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-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte

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Erinnerungen<br />

anstelle von Passfotos auf die Registrierscheine drücken. Ich wurde in der Schule angemeldet und kam als einer<br />

der letzten „Heimkehrer” wieder in meine angestammte Jahrgangsstufe.<br />

Danach kam für mich erst einmal das „bittere Ende”: Immer mehr Eiterpickel bildeten sich in meinem<br />

Mund. Sie schmerzten und machten mir das Essen fast unmöglich. <strong>Die</strong> Zähne wackelten und drohten auszufallen.<br />

Hohes Fieber kam dazu. Nun war ich also am Ende meiner Kräfte. Der Arzt diagnostizierte Skorbut, eine<br />

Mangelkrankheit, von der ich nur im Zusammenhang mit alten „Windjammer-Geschichten” gelesen hatte. Sie<br />

war natürlich „ernährungsbedingt”. Irgendwie besorgte Pfarrer Winterberg für mich eine der kostbaren und für<br />

Deutsche kaum erhältlichen Penicillinspritzen. Mein Hinterteil tat mir zwar anschließend furchtbar weh, aber<br />

das neue Zaubermittel half fast über Nacht.<br />

Uns wurde ein Teil unserer alten <strong>Die</strong>nstwohnung zugewiesen. In den vorderen Räumen waren vorläufig<br />

noch einige <strong>Die</strong>nststellen des zerstörten Hauptpostamtes untergebracht. Es war also eng.<br />

In der Schule wurde wie damals üblich die Sprache unserer Besatzungsmacht unterrichtet: Französisch!<br />

Natürlich hatte ich davon zunächst keinen blassen Schimmer. Aber unser Französischlehrer gab mir kostenlos<br />

ein paar Nachhilfestunden, damit ich nicht eine Klasse zurückgestuft werden musste. Welch ein Glück hatte ich<br />

doch! Übrigens fand ich nur wenige der „alten” Lehrer vor. Stattdessen hatte man „unverdächtige”, uralte<br />

Pensionäre rekrutiert, die keine PG’s gewesen waren.<br />

Ich ging auch zum Konfirmandenunterricht im Haus „Mainzerstraße 81", dem Gebäude des ehemaligen<br />

Konsistoriums der Rheinischen Kirche. Oben wohnten die Pfarrersleute und andere kirchliche Mitarbeiter.<br />

1<br />

Unten waren provisorische Büro- und Unterrichtsräume. De facto hatte ich am KU mehr als ein halbes Jahr<br />

verloren. Doch unter den gegebenen Verhältnissen war das uninteressant. Hauptsache, ich nahm an Unterricht<br />

und Gottesdienst teil. Es war wie in der Schule, in der es zunächst noch keine Lehrpläne (und Schulbücher)<br />

gab.<br />

Der Gottesdienst fand stets in der Kapelle des „<strong>Evangelische</strong>n Stifts St. Martin” statt und war gut besucht.<br />

Manchmal saßen die Leute noch draußen im Gang auf eilig herbei geschafften Stühlen. <strong>Die</strong> „dicke Luft” in der<br />

Kapelle machte vor allem dem Chor beim Singen Probleme. Auch „Bibelstunden” wurden dort gehalten.<br />

Apropos Chor: seit Mutters Entlassung aus dem Krankenhaus 1946 sang die ganze Familie Stüber unter<br />

KMD Edith Schormann mit, Vater im Bass, Mutter, Gustel und ich im Sopran. Mein erster „Auftritt” fand bei<br />

der von Pfr. Winterberg gehaltenen ersten Konfirmation nach dem Krieg 1946 in St. Kastor statt. Der Weihrauchduft<br />

darin machte mir allerdings - wie für den Rest meines Lebens - wegen des Asthmas sehr zu schaffen.<br />

Wir sangen vierstimmig den Choral „Der Herr ist mein getreuer Hirt ...” (EG 274) und - wenn ich mich<br />

recht erinnere - von Heinrich Schütz die Motette „Herr, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden<br />

werden ...”.<br />

[ Im Frühsommer 1946 bekamen wir die Nachricht, dass Mutters Tante fast 89-jährig auf dem Transport von<br />

Thüringen nach <strong>Koblenz</strong> im Kloster Maria Veen bei Dorsten (Westfalen) gestorben sei. Man hatte sie noch auf<br />

einer Tragbahre über die Zonengrenze geschafft, aber dann kam im Westfälischen das Ende. Mutter und ich<br />

fuhren zur Beerdigung dorthin, wieder mit Übernachtung im Kölner Dombunker. Unser Reiseproviant war eine<br />

große Papiertüte voll Pellkartoffeln, die aber in der Hitze sauer wurden. <strong>Die</strong> Ordensfrauen in Maria Veen<br />

schenkten mir eine Scheibe Weißbrot mit Butter. Solch ein weißes Brot hatte ich noch nie gesehen! Übrigens<br />

dauerte auch die Heimfahrt zwei Tage. ]<br />

<strong>Die</strong> Mitgliedschaft im Chor machte sich für mich im KU bezahlt: viele Lieder, die wir lernen mussten,<br />

konnte ich schon durch die Chorproben fast auswendig. <strong>Die</strong>se fanden zunächst auch in der Stiftskapelle statt.<br />

Wir mussten uns allerdings wegen der Patienten so leise wie möglich verhalten.<br />

Als uns, den Stübers, in der Poststraße wieder die gesamte <strong>Die</strong>nstwohnung in der Poststraße zur Verfügung<br />

stand, wurden die Chorproben in unser Wohnzimmer verlegt, später (nach 1952?) in den Kirchsaal Christuskir-<br />

1)<br />

KU = Kirchlicher Unterricht für Katechumenen und Konfirmanden.<br />

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