-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte
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Erinnerungen<br />
Etwas seltsam war mir mit meinen jungen vierzehn Jahren dann doch schon zu Mute, als sie mich als<br />
Kindergottesdiensthelfer in <strong>Die</strong>nst stellte. Aber warum nicht! Nach anfänglichem Lampenfieber machte mir die<br />
Arbeit Freude. Als Nächstes fragte sie mich einmal nach einer Kindergottesdienstvorbereitung unter vier Augen:<br />
„Du gehst doch auf die Höhere Schule. Willst du Abitur machen?“<br />
„Hm ja, eigentlich ja!“<br />
„Weißt du denn schon, was du werden willst?“<br />
„Nöö, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht!“<br />
„Du weißt doch jetzt, worum es geht. Willst du da nicht Pfarrer werden und das Evangelium weitersagen?“<br />
„Wie iiiich????“ Ich war völlig perplex!<br />
Nun ja, zu Hause erzählte ich von dem Gespräch. Gleich wurde die Sache konkret. Vater meinte:<br />
„Da musst du aber das Latinum und das Graecum haben, und Letzteres kannst du nicht bei den ‚Reälern<<br />
machen!“<br />
Hoppla, das war ja eine ganz neue Perspektive! Aber noch mehr lernen??!!<br />
Ein paar Tage später: Der Flur vor unserem Klassenraum war durch einen Bombentreffer „wegrasiert“.<br />
Darum mussten wir „Reäler” durch die „humanistische“ Parallelklasse hindurch gehen. Nun kam aber einmal<br />
unser Fachlehrer nicht. So herrschte bei uns „Hochstimmung“. Da riss Studienrat Pannhausen, der Klassenlehrer<br />
der g-Klasse (Humanisten), die Tür auf und verpasste uns wegen der Störung seines Unterrichts einen heftigen<br />
„Anpfiff“. Es half nichts: wir mussten unsere Sachen zusammenpacken und nach nebenan zu den „Humanisten”<br />
kommen. Sie hatten Lateinunterricht. Natürlich waren sie uns weit voraus, da sie schon in der Sexta damit<br />
angefangen hatten.<br />
Dementsprechend gaben wir uns ohne weiteres Interesse der verlangten „stillen Beschäftigung“ hin. Ich<br />
begann mit meinen Hausaufgaben. Immerhin hörte ich nebenbei zu, da wir ja nun auch die Anfangsgründe von<br />
Latein lernten. Als die Kameraden der Parallelklasse einmal nicht sofort mit der richtigen Antwort herauskamen,<br />
meldete ich mich, und hatte tatsächlich richtige Antwort parat.<br />
<strong>Die</strong> Reaktion von Studienrat Pannhausen erschreckte und verblüffte mich.<br />
„Stüber“, rief er laut, „was hast du bei den ‚Reälern zu suchen? Dein Vater, dein Onkel und dein Bruder,<br />
waren bei den ‚Humanisten’! Warum nicht auch du?“<br />
Ich mochte nicht sagen, dass 1943 der „Familienrat“ (einschließlich Bruder Fritz) meine Fähigkeit bezweifelte,<br />
den humanistischen Zweig unserer Schule zu besuchen. Zudem verrieten die Blicke der anderen<br />
„Reäler“, dass sie mich für einen „Streber” hielten. Das war im höchsten Maße ehrenrührig.<br />
Beim Mittagessen zu Hause erzählte ich beiläufig von diesem Vorfall. Vater meinte:<br />
„Wenn du Pfarrer werden willst, dann hättest du schon beim Abitur dein Graecum!“ Ähnlich muss sich<br />
vorher schon Pfarrer Rott geäußert haben. Jedenfalls wurde mir jetzt die Pistole auf die Brust gesetzt:<br />
„Willst du nun Pfarrer werden, oder ist das nur eine Schnapsidee?“<br />
Ich brummelte eine halbe Bejahung vor mich hin, und schon fielen die Würfel: im Handumdrehen fand ich<br />
mich im vorderen Klassenraum wieder. Pannhausen fragte nur: „Na, bist du jetzt vernünftig geworden?“<br />
Zunächst kam ich mir aber sehr unvernünftig vor: von Griechisch hatte ich überhaupt keine Ahnung, und<br />
meine richtige Antwort im Lateinunterricht war schlicht ein Zufallstreffer. Studienrat Pannhausen empfahl mir<br />
einen alten pensionierten Lehrer in <strong>Koblenz</strong>-Horchheim für den nötigen Nachhilfeunterricht. So pilgerte ich<br />
zusätzlich zu den normalen Hausaufgaben fast jeden Nachmittag nach Horchheim.<br />
Entweder ging ich über die Pfaffendorfer Behelfsbrücke und fuhr dann mit der rechtsrheinischen Straßenbahn<br />
nach Horchheim, Oder ich fuhr mit der wieder in Betrieb genommenen Straßenbahn vom Clemensplatz zum<br />
„Schützenhof“ und marschierte dann auf dem Bahndamm und über die Horchheimer Behelfsbrücke, die außer<br />
einem Streckenwärterpfad (nur zwei Bretter breit) keinen Fußgängerweg hatte. Zwischen den Schwellen und<br />
rechts und links konnte ich auf „Vater Rhein“ schauen, zu dem es „zig“ Meter in die Tiefe ging.<br />
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