daß sich über kurz o<strong>der</strong> lang diese mo<strong>der</strong>ne Analytik vonselbst erschöpft und ihr Wert immer geringer geachtet wird.Noch ist es zwar bei <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Ärzte noch nicht soweit, aber eine solche Entwicklung bahnt sich an, bei unssowohl wie in den angelsächsischen Län<strong>der</strong>n. Wenn diejüngeren Ärzte in <strong>der</strong> Klinik sehen, daß auch die älterenmit diesen vielen Daten meistens nichts Rechtes anzufangenwissen, so wird auch ihr Interesse daran bald nachlassen.Dazu kommt ein weiteres: die neuen Diagnostik-Zentrenentstehen vielfach weit von Praxis und Klinik entfernt undführen ihr Eigenleben. Sie arbeiten oft billiger als dieDiagnostischen Institute in dem Krankenhaus o<strong>der</strong> dasPraxislabor. Aber mit <strong>der</strong> Entfernung wachsen die Schwierigkeiten,und die Effektivität sinkt. Es fehlt <strong>der</strong> enge Kontaktzum behandelnden Arzt, <strong>der</strong> für die Auswertung <strong>der</strong>Befunde ausschlaggebend ist und bleibt.Ein neuer Begriff ist bereits entstanden. Man spricht voneiner administrativen Computer-Diktatur. Damit ist bereitsalles gesagt, was sich hier an Problematik eröffnet. Die Verwaltungsstellendes Staates und <strong>der</strong> Gemeinden glaubenin <strong>der</strong> Schaffung und För<strong>der</strong>ung solcher DiagnostischerInstitute mit möglichst kompletter technischer Ausstattungetwas ganz Großes und Mo<strong>der</strong>nes zu schaffen, und siesind zudem erfreut über manche finanzielle Einsparungen.Jedoch sehen sie nicht, daß dies alles auf Kosten <strong>der</strong> Krankengeht, die damit immer mehr zum bloßen Objekt einerwissenschaftlichen Perfektion werden. Daher ist es an <strong>der</strong>Zeit, auf den recht begrenzten Wert solcher Institutionenhinzuweisen und vor einer weiteren Ausdehnung diesesPrinzips zu warnen. Noch immer steht <strong>der</strong> Kranke mit allenseinen körperlichen und seelischen Leiden im Mittelpunktunserer Fürsorge, und das wird und muß auch trotz allertechnischen Möglichkeiten so bleiben.R. F. Weißw. Zimmermann Naturheilverfahren in <strong>der</strong> KlinikZu den Diskussionen über Wert und Kritik <strong>der</strong> Naturheilverfahrendürfen wir Ihnen heute einen Beitrag aus einerKlinik für Naturheifverfahren bringen. Dabei werden <strong>der</strong>Standpunkt und die Erfahrung dieser Klinik vertreten, dieauf eine Geschichte von mehr als 100 Jahren zurückblicktund seit 6 Jahren in einem Großklinikum Münchens einenBeitrag zur naturnahen Therapie leistet.Die Fragestellungen, die sich mit einer Aufgabe in einemsolchen Krankenhaus verbinden, sind mehrfacher Natur.Sind wir mit unseren therapeutischen Bemühungen nochzeitgerecht o<strong>der</strong> betreiben wir einen Rest <strong>der</strong> romantischenMedizin? — Dürfen wir in <strong>der</strong> Naturheilklinik von einer echtenAlternative sprechen, die wir einer wissenschaftlichorientierten Medizin entgegensetzen können? Sind die Aufgabenechte klinische o<strong>der</strong> verweisen sie in vorklinischerespektive nachklinische Behandlungen? Gibt es eine naturgemäßeMethode in <strong>der</strong> Klinik ohne Selektion des Krankengutes?Schließlich setzen wir für unsere Behandlung einDenkkonzept ein, mit dem wir uns von an<strong>der</strong>en Behandlungenunterscheiden.Die Medizin präsentiert sich heute einer informationshungrigenÖffentlichkeit mit meß- und wägbaren, technischbrillanten Einblicken in die Geheimnisse des Menschen undseiner Krankheiten und atmet dabei reinste wissenschaftlicheLuft. Diagnose war immer schon <strong>der</strong> repräsentativewissenschaftliche Aspekt unserer Medizin, Therapie dagegenErfahrung im einzelnen, nicht selten auch industrielleMacht. Die Verkehrung von Diagnose und Therapie istkeineswegs eine geschichtliche Tatsache, denn in ihrerGeschichte war die Medizin eine therapeutische Wissenschaft.Dies galt für die Volksmedizin als früheste Heilbestrebungund läßt sich seit Hippokrates bis in das sogenanntenaturwissenschaftliche Zeitalter des 19. Jahrhun<strong>der</strong>tsverfolgen. Mit Virchow beginnt eine wissenschaftlicheEpoche in <strong>der</strong> Medizin. In seiner berühmten Redevom 3. Mai 1845 sagt er: „Leben ist nur Ausdruck für eineSumme von Erscheinungen, <strong>der</strong>en jede einzelne nach dengewöhnlichen physikalischen und chemischen Gesetzenvonstatten geht." Damit wurde auch die Existenz einerautokratischen Lebens- und Naturheilkraft geleugnet. Diegegensinnige vitalistische Auffassung, in <strong>der</strong> zielgerichteteLebensabläufe angenommen und eine Ganzheitsbezogenheit<strong>der</strong> Organe postuliert wurde, hat eine Gegenströmungin <strong>der</strong> Medizin geschaffen, die zudem noch empirische Impulsevon Laienbehandlern wie Priessnitz, Rickli, Schroth,Kneipp u. a. empfing. Der von <strong>der</strong> Erfahrung gezeigte Wegwar für viele eine therapeutische Zuflucht, denn in <strong>der</strong>Medizin wechselten allzu rasch die Denkkategorien bis zueinem gewissen therapeutischen Nihilismus. „Die Würde<strong>der</strong> Heilkunde sei im Heilen zu sehen" und ein an<strong>der</strong>esSchlagwort „wer heilt hat Recht" war das Motto <strong>der</strong> Außenseitergeworden.Es verwun<strong>der</strong>t uns nicht, wenn wir heute wie<strong>der</strong> den Rufnach einer Theorie <strong>der</strong> Therapeutik aus dem Munde einerempirisch und zugleich analytisch eingestellten Anthropologiehören. Die anthropologische Medizin tritt nachSchipperges bewußt in einen Gegensatz zu einer sich objektivgebenden Medizin als Naturwissenschaft. Der Patientist nicht Objekt des Arztes — wie es Binswanger formulierte— son<strong>der</strong>n steht auf <strong>der</strong> Ebene gemeinsamer Existenzund wird nie den Kranken zum Objekt erniedrigen.Anthropologie im universalen Sinne ist die Integration <strong>der</strong>somatischen Medizin, einer medizinischen Psychologie und<strong>der</strong> Phänomenologie und damit Schlüssel zu einer personalenHeilkunde, wie sie früher in dem Begriff einer Ganzheitsmedizinerahnt, aber auch mißbraucht wurde.So darf die Frage nach Effizienz und Existenz <strong>der</strong> Naturheilverfahrenkeine historische mehr sein, sie ist keineFrage <strong>der</strong> kategorischen Alternative, aber auch keine Frage<strong>der</strong> Integration einer Naturheilkunde in die wissenschaftlicheMedizin, wie sie Brauchte gefor<strong>der</strong>t hat. Sie ist zunächstschlicht die Frage eines therapeutischen Engagements.Keine Therapie ohne vorherige Diagnostik. Die Schwerpunktekönnen aber einseitig verlagert sein. Ein Krankenhausfür NHV ist ein Behandlungszentrum und muß deshalbfrei sein von diagnostischen Aufgaben, die jenseitsdes üblichen Maßes einer internen Fachklinik liegen. Soist die räumliche Zuordnung an ein potentes Klinikum einewichtige Voraussetzung für eine Klinik, die sich <strong>der</strong> Therapieverschrieben hat. Dies gilt für konsiliarische, fachtechnische,asozialmedizinische und wirtschaftliche Hilfen,über die bekanntlich nur Häuser einer Größenordnung vonmehr als 500 Betten verfügen. Wir glauben, daß wir für einesolche Lösung in München ein Beispiel liefern können.H. Ritter hat in seiner Studie <strong>der</strong> praktizierten Heilverfahreneine erstaunliche Zahl von Ärzten erfassen können, die sowohlHomöopathie als auch breite Erfahrungsmedizin imPhys. Med. u. Reh. Heft 8, 1974
Sinne <strong>der</strong> NHV anwenden. Solche Tatsachen beeindruckenoffenbar unsere autoritäre Medizin recht wenig, wenn wirdies an <strong>der</strong> Diskussion um ein neues Arzneimittelgesetzmessen. Tut man denn dem Drittel <strong>der</strong> Bevölkerung undihren Behandlern einen Gefallen, die bislang von biologischenHeilmitteln zufriedenstellend behandelt wurdeno<strong>der</strong> etwa einer pharmazeutischen Großindustrie? Dasgleiche gilt für eine gesunde Ernährung, die durch Produktionszwangverdrängt wird, für die Fragen des Rauchensund Trinkens, was nur so lange bekämpft wird, als dieSteuerpolitik des Staates nicht gefährdet werden kann. Diehier erfolgte Interessenkollision bleibt ohne Protest. DieGruppen von Vereinigungen, die sich leidenschaftlich einsetzenund argumentieren, sind offensichtlich wahlpolitischnicht relevant. So sind die letzten Reservate, die mahnenund anklagen, die naturheilerischen Min<strong>der</strong>heiten in unserernach Gesundheitsrezepten gierigen Gesellschaft. Aber —wie Sie wissen — es darf nicht weh tun und keineswegsden Genuß ver<strong>der</strong>ben.Dürfen wir nach diesem Ausflug in ungelöste Probleme, dieam Rande auch die Klinik betreffen, an die Tradition <strong>der</strong>klinischen Naturmedizin im Sinne von L. Straßburg anknüpfen?— Aus dem Berliner Krankenhaus erörtert er aus<strong>der</strong> klassischen Zeit <strong>der</strong> NHV die Problematik in <strong>der</strong> Klinik.Er sah, wie auch seine Vorgänger, eine Doppelaufgabe, diein <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Krankheit und <strong>der</strong> Belehrung undUnterweisung bestand. Diese Aufgabe entsprach ganz undgar einer Diäthetik des Hippokrates. Aus <strong>der</strong> inneren undweiteren Umgebung des Patienten wurde eine Basistherapiekonzipiert, dabei zuerst die Ernährung eingestellt im Hinblickauf eine Umstimmung <strong>der</strong> Verdauung und des Stoffwechsels.Die Haut spielt bei dieser Basistherapie einebeson<strong>der</strong>e Rolle, denn sie ist Reizvermittler und muß alssolche auch weitgehend wie<strong>der</strong> aufnahmefähig gemachtwerden. Die Atmung und die Ordnung des Kreislaufs imSinne einer periodischen Hydrotherapie sollte das Systemdes Unspezifischen ansprechen. Methoden nach Aschner,Hunecke, Phytho- und Psychotherapie gehörten bereits zudem Rüstzeug des Naturarztes, <strong>der</strong> für seine Klinik einweitgehend selektiertes Krankengut for<strong>der</strong>te.Die Entwicklung unserer Gesellschaft hat nun — ohne eszu wollen — auch hier eine Wandlung gebracht. Die Gedanken<strong>der</strong> NHV wurden in Ermangelung an<strong>der</strong>er Alternativenzum Gegengewicht <strong>der</strong> zivilisationsbedingten Auswüchsewie Mangel an Bewegung und Training, Auswüchse<strong>der</strong> Ernährung mit einem unaufhaltsamen Trend zumÜbergewicht, zur Verweichlichung in wohltemperiertenRäumen und zur Immunschwäche auf Grund großzügigergehandhabter antibiotischer Behandlungen. So kam es zueiner Präventiv- und Rehabilitationsmedizin, <strong>der</strong>en Therapieschatzaus dem Repertoire <strong>der</strong> klassischen Naturheilverfahrenstammt. Wenn wir bei <strong>der</strong> Präventivmaßnahmeeine vorklinische, bei <strong>der</strong> Rehabilitation eine nachklinischeBehandlungsart sehen, so verweisen diese Aufgaben ineine Sozialmedizin. Wie es Baier kürzlich ausdrückte, wirdbei diesen Maßnahmen ein naturwüchsiges Allgemeinverhaltenin ein sozialbezogenes und sozialbewußtes umgeformt.Diese Daseinsi/or- und -iürsorge steht heute neben<strong>der</strong> Krankem/ersorgung ais curative Medizin unter zunehmendstaatlichen Direktiven. Die curative Medizin — aus<strong>der</strong> Klinik naturgemäßer Heilverfahren entwickelt — gerietzunehmend in die Hände sozialmedizinischer Institutionen.Vorsorge ist mehr Diagnostik, für sie hat man auch technischeZentren erdacht, die eine zentral geleitete Untersuchungnach laborchemischen Parametern ermöglicht.Nachsorge dagegen ist Therapie, in beliebter Form amKollektiv. Kollektive Therapie hat, wie wir am Beispiel <strong>der</strong>Ernährungsbetreuung sehen, Erfolge, solange das Kollektivbeeinflußbar ist. Zerfällt es in Individuen, so müßte <strong>der</strong>Appell an Logik und Vernunft erneut beginnen.Erst wenn eine individuell abgestimmte Aufklärung undFührung stattfindet, ist mit einem Erfolg auf lange Sicht zurechnen. Das gleiche hat Gültigkeit für die Suchtgefährdung,grundsätzlich auch für eine Neuordnung <strong>der</strong> Lebensgewohnheiten,aus dem Krankhaftes entstanden ist. Zusammengefaßtheißt dies, daß wir in <strong>der</strong> Klinik entgegen<strong>der</strong> traditionellen Maßnahmen einer Gruppenberatung dieNotwendigkeit <strong>der</strong> Einzelführung in Bezug auf einenTherapieerfolg als nahezu unumgänglich erkannt haben,obwohl wir einsehen, daß in unserer heutigen Gesellschaft<strong>der</strong> Wunsch zum Kollektiv hin tendiert.Liegt <strong>der</strong> Akzent <strong>der</strong> NHV vorwiegend auf <strong>der</strong> Umstimmungmittels chemischer, mechanischer o<strong>der</strong> thermischer Reizeunter dem Überbegriff des Ordnens und Übens, so sehenwir auch heute Aufgaben in einer Pharmakotherapie pflanzlicherHerkunft, wenn wir von <strong>der</strong> reinen Homöopathie,auf die wir in unserer Klinik nicht verzichten wollen, absehen.Die Homöotherapie nach dem Simileprinzip individualisierendsetzt für die Klinik eine große Erfahrung undpersonalen Einsatz voraus.Kürzlich wurde ein Bericht aus dem sowjetischen Pflanzenforschungsinstitutveröffentlicht, wonach ein Drittel <strong>der</strong> in<strong>der</strong> Sowjetunion verwendeten Medikamente phytotherapeutischenUrsprungs sind. Der sowjetische Arzt verfügt demnachüber eine Auswahl von rund 200 Pflanzenpräparaten,<strong>der</strong>en Wirkunsspektrum von antibiotikaähnlichen Effektenbis zu Hormonpräparaten reicht. Von mehr als 100 Expeditionenwurden bis heute dort 6000 Pflanzen analysiert, 300wertvolle Substanzen isoliert. Dies in einem Lande, vondem wir wissen, daß die Medizin an <strong>der</strong> Spitze des wissenschaftlichenFortschritts steht. Unsere Phytotherapie betrafbis vor wenigen Jahren den in Vergessenheit geratenenKräuterschatz unserer Vorfahren. Erst den privaten Initiativenvon Dr. Schwabe war es zu verdanken, daß wir ausexotischen Län<strong>der</strong>n eine Vielzahl von erfolgversprechendenPflanzenstoffen erproben konnten, von denen etwa einDutzend klinisch verwertbar waren. Es sei an Haronga,Harpagophytum, Flor de Piedra, Tebonin aus Gingko biloba,Aristolochia und an<strong>der</strong>e erinnert.Heute erwartet uns in <strong>der</strong> Klinik für Naturheilweisen eineVielzahl schwerer Therapieprobleme, die aus <strong>der</strong> toxischenBelastung mit Arzneimitteln, aus erhöhter individuellerEmpfindlichkeit, aus bestehenden Organschädigungen durchArzneimittel und aus <strong>der</strong> Gefahr einer Sensibilisierungdurch chemische Arzneien erwachsen sind. Die Suche nachpflanzlichen und an<strong>der</strong>en therapeutischen Äquivalenten istoft ein erfolgreiches Unterfangen, das uns eine befriedigendeBestätigung bringt.Doch damit ergibt sich ein letzter wichtiger Punkt eineran<strong>der</strong>en therapeutischen Denkart. Alle Überempfindlichkeitsreaktionen,toxische Arzneikrisen und chronische Prozessesetzen ein an<strong>der</strong>s reagierendes Bindegewebe voraus. Diesean<strong>der</strong>e Reaktion kann auf frühere Erkrankungen o<strong>der</strong> aufkonstitutionelle Schwächen zurückgeführt werden. So ist zuverstehen, daß ein Lymphatiker nach relativ kurzer Zeit <strong>der</strong>„Pilleneinnahme" eine Gewichtsentzügelung erfährt, daß einejahrelange Oestrogentherapie im Klimakterium eine reaktiveHepatitis auslöst, daß gerade <strong>der</strong> Allergiker frühzeitigSkelettverän<strong>der</strong>ungen nach Cortisontherapie aufweist. Esgeht um die Betrachtung <strong>der</strong> Reaktionsweisen, konstitutionellerMin<strong>der</strong>wertigkeiten und Gewebsbereitschaften gegenübereiner Therapie. Bis heute vermissen wir in <strong>der</strong>Pharmakotherapie eine solche grundsätzliche Sichtung.Bei den Krankheitsabläufen chronischer Prozesse beobachtetman eine verstärkte lymphatische Reaktion. Dabeiist nach den Vorstellungen von Pfaundler, Chavalet undPhys. Med. u. Reh. Heft 8, 1974 179