Das Journal der staatsoperXhannover Nr. 1/2006 - Staatsoper ...
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over<br />
Im Sommer 1658 unternahm Molière<br />
mehrere Reisen nach Paris, um eine Rück -<br />
kehr vorzubereiten, die bereits im Herbst<br />
erfolgte. Die Truppe durfte sogleich dem<br />
Bru<strong>der</strong> von Ludwig XIV., Philippe<br />
d’Anjou, dem späteren Duc d’Orléans,<br />
vorspielen, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um so beeindruckt<br />
war, dass er sich zu ihrem Schirmherrn<br />
machte. Auf diese Weise erhielten die<br />
Schauspieler rasch Zutritt zum Louvre, um<br />
sich dort dem jungen König zu präsentieren.<br />
Während ihre Aufführung einer<br />
Tragödie von Pierre Corneille wenig<br />
Anklang fand, war Ludwig XIV. von einer<br />
sich unmittelbar anschließenden Komödie<br />
Molières so erheitert, dass er <strong>der</strong> Truppe<br />
das Théâtre du Petit-Bourbon als offizielle<br />
Arbeits- und Spielstätte zuwies – erst ein<br />
Jahr später, 1660, zog das Ensemble in das<br />
Théâtre du Palais royal um und blieb dort<br />
bis zu Molières Tod.<br />
Von diesem Zeitpunkt an konnte Molières<br />
Truppe mit ständigen, äußerst lukrativen<br />
Auftritten vor <strong>der</strong> höfischen Gesellschaft<br />
rechnen und gleichzeitig kontinuierlich ein<br />
Repertoire für das städtische Publikum<br />
aufbauen. Im Jahr <strong>der</strong> Thronbesteigung<br />
des jungen Ludwig XIV. (1661) etablierte<br />
Molière zudem ein neues Theatergenre:<br />
Die Comédies-ballets, bei denen die<br />
Komödienhandlung durch tänzerische<br />
Entrées unterstrichen, vertieft, aber auch<br />
vorausgedeutet und erweitert wurde. Bei<br />
diesen Produktionen standen ihm für die<br />
Ballett seitenbühne | <strong>Nr</strong>. 1 | Seite 9<br />
Auf den Spuren Molières<br />
choreographischen und kompositorischen<br />
Belange Pierre Beauchamps als <strong>der</strong> seinerzeit<br />
renommierteste Tanzmeister am Hof<br />
von Ludwig XIV. und Giovanni Battista<br />
Lulli alias Jean-Baptiste Lully zur Seite.<br />
<strong>Das</strong>s gerade letzterer von Molières<br />
Errungenschaften nicht nur erheblich profitierte,<br />
son<strong>der</strong>n auch seinem Promoter<br />
zunehmend das Leben schwer machte,<br />
gehörte vermutlich zu Molières bittersten<br />
Enttäuschungen: Lullys intrigante<br />
Machenschaften um den Besitz des königlichen<br />
Opernprivilegs, in dem er hellsichtig<br />
wie kein an<strong>der</strong>er eine zukunftweisende<br />
Chance sah, grenzten Molières künstlerischen<br />
Freiraum immer mehr ein.<br />
Schließlich sicherte sich Lully das Recht,<br />
über sämtliche Dichtungen, zu denen er<br />
Musik komponiert hatte, frei verfügen zu<br />
dürfen – womit er letztlich Molière seiner<br />
Comédies-ballets beraubte, die von nun an<br />
nicht mehr ohne Lullys Zustimmung mit<br />
dessen Musik erklingen durften. Molière<br />
fand zwar für seine letzte Comédie-ballet,<br />
den eingangs erwähnten Le Malade imaginaire,<br />
ebenso wie für Neuinszenierungen<br />
älterer Stücke in Marc-Antoine<br />
Charpentier einen neuen, äußerst kompetenten<br />
musikalischen Mitarbeiter, nichtsdestotrotz<br />
waren die Einbußen, die er nun<br />
hinnehmen musste, einschneidend: Nur zu<br />
deutlich spürte er, dass sich seine Zeit am<br />
Hof Ludwigs XIV. dem Ende zuneigte und<br />
sein ehemaliger Kollege zu seinem schärf-<br />
sten Konkurrenten angewachsen war.<br />
Vielleicht starb Molière gerade rechtzeitig<br />
vor noch tieferen Rückschlägen – dennoch:<br />
Während Lully auf einen glamourösen<br />
Ruhm zu Lebzeiten peinlichst bedacht<br />
war, sollten seine Kompositionen schon<br />
kurz nach seinem Tod als „altmodische<br />
Musik“ (bzw. musikalischer Ausdruck eines<br />
überkommenen politischen Systems) in<br />
Misskredit geraten. Molières Werke hingegen<br />
wurden bald wie<strong>der</strong> ausgegraben, neuvertont<br />
und vor allem: neubelebt. Einer<br />
jüngeren Umfrage zufolge ist Molière <strong>der</strong><br />
bekannteste französische Schriftsteller<br />
nach Victor Hugo.<br />
Stephanie Schroedter<br />
„Molière“<br />
Ballett von Jörg Mannes<br />
Musik von Jean-Philippe Rameau, Maurice<br />
Ravel, Luciano Berio u.a.<br />
Musikalische Leitung Andreas Wolf<br />
Choreographie Jörg Mannes<br />
Bühne Lars Peter<br />
Kostüme Lenka Radecky-Kupfer<br />
Dramaturgie Stephanie Schroedter<br />
Ballettensemble <strong>der</strong> <strong>Staatsoper</strong> Hannover<br />
Nie<strong>der</strong>sächsisches Staatsorchester<br />
Hannover<br />
Die nächsten Vorstellungen<br />
20. + 21.12.<strong>2006</strong>, 4.+28.1.2007