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reine Luft der wissenschaftlichen Forschung - Max Planck Institute ...

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den „Verführungen“, denen „wir Deutsche“ erlegen waren, als Charakterisierung<br />

des eigenen Verhaltens zutreffen<strong>der</strong> als die Selbstklassifikation als Antifaschist<br />

o<strong>der</strong> gar das Bild vom Gott ähnlichen Gelehrten, <strong>der</strong> „die <strong>reine</strong> <strong>Luft</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>wissenschaftlichen</strong> <strong>Forschung</strong>“ atmet.<br />

Doch im Begriff des „Verführten“ schwingt die Idee von Unschuld mit – und<br />

das hieße, Wissenschaftler wie Stubbe, die an herausragen<strong>der</strong> Stelle gearbeitet<br />

haben, stark geför<strong>der</strong>t wurden und sich auch selbst als Elite begriffen, aus <strong>der</strong><br />

Verantwortung zu nehmen. Passen<strong>der</strong> wäre dagegen folgen<strong>der</strong> Vergleich: Für<br />

Klaus von Rosenstiel war die Wissenschaft das Instrument, mit dem er dem nationalsozialistischen<br />

Deutschland bzw. einem deutsch beherrschten Europa zu<br />

Stärke und Reichtum verhelfen wollte, also Mittel zum Zweck. Bei Stubbe verhielt<br />

es sich eher umgekehrt. Für ihn war die nationalsozialistische Expansionspolitik<br />

das Mittel zum <strong>wissenschaftlichen</strong> Fortschritt, sowohl im Hinblick auf<br />

den gewaltsam eröffneten Zugang zu neuen Ressourcen als auch in bezug auf<br />

die eigene Karriere. Daher ist Stubbe mehr als Rosenstiel typisch für die Spitzenwissenschaftler<br />

in den Kaiser-Wilhelm-<strong>Institute</strong>n. Für ihr jeweiliges Arbeitsgebiet<br />

akzeptierten sie den verbrecherischen Rahmen <strong>der</strong> NS-Politik als Möglichkeit<br />

und trugen so zu seiner Legitimierung bei. Sofern das nicht aus politischer<br />

Überzeugung und Zustimmung geschah, folgten sie dabei Motiven, die sie<br />

aus ihrer Wissenschaft und ihrer Stellung als wissenschaftliche Elite ableiteten.<br />

Zur Analyse des Verhältnisses von Wissenschaft und Macht taugt we<strong>der</strong> die<br />

Formel von <strong>der</strong> „Verstrickung“ in den Nationalsozialismus noch das Argument<br />

vom Mißbrauch <strong>der</strong> Wissenschaft durch das NS-Regime. 156 Und auch <strong>der</strong> Begriff<br />

<strong>der</strong> Indienstnahme ist zu einseitig, da diese von ihrem Gegenstück, <strong>der</strong><br />

Funktionalisierung <strong>der</strong> Politik durch die Wissenschaft, nicht zu trennen ist. Zutreffen<strong>der</strong><br />

läßt sich das Verhältnis als Interessenkoalition beschreiben.<br />

Der NS-Staat stellte den Wissenschaftlern umfangreiche materielle und ideelle<br />

Ressourcen für ihre Arbeit zur Verfügung. 157 Dazu gehörte die Erweiterung<br />

ihrer <strong>Forschung</strong>smöglichkeiten im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Ostexpansion und<br />

den in den besetzten Gebieten übernommenen <strong>Institute</strong>n und <strong>wissenschaftlichen</strong><br />

Sammlungen und die signifikante Aufwertung jener Wissenschaftsdisziplinen,<br />

<strong>der</strong>en Ergebnisse für das NS-Regime wirtschaftlich und zur Untermauerung seiner<br />

ideologischen Grundlagen von beson<strong>der</strong>em Wert waren. Gerade die Züchtungsforschung<br />

genoß im NS-Staat, in dem Eugenik und Autarkie politische<br />

Leitbegriffe bildeten, ein hohes Ansehen. Mit diesem symbolischen Kapital ar-<br />

156 Vgl. dazu Herbert Mehrtens, „Mißbrauch“. Die rhetorische Konstruktion <strong>der</strong> Technik in<br />

Deutschland nach 1945, in: Walter Kertz (Hg.), Technische Hochschulen und Studentenschaft<br />

in <strong>der</strong> Nachkriegszeit (= Projektberichte zur Geschichte <strong>der</strong> Carolo-Wilhelmina; 10),<br />

Braunschweig 1995, S. 33-50.<br />

157 Am Beispiel <strong>der</strong> Geistes- und insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Literaturwissenschaft argumentiert Clemens<br />

Knobloch, daß Wissenschaft und Politik Ressourcen füreinan<strong>der</strong> bereitstellen, die beide Seiten<br />

im eigenen Interesse zu nutzen verstehen. Die Unterscheidung zwischen einem intakt gebliebenen<br />

Kern <strong>der</strong> Wissenschaft (die insofern zumindest partiell erfolgreich ihre Autonomie<br />

gewahrt hätte) und einer „Verstrickung“ einzelner Forscher in die NS-Politik ist demnach eine<br />

falsche Polarisierung; vgl. Clemens Knobloch, Über die Schulung des fachgeschichtlichen<br />

Blickes. Methodenprobleme bei <strong>der</strong> Analyse des „semantischen Umbaus“ in Sprach- und Literaturwissenschaft,<br />

in: Georg Bollenbeck/Clemens Knobloch (Hg.) Semantischer Umbau<br />

<strong>der</strong> Geisteswissenschaft nach 1933 und 1945, Heidelberg 2001, S. 203-235.

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