A R G E N T I N I E N„Und, wiewar’s...?“Isabelle Haberkorn ist nach einem 15-monatigenFreiwilligeneinsatz aus Argentinien zurückgekehrt.Die 25-jährige Physiotherapeutinhat als JesuitMission Volunteer (JMV) in einemZentrum für behinderte Kinder gearbeitetund erzählt hier von ihren Erfahrungen.Schön, dass du wieder da bist... Und, wiewar’s...? Tja, das ist eine gute Frage, die mir– seitdem ich vor kurzem nach 15 MonatenFreiwilligendienst in Argentinien zurückgekommenbin – nun schon unzählige Male gestelltwor<strong>den</strong> ist. Was soll man daraufhin antworten?!„Schön war’s.“ „Ja, eine gute Erfahrung.“„Hat mir wirklich viel gebracht.“Was habe ich dort gemacht, in einem Land,siebenmal so groß wie Deutschland, das vomeisigsten Gletscher bis zum sonnigsten Sandstrandalles zu bieten hat, in dem es mehr alsdoppelt so viele Rinder wie Menschen gibt,dessen Spanisch so ganz anders ist als das, wasman im Wahlpflichtkurs Spanisch in der Schulelernt... Ein Land, dessen bunt zusammengewürfelteBevölkerung sowohl aus Nachfahrender spanischen Eroberer und später der europäischenEinwanderer, als auch der indigenenUrbevölkerung besteht.Ein Land, dem es – oberflächlich gesehen– wirtschaftlich und auch politisch gut geht;das an Naturschätzen alles zu bieten hat, wasman sich wünschen kann und in dem es docheine unglaublich große Vielfalt an materiellerArmut gibt, an sozialem Ausgegrenztsein, imGrunde genommen an unglaublichen sozialenund politischen Ungerechtigkeiten.18 weltweit
A R G E N T I N I E NKindern auf die „Sprünge“ helfenIn die Nordwestspitze des Landes führte michmein Weg, dort habe ich 15 Monate lang <strong>mit</strong><strong>den</strong> Armen gelebt und gearbeitet. Als Physiotherapeutinhabe ich das 11-köpfige Team des„Centro San José“ verstärkt und <strong>mit</strong> behindertenKindern aus <strong>den</strong> Armutsvierteln der100 000-Einwohner-Stadt San Ramón de laNueva Orán gearbeitet. Es war meine Aufgabe,Kindern unterschiedlichen Alters <strong>mit</strong> <strong>den</strong>verschie<strong>den</strong>sten Behinderungen in der oftverzögerten körperlichen Entwicklung auf die„Sprünge“ zu helfen; sie an ihre verborgenenoder vergessenen Fähigkeiten glauben zu lassen;„Spiele“ für sie auszu<strong>den</strong>ken, deren therapeutischerInhalt auch die Bezeichnung „Arbeit“verdiente; und sie ihre Behinderung durch jedeMenge Spaß und viel Lachen ein Stück weit„vergessen“ zu lassen.Mauro kam gleichzeitig <strong>mit</strong> mir ins „CentroSan José“. Er war meine erste große Herausforderung.Laufen konnte er nicht, und bei jederArt von freiem Sitz verlor er das Gleichgewicht.Außerdem hatte er – natürlich ohne das jemalszuzugeben – kein wirkliches Vertrauen in seinekörperlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten.Nachdem ich gelernt hatte, <strong>mit</strong> seinem cleverenKöpfchen und vorlautem Mundwerk<strong>mit</strong>zuhalten, gewann ich sein vollstes Vertrauen.Ich brachte ihn tatsächlich dazu, das zutun, was mir wichtig erschien. Am Ende spielteer Sitzfußball <strong>mit</strong> mir und ging ohne meineHilfe in unserer „Paralela“ – das ist eine etwavier Meter lange Gehstrecke <strong>mit</strong> Balken rechtsund links zum Abstützen – ohne Angst undvoller Stolz.Iván, Mauro, Leonardo und CésarDa war Iván, 10 Jahre alt, Diagnose Cerebralparese<strong>mit</strong> Halbseitenlähmung. Anfangs wollteer mich glauben machen, dass er nicht in derLage sei, zu sprechen, auch war nicht im Entferntestendaran zu <strong>den</strong>ken, dass er freiwillig,geschweige <strong>den</strong>n entspannt, eine Behandlungvon mir akzeptieren würde. Nicht einmal anfassendurfte ich seinen spastischen Arm, gegen<strong>den</strong> er schon Autoaggressionen entwickelthatte. Aber bald war es so, dass er die Minutenauf meiner Armbanduhr zählte, bis er ander Reihe war. Dann ließ er mich meinen Teilder Arbeit tun, bis wir zu seinem Teil der Behandlungübergingen, dem „juego“, dem Spiel,meistens eine schweißtreibende Fußballpartie.Am Ende konnte er seinen Arm schon bessergebrauchen, er hängt nicht mehr nur als störendesAnhängsel an seinem Rumpf.Ein großer Erfolg: Mauro lernt laufen.Dann meine bei<strong>den</strong> „Sorgenkinder“: Leonardo,13, taub, krumme Füße, aber ein ganzpfiffiges Kerlchen, und sein Onkel César, 15,mehrkurvige Wirbelsäule, kaum einer willkürlichenBewegung fähig, außer einem ablehnen<strong>den</strong>Augenzwinkern und einem zustimmen<strong>den</strong>Lachen. Die bei<strong>den</strong> Jungs hatten bisher ihr Zuhauseso gut wie niemals verlassen. Jetzt kommensie drei Mal die Woche ins Zentrum undbringen das Team sowie auch alle anderen zumSchmunzeln und Nach<strong>den</strong>ken.weltweit 19