61. Folge Sommer 1999 - Kreisgemeinschaft Wehlau
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mal darüber an. Wir, daß heißt die Maurer und die Lehrlinge, kamen trotz der<br />
Wärme an einer Querwand gut voran und mauerten Schicht für Schicht. Oben<br />
auf dem Gerüst wehte eine leichte Brise, so daß sich die Hitze besser ertragen<br />
ließ. Wenn das Mauermaterial zur Neige ging, riefen wir nach unten: “Hier fehlt<br />
Kalk!” oder “Steine!” Obwohl die Baustoffe auf einem günstigen Verteilerplatz<br />
gelagert wurden, dafür sorgte der Polier, hatten es die Arbeiter schwer, mitzuhalten.<br />
Sie luden ihre Last auf die linke Schulter und trabten los, stiegen eilig<br />
die Leitern hoch, kamen keuchend das Gerüst entlang, riefen: “Aufschauen!”<br />
und warfen ihre Last ab. Dann stiegen sie schwitzend die Leitern herab, wischten<br />
sich den Schweiß von der Stirn, tranken einige Schlucke und bereiteten<br />
ihren nächsten “Aufstieg” vor. Und das bei glühende Hitze, drei Stunden lang,<br />
ohne Pause.<br />
Bauarbeiter waren zähe und muskulöse Männer, ohne ein Gramm Körpergewicht<br />
zuviel. Wenn der Freitag kam und es Lohn gab, gingen sie zur nächsten<br />
Destille, tranken ein Bierchen und dazu ein oder mehrere “Sonnenscheinchen”<br />
(Klarer mit Zitronensaft, das Glas zu 10 Pfg.) und vergaßen die Quälereien auf<br />
dem Bau, vergaßen aber häufig auch ihre Familie.<br />
Bei schönem Wetter ging ich am Wochenende zum Badestrand und traf dort<br />
ehemalige Schulgefährten, die vor dem Abitur standen. Sie berichteten von ihren<br />
Sorgen und Problemen. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie vom wahren<br />
Leben nur wenig wußten. Ich schilderte dann meine Arbeit auf dem Bau und<br />
versuchte zu erklären, daß auf dem sozialen Gebiet noch manches verbessert<br />
werden mußte.<br />
Einer von ihnen, Fritz Neumann, wir nannten ihn “Ittie”, war Einzelkind und wollte<br />
nach dem Abitur Seeoffizier werden. Im Frühjahr schaffte er es, als Seeoffiziersanwärter<br />
auf ein Schulschiff zu kommen. Dort fand seine Laufbahn ein jähes<br />
und tragisches Ende. Beim Einrollen der Segel verlor er den Halt und stürzte<br />
aus 25 m Höhe aufs Deck. Er war sofort tot.<br />
Ich erinnere mich nicht mehr, an welchem Sonnabendnachmittag im September<br />
das Richtfest stattfand, zu dem alle Arbeitnehmer, die auf dem Bau tätig waren,<br />
eingeladen wurden. Ich besinne mich auch nicht mehr, ob Gauleiter Koch zum<br />
Richtfest erschien. Wahrscheinlich hielt an seiner Stelle einer der sogenannten<br />
“Goldfasane” eine kernige Rede. So hießen im Volksmund die hohen Funktionäre<br />
wegen ihrer goldbetreßten Uniformen. Für uns begann danach der gemütliche<br />
Teil des Festes. Jeder hatte Gutscheine für Getränke und Rauchwaren<br />
erhalten. Da ich jedoch verabredet war, verschenkte ich meine und verschwand<br />
unauffällig. Am Abend fuhr ich noch einmal mit dem Rad zum Bau und traf dort<br />
mit dem Meister zusammen, der nach Schnapsleichen Ausschau hielt. Wir<br />
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