-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte
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Erinnerungen<br />
beim Stöbern die schwarzweißrote Fahne des Kaiserreiches, die „Reichskriegsflagge” aus eben derselben Zeit<br />
und eine schwarzrotgoldene Fahne gefunden, die mir recht gut gefielen.<br />
Nachbarn machten meine Eltern auf den illegalen Flaggenschmuck aufmerksam. Vor allem die schwarzrotgoldene<br />
Fahne war ja den Nazis ein „rotes Tuch”. Entsetzt entfernten Vater und Mutter den gefährlichen<br />
Schmuck und machten mir klar, dass dies alles streng verboten und sehr gefährlich sei. Jedenfalls schafften sie<br />
die „Corpora delicti” so gründlich beiseite, dass all mein Suchen vergeblich blieb. Fortan war unsere Etage nur<br />
mit einer kleinen Hakenkreuzfahne beflaggt, und das auch nur, wenn es nicht zu umgehen war.<br />
Manchmal war unser Wohnzimmer voll von Leuten, die Geld brachten. Dann wurden Karteikästen mit<br />
grünen Karteikarten herbei geholt. Mit Stempel und Namenszeichen wurden Kästchen auf diesen Karten<br />
ausgefüllt. Ich wurde dabei möglichst zum Spielen auf die Straße geschickt, weil „nicht genug Platz in der<br />
Wohnung” war. Viel später erfuhr ich, dass da freiwillige Helfer mit Vater die Mitgliedsbeiträge der „Bekennenden<br />
Gemeinde” abrechneten. Auch Schwester und Bruder wurden als unverdächtige „Teenager” zum<br />
„Inkasso” eingesetzt.<br />
Wie er Geld und Karteikarten dem Zugriff der GeStaPo entzog, die uns immer wieder mal aufsuchte, weiß<br />
ich nicht. <strong>Die</strong> ganze Angelegenheit war immer von einem Hauch von Gefahr und Geheimniskrämerei umwittert.<br />
Manchmal kam auch Frau Winterberg zu uns, die Frau des „Bekenntnispfarrers” in <strong>Koblenz</strong>. Dann dauerte<br />
es lang, bis Vater schweigsam und bleich vom Verhör durch die GeStaPo im Vogelsang heimkam. Instinktiv<br />
fühlte ich eine unnennbare Gefahr. Heute weiß ich, was da drohte.<br />
Eine Zeit lang ging ich in den evangelischen Kindergarten am Gemeindesaal im Altlöhrtor. Leiterin war<br />
eine Kaiserswerther Diakonisse, Schwester Maria mit den roten Haaren, die wir „Tante Maria” nannten. <strong>Die</strong><br />
Wände des Kindergartens waren wie die von Schulklassen mit Ölfarbe gestrichen. Sonst habe ich keine<br />
Erinnerung daran.<br />
Dafür waren die Feste im Gemeindesaal am Altlöhrtor immer ein aufregendes Ereignis: „Missionsfest”,<br />
„Gustav-Adolf-Werk” und andere Dinge brachten mancherlei Aktivitäten mit sich. Später erfuhr ich, dass<br />
Pfarrer Winterberg besondere Gäste auch besonders begrüßte, u.a. auch betont den Vertreter der „Geheimen<br />
Staatspolizei”. Das fand der Betreffende gar nicht gut, aber die Gemeinde war im Bilde und verhielt sich<br />
entsprechend.<br />
Einmal durfte ich sogar bei einem „lebenden Bild” mitwirken. Das war so aufregend und faszinierend, dass<br />
ich tatsächlich einige Minuten freiwillig unbeweglich an einem bestimmten Platz verharrte, bis sich der<br />
Vorhang wieder schloss.<br />
Früh schon ging ich zum Kindergottesdienst. Auch dort war das Stillsitzen und brav die Hände falten nicht<br />
mein Ding. Einmal, es war wohl nach Weihnachten, war ich so begeistert bei der Sache, dass ich mehrmals<br />
meine Mütze hoch in die Luft warf. Pfarrer Winterberg fand das nicht ganz so gut. Er nahm sie kurzerhand an<br />
sich und gab sie mir erst nach dem Schlusslied „Unsern Ausgang segne Gott” wieder zurück.<br />
Meine Geschwister schauten mich bitterböse an und haben mich hinterher ganz schön fertig gemacht.<br />
Unsanft stürzte ich auf Grund dieses „Schlusssegens” aus den Himmeln meiner Begeisterung auf den Boden<br />
der Tatsachen. Eine zusätzliche Bestrafung zu Hause blieb mir freilich erspart. Hatten die Geschwister dicht<br />
gehalten?<br />
Ganz selten blieb es uns nicht erspart, dass ich in den „großen Gottesdienst” in der Christuskirche mitgehen<br />
musste. Da saß ich nun zwischen Mutter und den Geschwistern und langweilte mich vor allem bei der Predigt<br />
furchtbar. Auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung entdeckte ich die beweglichen Haken an der<br />
Rückenlehne der Kirchenbank. Sie waren für Hüte und Handtaschen bestimmt. Einige waren ausgesprochen<br />
„musikalisch”: sie quietschten so schön, wenn ich sie hin und her bewegte.<br />
Woher sollte ich denn wissen, dass dieses Quietschen den Prediger irritieren könnte? Aus der Familie<br />
wusste ich doch, dass ein Pfarrer alles kann, warum nicht auch das Quietschen ertragen? Meine Lieben waren<br />
nun aber offensichtlich anderer Meinung, und die anderen Gottesdienstbesucher auch. Böse Blicke gab’s!!<br />
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