu erleichtern.<br />

85


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

Impulse und Ergebnisse aus <strong>der</strong> Gesprächsrunde <strong>mit</strong> Herrn Musa Al Munaizel<br />

Mo<strong>der</strong>ation und Protokoll: Sabrina Peignard, Katharina Eggert, Anne K. Bechstein,<br />

Ann-Kristin Hild<br />

Unsere Vorstellungsrunde, in <strong>der</strong> wir Studierenden uns zuerst vorstellten, zeigte, dass<br />

sich in unserer Gruppe einige fachkundige Gäste fanden, u. a. Dr. Hartmut Brenner, <strong>der</strong><br />

12 Jahre die <strong>Schneller</strong> Schule geleitet hatte und Herr Daher, <strong>der</strong> als Referent für Nahostthemen<br />

beim DIMOE (Dienst für <strong>Mission</strong>, Ökumene und Entwicklung) in Stuttgart arbeitet.<br />

In einer ersten Gesprächsrunde wollten wir die ganze Gruppe ins Gespräch bringen. Wir<br />

stiegen ein <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frage, was jede und jede aus unserer Gruppe <strong>mit</strong> dem Wort<br />

„<strong>Mission</strong>“ verbindet. Man sollte <strong>mit</strong> einem Wort antworten. Dabei wurde u. a. genannt:<br />

Liebe, Zuhören, Menschen, Dialog, Freiheit, Entscheidungsfreiheit, Hilfe, Solidarität,<br />

Kommunikation, Anteil nehmen, Zeugnis, Leidenschaft <strong>leben</strong>, Beauftragt sein. Wir stellten<br />

fest, dass <strong>Mission</strong> ein aktives Tun beinhaltet, dass auf <strong>Frieden</strong> o<strong>der</strong> auch Versöhnung<br />

zielt. In diesem Prozess wird durch eine ganz beson<strong>der</strong>e Erfahrung o<strong>der</strong> Begegnung vor<br />

allem die Identität von einzelnen geprägt o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t.<br />

In einer zweiten Gesprächsrunde stellte eine Studierende die Frage, ob <strong>Frieden</strong>sarbeit an<br />

<strong>der</strong> TSS <strong>mit</strong> <strong>Mission</strong>sarbeit gleichzusetzen sei: Wie kommt es, dass die TSS heute in Außendarstellungen<br />

viel mehr ihre <strong>Frieden</strong>s- als ihre <strong>Mission</strong>sarbeit betont? Wir wollten<br />

wissen, ob das <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Situation in Jordanien, einem für uns nichtchristlichen Land, zusammen<br />

hängt. Musa Al Munaizel antwortete zunächst persönlich und zog daraus<br />

Schlüsse für das Profil <strong>der</strong> TSS: Musa korrigierte zuerst: Es stimmt nicht, Jordanien als<br />

nichtchristliches Land zu bezeichnen. Jordanien ist ebenso wie Palästina /Israel Heiliges<br />

Land, das Land Jesu und <strong>der</strong> frühen Christen. In Jordanien wurde Jesus getauft, hier lebte<br />

Johannes <strong>der</strong> Täufer und hier bildeten sich erste Gruppen von Jesusanhängern. Zu allen<br />

Zeiten lebten in Jordanien Christen. Weil sie auf dem Boden des frühen Christentums<br />

ihre Häuser bauten, fühlten sie einen beson<strong>der</strong>en Auftrag, das Christentum in dieser Gegend<br />

<strong>leben</strong>dig zu halten.<br />

Musa ist in einem Vorort von Amman geboren, christlich aufgewachsen, aber islamisch<br />

geprägt. Das hat ihn beeinflusst. Er hat von Klein an gewusst, wie man sich bei Christen<br />

benimmt, was man hier zu bestimmten Fragen denkt o<strong>der</strong> (nicht) sagt und wie Muslime<br />

<strong>mit</strong> den gleichen Themen an<strong>der</strong>s umgehen. Musa erzählt, dass er <strong>der</strong> erste Christ an seiner<br />

Fakultät war. Sein Name zeigte den an<strong>der</strong>en nicht, dass er Christ ist (in Jordanien<br />

kann man die Religion eines Menschen oft aus dem Namen erschließen) – Musa ist im<br />

Koran und in <strong>der</strong> Bibel <strong>der</strong> Name für den Mann, <strong>der</strong> das Volk durch die Wüste führte.<br />

Das führte z. B. dazu, dass Musa als Auszeichnung seiner Fakultät für seine guten Leistungen<br />

(er war Bester seines Jahrgangs) – quasi als Stipendium – eine Pilgerfahrt nach<br />

Mekka geschenkt bekam. In seinem Studium hat Musa eine große Offenheit von Muslimen<br />

ihm gegenüber <strong>mit</strong>bekommen. Das möchte er ebenso <strong>leben</strong>. <strong>Mission</strong> bedeutet für<br />

ihn eine offene Lebenshaltung, die Hoffnung ausstrahlt, Liebe und Solidarität.<br />

Anhand von Rückfragen, ob so eine Definition von <strong>Mission</strong> in Jordanien denn auch so<br />

gesehen würde und ob sie das Wort „<strong>Mission</strong>“ austauschbar und ggf. beliebig machen<br />

würde, diskutierten wir, ob <strong>Mission</strong> im Nahen Osten heute eher ein negativ o<strong>der</strong> positiv<br />

besetzter Begriff ist. Musa erklärte, dass das unvoreingenommene Verständnis von <strong>Mission</strong><br />

sich in den letzten Jahrzehnten geän<strong>der</strong>t habe. <strong>Mission</strong> sei im arabischen ein Wort,<br />

das man unterschiedlich auslegen kann. Es ist dem Wort Regen und Winter vergleichbar.<br />

Je nachdem, welche Erfahrungen man da<strong>mit</strong> macht (<strong>der</strong> Regen bleibt aus, man verdurstet<br />

o<strong>der</strong> Regen kommt und die Wüste blüht), bewertet man es. In seiner Kindheit und<br />

86


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

Jugend z. B. gingen alle Christen sonntags zur Kirche. Daran hat niemand Anstoß genommen.<br />

Heute gehen nicht mehr alle Christen zur Kirche. Manche trauen sich nicht,<br />

öffentlich zu zeigen, dass sie Christen sind, weil sie Angst vor Benachteiligungen haben.<br />

In Deutschland o<strong>der</strong> Amerika fragt z. B. niemand beim Kennen <strong>lernen</strong> eines Menschen:<br />

„Bist Du Christ o<strong>der</strong> Muslim?“ In Jordanien sei das ganz normal. Es gibt heute mehr<br />

Vorurteile Christen gegenüber als früher, das gilt es zu verstehen.<br />

Die Personen in unserer Gruppe, die – wie Musa – gute Kenntnisse zur Situation <strong>der</strong><br />

Christen im Nahen Osten haben, bestätigten das. Sie erzählten, dass es heute nur noch 2-<br />

3 % Christen in Jordanien gäbe, wobei die Schätzungen noch unter 2 % liegen. Einer sagte:<br />

„In 150 Jahren gibt es keine christliche Gemeinde mehr im Nahen Osten, wenn das so weiter<br />

geht“. In Jordanien befinden sich heute die beiden größten christlichen Gemeinden in <strong>der</strong><br />

Nähe <strong>der</strong> deutschen Botschaft und am Flughafen- also nicht mehr <strong>mit</strong>ten im Leben Jordaniens,<br />

son<strong>der</strong>n in Randgebieten. Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> evangelisch- christlichen Gemeinde<br />

sind heute nicht die einheimischen evangelischen Christen, z. B. in Nachfolge des Erbes<br />

von <strong>Schneller</strong>, son<strong>der</strong>n vor allem Auslän<strong>der</strong>-Deutsche, die für eine Weile in Jordanien<br />

arbeiten, z. B. Botschaftspersonal, Mitarbeitende und Entsandte in internationalen Projekten<br />

und Frauen die <strong>mit</strong> Muslimen verheiratet sind. Schön ist, wenn muslimische<br />

Männer ihren christlichen (und oft ausländischen) Frauen ermöglichen, in die christliche<br />

Kirche zu gehen. Musa erzählte von einem Beispiel, wo das möglich war und die Frau<br />

und ihre Kin<strong>der</strong> sogar in <strong>der</strong> christlichen Gemeindezeitung abgedruckt waren. Aber es<br />

gibt auch die an<strong>der</strong>e Erfahrung: Frauen aus religiösen Mischehen, die zur deutschen<br />

Gemeinde kommen wollen, müssen sich unter dem Vorwand, dass sie z. B. <strong>mit</strong> einer<br />

Frau zum Sport gehen, von einer Frau aus <strong>der</strong> Gemeinde abholen und nach Hause bringen<br />

lassen und daheim verschweigen, wohin sie eigentlich geht. Dennoch gibt es keine<br />

Christenverfolgungen in Jordanien und keine vom Staat legitimierte zunehmende Gewalt<br />

an Christen. Doch müssen Christen heute mehr denn je aufpassen, dass sie <strong>mit</strong> ihrer Arbeit<br />

und ihrem Leben keinen Anlass bieten, die islamische Werteordnung infrage zu stellen.<br />

Christliche <strong>Mission</strong>, die ver<strong>mit</strong>telt, dass Muslime o<strong>der</strong> Jordanier die min<strong>der</strong>wertigere<br />

Kultur o<strong>der</strong> Religion haben, kommt sehr schlecht an- deshalb würde man an <strong>der</strong> TSS<br />

auch großen Wert darauf legen, achtsam über die Religion des An<strong>der</strong>en zu sprechen und<br />

ihr zu begegnen.<br />

Ein Teilnehmen<strong>der</strong> machte darauf aufmerksam, dass die evangelischen o<strong>der</strong> anglikanischen<br />

Christen, die etliche christliche Bildungseinrichtungen im Nahen Osten unterhalten,<br />

als Christen in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit sind. Das orientalische Christentum sei das orthodoxe<br />

Christentum. Wir Studierenden stellten fest, dass wir wenig Vorstellungen vom orthodoxen<br />

Christentum haben und beim Wort „Christen“ die Vielfalt unserer eigenen Tradition<br />

nicht automatisch im Blick haben. Wir haben keinen Zugang und keine Kontakte zu orthodoxen<br />

Christen, sodass wir uns <strong>mit</strong> dem Gedanken zunächst schwer taten, zu realisieren,<br />

dass die orthodoxen Christen im Nahen Osten- quasi stellvertretend für uns- das<br />

christliche Erbe bewahren und in beson<strong>der</strong>er Weise unserer Solidarität bedürfen. Musa<br />

berichtete, dass auch an <strong>der</strong> TSS <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Christen orthodoxe Christen sind.<br />

Einige unserer Gesprächsgruppe, die schon in Amman waren, fragten genauer nach, warum<br />

denn heute die Kirche <strong>der</strong> TSS keine sichtbaren Elemente enthält, die orthodoxen<br />

Christen an <strong>der</strong> TSS eine spirituelle Heimat geben könnten. Ist es- vor dem Hintergrund<br />

<strong>der</strong> Geschichte o<strong>der</strong> ökumenisch- nicht gewünscht, Schalen zum Kerzenanzünden,<br />

Weihrauch, eine Ikonostase usw. aufzustellen, um die Kirche wie zu <strong>Schneller</strong>s Zeiten<br />

als Mittelpunkt des Schul<strong>leben</strong>s zu sehen?<br />

87


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

Musa erzählte, dass es an <strong>der</strong> TSS 11 christliche Gemeinschaften gibt. Es sei schwer, es<br />

allen recht zu machen, aber man bemüht sich darum. Der größte Teil <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> sei orthodox.<br />

Diese Vielfalt erschwert macht christliches Leben oft schwer, denn Religionsunterricht<br />

für Christen würde z. B. nur erlaubt, wenn sich die Christen auf ein gemeinsames<br />

Verständnis zu theologischen und Lebensfragen einigen könnten. Wir sprachen darüber,<br />

wie es gelingen kann, die konfessionelle Vielfalt zu erhalten und dennoch in einem muslimischen<br />

Land als Christen <strong>mit</strong> einer „Botschaft“ wahrgenommen zu werden. Probleme,<br />

die sich zunehmend auch bei uns stellen. Für uns Studierende waren dabei gemeinsame<br />

Bekenntnisse (o<strong>der</strong> gar Bekenntnisschriften) weitaus weniger wichtig als die Verbindung,<br />

die im gemeinsamen Beten zu Jesus o<strong>der</strong> zum Gottesdienstfeiern möglich ist. Wenn wir<br />

<strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> das „Vater unser“ beten können, dann sind Themen wie Schuld und Erlösung,<br />

Brot für alle usw. automatisch die Unseren, egal, wie verschieden wir konfessionell<br />

geprägt sind. Hier gab es unterschiedliche Meinungen zum Gemeinsamen des Christlichen.<br />

Ein Teilnehmer erklärte, dass das konfessionelle Problem auf <strong>der</strong> libanesischen Seite<br />

noch komplizierter ist als in Jordanien. Im Libanon steht in jedem Personalausweis die<br />

Konfession drin. Das führt aber positiv dazu, dass Religionsunterricht im Libanon erlaubt<br />

ist, auch wenn es auch dort nicht nur eine Richtung gibt. In Jordanien sind Christen<br />

und Muslime im Religionsunterricht auch getrennt, doch führt das eher dazu, dass sie<br />

fast nichts von <strong>der</strong> Religion des An<strong>der</strong>en wissen. Deshalb gibt es an <strong>der</strong> TSS in jedem<br />

Schuljahr Phasen, in denen gemeinsamer Religionsunterricht stattfindet, den die christliche<br />

Lehrerin und <strong>der</strong> muslimische Lehrer <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> durchführen. Da werden Texte<br />

bearbeitet, die sich sowohl in <strong>der</strong> Bibel als auch im Koran finden, <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> verglichen<br />

und aufs Zusammen<strong>leben</strong> bezogen. So oft es geht, findet dieser gemeinsame Unterricht<br />

in <strong>der</strong> Natur statt. Die Natur ist bester Lehrmeister für friedenspädagogisches, interreligiöses<br />

Lernen- man kann Wurzeln sehen, tasten, Früchte ernten und teilen o<strong>der</strong> alleine essen,<br />

Sonne und Regen als Geschenk des Schöpfers erfahren usw. (Musa erzählte zwei<br />

Beispiele: Texte, in denen ein Olivenbaum vorkommt: „Was steht über den Olivenbaum?“<br />

Kin<strong>der</strong> suchen Dinge heraus und <strong>lernen</strong>: Olivenbaum = heiliger Baum und in<br />

beiden Religionen wichtig, um Glauben zu verstehen und zu spüren; Beispiel: Rebe/<br />

Trauben –was sagen Bibel und Koran dazu? Was wird daraus gemacht und was bedeuten<br />

Wein, Marmelade, Rosinen, die aus Wein bereitet sind in unserer Religion, Gemeinschaft,<br />

Gottesdiensten?)<br />

In einer weiteren Gesprächsrunde hörten wir, wie an <strong>der</strong> TSS ein friedliches Miteinan<strong>der</strong><br />

eingeübt wird und überlegten, ob diese Impulse auf unser Zusammen<strong>leben</strong> übertragbar<br />

wären. Musa berichtete z. B. von Ramadan und Weihnachten als den zwei Festen, die in<br />

Rücksicht aufeinan<strong>der</strong> und teilweise auch <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> gefeiert werden („wir essen gemeinsam<br />

Pizza, z. B. nach Sonnenuntergang“). So können alle muslimischen Kin<strong>der</strong> erzählen,<br />

was Weihnachten den Christen bedeutet und umgekehrt. Musa erzählt, dass<br />

auch seine eigenen Kin<strong>der</strong> drei Tage im Ramadan bei den Nachbarn waren und an<br />

Weihnachten kamen diese in seine Familie. Dass man sich zu religiösen Festen einlädt<br />

und sie <strong>mit</strong>feiert, sei eine Grundfeste <strong>der</strong> arabisch-orientalischen Kultur, die ganz stark<br />

von <strong>der</strong> Gastfreundschaft lebt. Man macht nicht viel „Extra“ für den Gast, son<strong>der</strong>n<br />

nimmt ihn einfach auf wie ein Familien<strong>mit</strong>glied. Viele arabische Christen, die nach Europa<br />

o<strong>der</strong> Deutschland ausgewan<strong>der</strong>t seien, könnten nicht verstehen, warum in Deutschland<br />

die Christen an Weihnachten lieber unter sich und an Ramadan die Muslime unter<br />

sich bleiben. Ein Austausch über unsere offenen Türen an Festen bestätigte den Eindruck:<br />

viele von uns täten sich schwer, in das Weihnachtsfest ihrer Gemeinde o<strong>der</strong> Familie<br />

die muslimischen Nachbarn einzuladen o<strong>der</strong> zum Ramadan <strong>mit</strong> in die Moschee o<strong>der</strong><br />

muslimische Familienfeier zu gehen. Uns wurde im Gespräch klar, dass Feste wirklich<br />

88


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

eine ganz wichtige Bedeutung für das friedliche Zusammen<strong>leben</strong> haben und ein echtes<br />

Feld für <strong>Mission</strong> bei uns sind. Es ist dran, dass wir (religiös praktizierende Christen und<br />

Muslime von beiden Seiten) mehr aufeinan<strong>der</strong> zugehen – zumindest bei einem Fest im<br />

(Kirchen)jahr. Ob dass für Christen das Weihnachtsfest sein muss, o<strong>der</strong> ob Muslime<br />

nicht eher Ostern <strong>mit</strong>feiern sollten, um das Zentrum des christlichen Glaubens zu er<strong>leben</strong>,<br />

wurde kontrovers diskutiert. Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass an Stellen, wo<br />

wir <strong>Mission</strong> sagen, Muslime sagen: „daba“= Einladen.<br />

Was ist unser Fazit? Das Gespräch über gegenseitige Einladungen zu Festen (und zwar<br />

nicht vorrangig auf übergeordneter Ebene, wo es das gibt- Einladung <strong>der</strong> Muslime zum<br />

Weihnachtsgottesdienst durch das Stuttgarter Lehrhaus o<strong>der</strong> Einladung <strong>der</strong> Moscheen<br />

zum Fastenbrechen) auf ganz persönlicher Ebene wäre für uns ein gutes Beispiel, um<br />

deutlich zu machen, dass <strong>Mission</strong> <strong>Frieden</strong>sarbeit ist und umgekehrt. <strong>Frieden</strong>sarbeit<br />

kann, wenn sie <strong>der</strong> Einladung religiöser Menschen zur Mitfeiern und Mitgestalten an einer<br />

Welt, die <strong>mit</strong> Gott rechnet und sich ihm anvertraut, folgt, nur gewinnen. Die <strong>Schneller</strong><br />

Schulen sind wirklich ein Modell für das Ineinan<strong>der</strong> von <strong>Frieden</strong>sarbeit und <strong>Mission</strong>sarbeit<br />

im Nahen Osten, weil sie vom Charakter <strong>der</strong> Einladung <strong>leben</strong> und Gastfreundschaft<br />

(auch im religiösen Bereich) als ein eine zentrale Kompetenz von Bildung und Erziehung<br />

gelernt wird. Insofern konnten wir gut verstehen, dass ein deutscher Fernsehsen<strong>der</strong><br />

einen Film über die <strong>Schneller</strong> Schulen gedreht und jüngst ausgestrahlt hat, <strong>der</strong> – nach<br />

Musa- die Aussage hat „es ist unglaublich, dass man als Kind, das im Nahen Osten heute<br />

aufwächst, lernt, dass man hier friedlich <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> <strong>leben</strong> kann- aber es geht.“ Selbstkritisch<br />

fügt Musa an, dass die <strong>Schneller</strong> Schulen in <strong>der</strong> Praxis vieles tun, was dem <strong>Frieden</strong><br />

dient, dass die Praxis aber besser evaluiert und reflektiert werden müsse, um wirklich<br />

Modellcharakter zu erhalten („noch sind wir kein Modell – aber wir fangen an eins<br />

zu sein“). Deshalb sei er froh über die Kooperation <strong>der</strong> TSS <strong>mit</strong> den evangelischen Hochschulen<br />

in Deutschland im Rahmen <strong>der</strong> BIDA Studienprojekte und beson<strong>der</strong>s über die<br />

Kooperation <strong>mit</strong> <strong>der</strong> EH Ludwigsburg, die durch Praxisprojekte (die Studierende unserer<br />

EH dort bereits durchführten und durchführen werden), Forschungsprojekte usw. sowie<br />

den am Morgen geschlossenen Kooperationsvertrag große Bereitschaft signalisiert, das<br />

friedenspädagogische Profil <strong>der</strong> TSS als missionarischer Einrichtung zu stärken- und daraus<br />

sicherlich auch für sich selbst als EH zu profitieren.<br />

Wir dankten Musa und den Teilnehmenden für die aktive Diskussion und das Ergebnis,<br />

im Zusammenspiel von <strong>Frieden</strong>s- und <strong>Mission</strong>sarbeit den Bereich <strong>der</strong> Feste stärker zu<br />

verfolgen.<br />

Impulse und Ergebnisse aus <strong>der</strong> Gesprächsrunde <strong>mit</strong> Herrn Dr. Jakob Eisler<br />

Mo<strong>der</strong>ation und Protokoll: Ina Kitroschat, Christian Schweng, Danja Gaedicke; Karin Konnerth,<br />

Iris Schleußinger, Monika Mayer<br />

Nach <strong>der</strong> Begrüßung <strong>der</strong> 21 Personen und Vorstellung <strong>der</strong> Teilnehmenden stiegen wir<br />

<strong>mit</strong> dem ersten Impuls ein: „Was gehört unverzichtbar zur <strong>Mission</strong>?“ Herr Eisler antwortete<br />

<strong>mit</strong> dem Thema seines Inputs: „<strong>Mission</strong> ist tätige Bildungsarbeit.“ Er führte seine<br />

Antwort aus und erklärte, dass <strong>Schneller</strong> im Auftrag des Brü<strong>der</strong>hauses <strong>der</strong> Chrischona<br />

<strong>Mission</strong> seine <strong>Mission</strong> aufbauen sollte und es auch getan hat. Der Auftrag <strong>der</strong> Pilgermission<br />

war: „Gründe in Palästina eine Schule“- das hat <strong>Schneller</strong> befolgt. Die Schulgründung<br />

war also nicht seine Idee, aber er griff diese gerne auf. Der Name „<strong>Schneller</strong>“ o<strong>der</strong><br />

die „Marke <strong>Schneller</strong>“, wie man später sagte, wurde erst durch <strong>Schneller</strong>s Söhne be-<br />

89


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

kannt. Sie veröffentlichten z. B. Bücher über die Pädagogik an den <strong>Schneller</strong> Schulen,<br />

bauten ein Sponsoring und eine Öffentlichkeitsarbeit auf, die Kreise zog und die Schulen<br />

bekannt machte. Das wirkt bis heute: In <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman, wo heute<br />

Christen und Muslime gemeinsam beschult werden, ist dieses interreligiöse Miteinan<strong>der</strong><br />

bereichernd für die Schüler selbst und etwas Beson<strong>der</strong>s, was die Schule nach außen ver<strong>mit</strong>teln<br />

kann- dadurch findet sie Unterstützer und viele Sympathisanten, denn religiöses<br />

Miteinan<strong>der</strong> ist im Nahen Osten ein wichtiger Beitrag zum <strong>Frieden</strong>. Wir tauschten uns<br />

dann über den Zusammenhang von interreligiösem Dialog und <strong>Mission</strong> aus und kamen<br />

zum Schluss, dass <strong>Mission</strong> heute unbedingt dialogisch sein muss, aber auch die Aufgabe<br />

hat, beson<strong>der</strong>s religiösen Min<strong>der</strong>heiten bei <strong>der</strong> Identitätsbildung zu helfen. Herr Eisler<br />

erklärte, dass die Vielzahl <strong>der</strong> christlichen und jüdischen Schulen in Israel z. B. ein Ergebnis<br />

<strong>der</strong> zahlreichen Schulgründungen aus Europa sei. Oftmals fand sich unter den<br />

Schulen ein Wettbewerb zur „orientalischen Frage“. Die Schulen <strong>der</strong> Europäer standen<br />

unter dem Schutz <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> und tun das in Israel zum Teil bis heute.<br />

Das führte auch zum zweiten Impuls über nach den Kür- o<strong>der</strong> Pflichtteilen von <strong>Mission</strong>:<br />

für Herrn Eisler ist Bildung ein unverzichtbarer Pflichtaspekt von <strong>Mission</strong>. Er erklärte,<br />

dass die Verbindung von Bildung und <strong>Mission</strong> historisch begründet sei. Sie wurzelt im<br />

Pietismus. Wichtig sei allerdings, den Bildungsbegriff zu klären. <strong>Mission</strong>, die Bildung<br />

bringt, darf das nicht kolonialistisch tun. Bis heute gibt es unterschiedliche Meinungen<br />

darüber, ob die <strong>Schneller</strong> Schulen ein Teil des Kolonialismus waren, denn die Frauen<br />

und Männer bei den <strong>Schneller</strong>s trugen z. B. deutsche, württembergische Kleidung, lebten<br />

deutsche Gewohnheiten, Liedgut usw. weiter und lehrten die orientalischen Kin<strong>der</strong> z. B.<br />

europäische Instrumente <strong>lernen</strong>. Es gab in <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule einen Posaunenchor, ein<br />

Streichorchester usw. die ganz an<strong>der</strong>e Musik machten, als die orientalischen Kin<strong>der</strong> es<br />

kannten. Herr Eisler macht deutlich, dass Menschen, die <strong>mit</strong> einer <strong>Mission</strong> auch Bildung<br />

bringen wollen, nicht nur fragen sollen, welches Wissen in <strong>der</strong> Ferne gebraucht wird,<br />

son<strong>der</strong>n auch, welches Wissen sie bekommen und für sich selbst <strong>mit</strong>nehmen wollen und<br />

können. Er zitiert einen deutschen Lehrer an den <strong>Schneller</strong> Schulen, <strong>der</strong> sagte: „Wir waren<br />

nicht nur die Lehrer, son<strong>der</strong>n zugleich die Lernenden“. Solche Sätze waren 1860 revolutionär.<br />

Wichtig ist, die Schüler und Schülerinnen bei noch so guten Bildungsabsichten<br />

nie aus <strong>der</strong> Tradition und Kultur des eigenen Landes herauszureißen, son<strong>der</strong>n ihre<br />

Kultur als Basis von Bildung zu betrachten. Das haben die <strong>Schneller</strong>s – trotz ihrer<br />

schwäbischen Vorlieben und Bildungsideale, die sie importierten- auch getan und sich<br />

darum bemüht. Es entstand eine Diskussion darüber, wie religiöse Werte o<strong>der</strong> Glaubensinhalte<br />

<strong>mit</strong> Bildungsbemühungen in <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> zu verbinden sind – bzw. ob man beides<br />

verbinden dürfe o<strong>der</strong> solle. Da gingen die Meinungen auseinan<strong>der</strong>. Einig wurden wir<br />

uns, dass Bildung nie wertneutral ist und dass christlich geprägte Bildung unter an<strong>der</strong>en<br />

Voraussetzungen geschieht als eine jüdisch o<strong>der</strong> muslimisch geprägte Bildung. Wir überlegten,<br />

wie christliche Bildungseinrichtungen ein christliches Profil zeigen können und<br />

dennoch Bildungsorte für alle Kin<strong>der</strong> und Jugendliche an<strong>der</strong>er kultureller o<strong>der</strong> religiöser<br />

Herkunft sein o<strong>der</strong> werden könnten. Viele von uns Studierenden fanden es völlig in Ordnung,<br />

dass <strong>Schneller</strong> seinen Glauben o<strong>der</strong> auch seine Musik einbrachte und das auch den<br />

orientalischen Kin<strong>der</strong>n anbot – dadurch konnten diese eine Vorstellung vom Glauben<br />

gewinnen und Bildung durch Vorbil<strong>der</strong> erhalten. Wichtig ist, die Kin<strong>der</strong> dabei nicht zu<br />

entfremden, son<strong>der</strong>n neu zu verwurzeln- darin sahen wir ein wichtiges Ziel von Bildung.<br />

Bei <strong>der</strong> dritten Frage: „Brauchen wir ein neues Wort für <strong>Mission</strong>?“ versuchten wir für<br />

uns das Wort erst noch einmal zu definieren. Wir wurden uns einig, dass das Wort ein<br />

wichtiger Begriff <strong>der</strong> christlichen Tradition ist und bereits Jesus auffor<strong>der</strong>t, das Evangeli-<br />

90


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

um bis an die Enden <strong>der</strong> Erde zu verkündigen. Deshalb wollen wir den Begriff nicht aufgeben.<br />

Uns wurde es wichtig, Verkündigung nicht nur als Wortverkündigung zu verstehen,<br />

son<strong>der</strong>n als Tat, die vom Wort getragen ist. Für uns bedeutet <strong>Mission</strong>: das christliches<br />

Leben vor<strong>leben</strong>, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s: Nach<strong>leben</strong> und öffentlich machen, was Jesus vorgelebt<br />

hat. Wir überlegten, wo und wie sich <strong>Mission</strong> und Diakonie unterscheiden. Obwohl das<br />

Handeln z. B. an Kranken oft ähnlich sein kann, wendet die Diakonie sich dem Kranken<br />

zu und hilft oft eher im Verborgenen. <strong>Mission</strong> hilft ebenso, kann und möchte dazu evtl.<br />

auch erklären, warum man hilft und erhofft sich, dass die Tat den einzelnen und Menschen<br />

in seinem Umfeld sensibel macht für Gottes Wort. Ob jemand dann durch die<br />

<strong>Schneller</strong> Schule o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>es einen Weg zum Glauben findet, ist Gottes Sache. Gott ist<br />

<strong>der</strong> „<strong>Mission</strong>ar“, <strong>der</strong> einlädt und ruft. Weil das Wort <strong>Mission</strong> an unserer EH auch ein<br />

„Gschmäckle“ hat, würden wir es gerne als „Positives Vor<strong>leben</strong>“ erklären. Mehrere Leute<br />

brachten in die Diskussion ein, dass es heute <strong>Mission</strong> nicht nur im Ausland braucht,<br />

son<strong>der</strong>n ganz beson<strong>der</strong>s auch in Deutschland. Kaum jemand kennt mehr die Bedeutung<br />

von Weihnachten o<strong>der</strong> Pfingsten o<strong>der</strong> kann christliche Feste christlich feiern. Es ist bei<br />

uns wichtig, die christlichen Inhalte weiterzugeben- deshalb studieren wir ja auch Religionspädagogik<br />

o<strong>der</strong> Soziale Arbeit. In Deutschland sollte je<strong>der</strong> und jede ein christliches<br />

Grundwissen haben- das kann durch <strong>Mission</strong> und Bildung erreicht werden und ist dringend<br />

dran. Man sollte nicht allein den Katechismus <strong>lernen</strong> (im Konfirmandenunterricht<br />

z. B.), son<strong>der</strong>n wissen und erfahren, was die Inhalte fürs eigene Leben bedeuten können.<br />

Auch bei uns ist kolonialistisches Lernen nicht <strong>der</strong> Königsweg missionarischer Bildung,<br />

son<strong>der</strong>n ein Lernen durchs und vom Leben. Es sollte an unserer EH – und auch sonst –<br />

möglich sein, sich als Christ outen zu dürfen und seine christliche Identität zu zeigen,<br />

ohne belächelt zu werden o<strong>der</strong> als unwissenschaftlich o<strong>der</strong> weltfremd abgestempelt zu<br />

werden. <strong>Mission</strong> in Deutschland könnte helfen, den Menschen Mut zu machen, zu ihrer<br />

christlichen Identität zu stehen- ohne dadurch Min<strong>der</strong>heitenreligionen an den Rand zu<br />

drängen. Zum Schluss diskutierten wir noch über das Verhältnis von Min<strong>der</strong>heits- und<br />

Mehrheitsreligionen und ihren Einfluss auf Bildungsinhalte und -einrichtungen in einem<br />

Staat.<br />

Fazit: Durch Bildung können Christen vor<strong>leben</strong> (Das ist <strong>Mission</strong>), was Ebenbildlichkeit<br />

im christlichen Sinne bedeuten kann: dass je<strong>der</strong> einzelne Mensch sich als wertvoll, geliebt<br />

und verantwortlich fürs Ganze begreift und sich selbst und an<strong>der</strong>e dazu bildet.<br />

Impulse und Ergebnisse aus <strong>der</strong> Gesprächsrunde <strong>mit</strong> Frau Prof.Dr. Däubler Gmelin<br />

Geplante Mo<strong>der</strong>ation und Protokoll: David Schmückle, Daniel Stamler, Sarah Mohr,<br />

Carina Straub, Eva Volk: diese Gruppe entfiel, da Frau Däubler Gmelin kurzfristig absagte.<br />

Die Studierenden teilten sich auf die an<strong>der</strong>en Gruppen auf.<br />

91


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

Impulse und Ergebnisse aus <strong>der</strong> Gesprächsrunde <strong>mit</strong> Frau Traub, Frau Corbo Mesic<br />

und Frau Prof. Dr. Baur<br />

Mo<strong>der</strong>ation und Protokoll: Ricarda Müller, Sabine Metger, Nadine Wächter, Moritz Wil<strong>der</strong>muth<br />

Nach <strong>der</strong> Begrüßung und Vorstellung unserer ca. 30 Personen starken Gruppe stiegen wir<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> ersten Impulsfrage ein, fragten aber nicht, was unverzichtbar zur <strong>Mission</strong> gehört,<br />

son<strong>der</strong>n was <strong>Mission</strong> genau ist- suchten also erst einmal eine Begriffsklärung. Frau Corbo<br />

Mesic sagte: „<strong>Mission</strong> ist im Leben. Es ist das Leben, das christlich o<strong>der</strong> muslimisch usw.<br />

geführt wird und überzeugt.“ Frau Traub sah das an<strong>der</strong>es. Sie würde den Begriff, <strong>der</strong> eh<br />

kein Begriff ihrer Religion sei, nicht benutzen o<strong>der</strong> auch nur schwer akzeptieren. Er sei<br />

zu stark negativ belastet (Zwangsmissionierung usw.). Man kann ihrer Meinung nach<br />

heute nicht objektiv über <strong>Mission</strong> sprechen o<strong>der</strong> <strong>Mission</strong> definieren. Wenn es um ein<br />

überzeugendes Vor<strong>leben</strong> ginge, reiche <strong>der</strong> Begriff, dafür müsse man das Wort <strong>Mission</strong><br />

nicht benutzen. Juden hätten von Gott keinen Auftrag zur Bekehrung von Nichtjuden<br />

erhalten und das würde sie auch von an<strong>der</strong>en Religionen ihr gegenüber erbitten. Frau<br />

Baur sah das an<strong>der</strong>s. Ihrer Meinung nach ist <strong>Mission</strong> eine einladende und überzeugende<br />

Lebensart, die Zeugnis gibt vom christlichen Glauben (in an<strong>der</strong>en Religionen vom muslimischen<br />

usw) und dadurch den Glauben und Gott selbst ins Miteinan<strong>der</strong> einbringen<br />

möchte. <strong>Mission</strong> zielt darauf, vor Augen zu führen, dass Gott selbst die Mitte des eigenen<br />

Lebens und <strong>der</strong> Gesellschaft ist und Menschen sich nicht selbst zu Gott machen sollen,<br />

son<strong>der</strong>n Gott als einem Gegenüber zum eigenen Selbst verantwortlich sind. Ein Leben <strong>mit</strong><br />

und vor Gott- in rechter Weise- würde eine Gesellschaft humaner und gerechter machen.<br />

<strong>Mission</strong> ist also eigentlich eine Einladung zum Perspektivenwechsel, sich selbst, den An<strong>der</strong>en<br />

und die Welt <strong>mit</strong> den Augen Gottes sehen zu <strong>lernen</strong> und dann wie Jesus zu handeln.<br />

Insofern ist <strong>Mission</strong> nichts Verwerfliches, son<strong>der</strong>n etwas sehr wichtiges in und für<br />

eine humane Gesellschaft. Die drei Statements for<strong>der</strong>ten uns heraus, über Elemente von<br />

<strong>Mission</strong> ins Gespräch zu treten. Jemand fragte: „Fängt <strong>Mission</strong> nicht <strong>mit</strong> dem Hören<br />

an?“ Wir überlegten, dass <strong>Mission</strong> in <strong>der</strong> kolonialistischen Zeit wohl mehr ein Erzählen<br />

als ein Hören war. Heute geht es mehr ums Zuhören, Hinhören auf die Bedürfnisse des<br />

An<strong>der</strong>en und um ein Reagieren. Ideal ist, wenn Beides Raum hat, sodass Handeln und<br />

Hören zusammen fallen. Frau Traub erklärte, dass im Judentum das „Hören“ ein Ausdruck<br />

von Respekt ist. Deshalb geht es beim Glauben auch zuerst um das Hören auf Gottes<br />

Wort, um den Respekt Gott gegenüber. Das Wort „Schalach“ im Judentum bedeutet,<br />

dass Gott Botschaften sendet. Diese können Menschen hören o<strong>der</strong> lesen. Senden<strong>der</strong> ist<br />

immer Gott selbst. Frau Baur nimmt den Gedanken auf und baut eine Brücke zur <strong>Mission</strong>.<br />

Auch im christlichen Verständnis ist Gott Senden<strong>der</strong>, Botschafter und Urheben <strong>der</strong><br />

<strong>Mission</strong>: Gott ruft und lädt ein, Menschen sind als <strong>Mission</strong>are Handlanger Gottes.<br />

In einer zweiten Runde beschäftigen wir uns <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frage, was <strong>Mission</strong> ausmacht. Muss<br />

man die Bibel immer auf den Lippen haben? Frau Traub macht deutlich, dass so etwas<br />

im Judentum nicht groß angesehen wäre. Wichtig ist weniger, was Menschen religiös sagen,<br />

son<strong>der</strong>n wie sie <strong>leben</strong>. Das Judentum ist nicht eine Religion <strong>der</strong> Orthodoxie, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Orthopraxie. Es gibt das Gesetz in <strong>der</strong> Thora, das uns aufträgt, nach unserem<br />

Bru<strong>der</strong> (unserer Schwester) zu schauen und Gerechtigkeit zu <strong>leben</strong>- je besser wir das tun,<br />

umso eher kommt <strong>der</strong> Messias. Deshalb ist je<strong>der</strong> und jede aufgerufen, gute Werke zu tun<br />

im Sinne von: Was Du nicht möchtest, was man Dir tu, das füg auch keinem an<strong>der</strong>en<br />

zu“. Eine <strong>Mission</strong>, die Frau Traub überzeugen würde, wäre ein <strong>Mission</strong> <strong>der</strong> guten Werke<br />

Was das bedeutet, kann man <strong>der</strong> Tora entnehmen (Gebote und Verbote). Eine <strong>Mission</strong>,<br />

die Barmherzigkeit ver<strong>mit</strong>telt, wäre eine überzeugende <strong>Mission</strong>. Das kann man gut in<br />

92


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

den eigenen Kreisen <strong>lernen</strong>. Aus diesem Grunde grenzen sich streng orthodoxe Juden<br />

auch von <strong>der</strong> Welt und Menschen <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>er Religion ab (geben ihnen nicht die Hand<br />

usw), weil sie die Barmherzigkeit Gottes zunächst unter sich aufzubauen suchen. Frau<br />

Corbo Mesic relativiert diesen Gedanken etwas. Auch sie findet, dass <strong>Mission</strong> durch gutes<br />

Handeln gezeigt wird und dass das die <strong>Mission</strong> ausmacht, allerdings gilt nicht nur die<br />

sichtbare Tat, son<strong>der</strong>n das Bemühen zählt. <strong>Mission</strong> ist das Bemühen, es Gott und den<br />

Menschen recht zu machen und richtig zu handeln. Einige Studierende und auch Frau<br />

Baur „wittern“ da eine Werkgerechtigkeit, die die <strong>Mission</strong> nun auf einmal am Handeln<br />

des Menschen und nicht an Gottes Handeln fest macht. Im Gespräch stellen wir fest,<br />

dass dieser Punkt in <strong>der</strong> Tat kontrovers ist, da das eigene Handeln und das richtige Leben<br />

in <strong>der</strong> Jetztzeit für Frau Traub und Frau Corbo eine Weichenstellung für das Ge- o<strong>der</strong><br />

Misslingen von <strong>Mission</strong> darstellt.<br />

In einem dritten Teil fragen wir nach dem Verhältnis von Dialog und <strong>Mission</strong>. Provokativ<br />

steigen wir ein <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frage, ob nur „Ungläubige“ missioniert werden sollen und die<br />

Gläubigen im Dialog verharren? Frau Traub kann dieser Sicht einiges abgewinnen. Sie<br />

möchte nicht von Christen o<strong>der</strong> Muslimen missioniert werden, son<strong>der</strong>n erwartet, dass<br />

man sie als gläubige Person ernst nimmt und nicht zu bekehren sucht, wohl aber von ihr<br />

<strong>lernen</strong> möchte und sie auch <strong>lernen</strong> möchte, was an<strong>der</strong>e glauben. Sie plädiert dafür, den<br />

Begriff <strong>Mission</strong> durch den des Dialoges zu ersetzen. Auch <strong>mit</strong> säkularen o<strong>der</strong> „ungläubigen“<br />

Menschen sei es möglich, in einen Dialog über Gott und den Glauben zu treten,<br />

aufeinan<strong>der</strong> zu hören und einan<strong>der</strong> <strong>mit</strong>zuteilen. Frau Corbo Mesic bestätigt diese Meinung.<br />

Wenn <strong>Mission</strong> „Dienst am Nächsten“ sei, dann darf es nicht darum gehen, gläubige<br />

Christen o<strong>der</strong> Juden vom eigenen Glauben wegzubringen, son<strong>der</strong>n sie in ihrem Glauben<br />

zu bestärken und weiterzubringen. Das genau könne <strong>der</strong> Dialog leisten. Man würde<br />

durch an<strong>der</strong>e Sichtweisen genötigt, das eigene noch mal zu überdenken und sich selbst<br />

besser zu finden- auch wenn Anfragen an den eigenen Glauben oft hart sind. Und wenn<br />

jemand dann für sich keine Antworten in <strong>der</strong> eigenen Tradition findet o<strong>der</strong> konvertieren<br />

möchte, wäre das ein Risiko des Dialogs, das dazu gehört, was aber nicht das Ziel von Dialogen<br />

sein darf. Für sie ist gelungene <strong>Mission</strong> ein offener Dialog, indem beide Parteien ihren<br />

Glauben einbringen und einan<strong>der</strong> anfragen können. Das sei im Islam auch ausdrücklich so<br />

gewollt (Verweis auf eine Sure, die die Vielfalt <strong>der</strong> Menschen und Religionen als gottgewollt<br />

betrachtet). Zwangsmissionierung im Sinne von Bekehrung <strong>mit</strong> dem Schwert o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Gewalt sei nicht islamisch. Es gab etliche Rückfragen, z. B. ob die islamische <strong>Mission</strong> das<br />

„Haus des Islam“ nicht weltweit errichten wolle und wir alle Muslime werden sollen (die<br />

wir nach dem Koran ja eigentlich schon sind). Frau Corbo Mesic verneinte diese Befürchtung,<br />

bedauerte aber, dass die Medien ein so gewaltbereites Bild vom Islam verbreiten,<br />

dass Christen heute Angst hätten, <strong>der</strong> Islam würde die ganze Welt regieren. Wir verglichen<br />

diese Gedanken <strong>mit</strong> dem christlichen Verständnis zum Verhältnis von Dialog<br />

und <strong>Mission</strong>. Wir waren uns einig, dass es uns in Deutschland gut täte, wenn hier mehr<br />

Menschen, die Christen sind, missioniert würden, d.h. gestärkt würden, den eigenen<br />

christlichen Glauben kennen zu <strong>lernen</strong> und auch zu vertreten. Viele wissen nicht, warum<br />

sie getauft sind, warum es einen ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag gibt usw. Es<br />

mangelt an Bildung über das Christentum und an Erfahrungsmöglichkeiten, ein <strong>leben</strong>diges<br />

Christentum zu er<strong>leben</strong>. <strong>Mission</strong> als „christliche Elementarbildung“ wäre angesagt.<br />

Frau Baur unterstütze dieses Anliegen und machte deutlich, dass <strong>Mission</strong> immer zwei<br />

Seiten hat: sie dient dem An<strong>der</strong>en durch Wohltaten, aber sie steht auch im Dienst <strong>der</strong> eigenen<br />

religiösen Identitätsbildung. Nur wer sprachfähig und handlungsfähig ist im eigenen<br />

Glauben, wird auch den an<strong>der</strong>en im Dialog o<strong>der</strong> in Begegnungen als Gegenüber<br />

wertschätzen können, das auch mir etwas zu sagen hat. Der Sinn interreligiöser Dialoge<br />

93


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

bestünde darin, <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> im Glauben reifen zu können- da haben Bevormundung o<strong>der</strong><br />

Herrschaftsansprüche keinen Platz. Allerdings setzt so ein missionarischer Dialog<br />

selbstsichere Menschen voraus, die gut verwurzelt sind und sich zugleich infrage stellen<br />

und weiterentwickeln können und wollen. Wir überlegten, wie es gelingen kann, standhaft<br />

in <strong>der</strong> eigenen Religion zu sein und zugleich dialogoffen und dialogfähig zu sein. Es<br />

erfor<strong>der</strong>t z. B. das Angebot eines jüdischen, christlichen und muslimischen Religionsunterrichts<br />

in den Schulen- aber zusätzlich auch gemeinsame Stunden o<strong>der</strong> Aktionen, wie<br />

es z. B. <strong>der</strong> Abrahamgarten <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule ermöglicht. Dann sprachen wir auch<br />

über Persönlichkeitsstrukturen von Menschen, die heute in die <strong>Mission</strong> gehen und darüber,<br />

was wir als Diakone/innen <strong>mit</strong>bringen sollten, um in unserem Bereich missionarisch<br />

und dialogisch arbeiten zu können.<br />

Zum Schluss fragten einige Teilnehmenden noch nach den interreligiösen Dialogen/<br />

Seminaren an unserer Hochschule und wie es uns da<strong>mit</strong> ginge. Frau Traub sagte, dass sie<br />

die Hochschule sehr positiv er<strong>leben</strong> würde. Diese stärke und för<strong>der</strong>e die eigene religiöse<br />

Identität z. B. dadurch, dass in den Seminaren immer auch eine christliche Dozierende<br />

anwesend sei, die Anfragen, die durch ihre Inputs im Raum stünden, für die Studierenden<br />

in den christlichen Kontext übertragen könne. Zudem sei sie froh, dass man hier<br />

nicht aus Büchern o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> einer Einladung zu einer einmaligen ein-zweistündigen Lehrveranstaltung<br />

im Semester über „das Judentum“ lehren würde, son<strong>der</strong>n die Studierenden<br />

<strong>mit</strong> ihr in Dialog treten könnten. Für sie sei das gut gelebte <strong>Mission</strong>. Frau Corbo Mesic<br />

bestätigte das, bedauerte allerdings, dass viele Studierende ein Bild vom Islam <strong>mit</strong> ins<br />

Seminar brächten, das von den Medien transportiert würde und den Islam als bedrohlich<br />

darstellen würde. So ist es oft gar nicht leicht, wirklich in einen Dialog zu treten, da die<br />

Aufarbeitung <strong>der</strong> Vorurteile einen sehr großen Raum einnehmen würde. Allerdings sei<br />

das auch die Chance <strong>der</strong> wöchentlichen Zusammenarbeit: dadurch, dass die Studierenden<br />

ein Semester lang <strong>mit</strong> ihr zusammen arbeiten würden, hätten sie genügend Zeit, um<br />

schwierige Themen des Dialogs auszutauschen. <strong>Mission</strong> bedeutet auch, in die Tiefen des<br />

Glaubens einzusteigen durch Dialog. Das sei an <strong>der</strong> EH gut möglich. Frau Baur schloss<br />

das Ganze ab, indem sie nochmals auf den Anfang aufmerksam machte und die Bedeutung<br />

des Zuhörens betonte. Dialoge <strong>leben</strong> vom Zuhören und Zuhören wollen- dazu muss<br />

man manchmal auch etwas genötigt werden, aber auch das gehört zur <strong>Mission</strong>- sich etwas<br />

anzuhören o<strong>der</strong> zu er<strong>leben</strong>, was zum Fragen anregt und da<strong>mit</strong> Interesse weckt. Interesse,<br />

d.h. Dabei Sein ist die Basis von Dialog und <strong>Mission</strong> o<strong>der</strong> besser: dialogischer missionarischer<br />

Arbeit.<br />

Obwohl wir die <strong>Schneller</strong> Schulen ab und zu als Anschauungspunkt erwähnten, diskutierten<br />

wir doch eher am Thema entlang und fragten nach dem Verhältnis von Dialog<br />

und <strong>Mission</strong> heute bei uns.<br />

94


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

5. Podiumsdiskussion: Zum Für und Wi<strong>der</strong> von <strong>Mission</strong> für den<br />

<strong>Frieden</strong> in einer Gesellschaft<br />

Mo<strong>der</strong>ation <strong>der</strong> Podiumsdiskussion durch Prof. Dr. Annette Noller von <strong>der</strong> EH Ludwigsburg.<br />

Teilnehmende auf dem Podium: Pfarrer Andreas Maurer (Stuttgart); Musa Al Munaizel (pädagogischer<br />

Leiter <strong>der</strong> TSS, Amman); Ghazi Musharbash (Leiter <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman,<br />

Amman); Dr. Jakob Eisler (Landeskirchliches Archiv Stuttgart); Prof. Dr. Samir Akel (Reutlingen),<br />

Barbara Traub MA (Israelitische Religionsgemeinschaft Stuttgart, Lehrbeauftragte an <strong>der</strong><br />

EH), Emina Corbo-Mesic (islamische Religionspädagogin, CIG Stuttgart, Lehrbeauftragte an <strong>der</strong><br />

EH)<br />

1. Thema: Brauchen wir heute noch einen <strong>Mission</strong>sbegriff – und wenn ja, welchen?<br />

Noller: Brauchen wir heute den <strong>Mission</strong>sbegriff überhaupt noch? An unserer Hochschule<br />

ist das Wort „<strong>Mission</strong>“ immer wie<strong>der</strong> ein Reizwort. In den Gesprächsgruppen haben wir<br />

sehr kontrovers darüber diskutiert, ob es heute noch sinnvoll ist, den Begriff <strong>der</strong> „<strong>Mission</strong>“<br />

zu gebrauchen. Es interessiert uns, was Sie an Erkenntnissen dazu aus Ihren Gruppen<br />

<strong>mit</strong>bringen und ob- o<strong>der</strong> wie- Sie den Begriff <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> heute verwenden würden:<br />

� Eisler: Wir brauchen heute nicht unbedingt das Wort <strong>Mission</strong>, aber wir brauchen<br />

seinen Inhalt: in einer freien Gesellschaft soll je<strong>der</strong> Mensch seinen Glauben <strong>leben</strong><br />

können. Dafür sollten sich alle, die <strong>Mission</strong> bei uns o<strong>der</strong> woan<strong>der</strong>s betreiben, einsetzen.<br />

<strong>Mission</strong>sfreiheit als überall lebbare Glaubensfreiheit ist ein Menschenrecht.<br />

� Corbo Mesic: Das sehe ich auch so, aber man muss das Handeln auch erklären.<br />

<strong>Mission</strong> ist ein umstrittenes Wort. Wenn man ein neues wählt, muss man erklären,<br />

warum man das tut und warum man das Wort <strong>Mission</strong> aufgibt. Ich halte es<br />

für besser, das Wort „<strong>Mission</strong>“ weiter zu benutzen, aber es dann auch zu erklären.<br />

Christen, die z. B. in muslimischen Län<strong>der</strong>n missionieren, müssen erklären, was<br />

sie dort tun und was sie lassen<br />

� Musharbash: Dennoch wird es Muslimen oft schwer fallen, das zu verstehen. Wir<br />

er<strong>leben</strong> das in Jordanien. Dort gibt es viele Muslime, für die ist <strong>der</strong> Islam „Da<br />

hour“- die letzte Stunde. Sie denken, <strong>der</strong> Islam ist die beste, letzte und für alle<br />

Menschen beste Religion. Deshalb verbreiten sie Islam – oft <strong>mit</strong> fundamentalistischen<br />

Methoden. Wenn wir in <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule <strong>Mission</strong> betreiben, dann denken<br />

Muslime in Jordanien, die uns nicht kennen, dass wir überall das Christentum<br />

verbreiten wollen- sie übertragen ihr Denken auf unseres und bekommen Angst.<br />

Aus diesem Grunde sagen wir: <strong>Mission</strong> „ja“, aber <strong>Mission</strong> als Zeugnis- christian<br />

widness.<br />

� Maurer: Dass wir auch heute einen <strong>Mission</strong>sbegriff brauchen, zeigt, dass wir darüber<br />

diskutieren. Wir sprechen heute im EMS nicht mehr von Evangelisation,<br />

son<strong>der</strong>n von Zeugnis. Für mich ist das beste Bild für <strong>Mission</strong> immer noch ein Bibelwort<br />

des Paulus: „Wir sind ein Brief Christi“ – d.h. wir Christen sollen zu den<br />

Menschen kommen und den Menschen zugewandt sein. Die tiefsten religiösen<br />

Begegnungen habe ich übrigens immer <strong>mit</strong> religiös überzeugten Menschen- solche<br />

Menschen braucht unserer Gesellschaft und auch deshalb brauchen wir <strong>Mission</strong>are/<strong>Mission</strong>arinnen<br />

und <strong>Mission</strong> auch weltweit und hier.<br />

95


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

� Akel: Auf <strong>der</strong> einen Seite stimme ich zu. Ja, wir brauchen das Wort <strong>Mission</strong> weiter<br />

in unserem Sprachschatz und unter uns. Aber ich frage auch kritisch: „Brauchen<br />

wir heute wirklich Standpunktbekenntnisse?“ Wir sind ein Tendenzbetrieb. Auch<br />

diese Hochschule ist ein Tendenzbetrieb. D.h. man kann davon ausgehen, dass<br />

christliches Leben und Denken das Lernen und Leben hier vor Ort bestimmt.<br />

<strong>Mission</strong> braucht immer solche äußeren Rahmenbedingungen. Wenn man bestimmte<br />

Rahmenbedingungen einhält o<strong>der</strong> schafft, ist es unabdingbar, dass man<br />

seinen Standpunkt vertreten kann. Doch ich kann nicht <strong>Mission</strong> in einem Land<br />

o<strong>der</strong> in einer Einrichtung betreiben, wo diese äußeren Rahmenbedingungen nicht<br />

vorhanden sind. <strong>Mission</strong> hat sich auch dafür einzusetzen, dass <strong>der</strong> Rahmen<br />

stimmt, nicht nur für die Inhalte. Insofern sage ich: <strong>Mission</strong> –ja, aber es ist eine<br />

Berufung, Amt und Würde, beides zusammen zu bringen.<br />

Zwischenergebnis: Die an<strong>der</strong>en Teilnehmenden bestätigen, dass es heute sinnvoll ist, den<br />

<strong>Mission</strong>sbegriff neu zu be<strong>leben</strong>, ihn aber nicht aufzugeben. Allerdings müsse er in<br />

Deutschland z. B. gegenüber <strong>der</strong> Diakonie o<strong>der</strong> Caritas profiliert werden, da unter dem<br />

Dach <strong>der</strong> Sozialen Arbeit <strong>Mission</strong> und Diakonie als gleiches Handeln verstanden werden<br />

könnte, ohne dass man die jeweiligen Profile <strong>der</strong> einzelnen Bereiche kennt. Einig war<br />

sich die Gruppe, dass <strong>Mission</strong> in jeweilige Kulturen zu übersetzen sei und es dringend<br />

angesagt ist, die unterschiedlichen religiösen Implikationen von <strong>Mission</strong> offen zu legen<br />

und zu diskutieren.<br />

2. Thema: Der Zusammenhang von Diakonie/ Sozialem Handeln und <strong>Mission</strong><br />

Noller: Wenden wir uns dem Zusammenhang von Diakonie, Sozialem Handeln und<br />

<strong>Mission</strong> zu. Die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen ist eine Bewegung, die wir auch<br />

von <strong>der</strong> Diakonie her kennen. Genügt das: Erweckt? – Berufen? – Bekehrt? Fehlt<br />

da heute nicht etwas?<br />

� Akel: Die Kirche in Württemberg ist gespalten. Eine Gruppe vertritt eine evangelikale<br />

Position, die das evangelische Christentum in Württemberg zum Maßstab<br />

des eigenen Handelns und des Urteiles über An<strong>der</strong>e macht. Eine an<strong>der</strong>e Gruppe<br />

vertritt eine ökumenische Position. Sie billigen jedem seinen Glauben zu, achten<br />

aber darauf, dass man gemeinsame Werte vertritt und lebt. Die Evangelikalen<br />

werden kein Geld o<strong>der</strong> Menschen in die <strong>Mission</strong> schicken, wenn die Bekehrung<br />

fehlt und umgekehrt werden die Ökumeniker es nicht tun, wenn Menschenrechte<br />

und <strong>Frieden</strong> nicht gewährleistet werden. D.h.: das diakonische Handeln ist nie<br />

zwecklos- je<strong>der</strong> handelt, da<strong>mit</strong> seine Ziele besser verwirklicht werden. Auch das<br />

diakonische Handeln, das neben dem Erweckt- Berufen- und Bekehrtwerden fehlt<br />

-o<strong>der</strong> die Soziale Arbeit- ist dem Zweck <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> unterstellt. Darüber streiten<br />

wir uns.<br />

� Maurer: Ich kann das bestätigen und an unserem <strong>Schneller</strong> Magazin (Zeitschrift<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen) verdeutlichen: Wir berichten von Notsituationen und unserem<br />

Wirken im Nahen Osten, aber wir richten unsere Arbeit nicht nach möglichen<br />

Spen<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Spen<strong>der</strong>innen aus. Wir stehen zum interreligiösen Profil unserer<br />

Schulen, auch wenn manche Evangelikale gerne Kreuze und an<strong>der</strong>e christliche<br />

Symbole in unseren Klassenzimmern sehen würden- und wir von ihnen mehr<br />

Geld für unsere Arbeit erhalten könnten (da bekanntlich die Spendenbereitschaft<br />

etlicher Evangelikaler größer ist als die <strong>der</strong> ökumenisch Gesinnten) Wir halten es<br />

da <strong>mit</strong> <strong>Schneller</strong>: er hat <strong>mit</strong> großem Einfühlungsvermögen für Menschen missio-<br />

96


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

niert und vor Ort gesehen, was Menschen brauchen- ohne diese Haltung, die <strong>Mission</strong><br />

ausmacht, würden wir heute nicht das 150 jährige Bestehen <strong>der</strong> Scheller<br />

Schulen feiern. Diakonisches Sehen ist die Basis für missionarisches Wirken<br />

� Eisler: Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> übernahm die Hausvatertätigkeit im Brü<strong>der</strong>haus.<br />

Das Brü<strong>der</strong>haus sollte das christliche Leben vor<strong>leben</strong>. Die Menschen, die dort<br />

hinkamen, sollten nicht getauft werden. Jüdisch gesagt: sie sollten Mensch werden<br />

können. Es geht bei <strong>der</strong> <strong>Mission</strong>, wie <strong>Schneller</strong> sie lebte, nicht um eine Religion<br />

aus Büchern o<strong>der</strong> um Bekenntnisse von richtigem und falschem Glauben (wie lei<strong>der</strong><br />

oft in <strong>der</strong> Geschichte o<strong>der</strong> auch heute), son<strong>der</strong>n ums Mensch werden durch<br />

missionarische Unterstützung von außen.<br />

� Musharbash: Das kann ich an einem konkreten Beispiel verdeutlichen: Jeden<br />

Abend werden die Grabeskirche in Jerusalem und die Geburtskirche in Bethlehem<br />

von einem muslimischen Wächter abgeschlossen und bewacht. Der Mann in<br />

Bethlehem sagte zu mir: „Ich bin Muslim – Du bist Lutheraner“. Ich will, dass Du<br />

hier beten kannst und deshalb schütze ich Deine Kirche und Euch Christen vor<br />

einigen Fundamentalisten in meinen eigenen Reihen, die in Christen die Feinde<br />

des Koran sehen.“ Ist das Diakonie o<strong>der</strong> ist das <strong>Mission</strong>? Ich denke, es ist Zeugnis<br />

vom eigenen Glauben, <strong>der</strong> auch kritisch auf Missstände im eigenen schaut. Für<br />

mich ist das <strong>Mission</strong> im Dialog. <strong>Mission</strong>, die wir heute brauchen ist Dialogfähigkeit,<br />

sich -wie die <strong>Schneller</strong> Schulen- für benachteiligte o<strong>der</strong> bedrängte Menschen<br />

einzusetzen, da<strong>mit</strong> diese ihre Religion <strong>leben</strong> können- gerade wenn sie oft nirgendwo<br />

an<strong>der</strong>s Hoffnung finden. Diakonie hilft konkret, <strong>Mission</strong> schenkt Hoffnung<br />

auch über das konkrete Handeln hinaus. Beide brauchen einan<strong>der</strong>. Wir sagen:<br />

wir müssen „onest“sein.<br />

� Corbo Mesic: Ich würde es nie wagen, jemanden bekehren zu wollen. Ich sehe es<br />

als Ehre, dass ich als Muslima geboren worden bin- und so sehe ich auch an<strong>der</strong>e<br />

und erwarte, dass sie mich in meiner Ehre nicht verletzen wollen- auch wenn ich<br />

mal Hilfe benötige.<br />

� Akel: Diese Bewusstsein hatten die Christen im Nahen Osten auch lange. Sie sahen<br />

es als Ehre, im Lande Jesu <strong>leben</strong> zu dürfen und dort <strong>leben</strong>dige Zeugen des<br />

Christentums zu sein. Heute ist ihre Ehre gekränkt: Es gibt einen Schwund <strong>der</strong><br />

Christen aus dem Orient. Unsere Kin<strong>der</strong> können dort nicht christlich erzogen<br />

werden. Sie finden nicht genügend christliche Schulen, die bezahlbar sind und den<br />

christlichen Kin<strong>der</strong>n Bildung und Werteorientierung geben. Anschläge auf christliche<br />

Gotteshäuser greifen um sich und führen dazu, dass Christen Angst haben,<br />

zur Kirche zu gehen und ihren christlichen Glauben zu <strong>leben</strong>, z. B. den Sonntag<br />

zu feiern. Mehr <strong>Mission</strong> wäre hier stabilisierend.<br />

� Al Munaizel: Das ist lei<strong>der</strong> auch die Situation von uns Christen in Jordanien. Wir<br />

werden weniger, obwohl Jesus bei uns um die Ecke geboren wurde. Meiner Meinung<br />

nach muss je<strong>der</strong> Cent, <strong>der</strong> in die Nahosthilfe fließt, in Dialogprojekte gehen.<br />

Zur Zeit haben wir in Nahost so viele entwurzelte Kin<strong>der</strong>, die Opfer <strong>der</strong> Gewalt<br />

sind. Wenn man ihnen auch noch die Religion nimmt, haben sie keine Perspektiven<br />

mehr, warum und wofür sich auch ihr Leben lohnt. Wir brauchen sie wie<strong>der</strong>,<br />

die <strong>Mission</strong>are, die zu uns kommen und die Christen aus unseren eigenen Reihen,<br />

die sich dafür einsetzen, dass wir Christen im Nahen Osten unseren Glauben <strong>leben</strong><br />

können. Der Friede in Nahost hängt auch daran, ob Christen am <strong>Frieden</strong>sprozess<br />

weiter <strong>mit</strong>mischen o<strong>der</strong> sich herausziehen. Ohne <strong>Mission</strong>, ohne Solidarität<br />

<strong>mit</strong> uns, geht es weiter bergab. Diakonie und <strong>Mission</strong> basieren auf Solidarität,<br />

97


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

das ist die Basis, um <strong>Frieden</strong> zu stiften. Wir freuen uns über jeden, <strong>der</strong> solidarisch<br />

<strong>mit</strong> uns ist und bereit ist, dafür auch seine Heimat hier und manch deutsche o<strong>der</strong><br />

kirchliche Gewohnheit für eine Weile zu verlassen und <strong>mit</strong> uns zu <strong>leben</strong>- das hat<br />

<strong>Schneller</strong> getan und dafür sind wir ihm und allen, die zu uns kommen, dankbar.<br />

Herzlich willkommen!<br />

Die deutlichen Statements zur Notwendigkeit von <strong>Mission</strong> in Nahost heute machten viele<br />

aus dem Publikum betroffen. Nach Munaizels Statement mochte zunächst niemand<br />

etwas zu sagen, sodass die Mo<strong>der</strong>atorin zur dritten Fragerunde überleitete.<br />

3. Thema: Der Zusammenhang von <strong>Frieden</strong>sstiftung und Religion<br />

Noller: Die letzte Antwort drängt danach, den Zusammenhang von <strong>Frieden</strong>sstiftung und<br />

Religion genauer in den Blick zu nehmen. Braucht es für den <strong>Frieden</strong>sprozess religiöse<br />

Akteure? Wir sprechen davon, dass wir eine humane Bildungsarbeit, Soziale Arbeit usw.<br />

brauchen, um <strong>Frieden</strong> zu sichern, aber welche?<br />

Wir als Hochschule bilden Menschen aus, die auch missionarisch arbeiten werden- als<br />

Religions- o<strong>der</strong> Sozialpädagogen/innen und als Diakone und Diakoninnen. Was sollten<br />

unsere Studierenden Ihrer Meinung nach können, da<strong>mit</strong> sie einmal z. B. als Mitarbeitende<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> so arbeiten, dass Ihre Arbeit dem <strong>Frieden</strong> dient?<br />

� Traub: Man sollte nicht verallgemeinern. Religion an sich ist kein <strong>Frieden</strong>sgarant.<br />

Es gibt in je<strong>der</strong> Religion dialogbereite Gruppierungen. Man kann die Frage nicht<br />

eindeutig beantworten. Gruppen, die sich für den Dialog einsetzen und das aus religiöser<br />

Motivation tun, sind sicherlich wichtig für den <strong>Frieden</strong> in einer Gesellschaft.<br />

Studierende sollten dialogbereit sein.<br />

� Maurer: Die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Konflikt/Gewaltbereitschaft<br />

beschäftigt uns auch im EMS. Forschungen haben erwiesen,<br />

dass Religion in mehr Fällen zu Konfliktlösungen beitragen kann als zur Gewalt.<br />

In vielen Konflikten wird Religion aber missbraucht, um Konflikte zu schärfen.<br />

Darum ist es wichtig, dass Menschen in ihrer eigenen Religiösität gestärkt<br />

werden. Der interreligiöse Weg ist ein guter Weg, um zu vermeiden, dass es zu religiösen<br />

Konflikten kommt- aber da gebe ich Frau Traub recht- hier treffen sich oft<br />

die, die offen sind für an<strong>der</strong>es und Vielseitigkeit auch in <strong>der</strong> Religion als Reichtum<br />

einer Gesellschaft begreifen. Die Fundamentalisten, die das Ansehen <strong>der</strong> Religion<br />

beflecken, machen da lei<strong>der</strong> kaum <strong>mit</strong>. Ich finde es wichtig, dass Schüler und<br />

Schülerinnen den Trialog bereits in <strong>der</strong> Schule er<strong>leben</strong>, dass sie nicht nur zum getrennten<br />

Religionsunterricht in ihre Klassenzimmer kommen, son<strong>der</strong>n ebenso oft<br />

auch zusammen diskutieren. Dazu braucht es christliche, muslimische, jüdische<br />

und an<strong>der</strong>e Lehrer und Lehrerinnen, die bereits in Studium und Ausbildung gelernt<br />

haben, zusammen zu arbeiten und sich <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> auseinan<strong>der</strong> zu setzen.<br />

Menschen verschiedener religiöser Prägung und Religionen müssen von klein auf<br />

an <strong>lernen</strong>, zusammen zu arbeiten und religiös bedingte Konflikte zu lösen. (Das<br />

heisst nicht, dass sie privat auch zusammen <strong>leben</strong> müssen o<strong>der</strong> eine Patchworkreligion<br />

das Ideal sei)<br />

� Al Munaizel: <strong>Frieden</strong>sarbeit braucht auf alle Fälle religiöse Menschen. Wir brauchen<br />

mehr denn je Menschen, die aktiv sind in ihrer Religion und die sich aus-<br />

98


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

kennen. Studierende sollen wissen, warum sie ihre Arbeit als Christen tun und sie<br />

überzeugt tun, ohne an<strong>der</strong>e zu vereinnahmen- das dient dem <strong>Frieden</strong><br />

� Musharbash: Wir brauchen Menschen, die auf Gott vertrauen, um <strong>Frieden</strong> zu stiften-<br />

<strong>Frieden</strong>spolitik lebt von religiösen Werten, die in den <strong>Schneller</strong> Schulen von<br />

Christen vor Ort eingebracht werden. Was ich für Jordanien erhoffe ist aber: Ich<br />

möchte in keinem Ausweis mehr sehen „Christ“ (die Religionszugehörigkeit wird<br />

in Jordanien im Personalausweis vermerkt)- da<strong>mit</strong> haben Christen oft Nachteile,<br />

auch wenn sie für den <strong>Frieden</strong> arbeiten<br />

� Eisler: In Israel steht im Personalausweis auch „Jude“ o<strong>der</strong> „Christ“- ob das im<br />

Personalausweis steht o<strong>der</strong> nicht, ist dort nicht entscheidend für den <strong>Frieden</strong><br />

� Musharbash: Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn wir die Religion eines Menschen<br />

im Ausweis angeben, können wir ihn auch leichter diffamieren. So ist es<br />

auch <strong>mit</strong> dem Krieg- er war nicht einfach da, er ist geworden durch viele kleine<br />

Schritte <strong>der</strong> Diskriminierung. Deshalb brauchen wir im Nahen Osten Resolutionen<br />

und Reformen, die Menschen schützen. Dann haben wir auch keinen Platz<br />

mehr für Terroristen.<br />

� Noller: Sie und wir sind uns also einig, dass es für den <strong>Frieden</strong>sprozess <strong>Frieden</strong>sstifter,<br />

vielleicht neue „<strong>Mission</strong>are und <strong>Mission</strong>arinnen“ braucht- und dass die<br />

Religion bzw. religiöse Menschen dabei gute Dienste leisten. Sie sind alle offen für<br />

neue Wege und neue Konzepte. Ich möchte fragen: Geht das denn so einfach?<br />

Kann man europäische Konzepte von Pädagogik in den arabischen Kulturraum<br />

übertragen o<strong>der</strong> evtl. das Ganze auch umgekehrt leisten?<br />

� Al Munaizel: Pädagogisches Handeln muss immer kulturangepasst sein, aber die<br />

Ideen für eine neue Pädagogik können durchaus aus an<strong>der</strong>en Kulturen kommen.<br />

In unserer globalen Welt ist das eine große Chance. Wir können uns über unsere<br />

unterschiedlichen pädagogischen Konzepte und ihre Begründungen austauschen<br />

und einan<strong>der</strong> beraten. Es gibt z. B. europäische Konzepte, die uns in Jordanien an<br />

<strong>der</strong> TSS neue Wege ermöglichen, ich denke an die Erlebnispädagogik. In Europa<br />

wird da<strong>mit</strong> Vertrauen und Selbstsicherheit gelernt- das wollen wir in Jordanien<br />

auch. Aber die arabische Kultur hat ein ganz an<strong>der</strong>es Verständnis zum Körper als<br />

die europäische. Es gab z. B. eine Muslima (eine Vertreterin aus dem Könighaus?),<br />

die immer Handschuhe trug und bei keinem offiziellen Anlass <strong>mit</strong> Handschlag<br />

o<strong>der</strong> Begrüßungskuss berührt werden wollte. Als sie unseren Hochseilgarten<br />

besichtigte und man sie einlud, kleinere Übungen <strong>mit</strong>zumachen, war das für<br />

sie schwierig- es ging nicht, dass jemand sie anfasst o<strong>der</strong> berührt. Sie ist ein Beispiel<br />

für viele Menschen bei uns, die den Köperkontakt <strong>mit</strong> Fremden meiden. Wir<br />

haben den ersten Hochseilgarten Jordaniens, <strong>der</strong> uns von Deutschen geschenkt<br />

wurde. Er ist so gebaut, wie Hochseilgärten hier gebaut sind. Wir mussten aber<br />

erst erlebnispädagogische Übungen für unseren Hochseilgarten erfinden – dabei<br />

hat uns <strong>der</strong> Ludwigsburger Student von dieser EH, Andreas Gruber, in seinem<br />

Projektstudium geholfen- die unsere Kin<strong>der</strong> und Jugendliche machen können,<br />

ohne dass sie dabei auf körperliche Unterstützung angewiesen sind. Sie mussten<br />

erst er<strong>leben</strong>, dass sie weiter kommen, wenn sie an<strong>der</strong>en die Hand reichen o<strong>der</strong><br />

sich halten lassen. Wir haben Übungen entwickelt, die die körperliche Scham<br />

stärker beachten als man es in Europa tun würde- aber wir sind noch nicht am<br />

Ziel. Ich wünschte mir, dass jemand mal eine Erlebnispädagogik für den arabischen<br />

Kulturkreis entwickelt.<br />

99


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

4. Thema: Highlights interreligiöser Begegnungen – Impulse für <strong>Mission</strong>stätigkeit?<br />

Noller: Manchmal bieten eigene Erfahrungen Impulse für missionarisches Wirken.<br />

Was war Ihr schönstes interreligiöses Begegnungserlebnis? Können wir daran etwas<br />

für die Notwendigkeit von <strong>Mission</strong> erkennen?<br />

� Akel: Mir fällt eine Begegnung aus dem Libanon ein. Da kommen 46 muslimische<br />

Frauen zu einer pädagogischen Fortbildung, die ich für sie halte. Wir machen in<br />

diesen Tagen auch einen Ausflug zu einem Kloster. Davor sitzt ein Priester, <strong>der</strong><br />

die Fragen <strong>der</strong> muslimischen Frauen beantwortet. Eine fragt: „Stimmt es, dass die<br />

Christen Kannibalen sind?“ Der Priester erklärt, dass sie es nicht sind und warum<br />

nicht. Dann die 2. Frage: „Stimmt es, dass katholische Priester auch nebenher<br />

ausgehen (meint: sexuellen Kontakt <strong>mit</strong> Frauen haben)?“ Der Priester erklärt: „<br />

Das stimmt nicht. Alle katholischen Priester bekommen Getränke, da<strong>mit</strong> sie keine<br />

Gefühle Frauen gegenüber haben“. Die jungen Muslima verstehen das, auch<br />

wenn es in ihrer Religion keine Ehelosigkeit von Geistlichen gibt o<strong>der</strong> das gewollt<br />

ist. Das Wesentliche ist: Nicht das Trennende zu suchen, son<strong>der</strong>n das Verbindende.<br />

Wer Verbindendes sucht, kann <strong>mit</strong> Abraham beginnen- ist er Jude, Christ o<strong>der</strong><br />

Muslim? Was ist <strong>mit</strong> Maria- ist die Mutter von Maria auch unfehlbar geboren?<br />

Wir müssen uns Fragen stellen können und Antworten geben, die wir verstehenauch<br />

wenn diese in unseren Auge komisch sind, wie die des Priesters <strong>mit</strong> dem Getränk<br />

zur Erhaltung <strong>der</strong> Ehelosigkeit<br />

� Maurer: Ich denke an eine intensive Begegnung <strong>mit</strong> einem Suffi Scheich in Aleppo.<br />

Wir waren eingeladen zum Sufi- Gebet. Danach gab es ein Abendessen- arabisch,<br />

<strong>mit</strong> vielen Vorspeisen und viel Zeit. Wir haben die ganze Nacht hindurch<br />

theologische Themen diskutiert. Für missionarische Arbeit erhoffe ich mir solche<br />

Abende- Zeit, um einan<strong>der</strong> zuzuhören, um Antworten zu ringen und sich viel<br />

vom eigenen Glauben zu erzählen<br />

� Musharbash: Ich habe lange in <strong>der</strong> Industrie gearbeitet. Wir hatten dort eine muslimischen<br />

Mitarbeiter, Mohammed, <strong>der</strong> war verantwortlich für das Wasser bei <strong>der</strong><br />

Autokühlung und sollte auch für uns Wasser holen. Doch er holte kein Wasser,<br />

son<strong>der</strong>n schlief die meiste Zeit. So haben mein Boss und ich beschlossen: am<br />

Samstag soll er gekündigt werden und die Arbeitsstelle verlassen. Ich erzählte das<br />

meiner Tante. Sie kannte Mohammed und sagte zu mir: „Razi- ich will Dir was<br />

sagen. Was machst Du <strong>mit</strong> Mohammed? Er ist Dein Cousin. Er hat Milch von<br />

mir getrunken (in Jordanien ist man je<strong>der</strong> Frau, die einen gestillt hat, <strong>leben</strong>slang<br />

zu Dank verpflichtet, sie ist wie eine Mutter zu achten)“. So habe ich ihn in meiner<br />

Firma weiterarbeiten lassen. Meine Tante hat ihn sich zur Seite genommen<br />

und ihn aufgefor<strong>der</strong>t, sie durch seine Arbeit nicht zu enttäuschen. Er hat seitdem<br />

gute Arbeit geleistet Später arbeitete mein Vetter in Amman in einer an<strong>der</strong>en Autowerkstatt.<br />

Da kam ein Scheich und wollte sein Autofenster reparieren lassen. Er<br />

ging zum Boss und schimpfte über alle Autofirmen, die sein Auto nicht richtig reparierten<br />

und auch über die Christen, die in <strong>der</strong> Autowerkstatt arbeiten. Als mein<br />

Vetter ihm sein Autofenster repariert hatte und es in Ordnung war, hat <strong>der</strong><br />

Scheich sich entschuldigt und die Arbeit eines Christen gelobt. Was bedeutet: Wir<br />

müssen Menschen eine Chance geben, weil wir selbst nicht immer sehen, was in<br />

einem Menschen steckt und wir müssen bereit sein, unsere Vorurteile gegenüber<br />

an<strong>der</strong>en zu revidieren, wenn wir neue Erfahrungen machen- <strong>Mission</strong> wie bei den<br />

<strong>Schneller</strong> Schulen ist: an<strong>der</strong>en eine Chance geben<br />

100


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

� Corbo Mesic: Ich kann nicht ein Highlight benennen, son<strong>der</strong>n suche bei je<strong>der</strong> Begegnung<br />

etwas Positives. Ich denke aber beson<strong>der</strong>s an Texas. Dort war ich im<br />

Frühjahr und habe dort an einer interreligiösen Begegnungsreise teilgenommen.<br />

Wir lernten Muslime in Amerika kennen, aber auch wie Christen dort ihren<br />

Glauben <strong>leben</strong>. Beson<strong>der</strong>s eindrucksvoll war für mich ein Sonntagsgottesdienst,<br />

an dem wir alle teilgenommen haben. Mir hat die Wärme, die die Menschen ausstrahlten,<br />

sehr gefallen. <strong>Mission</strong>, die Wärme ausstrahlt und einlädt ist auch heute<br />

auf einem guten Weg. Ich denke, dass gerade in spirituellen Angeboten, beim<br />

Gottesdienst, beim Gebet o<strong>der</strong> in Festen deutlich wird, was Menschen am Glauben<br />

wichtig ist und was sie zeigen möchten- wir sollten uns auch hier viel mehr zu<br />

unseren Gebeten und Gottesdiensten einladen und einan<strong>der</strong> dabei er<strong>leben</strong>.<br />

� Al Munaizel: Ich denke an den Kirchentag in Bremen. Wir waren dorthin von <strong>der</strong><br />

Badischen Kirche <strong>mit</strong> 10 Jugendlichen aus <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman eingeladen.<br />

Am Stand gab es eine Unterhaltung über das Paradies <strong>mit</strong> deutschen Jugendlichen.<br />

Einer sagte zu unseren muslimischen Jugendlichen: „Euer Mohammed<br />

sagt: Du kommst ins Paradies, wenn Du Muslim bist“. Darauf antwortete ein<br />

muslimischer Jugendlicher“ Und ich sage: Wir kommen ins gemischte Paradies<br />

(<strong>mit</strong> Christen, Muslimen)“- das hat Mohammed vielleicht auch so gemeint“ . Wer<br />

missioniert, braucht versöhnende Fragen und Antworten<br />

� Eisler: Ich habe viele positive Erfahrungen <strong>mit</strong> interreligiösen Begegnungen gemacht.<br />

Ich denke z. B. an eine Fahrt nach Chrischona. Ich habe dort keinen einzigen<br />

Menschen gesehen, <strong>der</strong> nicht gelächelt hat. Das sind Erfahrungen, ohne<br />

dass man große Worte machen muss<br />

� Traub: Für mich ist je<strong>der</strong> Synagogenbau in Deutschland ein großartiges Ereignis.<br />

Er zeigt, dass die Christen in diesem Land uns Juden als Nachbarn und glaubende<br />

Menschen hier haben wollen und wir kommen gerne wie<strong>der</strong>. <strong>Mission</strong>, die an<strong>der</strong>en<br />

nichts wegnimmt, son<strong>der</strong>n ihnen etwas schenkt und beide im Dialog bereichert,<br />

die kann ich mir vorstellen.<br />

� Noller: Danke für das Gespräch und die Impulse zum Thema<br />

101


Dokumentation: Gruppengespräche<br />

6. Abschluss des Studientages: Dank und Weggeleit (Katja Baur)<br />

Nach einem erfüllten Tag <strong>mit</strong> vielen Impulsen und zahlreichen Möglichkeiten zur Begegnung,<br />

bleibt mir, Ihnen allen ganz herzlich Danke zu sagen. Ein Danke Ihnen, den<br />

teilnehmenden Studierenden und Gästen unserer Hochschule, dass sie sich an einem<br />

sonnigen Sommertag <strong>mit</strong> einem schweren Thema auseinan<strong>der</strong>gesetzt haben. Ein beson<strong>der</strong>s<br />

Danke aber auch allen Studierenden, meinen Kolleginnen und Kollegen sowie den<br />

treuen Seelen aus <strong>der</strong> Hauswirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit für tatkräftiges Mitwirken<br />

am Programm dieses Tages. Und dann natürlich ein beson<strong>der</strong>es Danke Ihnen, liebe Referenten<br />

und Referentinnen für Ihre Impulsreferate, Ihre Gesprächsbereitschaft in den<br />

Gruppen und auf dem Podium und Ihr Engagement für die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>. Ein beson<strong>der</strong>es<br />

Danke unseren Gästen aus Amman, die uns <strong>mit</strong> ihren Erfahrungen bereicherten.<br />

Da<strong>mit</strong> Sie alle noch ein wenig weiter von diesem Tag zehren, haben wir für die Referenten<br />

für das leibliche Wohl einen <strong>Schneller</strong> Kaffee <strong>mit</strong> einem süßen <strong>Schneller</strong> Genuss<br />

und für das geistige und evtl. auch geistliche Wohl die Examensarbeit unserer Studierenden<br />

Frau Gugelfuß zum Thema „<strong>Schneller</strong>“ als kleines Danke bereit liegen. Schließen<br />

möchte ich <strong>mit</strong> einem Satz von Gabriel Habib, <strong>der</strong> denen von uns, die nun aufbrechen,<br />

ein Weggeleit <strong>mit</strong>geben kann:<br />

„Um uns für einen <strong>Frieden</strong>sprozess im Nahen und Mittleren Osten einsetzen zu können, brauchen<br />

wir vor allem die Eigenschaften eines <strong>Frieden</strong>sstifters, geistliche Fähigkeiten, die uns Mut und Freiheit<br />

geben, uns über Vorurteile <strong>der</strong> Vergangenheit hinwegsetzen zu können“<br />

Und ich möchte Habib ergänzen: Wir brauchen Menschen, die Gottes <strong>Frieden</strong> zu uns<br />

Menschen nicht nur in <strong>der</strong> Nächstenliebe bringen, son<strong>der</strong>n vor allem in <strong>der</strong> Fernstenliebe-<br />

wie das gehen kann? Dazu weisen uns Menschen wie <strong>Schneller</strong> und die, die heute in<br />

seinen Spuren arbeiten, den Weg. Und das bedeutet: <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong>. Salam – Schalom<br />

– Friede sei <strong>mit</strong> ihnen auf ihrem Wege.<br />

102


Dokumentation: Der Schlussgottesdienst<br />

7. Liturgischer Ausklang <strong>mit</strong> einem Hochschulgottesdienst<br />

Semesterschlussgottesdienst und Abschluss des <strong>Schneller</strong>- Studientages, 19.00h Foyer EH<br />

Team <strong>der</strong> Hochschulgemeindegottesdienste: Andreas Klooß, Christof Mayer<br />

Raumgestaltung:<br />

Umbau <strong>der</strong> Bühne des Studientages zum liturgischen Blickfang: Bistrotische auf <strong>der</strong><br />

Bühne von <strong>der</strong> Podiumsdiskussion werden <strong>mit</strong> Tischtüchern behängt, darauf werden<br />

größere Dinge gestellt, die symbolisch für das Thema „<strong>Frieden</strong>“ und „<strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong>“<br />

sprechen: eine Schischa, ein Kreuz arabischer Christen, eine Kalligraphie <strong>mit</strong> dem Namenszug<br />

„Gott“ bzw. das Vaterunser in arabisch, ein Krug und Brot als Zeichen für<br />

Tischgemeinschaft usw. Vor <strong>der</strong> Bühne wird ein Tisch als Altar aufgebaut. Darauf befindet<br />

sich das Kreuz <strong>der</strong> Hochschulgemeinde, eine Altarbibel und eine <strong>Frieden</strong>skerze.<br />

Liturgie:<br />

Vorspiel: Studierenden-Band <strong>der</strong> EH- Ankommen, zur Ruhe kommen<br />

(Studierende: Rominger, Förster, Lorch u. a.)<br />

Meditative Einstimmung:<br />

Bil<strong>der</strong> und Musik zum Thema:<br />

<strong>Frieden</strong> – als PP Präsentation:<br />

Möglichkeit, Eindrücke des Studientages nachwirken zu lassen<br />

und sie <strong>mit</strong> dem Anliegen zu verbinden,<br />

<strong>Frieden</strong>sboten zu werden,<br />

(C. Mayer, Diakon, A. Klooß, Studieren<strong>der</strong>)<br />

103


Dokumentation: Der Schlussgottesdienst<br />

104


Dokumentation: Der Schlussgottesdienst<br />

Begrüßung und Votum: Prof. Dr. Katja Baur<br />

Herzlich willkommen zu unserem Semesterschlussgottesdienst. Salam, Friede sei <strong>mit</strong> uns<br />

Studierenden, Lehrenden, den Teilnehmenden des <strong>Schneller</strong> Tages und unseren Gästen.<br />

Wir feiern diesen Gottesdienst zum Lobe Gottes und zum Wohl von uns Menschen. Wir<br />

kommen zusammen, um teilzuhaben am <strong>Frieden</strong>, den Gott uns schenkt, um Schritte zu<br />

setzen auf dem Weg des <strong>Frieden</strong>s, den Jesus weist und uns zu stärken in <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

durch die friedensstiftende Kraft des Heiligen Geistes. Amen<br />

Kurze Einführung ins Thema über ein Sprichwort:<br />

„Das Küssen ist <strong>der</strong> beste Beweis, dass zwei Köpfe besser sind als einer.“<br />

Zum Glück gibt es einige Verhaltensweisen, die alle Menschen kennen und teilen- egal<br />

ob in <strong>der</strong> Wüste Jordaniens o<strong>der</strong> hier an <strong>der</strong> EH- hoffentlich wurden Sie alle schon mal<br />

geküsst. Denken Sie doch für einen Moment mal an einen Kuss, <strong>der</strong> ihnen einfach in<br />

ganz beson<strong>der</strong>er Erinnerung ist, <strong>der</strong> ihnen gut tat. Hoffentlich hat je<strong>der</strong> und jede im zurückliegenden<br />

Semester trotz viel geistiger Arbeit, Anstrengung bei Prüfungen usw. auch<br />

erlebt: Das Küssen ist <strong>der</strong> beste Beweis, dass zwei Köpfe besser sind als einer. Das<br />

Sprichwort bestätigt es: Manches gelingt zu zweit besser als alleine (Lied: ..zumal in Liebensdingen),<br />

manches wird erst möglich, wenn zwei sich zusammen tun- ein Kuss, <strong>der</strong><br />

Friede, Versöhnung. Ein Kuss berührt das Herz – wenn Friede und Gerechtigkeit einan<strong>der</strong><br />

küssen, berührt das unser Zusammen<strong>leben</strong>. Wir werden zärtlicher, zugewandter, hören,<br />

da man beim Küssen zum Glück nicht Reden kann. So ist <strong>der</strong> Kuss ein gottesdienstliches<br />

Bildwort- er lädt ein zum Hinhören, Einfühlen, Staunen, Verweilen. Spüren wir<br />

ihm nach, erfahren die Sehnsucht, den Hauch von Nähe und träumen eine Welt, in <strong>der</strong><br />

ein Kuss zum Wegbereiter des <strong>Frieden</strong>s wird und Gott unter uns <strong>Frieden</strong>sbrücken baut.<br />

Lied <strong>mit</strong> Bandbegleitung: Warryn Campbell: Shackles Wanna Praise you; Kanon: Lobet<br />

und Preiset Ihr Völker den Herrn; Kommunität Gnadenthal: Lob, Anbetung, Ruhm<br />

Psalmgebet:<br />

Wir beten in Verbundenheit <strong>mit</strong> Juden, Christen und Muslimen in Nahen Osten und<br />

weltweit Ps.85: Alle, die jünger sind als 30 Jahre, beten die ungeraden Verse, alle die älter<br />

sind als 30 Jahre die geraden.<br />

Gebet und Stilles Gebet:<br />

Wir beten weiter <strong>mit</strong> Worten unserer Zeit:<br />

Du Gott des <strong>Frieden</strong>s<br />

Sei Du in unserer Mitte.<br />

In <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Stimmen, die an unser Ohr dringen<br />

Lass uns die Stimme hören, die uns meint.<br />

In <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Worte, die unsere Aufmerksamkeit beanspruchen<br />

Lass uns die Botschaft hören, die uns trägt<br />

In <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Appelle, die uns erreichen<br />

Lass uns den Ruf hören, <strong>der</strong> uns bewegt.<br />

Dein Wort schenkt Raum für Erinnern und Hoffen.<br />

Dein Wort schenkt Trost und Mut für unseren Weg<br />

Dein Wort schenkt <strong>Frieden</strong>, <strong>der</strong> uns meint.<br />

Du kommst nicht zu Besuch<br />

Du kommst und suchst Bleibe<br />

Du nimmst die Wunden, die uns schmerzen, in Pflege<br />

So höre, was je<strong>der</strong> und jede von uns in <strong>der</strong> Stille vor Dich bringt:<br />

105


Dokumentation: Der Schlussgottesdienst<br />

Abschluss Stilles Gebet:<br />

Du Gott siehst uns- Du Gott hörst uns- dafür danken wir Dir. Amen.<br />

Lied: Tobi Wörner (2008): Textauszüge: Meine Seele sucht Heimat….ich sehn mich<br />

nach <strong>Frieden</strong> .. am Ziel meiner Suche stehst Du…. Mein <strong>Frieden</strong>sbringer…Du tust gut<br />

Anspiel von BIDA Studierenden des Jahrgangs 2010:<br />

(Kathrin Grüneberg, Dorothee Laidig, Anna Maria Weber, Christine Schellenberger,<br />

Gerta Hick u. a.)<br />

Thema: alle wollen <strong>Frieden</strong> und Gerechtigkeit, doch im Alltag muss ich mich manchmal<br />

ganz bewusst für o<strong>der</strong> gegen <strong>Frieden</strong> entscheiden und kann mir nicht in allen Lebensbereichen<br />

zu je<strong>der</strong> Zeit den friedlich- gerechten Weg leisten.<br />

Ausgangspunkt: Studierende machen Praktika o<strong>der</strong> ein ganzes Praxissemester- oftmals<br />

erhalten sie dafür kein o<strong>der</strong> ganz wenig Geld, obwohl diese Erfahrung fürs Studium<br />

wichtiger sind als das Jobben, bei dem man gut Geld verdient. Wer wenig Geld hat, muss<br />

billig einkaufen. Es geht jetzt in die Semesterferien- manche haben Praktika vor sich, an<strong>der</strong>e<br />

jobben, das kann sich konkret beim Einkaufen auswirken:<br />

Szene: Ein Bücherregal ist als Verkaufregal aufgebaut. Im Regal stehen verschiedene Kaffeesorten,<br />

Marken und Preise: Billiger Kaffee – Transferkaffee – auch <strong>Schneller</strong> Kaffee.<br />

Studierende treten allein o<strong>der</strong> in Zweiergruppen vor das Regal und überlegen, welchen<br />

Kaffee sie kaufen. Argumente zwischen Preis- fairen Bedingungen usw. werden abgewogen.<br />

Die Studierenden, die im Anspiel Transfer o<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Kaffee kaufen, investieren<br />

ihr Geld hier bewusst für ein Ideal von Gerechtigkeit und <strong>Frieden</strong>- sie machen sich deutlich:<br />

man kann sich das als Student nicht immer leisten. Das Spiel endet <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frage,<br />

ob Friede, Gerechtigkeit und faires Leben vor allem den Reichen möglich sind, die sich<br />

da<strong>mit</strong> auch noch ein gutes Gewissen kaufen können?<br />

Lie<strong>der</strong>: Paul Baloche: Herr öffne meine Augen – Open The Eyes of My Heart; Jürgen<br />

Werth: Wie ein Fest nach langer Trauer<br />

Predigt: Pfarrer Klaus Schmidt, EVS über PS 85:<br />

Fokus: Friede und Gerechtigkeit in <strong>der</strong> Welt – wie kann das in mir beginnen und sich<br />

ausweiten, sodass Christen in ihrem Umfeld Gottes <strong>Frieden</strong> und Gottes Gerechtigkeit<br />

weitergeben? Ansatz beim persönlichen Bezug zur Lebenswelt <strong>der</strong> Studierenden an <strong>der</strong><br />

EH- sie gehen in die Prüfungszeit, danach die Semesterferien, einige brechen zum Studium<br />

ins Ausland auf, friedvolle und auch unfriedliche Konflikte sind in <strong>der</strong> vorlesungsfreien<br />

Zeit privat o<strong>der</strong> in Jugendarbeit usw. zu klären ... und davon ausgehend Weitung<br />

des Blickes zur <strong>Frieden</strong>sarbeit, die an <strong>der</strong> TSS und an<strong>der</strong>swo geschieht ... <strong>Frieden</strong>, <strong>der</strong><br />

höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus- das ist<br />

die Wegzehrung für unser <strong>Frieden</strong>swege<br />

Klaus Schmidt integriert Ghazi Musharbash in die Predigt, <strong>der</strong> ein bis zwei Beispiele aus<br />

dem Zusammen<strong>leben</strong> an <strong>der</strong> TSS anführt, die zeigen, dass <strong>Frieden</strong> und Gerechtigkeit einan<strong>der</strong><br />

bedingen und man zur Verwirklichung auf Gottes Zuspruch angewiesen ist.<br />

Lied: Manal Sameer: Salam, <strong>Frieden</strong>slied aus den <strong>Schneller</strong> Schulen<br />

Opferankündigung: Opfer wird gesammelt für die <strong>Schneller</strong> Schule<br />

<strong>Frieden</strong> entsteht auch durch Solidarität. Bei unseren Studienprojekten in Amman konnten<br />

wir immer wie<strong>der</strong> er<strong>leben</strong>, was dort <strong>mit</strong> Gel<strong>der</strong>n aus Deutschland aufgebaut werden<br />

106


Dokumentation: Der Schlussgottesdienst<br />

kann. Mit dem Opfer, das wir bislang in Semestergottesdiensten für die TSS gesammelt<br />

haben, konnte z. B. das Material für die Ställe des Streichelzoos gekauft werden, den Carina<br />

im Praxisprojekt <strong>mit</strong> Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong> TSS aufbaute.<br />

Deshalb sammeln wir das Opfer des heutigen Gottesdienstes für die <strong>Frieden</strong>sarbeit an <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong> Schule in Amman. Opfer wird eingesammelt von BIDA-Studierenden, dazu<br />

Musik <strong>der</strong> Band<br />

Fürbittgebet: Studierende, Dozierende, Gäste aus Amman<br />

In Verbundenheit <strong>mit</strong> Menschen, die sich nach <strong>Frieden</strong> sehnen, halten wir Fürbitte und<br />

bitten Gott um Hilfe: nach je<strong>der</strong> Fürbitte rufen wir: Gott, schenke uns Deinen <strong>Frieden</strong><br />

1. Fürbitte für Studierende <strong>der</strong> EH<br />

Gott, wir bitten Dich für die Studierenden unserer Hochschule und alle, die hier <strong>leben</strong><br />

und arbeiten. Die Prüfungen stehen bevor, Auslandsaufenthalte geplant und vieles mehr.<br />

10 Studierende gehen in 6 Wochen nach Amman. Wir bitten Dich für unsere Studierenden.<br />

Stärke Du Ihre Neugierde auf neue Erfahrungen, an<strong>der</strong>e Menschen und provokante<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen. Sei Du bei Ihnen auf Ihrem Weg und bewahre sie im Tun und Lassen.<br />

So rufen wir zu Dir: Gott, schenke uns Deinen <strong>Frieden</strong><br />

2. Fürbitte für die TSS-Studierenden<br />

Jesus, ich bitte Dich für die Menschen, die an den <strong>Schneller</strong> Schulen <strong>leben</strong> und arbeiten.<br />

Wir bitten Dich für die <strong>Frieden</strong>sarbeit, die Musa zusammen <strong>mit</strong> vielen dort leistet. Viele<br />

Flüchtlingskin<strong>der</strong> schöpfen dadurch wie<strong>der</strong> Hoffnung, etliche Jugendliche finden einen<br />

Ausbildungsplatz und landen nicht bettelnd auf <strong>der</strong> Strasse. Begleite Du die missionarische<br />

Arbeit, die an den <strong>Schneller</strong> Schulen geschieht <strong>mit</strong> Deinem Segen und lass uns als<br />

Hochschule <strong>mit</strong>helfen, am <strong>Frieden</strong>swirken im Nahen Osten <strong>mit</strong>zuwirken.<br />

3. Fürbitte für <strong>Frieden</strong> im täglichen Miteinan<strong>der</strong>: Musa Al Munaizel, Amman<br />

Gott, wir bitten Dich für die Menschen, die hier in Deutschland <strong>leben</strong>. Viele von Ihnen<br />

bangen um ihre Arbeit, stehen in persönlichen Krisen o<strong>der</strong> wissen nicht ein und aus.<br />

<strong>Frieden</strong> muss auch in Deutschland täglich neu gesucht werden. Erfahrungen von Streit,<br />

Unfrieden machen auch vor Menschen, die an einer evangelischen Hochschule <strong>leben</strong>,<br />

nicht halt. Wir im Nahen Osten wollen all denen nahe sein, die sich heute hier nach<br />

<strong>Frieden</strong> sehnen. So rufen wir zu Dir: Gott, schenke uns Deinen <strong>Frieden</strong><br />

4. Fürbitte für <strong>Frieden</strong> in <strong>der</strong> Welt: Andreas Maurer, EMS<br />

Herr – Unfriede regiert das Weltgeschehen. Wir bitten Dich für Menschen, die heute unter<br />

Krieg und Gewalt leiden, insbeson<strong>der</strong>e in … Herr, mache mich zum Werkzeug Deines<br />

<strong>Frieden</strong>s. Dass ich Liebe übe, wo man sich hasst, dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt,<br />

dass ich verbinde, wo Streit ist, dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert,<br />

dass ich Freude bringe, wo <strong>der</strong> Kummer herrscht<br />

Überleitung zum Vater Unser<br />

Vater Unser<br />

Abkündigungen, Abschied und Dank<br />

Lied: Gemeinde <strong>mit</strong> Band: Manfred Staiger: <strong>Frieden</strong> dir, Jerusalem<br />

Segen<br />

Musik zum Ausklang und Verweilen: Band<br />

107


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

Teil B: Studentische Arbeiten und Vorträge von Katja Baur<br />

zum Thema im Rahmen des <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahres<br />

1. Linda Gugelfuß: „<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“. Die Theodor-<strong>Schneller</strong><br />

Schule in Amman als Lernort für friedliches Zusammen<strong>leben</strong> in<br />

<strong>der</strong> Einen Welt. Ein Unterrichtsprojekt für den Religionsunterricht.<br />

Die BA Thesis wurde im Februar 2010 bei <strong>der</strong> Zeugnisübergabe zum bestandenen BA<br />

RP <strong>mit</strong> dem Preis des Landesbischofs prämiert. Hier werden Auszüge vorgestellt.<br />

1. Einleitung<br />

„Am Ende des Jahrhun<strong>der</strong>ts ist <strong>der</strong> Bedarf an <strong>Frieden</strong>serziehung größer als je zuvor“, so das<br />

frei übertragene Statement <strong>der</strong> UN-Resolution aus dem Jahr 2000, die sich für eine Kultur des<br />

<strong>Frieden</strong>s (eine „Culture of Peace“) einsetzt und für die Jahre 2000- 2010 die „International<br />

Decade for a Culture of Peace and Non-Violence for the Children of the World “ ausrief. Die<br />

Dekade, so die Resolution weiter, kann zu Beginn des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts einen Beitrag zu einer<br />

friedlichen Weltgemeinschaft leisten. Den Mittelpunkt <strong>der</strong> „Decade for a Culture of Peace“<br />

bilden die Kin<strong>der</strong> dieser Erde, die einerseits am schlimmsten unter dem Unfrieden auf Erden<br />

leiden und an<strong>der</strong>erseits durch eine umfassende Bildungsarbeit als Wurzeln für eine Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Weltgesellschaft gesehen werden. So sieht die Resolution die Aufgabe von Bildung<br />

in “constructing a culture of peace and non- violence, in particular the teaching of the practice<br />

of peace and non violence to children.“ 21<br />

Diese For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> United Nations nach einer „Kultur des <strong>Frieden</strong>s“ findet sich im<br />

Alltag an den <strong>Schneller</strong>-Schulen im Libanon und in Jordanien wie<strong>der</strong>. Durch ihre Arbeit<br />

<strong>mit</strong> christlichen und muslimischen Kin<strong>der</strong>n aus benachteiligten Familien, denen sie Lebens-<br />

und Lernraum geben, setzen sie sich für eine Kultur des <strong>Frieden</strong>s ein – und dies<br />

nicht erst seit dem Aufruf durch die UN Dekade. Unter dem Motto „<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“<br />

feiern die <strong>Schneller</strong>-Schule in Jordanien und im Libanon das 150-jährige Bestehen<br />

ihrer Tradition und <strong>mit</strong> ihnen freuen sich Württemberg, die Heimat des Gründungsvaters<br />

Johann Ludwig <strong>Schneller</strong> und das <strong>Evangelische</strong> <strong>Mission</strong>swerk Südwestdeutschland, als<br />

einem starken Partner <strong>der</strong> Schulen.<br />

Die sozial-diakonische Arbeit von J.L. <strong>Schneller</strong> wurde seit <strong>der</strong> Gründung im Jahr 1860<br />

von Deutschland finanziell und personell unterstützt und erfährt seither vielfältige Unterstützung<br />

aus Deutschland. Das Jubiläumsjahr bietet den Anlass um diese segensreiche<br />

Arbeit wie<strong>der</strong> verstärkt in das Bewusstsein <strong>der</strong> Bevölkerung zu bringen. Immerhin hat<br />

J.L. <strong>Schneller</strong> „<strong>mit</strong> dem syrischen Waisenhaus [dem Vorläufer <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schulen] eine<br />

<strong>der</strong> größten Wohlfahrtseinrichtungen im gesamten Nahen Osten aufgebaut“ 22 und<br />

wurde so<strong>mit</strong> zum Wegbereiter diakonischer Arbeit im Nahen Osten.<br />

Das Ziel meiner Bachelor-Thesis ist eine Unterrichtseinheit für den evangelischen Religionsunterricht<br />

unter dem Motto des Jubiläumsjahres „<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“ zu entwerfen.<br />

Ausgangspunkt für das Lernen von <strong>Frieden</strong> soll die Theodor-<strong>Schneller</strong>-Schule in<br />

21 United Nations. General Assembly<br />

22 Löffler 2008, S. 244<br />

108


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

Amman/ Jordanien sein, an <strong>der</strong> muslimische und christliche Kin<strong>der</strong> aus benachteiligten<br />

Familien gemeinsam aufwachsen und dadurch <strong>lernen</strong> in <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> zu <strong>leben</strong>.<br />

Diese Unterrichtseinheit soll aber über das Bewusstseinsschärfen, wie es unter an<strong>der</strong>em<br />

Intention des Jubiläumsjahres ist, hinausgehen und unter den SchülerInnen eine eigene<br />

„Kultur des <strong>Frieden</strong>s“ schaffen. Sie kann da<strong>mit</strong> ein Puzzleteil <strong>der</strong> UN-Dekade <strong>der</strong> „Kultur<br />

des <strong>Frieden</strong>s“ werden.<br />

Ich selbst war im Rahmen eines Studienprojektes an <strong>der</strong> Theodor- <strong>Schneller</strong>-Schule in<br />

Amman und konnte mich dort, vor Ort, von <strong>der</strong> friedensstiftenden Arbeit überzeugen.<br />

Seither habe ich mich in meiner Tätigkeit als evangelische Religionslehrerin mehrmals<br />

auf die Arbeit an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule bezogen. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht,<br />

dass sich die SchülerInnen von dem Zusammen<strong>leben</strong> <strong>der</strong> jordanischen Kin<strong>der</strong> inspirieren<br />

lassen. Ich möchte meine Abschlussarbeit dazu nutzen, eine vollständige Unterrichtseinheit<br />

für den evangelischen Religionsunterricht in <strong>der</strong> 4. Klasse zu konzipieren. Ich kann<br />

mir gut vorstellen, dass auch an<strong>der</strong>e, die im Religionsunterricht tätig sind und sich den<br />

<strong>Schneller</strong>-Schulen verbunden fühlen, diese Unterrichtseinheit in ihren Klassen einsetzen.<br />

2. <strong>Frieden</strong>“ – eine religionspädagogische Annäherung<br />

„Zum <strong>Frieden</strong> gehören Selbstakzeptanz, ausreichend Lebensunterhalt, gelingendes Zusammen<strong>leben</strong>,<br />

Abwesenheit von Zerstörung sowie Harmonie <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Natur und Umwelt, kurz: Glück.“ 23<br />

Im christlichen Sprachgebrauch hat <strong>der</strong> Begriff <strong>Frieden</strong> eine vertiefende Bedeutung. <strong>Frieden</strong><br />

ist gekennzeichnet durch „einen <strong>leben</strong>sför<strong>der</strong>lichen Zustand in <strong>der</strong> Gemeinschaft von<br />

<strong>der</strong> Familie bis zu Volk und Völkerwelt“, und umfasst „die segensreiche Interaktion zw.<br />

Mensch und Natur sowie die Versöhntheit zw. Gott und Mensch.“ 24 <strong>Frieden</strong> umfasst den<br />

Mensch ganzheitlich in mehreren Dimensionen: <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> Gott, <strong>mit</strong> dem Nächsten<br />

und <strong>mit</strong> sich selbst. 25 „Es kann ein Leben in F. nur geben, wenn šalôm in allen diesen Interaktionsfel<strong>der</strong>n,<br />

die unlösbar <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> verknüpft sind, herrscht.“ 26 Die Bezeichnung JHWHs als Gott des<br />

<strong>Frieden</strong>s leitet sich von seinem Wirken ab, das vom <strong>Frieden</strong> geleitet ist, universal an alle<br />

gerichtet ist und sich in <strong>der</strong> Sendung Jesus Christi als <strong>Frieden</strong>sfürst zeigt. Christen haben<br />

in Jesus Christus das Geschenk des <strong>Frieden</strong>s angenommen und werden selbst zu Multiplikatoren,<br />

in dem sie den <strong>Frieden</strong> Jesu Christi in <strong>der</strong> Welt bezeugen und sich dafür einsetzen,<br />

wenngleich <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong> auf Erden immer bruchstückhaft bleiben wird.<br />

In <strong>der</strong> christlichen Ethik sind <strong>Frieden</strong> und Gerechtigkeit unauflöslich <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> verbunden<br />

(vgl. Ps. 85,11; Jes 32,17; Röm 14,17). Dies wird in <strong>der</strong> Denkschrift <strong>der</strong> EKD<br />

„Aus Gottes <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> – für gerechten <strong>Frieden</strong> sorgen“ <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Verwendung des Begriffs<br />

„gerechter <strong>Frieden</strong>“ 27 verdeutlicht. Die soziale Gerechtigkeit als Grundprinzip christlicher<br />

Ethik setzt sich aus vier Teilgerechtigkeiten zusammen: Tauschgerechtigkeit, Beteiligungsgerechtigkeit,<br />

Verteilungsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit. 28 Im Rahmen<br />

meiner Arbeit ist die Beteiligungsgerechtigkeit von beson<strong>der</strong>er Bedeutung. Beteiligungsgerechtigkeit<br />

bedeutet, dass <strong>der</strong> Mensch verpflichtet ist, sich aktiv an <strong>der</strong> Gesellschaft zu<br />

beteiligen und diese wie<strong>der</strong>um die Möglichkeiten für eine Partizipation schaffen muss. 29<br />

23 Hilger et al. 2008, S.450<br />

24 Otto 2000, S.359f.<br />

25 Betz 2000, S.362<br />

26 Otto 2000, S.360<br />

27 EKD Denkschrift 2007, S.11<br />

28 Vgl. und ausführlich: Gabriel 2005, S.491f.<br />

29 Gabriel 2005, S.491f.<br />

109


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

Hierfür ist primär die Sicherstellung <strong>der</strong> essentiellen Bedürfnisse wichtig. Bildung als Einsatz<br />

für mehr Gerechtigkeit wird dadurch zu einem Facette auf dem Weg zum <strong>Frieden</strong>. 30<br />

Der Islam wird in <strong>der</strong> islamischen Theologie als Religion des <strong>Frieden</strong>s und <strong>der</strong> Koran als<br />

Führer des <strong>Frieden</strong>s dargestellt. Wie im Christentum enthält <strong>der</strong> Begriff mehrere Bedeutungen<br />

31 , z. B. bei <strong>der</strong> eschatologischen Komponente des <strong>Frieden</strong>sverständnisses o<strong>der</strong><br />

Gott als Quelle des <strong>Frieden</strong>s. Wie im Christentum umfasst <strong>der</strong> islamische <strong>Frieden</strong>sbegriff<br />

drei Dimensionen: <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> Gott, <strong>Frieden</strong> sich selbst und <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> seinen Mitmenschen.<br />

Wo im Christentum allein Gott als Urheber des <strong>Frieden</strong>s steht, spielen im Islam<br />

einerseits <strong>der</strong> Islam als Religion und an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> Koran als Weg zum <strong>Frieden</strong> eine<br />

bedeutende Rolle. 32<br />

D. h.: Für das Christentum und den Islam ist „<strong>Frieden</strong>“ ein von Gott gestifteter Zustand,<br />

<strong>der</strong> sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen zeigt. Ein Mensch, <strong>der</strong> aus Gottes<br />

<strong>Frieden</strong> lebt tritt als Multiplikator für <strong>Frieden</strong> auf Erden ein, indem er Solidarität <strong>mit</strong> Bedürftigen<br />

zeigt und für Gerechtigkeit einsteht. Der Glaube daran, dass wer aus <strong>Frieden</strong><br />

lebt, auch für <strong>Frieden</strong> eintritt, begründet das Engagement <strong>der</strong> Kirchen in <strong>der</strong> Erziehung<br />

und Bildung zu <strong>Frieden</strong>.<br />

<strong>Frieden</strong> auf Erden wird ohne <strong>Frieden</strong> zwischen den Religionen nicht möglich sein<br />

(Küng). Aus diesem Grund ist <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog für die <strong>Frieden</strong>spädagogik notwendig.<br />

30 Die Bildung zum <strong>Frieden</strong> findet man spätestens <strong>mit</strong> Johann Amos Comenius (1592 – 1670) in <strong>der</strong> evangelischen<br />

Theologie. Er betont die Wichtigkeit eines realistischen Menschenbildes für die nachhaltige Wirkung<br />

von <strong>Frieden</strong>sprogrammen und weist auf drei Elemente des Menschenbildes hin: Der Mensch als Geschöpf<br />

Gottes ist in <strong>der</strong> Lage einfühlsam und solidarisch <strong>mit</strong> seiner Umwelt umzugehen, da ihn seine Geschöpflichkeit<br />

in einer gewissen Weise <strong>mit</strong> seiner Umwelt verbindet.<br />

Der Mensch als verantwortliches Geschöpf, das in <strong>der</strong> Lage ist, sich gegen Gottes Willen zu entscheiden<br />

und da<strong>mit</strong> Unrecht verursachen kann. Die Überwindung von Gewalt ist daher essentiell für das menschliche<br />

Zusammen<strong>leben</strong>. Der Mensch als Ebenbild Gottes, kann in seinem Sinne versöhnlich und liebevoll<br />

<strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen umgehen. Die Ebenbildlichkeit ist <strong>der</strong> Ansatzpunkt für eine Erziehung zu <strong>Frieden</strong>,<br />

die eine Überwindung von Gewalt, Bösem und Sünde zum Ziel hat. Vgl. Härle 2007, S.36ff.<br />

31 Aries(Aries,Wolf, 2006, <strong>Frieden</strong>sbildung aus islamischer Sicht, in Haussmann,W.,Handbuch <strong>Frieden</strong>serziehung,<br />

, S.148), skizziert sie so:„1. Der Zustand des <strong>Frieden</strong>s umfasst ein Gefühl andauern<strong>der</strong> Sicherheit, <strong>der</strong><br />

sich innerweltlich wohl nur für wenige Augenblicke verwirklichen lässt. 2. Die Geschöpfe er<strong>leben</strong> Vollkommenheit, das<br />

Fehlen jeglicher Mängel, wodurch ein Gefühl <strong>der</strong> Vollständigkeit entsteht. 3. Der <strong>Frieden</strong> ist Erlösung und Befreiung. 4.<br />

»Salam« als Gruß wünscht Harmonie <strong>mit</strong> denen, die uns umgeben. 5. Der <strong>Frieden</strong> zielt auf die Rücknahme seiner selbst,<br />

weil man zufrieden ist und nicht unzufrieden. 6. Es gibt keine Aggression.“<br />

32 Als Zentrum <strong>der</strong> islamischen <strong>Frieden</strong>slehre und eine <strong>der</strong> Grundprinzipien des Islams, verweisen Tosun<br />

und Bilgin auf die Empfehlung „das Gute zu tun und zu gebieten und vom Schlechten abzulassen und abzuhalten“.<br />

Als Gegenstand von <strong>Frieden</strong>serziehung aus islamischer Sicht nennen die AutorInnen darum unter an<strong>der</strong>em<br />

folgende Bereiche: a) Unterschiede in <strong>der</strong> Religionszugehörigkeit entspringen dem Willen Gottes.<br />

b) Unheil zu stiften stört den <strong>Frieden</strong> und ist eine schlechte Tat. c) Man muss sich von unmenschlichen<br />

und menschenunwürdigen Handlungen wie zum Beispiel Lästern und Verleumden fernhalten, da sie eine<br />

Gefährdung für den <strong>Frieden</strong> darstellen. d) Man muss sich von Unrecht und Ungerechtigkeit fernhalten. e)<br />

Versöhnung – Da <strong>Frieden</strong> im Koran die Grundlage des Zusammen<strong>leben</strong> bildet, ist nach einem Zerwürfnis<br />

so schnell wie möglich <strong>Frieden</strong> zu schließen, es sei es handelt sich um einen Verteidigungsfall, <strong>der</strong> den Einsatz<br />

von Krieg legitimiert; ausführlich dazu Tosun; Cemal: <strong>Frieden</strong> im Koran S. 140 ff IN: Haussmann<br />

(Hg.): Handbuch <strong>Frieden</strong>serziehung. Güthersloh 2006.<br />

110


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

3. „<strong>Frieden</strong>“ an <strong>der</strong> Theodor- <strong>Schneller</strong>-Schule in Amman<br />

Eine Taube als Wahrzeichen <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen in ihrem Jubiläumsjahr,<br />

die den kalligraphischen Schriftzug Salam trägt, verdeutlicht<br />

das Anliegen <strong>der</strong> Schulen. Sie stellt den <strong>Frieden</strong> symbolisch<br />

über die Schule und trägt ihn auf Briefköpfen, Magazinen, T-Shirts<br />

und an<strong>der</strong>em in die ganze Welt hinaus. „Zum Wesen des <strong>Frieden</strong>s<br />

Christi gehört es, gegeben und weitergegeben, geschenkt und bezeugt<br />

zu werden, da<strong>mit</strong> immer mehr Menschen aus dem <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> können.“ 33 Dieses Zitat<br />

aus <strong>der</strong> EKD Denkschrift könnte ebenso gut als Motto über <strong>der</strong> friedenspädagogischen<br />

Arbeit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule stehen.<br />

Ich möchte den Einsatz für Gerechtigkeit an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule <strong>mit</strong> Hilfe <strong>der</strong> Philosophie<br />

<strong>der</strong> Schule, „christlichen und muslimischen Kin<strong>der</strong>n aus armen und sozial benachteiligten<br />

Familien eine Heimat und eine Zukunft geben“ 34 aufzeigen. Der traditionelle<br />

Gruß as-salām alaykum ( مكيلع ملاسلا)<br />

„<strong>der</strong> <strong>Frieden</strong> auf euch!“ und die dazugehörige Antwort<br />

wa alaykumu s-salām ( ملاسلا مكيلعو) „und auf euch <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>!“ begleitet die Menschen<br />

in den arabisch sprechenden Län<strong>der</strong>n durch den ganzen Tag. Dieser Gruß soll an<br />

<strong>der</strong> TSS konkret erfahrbar werden, z. B.: Wenngleich die Regeln <strong>der</strong> Hausordnung für<br />

Außenstehende teilweise einengend und hart wirken35, berichten die Erzieher, dass diese<br />

Regeln <strong>der</strong> Gerechtigkeit im Umgang <strong>mit</strong> einan<strong>der</strong> dienlich sind. Gerecht ist, was gleich<br />

ist. Angefangen bei den Räumlichkeiten, die jedem das Gleiche zur Verfügung stellen<br />

(Bett und Schrank) über die gleichen Aufgaben im Haushalt bis zu denselben Rechten<br />

und Pflichten.<br />

Die Theodor- <strong>Schneller</strong>-Schule in Amman als christliche Schule in einem islamischen<br />

Land bietet die Möglichkeit, dass sich Kin<strong>der</strong> und Jugendliche unterschiedlicher Religionszugehörigkeit<br />

begegnen und kennen <strong>lernen</strong>. Durch das Leben in Gemeinschaft wird<br />

aus „dem Christ“ o<strong>der</strong> „dem Muslim“ ein Freund, <strong>der</strong> das eigene Leben durch seine An<strong>der</strong>sartigkeit<br />

bereichert. Die <strong>Schneller</strong>-Schüler, die aus sozial benachteiligten Familien<br />

stammen und häufig ein Leben führten, das von Gewalt und Armut gezeichnet war, <strong>leben</strong><br />

an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule (zum ersten Mal in ihrem Leben) in <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> ihren Mitmenschen.<br />

Hier vollzieht sich eine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Werte, die viele <strong>Schneller</strong>-Schüler<br />

durch das ganze Leben trägt.<br />

33<br />

EKD Denkschrift 2007, S. 28.<br />

34<br />

Waiblinger, Martina (2002), Das Syrische Waisenhaus, in: Gemeinde Sonnebühl, Mit Ehren ihr eigen<br />

Brot essen, 30.<br />

35<br />

Die Auswirkungen <strong>der</strong>, für alle verbindlichen Hausordnung, sind nicht nur positiv, so stellen sie durchaus<br />

eine Einengung <strong>der</strong> Wünsche und Bedürfnisse <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>- Schüler dar. Vor allem von Außenstehenden,<br />

beispielsweise den jungen Erwachsenen, die ihr Freiwilligenjahr an den <strong>Schneller</strong> Schule verbringen<br />

kritisieren dies häufig. Beispielhaft zeigt sich dies in <strong>der</strong> Abschlussarbeit von Christoph Pfeifer, <strong>der</strong> sein<br />

Anerkennungsjahr <strong>der</strong> Erzieherausbildung an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule im Libanon verbracht hat und den Erziehungsstil<br />

reflektiert hat. Diese ist online zugänglich unter:<br />

http://3plus1.files.wordpress.com/2008/06/abschlussarbeit_onlineversion.pdf, 24.11.09<br />

111


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

4. Didaktische Weichenstellungen für ein friedenspädagogisches<br />

Unterrichtsprojekt am Lernort TSS<br />

Die Grundschule in Konstanz-Wollmatingen ist im<br />

historischen Schulhaus von Wollmatingen<br />

untergebracht und liegt im alten Ortskern von<br />

Wollmatingen. Dieser ist, wie auch das Wohngebiet<br />

„Höriblick“, von alteingesessenen Familien o<strong>der</strong> gut<br />

situierten Familien bewohnt. Unterhalb <strong>der</strong> Schule<br />

erstreckt sich das Berchengebiet, ein Wohngebiet das<br />

zum Programm „Soziale Stadt“ <strong>der</strong> Stadt Konstanz<br />

zählt. Hier <strong>leben</strong> vor allem Familien <strong>mit</strong><br />

Migrationshintergrund o<strong>der</strong> Geringverdienende. An<br />

<strong>der</strong> Grundschule, die je nach Schülerzahlen, 2- o<strong>der</strong> 3zügig<br />

ist, treffen die Welten <strong>der</strong><br />

Wohngebiete aufeinan<strong>der</strong>. In<br />

meiner Religionsklasse waren 16<br />

Nationen vertreten – eine<br />

Bereicherung und Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />

Es lässt sich feststellen,<br />

dass die Freundschaften <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> häufig <strong>mit</strong> dem<br />

„Herkunftswohngebiet“<br />

zusammen hängen. Der im<br />

Schulgesetz formuliert Auftrag<br />

<strong>der</strong> Grundschule, eine Erziehung<br />

die „zum selbstverständlichen<br />

Umgang <strong>mit</strong> Menschen unterschiedlicher<br />

sozialer und<br />

kultureller Herkunft“ 36<br />

sicherzustellen trifft auf die Wollmatinger Grundschule in beson<strong>der</strong>er Weise zu. Das<br />

Leitbild <strong>der</strong> Schule „Im Umgang <strong>mit</strong> Mensch und Natur wollen wir Verständnis, Verantwortung<br />

und Achtsamkeit wecken, üben und <strong>leben</strong>“ zielt unter an<strong>der</strong>em darauf ab,<br />

dass sich die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> unterschiedlichen Wohngebiete in ihrer religiös- und kulturell<br />

bedingten Verschiedenheit achten. Der Religionsunterricht trägt durch die konfessionelle<br />

Kooperation in Klasse 1 & 2, sowie dem Angebot, dass auch die muslimischen Kin<strong>der</strong><br />

am Unterricht teilnehmen dürfen, seinen Teil zu einer Verständigung bei.<br />

SchülerInnen <strong>der</strong> vierten Klasse Grundschule werden häufig <strong>mit</strong> <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit o<strong>der</strong><br />

Fremdheit von Menschen, aufgrund <strong>der</strong>er religiöser o<strong>der</strong> kultureller Hintergründe, konfrontiert.<br />

Sie sind dazu in <strong>der</strong> Lage die Differenzen zwischen ihnen und ihren Mitmenschen<br />

wahrzunehmen. Es ist Aufgabe <strong>der</strong> Schule und da<strong>mit</strong> auch des Religionsunterrichts<br />

sie zu einem Umgang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Fremdheit zu befähigen, <strong>der</strong> diese achtet und als Bereicherung<br />

für das eigene Leben anerkennt. Die Unterrichtseinheit will die SchülerInnen<br />

<strong>mit</strong> Hilfe von Erzählungen über das Leben an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule, zu <strong>Frieden</strong> im Umgang<br />

<strong>mit</strong> An<strong>der</strong>sartigkeit ermutigen.<br />

Die SchülerInnen können die bedeutende Stellung <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule im Leben <strong>der</strong><br />

jordanischen Kin<strong>der</strong> verstehen, wenn sie für <strong>der</strong>en Bedürfnisse sensibilisiert werden. Aus<br />

<strong>der</strong> eigenen Erfahrung wissen sie, dass Streit und Ungerechtigkeit den <strong>Frieden</strong> stören und<br />

36 Ministerium für Kultus, S.24.<br />

112


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

we<strong>der</strong> für sie persönlich noch für an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong> angenehm sind. Die Fähigkeit und „Vorliebe“<br />

<strong>der</strong> SchülerInnen sich <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n zu vergleichen, ist eine wichtige Kompetenz<br />

für diese Einheit. Gleichzeitig bedeutet dies, dass die Kin<strong>der</strong> den Umgang <strong>mit</strong> ihren<br />

Wahrnehmungen über die An<strong>der</strong>sartigkeit an<strong>der</strong>er Menschen <strong>lernen</strong> müssen. Indem<br />

die SchülerInnen reflektieren können, was sie <strong>mit</strong> Fremden an<strong>der</strong>er Kultur/ Religion unterscheidet<br />

bzw. verbindet, können sie zu einem friedlichen Umgang angeleitet werden.<br />

Das Grundproblem <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>kin<strong>der</strong> ist es, dass sie aus benachteiligen Familien<br />

stammen, in denen finanzielle Schwierigkeiten und daraus resultierende Konflikte an <strong>der</strong><br />

Tagesordnung sind. Ähnliche Lebensumstände werden auch hier in Deutschland verstärkt<br />

zur Lebensrealität von SchülerInnen. Die Notsituation, die Solidarität erwirken<br />

soll, ist <strong>der</strong> Schlüssel zur Elementarisierung. Dabei wird die Einheit für die SchülerInnen<br />

vor allem von dem konkreten Anschauungsmaterial <strong>leben</strong>. Da zudem Geschichten in<br />

diesem Alter beson<strong>der</strong>s wichtig sind (vgl. Stufentheorie von James W. Fowler, nach <strong>der</strong><br />

die SchülerInnen <strong>der</strong> vierten Klasse auf <strong>der</strong> Stufe 2 – dem „mythisch-wörtlichen Glauben“<br />

37 – einzuordnen sind), werden „stories“ zu geeigneten Methoden <strong>der</strong> UE. Die Artikulation<br />

folgt <strong>der</strong> Elementarisierung: – Gerechtigkeit und <strong>Frieden</strong> an <strong>der</strong> Theodor-<br />

<strong>Schneller</strong> Schule in Amman (Die Voraussetzungen für das Leben in <strong>Frieden</strong> an <strong>der</strong><br />

<strong>Schneller</strong> Schule werden an einigen Beispielen konkret sichtbar und so<strong>mit</strong> für die Schüler<br />

fassbar: Stillung von essentiellen Bedürfnissen, Bildung als Teil <strong>der</strong> Beteiligungsgerechtigkeit,<br />

gegenseitige Toleranz und Respekt (vor den an<strong>der</strong>en Religionen), Gerechtigkeit<br />

im Zusammen<strong>leben</strong>, Vergebung und Versöhnung, das Zurückstellen eigener Bedürfnisse,<br />

selbst zum <strong>Frieden</strong>sstifter werden und die Begrenztheit des irdischen <strong>Frieden</strong>s); - <strong>Frieden</strong><br />

als <strong>leben</strong>sför<strong>der</strong>liche Qualität; - aus Gerechtigkeit erwächst <strong>Frieden</strong>; - Friedliches Miteinan<strong>der</strong><br />

von Christen und Muslimen; -Eschatologische Dimensionen von <strong>Frieden</strong> und Gerechtigkeit.<br />

Welche Kompetenzen werden erreicht? Die SchülerInnen wissen nach <strong>der</strong> Einheit „<strong>Frieden</strong><br />

Leben Lernen“, dass Christen und Muslime (an <strong>der</strong> TSS) in <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> <strong>leben</strong><br />

können und sind dazu in <strong>der</strong> Lage, dies auf ihre Freundschaften zu übertragen. Sie<br />

verstehen, dass <strong>Frieden</strong> immer von Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Gerechtigkeit abhängig ist<br />

und auch sie dafür eintreten können. Die „Personale Kompetenz als Fähigkeit, sich<br />

selbst, an<strong>der</strong>e Personen und Situationen einfühlsam wahrzunehmen“, 38 wird in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Thematik sicherlich gestärkt, doch bin ich <strong>der</strong> Meinung, dass es<br />

nicht bei einer Reflektion des Umgangs <strong>mit</strong> Fremden bleiben sollte, son<strong>der</strong>n ein klarer<br />

Handlungsansatz favorisiert werden soll.<br />

Dieser For<strong>der</strong>ung entspricht die „Ethischen Kompetenz“: Wenn die SchülerInnen das<br />

benachteiligte Leben <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>kin<strong>der</strong> als Ungerechtigkeit und da<strong>mit</strong> als ethisches<br />

Problem identifizieren und in diesem konkreten Fall die TSS als Handlungsalternative<br />

sehen und beurteilen, können sie auch in ihrem eigenen Umfeld verantwortlicher und<br />

sensibler auf ungerechte Verhältnisse reagieren und sich dabei an Verhaltensmustern <strong>der</strong><br />

TSS orientieren. Komplementär zur ethischen Kompetenz sehe ich die Ziele <strong>der</strong> „Sozialen<br />

Kompetenz“. Das Ergebnis meiner Kompetenzexegese lässt eine Verortung im Themenfeld<br />

„Kin<strong>der</strong> <strong>leben</strong> in <strong>der</strong> Einen Welt, Jes. 65,17ff“ zu, wobei die Inhalte <strong>der</strong> Einheit<br />

die des Themenfeldes übertreffen. Die Hauptkompetenzen <strong>der</strong> SchülerInnen finden sich<br />

jedoch in den Beschreibungen des Themenfeldes wie<strong>der</strong>: „ In <strong>der</strong> Einen Welt <strong>leben</strong> Kin<strong>der</strong><br />

unterschiedlich. Gott macht Mut zum gemeinsamen Leben.“ 39<br />

37<br />

Schweitzer, Friedrich,2007, Lebensgeschichte und Religion, S.145<br />

38<br />

Ministerium für Kultus 2004, S.23<br />

39<br />

Vgl. Ministerium für Kultus 2004, S.30<br />

113


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

5. Konzeption <strong>der</strong> Unterrichtseinheit<br />

Die Unterrichtseinheit „<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“ besteht aus acht Unterrichtsstunden.<br />

Mittelpunkt je<strong>der</strong> Stunde ist die Erzählung von Musa und seinen Erfahrungen <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Frieden</strong>serziehung für christliche und muslimische Kin<strong>der</strong> an <strong>der</strong> TSS in Amman. Es<br />

handelt sich dabei um eine fiktive Geschichte, die von mir persönlich frei erfunden ist.<br />

Die Darstellungen beziehen sich aber weitestgehend auf wahre Begebenheiten vor Ort.<br />

Die Einheit weist einen hohen dialogischen Charakter auf. Einerseits „spricht“ Musa<br />

durch seine Briefe o<strong>der</strong> als „Person“ zu den SchülerInnen und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite werden<br />

den Kin<strong>der</strong>n viele Möglichkeiten gegeben auch <strong>mit</strong> Musa ins Gespräch zu kommen,<br />

so zum Beispiel das Schreiben eines Briefes o<strong>der</strong> einem fiktiven Tagebucheintrag.<br />

Den Einstieg in die Unterrichtseinheit „<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“ bereitet eine kleine<br />

„Län<strong>der</strong>kunde“, die den SchülerInnen wichtige Informationen über das Land und die<br />

Kultur, sowie über die Theodor- <strong>Schneller</strong>-Schule in Amman gibt. Auch die zweite Stunde<br />

dient noch <strong>der</strong> Annäherung an das Thema: die SchülerInnen werden an den Begriff<br />

„<strong>Frieden</strong>“ herangeführt. Die zwei folgenden Stunden beschäftigen sich <strong>mit</strong> dem Alltag an<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule. Die SchülerInnen erfahren zum einen, dass dort Christen und Muslime<br />

gemeinsam in <strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> und zum an<strong>der</strong>en erkennen sie die Bedeutung, des Bildungsangebots<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule für die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen in Jordanien. In<br />

den darauf folgenden Stunden setzten sich die SchülerInnen <strong>mit</strong> den Themen „Teilen“<br />

und „Vergeben“ als elementare Bestandteile von <strong>Frieden</strong> auseinan<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> siebten<br />

Stunde wird „<strong>Frieden</strong>“ für die SchülerInnen als Ereignis im zwischenmenschlichen Bereich<br />

erlebbar, das von dem Verhalten jedes einzelnen Menschen abhängig ist. Die letzte<br />

Stunde zeigt die Grenzen unseres menschlichen <strong>Frieden</strong>handelns auf und macht die<br />

SchülerInnen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> christlichen <strong>Frieden</strong>svision vertraut.<br />

114


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

Stunde Thema Inhalt<br />

Die Stunde führt in die neue Themeneinheit ein. Die SchülerInnen <strong>lernen</strong><br />

Jordanien und die TSS kennen. Sie wissen, dass in Jordanien viele<br />

1 Einführungsstunde Familien in großer Armut <strong>leben</strong> und sich nicht um ihre Kin<strong>der</strong> kümmern<br />

können und kennen die TSS als Einrichtung die benachteiligten<br />

Kin<strong>der</strong>n eine neue Heimat bietet.<br />

Die SchülerInnen werden <strong>mit</strong> dem Begriff <strong>Frieden</strong> vertraut und tragen<br />

2<br />

„Was bedeutet für<br />

uns <strong>Frieden</strong>?“<br />

ihre ersten Assoziationen dazu zusammen. Sie <strong>lernen</strong> das Jubiläumslogo<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schulen, die <strong>Frieden</strong>staube kennen und können ihre Bedeutung<br />

erklären.<br />

Der Alltag <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>kin<strong>der</strong> steht in dieser Stunde im Mittelpunkt.<br />

3<br />

„Muslime und<br />

Christen <strong>leben</strong> hier<br />

gemeinsam“<br />

Dabei soll <strong>der</strong> Schwerpunkt auf <strong>der</strong> Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> TSS, als Einrichtung<br />

in <strong>der</strong> christliche und muslimische Kin<strong>der</strong> gemeinsam aufwachsen,<br />

liegen. Die SchülerInnen erfahren, dass <strong>der</strong> Glaube an den Gott des<br />

<strong>Frieden</strong>s verbindend sein kann und sind dazu in <strong>der</strong> Lage, einan<strong>der</strong> in<br />

Verschiedenheit wahrzunehmen und zu achten.<br />

Das Privileg von Bildung als Bestandteil <strong>der</strong> Beteiligungsgerechtigkeit<br />

soll in <strong>der</strong> dritten Stunde thematisiert werden. Die SchülerInnen erfah-<br />

4<br />

„Was Bildung <strong>mit</strong><br />

<strong>Frieden</strong> zu tun hat?“<br />

ren, dass eine Schulbildung nicht für jedes Kind selbstverständlich ist.<br />

Sie können am Beispiel <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>kin<strong>der</strong>, die Wichtigkeit von Bildung<br />

für das spätere Leben benennen. Sie können darüber Auskunft geben,<br />

warum die Schulbildung ein nachhaltiger Beitrag zum <strong>Frieden</strong> ist.<br />

Vergebung ist essentiell für den <strong>Frieden</strong>, ist aber lei<strong>der</strong> in den ausschlag-<br />

5<br />

„Vergebung macht<br />

<strong>Frieden</strong> möglich“<br />

gebenden Situationen nicht immer einfach. Die Stunde thematisiert die<br />

Vergebung als Präventivmaßnahme für den <strong>Frieden</strong> und zeigt, dass auch<br />

Vergeben erst einmal gelernt werden muss.<br />

Diese Stunde beschäftigt sich <strong>mit</strong> dem Thema „Teilen“ als Komponente<br />

6<br />

„Teilen vermehrt den<br />

<strong>Frieden</strong>“<br />

des <strong>Frieden</strong>s. Die SchülerInnen können Beispiele aus <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-<br />

Schule und dem eigenen Leben nennen, in denen Teilen bereichernd<br />

empfunden wurde. Sie wissen, dass eine gerechte Aufteilung von Gütern<br />

dem <strong>Frieden</strong> dienlich ist.<br />

Musa blickt auf seine bisherige Zeit an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule zurück und<br />

7<br />

„Selbst zum <strong>Frieden</strong>sstifter<br />

werden“<br />

stellt fest, dass er sich verän<strong>der</strong>t hat. Er ist <strong>mit</strong> sich selbst zufrieden, hat<br />

den <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> sich selbst gefunden und möchte diese Erfahrung teilen.<br />

Die SchülerInnen erfahren, dass die persönliche Erfahrung von <strong>Frieden</strong><br />

Menschen zu <strong>Frieden</strong>sstiftern befähigen kann.<br />

In dieser Stunde steht die Begrenztheit des irdischen <strong>Frieden</strong>s <strong>der</strong> Frie-<br />

8 „Gottes<br />

densvision Gottes gegenüber. Die Einheit wird <strong>mit</strong> <strong>Frieden</strong>swünschen<br />

<strong>Frieden</strong>svision“ <strong>der</strong> SchülerInnen für die Kin<strong>der</strong> in Jordanien beschlossen.<br />

115


Studentische Arbeiten – <strong>Frieden</strong> Leben Lernen<br />

6. Fazit und Schlussworte<br />

„<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“ – ist dies im Alltag an den <strong>Schneller</strong>-Schulen möglich?<br />

„Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“ Das Wort aus Jesaja 32,17 nimmt für mich<br />

in <strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule in Jordanien reale Gestalt an. Die Darstellung <strong>der</strong><br />

Arbeit im zweiten Kapitel zeigen, dass an <strong>der</strong> TSS Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Gerechtigkeit<br />

geschaffen werden, die es ermöglichen, dass unter den Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

<strong>Frieden</strong> wachsen kann. Die unzähligen „Erfolgsgeschichten“ von ehemaligen <strong>Schneller</strong>-<br />

Schülern zeigen darüber hinaus, dass dieser Friede durch die Schüler in die Welt hinausgetragen<br />

wird und nicht auf die Einrichtung an sich konzentriert ist.<br />

<strong>Frieden</strong> Leben Lernen“ – ist dies durch diese Unterrichtseinheit möglich?<br />

Ich vermag diese Frage nicht abschließend zu beantworten, denn ich habe die im Rahmen<br />

dieser Bachelor-Thesis erstellte Arbeit noch nicht in <strong>der</strong> Praxis angewandt. Aber ich<br />

konnte in den wenigen Stunden, die ich bislang in <strong>der</strong> Schule über <strong>Schneller</strong> gehalten habe,<br />

immer die Neugier und das Interesse <strong>der</strong> SchülerInnen wecken, das notwendig ist um<br />

das Gelernte im eigenen Leben umzusetzen. Die Erfahrungen, die von den <strong>Schneller</strong>schülern<br />

auf dem Weg zu einem Leben in <strong>Frieden</strong> <strong>mit</strong> ihren Mitschülern gemacht werden<br />

sind so elementar, dass sie von den SchülerInnen <strong>der</strong> 4. Klasse nachvollzogen werden<br />

können. Der Lernort Schule, an dem die Geschichten handeln und wo sie auch gehört<br />

werden ist verbindend, wenngleich die Schulen faktisch sehr unterschiedlich sind.<br />

Die dialogische Konzeption <strong>der</strong> Einheit, durch Briefe, Tagebucheinträge und <strong>der</strong> abschließenden,<br />

realen Postkartenaktion, erweckt den Inhalt <strong>der</strong> Einheit zu Leben, nimmt<br />

die SchülerInnen <strong>mit</strong>ten hinein und for<strong>der</strong>t da<strong>mit</strong> eigenes Handeln heraus. Daher gehe<br />

ich davon aus, dass die Unterrichtseinheit für die SchülerInnen viele Anknüpfungspunkte<br />

bietet um die Inhalte <strong>der</strong> Stunden auf ihr Leben und das in <strong>der</strong> Klassengemeinschaft umzusetzen.<br />

Sicherlich bleiben den SchülerInnen <strong>der</strong> Grundschule bestimmte Dimensionen des Themas<br />

verborgen. So wird beispielsweise <strong>der</strong> Konflikt im Nahen Osten, <strong>der</strong> viele Palästinenser<br />

zu Flüchtlingen und Jordanien zum Aufnahmeland gemacht hat ebenso wenig<br />

thematisiert, wie die daraus entstehende Armut, die <strong>der</strong> Grund für soziale Vernachlässigung<br />

und Gewalt in den Herkunftsfamilien <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>schüler sein kann. Die Tatsache,<br />

dass <strong>der</strong> Nahost Konflikt, <strong>der</strong> ja in elementarer Weise <strong>mit</strong> den Themen „<strong>Frieden</strong>“, „Gerechtigkeit“,<br />

„Teilen“ „Vergeben“ und dem Leben an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule verbunden ist,<br />

in einer höheren Klassenstufe sicherlich gewinnbringend eingebracht werden könnte,<br />

min<strong>der</strong>t jedoch den Wert dieser Unterrichtseinheit nicht.<br />

Ich bin davon überzeugt, dass meine Konzeption für die Grundschule, diese in ihrem<br />

Auftrag zur <strong>Frieden</strong>serziehung unterstützt. Ich sehe diese Einheit als Teil einer umfassenden<br />

Erziehung zu <strong>Frieden</strong>, die sich nicht nur auf den Religionsunterricht o<strong>der</strong> das Leben<br />

an <strong>der</strong> Schule beschränkt, son<strong>der</strong>n von den Familien und außerschulischen Gruppen<br />

und Kreisen <strong>mit</strong>getragen werden muss. Denn die Unterrichtsinhalte müssen erlebbar<br />

werden und dies ist im Rahmen <strong>der</strong> Schule nur in einem beschränkten Erfahrungshorizont<br />

möglich. Dennoch spielen die Schulen meines Erachtens eine bedeutende Rolle als<br />

Multiplikator für <strong>Frieden</strong>, da sie prinzipiell alle Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen erreichen.<br />

Doch auch für unsere Schulen gilt: „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“ – wenn<br />

an den Schulen erfolgreich zu <strong>Frieden</strong> erzogen werden soll, dann muss sich dies auch im<br />

Alltag an <strong>der</strong> Schule zeigen – <strong>Frieden</strong>serziehung kann sich nicht rein auf die Ver<strong>mit</strong>tlung<br />

von Unterrichtsinhalten beschränken.<br />

116


Studentische Arbeiten – <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> und christliches Zeugnis<br />

2. Markus Maurer: <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> und christliches Zeugnis im<br />

Heiligen Land?<br />

Auszug aus <strong>der</strong> Hausarbeit von Markus Maurer, Studiengang Soziale Arbeit und Diakoniewissenschaften,<br />

EHLB<br />

1. Was ist die „<strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong>“?<br />

„<strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong>“ – Das war mir bis zum Jahr 2010 ein Fremdwort. Zum einen fragte<br />

ich mich, warum <strong>Mission</strong> im urchristlichsten Land, dem „Heiligen Land“, nötig wäre.<br />

Zum an<strong>der</strong>en wusste ich nichts von einer <strong>Mission</strong>sgesellschaft <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Kirche,<br />

die im Nahen Osten arbeitet. Anfang April war <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> „<strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong>“ Titel<br />

unseres Studienaufenthaltes. Während unseres Vorbereitungsseminares in Moritzburg<br />

erhielten wir von den Dozierenden einige Informationen über Ludwig und Theodor<br />

<strong>Schneller</strong>. Aber uns fehlte <strong>der</strong> Bezug zu <strong>Mission</strong>, Bildung und <strong>der</strong> Nahostarbeit <strong>der</strong><br />

<strong>Evangelische</strong>n Kirche in Deutschland. So begannen wir zu recherchieren:<br />

„<strong>Mission</strong>“ – Dieser Begriff ist oft negativ besetzt. „<strong>Mission</strong>ar“ und „<strong>Mission</strong>“ werden <strong>mit</strong><br />

Freiheitsentzug o<strong>der</strong> vorgegebenen Absolutheitsansprüchen verbunden. Aber wie fand<br />

damals eigentlich <strong>Mission</strong> statt? Die Ersten, die an Jesus als den Messias glaubten, waren<br />

Juden. Nach ihrem Verständnis galt das Land <strong>der</strong> Juden als Ort <strong>der</strong> Offenbarung des<br />

Gottes Israels.<br />

„Dieser Jesus wurde von einer jüdischen Mutter geboren. Ihm wurde ein guter und üblicher<br />

jüdischer Name gegeben, nämlich Jeschua, ‚die Rettung des Herrn‘.“ 40 Nach Matthäus 1,21 erklärt<br />

sich die Bedeutung dessen, was Jesus tat, aus seinem Namen: Er kam, um zu retten.<br />

Die erste Jesus-Bewegung bestand aus Juden, und diese jüdischen Gläubigen sahen in Jesus<br />

die Erlösung für Israel. <strong>Mission</strong> war Rettung und Erlösung zugleich. 41 Das hat auch<br />

die <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> geprägt: Als <strong>der</strong> schwäbische Pfarrer und <strong>Mission</strong> Johann <strong>Schneller</strong><br />

Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts nach Palästina kam, war ihm das Markus-Evangelium sehr<br />

wichtig: <strong>Schneller</strong> wollte allen Menschen Anteil am Heil ermöglichen. Er sah es als seine<br />

Aufgabe, das Leben <strong>der</strong> Waisenkin<strong>der</strong> zu formen, ihnen ein Zuhause zu ermöglichen<br />

und für ihre Erziehung und ihren Unterricht zu sorgen. „Und keiner war so schnell zur<br />

Wohltat und zur Vervollständigung des Willen Gottes wie er. Leben und Werk von Johann-Ludwig<br />

<strong>Schneller</strong> haben für viele Menschen in Jerusalem, im Libanon und Jordanien Ausbildung, Erziehung,<br />

Arbeit ermöglicht und Zukunft gegeben.“ 42<br />

Eines seiner größten Vorbil<strong>der</strong> in diesem Bezug war <strong>der</strong> Pfarrer Theodor Fliedner. Mit<br />

Fliedner verband <strong>Schneller</strong> nicht nur die Liebe für Israel und das Heilige Land. Fliedner<br />

war ein Mensch, <strong>der</strong> einige Waisenhäuser und diakonische Einrichtungen in Deutschland<br />

im frühen 19. Jahrhun<strong>der</strong>t gegründet hatte. Fliedner begründete sein Handeln ähnlich<br />

wie <strong>Schneller</strong>: In <strong>der</strong> Region arbeiten zu dürfen, wo Jesus gewirkt hatte, musste<br />

Fliedner wie eine Auszeichnung, ein Privileg vorgekommen sein. Nach und nach rückten<br />

auch bei ihm die Armen und verwahrlosten Kin<strong>der</strong> in den Vor<strong>der</strong>grund. So konnte er <strong>mit</strong><br />

finanzieller Hilfe des deutschen Kaisers ein Diakonissenhaus aufbauen. Für Fliedner und<br />

<strong>Schneller</strong> leitete sich die Begründung für ihr missionarisches Handeln aus dem biblischen<br />

Menschenbild ab: Menschen unterschiedlicher Religionen als Ebenbild Gottes zu sehen<br />

40<br />

Zaretsky,Tuvya, 2006, Das Evangelium-auch für Juden, S.12.<br />

41<br />

A.a.O.<br />

42<br />

Dahdal,Naser Musa, 2010,Johann Ludwig <strong>Schneller</strong>, S. 9.<br />

117


Studentische Arbeiten – <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> und christliches Zeugnis<br />

und sie auch so anzunehmen. Dementsprechend gilt es die Würde, Meinung und Ansicht<br />

einer Person zu respektieren.<br />

Auf dieser Grundlage wird Dialog möglich. Das bedeutet für die <strong>Schneller</strong> Schulen:<br />

� Den Islam verstehen: Ein Sprichwort dazu: „Wenn du einen Indianer missionieren<br />

willst, werde erst einmal ein Indianer.“ Natürlich wollte <strong>Schneller</strong> nicht Muslim<br />

werden und wollen die heutigen <strong>Schneller</strong> Schulen nicht zur Konversion erziehen,<br />

aber sie versuchen, Verständnis für muslimisches Leben zu wecken.<br />

� Gerechtigkeit und <strong>Frieden</strong> suchen: Wo Menschen Unrecht wi<strong>der</strong>fährt sollte es die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> sein, Menschen aus Bedrängnissen zu befreien und ihnen<br />

Hoffnung und <strong>Frieden</strong> zu geben.<br />

2. Eigene Erlebnisse an <strong>der</strong> Theodor <strong>Schneller</strong> Schule<br />

Für die Kin<strong>der</strong> an <strong>der</strong> TSS war es ganz normal, Begegnung <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Religionen im<br />

Alltag zu suchen und konstruktiv zu gestalten. Egal ob Muslim o<strong>der</strong> Christ, die Kin<strong>der</strong><br />

spielten ausgelassen <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong>. Dabei merkte ich, dass es mir als Erwachsenem schwer<br />

fiel, mich wie die Kin<strong>der</strong> zu verhalten. Ich musste über meinen eigenen Schatten springen<br />

und meine Vorurteile und Urteile über Muslime an <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> TSS prüfen.<br />

„Menschenwürde vor Gotteswürde?“. Das war immer wie<strong>der</strong> Vorlage für Diskussionen.<br />

Um den Menschen als Person „richtig“ wahrzunehmen, muss und möchte ich sein Verhalten<br />

auch <strong>mit</strong> meinem Verstand begreifen. Wichtig ist, dass wir in diesem Rahmen die<br />

Liebe und nicht die Worte sprechen lassen. Gerade wir Christen können diesem Punkt<br />

ganz gelassen ins Auge schauen. Wenn Vergebung nicht stattfinden kann, wird <strong>der</strong> Liebe<br />

keinen Raum gelassen.<br />

„Die Rechtfertigung aus Glauben befähigt uns, unserem Versagen ins Auge zu sehen, und den Engagierten<br />

gibt sie Kraft zum Weitermachen, weil sie über das Scheitern hinaus denkt.“<br />

Basis <strong>der</strong> ganzen Erziehung bzw. <strong>Mission</strong> muss <strong>der</strong> gewaltfreie Umgang und das ständige<br />

Streben nach Konfliktlösungen sein.<br />

Wir wissen heute zuverlässig, dass Kin<strong>der</strong>, die in ihrer Erziehung keine gewaltfreie Konfliktlösung<br />

<strong>lernen</strong>, zu Gewalt im Erwachsenen<strong>leben</strong> neigen. Kin<strong>der</strong> dagegen, die gewaltfreie<br />

Konfliktlösung gelernt haben, haben Zivilcourage. Gewaltfreie Erziehung stärkt Zivilcourage,<br />

die För<strong>der</strong>ung von Vertrauen und Verantwortung sowie Konfliktfähigkeit in<br />

<strong>der</strong> Erziehung, die die moralische Urteilsfähigkeit von Kin<strong>der</strong>n för<strong>der</strong>t. Das wird an <strong>der</strong><br />

TSS eingeübt.<br />

Ein weiterer Punkt, <strong>der</strong> von großer Bedeutung für die <strong>Mission</strong> aus „schnellerischem Verständnis“<br />

steht, ist <strong>der</strong> Dialog: Der <strong>Frieden</strong> gehört zum Dialog und <strong>der</strong> Dialog gehört<br />

zum <strong>Frieden</strong>. Wir erkannten schnell, dass es ein großer Fehler ist, für den Unfrieden in<br />

Nahost allein die Religionen verantwortlich zu machen. Das wurde uns auch deutlich<br />

beim Besuch einer christlichen Schule in Ramallah. Laut <strong>der</strong> palästinensischen Pädagogin<br />

und Autorin Viola Raheb können christliche Schulen durch eine gute Vorbereitung<br />

auf das spätere Zusammen<strong>leben</strong> <strong>mit</strong> Menschen an<strong>der</strong>en Glaubensrichtungen zum <strong>Frieden</strong><br />

im Nahen Osten beitragen. Dabei zeigt sich <strong>der</strong> Ansatz <strong>der</strong> inklusiven Erziehung, die<br />

auch für die missionarische Bildungsarbeit an <strong>der</strong> TSS leitend ist: Egal aus welcher Bildungsschicht<br />

und <strong>mit</strong> welchen Hintergründen die Kin<strong>der</strong> zu TSS kommen, ihnen soll geholfen<br />

und eine Ausbildung ermöglicht werden. Z. B.: Eine Familie hat Vierlinge. Sie<br />

hat nicht einmal das Geld, um den Schulbus für die 4 Kin<strong>der</strong> zu bezahlen. Die Kin<strong>der</strong><br />

können trotzdem, kostenlos in die TSS kommen und werden herzlich aufgenommen. Ein<br />

weiterer Aspekt von <strong>Mission</strong> ist die <strong>Frieden</strong>sarbeit, die an <strong>der</strong> TSS geleistet wird. Laut Al<br />

Munaizels Überzeugungen gehört es für einen Menschen im Nahen Osten zur sozialen<br />

118


Studentische Arbeiten – <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> und christliches Zeugnis<br />

Kompetenz, <strong>mit</strong> Menschen an<strong>der</strong>er Religionen in <strong>Frieden</strong> und Freiheit zu <strong>leben</strong>. Ein Beispiel<br />

dafür ist die Geschichte eines kleinen Jungen, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> TSS im Internat lebt. Er<br />

bastelte sich anfangs oft eine Holzpistole und Sprengstoff aus Müllresten. Der liebevolle<br />

Umgang und die offene Auseinan<strong>der</strong>setzungen <strong>mit</strong> dem Thema Gewalt führte dazu, dass<br />

er später gewaltfreies Spielzeug aus Müll bastelte und Mitschüler zum Mitbasteln einlud.<br />

Laut Musa besteht die Aufgabe von schnellerischem <strong>Mission</strong>sverständnis darin, den<br />

Schülern stabile Werte, Sicherheit, Orientierung und Geborgenheit zu geben.<br />

Sowohl in <strong>der</strong> christlich-muslimischen, als auch in <strong>der</strong> christlich jüdischen Begegnung, ist<br />

<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> „<strong>Mission</strong>" an vielen Punkten durch den Begriff des „Zeugnisses" ausgetauscht<br />

worden. Für mich ist eine Gleichstellung <strong>der</strong> beiden Begriffe vorstellbar. Ein<br />

Zeugnis abgeben bedeutet, zu <strong>leben</strong> für die Rechte und das Wohl <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong><br />

Hoffnung auf Besserung. Wenn ich mir in diesem Kontext nochmals überlege, was ich in<br />

Jordanien gesehen habe und wie die TSS einen weit verbreiteten Namen im ganzen Nahen<br />

Osten hat, kann ich sagen, dass sie ein Zeugnis gibt, das Rettung und Erlösung wirkt.<br />

119


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

3. Katja Baur: <strong>Frieden</strong> unterrichten? Impulse <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen<br />

für friedenspädagogisches Lernen<br />

Vortrag beim Symposium „<strong>Frieden</strong>spädagogik im Nahen Osten“ im Rahmen des <strong>Schneller</strong><br />

Jubiläumsjahres, Amman, Dezember 2010:<br />

<strong>Frieden</strong> unterrichten? <strong>Frieden</strong>spädagogisches Lernen in <strong>der</strong> Hochschulbildung<br />

Prof. Dr. Katja Baur <strong>Evangelische</strong> Hochschule Ludwigsburg<br />

„<strong>Frieden</strong>spädagogische Kompetenz“ als Fertigkeit und Fähigkeit, aus globaler Verantwortung<br />

heraus Gewalt und Krieg in <strong>der</strong> Welt einzudämmen und zugleich gerechte Verhältnisse<br />

aufzubauen, findet sich heute in Kompetenzbeschreibungen von etlichen Studienprofilen<br />

und Modulhandbüchern deutscher Hochschulen. Oftmals reichen sich dabei<br />

die friedenspädagogische sowie die interkulturelle und interreligiöse Kompetenzformulierung<br />

einan<strong>der</strong> die Hand. Für kirchliche Hochschulen bedeutet ein friedenspädagogisch<br />

motivierter Umgang <strong>mit</strong> Transnationalisierung und Globalisierung meines Erachtens eine<br />

Focussierung auf die bewusste Zuwendung zu den Globalisierungsverlierenden. Ziel<br />

ist die Überwindung <strong>der</strong> „ismen“, z. B. Rassismus, Terrorismus, Kolonialismus o<strong>der</strong> religiösem<br />

Fanatismus. Dieses anwaltschaftliche Lernen erwirkt um Gottes und <strong>der</strong> Menschen<br />

willen eine Solidarität <strong>mit</strong> den Benachteiligten dieser Welt. Doch: Wie lässt sich<br />

eine <strong>der</strong>artige religiös motivierte, friedenspädagogisch- anwaltschaftliche Kompetenz lehren<br />

und <strong>lernen</strong>?<br />

Ich möchte anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Bereichen meiner Arbeit an einer<br />

evangelischen Hochschule, die für Arbeitsfel<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Religionspädagogik, Frühkindlichen<br />

Bildung, Diakonie und Soziale Arbeit qualifiziert, aufzeigen, wie wir uns bemühen,<br />

in Lehre und Forschung friedenspädagogisches Lernen und Lehren zu för<strong>der</strong>n.<br />

Zentrale Impulse für meine Darstellung verdanke ich <strong>der</strong> Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Musa Al<br />

Munaizel, <strong>der</strong> TSS und Kollegen und Kolleginnen an <strong>der</strong> GJU im Rahmen unseres <strong>mit</strong>tlerweile<br />

fünfjährigen BIDA Studienprojektes hier in Amman (BIDA- Brücken zum interkulturellen<br />

und interreligiösen Dialog in Amman und Nahost).<br />

Ich danke <strong>der</strong> TSS für die Einladung nach Amman. Dass es Ihnen gelingt, bei dieser Tagung<br />

Personen aus <strong>der</strong> Erziehungs- Bildungs- und Universitätsarbeit in Europa, Libanon,<br />

Jordanien, Israel, Palästina und Syrien hier an <strong>der</strong> TSS zusammen zu bringen, um <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong><br />

über friedenspädagogisches Lernen und Lehren im Nahen Osten nachzudenken,<br />

ist etwas Zukunftsweisendes. Sie setzen an <strong>der</strong> TSS anschauliche Impulse für eine -<br />

in meinen Augen- diakonisch motivierte, anwaltschaftlich orientierte <strong>Frieden</strong>spädagogik.<br />

Wer über Ihr Gelände geht und sieht, wie ehemals traumatisierte Kin<strong>der</strong>, vergewaltigte<br />

Mädchen o<strong>der</strong> verwaiste Flüchtlingskin<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> anfangen zu lachen und Hoffnung zu<br />

schöpfen, <strong>der</strong> und die merkt schnell, dass es sich lohnt, friedenspädagogisch zu arbeiten.<br />

Auch wenn wir Ihre Praxis nicht eins zu eins in unseren Hochschulalltag übersetzen<br />

können (und wollen), hat sie mich doch inspiriert, das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e auch bei uns zu<br />

wagen. So stelle ich den Beispielen, die ich gleich aus unserer Arbeit vorstelle, eine Inspiration<br />

durch ihre Praxis voran.<br />

<strong>Frieden</strong>spädagogische Arbeit braucht eine innovative Praxis (a), eine Reflexion und Evaluation<br />

<strong>der</strong> Praxis (b) sowie eine daraus resultierende Theoriebildung (c), die <strong>der</strong> Praxis<br />

neue Impulse liefert. In diesem Dreischritt möchte ich nun versuchen, die von Ihnen angefragte<br />

Fragestellung anzugehen. Punkt c) werde ich dabei nur in Ansätzen streifen.<br />

120


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

Anhand von sechs Beispielen aus unserem Hochschul<strong>leben</strong> gehe ich nun <strong>der</strong> Frage nach,<br />

welche Weichenstellungen hilfreich sind, um friedenspädagogisches Lernen in <strong>der</strong> Hochschulbildung,<br />

aber auch <strong>der</strong> schulischen Bildung o<strong>der</strong> in Bildungsprozessen insgesamt, zu<br />

verankern. Meine Hoffnung ist, dass diese Impulse auch unsere Diskurse auf dieser Tagung,<br />

die sich den kulturellen o<strong>der</strong> religiösen Dimensionen einer lokalen und zugleich<br />

globalen <strong>Frieden</strong>spädagogik widmen, inspirieren.<br />

1. Vertrauens-bildung als Basis <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>spädagogik: Lehrveranstaltungen gestalten<br />

nach dem didaktischen Modell: Lernen und Lehren in Gegenwart des/<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en<br />

a) Die praktische Perspektive:<br />

Ein Beispiel aus <strong>der</strong> TSS: Kin<strong>der</strong> und Jugendliche <strong>leben</strong> hier in <strong>der</strong> TSS in Wohngruppen<br />

ihren Alltag <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong>. Dabei wird je<strong>der</strong> und jede in <strong>der</strong> eigenen Identität gestärkt- das<br />

ist die Basis, um <strong>mit</strong> Differenzen konstruktiv umgehen zu können. Aber es gibt auch<br />

Trennungen, z. B. in den christlichen und muslimischen Unterricht. Um diese Trennung<br />

konstruktiv zu gestalten, initiieren Sie, die Lehrerinnen und Lehrer für religiöse Bildung<br />

an <strong>der</strong> TSS, zugleich Begegnungen, in denen beide Gruppen zusammen kommen und<br />

sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede austauschen – um einan<strong>der</strong> auch im Alltag<br />

besser zu verstehen und zu (er)tragen. D. h.: we<strong>der</strong> das Zusammen<strong>leben</strong> alleine noch<br />

Lernarrangements <strong>mit</strong> identischen Gruppen genügen, um Konfliktfähigkeit zu <strong>lernen</strong><br />

und z. B. den Umgang <strong>mit</strong> Religiosität o<strong>der</strong> Sexualität zu bewältigen – es bedarf <strong>der</strong> bewussten<br />

Konfrontation <strong>mit</strong> dem/<strong>der</strong> Fremden in <strong>der</strong> pädagogischen Gestaltung von Begegnungs<strong>lernen</strong>-<br />

das hat uns inspiriert:<br />

Ein Beispiel aus unserer EH: eine Aufgabe im interreligiösen Seminar und ihre Folgen<br />

Im Seminar zum interreligiösen Lernen am 9.11.2009 bitten die jüdische Lehrbeauftragte<br />

und ich die anwesenden 26 Studierenden, für diesen geschichtsträchtigen Tag (20 Jahre<br />

deutsche Einheit, Synagogenbrand) ein gemeinsames <strong>Frieden</strong>sgebet <strong>der</strong> Abraha<strong>mit</strong>en zu<br />

gestalten, das Juden und Christen, aber auch Muslime und An<strong>der</strong>e am Brandenburger<br />

Tor <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> feiern könnten. Die Studierenden haben die Freiheit, die Feierstunde<br />

nach einem <strong>der</strong> ihnen bekannten Modelle zum religiösen Miteinan<strong>der</strong> (vgl. Punkt 3.) zu<br />

entwickeln. Einige Studierende verweigern sich <strong>der</strong> Aufgabe. Auf Nachfrage von uns<br />

antwortet eine Studierende: „In unserer Gruppe sind wir uns schnell einig geworden- Wir als<br />

Christen beten nicht in Gegenwart und schon gar nicht zusammen <strong>mit</strong> Juden und Muslimen.“ Sie<br />

führte aus, dass es nicht <strong>der</strong> gleiche Gott sei, zum dem Juden, Muslime und Christen beten.<br />

Die Bibel for<strong>der</strong>t ihrer Meinung nach, dass Christen sich von Ungläubigen fern halten<br />

sollen. In Ungläubigen sei evtl. <strong>der</strong> Teufel am Werke und den wolle man als Christ<br />

doch besiegen, nicht aber zum gemeinsamen Beten einladen. Das Johanneswort von Jesus<br />

als Weg, Wahrheit und Leben sei eben das Nadelöhr, durch das man den wahren<br />

Gott erkennen und anbeten könne. Ein Student ergänzte, dass er eigentlich entsetzt sei,<br />

dass ich als christliche Professorin so eine Aufgabe stelle – mir solle die EKD Handreichung<br />

doch auch bekannt sein, die vor interreligiösen Gebeten warne (Anmerkung: natürlich<br />

ist mir diese Handreichung bekannt, doch gab es eine Freiheit in <strong>der</strong> Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Aufgabe, sodass die Studierenden auch ein multireligiöses Gebet hätten gestalten<br />

können und die EKD Handreichung warnt nicht davor, sich in <strong>der</strong> Gegenwart von An<strong>der</strong>sgläubigen<br />

aufzuhalten bzw. <strong>mit</strong> ihnen zusammen Projekte zu schultern die dem<br />

<strong>Frieden</strong> dienen).<br />

121


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

Die Reaktion <strong>der</strong> einen Gruppe wurde darauf zum Thema <strong>der</strong> ganzen Seminargruppe:<br />

Kann o<strong>der</strong> sollte man in Gegenwart von An<strong>der</strong>sgläubigen und <strong>mit</strong> ihnen zusammen für<br />

den <strong>Frieden</strong> beten? Auf Rückfrage <strong>der</strong> jüdischen Lehrbeauftragten, warum einige Studierenden<br />

denn nicht <strong>mit</strong> ihr bzw. Juden zusammen um den <strong>Frieden</strong> beten und für den<br />

<strong>Frieden</strong> danken würden, antworten Studierende: „Wir unterscheiden zwischen Ihnen als Person<br />

und Ihrer Religion. Auf <strong>der</strong> menschlichen Ebene sind Begegnungen <strong>mit</strong> Juden und Muslimen<br />

gut, z. B. indem man zusammen isst usw., aber die Religion soll man aus dem Miteinan<strong>der</strong> bewusst<br />

ausklammern. Grenzen zwischen Menschen: nein, Grenzen zwischen Religionen: ja. <strong>Frieden</strong> kann<br />

nur entstehen, wo man religiöse Unterschiede stehen lässt. Nur so kann man redlich <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong><br />

umgehen.“ Die Lehrbeauftragte war über diese Trennung von Person und Religion recht<br />

erstaunt und fragte, ob das die christliche Sicht vom Menschen sei, was diese Studierenden<br />

für sich selbst dann verneinten <strong>mit</strong> dem Satz „Nein, mein Christentum bin ich“. Dann<br />

holte eine Studierende ihre Bibel heraus. Sie las <strong>der</strong> Gruppe in Gegenwart <strong>der</strong> jüdischen<br />

Lehrbeauftragten Röm 11,28-32 vor und kommentierte: „Die Bibel sagt, dass es traurig ist,<br />

dass die Juden sich nicht zu Jesus bekennen – diese Traurigkeit kann man nicht <strong>mit</strong> einem <strong>Frieden</strong>sgebet<br />

kaschieren.“ Ich fragte die Studierende, wie es ihr ginge, so einen Text in Gegenwart<br />

von <strong>der</strong> jüdischen Lehrbeauftragten vorzulesen – sei es doch einer <strong>der</strong> missbrauchten<br />

Texte, die schon im Mittelalter zur Diskriminierung von Jüdinnen und Juden geführt<br />

hatten. Ich erinnerte an das Straßburger Münster <strong>mit</strong> dem Bild <strong>der</strong> <strong>mit</strong> einer Binde zugedeckten<br />

blinden Synagoge und <strong>der</strong> gekrönten Kirche, die sehen kann.<br />

Großes Schweigen im Raum – ganz aufrichtige Betroffenheit unter allen Studierenden.<br />

Die jüdische Lehrbeauftragte fragte, ob die Abgrenzung von Juden o<strong>der</strong> gar vom Interreligiösen<br />

überhaupt nicht auch da<strong>mit</strong> zu tun habe, dass viele Studierende und junge Christen<br />

heute das eigene christliche Verhältnis zum Judentum nicht geklärt hätten. Sie berichtete<br />

von Dialogveranstaltungen zum christlich jüdischen Miteinan<strong>der</strong>, in denen fast nur<br />

die Generation „50Plus“ anzutreffen sei. Christen, die dort auf Juden treffen, wären sich<br />

<strong>der</strong> Verwurzelung des Christentums im Judentum noch bewusst und würden es als Teil<br />

<strong>der</strong> christlichen Nachfolge sehen, dem Juden Jesus weit möglichst auf die Spur zu kommen.<br />

Diese Generation „50Plus“ sei durch Berichte <strong>der</strong> eigenen Eltern über Judenverfolgungen<br />

usw. in <strong>der</strong> Shoa noch näher dran an Fragen des Dialogs, doch es gelänge ihr<br />

nicht, die junge Generation für interreligiöse Begegnungsprojekte zu motivieren – dabei<br />

liege die Zukunft einer friedlichen, multikulturellen Gesellschaft in <strong>der</strong> Hand <strong>der</strong> Studierendengeneration.<br />

Auf Rückfrage stellte sich heraus, dass etliche Studierende aus dem<br />

Schulwissen o<strong>der</strong> aus kirchlicher Tätigkeit bzw. Vereinsarbeit keine o<strong>der</strong> ganz wenige<br />

Kenntnisse über das Judentum in Deutschland hatten. Die Lehrbeauftragte war für die<br />

meisten Studierenden <strong>der</strong> erste Kontakt <strong>mit</strong> einer Jüdin bzw. <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong><br />

dem Judentum. Die Lehrbeauftragte hörte zu, fragte nach und sagte den Studierenden,<br />

dass geschichtliche Unkenntnis für sie kein Argument sei, um sich <strong>der</strong> gemeinsamen religiösen<br />

Verantwortung von Christen und Juden für den <strong>Frieden</strong> in <strong>der</strong> Welt zu entziehen.<br />

Das Gebet sei ein Baustein auf diesem Weg. Sie erwarte auch, dass Christen sich <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Nahostfrage beschäftigen, um eben auch dort in Solidarität <strong>mit</strong> den jüdischen Bürgern<br />

und Bürgerinnen etwas für den <strong>Frieden</strong> zu erwirken. Auch deshalb nehme sie wöchentlich<br />

am Seminar teil. Sie sei bereit zum Dialog, deshalb sei sie da – aber bitte auf Augenhöhe.<br />

Wenn die junge Generation <strong>der</strong> Studierenden ihr den Glauben abspräche o<strong>der</strong> diesen<br />

als min<strong>der</strong>wertig einstufe, wäre das ein Rückschritt im Dialog. Viele Studierende waren<br />

daraufhin sehr betroffen.<br />

Als wir am Ende <strong>der</strong> Seminarsitzung und in den folgenden Sitzungen diese Situation<br />

auswerteten, sagten etliche Studierende, dass diese so schwierige Situation ihnen mehr<br />

122


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

Lernerfahrungen ermöglicht hätte als noch so viele Seminare zur <strong>Frieden</strong>spädagogik o<strong>der</strong><br />

zum interkulturellen Lernen, bei denen man nicht <strong>mit</strong>, son<strong>der</strong>n über An<strong>der</strong>e spricht. Es<br />

erschrecke sie, so hautnah zu er<strong>leben</strong>, wie nicht böser Wille, son<strong>der</strong>n einfach geschichtliche<br />

o<strong>der</strong> religiöse Unwissenheit zum Wegbereiter eines neuen Antise<strong>mit</strong>ismus und wohl<br />

auch Antiislamismus ihrer Generation führen könne. Wäre die jüdische Lehrbeauftragte<br />

nicht <strong>mit</strong> im Seminar anwesend, hätten sie als Studierende nie verstanden, wie wachsam<br />

man Worte und Gesten im Dialog auf die Waagschale legen müsse, um Differenzen<br />

wohl zu benennen, aber einan<strong>der</strong> dabei nicht zu verletzen.<br />

b) Eine Reflexion dieser Praxisbeispiele zeigt:<br />

<strong>Frieden</strong>spädagogisches Lernen basiert auf menschlichen Beziehungen. Wo Menschen<br />

unterschiedlicher kultureller o<strong>der</strong> nationaler bzw. religiöser Herkunft nicht – wie bei Ihnen<br />

an <strong>der</strong> TSS – täglich <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> <strong>leben</strong>, ist so eine Begegnung didaktisch zu initiieren,<br />

um Zusammen<strong>leben</strong> und Konfliktbewältigung exemplarisch zu <strong>lernen</strong>. Dabei gilt es<br />

zunächst, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das Religion o<strong>der</strong> Kultur in das Gesamt<br />

von Begegnungen integriert. Das schafft Raum und Zeit, um ehrlich und offen Wi<strong>der</strong>stände<br />

anzusprechen. Nur weil unsere Studierenden <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Lehrbeauftragten schon eine<br />

Weile vertraut waren, fanden sie auch den Mut, sich <strong>der</strong> Aufgabe zu wi<strong>der</strong>setzen und ihre<br />

eigentlichen Gründe öffentlich zu benennen. D. h.: <strong>Frieden</strong>spädagogik basiert auf<br />

Lernarrangements auf <strong>der</strong> Basis pädagogisch gestalteter Vertrauensbildung, einem dialogischen<br />

Lehren und Lernen auf Augenhöhe in originaler Begegnung (Bollnow) durch<br />

Kontinuität. Nur durch die dauerhafte Präsenz des o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Fremden“ lerne ich zu unterscheiden<br />

zwischen Vorurteilen über den Islam, das Judentum und Menschen, die <strong>der</strong>artige<br />

Positionen vertreten. Die Religionspädagogik beschreibt das <strong>mit</strong> dem didaktischen<br />

Modell „Lernen in Gegenwart des/<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en“. Es setzt auf nachhaltige Lernprozesse,<br />

weil Referenten/innen zu bestimmten Fragen nicht ein o<strong>der</strong> zwei Mal im Semester „eingeflogen“<br />

werden, son<strong>der</strong>n als dauerhafte Dialogpartner/innen präsent sind. An <strong>der</strong> EH<br />

Ludwigsburg haben wir uns deshalb entschlossen, eine jüdische und eine muslimische<br />

Lehrbeauftragte einzustellen, die wöchentlich in unseren interreligiösen Seminaren <strong>mit</strong>arbeiten<br />

und davor o<strong>der</strong> danach einfach noch eine Weile bei uns im Hause verweilen. Etliche<br />

Studierende nutzen diese Möglichkeiten zur Begegnung <strong>mit</strong> den Lehrbeauftragten,<br />

sei es für Vorbereitungen für den schulischen Unterricht o<strong>der</strong> auch für eigene Auseinan<strong>der</strong>setzungen.<br />

Das trialogische Konzept des Lernarrangements bestimmt ebenso die Artikulation <strong>der</strong><br />

wöchentlichen Lehrveranstaltungen im interreligiösen Seminar: wir widmen uns zu Beginn<br />

immer einer interreligiösen Herausfor<strong>der</strong>ung in einem spezifischen sozialen o<strong>der</strong> religionspädagogisch<br />

zu gestaltenden Lebenskontext und suchen nach Lösungen. Darauf<br />

stellen die drei Dozentinnen Aspekte aus ihrer religiösen und kulturellen Tradition vor,<br />

die bei <strong>der</strong> Aufgabenstellung zu berücksichtigen sind. Diese unterschiedlichen Sichtweisen<br />

auf das gleiche Thema werden im Diskurs <strong>mit</strong> den Studierenden im Plenum o<strong>der</strong><br />

Kleingruppen ins Gespräch gebracht. Dafür ist Valkenbergs Konzept des Konflikt<strong>lernen</strong>s<br />

im Stil des jüdischen Lehrhauses leitend. 43 Am Ende versuchen wir mehrere Lösungswege<br />

o<strong>der</strong> Impulse zum Umgang <strong>mit</strong> dem Konflikt zusammen zu tragen, die einen konstruktiven<br />

und friedlichen Weg beschreiten.<br />

43<br />

Vgl. Valkenberg, Pim, 2005: Hat das Konzept <strong>der</strong> abraha<strong>mit</strong>ischen Religionen Zukunft?, in: Concilium<br />

12 (2005/5), 55ff.<br />

123


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

c) Resultierende theoretische Konsequenzen<br />

<strong>Frieden</strong>spädagogische Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in Vertrauensbildung gründen,<br />

zielen auf das Er<strong>lernen</strong> von Neugierde, Empathie, Ambiguitätstoleranz o<strong>der</strong> Respekt<br />

usw. Solche Kompetenzen gehören zu den Schlüsselkompetenzen, die eine zunehmend<br />

globale Gesellschaft in Europa und Nahost benötigt. Sie sind am Besten erlernbar, wenn<br />

sie über Erfahrung und Konfrontation zur Herausfor<strong>der</strong>ung werden. Wissenschaftliche<br />

Forschung belegt, dass da<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Weg bereitet ist, um Solidarität <strong>mit</strong> dem o<strong>der</strong> <strong>der</strong> benachteiligten<br />

Nächsten üben zu können. Solidarität ankert in Herzensbildung, bedarf<br />

aber in gleicher Weise <strong>der</strong> Verstandesbildung, um wissend und historisch verantwortet<br />

Wege zum <strong>Frieden</strong> zu spuren. Dennoch bleibt zu bedenken, dass religiöse Dialogkompetenz<br />

– den Fowlerschen Glaubensstufen und Identitätsformen entsprechend 44 – erst auf<br />

<strong>der</strong> letzten Stufe <strong>der</strong> Glaubensentwicklung, in <strong>der</strong> Regel im gereiften Erwachsenenalter,<br />

möglich ist. Viele Studierende sind selbst noch in einer religiösen Suchphase und noch<br />

nicht in <strong>der</strong> letzten Phase ihrer Glaubensentwicklung, sodass sie sich von <strong>der</strong> ständigen<br />

Gegenwart eines o<strong>der</strong> einer An<strong>der</strong>en manchmal bedrängt fühlen. Deshalb ist es wichtig,<br />

dass Lehrveranstaltungen nach dem didaktischen Modell des „Lernens in Gegenwart<br />

des/<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en“ von Lehrkräften durchgeführt werden, die selbst über eine doppelte<br />

o<strong>der</strong> dreifache religiöse Sprachfähigkeit verfügen. Sie müssen die Texte und Traditionen<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen kennen, um diese <strong>mit</strong> ihren eigenen Texten und Traditionen ins<br />

Gespräch bringen zu können. Eine jüdische o<strong>der</strong> muslimische Lehrbeauftragte sollte<br />

nicht nur zentrale Texte des christlichen Neuen Testaments zur Kenntnis nehmen, son<strong>der</strong>n<br />

ebenso um christliche Prägungen, „sensible Themen“ o<strong>der</strong> spirituelle Dimensionen<br />

von Sachverhalten wissen, um das Vertrauen <strong>der</strong> christlichen Studierenden zu gewinnen.<br />

Das ist z. B. beson<strong>der</strong>s wichtig in Bezug auf die Sprache im Dialog. Wenn die muslimische<br />

Lehrbeauftragte anfangs oft noch sagte „Jesus haben wir im Islam auch. Für uns ist<br />

er ein Prophet wie auch für die Christen“ ist das sachlich aus ihrer Sicht nicht falsch.<br />

Dennoch fühlten einige Studierende sich in diesen Aussagen nicht wie<strong>der</strong> und teilweise<br />

zu Unrecht vereinnahmt. Heute sagt sie: „Für uns Muslime ist Jesus ein Prophet, das eint<br />

uns, auch wenn wir wissen und achten, dass er für Christen weit mehr als ein Prophet<br />

ist“. Es sind genau diese Zwischentöne in <strong>der</strong> Kommunikation, die Weichen für das Gelingen<br />

o<strong>der</strong> Scheitern des vorgestellten didaktischen Modells stellen. Sie hier in Nahost<br />

und wir in Deutschland brauchen solche Lehrenden, die über eine religiöse Zwei-o<strong>der</strong><br />

Dreisprachigkeit verfügen und dialogisch kompetent sind. Lei<strong>der</strong> gibt es noch viel zu wenig<br />

Möglichkeiten und Qualitätsstandards, um diese Qualifikationen in <strong>der</strong> (Hochschul)Lehrer/innenausbildung<br />

zu <strong>lernen</strong> und sich darinnen zu erproben. Hier sollten wir<br />

<strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> über kulturelle Bedingungen und Anspruchsniveaus nachdenken.<br />

Und zuletzt: Auch im Blick auf das intendierte anwaltschaftliche Lernen zeigt sich, dass<br />

die Auswahl und Qualifikation <strong>der</strong> Lehrenden entscheidend ist. Werden Studierende <strong>mit</strong><br />

ihren zunächst fremden Lehrbeauftragten allmählich solidarisch, werden sie auch <strong>mit</strong><br />

Gruppen solidarisch, für die die Lehrbeauftragten stehen. Wir haben an unserer Hochschule<br />

erlebt, dass genau die Studierenden, die sich einem Gebet <strong>der</strong> Abraha<strong>mit</strong>en am<br />

Brandenburger Tor verweigerten, sich später einsetzten für Menschen jüdischen o<strong>der</strong><br />

muslimischen Glaubens, die aufgrund ihres Glaubens in Medien o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

zu Unrecht diffamiert wurden. So haben Studierende z. B. mehrfach Leserbriefe geschrieben<br />

o<strong>der</strong> öffentlich Stellung bezogen, wenn die deutsche Presse o<strong>der</strong> das Fernsehen<br />

vorschnell dabei war, das Phänomen <strong>der</strong> Ehrenmorde in Deutschland als islamisches<br />

Phänomen darzustellen und klar gestellt, dass in <strong>der</strong> Berichterstattung genauer zu unter-<br />

44<br />

Dargelegt z. B. in Baur, Katja: Interreligiöse Kompetenzen bilden, in dies.: Zu Gast bei Abraham, Stuttgart<br />

2007.S.32ff.<br />

124


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

scheiden wäre zwischen Religion, Kultur und Tradition. Und als die muslimische Lehrbeauftragte<br />

unserer EH zur Weihnachtssendung von Sandra Maischberger eingeladen<br />

wurde und dort – entgegen <strong>der</strong> Vorabsprache – im Schatten von Ninas Hagen – durch<br />

tendenziöse Mo<strong>der</strong>ation genötigt werden sollte, Klischess über den Islam zu bedienen,<br />

waren es unsere Studierenden, die sich öffentlich von so einem Umgang <strong>mit</strong> einer Muslima<br />

distanzierten.<br />

Ich würde gerne <strong>mit</strong> Ihnen darüber nachdenken, welche Kompetenzen Lehrpersonen haben<br />

müssen, die an (Hoch)Schulen unterrichten, in denen friedenspädagogisches, interkulturelles<br />

und interreligiöses Lernen zum Profilelement <strong>der</strong> Hochschule zählt- wie kann<br />

das didaktische Modell des „Lernens in Gegenwart von An<strong>der</strong>en“ als Struktur dienen,<br />

um die friedenspädagogische Qualifikation von Lehrpersonen daran zu messen?<br />

2. Identitätsbildung als eine Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>spädagogik:<br />

Kein Inter-Lernen ohne ein Intra-Lernen<br />

a) Die praktische Perspektive:<br />

Ein Beispiel aus <strong>der</strong> <strong>Frieden</strong>sarbeit <strong>der</strong> TSS: So wie mir bekannt, teilen Sie die Schüler<br />

und Schülerinnen zum Religionsunterricht dem „christlichen“ und „muslimischen“ Unterricht<br />

zu. D. h. die christlichen Schüler und Schülerinnen werden nicht nach Konfessionen<br />

getrennt, son<strong>der</strong>n in ökumenischer Vielfalt unter dem Dach des Christseins zusammen<br />

geführt. Im Unterricht sollen sie dabei zugleich in ihrer eigenen konfessionellen<br />

Identität gestärkt und in <strong>der</strong> religiösen Zugehörigkeit zum Christentum geför<strong>der</strong>t werden.<br />

Erlebte und reflektierte christliche Vielfalt tritt in Diskurs <strong>mit</strong> erfahrbarer Einheit. So lernt<br />

man, dass es nie „die Christen“ o<strong>der</strong> „den Islam“ gibt, son<strong>der</strong>n Liberale, Konservative<br />

o<strong>der</strong> Fundamentalisten in je<strong>der</strong> Kultur o<strong>der</strong> Religion. Und man lernt, dass Dialog auch<br />

von <strong>der</strong> Fähigkeit zur Differenzierung des Eigenen lebt. Studierende entdeckten, dass es<br />

auf dem Gelände <strong>der</strong> TSS z. B. Zeichen gelebten orthodoxen Christentums gibt, die Gottesmutter<br />

als Ikone in <strong>der</strong> Autowerkstatt, evangelisches Liedgut o<strong>der</strong> katholische Feste –<br />

sie fragten aber auch, warum in <strong>der</strong> einzigen christlichen Kirche auf dem Gelände <strong>der</strong><br />

TSS dennoch nicht alle christlichen Konfessionen symbolische Fixpunkte zur Beheimatung<br />

finden – uns inspirierte das im Blick auf die individuelle Lernbegleitung bei Auslandsstudien:<br />

Ein Beispiel aus <strong>der</strong> EH Ludwigsburg: Im Zuge <strong>der</strong> Internationalisierung von Lehre und<br />

Forschung an deutschen Hochschulen scheint <strong>der</strong> Blick für regionales Denken und Handeln<br />

im nationalen und internationalen Kontext im Studienangebot ganz selbstverständlich<br />

verankert zu sein. Internationale Studiengänge boomen. In <strong>der</strong> Tat gehen mehr Studierende<br />

zum Freiwilligen Sozialen Jahr, zu Projekten o<strong>der</strong> Studiensemestern ins Ausland<br />

als vor zehn Jahren. Ein „international office“ gehört <strong>mit</strong>tlerweile zum Standard je<strong>der</strong><br />

deutschen Hochschule. Doch entspricht diese Zielfestschreibung <strong>der</strong> realen Wirklichkeit?<br />

Es gibt eine Gegenbewegung: Nie zuvor wohnen so viele Studierende wie heute daheim,<br />

studieren an <strong>der</strong> ihrem Heimatort am nächsten gelegenen Hochschule und halten im<br />

Studium verstärkt an alten Kontakten <strong>der</strong> Heimat und ihren Familien fest. Der Wunsch,<br />

beim Studieren überall zuhause zu sein, kollidiert <strong>mit</strong> dem Bedürfnis, sich in vertrauten<br />

Sicherheiten wiegen zu können. So bleiben etliche unserer Studierenden auch im Studium<br />

in ihren Heimatgemeinden verortet und machen sich gerade nicht freiwillig auf den<br />

125


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

Weg, die eigene Spiritualität o<strong>der</strong> Gemeindeerfahrung durch Studienkontakt <strong>mit</strong> christlichen<br />

Studierenden o<strong>der</strong> Dozierenden an<strong>der</strong>er religiöser Prägung o<strong>der</strong> gar Muslimen und<br />

Jüdinnen bereichern zu lassen- frei nach dem Motto: „Was mir vertraut ist, will ich mir<br />

nicht nehmen lassen“. In einer Zeit, in <strong>der</strong> alles im Fluss ist, bleibt man lieber am vertrauten<br />

Ufer sitzen, anstatt sich den Strömen <strong>der</strong> Ungewissheit auszusetzen.<br />

b) Eine Reflexion diese Praxisbeispiele zeigt:<br />

Die Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> Fremdheit muss immer genügend Raum eröffnen, um sich<br />

<strong>mit</strong> sich selbst und <strong>der</strong> Vielfalt von Meinungen innerhalb <strong>der</strong> eigenen Kultur o<strong>der</strong> Religion<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Weil friedenspädagogisches Lernen den Einzelnen <strong>mit</strong> einer<br />

Vielfalt von Handlungsformen und Werten konfrontiert, sind Verwurzelung und Verständigung,<br />

Identität und Diversität zwei Seiten einer Medaille. Während es reichlich<br />

Modelle zur Begegnung <strong>mit</strong> Vielfalt gibt, sind Lernmodelle zum Intra-Lernen, die sich<br />

eher apologetisch bei <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> Fremdheit auch <strong>der</strong> Fundamente des<br />

Eigenen vergewissern und den Blick für die Vielfalt innerhalb <strong>der</strong> eigenen Tradition, Kultur<br />

und Religion öffnen, noch rar. Doch beides hängt zusammen, wie es eine EKD<br />

Denkschrift treffend formuliert: Identität und Verständigung bedingen einan<strong>der</strong>. Wer in<br />

<strong>der</strong> (Hoch)schulbildung <strong>Frieden</strong>sbrücken zum unbekannten Nächsten aufbauen möchte,<br />

muss eine gute Balance zwischen Identitäts- und Diskurs<strong>lernen</strong> gestalten. Für das interreligiöse<br />

Lernen betrifft das z. B. eine vertiefte Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> den Auslegungstraditionen<br />

<strong>der</strong> eigenen Schriften, <strong>mit</strong> spiritueller Vielfalt, die alle von <strong>der</strong> Teilhabe <strong>leben</strong>:<br />

d. h. von <strong>der</strong> Erfahrung, dass ich selbst Teil dieser Tradition, Religion, Kultur bin und<br />

diese <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen teile. Inter-Lernen konzentriert sich insbeson<strong>der</strong>e auf selbstreflexive<br />

Lernerfahrungen. Weltbürgerliche Bildung <strong>mit</strong> dem Anspruch globaler Verantwortung<br />

muss – stärker denn je- auf den Aspekt <strong>der</strong> Persönlichkeitsbildung und Identitätsstiftung<br />

achten, um For<strong>der</strong>n und För<strong>der</strong>n in Einklang zu bringen..<br />

c) Resultierende theoretische Konsequenzen<br />

Die Erfahrungen <strong>der</strong> Auswertung von Auslandsaufenthalten von Studierenden, bei denen<br />

das Intra-Lernen vernachlässigt wurde, zeigen: Deutsche Studierende, die im Ausland<br />

studieren und vor Ort in <strong>der</strong> Reflexion <strong>der</strong> Auslandserlebnisse kaum begleitet werden,<br />

halten sich im Ausland vorwiegend in deutschen o<strong>der</strong> europäischen Enklaven auf.<br />

Sie bleiben im Status von Touristen, die <strong>der</strong> Fremdheit hauptsächlich durch Beobachtung<br />

aus <strong>der</strong> Ferne begegnen. Manche verbringen die meiste Zeit in <strong>der</strong> europäisch geprägten<br />

Einrichtung o<strong>der</strong> Universität und wohnen in Wohngemeinschaften <strong>mit</strong> Auslän<strong>der</strong>n zusammen.<br />

Sie knüpfen zwar Kontakte zu Mitstudierenden aus <strong>der</strong> ganzen Welt, doch<br />

bleibt <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> Kontaktaufnahme dabei zweitrangig. Wenn friedenspädagogisches<br />

Lernen aus dem Status des Beobachtenden hin zum Status des Einwan<strong>der</strong>ers in fremden<br />

Gefilden führen will, müssen ein International office o<strong>der</strong> Verantwortliche für die Organisation<br />

von Auslandsstudien sich dafür verantwortlich fühlen, Lernbegleitung und persönliche<br />

Ansprechpersonen für Studierende im Ausland anzubieten, die Inter- und Intra<strong>lernen</strong><br />

zusammenbringen können. Solche Lernbegleiter /innen vor Ort sollten die Erfahrung<br />

von Fremdheit selbst erlebt haben, aber gleichzeitig Wege gefunden haben, sich in<br />

<strong>der</strong> Fremde beheimatet zu haben. Das sind z. B. Personen, die selbst in die an<strong>der</strong>e kulturelle<br />

o<strong>der</strong> religiöse Welt eingetaucht sind, die die Sprache des Landes sprechen, Einheimische<br />

Freunde gefunden haben und religiöse o<strong>der</strong> kulturelle Lebensweisen im Land<br />

kennen und wert schätzen- auch als Inspiration, um Vertrautes neu zu finden.<br />

126


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

Obwohl es noch wenig repräsentative Forschungen zum Ertrag von Studienprojekten im<br />

Ausland gibt, 45 belegt u. a. auch die Forschungsstudie zum BIDA Studienprojekt, dass<br />

Auslandserfahrungen von Studierenden beim Weiterstudium an <strong>der</strong> Heimathochschule<br />

noch zu wenig abgerufen werden. Die Vielperspektivität, die Auslandsstudierende als Erkenntnisgewinn<br />

in die EH zurückbringen, ist für Lehrende o<strong>der</strong> Mitstudierende kein wesentlicher<br />

Input bei <strong>der</strong> Seminargestaltung, Projekten o<strong>der</strong> Forschungsvorhaben. D. h.:<br />

Intra-Lernen, das Inter-Esse für friedenspädagogische o<strong>der</strong> interkulturelle Fragen auch<br />

wie<strong>der</strong> an die EH zurückbringen möchte, bedarf didaktisch-methodischer Lernarrangements,<br />

die noch im Entstehen sind. Ich würde gerne <strong>mit</strong> Ihnen darüber diskutieren, wie<br />

es gelingen kann, die religiöse Identität <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> hier an <strong>der</strong> TSS o<strong>der</strong> auch bei uns im<br />

fortschreitend säkularen Deutschland zu stärken, so dass sie in einer multireligiösen Gesellschaft<br />

auch als religiöse Min<strong>der</strong>heit sprachfähig sind über die Inhalte, Werte und das<br />

Profil des eigenen Glaubens. Sicherlich wird das hier wie dort nur gelingen, wenn z. B.<br />

im Blick auf die Christen neben <strong>der</strong> Identifikation <strong>mit</strong> <strong>der</strong> eigenen konfessionellen Prägung<br />

auch eine Identifikation <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>skonfessionellen Mitchristen stattfindet, die hilft,<br />

sich <strong>der</strong> Tragfähigkeit des eigenen Glaubens zu vergewissern. Dabei ist zu fragen: welche<br />

Rolle spielt Ihre arabische o<strong>der</strong> meine deutsche Herkunft, unsere kulturelle Beheimatung<br />

usw. für den Prozess religiöser Identitätsbildung, die nicht nur sich selbst, son<strong>der</strong>n das<br />

Eigene in Wertschätzung des/<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en einbringen kann?<br />

3. Modellbildung als Hilfe bei <strong>der</strong> Konzeption friedenspädagogischer Ziele<br />

a) Die praktische Perspektive:<br />

Ein Beispiel aus <strong>der</strong> TSS: In den Internatsgruppen hier an <strong>der</strong> TSS <strong>leben</strong> die Kin<strong>der</strong> in religiös<br />

o<strong>der</strong> kulturell gemischten Gruppen zusammen. Indem sie den täglichen Alltag teilen,<br />

sollen sie entdecken, was An<strong>der</strong>e denken, wie sie <strong>leben</strong> und was ihnen heilig ist. Das<br />

ist eine große Herausfor<strong>der</strong>ung, denn es entspricht nur bedingt <strong>der</strong> jordanischen Gesellschaft:<br />

Jordanier aus Ihrer Mitte, die an dieser Tagung teilnehmen, bringen mehrfach in<br />

die Diskussion ein, dass es wichtig ist, Menschen an<strong>der</strong>er kultureller o<strong>der</strong> religiöser Herkunft<br />

zu kennen, weil man <strong>mit</strong> ihnen gut zusammen arbeiten soll- privat jedoch bleiben<br />

Christen und Muslime in Jordanien eher unter sich. Hochzeiten zwischen Christen und<br />

Muslimen, irakischen und israelischen Flüchtlingen sind unerwünscht. Dahinter steckt<br />

die Erfahrung, dass die eigene Religion o<strong>der</strong> kulturell prägende Werte am Besten in <strong>der</strong><br />

vertrauten Umgebung erlernt, gelebt und tradiert werden können. Als unsere Studierenden<br />

fragten, warum an <strong>der</strong> TSS ein religiöses Zusammen<strong>leben</strong> im ganz privaten Bereich<br />

geübt wird (warum man z. B. nicht christliche und muslimische Wohngruppen bildet<br />

und hier Erziehende anstellt, die identische Vorbil<strong>der</strong> sind, da <strong>der</strong> Kontakt <strong>mit</strong> den mir<br />

fremden Kin<strong>der</strong> eh im Schulalltag o<strong>der</strong> bei Aktivitäten auf dem Gelände <strong>der</strong> TSS stattfindet)<br />

wurden sie darüber aufgeklärt, dass die TSS nach einem interreligiösen Konzept<br />

arbeitet, das Eigenes gerade durch Begegnung <strong>mit</strong> dem Fremden erfahrbar macht- eine<br />

Anfrage an uns an <strong>der</strong> EH bei <strong>der</strong> Entwicklung von Konzepten zum religiösen Lernen in<br />

Vielfalt in <strong>der</strong> frühkindlichen Bildung<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> EH: Mit den Studierenden aus dem Studiengang „Frühkindliche Bildung“<br />

besuchen wir im Semester immer den jüdischen Kin<strong>der</strong>garten <strong>der</strong> israelitischen<br />

Religionsgemeinde. In diesem Kin<strong>der</strong>garten werden die Kin<strong>der</strong> bewusst <strong>mit</strong> dem jüdi-<br />

45<br />

Vgl. Fliege, Thomas, Forschungsstudie zum Studienprojekt in Amman, in: Kessler, Hildrun, Kultur des<br />

Aufwachsens, BIDA 2, 2010, S. 47-62.<br />

127


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

schen Glauben vertraut gemacht. Wer sein Kind dort anmeldet, willigt ein, dass das Kind<br />

die jüdische Religion kennen lernt und am Glaubens<strong>leben</strong> im Kin<strong>der</strong>garten teilhat. So<br />

wird in diesem Kin<strong>der</strong>garten z. B. jeden Freitagmorgen <strong>mit</strong> allen Kin<strong>der</strong>n Schabbat gefeiert,<br />

da<strong>mit</strong> die Kin<strong>der</strong> von klein auf an ihre Rollen bei diesem zentralen Fest einüben.<br />

Christliche o<strong>der</strong> muslimische Feiertage werden hier nicht weiter behandelt. Als Min<strong>der</strong>heitenreligion<br />

begründen die Verantwortlichen ihren Ansatz <strong>mit</strong> dem „Multi-Modell“.<br />

Sie gestalten ihr pädagogisches Tun anhand einer jüdischen Leitkultur, die von religiöser<br />

Teilhabe und Prägung lebt. Viele Studierende <strong>der</strong> Frühkindlichen Bildung finden das<br />

Konzept überzeugend. Sie wünschten sich, dass auch evangelische o<strong>der</strong> christlich geführte<br />

Kin<strong>der</strong>gärten eindeutig zur „christlichen“ Leitkultur und zum konfessionellen Profil<br />

des Trägers stehen und mutig christliche Feste feiern – auch wenn etliche nichtchristliche<br />

Kin<strong>der</strong> den Kin<strong>der</strong>garten besuchen. Die Idee, durch interreligiöses Lernen und Rücksicht<br />

auf die Bedürfnisse aller bereits im Kin<strong>der</strong>garten eine religiöse Diversitykompetenz zu<br />

erwerben, halten viele Studierende für kontraproduktiv – man würde Wegbereiter einer<br />

Patchworkreligion werden, die we<strong>der</strong> beheimatet noch begleitet.<br />

b) Eine Reflexion dieses Praxisbeispiels zeigt:<br />

Der Praxis friedenspädagogischen Lernens liegen unterschiedliche Konzepte zugrunde,<br />

die das Verhältnis von Identitätsbildung und Diversitykompetenz unterschiedlich klären.<br />

Einige Einrichtungen bedienen sich bei ihrer Profilbestimmung <strong>der</strong> Begriffe „multi, inter<br />

o<strong>der</strong> trans“. Oftmals werden diese Begriffe jedoch auch gebraucht, ohne sie zu klären<br />

o<strong>der</strong> auf die konkrete Praxis zu beziehen. Es fehlt an einer Systematik, um Handlungsformen<br />

vergleichen zu können. Meines Erachtens hängt die Qualität friedenspädagogischen<br />

Lernens stark an <strong>der</strong> Fähigkeit, das eigene Tun an Modellen zum Miteinan<strong>der</strong> in<br />

Vielfalt zu entwickeln und daran kontinuierlich zu evaluieren- immer im Wissen darum,<br />

dass ein Modell ein Konstrukt ist. Ein entscheidendes Ziel friedenspädagogischen Lernens<br />

an Hochschulen ist es deshalb, anhand unterschiedlicher Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Praxis für sich zu klären, welches Modell das eigene Handeln leiten wird und dieses wissenschaftlich<br />

zu begründen.<br />

Die Modelle zum Miteinan<strong>der</strong> in Vielfalt werden langläufig <strong>mit</strong> dem Multi, Inter- o<strong>der</strong><br />

Transmodell beschrieben. 46 Multireligiöses Miteinan<strong>der</strong> z. B. sucht die Identitätsbildung<br />

vor allem im Umgang <strong>mit</strong> Gleichgesinnten. Der Wunsch nach Prägung und Beheimatung<br />

im Eigenen dominiert vor dem, mir Fremdes vertraut zu machen. Man lässt die an<strong>der</strong>sreligiösen<br />

Nachbarn in Ruhe, es sei denn, an Grenzen des Zusammen<strong>leben</strong>s kommt<br />

es zu Handlungsbedarf. Modell ist z. B. das muslimische, jüdische o<strong>der</strong> christliche Viertel<br />

in Jerusalem o<strong>der</strong> Damaskus, das einst Vorbild für dieses Multi-Zusammen<strong>leben</strong> war.<br />

Wer eine prägende Erziehung im Kin<strong>der</strong>garten anstrebt, die von <strong>der</strong> Teilhabe lebt, wird<br />

nach diesem Modell agieren. Multimodelle, die die eigene Lebensweise o<strong>der</strong> Religion für<br />

die einzig Richtige für alle Menschen halten, stehen in <strong>der</strong> Gefahr, Wege zu Fanatismus<br />

o<strong>der</strong> Radikalismus zu bahnen, auch wenn das ursächlich nicht im Modell intendiert ist.<br />

Inter-Modelle <strong>leben</strong> vom Raum des „Zwischen“, dem Interesse, in<strong>mit</strong>ten unterschiedlicher<br />

Menschen o<strong>der</strong> Positionen. Identitätsbildung und Verstehensbildung stehen in ausgewogenem<br />

Verhältnis zueinan<strong>der</strong> und bedingen einan<strong>der</strong>. Immer geht es dabei um die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

<strong>mit</strong> Fremdheit in mir selbst, die im Sinne von Waldenfels als Phänomen<br />

verstanden wird, das die eigene Ordnungs- und Denkstruktur kreuzt. Nur, wer sich aufrütteln<br />

und in Unordnung o<strong>der</strong> auf Wege zum Unbekannten hin bringen lässt, wird sich<br />

46<br />

Vgl. die ergänzenden Beschreibungen auf S.138.<br />

128


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

bewegen und für den <strong>Frieden</strong> etwas erwirken können. Wichtig ist bei <strong>der</strong> Unterscheidung<br />

von Eigenem und Fremden, das Unbekannte nicht durch die eigene Brille zu betrachten<br />

o<strong>der</strong> unter eigenen Wertvorstellungen zu subsumieren, son<strong>der</strong>n Fremdheit als Lebensform,<br />

Religion, Kultur usw. <strong>mit</strong> eigenen Wahrheitsansprüchen zu begreifen. Vor allem<br />

Analysieren und Vergleichen liegt die Fähigkeit, erst einmal wahrzunehmen, sich einzufühlen,<br />

zu begreifen. Vielfalt wird als Potential betrachtet, an dem die Persönlichkeit sich durch<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung entwickeln kann. Das schafft den Anstoß, um über Gemeinsamkeiten<br />

und Unterschiede in Auseinan<strong>der</strong>setzung zu treten, wobei ein Fokus auf den Unterschieden<br />

liegt, die oftmals Anlass von Konflikten sind. Deshalb sollen- nach diesem Modell-<br />

die Kin<strong>der</strong> von klein auf an Interesse an <strong>der</strong> Religion, Kultur usw. aller Kin<strong>der</strong>, die zu<br />

einem Kin<strong>der</strong>garten gehören, entwickeln. Das gelingt z. B. durch die Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Feste, die nach dem Sun<strong>der</strong>meierschen Ansatz (Theo Sun<strong>der</strong>meier bestimmt das Inter-Modell<br />

als Modell, in dem ich bei Festgestaltungen z. B. zugleich Gast und Gastgeber<br />

sein kann) zusammen gefeiert werden.<br />

Trans-Modelle <strong>leben</strong> vom überbrückend Gemeinsamen, das stärker trägt als alles Unterscheidende.<br />

Sie gehen davon aus, dass Identitätsbildung ein Prozess ist, <strong>der</strong> kontextgebunden<br />

wirkt und nicht eine, son<strong>der</strong>n mehrere Identitäten bildet. Insofern setzen sich<br />

Kin<strong>der</strong> ihre eigene Religion, Kultur usw zusammen, da sie in mehren Welten zugleich<br />

aufwachsen. Weil Kin<strong>der</strong> nicht in Monokulturen aufwachsen, <strong>lernen</strong> sie von Anfang an,<br />

Identitäten den jeweiligen Rollen anzupassen. Dafür könnte eine Patchworkreligion för<strong>der</strong>lich<br />

sein, die zuerst das Verbindende <strong>der</strong> Religionen für das eigene Leben stark macht,<br />

könne – entgegen kritischer Stimmen – <strong>der</strong> religiösen Identitätsbildung im Kleinkindalter.<br />

In diesem Prozess ist es für Befürworter von Trans-Modellen wichtig, beson<strong>der</strong>s die friedensstiftende<br />

Kraft von Religionen ins Zentrum zu stellen. So soll Religion in <strong>der</strong> frühkindlichen<br />

Bildung ver<strong>mit</strong>teln, dass Christen, Juden und Muslime alle an eine einzigen<br />

Gott glauben, dass für alle die Zehn Gebote gelten usw. Wer die Kraft des Verbindenden<br />

erlebt und achtet, wird auch fähig sein, Unterscheidendes und Konflikte dem verbindenden<br />

Trans unterzuordnen.<br />

c) Resultierende theoretische Konsequenzen<br />

Im Abwägen <strong>der</strong> Tragfähigkeit <strong>der</strong> Modelle für friedenspädagogisches Lernen, erkennt<br />

man, dass Multimodelle, die die Beziehungsstiftung <strong>mit</strong> dem o<strong>der</strong> <strong>der</strong> An<strong>der</strong>en außer<br />

Acht lassen und vorrangig religionswissenschaftlich vergleichend arbeiten, we<strong>der</strong> pädagogisch<br />

noch theologisch geeignete Modelle sind, um Kommunikations- und Konfliktfähigkeit<br />

zu er<strong>lernen</strong>. Mit Multimodellen können Verhältnisse stabilisiert, nicht aber friedenspädagogische<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen bewegt werden. Multi-Modelle sind auch nicht <strong>mit</strong><br />

dem Intra-Lernen zu verwechseln. Intra-Lernen setzt auf ein Er<strong>lernen</strong> von Vielperspektivität<br />

im eigenen Bezugssystem, Multi-Lernen auf Vereinheitlichung von Kulturen o<strong>der</strong><br />

Religionen. Eine Pädagogik nach dem Multi-Modell lebt vom Gleichschritt aller und<br />

läuft Gefahr, da<strong>mit</strong> auch den Stillstand im Dialog zu för<strong>der</strong>n.<br />

Meine Hoffnung ist, dass Studierende, die sich im Multi-Modell verorten, im Laufe eines<br />

Seminars einen Change- Prozess vom Multi zum Inter-Modell durchmachen. Eine friedenspädagogische<br />

Hochschulbildung, die sich in den Spuren <strong>der</strong> Aufklärung bewegt und<br />

<strong>der</strong> Freiheit von Lehre und Wissenschaft verpflichtet weiß, wird alles tun, um Studierende<br />

eher von <strong>der</strong> Tragfähigkeit <strong>der</strong> Inter- o<strong>der</strong> Transmodelle zu überzeugen, die auf Diskurs-<br />

und Konfliktkompetenz setzen. Dazu bedarf es einer Neugier an <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

von Fremdheit, eines Geistes <strong>der</strong> Unterscheidung und <strong>der</strong> Fähigkeit zu vernetzendem Denken<br />

zugleich. Um diese Kompetenz zu erweisen, haben wir z. B. festgelegt, dass Leistungs-<br />

129


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

nachweise in einem interreligiösen Seminar eine Dialogkompetenz nachweisen müssen.<br />

Studierende müssen sich auf den Weg begeben, für ihre Hausarbeiten einen Dialog <strong>mit</strong><br />

einem Menschen an<strong>der</strong>er kultureller o<strong>der</strong> religiöser Herkunft zu einem religiösen Thema<br />

wissenschaftlich vorzubereiten, durchzuführen und zu evaluieren.<br />

Trotz dieser Ziele machen wir an unserer Hochschule verstärkt die Erfahrung, dass Studierende<br />

heute mehr zum Multi-Modell tendieren als noch vor fünf Jahren. Das liegt im<br />

gesellschaftlichen und kirchlichen Trend, <strong>der</strong> von eigener Profilbildung <strong>mit</strong> dem Ziel <strong>der</strong><br />

Abgrenzung gezeichnet ist. Um dem entgegenzuwirken, konfrontieren wir Studierende<br />

<strong>mit</strong> aktuellen Fragen wie z. B. <strong>der</strong> Anstellung muslimischer Erzieherinnen in ev. Kin<strong>der</strong>gärten,<br />

<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung einer auch von <strong>der</strong> Religionsgemeinschaft zu för<strong>der</strong>nden<br />

Gewaltprävention an Berufsschulen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong> gemeinsamen Gestaltung von<br />

religiösen Räumen z. B. für ein Hospiz. Sie merken dabei, dass philosophischtheologische<br />

Entscheidungen und eine Kenntnis <strong>der</strong> Modelle notwendig sind, um Handeln<br />

zu begründen. Die Erfahrung zeigt, dass Diskussionen und Hausarbeiten dann vor<br />

allem um zwei Fragen kreisen: Wie gehen wir im Rahmen <strong>der</strong> religiösen Dimensionen<br />

von <strong>Frieden</strong>spädagogik <strong>mit</strong> Wahrheits- und Absolutheitsansprüchen um und wie ist das<br />

Verhältnis von <strong>Mission</strong> und <strong>Frieden</strong>spädagogik?<br />

4. „Sprechende“ Lernorte als Impulsgeber friedenspädagogischer<br />

Lernarrangements<br />

a) Die praktische Perspektive:<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> TSS: Seit einiger Zeit wird <strong>der</strong> Unterricht an <strong>der</strong> TSS manchmal<br />

vom Klassenzimmer in den Sinnesgarten verlegt. Kin<strong>der</strong> und Jugendliche können<br />

hier nicht nur das Blühen und Duften von Pflanzen er<strong>leben</strong>, son<strong>der</strong>n auch das Messen,<br />

Errechnen von Wahrscheinlichkeiten sowie chemische o<strong>der</strong> künstlerische Fähigkeiten<br />

erproben. Ein Oliven- o<strong>der</strong> Feigenbaum wird zum Symbol, um biblische Aussagen zu<br />

begreifen. Doch man muss auch achtsam sein in diesem Sinnesgarten: Pflanzen o<strong>der</strong> Tiere<br />

am Leben zu lassen, den Brunnen säubern, um Wasser zu schöpfen o<strong>der</strong> einfach still<br />

werden und das Hören einüben. Viele Fähigkeiten und Fertigkeiten, die friedenspädagogisches<br />

Lernen anstrebt, werden hier allein durch den „Lernraum Garten“ bereitet.<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> EH: Seit 4 Jahren führen fünf evangelische Hochschulen<br />

ein gemeinsames Studienprojekt in Amman durch: BIDA: Brücken zum Inter-Dialog in<br />

Amman. 40 Studierende aus ganz unterschiedlichen Teilen Deutschlands machen sich<br />

auf den Weg, um in Jordanien ihre interkulturelle und interreligiöse Kompetenz zu stärken.<br />

Das Modul: „Interkulturelles und interreligiöses Lernen“ wird für drei Wochen im<br />

September jedes Jahres vom Studierzimmer <strong>der</strong> Hochschulen hinaus ins Feld verlegt,<br />

konkret: in ein islamisches Land, an einen Ort ev. <strong>Mission</strong> in Nahost. Kontaktpartner ist<br />

neben <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong>-Schule in Amman u. a. die GJU Amman, von <strong>der</strong> ca. zehn Studierende<br />

am Studienprojekt beteiligt werden. Zu diesem Projekt gehört immer eine gemeinsame<br />

Exkursion <strong>der</strong> deutschen und jordanischen Studierenden nach Petra. Dort, oben<br />

auf dem Opferplatz, beschäftigen wir uns <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frage, welche Rolle denn das Opfern<br />

bzw. das Aufopfern im <strong>Frieden</strong>sprozess spielen. Sind sie <strong>der</strong> Motor für Gewalt im Namen<br />

Gottes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hemmschuh, um Menschenopfer zu verhin<strong>der</strong>n? Dabei lesen wir<br />

die Texte <strong>der</strong> Bindung Isaaks in Bibel und Koran. Hier, auf einem Opferplatz, den<br />

Schlacht- bzw. Opferstein vor Augen, gewinnt die Auseinan<strong>der</strong>setzung eine beson<strong>der</strong>e<br />

Tiefe. Wer wird heute zum Täter- wer zum Opfer- wo sind die Übergänge? Der Ort<br />

spricht quasi <strong>mit</strong>, gibt Impulse und setzt Rahmenbedingungen.<br />

130


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

b) Eine Reflexion dieses Praxisbeispiels zeigt:<br />

<strong>Frieden</strong>spädagogisches Lernen bedarf bewusst ausgewählter Lernräume. Es sind Lernorte,<br />

die Fragen aufwerfen. Ideal erweisen sich Projekte „im Feld“ und Exkursionen. Das<br />

Konzept von „theological education“ 47 mag hier unterstützend wirken. Es geht aus vom<br />

persönlichen Erfahrungs<strong>lernen</strong>, <strong>der</strong> Einbindung eines Themas in einen spezifischen lokalen<br />

Kontext und bewirkt, dass Schätze und Lasten <strong>der</strong> Tradition neu entdeckt, hinterfragt<br />

und sprachfähig gemacht werden. Die drei Schritte von „Theological education“: Entmythologisierung-<br />

Symbolisierung und Elementarisierung 48 sind wichtige Lernebenen, um<br />

Texte, Orte o<strong>der</strong> Konflikte auf ihren „Sitz im Leben“ hin befragen zu können. Man<br />

sucht, angeregt durch Fragen, die am „sprechenden Ort“ auftreten, nach dem, was hinter<br />

und in Texten o<strong>der</strong> Positionen steckt, wie sich das Gemeinte in Symbolen o<strong>der</strong> Ritualen<br />

ausdrückt und wie es für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden kann.<br />

Nicht nur ein „sprechen<strong>der</strong>“ Ort, son<strong>der</strong>n auch ein herausragen<strong>der</strong> Anlass kann zum<br />

Perspektivenwechsel anregen. Wie geht es z. B. den christlichen Studierenden im Ramadan<br />

in Jordanien, wenn es verboten ist, in <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu trinken o<strong>der</strong> zu essen?<br />

Wie geht es ihnen, wenn sie erstmals in ihrem Leben Flüchtlinge und Flüchtlingslager<br />

kennen <strong>lernen</strong>? Wie geht es den jordanischen Studierenden, wenn sie hören, dass unsere<br />

Studierenden in gemischtgeschlechtlichen WG´s <strong>leben</strong> o<strong>der</strong> Pärchen bereits vor <strong>der</strong> Ehe<br />

zusammen<strong>leben</strong>?<br />

c) Resultierende theoretische Konsequenzen<br />

Bei aller Überzeugung für das Begegnungsprinzip an authentischen Orten gilt es, nicht zu<br />

verschweigen, dass die ständige Konfrontation <strong>mit</strong> Muslimen, <strong>mit</strong> Moscheen, dem Ruf<br />

des Muezzin usw. im alltäglichen Leben in Amman für einige deutsche Studierende im<br />

BIDA Projekt zu einer schwierigen Herausfor<strong>der</strong>ung wurde. Sie hätten sich gewünscht,<br />

dass sie sich auf <strong>der</strong> Straße benehmen können, wie es ihnen behagt o<strong>der</strong> dass es im<br />

Stadtbild auch Kirchen und Kirchglocken gäbe. Ihre Verlusterfahrungen waren <strong>der</strong> Motor,<br />

sich <strong>mit</strong> Menschen zu solidarisieren, die bei uns in Deutschland Mangel leiden, z. B.<br />

weil es ihnen verboten ist, Moscheen in Stadtzentren zu bauen o<strong>der</strong> weil sie am Sabbat<br />

Arbeiten verrichten müssen. Studierende haben überlegt, welche Bedürfnisse nichtchristliche<br />

Mitbürger und Mitbürgerinnen in Ludwigsburg haben und wie diese befriedet werden<br />

könnten. Einige ihrer Gedanken finden sich auch in die „Ludwigsburger Erklärung<br />

für den <strong>Frieden</strong> <strong>der</strong> Religionen“ (Badezeiten für Frauen in öffentlichen Bä<strong>der</strong>n, Elternabende<br />

<strong>der</strong> Schulen sollen nicht auf muslimischen Festtagen liegen, genügend Grabstellen<br />

für Muslime in Ludwigsburg usw). „Sprechende Lernorte“ erleichtern friedenspädagogisches<br />

Lernen, weil sie Betroffenheit und Solidarität wecken können. Ich würde gerne<br />

<strong>mit</strong> Ihnen darüber sprechen, welche Themen für friedenspädagogisches Lernen zentral<br />

sind und welche Lernorte sich dafür eignen.<br />

47<br />

Der Begriff „theological education“ signalisiert einen umfassenden theologischen Bildungsanspruch. Es<br />

geht in <strong>der</strong> international geführten Diskussion um eine Ausbildung, die neben dem Intellekt auch das Gefühl<br />

und das Handeln bewusster einbezieht. Die Bezüge zur Praxis, zur Kirche und zu gesellschaftlichen<br />

Problemstellungen spielen eine ungleich größere Rolle als in <strong>der</strong> (bisher an Unis gestalteten) ersten Phase<br />

<strong>der</strong> evangelisch- theologischen Ausbildung in Deutschland“ von Kriegstein, Matthias, 2002: Theologische<br />

Ausbildung als „theological education“, in dss. und Heimbrock, Hans- Günther, 2002: Theologische Bildungsprozesse<br />

gestalten. Schritte zur Ausbildungsreform. S.61.<br />

48<br />

A.a.O., S.76.<br />

131


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

5. Netzwerkbildung als Weg <strong>der</strong> Nachhaltigkeit friedenspädagogischer Arbeit– Impulse<br />

für Studientage unter Beteiligung von Alumni<br />

a) Die praktische Perspektive:<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> TSS: Wir er<strong>leben</strong> hier in Amman, dass die vielen Kontakte, die Musa hat<br />

und pflegt, nicht nur uns Teilnehmende an dieser Tagung zusammenbringen, son<strong>der</strong>n<br />

vor allem auch die Unterstützung <strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule bedingen. Das geht<br />

schon auf Vater <strong>Schneller</strong> zurück, <strong>der</strong> vorlebte: Ohne Netzwerkarbeit keine <strong>Schneller</strong> Arbeit<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> EH Arbeit: Im Rahmen des <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahres fand an unserer<br />

Hochschule ein hochschulöffentlicher Studientag zur Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong><br />

statt. Wichtig war uns, die Studierenden, die bereits am BIDA Studienprojekt teilgenommen<br />

hatten, in den Studientag einzubinden. Sie sollten verschiedene Facetten von<br />

<strong>Mission</strong>serfahrungen an <strong>der</strong> TSS und in Nahost <strong>mit</strong> Beispielen und Reflexionen einbringen.<br />

Für etliche Studierende lag das BIDA Projekt schon vier Jahre zurück. Dennoch<br />

machten wir die Erfahrung, dass aus allen Jahrgängen Studierende bereit waren, für den<br />

Studientag Zeit zu investieren und die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen ins Land zu tragen.<br />

So berichteten sie in einem offenen Bereich an Ständen über ihre Studien o<strong>der</strong> auch<br />

anschließende Praxisprojekte an <strong>der</strong> TSS, bereiteten ein orientalisches Buffett, brachten<br />

sich in Mo<strong>der</strong>ationen ein o<strong>der</strong> eben auch durch Impulsreferate.<br />

b) Eine Reflexion des Studientages zeigt:<br />

Studierende, die im Laufe ihres Studiums in friedenspädagogische Projekte involviert waren,<br />

bleiben an Themen und Menschen „dran“, doch muss ihre Bereitschaft zum nachhaltigen<br />

Engagement immer wie<strong>der</strong> abgerufen werden. Studientage o<strong>der</strong> Publikationen<br />

zu Themen des Auslandsstudiums bieten z. B. viele Möglichkeiten, um Projekte vorzustellen<br />

und dafür Sponsoren zu gewinnen. Das Gelingen hängt weniger von <strong>der</strong> Bereitschaft<br />

<strong>der</strong> Studierenden ab, Zeit und Ideen für die Beteiligung an Solidaritätsprojekten<br />

zur Verfügung zu stellen, als daran, ob die „Altgedienten“ in Vereinen o<strong>der</strong> Projekten bereit<br />

und interessiert sind, ihre Arbeit zusammen <strong>mit</strong> Studierenden vorzustellen und durch<br />

<strong>der</strong>en Anregungen evtl. auch zu verän<strong>der</strong>n. Wir haben erlebt, dass Studierende des BIDA<br />

Projektes Interesse an <strong>der</strong> Arbeit des „Vereins <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen“ entwickelten und<br />

Kontakte suchten. Ohne die Einbindung von jungen Menschen in Netzwerke und Alumniarbeit,<br />

fehlt friedenspädagogischer Arbeit in Vereinen o<strong>der</strong> Sponsoring oftmals die Dimension<br />

<strong>der</strong> Nachhaltigkeit.<br />

c) Resultierende theoretische Konsequenzen<br />

D. h. <strong>Frieden</strong>spädagogische Arbeit muss von Anfang an Netzwerkarbeit sein, die gegenwärtiges<br />

Er<strong>leben</strong> <strong>mit</strong> zukünftiger Verantwortung für Projekte zusammenbindet. Die Frage<br />

unseres <strong>Schneller</strong> Studientages: „<strong>Mission</strong> heute in einer globalen Welt? Kann <strong>Mission</strong><br />

<strong>Frieden</strong>spädagogik sein?“ berührt genau diesen Aspekt. Unser BIDA Studienprojekt und<br />

auch das Angebot des <strong>Schneller</strong> Studientages verstehen wir als <strong>Mission</strong>, nämlich als<br />

Kommunikation des Evangeliums in Wort und Tat. Wir möchten, dass unsere Studierenden<br />

sich einmischen in diese Gesellschaft und <strong>mit</strong> ihren Möglichkeiten eintreten gegen<br />

Ungerechtigkeit und Unfrieden. <strong>Mission</strong>, die sich auf Randständige einlässt, ihr<br />

Schicksal teilt und auch Auskunft geben kann über die eigene (Glaubens)motivation ist<br />

eine christliche Form <strong>der</strong> Zuwendung zum fremden Nächsten im Wissen darum, dass<br />

Netzwerkbildung und Alumniarbeit nicht zu kolonialen Übergriffen auf Bedürftige o<strong>der</strong><br />

An<strong>der</strong>sgläubige missbraucht werden dürfen.<br />

132


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

6. Evaluation als Weg <strong>der</strong> Qualitätssicherung friedenspädagogischer Arbeit<br />

a) Die praktische Perspektive:<br />

Beispiel: Im Studienprojekt BIDA gehört die Reflexion und Evaluation über friedenspädagogischen,<br />

interkulturellen und interreligiösen Kompetenzzuwachs zum Projekt selbst.<br />

Neben Eingangserhebungen per Fragebogen und Gruppendiskussion auf dem Vorbereitungswochenende<br />

zu interkulturellen und interreligiösen Fragen füllen die Studierenden<br />

während des Projektes jeden Tag in Amman ihr Lerntagebuch aus. Sie reflektieren anhand<br />

bestimmter Leitfragen ihre Erfahrungen <strong>mit</strong> ihnen fremden Situationen und Personen.<br />

Die Evaluation, die jährlich vom Forschungsinstitut unserer Hochschule begleitet<br />

und durchgeführt wird zeigt, dass wie<strong>der</strong>kehrende Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> denselben<br />

Leitfragen zu einem höheren Grad an Reflexivität <strong>der</strong> Praxis führt. Beim Nachbereitungswochenende<br />

wird <strong>mit</strong>tels einer Gruppendiskussion <strong>der</strong> Lernfortschritt und <strong>der</strong> Zuwachs<br />

an friedenspädagogischer, interkultureller und interreligiöser Kompetenz er<strong>mit</strong>telt.<br />

b) Eine Reflexion dieses Praxisbeispiels zeigt:<br />

<strong>Frieden</strong>spädagogisches Lernen bedarf einer Begleitevaluation, die den Lernfortschritt<br />

und die Ziele <strong>der</strong> eigenen Arbeit dokumentiert und Daten für die Weiterentwicklung bereit<br />

stellt. Für diese Evaluation sind Handreichungen noch rar. Z. B. gilt es, für friedenspädagogisches<br />

Projekt<strong>lernen</strong> spezifische Lerntagebücher zu entwickeln, die es Teilnehmenden<br />

ermöglichen, Begriffe und Vorstellungen zu klären und frei von Vereinnahmungen<br />

eigene Erfahrungen zu dokumentieren und gleichzeitig zu evaluieren. „Und das<br />

scheint die eigentliche Herausfor<strong>der</strong>ung internationaler Forschung und internationalen Austauschs<br />

zu sein: die Herstellung interkulturell, (interreligiös) und international produzierten Wissens, um<br />

die Begrenztheit und Borniertheit <strong>der</strong> eigenen kulturellen, (religiösen), sozialen und gesellschaftlichen<br />

Hintergründe zu überwinden. Denn, so schreibt Treptow: „Die Wahrheit einer tatsächlichen,<br />

bis in die Un<strong>mit</strong>telbarkeit <strong>der</strong> eigenen Lebensgeschichte hinreichende Internationalität<br />

muss sich gegenüber einer Beschränktheit behaupten`, die zur Vernichtung neuer Erkenntnisse<br />

auffor<strong>der</strong>t, `um ein egozentrisches Weltbild zu retten, das sich überholt hat und<br />

nur noch <strong>mit</strong> Gewalt aufrechterhalten werden kann: als könne ein einzelner Nationalstaat,<br />

eine einzige Rasse, eine einzige Kultur (o<strong>der</strong> Religion) noch Mittelpunkt <strong>der</strong> Welt<br />

sein, um die sich sieben Milliarden Menschen drehen wie die Sonne um die Erde.“ 49<br />

Hier<strong>mit</strong> werden die zukünftigen Herausfor<strong>der</strong>ungen für friedenspädagogisches Arbeiten<br />

in <strong>der</strong> Sozialen Arbeit (und Religionspädagogik) auf den Punkt gebracht.<br />

c) Evaluation als Instrument <strong>der</strong> Qualitätsentwicklung von friedenspädagogischen Lernarrangements<br />

bedarf einer Entscheidung über Methoden <strong>der</strong> Datenerhebung. Cornelia<br />

Schweppe for<strong>der</strong>t meines Erachtens zu Recht, globale und friedenspädagogische Lernprozesse<br />

primär <strong>mit</strong> qualitativen Forschungsmethoden zu untersuchen: „Sie ermöglichen<br />

die Offenlegung <strong>der</strong> Produktion und Verwendung <strong>der</strong> in den Gegenständen enthaltenen Bedeutungen<br />

durch Rekonstruktion und Interpretation. Indem qualitative Forschung die Gegenstände in ihren<br />

sach- und sozialweltlichen Bezügen und Prozessen rekonstruiert, bietet sie die Möglichkeit, <strong>der</strong><br />

Geschichtlichkeit und Kontextabhängigkeit einzelner Phänomene nachzugehen und die Struktur,<br />

Logik und Geschichte frem<strong>der</strong> Deutungsmuster herauszuarbeiten. Qualitative Forschung bietet<br />

Möglichkeiten, die untersuchten Phänomene selbst zur Sprache zu bringen, anstatt sie in vorgefertig-<br />

49<br />

Treptow, Rudolf, 1995: Zur Normalität <strong>der</strong> Fremdheitszumutung, in: Müller, S.: Fremde und an<strong>der</strong>e in<br />

Deutschland. Nachdenken über Einverleiben, Einebnen, Ausgrenzen, Opladen.<br />

133


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – <strong>Frieden</strong> unterrichten<br />

te Interpretationsschemata zu drängen.“ 50 Ich weiß nicht, ob und wie Sie Ihre friedenspädagogische<br />

Arbeit an <strong>der</strong> TSS evaluieren. Aber ich würde <strong>mit</strong> Ihnen allen gerne darüber<br />

nachdenken, wie wir bei <strong>der</strong> Auswahl von qualitativen Erhebungsmethoden die kulturellen<br />

Bedingungen zur Evaluation bestmöglich berücksichtigen können.<br />

7. Zum Schluss:<br />

<strong>Frieden</strong>spädagogisches Lernen als Lernen in Gegenwart des/<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en, als Ineinan<strong>der</strong><br />

von Inter- und Intra-Lernen, als Modellbildungs<strong>lernen</strong>, als <strong>leben</strong>snahes Lernen an sprechenden<br />

Lernorten, als Netzwerkbildungs<strong>lernen</strong>, evaluierendes und evaluiertes Lernen<br />

zielt auf anwaltschaftliche Kompetenzbildung. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle unseren<br />

kleinen Schritte an den Hochschulen in Deutschland o<strong>der</strong> hier vor Ort an <strong>der</strong> TSS<br />

helfen diese Welt – im Namen Gottes- gerechter und friedsamer zu machen. Aber wir<br />

sollten diese Schritte bewusst und gemeinsam setzen und unsere Spuren <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> anschauen,<br />

um Gottes neue Welt in unserem Tun und Lassen abzubilden. Eine religiös motivierte<br />

<strong>Frieden</strong>spädagogik, die davon ausgeht, dass Friede zuerst von Gott auf uns zukommt,<br />

bevor wir <strong>Frieden</strong> erwirken, wird Schalom, Salam, Friede sowohl als Zuspruch<br />

als auch als Anspruch in <strong>der</strong> Erziehungs- und Bildungsarbeit begreifen. Das wünsche ich<br />

Ihnen und uns.<br />

50<br />

Schweppe, Cornelia, 2005: Internationalität als Erkenntnispotential in <strong>der</strong> Sozialen Arbeit, in: np-<br />

Son<strong>der</strong>heft 6/2005, S. 584.<br />

134


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

4. Katja Baur: <strong>Schneller</strong>s Impulse für heutiges Christsein:<br />

Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

Vortrag vor <strong>der</strong> Konferenz <strong>der</strong> landeskirchlichen Bildungseinrichtungen <strong>der</strong> Württembergischen<br />

Landeskirche am 14.4.2010 in Löwenstein<br />

Der Vortrag folgt einem Viererschritt innerhalb jedes Abschnittes. Anhand eines Beispiels<br />

aus <strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Hochschule Ludwigsburg wird die Lebensrelevanz<br />

des thematischen Aspektes aufgezeigt (a), die zu einer persönlichen Haltung gegenüber<br />

dem Thema herausfor<strong>der</strong>t. Die persönliche Meinung wird <strong>mit</strong>tels einer Farbabstimmung<br />

abgerufen, indem die Teilnehmenden unterschiedliche Farbblätter in den Händen halten,<br />

die spezifische Positionen verkörpern sollen. Diese werden zeitgleich hochgehalten, sodass<br />

anhand <strong>der</strong> Farbverteilung für alle sichtbar wird, welche Positionen die Zuhörenden<br />

vertreten (b). Diese sichtbare Positionierung bildet Anhaltspunkte für die auf den Vortrag<br />

folgende Diskussion in Kleingruppen. In einem dritten Teil werden die Ergebnisse aus<br />

dem Teilnehmendenkreis <strong>mit</strong> wissenschaftlichen Überlegungen in einen Zusammenhang<br />

gebracht (c), Konsequenzen für die Praxis bedacht und durch ein Beispiel aus <strong>der</strong> Arbeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen konkretisiert (d).<br />

0. Einleitung: Die <strong>Schneller</strong>-Bewegung als Impulsgeber<br />

a) Lebensrelevanz<br />

Beispiel: 15 muslimische und 11 christliche Kin<strong>der</strong> sitzen am gedeckten Mittagstisch. Es<br />

sind Flüchtlingskin<strong>der</strong> und Sozialwaisen, die in einer evangelischen Einrichtung ein neues<br />

Zuhause gefunden haben. Vor dem Essen sprechen alle <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> ein Tischgebet:<br />

„Allah (das ist auch <strong>der</strong> christlich-arabische Name für Gott) – wir danken Dir für dieses<br />

Essen. Sei du bei allen, die jetzt hungern. Amen“. Keine Sorge: Was sich hier ereignet,<br />

ist kein inter- o<strong>der</strong> transreligiöses Gebet. Obwohl die gleichen Worte gesprochen werden,<br />

betet jedes Kind auf dem eigenen religiösen Hintergrund und <strong>mit</strong> Gesten seiner Tradition.<br />

So eine Tischgemeinschaft von Christen und Muslimen ereignet sich täglich in <strong>der</strong><br />

Theodor <strong>Schneller</strong> Schule in Amman. Diese Schule zeigt in einem islamischen Staat in<strong>mit</strong>ten<br />

einer muslimischen Gesellschaft ihr evangelisches Profil. Es bedeutet:<br />

1. Als Schule und Internat geben wir Flüchtlings- und Sozialwaisen eine Chance auf<br />

ein Richtigwerden vor Gott (Rechtfertigungslehre als theologische Mitte). Wir<br />

nehmen sie auf in unser Zuhause und <strong>leben</strong> evangelische Diakonia als Zuwendung<br />

zum bedürftigen Nächsten und Fernsten. <strong>Evangelische</strong>s Dasein zeigt sich im gnädigen<br />

Umgang <strong>mit</strong> Fehlern von einzelnen und <strong>der</strong> Gesellschaft unanhängig von<br />

Religion, Kultur o<strong>der</strong> Nation.<br />

2. Als evangelische Einrichtung erziehen wir zu religiöser Mehrsprachigkeit, da<strong>mit</strong><br />

unsere Schüler/innen den eigenen Glauben und den ihrer Mitschüler/innen kennen,<br />

achten und feiern <strong>lernen</strong> (Liturgia). Wir bieten in <strong>der</strong> Schule christlichen und<br />

muslimischen Religionsunterricht an und befähigen alle Schüler und Schülerinnen-<br />

im Sinne des Priestertums aller Gläubigen (Innere Pluralität als Profil)- Bibel<br />

und Koran auch ohne ver<strong>mit</strong>telnde Autorität lesen und zu deuten können. Unsere<br />

evangelische Präsenz in einer multikulturellen Gesellschaft ist u. a. Bildungspräsenz.<br />

Sie zielt darauf, die eigene Glaubensgrundlage und die <strong>der</strong> An<strong>der</strong>en wertschätzend<br />

zu erschließen.<br />

135


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

3. Als evangelische Christen gestalten wir Gemeinschaft von Christen und Muslimen<br />

als Lebensgemeinschaft. Sie verkörpert sich für uns konkret und religiös im Bild<br />

<strong>der</strong> Tischgemeinschaft, einer leiblichen und geistlichen Verbundenheit im Reich<br />

Gottes als Inbegriff evangelischer Koinonia. Das diesseitige Miteinan<strong>der</strong> weist auf<br />

die Erwartung <strong>der</strong> himmlischen Tischgemeinschaft im Reich Gottes, das Religionsgrenzen<br />

aufhebt. So wie Jesus <strong>mit</strong> Randständigen verkehrte, so stellen wir in<br />

unserer Gemeinschaft die verkehrte Welt vom Kopf auf die Füße. Wir <strong>lernen</strong>, den<br />

Himmel im Spiegel einer Pfütze zu entdecken.<br />

4. Als evangelische Bildungseinrichtung führen wir <strong>Frieden</strong>scamps für israelische<br />

und palästinensische Jugendliche o<strong>der</strong> Workshops zur Gewaltprävention durch.<br />

Das ist für uns – gut evangelisch – Martyria, Gottesdienst im Alltag <strong>der</strong> Welt.<br />

Die Württembergische Landeskirche feiert seit 11.11. 2009 das <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahr.<br />

Etliche Mitglie<strong>der</strong> unserer Landeskirche nehmen diese Woche an den Feierlichkeiten in<br />

Amman teil. Johann <strong>Schneller</strong> war einer <strong>der</strong> bekanntesten württembergischen <strong>Mission</strong>are<br />

<strong>der</strong> äußeren <strong>Mission</strong> im Nahen Osten. Die <strong>Schneller</strong> Schulen verstehen sich bis heute als<br />

Impulsgeber für unsere Fragestellung. Denn sie sehen sich als evangelische Christen in<br />

<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit nicht im Gegensatz o<strong>der</strong> in Abgrenzung zur jordanischen Gesellschaft,<br />

son<strong>der</strong>n als Teil dieser selbst. Das Bild <strong>der</strong> Tischgemeinschaft ist dafür leitend.<br />

b) Abstimmung:<br />

Ist das Bild <strong>der</strong> Tischgemeinschaft von Christen und Muslimen, in unterschiedlichem<br />

Glauben vereint an einem Tisch essend, betend, handelnd (in Diakonia, Leiturgia, Koinonia<br />

und Martyria) ein Symbol für das von Ihnen gewählte Thema: Evangelisch in einer<br />

multikulturellen Gesellschaft? Ich würde Ihr „Bauchgefühl“ o<strong>der</strong> Ihre „theologische<br />

Überzeugung“ gerne sichtbar machen und Sie bitten, eine <strong>der</strong> Karten, die Sie haben, zu<br />

erheben:<br />

� Halten Sie bitte die rote Karte hoch, wenn Sie sich im Bild <strong>der</strong> erwähnten Tischgemeinschaft<br />

von Christen und Muslimen wie<strong>der</strong> finden, die blaue, wenn sie sich nicht<br />

wie<strong>der</strong> finden und die grüne, wenn Sie unentschlossen sind.<br />

c) Konsequenzen für die Praxis<br />

Ihre unterschiedlichen Sichtweisen zeigen, dass wir die Ebenen des Bildes <strong>der</strong> Tischgemeinschaft<br />

genauer sortieren müssen. Das möchte ich nun <strong>mit</strong> ihnen zusammen tun.<br />

Meine Ausgangsthese ist:<br />

Evangelisch in multikultureller Gesellschaft ist eine theologische Positionierung nach<br />

innen und außen zugleich, die kulturprägend wirkt. Auf dem Weg des christlich-<br />

muslimischen Miteinan<strong>der</strong>s in Europa hilft uns die Verbindung zum Nahen Osten als<br />

Quelle gemeinsamer Hoffnung und Ziel gemeinsamer Herausfor<strong>der</strong>ungen. O<strong>der</strong> wie<br />

sagt es Bassam Tibi, <strong>der</strong> syrische Politikwissenschaftler und Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> arabischen<br />

Organisation für Menschenrechte:<br />

„Die Geschichte <strong>der</strong> Mittelmeerregion zeigt, dass sich die islamische und die westliche Zivilisation<br />

über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg gegenseitig befruchtet haben- jenseits kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

im Zeichen von Kreuzzug und Dschihad…Diese positiven Impulse sollte ein Dialog<br />

in Erinnerung rufen.“<br />

(Tibi, Bassam: Selig sind die Belogenen)<br />

http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/selig_sind_die_belogenen.html<br />

136


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

Wir <strong>leben</strong> als evangelische Christen in einer pluralen Gesellschaft. Der Staat steht uns<br />

Christen und den Religionsgemeinschaften nicht beziehungslos gegenüber, son<strong>der</strong>n wir<br />

sind wechselseitig aufeinan<strong>der</strong> bezogen(vgl. Kirche <strong>der</strong> Freiheit S.79: Die evangelische<br />

Kirche steht „im Kontext einer pluralen Welt“). Unsere Möglichkeiten, diese Gesellschaft<br />

<strong>mit</strong> zu gestalten, möchte ich anhand von sechs Begriffen entfalten. Es sind Verben,<br />

die das reformatorischen Wirken als Prozess umreißen. Sie beschreiben zudem Möglichkeiten,<br />

wie wir zusammen <strong>mit</strong> Muslimen und an<strong>der</strong>en gläubigen Menschen unsere Gesellschaft<br />

gottbezogener, und da<strong>mit</strong> menschlicher, gestalten können.<br />

1. Erster Begriff: Dialogisieren: (ein Prozess, <strong>der</strong> zuerst genannt wird, weil er sich<br />

als Leitprozess durch alle an<strong>der</strong>en hindurchzieht)<br />

a) Lebensrelevanz<br />

Im Rahmen eines Seminars zum interreligiösen Lernen beschäftigen wir uns <strong>mit</strong> den drei<br />

klassischen Modellen zum kulturellen und religiösen Neben- bzw. Miteinan<strong>der</strong>. Anlass<br />

ist, am Beispiel <strong>der</strong> Sonntagsfrage über das Profil eines evangelischen Kin<strong>der</strong>gartens in<br />

einem multikulturellen Wohngebiet nachzudenken. Wir verglichen drei unterschiedliche<br />

Möglichkeiten des Wochenschlusses in ev. Kin<strong>der</strong>gärten, welche je von 2/3 christlichen<br />

und 1/3 nichtchristliche, vor allem muslimischen, Kin<strong>der</strong>n besucht werden:<br />

� In Anlehnung an die wöchentliche Sabbatfeier im jüdischen Kin<strong>der</strong>garten haben<br />

Erzieherinnen in einem ev. Kin<strong>der</strong>garten das Ritual eingeführt, am Freitag die Osterkerze<br />

anzuzünden, eine biblische Geschichte zu erzählen und danach allen<br />

Kin<strong>der</strong>n zu beten. Sie sagen: Ev. Kin<strong>der</strong>gärten sollen im ev. Glauben beheimaten und<br />

dazu einladen.<br />

� In einem an<strong>der</strong>en ev. Kin<strong>der</strong>garten findet jeden Freitag im Stuhlkreis die Schatzkästchenstunde<br />

statt. Die Osterkerze, kirchenjahrestypische Dinge und eine Geschichte<br />

werden <strong>mit</strong> allen Kin<strong>der</strong>n ausgepackt und gemeinsam erlebt. In den Zeiten<br />

<strong>der</strong> muslimischen Feiertage wird auch ein Korb <strong>mit</strong> Dingen aus <strong>der</strong> muslimischen<br />

Feiertagsgestaltung in die Mitte gestellt. Hier gilt: Ev. Kin<strong>der</strong>gärten sollen ev.<br />

Glauben anbieten, nichtchristliche Kin<strong>der</strong> aber nicht zum Mitmachen vereinnahmen<br />

� In einem dritten evangelischen Kin<strong>der</strong>garten entscheiden die Erzieherinnen, den<br />

Wochenabschluss <strong>mit</strong> einer Stilleoase einzuleiten. Ein symbolischer Gegenstand<br />

aus <strong>der</strong> christlichen, o<strong>der</strong> auch mal <strong>der</strong> muslimischen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Traditionen<br />

lädt ein zum Staunen und Verweilen. Die Begründung: Ev. Kin<strong>der</strong>gärten sollen das<br />

Gemeinsame <strong>der</strong> Religionen stärken und erfahrbar machen.<br />

b) Abstimmung:<br />

� Welches Modell entspricht Ihrer Vorstellung von einem ev. Kin<strong>der</strong>garten in multireligiöser<br />

Umgebung?<br />

� ein identitätsstiftendes Modell, das auf Beheimatung zielt: rote Karte<br />

� ein dialogische Modell, das das Eigene kennen lernt und sich dem Fremden öffnet:<br />

blau<br />

� ein integratives Modell, das das Gemeinsame als Potential stark macht: grün<br />

137


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

c) Theoretische Erschließung:<br />

Sie wählen zu über 70% das Modell b). Unsere Studierende wählten an<strong>der</strong>s: Ca.40% waren<br />

für Modell a), 20% für Modell b) und 40% für Modell c). Das belegen auch Studien,<br />

die von einer „Rückkehr“ bzw. Besinnung auf das Eigene in Abgrenzung zum Fremden<br />

in <strong>der</strong> jungen Generation sprechen. Umso wichtiger, die Modelle genau anzuschauen: 51<br />

Die drei Beispiele stehen für die drei klassischen Modelle von Begegnung. Sie werden<br />

auch bezeichnet als Multi- Inter- und Transmodell. Ev. Bildungseinrichtungen haben sich<br />

zu entscheiden, nach welchem Modell sie arbeiten wollen. Das Profil einer ev. Bildungsarbeit<br />

in <strong>der</strong> multikulturellen Gesellschaft entscheidet sich auch am Für o<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong> dieser<br />

Modelle, die die Basis für Bildungskonzeptionen bilden:<br />

Multireligiöse Modelle för<strong>der</strong>n ein friedliches, aber berührungsloses Nebeneinan<strong>der</strong> von Religionsgemeinschaften,<br />

die sich an den Grenzen einigen. Sie gehen im Hegelschen Sinne<br />

vom Absolut- und Wahrheitsanspruch des eigenen für sich selbst (und u. Umständen auch<br />

für an<strong>der</strong>e Menschen) aus. Für die evangelische Theologie in Anlehnung an Karl Barth ist<br />

die „Christliche Religion die wahre Religion.“ 52 Dieser exklusiven Linie folgen u. a. Carl<br />

Heinz Ratschow und Pannenberg. 53 Identitätsstiftung geschieht durch Prägen und Teilhabe.<br />

Ihr didaktisches Modell ist das Lehrhaus <strong>mit</strong> dem Ziel <strong>der</strong> Aus-einan<strong>der</strong>-setzung.<br />

Inter-Modelle <strong>leben</strong> vom Dialog zwischen Menschen frem<strong>der</strong> kultureller o<strong>der</strong> religiöser<br />

Zugehörigkeit. Begegnungsort ist das „Inter“- im Sinne Martin Bubers ein Ort <strong>der</strong> Unverfügbarkeit,<br />

des gegenseitigen Interesses und des Gespräches. Identitätsstiftung geschieht<br />

durch Verständigung und Selbstgewisserung. Gestaltungsprinzip des Inter ist <strong>mit</strong> Theo<br />

Sun<strong>der</strong>maier das Besuchsprinzip: d. h. ich kann sowohl Gastgeber meiner eigenen Religion<br />

sein und an<strong>der</strong>e in mein religiöses Haus einladen als auch Gast bei an<strong>der</strong>sreligiösen<br />

Menschen sein und mich in <strong>der</strong>en religiösem Haus so verhalten, dass ich keinen Anstoß<br />

für Verletzungen biete. Ihr didaktisches Modell ist das Lernhaus <strong>mit</strong> dem Ziel des In-<br />

Beziehung-setzens von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.<br />

Trans-Modelle <strong>leben</strong> vom überbrückenden Gemeinsamen, das vor allem in Vor- und<br />

Nachsprachlichkeit erfahrbar wird. Das Gemeinsame besteht in einer Metaebene, z. B.<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Theosophie in <strong>der</strong> esoterischen Bewegung (Swedenborg), <strong>der</strong> Ethik im Weltethos<br />

Konzept von Hans Küng, <strong>der</strong> Idee vom anonymen Christentum bei Rahner o<strong>der</strong> religionsphilosophischen<br />

Erkenntnissen <strong>der</strong> pluralistischen Theologie von Paul Knitter o<strong>der</strong><br />

John Hick. Identitätsstiftung als Fähigkeit, unterschiedliche Identitäten zusammen zu<br />

bringen, geschieht durch Patchwork- und Rollenkompetenz. Ihr didaktisches Modell ist<br />

das Lebenshaus <strong>mit</strong> dem Ziel, Gemeinsamkeiten zwischen <strong>der</strong> eigenen Position und dem<br />

An<strong>der</strong>en zu entdecken und entfalten und Voran bzw. In-eins –zu setzen.<br />

51 Vgl. dazu auch die Ausführungen auf S. 128.<br />

52 Theologischer „Vater“ <strong>der</strong> Auffassung, dass es in Jesus Christus nur die eine Offenbarung, die eine Erlösung<br />

und das eine Heil gibt, ist Karl Barth. Barth grenzt in seiner kirchlichen Dogmatik Religion und Offenbarung<br />

klar voneinan<strong>der</strong> ab (Religion ist <strong>der</strong> „Bereich <strong>der</strong> Versuche des Menschen, sich vor einem eigensinnig<br />

und eigenmächtig entworfenen Bilde Gottes selber zu rechtfertigen und zu heiligen“,Barth,Karl,1960,<br />

Band 1 / 2 §17,S.304, 357.<br />

53 „Die Momente <strong>der</strong> Exklusivität des christlichen Wahrheitsanspruches, <strong>der</strong> Inklusivität des Glaubens an die Offenbarung<br />

Gottes als des einen Gottes aller Menschen und <strong>der</strong> Anerkennung eines faktischen Pluralismus unterschiedlicher<br />

Glaubensformen und Wahrheitsansprüche gehören im christlichen Selbstverständnis zusammen“: Pannenberg, Wolfhard,<br />

1994, Systematische Theologie, S.133f.<br />

138


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

Das Inter-Modell gilt als das klassisch protestantische Modell. Es basiert auf Kommunikation<br />

und bildet das unverfügbare und unver<strong>mit</strong>telte Miteinan<strong>der</strong> von Gott und Menschen<br />

ab. Menschen begegnen einan<strong>der</strong> dabei weniger als Verwurzelte, denn als Rhizome,<br />

die sich an verschiedenen Orten von unterschiedlichen Impulsen bereichern lassen.<br />

Dennoch scheint das Inter- Modell in die Jahre gekommen zu sein. Vorbei sind die Jahre<br />

von Kuschel-,Überzeugungs- ,Informations- Glaubens- o<strong>der</strong> Konsensdialog. Nicht nur<br />

die grauen Haare <strong>der</strong> Teilnehmenden bei Dialogveranstaltungen stützen die These, dass<br />

wir das Intermodell neu be<strong>leben</strong> müssen, um Dialogfähigkeit als evangelisches Profil in<br />

einer multikulturellen Gesellschaft stark zu machen.<br />

Für mich wären folgende vier Bereiche wegweisend, um das Inter-Modell im Protestantismus<br />

zu reformieren:<br />

� Erstens: Unsere evangelische Dialogpraxis muss „ganzheitlicher“ werden: Die muslimische<br />

Theologin Halima Krausen (Zitate aus einem unveröffentlichten Referat <strong>der</strong><br />

AG Globales Lernen an Hochschulen, Hamburg,2009) weist darauf hin, dass sich<br />

auf den Podien von Dialogveranstaltungen oft Muslime befinden, die <strong>der</strong> neuen islamischen<br />

Elite angehören, aber nicht repräsentativ für die eher gering gebildete muslimische<br />

Mehrheit sind. Das stellt die gesellschaftliche Relevanz <strong>der</strong>artiger Dialoge in<br />

Frage. „Unter Muslimen stellt sich die Frage, ob eine Dialogverweigerung ratsam wäre, um<br />

dem Machtgefälle und <strong>der</strong> Instrumentalisierung zu entgehen“. Um Muslime auf breiterer<br />

Basis einzubinden, rät Krausen, den Dialogbegriff weiter zu fassen und nonverbale<br />

Sprachformen einzubinden. Gastgeber und Gäste könnten über die gemeinsame Betrachtung<br />

von Kunstwerken, über Methoden wie ein world cafe usw. partnerschaftlicher<br />

als auf Podien in religiöse Auseinan<strong>der</strong>setzung gelangen. Weil Dialoge von <strong>der</strong><br />

Gleichwertigkeit <strong>der</strong> Partner/innen in Symmetrie und Reziprozität <strong>leben</strong>, empfiehlt<br />

<strong>der</strong> jüdische Philosoph Jacques Derrida, den Begriff des Dialoges lieber durch den<br />

des Verhandelns zu ersetzen. „Verhandlungsdialoge“ sind ein ganzheitliches Geschehen.<br />

Sie haben ihren Sitz im Leben, wo es einem die Sprache verschlägt- im<br />

Leid. Man spricht <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong>, um füreinan<strong>der</strong> zu sprechen, d. h. Sprachlosen eine<br />

Stimme zu geben.<br />

� Zweitens: Die evangelische Dialogpraxis muss globaler werden: Halima Krausen<br />

weist zudem auf die europäisch aufgeklärte Ausrichtung vieler Dialogforen, die die<br />

individuelle Verantwortung vor eine am Gemeinwesen orientierte Lebensart stellen.<br />

Muslime wie sie würden solche Dialoge als etwas Unnatürliches o<strong>der</strong> Parallelgesellschaften<br />

verstehen. Es sei we<strong>der</strong> das Ziel des islamischen Umma noch <strong>der</strong> Großfamilie,<br />

die Unterschiede <strong>der</strong> Personen o<strong>der</strong> Gruppen wichtiger zu nehmen als die Einheit<br />

aller. Insofern würden Muslime von einem Bild <strong>der</strong> Einheit ausgehen, das dem<br />

Trans Modell näher kommt als <strong>der</strong> Idealisierung des Fragmentarischen in evangelischen<br />

Dialogmodellen. Hier zeichnet sich meines Erachtens ein Problem ab: Dialoge<br />

setzen voraus, dass je<strong>der</strong> Mensch frei ist, in einem Rechtsstaat religiös o<strong>der</strong> säkular<br />

zu <strong>leben</strong>. Eine dualistische Einteilung <strong>der</strong> Gesellschaft in Gläubige und Ungläubige<br />

o<strong>der</strong> eine Überordnung eines Gottesbezuges über das Bürgerrecht (im Sinne von Sure<br />

Al-Imran,V.19: Die Religion bei Gott ist <strong>der</strong> Islam) wi<strong>der</strong>spricht nicht nur <strong>der</strong> Unterscheidung<br />

von Christen- und Bürgergemeinde, son<strong>der</strong>n auch dem Prinzip evangelischer<br />

Freiheit. Das verbindende Trans kann für Protestanten we<strong>der</strong> im vorausgesetzten<br />

Gottesbezug noch im ursprünglich guten Menschen o<strong>der</strong> eine alle übergreifenden<br />

Einheit gesehen werden.<br />

139


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

� Drittens: Die evangelische Dialogpraxis ist zu hörlastig: Dass Menschen in Begegnung<br />

voneinan<strong>der</strong> und <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> <strong>lernen</strong>, ist gut protestantisches Bildungsideal. Insofern<br />

waren etliche Studierende unserer Hochschule empört, als <strong>der</strong> jüdische Lehrer<br />

Yuval Lapide am Ende eines Studientages sein Verständnis vom jüdisch- christlichen<br />

Miteinan<strong>der</strong> so erklärte: „Ich muss von Euch nichts <strong>lernen</strong>, um meinen Glauben besser zu<br />

verstehen, aber Ihr müsst von mir <strong>lernen</strong>, Eure Schrift zu verstehen. Ich lehre, Ihr lernt.“ (Ähnlich<br />

Rachel Herweg: „Wir brauchen das Christentum nicht, ihr braucht das Judentum<br />

für eure Identität). Was sich Dialogveranstaltung nennt, ist oft eher Monologveranstaltung.<br />

Einer lehrt, viele hören zu. Der dem Euroislam nahe stehende Muslim<br />

Dr. Bassam Tibi ermutigt uns evangelische Christen, in Dialogen stärker aus <strong>der</strong> Zuhörperspektive<br />

herauszutreten. Er vermutet, dass ein Schuldgefühl <strong>der</strong> deutschen<br />

Protestanten in Bezug auf Kirche im 3.Reich und eine daraus folgende gesinnungsethisch<br />

verordnete Fremdenliebe <strong>der</strong> Deutschen dazu führten, dass wir lieber von<br />

an<strong>der</strong>en <strong>lernen</strong> als sie zu lehren. Beides erwartet er als Muslim aber von uns.<br />

� Viertens: Die evangelische Dialogpraxis arbeitet zu punktuell: echte Dialoge <strong>leben</strong><br />

von Kontinuität <strong>der</strong> Beziehungen. Nur ein Leben in Gegenwart des An<strong>der</strong>en ermöglicht<br />

auch ein Lernen in Gegenwart <strong>der</strong> An<strong>der</strong>en. Es gibt noch zu wenige Partnerschaften<br />

zwischen Kirchen- und Moscheegemeinden o<strong>der</strong> dauerhafte Kooperationen<br />

nichtchristlicher und christlicher Einrichtungen. An unserer EH haben wir uns z. B.<br />

entschlossen, eine jüdische und eine muslimische Lehrbeauftragte in unsere interreligiösen<br />

Seminare einzubinden, um die Konvivenz als Basis von Dialogen zu stärken.<br />

2. These: Als <strong>Evangelische</strong> in multikultureller Gesellschaft gestalten wir das Zusammen<strong>leben</strong><br />

<strong>der</strong> Kulturen und Religionen modellhaft. Es gehört zur Kompetenz Professioneller,<br />

obige Modelle zu kennen und <strong>mit</strong> ihnen umzugehen. Die Entscheidung für<br />

o<strong>der</strong> gegen ein Modell ist Teil des Leitbildprozesses einer ev. Bildungseinrichtung.<br />

<strong>Evangelische</strong> Christen können und sollen das Dialogmodell als Bild <strong>der</strong> Weggemeinschaft<br />

zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Religionen ganzheitlicher in<br />

die Gesellschaft einbringen. (D. h.: Wenn Lehrerinnen und Lehrer <strong>mit</strong> dem Unterrichtsmaterial<br />

zum Weltethosmodell arbeiten, müssten sie die Trans-Ebene <strong>der</strong> Ethik<br />

als Band <strong>der</strong> Religionen <strong>mit</strong> einer protestantischen Weltsicht ins Gespräch bringen<br />

können, die we<strong>der</strong> Ämter noch Ideen als Brücke zwischen Gott und Menschen aufbaut<br />

und sich zudem auch nicht gerne als „Religionsgemeinschaft“ bezeichnet.)<br />

d) Konkretion aus dem Wirken <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen:<br />

Die <strong>Schneller</strong> Schule in Amman bekennt sich zu einem interreligiösen Ansatz und formuliert:<br />

„Uns geht es darum, die Religionen zusammen zu führen, nicht aber zu vermischen. Die<br />

muslimischen Kin<strong>der</strong> sollen durch das Zusammen<strong>leben</strong> im Internat viel über das Christentum erfahren<br />

und die christlichen Kin<strong>der</strong> viel über den Islam. Wenn christliche und muslimische Kin<strong>der</strong><br />

zusammen ein Tischgebet sprechen o<strong>der</strong> im Ramadan Rücksicht aufeinan<strong>der</strong> nehmen, <strong>lernen</strong> sie,<br />

nicht von „den Christen“ o<strong>der</strong> „den Muslimen“ zu sprechen, son<strong>der</strong>n von George und Ahmed als<br />

Klassenkamerad o<strong>der</strong> Freund … Es geht uns um gegenseitige Toleranz, nicht darum, die Religion<br />

zu wechseln. Als evangelische Einrichtung ist es uns wichtig, die Kin<strong>der</strong> in ihrer religiösen Identität<br />

zu stärken <strong>mit</strong> dem Wunsch, dass sie später einmal Brücken zwischen den Religionen bauen. Die<br />

<strong>Schneller</strong> Schule steht zu diesem interreligiösen Ansatz auch im Wissen darum, dass es in Jordanien<br />

keine einzige muslimische Schule <strong>mit</strong> einem ähnlich dialogischen Ansatz gibt.“ 54<br />

54<br />

In Anlehnung an die EMS/EVS-Festschrift zum <strong>Schneller</strong>-Jahr, Interview <strong>mit</strong> Klaus Schmidt, S.23f.<br />

140


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

2. Begriff: Pluralisieren: Evangelisch durch die multikulturelle Gesellschaft<br />

a) Lebensrelevanz<br />

Beispiel aus <strong>der</strong> EH:<br />

Seit vier Jahren beteiligt sich unsere EH an einem Studienprojekt zum interkulturellen<br />

und interreligiösen Lernen in Amman. In Kooperation <strong>mit</strong> fünf an<strong>der</strong>en ev. Hochschulen<br />

aus Deutschland bieten wir jährlich 40 Studierenden die Möglichkeit, durch den Kontakt<br />

<strong>mit</strong> muslimischen Studierenden vor Ort Facetten des arabischen Islams kennen zu <strong>lernen</strong>.<br />

Dabei machen wir stets die gleiche Erfahrung: Studierende aus Berlin, Hannover<br />

o<strong>der</strong> vom Bodensee tun sich schwer, eine gemeinsame ev. Position in Dialoge einzubringen.<br />

Während die muslimischen Studierenden z. B. einheitlich <strong>der</strong> Meinung sind, dass<br />

Muslime auf <strong>der</strong> ganzen Welt wie eine „gute Medizin“ Heilung bewirken, suchen unsere<br />

Studierenden verzweifelt nach gemeinsamen Bil<strong>der</strong>n für die Bedeutung von Christen in<br />

<strong>der</strong> Welt. Ihr Fazit:“ Unsere eigene Pluralität, die Fülle <strong>der</strong> christlichen Konfessionen<br />

o<strong>der</strong> die evangelische Freiheit, eigenverantwortlich zu glauben, ist eher eine Hürde als<br />

ein Reichtum. “<br />

b) Abstimmung:<br />

� Unsere evangelische Pluralität ist unsere selbstgemachte Hürde im Dialog<br />

Ich stimme <strong>der</strong> These zu: ja (rot) , nein (blau), unentschlossen (grün)<br />

c) Theoretische Erschließung:<br />

Sie stehen laut <strong>der</strong> Abstimmung zur evangelischen Pluralität – ist das Votum eine Generationsfrage?<br />

Studien zur Jugendreligiosität belegen, dass die hochgejubelte ev. Freiheit<br />

für etliche Jugendliche in <strong>der</strong> Tat ein Problem darstellt. Die Bereitschaft und Fähigkeit,<br />

sich auf etwas Fremdes einzulassen, ist geringer, je unsicherer die eigene Zukunft sich gestaltet.<br />

Internationale Jugend- o<strong>der</strong> Studienprogramme, in denen man zwar „all inclusive“<br />

rund um die Welt reist, aber letztlich unter Seinesgleichen bleibt, werden heute eher<br />

gebucht als Programme, die vom Sich Einlassen auf Fremdes geprägt sind. (Deshalb ist<br />

es begrüßenswert, dass das ev. Jugendwerk bei Jugendreisen ins Ausland zunehmend<br />

fragt: Gestalten wir die Reise zum Fremden wie einen Zoobesuch, indem wir draußen<br />

stehen und Futter in Käfige werfen, o<strong>der</strong> suchen wir bewusst Begegnung, sprengen wir<br />

Mauern und lassen uns auf Fremde ein, um auch etwas von uns im Lande zurückzulassen?)<br />

Angesichts <strong>der</strong> Verunsicherung wird <strong>der</strong> Ruf nach abgrenzbaren Kulturen <strong>mit</strong> klarer<br />

Identitätszuweisung im Sinne Taylors wie<strong>der</strong> wach. 55 Ein fließen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> prozesshafter<br />

Kulturbegriff <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne hingegen, <strong>der</strong> davon ausgeht, dass wir alle plural sind<br />

in unseren kulturellen und religiösen Identitäten, wirkt für Studierende oft irritierend.<br />

Studierende übersehen im Wunsch nach klaren Aussagen leicht, dass we<strong>der</strong> Pluralität<br />

gleichzusetzen ist <strong>mit</strong> Beliebigkeit noch Toleranz <strong>mit</strong> Akzeptanz. Pluralität weiß zu unterscheiden<br />

zwischen <strong>der</strong> vormals mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft, die sich durch Einheit in <strong>der</strong><br />

Vielfalt auszeichnete und unserer postmo<strong>der</strong>nen o<strong>der</strong> nachpostmo<strong>der</strong>nen Welt, die sich<br />

den Slogan: „Vielfalt <strong>der</strong> Einheit“ auf die Fahne schreibt. Einheit kann <strong>mit</strong> Wolfgang<br />

Welsch fortan nicht mehr gegen die Vielfalt, son<strong>der</strong>n nur in ihr erlebt werden. D. h.: Pluralität<br />

ist <strong>der</strong> Gegenpol zu Unifor<strong>mit</strong>ät. Sie ist gut protestantisch, weil das <strong>Evangelische</strong><br />

55 Taylor: „Kultur ist das komplexe Ganze, das Wissen, Glauben und Ethik, Recht, Brauchtum und an<strong>der</strong>e Errungenschaften<br />

und Gewohnheiten enthält, die <strong>der</strong> Mensch als Mitglied <strong>der</strong> Gesellschaft erworben hat“ in: Baur, Katja,<br />

2010, Abraham als Impulsgeber für <strong>Frieden</strong> in Nahost, S.39.<br />

141


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

<strong>der</strong> Reformation sich als Gestalt gewordener Protest gegen jede Art von Gleichmacherei<br />

seine Wege gebahnt hat. Die EKD Denkschrift: „Klarheit und gute Nachbarschaft“ rät<br />

auch deshalb, den Begriff <strong>der</strong> multikulturellen Gesellschaft durch den <strong>der</strong> kulturell pluralen<br />

zu ersetzen.<br />

Echte Pluralität lebt von <strong>der</strong> Differenz. Diese ist die Basis <strong>der</strong> Individualität. Ihr Ort ist<br />

die Grenze, die fähig macht zur Unterscheidung zwischen gut und böse, Gott und Götze,<br />

dem An<strong>der</strong>en und mir selbst. <strong>Evangelische</strong> Pluralität bewegt sich dabei auf zwei Ebenen:<br />

� Als binnenchristliche Pluralität nach innen: Als evangelische Christen verstehen wir<br />

unseren Weg als eine Wesensbeschreibung des Christentums (nicht als die einzig<br />

wahre), die <strong>der</strong> Ergänzung durch katholische, orthodoxe, freikirchliche und an<strong>der</strong>e<br />

Bewegungen bedarf und ebenso diese ergänzt. Das Positionspapier „Kirche <strong>der</strong> Freiheit“<br />

würdigt die mo<strong>der</strong>ne Lebenswelt <strong>mit</strong> ihrem Pluralismus und so<strong>mit</strong> auch die<br />

„innere Pluralität <strong>der</strong> evangelischen Kirche“. 56<br />

� Und als Pluralität nach außen: Als evangelische Christen sehen wir uns als Mitgestaltende<br />

einer Gesellschaft, die an<strong>der</strong>e Religionsgemeinschaften o<strong>der</strong> Kulturen als Teil<br />

ihrer eigenen Wirklichkeit betrachtet und sich selbst auch durch diese definieren.<br />

Vielfalt wird als Reichtum betrachtet. 57<br />

Die innere Pluralität <strong>der</strong> evangelischen Kirche trifft nun auf eine religiös plurale Gesellschaft.<br />

Sie ist ein Gegenbild zu Zentralismus und Diktatur. Wir sind also nicht „evangelisch<br />

in <strong>der</strong> pluralen, multikulturellen Gesellschaft“, son<strong>der</strong>n „evangelisch durch die plurale,<br />

multikulturelle Gesellschaft“. Wolfgang Härle bezeichnet das als positionellen Pluralismus.<br />

Er for<strong>der</strong>t uns deshalb auf, pluralitätsfähig von uns und <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> zu sprechen.<br />

Pluralitätsfähigkeit entscheidet sich an Kommunikationsfähigkeit. Wir müssen uns<br />

je jetzt je neu <strong>mit</strong> allen Beteiligten (Priestertum aller Gläubigen als Teilhabe aller an <strong>der</strong><br />

Kommunikation des Evangeliums) auseinan<strong>der</strong>setzen über die Grundlagen, auf die wir<br />

unseren evangelischen Glauben beziehen, auf zentrale Lie<strong>der</strong>, Rituale, Texte, die uns<br />

<strong>Evangelische</strong>n <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> heilig sind. Einheitliche „Qualitätsstandards“ als Selbstverpflichtung<br />

aller und offene Kommunikation als Prozess <strong>der</strong> einzelnen bedingen einan<strong>der</strong><br />

auf dem Weg zur „vernünftigen“ Pluralitätsfähigkeit <strong>der</strong> evangelischen Christen.<br />

<strong>Evangelische</strong> Schulen verstehen diese Herausfor<strong>der</strong>ung z. B. als Suche nach sprechenden<br />

Bil<strong>der</strong>n, die ihr plurales Profil zum Ausdruck bringen. Sie stellen sich <strong>der</strong> Aufgabe, die<br />

auch unsere Studierenden in Amman beschäftigte. Im ECRIS Institut unserer Hochschule,<br />

dem Institut zur Evaluation christlicher Schulen, haben wir jüngst am Rande eines<br />

Mo<strong>der</strong>atorenworkshops biblische Bildworte für evangelische Schulgemeinde daraufhin<br />

geprüft, ob diese auch von den nichtchristlichen Eltern verstanden und geteilt würden.<br />

Heftige Diskussionen gab es über das biblische Bild <strong>der</strong> Christen als Leib Christi.<br />

Das Wort „Leib“ würde heute – so meinten etliche Teilnehmende – vermutlich durch<br />

„Gemeinde als Körper“ ersetzt. Es umfasst da<strong>mit</strong> die ganze Spanne von Köperkult bis<br />

Körperschaft. Die frühen Christen übernahmen das Leib-Bild aus ihrer multikulturellen<br />

politischen Welt und adoptierten es für ihre Gemeindestruktur. Es war also durchaus ein<br />

Bild <strong>der</strong> Abgeschlossenheit. In dieser Funktion kann es – so die Mo<strong>der</strong>atoren/innen –<br />

auch heute Bestand nach innen haben, aber wie ist es <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Außenwirkung? Wer das<br />

Bild vom Leib auch nach außen kommuniziert, muss Muslimen, Juden, Esoteriker usw.<br />

erklären, wo denn ihr Platz im Bilde ist: sind sie die Luft zum Atmen, die dem Leib zu-<br />

56<br />

S. 50: „Eine zentralistische Einheitlichkeit ist we<strong>der</strong> gewollt noch <strong>mit</strong> dem evangelischen Selbstverständnis vereinbar“<br />

Kirche <strong>der</strong> Freiheit, Perspektiven für die <strong>Evangelische</strong> Kirche im 21.Jahrhun<strong>der</strong>t,2006, Hannover, S.27.<br />

57<br />

Kirche <strong>der</strong> Freiheit, S.18.<br />

142


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

arbeiten und diesem unterstellt sind, o<strong>der</strong> sind sie ein zweiter, dritter Leib in Gottes<br />

Reich, <strong>der</strong>en Zusammenkommen erst Gottes Liebe wirksam macht? Auch naturhafte<br />

Bildworte wie die Rede von Christen als „Salz“ o<strong>der</strong> „ Weinstock“ müssen sich fragen<br />

lassen: Sind die an<strong>der</strong>en Religionen die Suppe, die auch ohne den Zusatz von Salz (also<br />

uns Christen) schmeckt? O<strong>der</strong> sind sie neben uns ein weiteres Gewürz, das die Suppe<br />

schmackhaft macht? Löffeln wir als Religionsgemeinschaften zusammen die Suppe aus,<br />

die uns die Wirtschaftskrise eingebrockt hat und sind wir zusammen Salz für diese Gesellschaft?<br />

Hilfreich ist dazu Peter Haigis Habilschrift zur „Pluralismusfähigen Ekklesiologie“<br />

(2008). Haigis kommt – wie auch die Mo<strong>der</strong>atoren des ECHRIS Workshops – zum Ergebnis,<br />

dass das biblische Bild vom Netz pluralitätsfähiger ist als das vom Leib: Ein Netz<br />

verbindet viele Knotenpunkte Es ist ein dynamisches Gebilde, offen für neue Verknüpfungen.<br />

Dieses Netzwerk wird zusammengehalten durch Vielfalt und bildet dennoch eine<br />

Einheit. <strong>Evangelische</strong> Christen können sich <strong>mit</strong> diesem Bild als Teil <strong>der</strong> Gesellschaft erklären<br />

und ihre Existenz dabei zugleich auf die vernetzende Kraft Jesu Christi zurückführen,<br />

<strong>der</strong> sich des Netzes als Menschenfischer bedient. Zudem bleibt dieses Netz offen für<br />

Verbindungen zu an<strong>der</strong>en Netzwerken. Deshalb gilt es zu überlegen, ob und wie ev. Kirche<br />

sich bei Ortseinfahrtsschil<strong>der</strong>n, in Gemeindebriefen, diakonischen Projekten, Predigten<br />

usw. <strong>mit</strong> <strong>der</strong>artigen Netzwerkbil<strong>der</strong>n darstellen kann, um ihre Anknüpfungsbereitschaft<br />

auch offen nach außen zu dokumentieren. Diesem Gedanken entspricht auch<br />

Theo Sun<strong>der</strong>maier, <strong>der</strong> angesichts <strong>der</strong> pluralen Herausfor<strong>der</strong>ungen das Bild <strong>der</strong> „versöhnten<br />

Verschiedenheit“ <strong>der</strong> 80er Jahre aufhebt zugunsten des Bildwortes von <strong>der</strong> vernetzten<br />

Verschiedenheit. Im Sinne eines kreativen Pluralismus for<strong>der</strong>t er eine Vernetzung<br />

<strong>der</strong> Religionen auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Gemeinde vor Ort. „Ich nenne diese Ebene vernetzte Verschiedenheit.<br />

Nur wenn diese Vernetzung auf <strong>der</strong> unteren Ebene <strong>der</strong> (Moschee- Orts- und) Kirchengemeinden<br />

verwirklicht wird, kann es zu echter Begegnung und Zusammenarbeit kommen.“ 58 Man<br />

bleibt organisatorisch getrennt, bleibt seiner Gruppe zugehörig, wird aber in einen Prozess<br />

verwoben, <strong>der</strong> neue Netzwerke eröffnet.<br />

3. These: Evangelisch in pluraler Gesellschaft definiert und gestaltet die eigene religiöse<br />

Sprache, religiöses Leben und Ethik so, dass die An<strong>der</strong>en im eigenen Reden,<br />

Denken und Handeln immer <strong>mit</strong>gedacht, <strong>mit</strong> artikuliert und <strong>mit</strong> gelebt werden. An<br />

unserer eigenen Pluralitätsfähigkeit entscheidet sich unsere Dialogfähigkeit. Deshalb<br />

würde ich den Titel, den Sie mir vorgaben, än<strong>der</strong>n von „Evangelisch in multikultureller<br />

Gesellschaft“ zu „Evangelisch durch die plurale Gesellschaft.“<br />

d) Konkretion aus dem Wirken <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen:<br />

Um es <strong>mit</strong> dem Leitbild <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen zu sagen: „Es geht darum, dass wir evangelisch<br />

im Geist und nicht protestantisch aufgrund von Zahlen sind. Evangelisch ist nicht eine Frage<br />

<strong>der</strong> Mitgliedschaft, son<strong>der</strong>n eine Qualitätsfrage.“ 59 Es geht darum, wie wir uns durch die Vielfalt,<br />

die uns begegnet, vielfältig in die Gesellschaft einbringen.<br />

58<br />

Sun<strong>der</strong>maier, Theo: Wie <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> reden? Grund und Grenzen des interreligiösen Dialogs; in: <strong>Evangelische</strong><br />

Aspekte 18 (2008),Heft 4, S.8.<br />

59<br />

Festschrift, S.31.<br />

143


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

2. Begriff: Apologetisieren: <strong>Evangelische</strong> Sprachfähigkeit angesichts <strong>der</strong> multikulturellen<br />

Gesellschaft<br />

a) Lebensrelevanz<br />

Jeden Montag versammeln sich rund 150 Studierende <strong>der</strong> Frühkindlichen Bildung zur<br />

Vorlesung: Interreligiöses Lernen in <strong>der</strong> frühkindlichen Bildung an unserer EH. Unsere<br />

muslimische und unsere jüdische Lehrbeauftragte und ich führen sie am Beispiel <strong>der</strong><br />

Zehn Gebote in interreligiöse Handlungsfel<strong>der</strong> frühkindlicher Pädagogik ein. Zu unserer<br />

Veranstaltung gehört immer eine Exkursion in die Synagoge und Moschee. Bei <strong>der</strong> Evaluation<br />

<strong>der</strong> Veranstaltung meldet eine Studierende rück „Bei den Exkursionen in die Synagoge<br />

und Moschee habe ich gemerkt, dass ich völlig ´schwimmen´ würde, wenn ich Kin<strong>der</strong>n eine Kirche<br />

erklären müsste. Natürlich weiß ich, wie so ein Raum von innen aussieht, aber ich könnte we<strong>der</strong><br />

sagen, wie Einzelteile heißen noch was da genau passiert. Ich hätte auch echt Mühe, einen Raum<br />

o<strong>der</strong> eine Mitte so zu gestalten, dass er evangelisch aussieht, ohne langweilig zu sein. Ich würde Ihnen<br />

raten, zukünftig in dieser Vorlesung den Besuch einer Kirche einzubauen.“ Eine Abstimmung<br />

belegte, dass 70% <strong>der</strong> Studierenden aus unserer Vorlesung vor allem das <strong>mit</strong>nehmen:<br />

„meine eigene Religion ist mir oft ebenso fremd wie an<strong>der</strong>e Religionen – ich konnte in <strong>der</strong> Moschee<br />

nicht antworten, warum ich evangelisch bin, wie es sich auf mein Leben auswirkt o<strong>der</strong> was Trinität<br />

ist.“<br />

b) Abstimmung:<br />

� „ Die Zeiten von „Identität und Verständigung“ sind vorbei. Heute muss es heißen: „<br />

Die Identität ist das Standbein, die Verständigung das Spielbein, um in <strong>der</strong> pluralen Gesellschaft<br />

bestehen (standhaft sein) zu können“<br />

Ich stimme <strong>der</strong> These zu (rot), bin dagegen (blau), unentschlossen (grün)<br />

c) Theoretische Erschließung:<br />

Während noch vor 10 Jahren Seminare zum ökumenischen o<strong>der</strong> interkulturellen Lernen<br />

durch engagierte Mitarbeit glänzten, werden sie heute als Pflichtveranstaltung <strong>mit</strong>genommen.<br />

Diesen Trend bestätigten die Titel <strong>der</strong> EKD-Handreichungen. Während es im<br />

Jahr 2000 in <strong>der</strong> Schrift „Zusammen<strong>leben</strong> <strong>mit</strong> Muslimen“ noch stark um die Konvivenz<br />

ging, zeigt <strong>der</strong> Titel „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen, theologische<br />

Leitlinien“ von 2003 einen Trend zur Differenz, <strong>der</strong> im Titel von 2006 „Klarheit und gute<br />

Nachbarschaft“ seine Spitze findet. Hier dominieren die theologischen Warnschil<strong>der</strong><br />

gegenüber islamischer Glaubenslehre eindeutig, wobei das Leben Jesu o<strong>der</strong> die Wirkkraft<br />

des Hl. Geistes dabei bedauerlicherweise keine weisende Rolle spielen. Theologische Differenz<br />

dominiert vor Konvivenz. An<strong>der</strong>s dagegen die Politik? 2010 setzt Stefan Mappus<br />

erstmals eine Staatsrätin für interkulturellen und interreligiösen Dialog ein. Er for<strong>der</strong>t<br />

und för<strong>der</strong>t eine neue Sprachfähigkeit. Dialogfähigkeit setzt klare Konturen und auch das<br />

Benennen von Differenzen voraus. Ich möchte sie als „Wie<strong>der</strong>kehr einer evangelischen<br />

Apologetik“ bezeichnen. Diese wendet sich nicht gegen die An<strong>der</strong>en im Sinn einer<br />

Selbstrechtfertigung, son<strong>der</strong>n gibt Rechenschaft über die eigene Position, um an<strong>der</strong>en als<br />

Gesprächspartner/in fassbar zu sein.<br />

Hans Martin Barth steht <strong>mit</strong> seiner Dogmatik: „<strong>Evangelische</strong>r Glaube im Kontext <strong>der</strong><br />

Weltreligionen“ für eine Besinnung auf die zentralen Anliegen und Inhalte evangelischen<br />

Glaubens im Dialog <strong>mit</strong> den Weltreligionen. Dialog und Apologetik werden zu zwei Seiten<br />

einer Medaille. Apologetik meint keine Selbstverteidigung, son<strong>der</strong>n Selbstbestimmung.<br />

Barth geht es darum, dass „in den Begegnungen <strong>mit</strong> den an<strong>der</strong>en Religionen <strong>der</strong> christli-<br />

144


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

che Glaube sich selbst noch tiefer als bisher erfasst.“ 60 Kriterium <strong>der</strong> Selbstbestimmung ist die<br />

Unterscheidung <strong>der</strong> Alpha- und Omega Gestalt des Glaubens, d. h. Offenlegung eines<br />

Inhaltes und seiner erahnten Deutungen. Apologetik betrifft die reflexive Seite des Glaubens.<br />

Reinhard Hempelmann bezeichnet diese Art von neuer evangelischer Apologetik<br />

<strong>mit</strong> dem Begriff: „Denkdiakonie“. 61 Ich erkläre mich, um dem An<strong>der</strong>en Nächster o<strong>der</strong><br />

Nächste werden zu können. Als Fragment werde ich zum Würdenträger, zur Trägerin<br />

<strong>der</strong> Würde Gottes durch und in an<strong>der</strong>en Menschen. Das bestimmt den Zugang zum An<strong>der</strong>en<br />

und Fremden.<br />

Für H. M.Barth und R. Hempelmann – und ich möchte ihnen da folgen – ist diese fragmentarische<br />

Sicht auf den Menschen auch leitend für die Rede von Gott, die wir in die<br />

Gesellschaft einbringen. Ein Blick in <strong>Frieden</strong>serklärungen <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften,<br />

Handreichungen zur Frauenarbeit und beson<strong>der</strong>s Unterrichtsmaterialien zu religionsverbindenden<br />

Einschulungsfeiern neigt zur theistischen Verengung des Gottesbegriffes. 62<br />

Lasch weist an einem Gottesdienst zu Gen 12 nach, dass die Vorstellung von einem allseits<br />

präsenten, allmächtigen Gott, <strong>der</strong> nach Koran und Bibel z. B. den Abraham führt<br />

dominiert. Nicht erwähnt wird aber die ohnmächtige, <strong>mit</strong>leidende Seite Gottes, die in Jesus<br />

Christus aufgehoben ist. Die Anrede des Ewigen wird auf „Gott“ reduziert und dieser<br />

Gott vorstellungsmäßig in den Himmel gebannt. Doch <strong>der</strong> „ferne Gott“ sucht Ergänzung,<br />

ohne sich von uns abhängig zu machen. Dorothee Sölle mahnt uns evangelische<br />

Christen, zuerst einmal vom geerdeten Gott zu sprechen. Er ist „in seiner Allmacht ein<br />

ohnmächtiger Gott“. Aufgabe einer neuen evangelischen Apologetik ist es, das „pro nobis“<br />

Gottes in Jesus zu erklären, dieses aber nicht auf eine für viele Muslime (und nicht<br />

nur für sie) missverständliche Sühneopfertheologie zu reduzieren. Rettung bedeutet ebenso<br />

die Stiftung des erwarteten Schalom und die Gabe des Geistes. Diese Aspekte sollten<br />

nicht nur in Freikirchen von Bedeutung sein. <strong>Evangelische</strong> Apologetik achtet auf christologische<br />

und pneumatologische Weite im Gottesbild.<br />

D. h.: Wir bringen ein Gottesbild in diese Gesellschaft ein, dass inkarnatorisch ist und<br />

auf Verwandlung bestehen<strong>der</strong> Verhältnisse drängt. Als Protestanten müssen wir neu<br />

durchbuchstabieren, was es für unsere Gesellschaft bedeutet, dass Gott personal und<br />

apersonal, als Vater, Sohn und Geist in Allmacht und Ohnmacht zugleich gedacht und<br />

angebetet wird. Wir müssen dem Trend entgegenstehen, Gott auf seine Allmacht zu reduzieren<br />

und in den Himmel o<strong>der</strong> die Wellnesskultur zu verbannen. Dazu braucht es eine<br />

Rückbesinnung auf die Christologie, die nicht vorrangig individuell gebraucht wird im<br />

Sinne von „Jesus ist für mich gestorben“, son<strong>der</strong>n bedeutsam ist im Sinne von „ Jesus,<br />

<strong>der</strong> <strong>leben</strong>dige Gott, geht <strong>mit</strong> uns durch das Leiden ins Leiden hinein und durch das Leiden<br />

hindurch.“ Nur wenn wir diese christologische Hausaufgabe machen, werden wir<br />

unsere Kirchräume erklären und <strong>mit</strong> Leben füllen können und im Dialog den Gott einbringen,<br />

<strong>der</strong> uns <strong>Evangelische</strong>n heilig ist.<br />

60 2<br />

Barth, 2002, Christlicher Glaube im Kontext <strong>der</strong> Weltreligionen, S. 39.<br />

61<br />

Hempelmann, Reinhard, 2009, Religionstheologie und Apologetik, EZW Texte 201,S.6.<br />

62<br />

vgl. Lasch,Sabrina, Interreligiöse Schulgottesdienste gestalten? in Baur, Katja, 2007, Zu Gast bei Abraham,<br />

S.159-162.<br />

145


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

4. These: Evangelisch in multikultureller Gesellschaft erweist sich an einer protestantischen<br />

Apologetik, die <strong>der</strong> Christologie und Pneumatologie im Gottesbegriff Raum<br />

und Gestalt gibt und dieses Gottesbild gesellschaftsfähig einbringt. Dabei darf und<br />

soll <strong>der</strong> gemeinsame Nenner im interreligiösen Dialog durchaus gesucht werden (z. B.<br />

Gott als Schöpfer). Dann sollte aber deutlich werden, dass es darüber hinaus weitere<br />

Aspekte gibt, die uns als Christen unverzichtbar sind (Erlösung als Liebestat Gottes<br />

und Jesu, Gegenwart des Geistes Gottes).<br />

d) Konkretion aus dem Wirken <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen:<br />

Wöchentlich liegen vor den Toren <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schule in Amman irakische Flüchtlingskin<strong>der</strong>.<br />

Verwandte haben sie heimlich hergebracht. Die Kin<strong>der</strong> sind, wie viele Christen im<br />

Nahen Osten, vom Elend gezeichnet. In <strong>der</strong> Schule sollen sie ermutigt werden, ihr Kreuz<br />

auf sich zu nehmen- o<strong>der</strong> wie sagt es eine Erzieherin: „Wer als Christ hier bleibt, muss<br />

davon überzeugt sein, dass er o<strong>der</strong> sie wichtig ist für das Hl. Land- auch wenn es das eigene<br />

Leben kosten könnte. Das Kreuz Jesu ist Teil unseres Lebens als Christen im Nahen<br />

Osten. Doch Jesus ist nicht für uns gestorben, son<strong>der</strong>n er hat für uns gelebt- bis zum Tod<br />

am Kreuz. An diesen Gott zu glauben, gibt Kraft“.<br />

3. Begriff Interpretieren : Evangelisch für die multikulturelle Gesellschaft<br />

a) Lebensrelevanz<br />

Der Neubau unserer Hochschule wurde <strong>mit</strong> einem Raum <strong>der</strong> Stille eingerichtet. Seine<br />

Wände zieren verschiedene <strong>Frieden</strong>sworte aus Tora, Bibel und Hadithen. Einige Studierende<br />

nehmen daran Anstoß. Sie sagen: „Wir wissen, dass das Wort ‚<strong>Frieden</strong>‘ für Juden,<br />

Christen und Muslime eine unterschiedliche Bedeutung hat. Muslimische Kommilitonen erzählen<br />

uns, dass das Wort ‚Friede‘ die Ausweitung des Dar al_Islam auf die ganze Welt bedeutet- das ist<br />

doch etwas an<strong>der</strong>es als <strong>der</strong> aufgeklärte „ewige Friede“ Kants o<strong>der</strong> <strong>der</strong> himmlische Friede bei Jesus<br />

im Reich Gottes. Im Raum <strong>der</strong> Stille werden Verse aus ihrem Kontext gerissen sind. Das lädt uns<br />

nicht zum Beten ein.“<br />

b) Abstimmung:<br />

� Texte <strong>der</strong> verschiedenen Heiligen Schriften können aus katechetischen o<strong>der</strong> seelsorgerlichen<br />

Gründen unter einem Gedanken o<strong>der</strong> einem Ziel zusammen arrangiert werden.<br />

ja (rot) nein (blau) unentschlossen (grün)<br />

c) Theoretische Erschließung<br />

Was die meisten von Ihnen laut Farbabstimmung verneinen, ist eine tägliche Aufgabe bei<br />

<strong>der</strong> Gestaltung von interreligiösen Abschiedsräumen im Hospiz o<strong>der</strong> Gebetsräumen „für<br />

alle“ auf Flughäfen o<strong>der</strong> in diakonischen Einrichtungen <strong>mit</strong> hohem Migrationsanteil.<br />

Dennoch ist Vorsicht beim „Patchworkarrangieren“ von Texten <strong>der</strong> Tradition geboten:<br />

Weltweiter Fundamentalismus, <strong>der</strong> sich auf die Urtexte beruft, neigt dazu, den garstigen<br />

Graben <strong>der</strong> Geschichte zu überspringen und Bibel o<strong>der</strong> Koran wortwörtlich ins eigene<br />

Leben zu übertragen. Weil da<strong>mit</strong> ein Einfallstor für Gewalt im Namen Gottes gegeben<br />

ist, for<strong>der</strong>n Pädagogen eine hermeneutische Kompetenz als religiöse Basisqualifikation in einer<br />

pluralen Gesellschaft ein. Schüler und Schülerinnen sollen nicht nur in <strong>der</strong> Schule,<br />

son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> Konfirmanden o<strong>der</strong> Jugendarbeit Texte aus Tora, Bibel und Koran<br />

aus ihrem je eigenem Kontext heraus verstehen und vergleichen <strong>lernen</strong>. Weil die Hl. Schrif-<br />

146


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

ten selbst eine Lern- und Leseschule <strong>der</strong> Pluralität sind, 63 die sich gegen Irrlehren abgrenzt,<br />

müssen junge Menschen heute in <strong>der</strong> Lage sein, unterschiedliche Begründungen<br />

für o<strong>der</strong> gegen das Kopftuchtragen, Zölibat o<strong>der</strong> voreheliche Sexualität im Dialog von<br />

Religion und Tradition ins Gespräch bringen. Sie werden zu evangelischen Schriftgelehrten,<br />

von <strong>der</strong> auch eine multikulturelle Jugendarbeit lebt. Hermeneutische Kompetenz<br />

bildet ein wichtiges Profilelement <strong>der</strong> ev. Kirche. Sie befähigt, unterschiedliche Meinungen<br />

zu einem Thema zuzulassen und zugleich jede Art von fundamentalistischer Vereinnahmung<br />

zu verhin<strong>der</strong>n. Auch heute findet sich im sola scriptura das ganze Potential zur<br />

Erneuerung <strong>der</strong> Kirche in unserer Gesellschaft. Denn es geht im Sinne Gadamers darum,<br />

die verschriftlichten Grundlagen des Glaubens <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Lebenserfahrung von heute in eine<br />

Beziehung zu bringen. Wolfgang Huber for<strong>der</strong>t dafür eine „politische Hermeneutik“ ein.<br />

Sie befähigt, die Heiligen Schriften aus <strong>der</strong> Perspektive einer globalen Weltverantwortung<br />

zu deuten. 64 Der Gedanke findet sich auch im Begriff „anwaltschaftliche Hermeneutik“.<br />

Korankundige Christen o<strong>der</strong> bibelkundige Muslime setzen ihre Textkenntnisse zum<br />

Schutze verfolgter o<strong>der</strong> bedrängter religiöser Min<strong>der</strong>heiten ein. Muslime, die ständig erklären<br />

müssen, warum Terror und Selbstmordanschläge nicht korangewollt sind werden<br />

dabei z. B. von Christen unterstützt.<br />

Hermeneutik ist also <strong>Frieden</strong>sarbeit, die in <strong>der</strong> Fähigkeit zu religiöser Mehrsprachigkeit<br />

gründet. Man muss dabei nicht nur das Wort vom <strong>Frieden</strong> übersetzen, wobei das Wort<br />

selbst den Weg weist. Übersetzen ist – eine treffende Definition des Tübinger Spezialisten<br />

für interreligiösen Dialog Karl-Josef Kuschel – ein Imperativ: üb´ ersetzen! Robert Neville<br />

formuliert das so: „Um an<strong>der</strong>e Religionen (und Kulturen) zu verstehen, ist es also notwenig,<br />

<strong>der</strong>en Verän<strong>der</strong>ungen und <strong>der</strong>en Übersetzungen von Kontext zu Kontext zu verfolgen. (Vielleicht)<br />

Dies geschieht (dieses) am effizientesten durch die Lektüre <strong>der</strong> alten Kerntexte und das Studium <strong>der</strong><br />

Leitmotive <strong>der</strong> jeweiligen Tradition, um sich dann zu fragen, wie diese im jeweiligen Zeitalter und<br />

an den geschichtlichen Wendepunkten re-interpretiert wurden. 65<br />

Die Fähigkeit zum Übersetzen qualifiziert evangelische Bildungsarbeit. Denn Übersetzende<br />

können ver<strong>mit</strong>teln zwischen Kulturen, Milieus, Religionen o<strong>der</strong> Ideologien. Sie<br />

nehmen sich den Weg <strong>der</strong> Inkulturation des Evangeliums zum Vorbild. Das setzt voraus,<br />

die unterschiedlichen Zugänge und Kontexte, in die Kulturen, aber auch Tora, Bibel o<strong>der</strong><br />

Koran eingebettet sind, wahrzunehmen und <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Menschen zu kommunizieren.<br />

Muslime <strong>lernen</strong> in diesem Prozess zu verstehen, dass das Christentum, das im Koran reflektiert<br />

wird, nicht das Christentum ist, das im damaligen Judentum und im heutigen<br />

Westen <strong>leben</strong>dig ist. Sie vermeiden es, im Dialog <strong>mit</strong> Christen Jesus nur aus koranischer<br />

Sicht zu beschreiben. <strong>Evangelische</strong> Christen <strong>lernen</strong> zu verstehen, dass für etliche Muslime<br />

<strong>der</strong> Koran in seiner Offenbarungsbedeutung dem Wirken Jesu entspricht, sodass die<br />

Inlibration durch den Koran als Einbuchung Gottes in diese Welt ihr Gegenüber hat in <strong>der</strong><br />

Inkarnation Jesu als Einfleischung Gottes in dieser Welt.<br />

Dieses Interesse <strong>der</strong> evangelischen Theologie teilen einige Muslime wie Nasr Hamid Abu<br />

Zaid. 66 die Erkenntnisse <strong>der</strong> europäischen Aufklärung auch im Rahmen heutiger Koranrezeption<br />

berücksichtigen. Dies sollte aber nicht einseitig geschehen: Der aufklärerischen<br />

„Entdeckung des Individuums“ und seiner Freiheit steht <strong>der</strong> weltweit verbreitete Schatz<br />

<strong>der</strong> Geborgenheit des Einzelnen in <strong>der</strong> Gemeinschaft (Umma) gegenüber, den Textdeu-<br />

63<br />

Begriff in Anlehnung an Ottmar Fuchs, Manfred Pirner in Baur, Zu Gast bei Abraham, S.322.<br />

64<br />

Huber, Wolfgang: Herausfor<strong>der</strong>ungen des interreligiösen Dialogs – Hermeneutische Fragestellungen.<br />

65<br />

Neville, Robert, in Baur, Katja, 2009, Abraham als Impulsgeber für <strong>Frieden</strong> in Nahost, BIDA, S.46.<br />

66<br />

„Den Koran nicht nur als einen Text betrachten, son<strong>der</strong>n als eine Sammlung von Reden“ Her<strong>der</strong> Korrespondenz<br />

62 (2007), S. 341.<br />

147


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

tungen <strong>der</strong> orientalischen Welt ins Zentrum stellen. Hier kann in behutsamer kultureller<br />

Begegnung zwischen evangelischen Christen und muslimischen Glaubenden eine gegenseitige<br />

Bereicherung über das Verhältnis von Individiuum und Gemeinschaft entstehen.<br />

Religiöse Lese und Deutekompetenz sind wichtige Anker einer pluralen Gesellschaft.<br />

Das sei an 2 Beispielen aufgezeigt:<br />

� <strong>Frieden</strong>serklärungen <strong>der</strong> Religionen, z. B. die Amman Message, eine Erklärung von<br />

138 muslimischen Gelehrten aus dem Jahr 2007 (www.acommonword.com). Sie<br />

hegt die Absicht, erstmals seit den Tagen des Propheten den gemeinsame Grund<br />

zwischen Christentum und Islam zu erklären, <strong>der</strong> im Bemühen um <strong>Frieden</strong> gründet:<br />

„Wenn Muslime und Christen keinen <strong>Frieden</strong> haben, kann auch die Welt nicht im<br />

<strong>Frieden</strong> sein“. Unter Bezugnahme auf Texte des Ersten und des Neuen Testamentes<br />

wird beim An<strong>der</strong>en das anerkannt, was <strong>mit</strong> dem Eigenen übereinstimmt. Kritiker <strong>der</strong><br />

Amman- Message werfen den Autoren vor, religionsoffene <strong>Frieden</strong>sabsichten dem islamischen<br />

Glaubensbekenntnis und dem Ruf zum Islam unterzuordnen 67 im Sinne<br />

des Zitats eines muslimischen Gelehrten, <strong>der</strong> sagt: „Wer würde heute einen PC <strong>mit</strong><br />

einer Festplatte von 1970 arbeiten, wenn er <strong>mit</strong> Windows 2010 arbeiten könnte? So<br />

ist es auch <strong>mit</strong> den Hl. Schriften- <strong>der</strong> Koran ist das Update von Thora und Bibel.“<br />

Befürworter <strong>der</strong> Amman-Message wie A. Renz deuten den Schriftbezug als Einladung<br />

zum gemeinsamen Handeln (Renz,Andreas(2008):Ein gemeinsames Wort zwischen<br />

uns und euch; in:Ev. Aspekte, a.a.O.S.18)<br />

� Sogenannte „Common sense Texte“ in Materialien für die kultur- und religionsverbindende<br />

Bildungsarbeit. Wenn Sie den Einschulungsgottesdienst für muslimische<br />

und christliche Kin<strong>der</strong> anschauen (s.o. Lasch, Zu Gast,S.159ff), werden Sie eine aus<br />

Koran und Bibel konstruierte neue Abrahamgeschichte zum Thema Aufbruch finden.<br />

Mit dem Verweis, dass sich diese Geschichte so ähnlich auch im Koran findet<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Übersetzung von Segen als „Haben einer guten Zukunft“ werden die beiden<br />

Texte aus Bibel und Koran zusammenkomponiert. Meines Erachtens werden sie dabei<br />

anthropologisch reduziert und als Türöffner missbraucht.<br />

5. These: Eine anwaltschaftliche hermeneutische Kompetenz macht evangelische<br />

Christen zu Übersetzenden in Verständigungsprozessen, um <strong>der</strong> religiösen, kulturellen<br />

o<strong>der</strong> politischen Vereinnahmungen von Texten <strong>der</strong> Hl. Schriften o<strong>der</strong> Personen<br />

mutig entgegen zu wirken. Diese Kompetenz trägt entscheidet zum <strong>Frieden</strong> einer Gesellschaft<br />

bei. Dabei kann ev. Christentum den Blick auf den Einzelnen schärfen,<br />

selbst aber vom internationalen-islamischen Gegenüber die Stärke <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

neu <strong>lernen</strong>.<br />

d) Konkretion aus dem Wirken <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen:<br />

Wer durch die Schule, die Werkstätten o<strong>der</strong> das Internat <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen geht,<br />

wird an vielen Orten eine Bibel und einen Koran entdecken, z. B. im Büro <strong>der</strong> Autowerkstatt.<br />

Die Hl. Schriften sind ein Angebot, das im Alltag Richtung weisen kann. Sie<br />

werden nicht durcheinan<strong>der</strong> gemischt. Im ev. Gottesdienst wird nicht Koran gelesen.<br />

Denn dort gilt: „Wer die Hl. Schriften heiligt, wird auch dem <strong>Frieden</strong> dienen“.<br />

67<br />

Eißler, Friedemann: Neues Identitätsbewusstsein- Rückschritt o<strong>der</strong> Fortschritt? In Hempelmann, Reinhard,<br />

Apologetik, S.40.<br />

148


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

4. Begriff: <strong>Mission</strong>ieren: Evangelisch für die multikulturelle Gesellschaft<br />

a) Lebensrelevanz<br />

Beispiel aus dem Wirken <strong>Schneller</strong>s und an unserer EH:<br />

Johann <strong>Schneller</strong> fühlte vor 150 Jahren eine innere Berufung, das Evangelium von Jesus<br />

Christus im Heiligen Land an bedürftige Menschen weiterzugeben. Obwohl <strong>Schneller</strong>s<br />

Auftrag eigentlich darin bestand, die orthodoxen Christen im Orient zum Protestantismus<br />

zu führen, wollte er, wie er selbst sagte, auch den armen, bettelnden Heiden-, Juden-<br />

und Muselkin<strong>der</strong>n durch Kenntnis <strong>der</strong> Heiligen Schrift Bildung, Arbeit, Moral und<br />

Glauben schenken. Was <strong>Schneller</strong> vor 150 Jahren im Orient tat, geschieht heute in an<strong>der</strong>er<br />

Form jeden Freitagabend auf <strong>der</strong> Königstrasse in Stuttgart. Junge Menschen, auch<br />

Studierende unserer Hochschule, sind dort als Straßenmissionare aktiv. Sie verwickeln<br />

herumhängende Jugendliche in Gespräche über Gott und die Welt. Ihr Bekehrungseifer<br />

macht vor Juden o<strong>der</strong> Muslimen nicht halt. Denn die jungen Straßenmissionare sind zutiefst<br />

davon überzeugt, dass wir als evangelische Christen wie<strong>der</strong> Mut aufbringen sollen,<br />

öffentlich zum Glauben an Jesus einzuladen. Sie gehen dieser Berufung auch an unserer<br />

Hochschule nach, was oft zu heftigen Auseinan<strong>der</strong>setzungen führt.<br />

b) Abstimmung:<br />

� <strong>Evangelische</strong> sollen ihren Glauben heute wie<strong>der</strong> verstärkt auf die Straße tragen und<br />

auch Nichtchristen bewusst zum Glauben an Jesus Christus einladen.<br />

ja (rot) nein (blau) unentschlossen (grün)<br />

c) Theoretische Durchdringung:<br />

Die meisten von Ihnen haben die blaue Farbe hochgehalten, etliche die grüne und nur<br />

wenige die rote Karte. An<strong>der</strong>s als einst: Die damalige <strong>Schneller</strong>-<strong>Mission</strong> fand im Geiste<br />

<strong>der</strong> kolonialen Idee statt. Und weil Kolonialismus heute <strong>mit</strong> Unterdrückung, Bevormundung<br />

usw. assoziiert wird, hat <strong>Mission</strong> heute ein kolonialistisches Geschmäckle. Mein<br />

Reutlinger Kollege an <strong>der</strong> Methodistischen Hochschule, Michael Nausner, weist nach,<br />

dass unsere evangelische Kirche und Theologie bis heute nicht frei ist von zur postkolonialen<br />

Strukturen. Begriffe wie „christliches Abendland“ o<strong>der</strong> „christliches Europa“ werden<br />

z. B. inkulturiert, um die wirtschaftliche und geistige Monopolstellung des Christentums<br />

zu sichern. Die Teilhabe von Muslimen im Rundfunkrat, die Sendung des islamischen<br />

Wortes zum Freitag nicht nur im Internet usw. wird oft auch von Christen behin<strong>der</strong>t.<br />

Dennoch gehört <strong>der</strong> <strong>Mission</strong>sanspruch ursächlich zur Wesenbeschreibung von<br />

Christen und Muslimen. Er ist Teil unseres Absolutheitsanspruches und äußert sich für<br />

Christen heute vorrangig in Denk- und Tatdiakonie. Ort <strong>der</strong> <strong>Mission</strong> ist das Dunkel, in<br />

dem Menschen <strong>leben</strong> und die Überzeugung, dass es hell wird, wenn Gott in dieses Dunkel<br />

einbricht (Joh 1,9). Nicht Menschen, son<strong>der</strong>n Gott ist Subjekt <strong>der</strong> <strong>Mission</strong>, <strong>der</strong> aus<br />

Nichtsehenden Sehende macht wann und wo er es will. 68 Wachsende Kirche, das <strong>Mission</strong>smotto<br />

<strong>der</strong> württembergischen Kirche, unterstützt diesen Prozess. Sie ist für evangelische<br />

Christen eher ein Emmausweg, denn ein Damaskusereignis. 69<br />

In einer pluralen Gesellschaft steht nun jedem Menschen das Recht auf <strong>Mission</strong>sausübung<br />

zu- vorausgesetzt sie bewegt sich im Rahmen <strong>der</strong> freiheitlichen Grundordnung.<br />

Fernab aller Streitigkeiten über die Höhe von Gotteshäusern o<strong>der</strong> die hörbare Einladung<br />

zum Gebet wird es ev. Christen nicht darum gehen, missionarische Siegeszeichen in Got-<br />

68 Vgl. Huber, Wolfgang(2009): Die Welt im Licht <strong>der</strong> Gnade- Der missionarische Auftrag unserer Kirche<br />

im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t; http://www.ekd.de/vortraege/huber/090608_huber_berlin.html; S.2.<br />

69 Huber, a.a.O., S.6.<br />

149


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

teshäusern, Pilgerzielen, Ämtern o<strong>der</strong> Gesetze festzumachen, son<strong>der</strong>n am Nachgehen<br />

<strong>der</strong> Wege Jesu in Schuld und Verstrickung von Menschen hinein. Der Protestantismus<br />

bleibt an <strong>der</strong> Seite Israels eine Sinaireligion. Sein <strong>Mission</strong>sort ist die Wüste.<br />

Auseinan<strong>der</strong>zusetzen haben wir uns im christlich-muslimischen <strong>Mission</strong>swettbewerb<br />

über den Ort und die Intentionen missionarischen Wirkens. Sind wir uns einig, dass <strong>Mission</strong><br />

unsere Gesellschaft humaner macht, weil sie Menschen am Rande zu Nutznießer<br />

missionarischer Bemühungen erhebt? Maßstab unserer missionarischen Bemühungen ist<br />

die Annahme des Menschen vor und in je<strong>der</strong> Leistungsüberprüfung, das Plus vor <strong>der</strong><br />

Klammer, das für uns Christen im Kreuz Jesu sein Urbild hat. Der Antrieb ist nicht das<br />

eigene Streben nach Wohlwollen Gottes im Gericht, son<strong>der</strong>n Mitleid <strong>mit</strong> dem bedürftigen<br />

Nächsten.<br />

In diakonischen Einrichtungen drängt sich die Frage auf, ob in Zeiten wirtschaftlicher<br />

Engpässe das „eigene Klientel“ (Christen) bevorzugt behandelt werden soll. „Diakonie“<br />

o<strong>der</strong> „Brot für die Welt“ unterstützen weltweit jeden Bedürftigen ohne Ansehen von Nation,<br />

Kultur und Religion. Muslimische o<strong>der</strong> jüdische Wohlfahrtseinrichtungen konzentrieren<br />

sich vorrangig aufs eigene Klientel. Wie hängen also Solidarität und <strong>Mission</strong> zusammen?<br />

Das entzündet sich beson<strong>der</strong>s an <strong>der</strong> Solidarität <strong>mit</strong> Menschen, die in an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden. Doch auch hier gilt: protestantisches<br />

Denken rechnet nicht gute Werke auf, son<strong>der</strong>n geht dem Kreuz Jesu nach. Wenn wir<br />

hier in Deutschland einladend, und das ist missionarisch, auf Muslime und Nichtchristen<br />

zugehen, hat das evtl. Konsequenzen für das Leben von Christen in <strong>der</strong> arabischen o<strong>der</strong><br />

türkischen Welt. Dabei können wir von türkischen Muslimen, die sich in Deutschland unserer<br />

Unterstützung gewiss sein können, durchaus erhoffen, dass sie sich in <strong>der</strong> Türkei o<strong>der</strong><br />

Nahost für christliche Min<strong>der</strong>heiten einzusetzen, ohne uns ein „Auge um Auge“ Denken<br />

vorhalten lassen zu müssen.<br />

6. These: <strong>Mission</strong>arisches Wirken evangelischer Christen lebt vom Vertrauen auf<br />

Gottes Solidarität <strong>mit</strong> allen Menschen. Sie wendet sich deshalb allen Menschen zu<br />

und lebt von diakonischer Begegnung, nicht von Belehrung.<br />

d) Konkretion aus dem Wirken <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> Schulen:<br />

<strong>Schneller</strong>s Vision brach sich schnell an den Realitäten vor Ort. Viele Kin<strong>der</strong> lernten zwar<br />

in den Bildungseinrichtungen <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong> <strong>Mission</strong> Lesen, Schreiben o<strong>der</strong> ein Handwerk,<br />

doch die wenigsten konvertierten zum christlichen Glauben. Das Fazit <strong>der</strong> <strong>Schneller</strong><br />

<strong>Mission</strong> lautet heute: „<strong>Mission</strong> ohne Wertschätzung <strong>der</strong> Kultur und Religion von Menschen<br />

ist Perversion <strong>der</strong> christlichen Idee <strong>der</strong> Liebe. Wir möchten aus Christen gute Christen und aus Muslimen<br />

gute Muslime machen. Würde man die muslimischen Kin<strong>der</strong> zur Konversion zum Christentum<br />

hin erziehen, würden sie Entwurzelte ihrer Familien und ihrer Gesellschaft. Jesus aber wollte<br />

Menschen nicht entwurzeln, son<strong>der</strong>n verwurzeln.“ Dennoch ist die Konversionsfreiheit Teil<br />

<strong>der</strong> Religionsfreiheit. Hier ist noch manches zu tun, denn Konvertiten sind heute vielen<br />

Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Der 2. Vorsitzende <strong>der</strong> Muslime in Württemberg,<br />

Muhittiyn Solyu, <strong>der</strong> <strong>mit</strong> einer Christin verheiratet ist, formuliert das so: „Mit <strong>der</strong><br />

Erklärung, dass die Einschränkung <strong>der</strong> Religionsfreiheit nicht im Koran, son<strong>der</strong>n in kulturellen<br />

Traditionen gründet, dürfen wir Muslime in Europa uns nicht abfinden. Wir zeigen heute durch<br />

unseren Umgang <strong>mit</strong> <strong>Mission</strong> und Konversion, wie ernst wir es <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Europäischen Menschenrechtskonventionen<br />

meinen“<br />

150


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

5. Begriff: Ästhetisieren – Vom evangelischen Symbolisieren in einer multikulturellen<br />

Gesellschaft<br />

a) Lebensrelevanz<br />

In einem Ästhetikseminar wird das Zusammenspiel von Farben und Formen in <strong>der</strong> religiösen<br />

Kunst untersucht. Es soll darum gehen, ein interreligiöses Kunstwerk zu kreieren,<br />

das einen Sterberaum im Hospiz zieren könnte. Man nimmt auch Farben in den Blick,<br />

<strong>mit</strong> denen die Religionsgemeinschaften in <strong>der</strong> Öffentlichkeit auftreten. Muslimische Studierende<br />

fragen z. B. : Warum ist Evangelisch = lila? Nach einigen Diskussionen und Erklätungen<br />

über Farben, Formen und Symbole, einigen sich die Studierenden am Ende darauf,<br />

eine Wasserschale auf ein weißes, rotes, lila und grünes Tuch zu stellen.<br />

b) Zu diesem Aspekt keine kontroverse Abstimmung <strong>mit</strong> Farbkarten<br />

c) Theoretische Ausführung:<br />

Nicht nur Kopftuch, Habit o<strong>der</strong> Kippa sind sprechende Bil<strong>der</strong> für religiöses Leben in <strong>der</strong><br />

deutschen Gesellschaft, son<strong>der</strong>n auch die Art und Weise, wie Kunst und Medien sich <strong>der</strong><br />

Religionen bedienen und umgekehrt – z. B. <strong>der</strong> schwarze Rahmen, den <strong>der</strong> Spiegel um<br />

Bil<strong>der</strong> zum Islam setzt (vgl. Institut zur Medienforschung, Erlangen, Dr. Schiffers – es<br />

zeigt auf, wie ein Land o<strong>der</strong> Thema in den Medien dargestellt wird). Jürgen Habermas<br />

verweist auf die „kulturellen Quellen“, die hinter vernunftbedingten Regelungen liegen.<br />

Aus diesen kulturellen Quellen speist sich „ das Normbewusstsein und die Solidarität <strong>der</strong> Bürger.“<br />

70 Solche kulturellen Quellen sind auch wegweisend für Klaas Huizing protestantische<br />

ästhetische Theologie, die er „Schule <strong>der</strong> Wahrnehmungen“ nennt. Ihr liegt <strong>der</strong> Gedanke<br />

zugrunde, dass sich das Sprechen über Gott und Gottes Offenbarungen menschlicher<br />

Wahrnehmungskategorien bedient. So wie Kunst im Auge <strong>der</strong> Betrachtenden entsteht,<br />

so wird auch religiöses und kulturelles Miteinan<strong>der</strong> durch Kultur geför<strong>der</strong>t o<strong>der</strong><br />

behin<strong>der</strong>t. Denn Kultur kann deutlich machen, dass Fremdheit nicht etwas Äußeres,<br />

son<strong>der</strong>n ein unbewusster Teil innerhalb <strong>der</strong> eigenen Persönlichkeit ist. Fremdenfeindlichkeit<br />

reift in uns selbst. <strong>Evangelische</strong>s Wirken in <strong>der</strong> multikulturellen Gesellschaft hat<br />

Teil am Prozess <strong>der</strong> Dekonstruktion von Fremdheit. Diese Erkenntnis macht frei, sich für<br />

Gerechtigkeit und <strong>Frieden</strong> einzusetzen. Doch auch dabei gilt: Das Gegenteil von „gut“<br />

ist „gut gemeint“- d. h. es geht um eine komplexe und plurale Sicht auf Intention und<br />

Aktion im Angesicht von Differenz. Die Farbe <strong>der</strong> Solidarität scheint „grün“ – so jedenfalls<br />

beschreibt die Aktion „Grünhelme“, eine christlich-muslimische Initiative ihr Wirken:<br />

„Christen und Muslime bauen Häuser, Kirchen, Moscheen wie<strong>der</strong> auf, die in Kriegen o<strong>der</strong><br />

durch Katastrophen zerstört worden sind. Die Grünhelme bauen auf, was wi<strong>der</strong>rechtlich zerschlagen<br />

wurde. Grün ist Farbe christlicher Hoffnung und Farbe <strong>der</strong> Muslime. Je mehr Grünhelme unterwegs<br />

sind, je weniger Blauhelme brauchen wir.“ Das ist das Ziel <strong>der</strong> Grünhelme in und für die<br />

multikulturelle Gesellschaft. Sie bauen auch in Nahost auf und verdeutlichen da<strong>mit</strong> das<br />

Motto des <strong>Schneller</strong> Jubiläumsjahres: „<strong>Frieden</strong> <strong>leben</strong> <strong>lernen</strong>“. Das ist Inhalt und Ziel<br />

meines Verständnisses von „Evangelisch in und durch die plurale, multikulturelle Gesellschaft“.<br />

70<br />

Habermas, Jürgen(2005):Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates, Pirner, Manfred<br />

in Baur: Zu Gast bei Abraham, S.320<br />

151


Vorträge von Prof. Dr. Katja Baur – Evangelisch in multikultureller Gesellschaft<br />

Ich danke vor allem unserer jüdischen und muslimischen Lehrbeauftragten, <strong>mit</strong> denen<br />

ich seit drei Jahren jeden Montag zusammen unterrichte für ihre Impulse für diesen Vortrag.<br />

Die Art und Weise, wie sie denken, die Tiefe ihrer Spiritualität und die Art und<br />

Weise, wie sie sich als Jüdin und Muslima in diese Gesellschaft einbringen und dabei auf<br />

meine Solidarität setzen, ist mir eine zutiefst wertvolle Basis im Miteinan<strong>der</strong> von Menschen,<br />

Kulturen und Religionen. Muslimische Hochzeitsfeste o<strong>der</strong> Feten von Jugendlichen,<br />

bei denen ohne Alkohol und Drogen fröhlich gefeiert wird o<strong>der</strong> die vielen Einladungen<br />

in jüdische und muslimische Familien machen mich zuversichtlich, dass die moralische<br />

Erneuerung unserer deutschen Gesellschaft ganz entscheidend von friedliebenden<br />

Muslimen in unserer Mitte geprägt wird, sofern wir Christen sie als Glaubensgeschwister<br />

an unserer Seite ernst nehmen und <strong>mit</strong> ihnen zusammen Gottes Reich im hier<br />

und jetzt verwirklichen wollen.<br />

152


Herausgeberin:<br />

Prof. Dr. Katja Baur, geb.1957, seit 1993<br />

Professorin für Religionspädagogik an <strong>der</strong> heutigen<br />

<strong>Evangelische</strong>n Hochschule für Soziale Arbeit,<br />

Diakonie und Religionspädagogik in Ludwigsburg,<br />

Studiengangsleitung Religionspädagogik und<br />

Institutsleitung ECHRIS Institut (Institut zur<br />

Evaluation christlicher Schulen).<br />

Arbeitsschwerpunkte:<br />

Schulischer Religionsunterricht, ökumenisches,<br />

interreligiöses und globales Lernen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!