echt & <strong>gesellschaft</strong>sich die Einrichtung der "rule of law",vor allem vor dem Hintergrund derjüngsten Erfahrungen der Sowjetunion,wie eine Quadratur des Kreisesausnimmt, modernes Recht eigentlicherstrebenswert ist oder als europäischerSonderweg ftir die Entwicklungin Vietnam verworfen werden sollte.7. Thin ClientsNatürlich kann diese Frage hier nichtbeantwortet werden. Aber man kann,wenn man den historischen und vergleichendenRahmen erweitert und dazunach Europa zurückkehrt, grob abschätzen,wie eine Antwort aussehenkönnte. Dazu soll wieder die Funktiondes Rechts, eben die Stabilisierungnormativer Erwartungen, oder "dieRealordnung", wie noch die klassischeRechtssoziologie formulierte 9 , im Zentrumder Überlegungen stehen undnicht die Rechtsnormen. Wie bekannt,ist diese (einzige) Funktion desRechts'O bereits dann erfiillt, wenn einedritte, "<strong>recht</strong>sprechende" Partei imStreit von zwei oder mehreren Parteien,Entscheidungen mit dem Hinweisauf Recht, und nicht zB. Gottes Willen,begründet. In der Form der Organisationdes "case law" der englischen Gerichteund (privaten) Berufsjuristenwird diese Figur bereits lange vor derAusdifferenzierung des Staats zum positivenRecht geschlossen - Recht istnur, was schon früher als Recht entschiedenwurde und außer diesem, sofestgestellten Recht gibt es kein Recht.Zur Herstellung positiven Rechts bedarfes also weder eines Staates nocheines staatlich gesicherten Gewalt- undDurchsetzungsmonopols.Vor diesem Hintergrund erscheintdie Rechtsordnung als der "thin dient"eines Kommunikationsnetzwerks"(das Rechtssystem), der lediglich mitGerichtsorganisation und juristischerBerufsorganisation bestückt ist. ImVergleich dazu nehmen sich die kontinentaleuropäischenRechtsordnungenals "fat dients" aus, die mit ihrem kodifiziertenGesetzes- und Staats<strong>recht</strong>und angeschlossenen Agenturen undDogmatikmaschinen einen massivenApparat bemühen, um den gleichen Effektzu erzielen. Im Grunde funktionierenbeide Konzeptionen einer Rechtsordnunggleich. Immer stehen das(weisungsunabhängige) Gericht unddie Rechtsprechung im Zentrum derRechtsordnung und unterscheiden sichdie Konzeptionen nur in der Mächtigkeitder angelagerten Peripherie. Immergeht es darum, Rechtsentscheidungenftir die Realordnung zu liefern.Deswegen mag sich angesichts desmassiven Transfers der europäischenRechtsnormen und Standards nach Ostenzumindest empfehlen, die zentraleWichtigkeit unabhängiger Gerichteund gut ausgebildeter, praktizierenderJuristen (Anwälte!) bzw. unabhängigerRechtshilfeorganisationen nicht ausden Augen zu verlieren. Schließlichbietet dieses Paradigma auch einemögliche Lösung ftir die "Quadraturdes Kreises" der paralysierten Rechtsordnungenin Ostasien an: eine entschlossenereFörderung der freienRechtsberufe, eine graduelle Ablösungder Gerichtsorganisation von der zentralstaatlichenWeisungsgebundenheitund die Auflösung bzw. Rückstufungder Prokuratura als "über<strong>recht</strong>licher"Kontrollbehörde könnten die unabhängigeund qualifizierte Rechtsprechungals Zentrum einer autonomen Rechtsordnungkonfigurieren, die sich dannselbst ausdifferenzieren wird. Mit einersolchen Konfiguration könnten dieseRechtsordnungen dann nicht nurden Abschwung von einer Stabilität derpersonal-informellen Ordnungen <strong>gesellschaft</strong>lich(zeitlich!) absichern unddemokratisch auf eine breitere Basisstellen, sondern, und erst dann, sichauch endlich in das Kommunikationsnetzwerkdes (globalen) Rechtssystemseinklinken und daran lokal maßgeschneiderteRechtsentscheidungenausrichten. Aufgrund der umrissenenbesonderen historischen Erfahrungenund besonderen <strong>gesellschaft</strong>lichen unddemographischen Bedingungen in Vietnamkann erwartet werden, dass einsolcher Entwicklungsprozess der "Professionalisierung"des Rechts dortmöglicherweise schneller als in Chinaund überzeugender als in Japan ablaufenkönnte. Aber selbst darin wäre keineÜbernahme fremden Rechts zu sehen,sondern nur die praktische Herstellungjenes spezifischen aber unteilbaren"Raumes der Freiheit, der Sicherheitund des Rechts" in Vietnam, wieihn die Gesellschaft in Europa alsSelbstverständlichkeit und die Gesellschaftin Osteuropa zurzeit mit Rechtauch ftir sich fordert.Dann also doch eine Sicherung ewigenSonnenscheins ftir Vietnam? Er wärediesem Volk nach so viel Leid vonHerzen zu wünschen.Klaus A. Ziegert ist Professor ander Faculty of Law der UniversityofSydney.t••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••9 Vgl. Theodor Geiger, Vorstudienzu einer Soziologie des Rechts, Aarhus'947, Neuwied '964.10 Vgl. Niklas Luhmann, Das Rechtder Gesellschaft, Frankfurt '993.11 Dieser Begriff ist der Informationstechnologieentlehnt, die damitdie jeweiligen Kapazitäten der Netzwerkrechner(Computer) identifiziert,aber der kommunikativenStruktur des Rechtssystems, wie wires hier beschreiben, durchaus angemessenist.Seite 132Verla~sterreich <strong>juridikum</strong> 3/01
Der Jurist als KomikerRechtzeitig vor Weihnachten vorigenjahres hat der Orac-Verlag ein weiteresProdukt jener Publikationsserie herausgebracht,die - in Abwandlung einesvielen zumindest aus ihrer Kindheitvertrauten Reihentitels - als "RudolfWelsers lustige Taschenbücher"bezeichnet werden könnte. 1Das ,Strickmuster' braucht nur kurzin Erinnerung gerufen zu werden: DerAutor (belassen wir es fürs Erste beidieser hier nicht wirklich zutreffendenBezeichnung) versammelt Rechtsquellenim weitesten Sinn, von denen - jedenfallsseiner Einschätzung nach - einekomische Wirkung ausgeht. Aus gutem,noch zu erörterndem Grund handeltes sich überwiegend um Entscheidungenvon Gerichten und Verwaltungsbehörden(S. 9-153). Sie werden(worauf ebenfalls zurückzukommensein wird) dem Metier gemäß dargeboten,das heißt: zunächst wird (in Fettdruck)eine leitsatzartige Auflistungder wichtigsten Stichworte gegeben,dann ein Quellenverweis angebrachtund schließlich der Inhalt näher ausgeführt.Ein kürzerer zweiter Teil(S. 157-201) besteht aus dem wörtlichenAbdruck von Auszügen aus Verordnungenund einem Gesetz (das -nicht minder bezeichnend - dem Gebietdes besonderen Verwaltungs<strong>recht</strong>szugehört), weiterhin aus "amtlichenSchreiben, Mitteilungen und Stellungnahmen"und schließlich aus verfahrensbezogenenTextsorten wieRechtsmitteln, Schriftsätzen und Sachverständigen-Gutachten.Abgerundetwird das Ganze durch Zeichnungen,die ihr Sujet aus jeweils einem der präsentiertenTexte beziehen. Ihr Urheber,der Karikaturist Ironimus, spieltals Gustav Peichl bekanntlich eine gewisseRolle in der österreichischen Gegenwartsarchitektur- und damit ist andem Unternehmen immerhin auch jemandbeteiligt, der einen durchausMarkus Grasslprominenten Platz in der österreichischenKultur- und Geistesgeschichtedes 20. jahrhunderts beanspruchendarf.Unbestreitbar dürfte der kommerzielleErfolg der Welser'schen Kompilatesein, auf den hinzuweisen sich der keineswegsbescheiden-zurückhaltendeKlappentext denn auch nicht entgehenlässt. Immerhin ist das vorliegendeBuch schon das sechste seiner Art, unddemjenigen, der da noch immer zweifelt,ist die konkrete Anschauung dergelegentlich einer juristischen Sponsionoder Promotion überreichten Geschenkartikelzu empfehlen. GewisseBedenken sind allerdings gegenübereiner im Klappentext aufgestellten Behauptungzu hegen, der zufolge WelsersBände auch "weit über juristenkreisehinaus gerne und immer wiedergelesen (werden)". StichprobenartigeVersuche im nicht-juristischen Bekanntenkreiszeigen, dass die Vorlage desBuches dort, wenn überhaupt, dann zueiner Belustigung führt, die von der Intentiondes Kompilators nicht umschlossensein dürfte. Fürs Erste bleibtalso davon auszugehen, dass der Rezipientenkreiswenn auch nicht ausschließlich,so doch sehr weitgehendauf juristen, und dabei wohl primär aufRechtspraktiker beschränkt ist.Eine nahe liegende, wenngleich etwasbillige Erklärung für die Resonanz,der sich Welsers Veröffentlichungenerfreuen, könnte auf eine Art symbolischeFunktion gehen. Dass Objekteauch der materiellen Kultur, zumalwenn sie als Gaben oder Geschenke daherkommen,die Aufgabe erfüllen, diewechselseitige Wahrnehmung und Einschätzungder sozialen Subjekte zusteuern, ist ja seit langem bekannt.2 Indiesem Sinn dürften sich die BücherWelsers - und vor allem ihr Geschenk-Gebrauch- aus dem Motiv herausverstehen, anzeigen zu wollen,dass das juristische Geschäft zu Un<strong>recht</strong>im Verdacht äußerster Nüchternheitund Prosaik steht; mehr noch: dassdie juristen entgegen ihrem Ruf, verknöcherteZeitgenossen zu sein, dieIdee des Menschlichen in einem seinerbesten Sinne verkörpern, insofern siedurchaus mit Humor begabte Wesenwären (dieser Anspruch wird für denKompilator im Klappentext ausdrücklicherhoben).Die Überlegung, ob das Buch diesenAnspruch auch wirklich einzulösen vermag,hat von einer seiner bemerkenswertestenEigenschaften auszugehen:der völligen Abwesenheit von Originalität.Selbst die minimalste Manifestationdes Komischen, die im Umlauf ist,nämlich der Witz, setzt die Fähigkeitvoraus, mit Sprache kreativ umzugehen3 bzw. eine (fiktionale) Situationsich ausdenken zu können. Sogar derVerfasser der als "Heiteres Bezirksgericht"bekannten Histörchen - um einBeispiel von auf Rechtliches gerichteterKomik zu geben - muss immerhin,wenngleich in €inem ganz beschränktenMaße, einen Plot entwickeln, mussein Personal erfinden, dieses in einenHandlungszusammenhang stellen usw.Nichts von alldem bei Weiser, dessenEigenleistung sich darauf beschränkt,im Fall von Einzelentscheidungen diesein eigenen Worten wiederzugeben,und der im Falle von generellen Normenoder von Schriftsätzen diese überhauptnur abzutippen braucht. SeineBücher unterhalten damit zum so genanntenRechtsleben bzw. den darinproduzierten Texten eine Beziehung,die als vollständig parasitär bezeichnetwerden kann. Außerdem tut Weiser in"Quatsch kann nicht protokolliert werden"und den Vorgängerpublikationenin gewisser Weise nichts wesentlichAnderes, als er sonst als jurist auch tut.So muss er in der einen wie der anderenRolle viele Rechtstexte sammeln,Urteile, Verordnungen und Gesetzestudieren.In der Tat spricht einiges für dieVermutung, dass beide Merkmale, dasParasitäre und das pseudo-professionelleVorgehen, typisch sind für dieVersuche von juristen, als Autoren imilI••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••1 RudolfWelser, "Quatsch wirdnicht protokolliert". Erlesenes ausder Welt der Federfuchser und Paragraphenreiter,Wien - MünchenZürich 2000.2 Noch immer grundlegend: MarcelMauss, Essai sur le don, Paris 1950;deutsch: Die Gabe, Frankfurt a. M.1990.3 Vgl. die eindrucksvolle Analyseder Technik des Witzes bei SigmundFreud, Der Witz und seine Beziehungzum Unbewussten (1905), in:Studienausgabe, Bd. 4, Frankfurta.M.1975·<strong>juridikum</strong> 3/01verla~sterreichSeite 133