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Regisseur Christian Ditter über seinen neuen Film »Die Vorstadt ...

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auch heute immer noch in Kontakt und führe<br />

den Dialog fort.<br />

Was wollen Sie Ihren Studenten mit auf<br />

den Weg geben?<br />

RW: Das Wichtigste, was ich geben kann, zitiere<br />

ich mit Gertrude Stein: Ein Künstler<br />

braucht nur drei Dinge: Ermutigung, Ermutigung,<br />

Ermutigung. Außerdem kann ich einige<br />

meiner erlernten Fertigkeiten weitergeben,<br />

aber das Wichigste für jeden Einzelnen<br />

ist es, <strong>seinen</strong> eigenen Weg zu finden. Wenn<br />

ich Theaterwissenschaft in Yale, der Northwestern<br />

University oder in Harvard studiert<br />

ROBERT WILSON –HEIN-HECKROTH-PREISTRÄGER 2009<br />

Theaterkritiker sind begeistert, wenn sie<br />

<strong>über</strong> Robert Wilson und seine Bühnenwerke<br />

schreiben. Er wird als Visionär bezeichnet<br />

und Erneuerer der Bühne, seine Stücke<br />

passen in keine Schublade. Er hat nicht<br />

den traditionellen Ausbildungsweg eines<br />

<strong>Regisseur</strong>s oder Bühnenbildners genommen,<br />

er ist ein Quereinsteiger, schöpft aus<br />

der Architektur und der bildenden Kunst,<br />

ist vom <strong>neuen</strong> Tanz beeinflusst und von<br />

neuer Musik. Auf der Bühne erschafft er<br />

akustisch und optisch neue Welten, die<br />

surreal und doch vertraut wirken, die in ihrer<br />

Reduziertheit bestechend sind.<br />

Wie vielgestaltig die Einflüsse sind, das<br />

machte der <strong>Film</strong> »Absolute Wilson« deutlich,<br />

den das »Kino Traumstern« auf Anregung<br />

der Hein-Heckroth-Gesellschaft im<br />

Februar zeigte. Lange Zeit hatte sich Wilson<br />

gesträubt, Einzelheiten seiner Vergangenheit<br />

öffentlich zu machen. Erst als die<br />

Hamburger <strong>Film</strong>emacherin Katharina Otto-<br />

Bernstein ihn fünf Jahre lang mit der Kamera<br />

begleitete, öffnete er sich allmählich. Sie<br />

konnte auch Interviews mit Familienmitgliedern<br />

einbinden, ebenso Familienfotos<br />

und historische <strong>Film</strong>aufnahmen vom Alltag<br />

im US-amerikanischen Süden. Dazu kamen<br />

Interviewszenen mit langjährigen<br />

Bühnengefährten.<br />

Wilson wuchs auf im Texas der strikten<br />

Rassentrennung, in einer streng gläubigen<br />

Baptisten-Familie. Sein einziger Freund war<br />

der Sohn der schwarzen Hausangestellten,<br />

doch diese Freundschaft durfte bei den<br />

Weißen nicht öffentlich werden. Er konnte<br />

allerdings <strong>seinen</strong> Freund in die Gottesdienste<br />

der Schwarzen begleiten, lernte<br />

von ihnen Rhythmus und eine positive,<br />

von Hoffnung geprägte Lebenseinstellung.<br />

Christliche Symbolik und Gospelsongs gehören<br />

später zu Wilsons Bühnensymbolik,<br />

ebenso das einsame Kind (meist ein Junge)<br />

hätte, würde ich nicht das Theater wie jetzt<br />

machen. Ich lernte die Theaterarbeit, indem<br />

ich sie tat. Wir lernen das Gehen, indem wir<br />

gehen. Mein Theater entstand durch meine<br />

persönlichen Erfahrungen.<br />

Es fällt auf, dass Sie sehr viel in Deutschland<br />

arbeiten. Warum?<br />

RW: Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht.<br />

Vielleicht weil meine Arbeit sich so sehr<br />

vom typischen deutschen Theater und der<br />

deutschen Bildung unterscheidet. Allgemein<br />

gesprochen arbeitet deutsche Bildung mit<br />

dem kausalen Faktor. Mit anderen Worten:<br />

und die kühl-distanziert wirkende Mutter.<br />

Prägenden Einfluss auf sein Leben hatte die<br />

Erfahrung des Stotterns als Kind, die ihn<br />

zum Außenseiter machte. Eine Tanzlehrerin<br />

zeigte ihm den Weg heraus: »Nimm dir<br />

Zeit zum Sprechen, verlangsame dein<br />

Tun.« Die Verlangsamung, ausgedehnt bis<br />

zum Zeitlupentempo, wurde zum prägendenStilmittel<br />

auf der<br />

Bühne. Er<br />

erkannte<br />

die Bedeutung<br />

von<br />

Körperbewegungen<br />

im eigenen<br />

Rhythmus,<br />

was in seine<br />

ersten<br />

eigenen<br />

Performances<br />

ebenso einfloss wie in seine kunsttherapeutischen<br />

Arbeiten mit straffälligen<br />

Jugendlichen und behinderten Kindern.<br />

Er studierte zunächst Jura, dem Wunsch<br />

des Vaters entsprechend, wechselte bald<br />

zur Architektur, jedoch ohne das Studium<br />

abzuschließen. Grafisch-architektonische<br />

Elemente bestimmen später seine Bühnenräume.<br />

Ein Aufenthalt in der Psychiatrie, als<br />

er in jungen Jahren nicht weiterwusste in<br />

seinem Leben, hinterließ ästhetische Spuren<br />

in der Kargheit der Räume und in Fenstergittern.<br />

Am meisten hat ihn jedoch das Leben in<br />

New York geprägt, das in den 60er Jahren<br />

ein Zentrum der künstlerischen Avantgarde<br />

war. Hier wirkten der Choreograf<br />

Merce Cunningham und der Komponist<br />

John Cage, hier initiierte Wilson 1967 seine<br />

eigene Theaterschule für Menschen aller<br />

BLICKPUNKT<br />

Deutsche brauchen einen Grund, um etwas<br />

zu machen. Mein Theater arbeitet an der<br />

Oberfläche und entsteht durch einen Wirkungsfaktor.<br />

Ich will keinen Grund haben,<br />

um etwas zu machen. Meine Verantwortung<br />

als Künstler ist es, Fragen zu stellen: Nicht zu<br />

sagen, was es ist, sondern: was ist es? Wenn<br />

man weiß, was man dort macht, gibt es keinen<br />

Grund, es zu machen. Der Grund, warum<br />

ich arbeite, ist zu sagen, was ist es. Die<br />

deutsche Bildung ist eher verwandt mit der<br />

altgriechischen Philosophie: Verstand. Meine<br />

Arbeit ist eher verwandt mit der östlichen<br />

Philosophie: Zen.<br />

Altersstufen und Fähigkeiten. Es begann eine<br />

Art Kult um ihn: Seine besonderen Fähigkeiten<br />

und die große Energie rissen andere<br />

mit. Schließlich gründete er in einer<br />

abgelegenen Fabrikhalle das Watermill<br />

Center für Kreative verschiedener Kunstsparten,<br />

in der sich jeden Sommer Menschen<br />

aus der ganzen Welt trafen, um gemeinsam<br />

neue Bühnenprojekte zu erarbeiten,<br />

die zwischen Tanz, Oper und Schauspiel<br />

oszillieren.<br />

Es waren anfangs keine kommerziellen Erfolge,<br />

Wilson suchte und fand zwar immer<br />

Sponsoren, machte aber eher Schulden als<br />

Gewinn. Erst in Europa wurden Wilson und<br />

seine Company von der Theaterwelt und<br />

dem Publikum mit offenen Armen aufgenommen,<br />

vor allem finanziell besser unterstützt.<br />

Der erste Europa-Erfolg war »Deafman<br />

Glance« (1970) in Frankreich, in dem<br />

ein Taubstummer und dessen Art der<br />

Wahrnehmung und Kommunikation im<br />

Mittelpunkt stehen.<br />

Allmählich löste Wilson sich von seiner<br />

Gruppe und beschritt neue Wege, arbeitete<br />

mit Musikern wie Philipp Glass (»Einstein<br />

on the Beach«) und Tom Waits (»Black<br />

Rider«) und dem Theatermann Heiner Müller.<br />

Von der Kreation eigener Stücke führte<br />

sein Karriereweg zum viel gefragten <strong>Regisseur</strong><br />

an Theaterbühnen weltweit, insbesondere<br />

in Deutschland.<br />

An der Universität Gießen hat er im Wintersemester<br />

1989/90 am Institut für Angewandte<br />

Theaterwissenschaften gelehrt. Insofern<br />

ist Gießen kein unbekanntes Terrain<br />

für den ständig mit einem engen Terminplan<br />

durch die Welt Reisenden, wenn er<br />

am 19. April aus New York kommt, um<br />

den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis entgegenzunehmen.<br />

Weitere Informationen<br />

unter www.robertwilson.com.<br />

Dagmar Klein<br />

➛<br />

4/2009 streifzug 9

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