23.11.2012 Aufrufe

61. Folge Sommer 1999 - Kreisgemeinschaft Wehlau

61. Folge Sommer 1999 - Kreisgemeinschaft Wehlau

61. Folge Sommer 1999 - Kreisgemeinschaft Wehlau

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

mal darüber an. Wir, daß heißt die Maurer und die Lehrlinge, kamen trotz der<br />

Wärme an einer Querwand gut voran und mauerten Schicht für Schicht. Oben<br />

auf dem Gerüst wehte eine leichte Brise, so daß sich die Hitze besser ertragen<br />

ließ. Wenn das Mauermaterial zur Neige ging, riefen wir nach unten: “Hier fehlt<br />

Kalk!” oder “Steine!” Obwohl die Baustoffe auf einem günstigen Verteilerplatz<br />

gelagert wurden, dafür sorgte der Polier, hatten es die Arbeiter schwer, mitzuhalten.<br />

Sie luden ihre Last auf die linke Schulter und trabten los, stiegen eilig<br />

die Leitern hoch, kamen keuchend das Gerüst entlang, riefen: “Aufschauen!”<br />

und warfen ihre Last ab. Dann stiegen sie schwitzend die Leitern herab, wischten<br />

sich den Schweiß von der Stirn, tranken einige Schlucke und bereiteten<br />

ihren nächsten “Aufstieg” vor. Und das bei glühende Hitze, drei Stunden lang,<br />

ohne Pause.<br />

Bauarbeiter waren zähe und muskulöse Männer, ohne ein Gramm Körpergewicht<br />

zuviel. Wenn der Freitag kam und es Lohn gab, gingen sie zur nächsten<br />

Destille, tranken ein Bierchen und dazu ein oder mehrere “Sonnenscheinchen”<br />

(Klarer mit Zitronensaft, das Glas zu 10 Pfg.) und vergaßen die Quälereien auf<br />

dem Bau, vergaßen aber häufig auch ihre Familie.<br />

Bei schönem Wetter ging ich am Wochenende zum Badestrand und traf dort<br />

ehemalige Schulgefährten, die vor dem Abitur standen. Sie berichteten von ihren<br />

Sorgen und Problemen. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie vom wahren<br />

Leben nur wenig wußten. Ich schilderte dann meine Arbeit auf dem Bau und<br />

versuchte zu erklären, daß auf dem sozialen Gebiet noch manches verbessert<br />

werden mußte.<br />

Einer von ihnen, Fritz Neumann, wir nannten ihn “Ittie”, war Einzelkind und wollte<br />

nach dem Abitur Seeoffizier werden. Im Frühjahr schaffte er es, als Seeoffiziersanwärter<br />

auf ein Schulschiff zu kommen. Dort fand seine Laufbahn ein jähes<br />

und tragisches Ende. Beim Einrollen der Segel verlor er den Halt und stürzte<br />

aus 25 m Höhe aufs Deck. Er war sofort tot.<br />

Ich erinnere mich nicht mehr, an welchem Sonnabendnachmittag im September<br />

das Richtfest stattfand, zu dem alle Arbeitnehmer, die auf dem Bau tätig waren,<br />

eingeladen wurden. Ich besinne mich auch nicht mehr, ob Gauleiter Koch zum<br />

Richtfest erschien. Wahrscheinlich hielt an seiner Stelle einer der sogenannten<br />

“Goldfasane” eine kernige Rede. So hießen im Volksmund die hohen Funktionäre<br />

wegen ihrer goldbetreßten Uniformen. Für uns begann danach der gemütliche<br />

Teil des Festes. Jeder hatte Gutscheine für Getränke und Rauchwaren<br />

erhalten. Da ich jedoch verabredet war, verschenkte ich meine und verschwand<br />

unauffällig. Am Abend fuhr ich noch einmal mit dem Rad zum Bau und traf dort<br />

mit dem Meister zusammen, der nach Schnapsleichen Ausschau hielt. Wir<br />

22

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!