-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte
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Erinnerungen<br />
ersetzt waren, wurde es leichter. Und ich lernte, je fünfzig Stück der jeweiligen Münzen sauber zu rollen. Ein<br />
wenig ist von dieser ganzen Pedanterie in Gelddingen bis heute auf mich über gegangen.<br />
Unvergesslich blieb mir der Tag, an dem die Glocken der Christuskirche zum ersten Mal nach Kriegsende<br />
wieder läuteten. Leider weiß ich nicht mehr das Jahr. War es 1950 oder 1951? Man hatte den oben noch offenen<br />
Turm (ohne Turmhelm) mit einer Betonplatte verschlossen, den im gekachelten Boden des Vorraums steckenden<br />
Klöppel der größten Glocke und die anderen Klöppel wieder befestigt. Vorher wurden die Stahlglocken getestet,<br />
ob sie ausgeglüht und darum unbrauchbar waren. Sie waren brauchbar, und das Geläut wurde auch gleich<br />
elektrifiziert.<br />
1<br />
Als „Glöckner von St. Florin” hatte ich darum gebeten, diese Glocken als Erster einschalten zu dürfen. Das<br />
wurde mir großzügig zugestanden. So eilte ich im Dunkeln nach der Christvesper (?) von St. Florin über den<br />
„Plan” und durch die Ruinen der Viktoriastraße zur Christuskirche.<br />
Einen Mordsschrecken bekam ich, als mich ein nordafrikanischer französischer Soldat in die Trümmer zerren<br />
wollte. Ich schrie lauthals auf Französisch um Hilfe. Prompt eilte eine Streife der „Police Militaire” von der<br />
Schlossstraße herbei. Der Nordafrikaner verschwand ohne mich in der Trümmerwüste. Zitternd und glücklich<br />
zugleich durfte ich dann unter Anleitung das Geläut der Christuskirche in Gang setzen.<br />
Bei uns wurde der Französischunterricht nun auch von französischen Lehrerinnen und Lehrern erteilt, die sich<br />
konsequent weigerten, auf deutsche Fragen deutsch zu antworten. Sie sagten einfach: „Expliquez ça en<br />
2 français!” Da ich mich sehr in die französische Sprache „hineingekniet” und -gehört hatte, konnten viele nicht<br />
unterscheiden, ob da ein französischer oder ein deutscher Junge mit französischen Schimpfworten um sich warf.<br />
Das hatte für mich damals ungeahnte, tiefgreifende Folgen. Meine Schwester Gustel hatte mit einigen anderen<br />
über Achtzehnjährigen am 18. Mai 1947 den „Gemischten Kreis” gegründet. Wir nannten ihn scherzhaft<br />
„Eheanbahnungsinstitut”. Teilweise war er das auch! (Auch für mich!)<br />
Irgendwann im Herbst 1950 kamen sie und ich von der Christuskirche. Am Stadttheater kam uns Brigitte<br />
Hahn aus Pfaffendorf von St. Florin her entgegen. Sie war gerade achtzehn Jahre alt geworden und damit „reif”<br />
für den „Gemischten Kreis”. Gustel wollte sie anzuwerben. Brigitte lehnte energisch ab, da der Weg abends über<br />
die Pfaffendorfer Brücke wegen der Marokkaner in den Pfaffendorfer Kasernen für sie zu gefährlich sei.<br />
3<br />
Meine Schwester ließ diesen Einwand nicht gelten und bot mich als „Geleitschutz” für den Heimweg nach<br />
Pfaffendorf an, obwohl ich noch nicht das „kanonische Alter” von achtzehn Jahren erreicht hatte. Brigitte<br />
stimmte notgedrungen zu, und ich war stinksauer. Schließlich kannten wir uns gegenseitig aus der Jugendarbeit<br />
und den Chor und fanden uns gegenseitig herzlich unsympathisch. Wie man sich irren kann!<br />
Im Schuljahr 1949/50 wurde die Versetzung vom Herbsttermin auf den Ostertermin zurückverlegt. Erfolg:<br />
Wir waren nur vom Herbst 1949 bis Ostern 1950 Obersekundaner (heute 11. Jahrgangsstufe). Durch den Krieg<br />
fehlte uns schon so viel Schulzeit. Nun kam noch fast ein halbes Jahr dazu. Nun wurde unser Realprogymnasium<br />
aufgelöst. <strong>Die</strong> „Reäler” mussten auf das neusprachliche oder naturwissenschaftliche Gymnasium wechseln.<br />
Einige von ihnen kamen zwei Jahre nach mir auch zu den „Humanisten”. Sie hatten es noch schwerer als ich.<br />
Heftig diskutierten wir die im August 1950 aufkommenden Bemühungen der Regierung Adenauer um die<br />
Aufstellung von „Verteidigungstruppen” im Rahmen einer EVG („Europäischen Verteidigungsgemeinschaft”).<br />
<strong>Die</strong> überwiegende Mehrheit unter uns war strikt gegen einen (west-) deutschen „Verteidigungsbeitrag”. Wir<br />
sagten fast alle:<br />
„Soll der Adenauer doch selbst Soldat spielen, aber ohne mich!”<br />
4<br />
Andererseits hatte uns politisch Interessierten der Koreakrieg (1950 bis zum Waffenstillstand von Panmunjom<br />
1953) sehr zu denken gegeben. Korea war vom 1905 japanisches „Protektorat”, wurde 1910 dem japanischen<br />
Kaiserreich als „Generalgouvernement” einverleibt und 1929 japanische Provinz. <strong>Die</strong> Koreaner<br />
1) Ich hatte immer die einzige Glocke geläutet und mir eines Tages spontan von Pfarrer Gerlach des Läuten zum Vaterunser genehmigen lassen.<br />
2) „Erklären sie ihre Frage auf französisch!”<br />
3) In Wirklichkeit waren es wohl Algerier, aber die konnten wir ohnehin nicht von Marokkanern unterscheiden.<br />
4) Konrad Adenauer war nach eigenem Bekunden „stolz darauf, niemals Soldat gewesen zu sein.”<br />
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