Urlaub ohne Grenzen! - Nansen & Piccard
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indem er sich hinten an den letzten Waggon klammerte. Nach mehreren Stunden verlor er den Halt,<br />
und ein Soldat, der den Sturz sah, gab eine Maschinengewehrsalve ab, damit der Lokomotivführer<br />
den Zug anhielt.<br />
Ich hoff te inständig, dass niemand mehr wusste, wer als Erster falschen Alarm geschlagen hatte.<br />
Aber davon war keine Rede mehr. Nachdem der Arzt von mir ein sauberes Hemd erhalten hatte, das er<br />
als Verband verwenden wollte, verließ er das Abteil, um nach seinem Patienten zu sehen. Die Mutter<br />
hatte sich mit säuerlicher Prüderie abgewandt und grub ihren Kamm wieder aus. Ihre Tochter und der<br />
Soldat aber folgten uns nach draußen, wo sich unter den Bäumen schon eine große Menschenmenge<br />
versammelt hatte, um den Unfall zu diskutieren.<br />
Zwei Soldaten trugen den Alten herbei. Mein Hemd wurde ihm um den Kopf gewickelt. Dann setzten<br />
sie ihn gegen einen Baum, und alle Frauen wollten ihm ihren Rosenkranz aufnötigen. Irgendjemand<br />
kam auch mit einer Flasche Wein, was ihm schon besser gefi el. Er wirkte irgendwie erleichtert und<br />
stöhnte reichlich. Kichernd versammelten sich die Kinder um ihn.<br />
Wir waren in einem kleinen Wald, in dem es nach Orangen roch. Ein Pfad führte auf eine schattige<br />
Anhöhe und gewährte einen Blick über die sonnenverbrannte Graslandschaft, die in der fl irrenden<br />
Hitze zu beben schien. Auch die sechs Schwestern genossen die Aussicht über das Tal und die bewaldeten<br />
Höhenzüge. Eskortiert von der gepfl egten Erscheinung ihres Vaters hatten sie sich mit ihren<br />
Parasols in die Natur gesetzt wie eine Ausfl ugsgesellschaft auf einer fête champêtre. Die Soldaten umkreisten<br />
sie unschlüssig und in einigem Abstand. Mehr trauten sie sich nicht, obwohl ein Mutiger<br />
an die Felskante trat und ins Tal hinab rief: »Yo te quiere mucho.« Ihm antwortete der Geisterton eines<br />
perfekten Echos, und die Schwestern schauten errötend noch tiefer in das Tal.<br />
Eine Wolke, düster wie ein Felsmassiv, war aufgezogen, und das Gras war unruhig wie die See vor<br />
einem Sturm. Jemand äußerte die Meinung, dass es bald regnen würde, doch gehen wollte niemand,<br />
weder der Verletzte, der mittlerweile bei seiner zweiten Flasche Wein angelangt war, noch die Kinder,<br />
die ebenfalls das Echo entdeckt hatten und lustig ins Tal hinabkrähten. Der Halt auf freier Strecke<br />
war wie eine Party, die niemand als Erster verlassen wollte. Der alte Mann mit dem Hemdturban um<br />
den Kopf wurde in ein Erste-Klasse-Abteil gesetzt, und mehrere eifrige Damen kümmerten sich um<br />
ihn.<br />
In unserem eigenen Abteil saß die angestaubte Mutter noch immer so, wie wir sie verlassen hatten.<br />
Sie hatte es abgelehnt, an den Lustbarkeiten teilzunehmen, und schenkte mir einen anhaltenden,<br />
glitzernd bösen Blick. »Bandidos«, empörte sie sich mit unnötiger Schärfe.<br />
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, aber so langsam, dass Schmetterlinge mühelos durchs<br />
Fenster hineinfl iegen konnten und wieder hinaus.<br />
Aus: Truman Capote, Die Hunde bellen, © Kein & Aber Verlag, Zürich 2007