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Bergische Blätter - Bergische Universität Wuppertal

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Kultur<br />

<strong>Wuppertal</strong>: Bühnen II<br />

Alltägliche Abgründe<br />

Das Stück „Kaspar Häuser Meer“ von Felicia Zeller feierte im Kleinen Schauspielhaus Premiere<br />

Mit einem weißen Leinentuch, das<br />

mit bunten Kinderhändeabdrücken<br />

versehen ist, und in bester Stimmung erscheinen<br />

drei Frauen zu Musik, die gute Laune verspricht.<br />

Doch dabei soll es nicht bleiben, denn<br />

durch den „Björn-out“ ihres Kollegen Björn<br />

fällt den bereits chronisch überforderten Sozialarbeiterinnen<br />

des Jugendamtes – Anika<br />

(Anne Catherine Studer), Barbara (An Kuohn)<br />

und Silvia (Julia Wolff) – noch mehr Arbeit<br />

zu.<br />

Die drei Frauen haben sehr verschiedene<br />

Charaktere, doch eines haben sie gemeinsam: Sie<br />

haben ihr eigenes Leben nicht im Griff, leben<br />

stattdessen für ihren Beruf. Das Paradebeispiel<br />

ist Anika, die sich, frisch von der Uni in den Job<br />

gekommen, mit dem Auseinanderdriften von<br />

Idealen und Realität herumschlägt, und sich<br />

mehr um andere Kinder als ihr eigenes kümmern<br />

kann. Drastisch werden die psychischen<br />

Auswirkungen beim „Arbeiten zwischen Basis<br />

und Gesetz“ geschildert.<br />

Um mit dem immensen Druck und der Verantwortung<br />

umzugehen, die ihre Handlungen<br />

und ebenso ihr Nichteingreifen zur Folge haben<br />

können, hat jede der drei Sozialarbeiterinnen<br />

andere Strategien. Die eine trinkt während<br />

der Arbeit, die andere träumt von Fincas oder<br />

einer Bergbesteigung, um mit dem alltäglichen<br />

Abgründen klarzukommen. Daneben erweisen<br />

sich Sarkasmus und Mantras aus Psychologieratgebern<br />

als weitere Verarbeitungstechniken.<br />

Doch man merkt: Richtig abgeben lässt sich der<br />

innere Druck nur bei den Streitereien innerhalb<br />

des Kollegiums, also durch Aggressionsabbau.<br />

Hochachtung für den Job<br />

Die Bühne ist in dieser tollen Inszenierung<br />

von Katrin Lindner sehr schlicht gehalten und<br />

besteht lediglich aus zwei grauen Elementen mit<br />

Treppen, die sowohl in die vertikale als auch in<br />

die horizontale Ebene reichen. Ein Seitenhieb<br />

auf kafkaeske Amtsstrukturen?<br />

Vor allem Silvia steht permanent am Rande<br />

des Nervenzusammenbruchs, bis sie, in einem<br />

herzzerreißenden Finale, ihre „innere Parkbank“<br />

findet. Die beklemmende Stimmung wird<br />

immer wieder aufgebrochen durch witzige<br />

Einlagen, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Mal<br />

wird ausgelassen getanzt, mal werden mit dem<br />

Publikum Entspannungsübungen gemacht.<br />

Vor allem An Kuohn brilliert hier mit ihrem<br />

komödiantischen Talent. Die Überdrehtheit des<br />

20 <strong>Bergische</strong> <strong>Blätter</strong> 06.2011<br />

Ganzen erinnert das Publikum allerdings stets<br />

daran, wie schnell die Stimmung kippen kann<br />

und man wieder eintaucht in verwahrloste Wohnungen<br />

und zerrütte Familien, Alkoholismus<br />

und physische wie strukturelle Gewalt. Elegant<br />

eingeflochtene Seitenhiebe auf die Schließung<br />

des Schauspielhauses verdeutlichen gerade in<br />

(von links:) An Kuohn, Julia Wolff und Anne Catherine Studer<br />

einem so fulminanten sozialkritischen Theaterstück<br />

die Wichtigkeit des Standortes. Die<br />

drei Schauspielerinnen sind hervorragend und<br />

vermögen es sehr gut, die Intensität des Stückes<br />

rüberzubringen. Was bleibt, als der Vorhang<br />

fällt? Hochachtung für einen sehr undankbaren<br />

und belastenden Job.<br />

MORITZ HOLLER<br />

Foto: <strong>Wuppertal</strong>er Bühnen/Andreas Fischer

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