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-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte

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Erinnerungen<br />

„Ein Streiter enthält sich aller Dinge ...!”<br />

Pfarrer Thomas nahm die Pfeife aus dem Mund und meinte trocken:<br />

„Ein Streiter muss auch nicht unbedingt Mercedes fahren!”<br />

Der Gemeinschaftsbruder soll daraufhin zornig mit hochrotem Kopf die Jugendbaracke verlassen haben. Wir<br />

beide haben später herzhaft und verständnisinnig darüber gelacht. Für Pharisäertum hatten wir nichts übrig.<br />

In dieser Zeit wurde ich weiter in die Jugendarbeit eingebunden. Ich hielt meine erste „Bibelarbeit” über<br />

Markus 2, die „Heilung des Gichtbrüchigen”. Auch im Kindergottesdienst wurde ich stärker eingespannt, soweit<br />

dies mit meiner „Schullaufbahn” zu vereinbaren war.<br />

Unvergesslich sind mir die Treffen unseres Jugendkreises in der Stiftskapelle mit „Ebbo”, einem jungen<br />

Mann etwa <strong>Mitte</strong> der dreißig. Er war durch eine Krankheit völlig gelähmt und blind. Am Ende wurde er auch<br />

noch taub. Aus Amerika wurde ihm ein fast schuhkartongroßes „Hörgerät” gestiftet. Seine Fröhlichkeit, sein Mut<br />

und sein Gottvertrauen trotz aller Not waren unfassbar. Er strahlte jedesmal, wenn wir zu ihm kamen und ihn<br />

mühsam an der Bibelarbeit zu beteiligten. Unsere Pfarrer sagten oft: „Wenn wir den Ebbo trösten wollten,<br />

wurden wir von ihm getröstet.”<br />

Ich hatte damals einige Probleme. Da Vater mir kein Taschengeld gab, musste ich zusehen, wie ich an Geld<br />

für Kino oder Wanderungen mit Brigitte kam, wenn nicht Mutter oder Gustel heimlich aushalfen. Zunächst<br />

betätigte ich mich bei der „Frühjahrs- und Herbstmesse” auf dem Clemensplatz als Kassierer auf den Karussells.<br />

Immerhin brachte der „Job” ein paar Mark.<br />

Irgendwie ergab es sich später, dass ich gelegentlich beim Stadttheater schräg gegenüber von uns für ein paar<br />

Mark als „Statist” mitwirken konnte. Bei Auftritten nach der „großen Pause” gab es mehr Geld als vorher. Aber<br />

dieses Glück hatte ich nur selten.<br />

Ich erinnere mich an die „Meistersinger” von Richard Wagner. Wir mimten auf der Festwiese die „Stadtpfeifer”.<br />

Wenn sich dann im Wettstreit der „Meistersinger” für uns im Hintergrund der Bühne eine „Pause”<br />

ergab, tauschten wir Hausaufgaben aus. Wie erschraken wir, als plötzlich der Intendant geduckt hinter uns<br />

erschien und uns leise, aber gewaltig zusammenstauchte. Fortan folgten wir den Meistergesängen aufmerksamer.<br />

In der Verdi-Oper „Don Carlos” war ich Mitglied der Leibgarde des spanischen Königs Philipp. Mit<br />

gespreizten Beinen und schräg gehaltener Hellebarde beschützten wir auf einer „Stadtmauer” den spanischen<br />

Monarchen, während er einer Ketzerverbrennung („Autodafé”) zuschaute.<br />

Bei einer Vorstellung gab es unter uns einen lauten Knall. Anschließend stank es gewaltig nach Ammoniak.<br />

Ein Glasballon voller Salpetersäure, mit der per Pressluft der Qualm der „Scheiterhaufen” erzeugt wurde, war<br />

geplatzt. Aufregung hinter den Kulissen. Der anwesende Feuerwehrmann ging am „eisernen Vorhang” mit<br />

seinem Schlauch in Stellung.<br />

Tapfer und eilig brachten die Sänger den Akt zu Ende. Als sich der Vorhang schloss und der „eiserne<br />

Vorhang” herab gelassen worden war, verließen wir hustend ganz schnell den Schauplatz.. Nach der gründlichen<br />

Reinigung der Bühne wurde die Vorstellung fortgesetzt: „The Show must go on!” <strong>Die</strong>se Maxime und Einblicke<br />

in das „Theaterleben” waren interessant und zugleich prägend. Wenn mir später in meinem <strong>Die</strong>nst als Pfarrer<br />

etwas zustieß oder auch „quer” ging, hielt ich mich an die am Theater gelernte eiserne Regel. „Es muss weitergehen!”<br />

Nur eine schwere Erkrankung ließ mich das dienstliche „Handtuch”werfen, und auch das nicht immer.<br />

Zwischendurch gab es auch andere besondere Erlebnisse. Der „Jugendring der Stadt <strong>Koblenz</strong>” entwickelte<br />

eine Reihe von Aktivitäten. Dazu benannten die angeschlossenen Jugendorganisationen, katholische und<br />

evangelische Jugend, die SPD-Jugend „<strong>Die</strong> Falken” und andere ihre Vertreter, die mitwirken sollten. So war ich<br />

einmal „Ordner” beim ersten „Seifenkistenrennen” auf der Hunsrückhöhenstraße, von der Zufahrt zum Forsthaus<br />

Remstecken an bis hinunter zur Karthause. Damals gab es dort noch keinen Verkehrsknoten.<br />

Weniger angenehm war eine andere Aktivität: <strong>Koblenz</strong> war für die Franzosen offenbar eine Anwerbezentrale<br />

für die Fremdenlegion. <strong>Die</strong> deutschen Behörden konnten das nicht verhindern. <strong>Die</strong> Franzosen aber durften keine<br />

unter Achtzehnjährigen in ihre „Légion Étrangère” aufnehmen. Sie taten es dennoch. Vielleicht hatte sich auch<br />

mancher abenteuerlustige Knabe älter gemacht, als er wirklich war.<br />

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