neuland - Journalisten Akademie
neuland - Journalisten Akademie
neuland - Journalisten Akademie
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ehauptet der Kleine und bewegt sich<br />
unkoordiniert, seine linke Hand wechselt<br />
im Fünfsekundentakt zwischen Hinterkopf<br />
und Hosenstall. Sätze zu bauen fällt<br />
ihm schwer. Während er mit den Wörtern<br />
„illegal“, „verboten“ und „Wodka“<br />
jongliert, versucht er auf dem Bordstein<br />
zu balancieren. Der blau-weiß gestreifte<br />
Pullover unter der Fransen-Frisur müsste<br />
mal wieder gewaschen werden.<br />
23.13 Uhr. Der Kleine hat es sich plötzlich<br />
anders überlegt, er dreht sich um<br />
und geht voran, der andere Russe hinterher.<br />
Nebenbei zieht der Fransen-Kerl<br />
ein Handy aus der Tasche und telefoniert.<br />
Er läuft schnell. Nach nur 150 Metern<br />
scheint das Ziel erreicht. Ein dunkles Tor<br />
aus Holzlatten ist der Eingang. Der Kleine<br />
bietet an, den Deal klarzumachen. Zwei<br />
Liter Schwarzgebrannten will er für fünf<br />
Lat kaufen. Er rechnet fest damit, dass<br />
einer davon am Ende ihm gehört. Hier<br />
warten, gibt er mit Handzeichen zu verstehen.<br />
Der Blonde hockt sich zum Aufpassen<br />
neben den Eingang und tippt eine<br />
SMS in sein Handy.<br />
Der Kleine kommt wieder, es geht los<br />
durch einen Spalt im Tor. Ein schwarzer<br />
Gang, zwei Meter eng, führt auf ein vergittertes<br />
Fenster mit dunklen Vorhängen<br />
zu. Als es sich kurz öffnet, dringen Lichtstrahlen<br />
in die Dunkelheit. Zwei Männer<br />
huschen mit ihrem Einkauf durch den<br />
Holzverschlag zurück auf die Straße. Der<br />
Nächste ist dran: ein Mann mit schwarzer<br />
Lederjacke. Mehr als sein Rücken<br />
ist nicht zu erkennen. Als er direkt vor<br />
dem Fenster steht, öffnet es sich wieder,<br />
gerade so weit, dass eine alte Frau mit<br />
weiß-grauer Krause und Kittelschürze<br />
ihm eine große Plastikflasche reichen<br />
kann. Geschickt windet sie dabei ihren<br />
Arm durch die Gitterstäbe. Der Inhalt<br />
der Flasche sieht aus wie Abwasser. Der<br />
Lederjackenmann zahlt – keine Mehr-<br />
wertsteuer, kein Kaufbeleg. Nicht mal<br />
15 Sekunden dauert die Übergabe. Der<br />
Gummibaum hinter der Alten verschwindet,<br />
als sie den dicken Vorhangstoff<br />
zuzieht. Von der Rentner-Wohnung ist<br />
nichts mehr zu sehen.<br />
23.16 Uhr. Der Kleine mit dem Fünf-<br />
Lat-Schein ist dran. Wieder öffnet sich<br />
das Fenster einen Spalt breit. Auf der<br />
Schürze der Alten sind blaue und vio-<br />
lette Stiefmütterchen zu erkennen. Ihre<br />
nackten Oberarme haben Dellen. Prüfend<br />
lässt die Alkohol-Verkäuferin den Blick<br />
über die Köpfe der Kunden wandern, in<br />
ihren Augen spiegelt sich Skepsis. Als der<br />
Fransen-Russe etwas sagen will, klappt<br />
das Fenster zu. Er hat das Grundprinzip<br />
der Totschka-Geschäfte missachtet: Vertrauen.<br />
Am Ziel: In 100 Metern rechts durch den Spalt<br />
<strong>neuland</strong> 7