-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte
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Erinnerungen<br />
insgeheim in anderen „Hermann-Göring-Werken” gearbeitet werde und die „alles Bisherige in den Schatten”<br />
stellen würde.<br />
Im August 1942 fielen nachts Bomben auf Neuendorf und Wallersheim. Für Schaulustige waren die Gebiete<br />
abgesperrt, auch um Plünderungen zu vermeiden. In den Wehrmachtsberichten wurde von „Terrorangriffen der<br />
anglo-amerikanischen Luftgangster auf die wehrlose Zivilbevölkerung” gesprochen. Darüber waren wir sehr<br />
erbost, hatte doch unsere Luftwaffe immer nur „militärische Ziele” angegriffen. Wir wussten ja nicht, dass der<br />
Luftangriff der „Legion Condor” auf das spanische Guernika und die Angriffe der Luftwaffe auf Rotterdam<br />
(1940), London und Coventry ebensolche Terrorangriffe waren! Hätte man es uns gesagt, wir hätten es nicht<br />
glauben wollen. Denn: „Deutsche tun so etwas nicht!” Nach dem Krieg erfuhren wir dann, wozu Deutsche<br />
leider fähig waren.<br />
Eins vergesse ich nicht: in unserer Klasse war ein Zigeunerjunge mit lockigem, schwarzem Haar. Meist<br />
verzogen wir uns alle in der großen Pause zu dem Geländer oberhalb der Rheinwerft, an dem der „Kastorhof”,<br />
unser Schulhof, neben dem Kastordom endete. Dort schauten wir bis zum Läuten der Schulglocke den Schiffen<br />
zu. Eines Morgens schaute sich der Zigeunerjunge vorsichtig um. Aber kein Lehrer war in der Nähe. Eilig<br />
erzählte er uns: „Irgendwann komme ich nicht mehr in die Schule. Wenn das passiert, hat man uns nachts<br />
abgeholt. Dann werden wir umgesiedelt und kommen nie wieder!”<br />
Da war wieder das Wort: „abgeholt”. Es ließ uns vor Schreck erstarren und verschloss unsere Lippen. Und<br />
in der Tat: eines Morgens war er nicht mehr da, der von uns geschätzte Zigeunerjunge. Am Geländer flüsterten<br />
wir uns schreckensbleich zu: „Jetzt hat man die abgeholt!” Wohin und Wozu, und wo waren auch die Juden?<br />
Ich fragte meine Eltern. Sie konnten mir nichts Genaues sagen. „Umgesiedelt in den Osten”? „Konzertlager”?<br />
Im Frühjahr 1943 wurde der Wechsel zur „Höheren Schule” fällig. <strong>Die</strong> Frage war: humanistisches oder<br />
Realgymnasium? Dem (humanistischen) „Kaiserin-Augusta-Gymnasium”, das schon Vater und Onkel besucht<br />
hatten, war ein „Realprogymnasium” angegliedert. Das „Familienrat” meinte, ich sei für den humanistischen<br />
Zweig der Schule nicht geeignet. Trotz Prüfungsangst bestand ich die „Aufnahmeprüfung” und kam zu den<br />
„Reälern”. Dennoch war ich stolz, ein „Augustaner” zu sein, wie Vater, Onkel und Bruder.<br />
Mit zehn Jahren musste ich auch zum „Deutschen Jungvolk”. Wir wurden in einem Klassenraum der<br />
Kastorschule „erfasst”. Ich schlug vor meinen künftigen Führern so zackig mit „Deutschem Gruß” die Hacken<br />
zusammen, dass ich beinahe hingefallen wäre. Alles lachte, und ich schämte mich in Grund und Boden. Ich<br />
wollte doch alles richtig machen!<br />
Stolz trug ich mittwochs und samstags am Nachmittag meine „Kluft” (Uniform). Sie war noch nicht<br />
vollständig: der Schulterriemen durfte noch nicht getragen werden, ebenso wenig ein „HJ-Schiffchen”. Man<br />
brachte uns das Antreten („In Linie zu drei Gliedern angetreten, marsch-marsch!”) und das Marschieren im<br />
Gleichschritt bei. Nebenher marschierte ein „Jungzugführer” mit grüner Schnur als <strong>Die</strong>nstgradabzeichen, oder<br />
auch nur ein „Jungenschaftsführer” mit rotweißer Schnur, und kommandierte: „Links, zwo, drei vier! Seitenrichtung!<br />
Vordermann!”.<br />
Zur Uniform gehörte neben dem Braunhemd eine schwarze Manchesterkniehose mit Koppel. Auf dem<br />
Koppelschloss stand rund um das HJ-Abzeichen „Blut und Ehre” („Blut- und Leberwurst” machten wir bald<br />
daraus). Am linken Hemdsärmel trugen wir über der weißen „S-Rune” auf rundem, rotem Grund das schwarze<br />
„Gebietsdreieck” mit der Aufschrift „West - Moselland”. Ein schwarzes „Dreieckstuch” kam unter den<br />
Hemdkragen und wurde vor dem Hals durch eingeflochtenen Lederknoten gezogen. Durch das rechte Schulterstück<br />
wurde der schwarze, lederne Schulterriemen gezogen und am Koppel an Schlaufen mit Ösen eingehakt.<br />
Am braunen „Schiffchen” war ein HJ-Abzeichen angenäht, ein rotweißer Rhombus mit schwarzem Hakenkreuz<br />
in der <strong>Mitte</strong>. <strong>Die</strong>ses Abzeichen gab es auch als Anstecknadel für den Jackenkragen bzw. für die schwarze<br />
Skimütze mit festem Mützenschirm.<br />
Nach der „Grundausbildung” sollten wir „verpflichtet” werden. Erst danach durften wir, wie die Soldaten,<br />
die vollständige Uniform tragen. Eines Tages im Frühsommer wurde ich als guter Läufer und Weitspringer mit<br />
anderen dazu ausersehen, unser Fähnlein beim „Bannsportfest” an einem Sonntag im Stadion Oberwerth zu<br />
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