-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte
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Erinnerungen<br />
storben, kam der Leichenzug vom Trauerhaus her zu Fuß nach Lieberhausen. Wenn er am Waldrand auftauchte,<br />
begannen die Glocken der “Bunten Kerke” zu läuten. Mein Onkel ging im Talar dem Trauerzug<br />
entgegen und geleitete ihn zum Friedhof am unteren Ende des Dorfes. Dort wurde der Sarg ins Grab hinuntergelassen.<br />
Danach kam eine grüne Decke über die noch offene Grube.<br />
Mit Gebeten, Schriftlesungen, Liedern und einer Ansprache nahm die Beerdigung ihren Lauf. Aber einmal<br />
hatte sich der Dackel doch einen Ausweg aus seiner Schutzhaft verschafft. Mit frohem Gekläff nahm er die<br />
Fährte seines Herrchens auf und folgte ihr zum Friedhof. Dort wollte er über die grüne Decke hinüberlaufen<br />
und sich wohl eine „Streicheleinheit” abholen. Aber ach, der Hund verschwand samt Decke im offenen Grab<br />
und musste mühsam wieder herausgezogen werden. <strong>Die</strong> Heiterkeit der Trauergemeinde soll sich nur bei den<br />
unmittelbar Leidtragenden in Grenzen gehalten haben. ]<br />
Ansonsten spielt in meinen Erinnerungen der Rhein eine große Rolle. Mit ein paar Schritten waren wir in<br />
den „Anlagen”. Am Ufer ließ sich herrlich spielen und Steine ins Wasser werfen. Kritisch war es, wenn der<br />
Strom Hochwasser führte und die schmutzige Brühe mit allerlei „Strandgut” bis in die Moltkestraße schwappte.<br />
<strong>Die</strong> größeren Jungen drehten mit Fahrrädern ihre Kreise durch die Flut. <strong>Die</strong> Schadenfreude war groß, wenn sie<br />
stecken blieben und sich nasse Füße holten.<br />
1<br />
An technischen Dingen hatte ich auch Interesse. „Oppa” war Reichsbahnpensionär. Er hatte sich sozusagen<br />
„von der Pike auf” über eine Schlosserlehre und die Tätigkeit als Heizer und Lokführer in den gehobenen<br />
<strong>Die</strong>nst hochgearbeitet. Eines Tages nahm er uns zum Moselweißer Bahnbetriebswerk mit. Wir besichtigten den<br />
Lokschuppen mit den ungeheuer großen Lokomotiven, von denen ich scheu Abstand hielt.<br />
2<br />
Auf dem Flugfeld der Karthause schaute ich gern bei Flugvorführungen des NSFK zu, wenn etwa ein<br />
Fieseler Storch in der Luft fast still stand oder Segelflugzeuge mit der Winde oder von einem Flugzeug in die<br />
3<br />
Luft geschleppt wurden. Interessant waren auch die Kunststücke des NSKK mit der Motorradstaffel und<br />
Geländefahrzeugen.<br />
Ansonsten interessierten mich besonders Aufmärsche aller Art, wenn nur Musik dabei war: etwa wenn<br />
Soldaten durch die Stadt marschierten oder die Umzüge zum 1. Mai, und nicht zuletzt die Rosenmontagszüge<br />
mit den Wagen und den „Schwellköppen”. Wie große Köpfe ohne Körper, nur mit Armen und Beinen, leben<br />
und laufen konnten, war mir ein faszinierendes Rätsel. Also: wenn Marschmusik zu hören war, rannte ich<br />
neugierig hin.<br />
<strong>Die</strong>se Begeisterung für Blasmusik hatte aber auch negative Auswirkungen. Irgendwann, 1937 oder 1938<br />
starb die Mutter meines Vaters. Ich durfte am noch offenen Sarg von „Omma” Abschied nehmen, verwundert,<br />
dass sie so bleich aussah und auf meine Worte nicht reagierte. Nach der Trauerfeier in der Friedhofskapelle<br />
ging es langsam den Berg hinauf zum offenen Grab. Vor dem Sarg und dem Pfarrer zog die Blaskapelle der<br />
Reichsbahn und blies getragene Trauermusik.<br />
An der Hand meiner großen Geschwister zog ich mit und plapperte ganz aufgeregt und deutlich hörbar:<br />
„Jetzt marschieren wir mit Musik! Jetzt marschieren wir mit Musik!” O, welch finstere Blicke mich da trafen!<br />
Zornig geboten mir die Geschwister Schweigen. Und ich konnte doch gar nicht begreifen, was ich wieder mal<br />
falsch gemacht hatte!<br />
An die beklommene Stimmung meiner Eltern und vieler Leute im Jahr 1938 vermag ich mich noch dunkel<br />
zu erinnern. Marschierten Soldaten schon zu den Güterbahnhöfen? Ich hörte jedenfalls die bange Frage, ob es<br />
wohl Krieg geben würde, und spürte die Aufregung der Menschen. Wie erleichtert waren alle, als nach der<br />
Abschluss des Münchner Abkommens scheinbar die Kriegsgefahr abwendete.<br />
Viele Deutsche hielten nun Adolf Hitler für einen „Friedefürsten”, meine Eltern und Geschwister sicher<br />
nicht. Der „Großdeutsche Rundfunk” aber tat alles, um diese Illusion im Volk zu nähren. Nach einer ent-<br />
1) Großvater väterlicherseits.<br />
2) “Nationalsozialistisches Fliegerkorps”.<br />
3) “Nationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps.”<br />
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