-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte
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Erinnerungen<br />
<strong>Die</strong> Rückfahrt geschah an Bord eines „Niederländers”, unten grün, oben weiß und der Schornstein schwarz<br />
gestrichen. Im Krieg waren, wenn ich mich recht erinnere, die etwas altmodischeren Schiffe der „Niederländer-<br />
Dampfschifffahrt” wohl als „Beutestücke” der „Weißen Flotte” einverleibt. Es waren zwar noch Holländer an<br />
Bord, aber wahrscheinlich unter deutschen Kapitänen.<br />
Jedenfalls gab es bei der Rückfahrt nach <strong>Koblenz</strong> Ärger. Einige angetrunkene Fronturlauber und genesende<br />
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Verwundete, teils mit „Gefrierfleischorden“ , grölten laut: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Im<br />
Winter geht's rückwärts, und vorwärts im Mai.” (<strong>Die</strong> verballhornte Form des Schlagers „Es geht alles vorüber,<br />
es geht alles vorbei. Auf jeden September folgt wieder ein Mai.”) Der Kapitän kam und redete den Soldaten<br />
eindringlich zu, dieses Lied nicht mehr zu singen und sich überhaupt etwas ruhiger zu verhalten.<br />
Ob sie in <strong>Koblenz</strong> an der Anlegebrücke „abgeholt” wurden, weiß ich nicht. <strong>Die</strong> Stimmung an Bord aber war<br />
recht betreten. Es stimmte ja auch: nach dem raschen Vormarsch im Sommer wich die deutsche Front in<br />
Russland - angeblich wetterbedingt - zurück; nach dem Ende der Schlammperiode aber kam es wenigstens<br />
stellenweise wieder zum „Vormarsch”. ]<br />
Wir konnten das Kriegsgeschehen gut verfolgen: in unserem Flur hing eine große Karte aller Kriegsschauplätze<br />
in Europa und Afrika. Vater steckte Nadeln mit Fähnchen an die Orte, die im Wehrmachtsbericht<br />
erwähnt wurden. Mein Bruder verband sie mit einer roten Schnur. An den Löchern in der Karte war zu<br />
erkennen, wo die Fähnchen vorher gesteckt hatten. Eins wurde klar: die Zeit der raschen Erfolge war vorbei.<br />
Und der Mangel? Auch hier hatte der Volksmund Schlager „umgedichtet”, die ich dann brühwarm von<br />
meinem Bruder lernte. <strong>Die</strong> Schlager kamen fast jeden Sonntag im „Wunschkonzert” unter dem Motto: „<strong>Die</strong><br />
Heimat grüßt die Front - die Front grüßt die Heimat.” U.a. sang Lale Andersen das unvergessliche Lied von der<br />
„Lili Marleen”. Später wurde es m.W. verboten, weil auch die feindlichen Soldaten in ihrer Sprache dieses<br />
Lied sangen!?<br />
Der <strong>Koblenz</strong>er Volksmund also sang nun frei nach „Lili Marleen”: „Schweinefleisch ist teuer, Ochsen-<br />
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fleisch ist knapp, da geh‘n wir bei den Hillesheim und kaufen uns Trapptrapp. Alle Leute sollen sehn, wenn<br />
wir beim Hillesheim Schlange steh‘n für eine Mark und zehn!” Mit solchen „Umdichtungen” gängiger Schlager<br />
war der Reiz des Verbotenen verbunden. Daher waren sie für mich schließlich interessanter als die zackigen<br />
Märsche, Luftwaffenlieder und das „Englandlied”.<br />
Schön war, dass um die Weihnachtszeit unsere elektrische Märklineisenbahn Spur 0 aufgebaut wurde. Das<br />
besorgte mein Bruder. [ <strong>Die</strong> Weichen mussten von Hand umgestellt werden. Geschah das nicht, kam es prompt<br />
zu einer Entgleisung. Wir hatten auch noch eine alte „Uhrwerklok”, die mit einem Schlüssel aufgezogen<br />
werden musste. Besser aber war eben die elektrische Lok mit einer Glühbirne vorne, die im dunklen Zimmer<br />
mit ihrem Schein zeigte, wo sich der Zug gerade befand. ] Noch besser war die H0-Bahn der Generalskinder.<br />
Sie hatte schon elektrisch gesteuerte Weichen und Signale, die den Zug beeinflussten. Oft saßen wir stundenlang<br />
zusammen auf dem Boden und spielten damit.<br />
Mit den beiden Gefährten aus dem Erdgeschoss unternahmen wir auch manche Wanderung. Einmal fuhren<br />
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wir mit Rücksicht auf uns beiden „Kleinen” mit dem Triebwagen nach Bad Ems. Dort durften wir zuschauen,<br />
wie die beiden großen Brüder zusammen ein Paddelboot mieteten und damit auf der Lahn herum paddelten.<br />
Anschließend gingen wir über die „Denzer Heide” und die Schmittenhöhe zu Fuß´zurück.<br />
Eine andere Wanderung führte von Braubach über Dachsenhausen im Taunus ebenfalls nach Bad Ems. Ich<br />
glaube heute noch das Summen des Windes in den Telegrafendrähten längst der Straßen zu hören. Das Geld für<br />
eine Bahnfahrt sparten wir uns oft: wir hatten dafür bessere Verwendung. Wir gingen entweder den Hin- oder<br />
Rückweg zu Fuß und gönnten uns vom Ersparten eine Flasche Rhenser Sprudel..<br />
Eines Tages - ich weiß das Jahr nicht mehr - herrschte große Aufregung in der Stadt: der Führer kommt!<br />
Auf einem Köln-Düsseldorfer sollte er den Rhein befahren. Wir Schulkinder standen geschlossen auf dem<br />
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Ein besonderes „Verwundetenabzeichen“, (damit sie wenigstens einen Orden hatten).<br />
2)<br />
Stadtbekannte <strong>Koblenz</strong>er Pferdemetzgerei.<br />
3)<br />
Ein akkugetriebenes Fahrzeug, dessen zwei Hälften identisch waren: sie hatten vorn und hinten eine „Schnauze” wie die berühmte Schweizer E-Lok „Das<br />
Krokodil”. Beim Halt auf Bahnhöfen summten und brummten sie lautstark. Wahrscheinlich weil die Akkus aufgeladen wurden.<br />
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