8 A. Manzeschke, K. Weber, E. Rother, H. Fangerau2. Altersgerechte Assistenzsysteme – Eine pragmatischeAnnäherungAltersgerechte Assistenzsysteme werden in Deutschland(und Europa) häufig mit dem Begriff »AmbientAssisted Living« (AAL) assoziiert. Dieser verweist aufeinen breiten Strom von technologischen Ansätzenwie Ambient Intelligence, Ubiquitous Computingoder Pervasive Computing; Technologien, die informations-und kommunikationsorientierte Dienstleistungenerbringen sollen, ohne dass die entsprechendenGeräte als technische Artefakte erkennbarwären. Die jeweilige Umgebung selbst soll mit technischerFunktionalität ausgestattet und verwobensein (vgl. Weber et al. 2009; Weber 2012) und demBenutzer seine Umgebung informatisch erschließen(vgl. Wiegerling 2012). Marc Weiser hatte diese Ideein seinem Aufsatz »The Computer for the Twenty-First Century« bereits <strong>im</strong> Jahr 1991 entwickelt:»The most profound technologies arethose that disappear. They weave themselvesinto the fabric of everyday life untilthey are indistinguishable from it.« (Weiser 1991: 94)Seit geraumer Zeit wird die Entwicklung von informations-und kommunikationstechnologisch unterstütztenSystemen in der Medizin und Pflege vorangetrieben.Sie spielen in <strong>im</strong>mer mehr Anwendungsbereicheneine wichtige Rolle, insbesondere dort, wofür die Versorgung kein entsprechend ausgebildetesPersonal vor Ort verfügbar ist (vgl. Flesche, Jalowy,Inselmann 2004). Die Anwendungen rangieren vonder Beratung von Patienten, die keinen oder nurbeschränkten Zugang zu medizinischem und pflegerischemPersonal haben, über technische Unterstützungsleistungenzur Aufrechterhaltung physischerund psychischer Kompetenzen bis hin zur computerundrobotergestützten Operation, bei der Arzt undPatient durch große Distanzen getrennt sind (bspw.Merrell 2005; Satava 2005). Darüber hinaus gewinnenmedizinische Notfallmaßnahmen (z. B. Skorninget al. 2011) ebenso wie die Prävention von Unfällenzunehmend an Bedeutung (vgl. Leis 2008). In vielendieser Fälle ist die Grenze zum Telemonitoring alsÜberwachung von Vitaldaten schwer zu ziehen (alsÜberblick siehe Meystre 2005). Als Sammelbegrifffür die vielen Ansätze und Anwendungsbereiche derInformations- und Kommunikationstechnologie <strong>im</strong>Gesundheitssektor wird oft von eHealth gesprochen(vgl. Oh et al. 2005; Jähn, Nagel 2004).Die Vielfalt der Ansätze kann an dieser Stelle nichtweiter verfolgt werden. Es soll aber angezeigt werden,dass sich die Entwicklung altersgerechter Assistenzsystemein einem weiten Feld vollzieht, bei demdie Grenzlinien zwischen Technologien, Zielgruppenund Anwendungsfeldern nicht <strong>im</strong>mer klar gezogenwerden können. Im Rahmen der Studie haben wiruns auf Anwendungen konzentriert, die in ersterLinie für ältere Menschen entwickelt und zur Verfügunggestellt werden, damit diese mit ihrer Hilfe längerselbstbest<strong>im</strong>mt <strong>im</strong> eigenen häuslichen <strong>Bereich</strong>leben können. Dazu haben wir uns auf die Definitiondes BMBF für Ambient Assisted Living bezogen:»Unter ›Ambient Assisted Living‹(AAL) werden Konzepte, Produkte undDienstleistungen verstanden, die neueTechnologien und soziales Umfeldmiteinander verbinden und verbessernmit dem Ziel, die Lebensqualität fürMenschen in allen Lebensabschnitten,vor allem <strong>im</strong> Alter, zu erhöhen.Übersetzen könnte man AAL am bestenmit ›Altersgerechte Assistenzsysteme fürein gesundes und unabhängiges Leben‹.Damit wird auch schon skizziert, dass AALin erster Linie etwas mit dem Individuumin seiner direkten Umwelt zu tun hat.«(AAL Deutschland o.J.)Diese Definition verweist durch »gesundes Leben«auf Institutionen und Prozeduren des Gesundheitswesens;»unabhängiges Leben« muss als Aufnahmeder sozialpolitischen Leitbegriffe von »Selbstbest<strong>im</strong>-
ALTERSGERECHTE ASSISTENZSYSTEME – EINE PRAGMATISCHE ANNÄHERUNG9mung« und »gesellschaftlicher Teilhabe« verstandenwerden. Um sie in der Praxis umzusetzen, sollentechnische Assistenzsysteme »vor allem« <strong>im</strong> Lebensumfeldvon alten Menschen eingesetzt werden.Altersgerechte Assistenzsysteme sind damit nicht alsrein technische Artefakte zu verstehen und zu beurteilen,sondern als sozio-technische Arrangementsmit potenziell weitreichenden Auswirkungen aufden Einzelnen wie die Gesellschaft. Das Verständnisals sozio-technische Arrangements ergibt sichdaraus, dass altersgerechte Assistenzsysteme indoppelter Hinsicht als Unterstützung von Menschengesehen werden: Zum einen sollen alte und hochbetagtePersonen diese Systeme selbst nutzen, um aufdiese Weise eine Verbesserung der Lebensqualitätin ihrem jeweiligen Alltagskontext zu erfahren. Zumanderen aber sollen diese Systeme Angehörige ebensowie das Gesundheits- und Pflegepersonal <strong>im</strong> sorgendenUmgang mit diesen alten und hochbetagtenMenschen unterstützen.also nicht nur als technisch auszustattende Unterkunftbetrachtet werden. Vielmehr wird sie in ersterLinie als Lebensraum und als Treffpunkt sozialerBeziehungen sowie als Ort von die Person konstituierendenErinnerungen zu bedenken und zu berücksichtigensein (Manzeschke 2010).In vielen Fällen basieren altersgerechte Assistenzsystemeauf der Idee der unsichtbaren, zugleich allgegenwärtigen,wirkungsvollen und weitreichendenInformations- und Kommunikationstechnik. Da dieNutzer möglicherweise in ihren sensomotorischenMöglichkeiten eingeschränkt sind, soll die Mensch-Maschine-Interaktion nicht nur auf die Ein- undAusgabemöglichkeiten von Bildschirm und Tastaturbeschränkt sein, sondern mult<strong>im</strong>odale Kanäle bieten,die intelligente, mitunter auch (voll-)automatischeInteraktionen ausführen bzw. ermöglichen. DieTechnologien werden zu Hintergrund-Technologien,die in ihrer gesamten Tragweite und in ihrem Funktionsumfangwomöglich nicht mehr vollständig zuüberblicken sind.Wenn Assistenz alte Menschen in ihrem häuslichenUmfeld unterstützen soll, dann ist dieser Einsatzortzudem ein symbolischer Ort, wo ein Mensch ›zu Hause‹ist (vgl. Betz et al. 2010a: 58f.). Be<strong>im</strong> Einsatz einesAssistenzsystems darf das Zuhause eines Menschen
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