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-1- I. Die Vorkriegszeit - Evangelische Kirchengemeinde Koblenz-Mitte

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Erinnerungen<br />

Mein Bruder klärte mich schließlich darüber auf, mit welchen Schwierigkeiten ihn die Eltern mit Hilfe des<br />

Generals in der Moltkestraße aus der „Führergefolgschaft” der HJ heraus und in die Flieger-HJ zurückgeholt<br />

hatten. Einer seiner Kameraden hätte, als er zur SS angeworben werden sollte, dies mit den Worten abgelehnt:<br />

„Nää, bei die ‚Metzger’ geh’ ich nicht!” Zur Strafe sei er mit Koppeln fast tot geprügelt worden. Das kühlte<br />

mein Mütchen doch sehr ab. Ein solches Schicksal und eine solche Wahl wollte ich nicht riskieren. Überhaupt<br />

beherrschte die ständige Furcht vor dem Regime unausgesprochen unser Familienleben. Das Schreckenswort<br />

„Abgeholt werden”!<br />

Meine Begeisterung für das Marschieren und Exerzieren legte sich auch allmählich. Wenn ich die Mauer<br />

der geplanten und nicht vollendeten „Adolf-Hitler-Schule” auf dem Asterstein sah, musste ich zwar an die mir<br />

entgangene „Laufbahn” denken. Andererseits hörte man aber wenig Gutes über harten Umgangsstil in diesen<br />

„Schulen”. Gesundheitlich wäre ich ohnehin nicht „tauglich“ gewesen. Eins aber war gewiss: für diese<br />

Eliteschüler war der Weg in die SS vorgezeichnet. Das aber wollte ich nicht. Und dann spielte auch der<br />

Gedanke an die Burg Stahleck eine nicht geringe Rolle.<br />

Der HJ-Führung war der Kirchenbesuch von „Pimpfen”, „Jungmädels”, HJ-Jungen und BDM-Mädels1 natürlich ein Dorn im Auge. So wurde sonntags zur Gottesdienstzeit „<strong>Die</strong>nst” angesetzt. Der Befehl wurde mit<br />

der Drohung „garniert”, bei Nichterscheinen würden uns die Lebensmittalkarten entzogen. Kommentar meiner<br />

Eltern: „Ja, du hast am Sonntag <strong>Die</strong>nst, Kindergottesdienst! Und mit Gottes Hilfe kriegen wir dich auch ohne<br />

Lebensmittelkarten durch! Wehe Dir, wenn du in Uniform vor der Christuskirche erscheinst!” Meine Familie<br />

hätte das sofort gesehen, da sich der Kindergottesdienst unmittelbar an den „großen” (Haupt-) Gottesdienst<br />

anschloss.<br />

Ein einziges Mal bin ich dann doch zum „Sonntagsdienst” losgezogen. Es war irgendeine Festivität des<br />

„Großbanns <strong>Koblenz</strong>”. Was habe ich mich gelangweilt! Markige Sprüche wurden abgelassen, und die Mädels<br />

2<br />

von „Glaube und Schönheit” führten Volkstänze und Keulenschwingen auf. Das war nichts für mich! Es war<br />

viel öder als der Kindergottedienst!<br />

Ein Datum kann ich nie vergessen: den ersten Großangriff auf <strong>Koblenz</strong> am 22. April 1944. [ Bereits am 19.<br />

April war ein Bombenteppich in der Nähe des Güterbahnhofs Moselweiß heruntergekommen. Von den<br />

neugierigen Beobachtern der Bomberüberflüge sind viele tot geblieben. Wieder „pilgerten” wir dorthin, um die<br />

Trümmer zu sehen, „Katastrophentourismus”! Teilweise stieg noch Rauch auf. Das Ganze geschah, während<br />

der Drahtfunk „Rückflüge im Raum <strong>Koblenz</strong>” meldete. Wer dachte schon daran, dass zurückfliegende<br />

Verbände unsere Stadt anzugreifen könnten! ]<br />

Es war ein Samstag. Mittags hatten wir „Antreten” am Ehrenhof im Südflügel des Schlosses. Der neue<br />

Pimpfenjahrgang (1934) aus dem gesamten „Großbann <strong>Koblenz</strong>” sollte durch den Oberbannführer verpflichtet<br />

werden. Ich durfte als einer der Größten unter den Kleinen das Banner unseres Fähnleins halten. Was war ich<br />

da stolz! Warum das nicht an der „Thingstätte” auf dem Vorplatz des Schlosses stattfand, weiß ich nicht.<br />

3<br />

<strong>Die</strong> Reden unserer Führer waren wohl das Übliche. Gegen 15:30 Uhr stiegen die „Sperrballons” - bereit für<br />

einen „Alarmstart” - auf etwa 50m Höhe auf, ein sicheres Zeichen für den bevorstehenden Luftalarm. Schnell<br />

wurde die Feier mit Absingen der „Lieder der Nation” beendet. Der geschlossene Marsch zum Kastorhof<br />

entfiel. Das letzte Kommando war: „Wegtreten! Macht, dass ihr auf dem schnellsten Weg nach Hause kommt!”<br />

Schon in der Neustadt sah ich die Sperrballons im „Freilauf“ nach oben schießen. Sie wurden schnell immer<br />

kleiner. Kurz darauf kam „Voralarm” und schließlich „Vollalarm”. Ich war mit „Tedda” allein zu Hause. <strong>Die</strong><br />

Eltern und Gustel waren mit Mutters Schwägerin aus Stuttgart (im Stadtwald?) spazieren. Gustel rief an, ich<br />

solle mit „Tedda” in den Luftschutzkeller gehen.<br />

1) BDM: „Bund Deutscher Mädels”.<br />

2)<br />

Sonderaktion des BDM.<br />

3)<br />

Fesselballons, die rund um die Rhein- und Moselbrücken aufgestellt waren. Sie sollten den Anflug feindlicher Flieger behindern, die bei Kollision mit den<br />

Halteseilen schwer beschädigt werden und abstürzen konnten. Auch die Engländer schützten kriegswichtige Ziele mit Ballonsperren.<br />

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