Ausgabe 2/2012 - Kreisseniorenrat Enzkreis - Stadt Pforzheim eV
Ausgabe 2/2012 - Kreisseniorenrat Enzkreis - Stadt Pforzheim eV
Ausgabe 2/2012 - Kreisseniorenrat Enzkreis - Stadt Pforzheim eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Gegenfrage<br />
Antwort doch auch die Worte in<br />
den Mund legen können, „Und du,<br />
was hältst du von der Wissenschaft?“<br />
Solch eine Wendung hätte<br />
durchaus in das Zeitalter der Aufklärung<br />
gepasst, dem der Dichter<br />
im ausgehenden 18. Jahrhundert<br />
angehörte und in dem das hohe<br />
Lied das wissenschaftlichen Rationalität<br />
nicht nur vorsichtig angestimmt,<br />
sondern auch gerne und<br />
laut gesungen wurde.<br />
Der Schöpfer von Faust unternimmt<br />
in dem dazugehörigen Drama dafür<br />
etwas anderes. Er lässt seinen<br />
Helden dem umschwärmten Gretchen<br />
nahebringen und klarmachen,<br />
dass es neben Gott etwas anderes<br />
von Bedeutung gibt, nämlich all<br />
das, was sich in dieser Welt zeigt<br />
und eine besondere Qualität aufweist,<br />
wie er erläutert. Denn was<br />
es – im Himmel und auf der Erde –<br />
gibt, drängt von sich aus massiv zu<br />
ihr hin, und zwar so, dass es<br />
„Haupt und Herzen“ von Gretchen<br />
zugleich erfasst und ihre Person wie<br />
ein Gewebe umfängt, das dabei eine<br />
Eigentümlichkeit an den Tag legt,<br />
nämlich „in ewigem Geheimnis unsichtbar<br />
sichtbar“ neben ihr zu sein,<br />
wo es dann sogar weiter „webt“.<br />
Mit anderen und eher trockenen<br />
Worten: Faust empfiehlt Gretchen,<br />
sich erst von ihrem sinnlichen<br />
Wahrnehmen des rätselhaft bleibenden<br />
Gewebes namens Wirklichkeit<br />
seelisch erfüllen zu lassen<br />
und dabei auf die Beeinflussung<br />
ihrer Gefühle zu achten, um sich<br />
schließlich danach voller Neugierde<br />
zu fragen, wie sie das<br />
nennt, was sie bei diesem Vorgang<br />
des Erkennens erfährt und erlebt:<br />
„Glück! Herz! Liebe! Gott!“ – so<br />
lauten die vier zum Teil sicher unkonventionellen<br />
und vielleicht ungewohnten<br />
Vorschläge von Goethes<br />
Helden, der anschließend –<br />
hoffentlich zu seiner Überraschung<br />
– von Gretchen zu hören bekommt:<br />
„Ungefähr sagt das der Pfarrer<br />
auch, nur mit ein bisschen anderen<br />
Worten“.<br />
An dieser Stelle lacht das Publikum<br />
gewöhnlich, vor allem mit dem<br />
Blick auf den Teufel Mephisto, der<br />
sich in der Nähe der Verliebten<br />
herumtreibt und nun grollt. Doch<br />
es lohnt sich, Goethes Witz ernst<br />
zu nehmen, weshalb hier versucht<br />
wird, in den einfachen Worten eines<br />
Sachbuchautors zwei zentra-<br />
le Punkte des eben skizzierten poetischen<br />
Dialogs darzustellen, die<br />
im Verlauf des Buches verfolgt werden<br />
sollen.<br />
Da ist zum einen die An und Einsicht<br />
von Faust, dass das sich uns<br />
aufdrängende Gewebe der Dinge<br />
um uns ein „ewiges Geheimnis“<br />
bleiben wird, und zwar trotz aller<br />
Fortschritte, die wir nicht zuletzt<br />
den Großen der Wissenschaft verdanken,<br />
die im Text vorgestellt werden.<br />
Und wenn es um diese offenen<br />
Geheimnisse und ihre Vorstellung<br />
geht, dann – dies zum zweiten<br />
– klingt selbst der Faust wie ein<br />
Pfarrer, auch wenn sich der Gelehrte<br />
längst der Magie ergeben<br />
und mit dem Teufel verbündet hat.<br />
Kurzum: Der Frage nach Gott entkommt<br />
man im deutschen oder europäischen<br />
Sprachraum nicht,<br />
auch wenn sich bei vielen Großen<br />
des Wissens in ihrem Inneren nicht<br />
unbedingt das Gefühl naiver Religiosität<br />
regt, wenn der Name des<br />
Größten fällt. Auch sie glauben,<br />
bevor sie wissen. Die spannende<br />
Frage lautet, was Menschen glauben,<br />
nachdem sie sicher sind, etwas<br />
zu wissen, und dabei sogar<br />
staunen.<br />
Die Antwort wird jeder für sich zu<br />
finden haben.<br />
Abb. links:<br />
Gemälde von<br />
James Tissot<br />
»Faust and<br />
Marguerite in the<br />
Garden«,<br />
um 1861, Öl auf<br />
Leinwand,<br />
Musée d'Orsay,<br />
Foto wikipedia<br />
Ein weiteres interessantes Buch<br />
von Ernst Peter Fischer:<br />
»Niels Bohr – Physiker und<br />
Philosoph des Atomzeitalters«,<br />
gebundenes Buch,<br />
272 Seiten, 13,5 x 21,5 cm,<br />
mit Abbildungen,<br />
ISBN: 978-3-88680-996-7<br />
€ 22,99 Verlag: Siedler<br />
Kurzbeschreibung<br />
siehe Seite 60.<br />
5