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Jahresbericht 2008 (PDF, 1 MB) - Integrierte Psychiatrie Winterthur ...

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14<br />

Depression in der hausärztlichen Praxis<br />

Die Depression und ihre Schwester, die Angst, sind in der<br />

Hausarztpraxis oft nicht auf den ersten Blick zu erken-<br />

nen. Sie «tarnen» sich hinter körperlichen Beschwerden<br />

wie Müdigkeit, Schluckstörungen, Verdauungsproble-<br />

men, Kopfschmerzen, chronischen Rückenschmerzen<br />

oder Überlastungsschmerzen der Weichteile. Deshalb<br />

finde ich für das Gespräch mit den Patientinnen und Pa-<br />

tienten den Ausdruck «larvierte Depression» immer noch<br />

hilfreich.<br />

Unsere Patienten verstehen sich in erster Linie als kör-<br />

perlich krank, und sie sind es häufig auch. Als somatisch<br />

tätige Ärzte haben wir das Privileg, sowohl mittels Ge-<br />

spräch als auch körperlich untersuchen und «be-han-<br />

deln» zu können. Um psychische (Mit-)Ursachen von Be-<br />

schwerden herauszuspüren, gibt es Hilfsmittel wie Scree-<br />

ning-Fragen oder Fragebogen. Das Wichtigste ist aber<br />

die Einstellung: «Ich höre Ihnen zu – sagen Sie mir, was<br />

Ihnen fehlt».<br />

Viele Fälle unbehandelt<br />

Gemäss verschiedenen Studien leiden 10 bis 20 Prozent<br />

der Patientinnen und Patienten in Allgemeinpraxen an<br />

Angst und/oder an Depression. Von diesen werden nur<br />

die Hälfte erkannt und nur ein Drittel behandelt. Schauen<br />

Hausärzte zu wenig genau hin?<br />

Um mir ein Bild in meiner eigenen Praxis zu machen, habe<br />

ich 250 Patientenkontakte durchgesehen und folgende<br />

Zahlen gefunden:<br />

− 10 schwer depressive Personen und 2 Angstpatienten,die<br />

sich neben der hausärztlichen Betreuung in regelmässiger<br />

psychiatrischer Psychotherapie und Pharmakotherapie<br />

befinden;<br />

− 4 Personen in psychologischer Beratung ohne antidepressive<br />

Medikation;<br />

− 13 leicht und mittelschwer Depressive unter hausärztlich<br />

verordneten Antidepressiva, seltener Benzodiazepinen;<br />

− 10 Personen mit nicht oder ungenügend behandelter<br />

Angststörung;<br />

− mindestens 10 depressiv Verstimmte, die sich nicht behandeln<br />

lassen wollten.<br />

Das sind über 20 unbehandelte Angst- und Depressionspatientinnen<br />

und -patienten in einem Monat! Wie kommt<br />

es dazu?<br />

Tabus bestehen immer noch<br />

Viele Menschen wollen nicht wahrhaben, dass sie depres-<br />

siv sein könnten, und schon gar nicht, dass sie unter Angst<br />

leiden. Zu kränkend ist der Gedanke, in der Leistungs-<br />

und Spassgesellschaft nicht mithalten zu können. Noch<br />

einigermassen akzeptable Selbstdiagnosen für seelisches<br />

Leiden sind Erschöpfung, Mobbing oder Burn-out. Angst-<br />

patienten mit hartnäckigen Körpersymptomen informieren<br />

sich im Internet oder Bekanntenkreis und drängen dann<br />

auf spezialärztliche Abklärungen oder darauf, mittels mo-<br />

dernster Bild gebender Verfahren wie Computertomogra-<br />

phie oder MRI (Magnetresonanz-Imaging) «durchschaut»<br />

zu werden. Sie hoffen, ihr Leiden abgebildet und benannt<br />

zu bekommen und damit kontrollier- und behandelbar zu<br />

machen. Solche Menschen für eine medikamentöse oder<br />

psychiatrische Therapie zu motivieren, kann schwierig<br />

sein und sich über mehrere Konsultationen hinziehen –<br />

selbst dann, wenn die Hausärztin von der Behandlungs-<br />

notwendigkeit überzeugt ist und die nötigen spezialärzt-<br />

lichen Angebote vorhanden sind.<br />

Am andern Ende des Spektrums gibt es Verstimmungen,<br />

die von selber oder mit Laienhilfe wieder vorbeigehen.<br />

Nicht jede Patientin, die auf die Screening-Frage antwor-<br />

tet, sie habe im letzten Monat deutlicher weniger Freu-<br />

de gehabt, ist depressiv und behandlungsbedürftig. Es<br />

gibt auch die normale Trauer über verlorene Menschen,<br />

Fähigkeiten und Gelegenheiten. Und wenn sich ein le-<br />

benserfahrener Mensch dafür ausspricht, lieber eine<br />

leichte Depression auszuhalten als Medikamente ein-<br />

zunehmen, respektiere ich seine Entscheidung. Ich fra-<br />

ge bei einer späteren Konsultation aber wieder nach, ob<br />

sich seine Einstellung zu einer Behandlung unterdessen<br />

geändert habe.<br />

Dr. med. Fiona Fröhlich Egli,<br />

Fachärztin für Allgemeinmedizin FMH in <strong>Winterthur</strong>

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