6 A. Manzeschke, K. Weber, E. Rother, H. Fangerau1. Ethik als Bearbeitung ernster moralischer <strong>Fragen</strong> –Ziele und Aufbau der BegleitstudieEine ethische Bewertung altersgerechter Assistenzsystemegestaltet sich als Bearbeitung der »ernstenmoralischen <strong>Fragen</strong>« (Böhme 1997). Hierbei geht eszum einen um die Beschreibung der sozialen undtechnischen Voraussetzungen, die zur Entwicklungund dem möglichen Einsatz dieser Systeme führt.Zum anderen spielt die Prognostik eine wesentlicheRolle, welche unerwünschten Folgen eine Technikentfalten könnte, die man durch entsprechende Technikgestaltungzu vermeiden sucht. Für Prognostikund Technikgestaltung liefert die Studie mit ihrem InstrumentariumAnsätze zu einer Bearbeitung. Dabeiist zu berücksichtigen, dass das von uns vorgestellteInstrumentarium mit dem technischen Wandel sowieden Veränderungen <strong>im</strong> Sozialen weiterzuentwickelnist – also einer dynamischen Ausgestaltung bedarf.Da Prognosen prinzipiell schwierig sind, steht eineethische Bewertung vor der Herausforderung, substanziellsauber und nachvollziehbar zu argumentieren.D. h. die ernsten moralischen <strong>Fragen</strong> müssenso formuliert und ausgearbeitet werden, dass angesichtsder möglichen Folgen einer technischenEntwicklung keine Szenarien beschworen werden,die alle weitere Entwicklung von vornherein als zubedenklich abschnüren. Auf der anderen Seite kannEthik sozio-technischen Wandel nicht per se – dasheißt ohne fundierte Reflexion – gutheißen.Moderne Technik ist in der Regel ein komplexer Verbundvon Maschinen, Prozessen und Akteuren. Dieresultierenden ›Verbundhandlungen‹ haben einearbeitsteilige Grundlage, die zu einer Verantwortungsteilungführt. Das darf jedoch nicht zu »Verantwortungsverdünnung«(Hastedt 1991) oder garzu »organisierter Unverantwortlichkeit« (Beck 1988)führen. Für die Ethik ist Verantwortung ein starkesElement bei der Reflexion auf Handlungen (und Unterlassungen),weswegen sie darauf bestehen muss,dass Verantwortungsträger identifizierbar bleiben(Manzeschke 2011).Zudem verbindet sich mit Technik der Anspruch,dass sie ›für alle‹ zur Verfügung stehen soll. Gestaltetwird sie aber vorrangig von Experten. Gerade beialtersgerechten Assistenzsystemen ist aus einer ethischenPerspektive darauf zu achten, dass sie nichtnur für, sondern mit der Zielgruppe entwickelt werden.Im Weiteren ist zu bedenken, dass bereits die Entwicklungbest<strong>im</strong>mter technischer Systeme einemoralische Entscheidung beinhaltet und ihre ImplementierungStrukturen von großer Dauer festschreibtund Revisionen oder Alternativen – wennnicht ausschließt –, so doch nur in pfadabhängigerWeise zulässt (vgl. Winner 1980). Damit verbundenist ein Problem, das unter dem Begriff ›Collingridge-Dilemma‹ Eingang in die Fachdiskussionen gefundenhat: Die möglichen Folgen einer technischenEntwicklung sind nur schwer abschätzbar und deswegenauch nur sehr bedingt gestaltbar. Ist die Technikaber einmal etabliert, so sind ihre Strukturenbereits so verfestigt, dass ihre Veränderbarkeit odergar Rückholbarkeit nahezu ausgeschlossen sind (vgl.Collingridge 1980).Ziele und Ergebnisse der vorgelegtenEthik-StudieZiel der zehnmonatigen Begleitstudie (Januar-Oktober 2012) war es,• die maßgeblichen ethischen Probleme be<strong>im</strong>Einsatz von altersgerechten Assistenzsystemenanhand der laufenden Förderprojekte sowie mitempirischen Untersuchungen und theoretischenArbeiten zu identifizieren,• den Akteuren <strong>im</strong> Feld (Forschung & Entwicklung,Anbieter und Nutzer) ein ethisches Instrumentariuman die Hand zu geben, das sie befähigt,selbstverantwortlich ethische Probleme zu identifizierenund sie konstruktiv zu bearbeiten,
ETHIK ALS BEARBEITUNG ERNSTER MORALISCHER FRAGEN – ZIELE UND AUFBAU DER BEGLEITSTUDIE7• Leitlinien zu formulieren, welche die öffentlichewie auch die individuelle Beschäftigung mit demThema ethisch orientieren. Darüber hinaus liefertdie Studie• eine kritische Reflexion auf zentrale ethischeKipppunkte und Spannungsfelder, die sich be<strong>im</strong>Einsatz altersgerechter Assistenzsysteme auftunkönnen und die deshalb frühzeitig berücksichtigtwerden müssen. Letzteres verbindet sich• mit einem Ausblick auf notwendige weitere Forschung.Die vorliegende Broschüre gibt in sechs Hauptkapitelndie Arbeitsweise und Ergebnisse der Studie <strong>im</strong>Wesentlichen wieder. Für einen vollständigen Einblick,insbesondere in die Methodik und die verwendeteLiteratur, sei auf die Begleitstudie verwiesen,die 2013 <strong>im</strong> Internet zum Download zur Verfügungstehen wird (Manzeschke et al. 2013).Das erste Kapitel liefert nach einigen grundlegendenÜberlegungen zu Ethik und Technikbewertung bzw.Technikgestaltung einen Überblick über die Zieleund den Aufbau der Studie.Das zweite Kapitel nähert sich dem Begriff »AmbientAssisted Living« bzw. »Altersgerechte Assistenzsysteme«und skizziert die spezifischen Charakteristikaund realen oder potenziellen ethischen Probleme,die sich aus ihrem Einsatz ergeben können.Das dritte Kapitel widmet sich den politischen, kulturellen,rechtlichen sowie ökonomischen Kontexten,in denen diese Systeme zum Einsatz kommen(sollen). Über den demographischen Wandel hinauswerden hier strukturelle Bedingungen dargestellt,die in ihren Wechselwirkungen und Pfadabhängigkeitenreflektiert werden müssen, wenn der Einsatzvon altersgerechten Assistenzsystemen theoretischgerechtfertigt und praktisch erfolgreich durchgeführtwerden soll.Das vierte Kapitel stellt das während der Studie entwickelteethische Evaluationsinstrument MEESTARvor. Das Akronym steht für »Modell zur ethischenEvaluation sozio-technischer Arrangements«. DiesesModell repräsentiert ein dreid<strong>im</strong>ensionales Bewertungsinstrument,das in strukturierter Weise zurethischen Reflexion und Urteilsbildung be<strong>im</strong> Einsatzaltersgerechter Assistenzsysteme anleitet. Es handeltsich auch um ein heuristisches Instrument, um ineinem strukturierten Dialog (idealer Weise in Workshops)anhand eines konkreten sozio-technischenSzenarios die Anwendung zu analysieren und aufder Grundlage identifizierter moralischer ProblemeLösungsansätze für den Einsatz zu entwickeln.Das fünfte Kapitel stellt die ethischen Leitlinien vor,die <strong>im</strong> Verlauf der Studie aus den theoretischenÜberlegungen einerseits und der empirischen Validation<strong>im</strong> Rahmen von Experteninterviews undFokusgruppen andererseits erstellt wurden. DieseLeitlinien dokumentieren einen ›work in progress‹und laden zu ihrer kritischen Reflexion und Weiterentwicklungein.Das sechste Kapitel n<strong>im</strong>mt die sogenannten ›<strong>Ethische</strong>nKipppunkte‹ und Spannungsfelder genauer inden Blick, die sich in der Studie als moralisch sensibelherauskristallisiert haben, und deshalb aufmerksambeobachtet werden sollten. Hierbei handelt es sicherstens um Veränderungen <strong>im</strong> sozio-technischen Arrangementüber die Zeit, die eine gute und hilfreicheAssistenz in eine problematische und belastende kippenlassen können. Zweitens geht es um Zielkonflikteoder Dilemmata, die nicht einfach und allgemeinaufgelöst werden können.Zum Schluss bietet die Broschüre noch eine Zusammenfassungund einen Ausblick auf weitere Forschungsfragen,die sich <strong>im</strong> Rahmen der aktuellenStudie ergeben haben.
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