themaKürzlich hatte ich einen Traum. Er handelte von der Universität.Nun, das ist an sich nichts Neues - ich träumehäufig von meiner Arbeit. Von Prüfungen, Vorträgen, Tagungen,der Arbeit an Manuskripten ... Aber dieser Traumwar anders. Ich befand mich in südlichen Gefilden, da erschienmir ein Geist, der mir anbot, drei Wünsche zu erfüllen.Während ich noch dabei war, über meine Wünsche nachzudenken,ging mein Radiowecker an. Da erinnerte ich mich:ich hatte zugesagt, etwas zu schreiben über die Herausforderungender Bildung, das jusstudium heute und morgen, dieReform der Universitäten. Na ja, dachte ich mir, versuchenwir es einmal mit drei bescheidenen Wünschen.Zur "Krise" der UniversitätenZu den Paradoxa (dh den Erstaunlichkeiten)der letzten jahre gehört der Verlaufder Diskussionen über Bildung/Ausbildungim Universitätsbereich. Aufder einen Seite erfreut sich das Themazunehmender Aufmerksamkeit der Medien(der letzte OECD-Bericht schafftees sogar auf die Headline der KronenZeitung), zugleich lassen die Stellungnahmeneinen eher diffusen Eindruckzurück, dessen kleinster gemeinsamerNenner in der Konstatierung eines "Reformbedarfes"besteht. Der Status quowird als unbefriedigend angesehen,über Ursachen des Übels und möglicheKuren besteht aber weit gehende Uneinigkeit.Ein seriöser Versuch einer Analyse unterbleibthäufig: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.Was als "Krise" der Universitäten beschrieben wird, dasumfasst ganz unterschiedliche Aspekte und unterschiedlicheEbenen. Zahlreich sind dabei die Widersprüche: Die einenbeklagen die statistisch festgestellte zu geringe Zahl vonAkademikerinnen, die anderen die schlechten Berufsaussichtenvon Absolventinnen von Massenstudien. Während aufder einen Seite die zulange Studiendauer kritisiert wird, findenviele Arbeitgeber, dass den Magistri und Doctores, dieihr Studium im Eilzugstempo hinter sich gebracht haben,häufig das nötige Gespür für "das Leben" und "die Praxis" abgehe.Über organisatorische Unzulänglichkeiten mag mansich einig sein, wer daran die Schuld trägt, darüber herrschtDissens: ist es für die einen die Unfähigkeit der Hohen Schulenzur Selbstverwaltung, geben die anderen dem Gesetzgeberund dem Ministerium die Schuld. Aus der Warte der Universitätslehrerlnnenklagt man über die mangelnde Autonomieder Universitäten, umgekehrt sehen andere gerade inder angeblich zu weit gehenden Freiheit der Universitätslehrerdas Grundübel. Während man im Zuge der "Studienverkürzung"im jus-Studium die nicht juristischen Fächer (Ökonomieund andere Sozialwissenschaften) eliminiert, beklagtman die mangelnde Wirtschaftskompetenz der juristinnenund fördert postgraduale Masters of Business Administration.Die Liste ließe sich noch bedeutend erweitern - entscheidendist, dass aufgrund divergenter Gruppeninteressen unddisparater Wertvorstellungen ganz Unterschiedliches unterdem Schlagwort "Krise" subsumiert wird: individuelles Versagen,strukturelle Gegebenheiten, außeruniversitäre Entwicklungen,Veränderungen im Bildungsideal. Der Versuch,diese verschiedenen Probleme jeweils im spezifischen enge-ren Kontext zu diskutieren und in der Diskussion herauszuarbeiten,inwieweit zB eine Organisationsreform der Universitätdaran überhaupt etwas ändern kann, wird jedoch tunlichstvermieden.Dieser Mangel an redlicher Problemanalyse beruht freilichnicht (oder nicht allein) auf mangelnder intellektuellerKompetenz der Akteure, sondern erfüllt für diese wichtigeFunktionen. Für die Medien etwa ist es leichter, einen Missstand(und damit einen medialen "Dauerbrenner") zu beschreiben,indem verschiedene, jeweils eingängliche Bildersuggestiv zusammengestellt werden: Negativdaten werdenso kumuliert, gleichsam Äpfel und Birnen addiert. Für Bildungspolitikermit Reformagenda, aber auch für "Sanie-Die Freiheit derUniversität undihre Fe i nd e oder: Drei Wünschean den Geistf'ranz Stefan Meisselrungsmanager" aus dem Lager der Universitätsverwalterstellt es wiederum eine Legitimation der eigenen Tätigkeitdar, das Objekt der Begierde als hilflos und reformbedürftigdarzustellen. (Erst wenn die Res publica in höchster Not ist,kommt es zum Senatus Consultum ultimum - nur bei Krankheit,braucht man einen Arzt usw.)Bescheiden, aber unrealistisch daher mein erster Wunsch:Redliche Problemanalyse im Detail statt pauschaler Diffamierung.Seite 148Von der Isierung des Rechts und des RechtsunterrichtsAls ich begann jus zu studieren, war alles noch ganz einfach.Man studierte Rechtswissenschaften, freute sich über die Tatsache,dass letztere im Plural gesetzt waren und damit vielfältigerund perspektivenreicher, als zunächst befürchtet.Man beklagte sich über dies und das, aber schaute getrostund zuversichtlich dem Tage der Sponsion entgegen. (Selbstverständlichbemühte man sich auch, da und dort über denZaun zu blicken oder gar eine Zeit lang ins Ausland zu gehen.)Fünfzehn jahre später scheint das schwieriger zu sein.Das Recht und die Rechtswissenschaft, sowie ihre Tochter,der Rechtsunterricht, haben einiges abbekommen. In rasantemTempo erlebten sie die "Europäisierung", die "Globalisierung",die "Privatisierung und Kommerzialisierung", die"Marketingisierung", sowie last not least die "Virtualisierung"als Herausforderungen. Alle diese Phänomene wurdenbereits vielfach beschrieben, sie können hier nur kurz angerissenwerden.Der EU-Beitritt Österreichs erforderte nicht nur eineVolksabstimmung und eine Verfassungsänderung, er verändertetatsächlich das tägliche Leben der juristinnen in diesemLand grundlegend. Zwar war auch schon davor ein relaverla~sterreich<strong>juridikum</strong> 3/01
-----------~~~eingEbiIQeteca.llsbildllng,~ausgebildete.·einbildtingtiv großes Interesse an Europa<strong>recht</strong> vorhanden, nun aberkonnte es sich kein Anwalt oder Richter mehr leisten, dieseszu ignorieren. Politische Schwergewichte (Stichwort: AusschreibungSt. Pölten) mussten ihre Lektion ebenso lernen,wie auch Erstsemestrige dem Begriff "Verordnung" eine weitereDimension abzugewinnen hatten. Langsam, aber dochtrat auch eine etwas größere Neugierde an Rechtsentwicklungenin anderen Ländern zutage. Der OGH öffnete sich zunehmenddem <strong>recht</strong>svergleichenden Argument (wobei diesmittlerweile bereits bedeutet, gelegentlich noch andereRechtsordnungen als bloß die deutsche mitzuberücksichtigen)und Anwaltskanzleien fanden Gefallen daran, in ihrenStellenangeboten ausdrücklich Juristinnen mit einem LL. M.zu suchen.Letzteres fUhrt uns schon zum nahe verwandten StichwortGlobalisierung. Die Übernahme zahlreicher österreichischerGesellschaften durch ausländisches Kapital einerseits,die Expansion in den "Neuen Osten" andererseits bliebennicht ohne Auswirkung auf die Praxis der <strong>recht</strong>sberatendenBerufe. Mergers and Acquisitions wurden zum Kernbereichvieler Wirtschaftsanwaltsfirmen. Der Ausdruck Law Firms istnatürlich mit Bedacht gewählt. In diesem Sektor des LawBusiness verschwand der Einzelne immer mehr hinter immergrößeren Organisationseinheiten, Einzelkämpfer wurdenrar: Teams von Spezialisten innerhalb immer größerer Partnerschaftenwurden da tätig, wobei die Größten ihrerseitsmit noch viel Größeren - Global Players - fusionierten. Mitder Sprache kam das Recht: sowohl was das Formelle (zB dieOrganisation der juristischen Arbeit) anbelangt, als auch wasdas Inhaltliche betrifft (zB die Rechtswahl) erwies sich dieGlobalisierung häufig als Amerikanisierung. Dementsprechendsuchte und holte man sich die juristischen Mitarbeiterinnennun am liebsten direkt vom Campus einer (natürlichmöglichst renommierten) Law School, admitted to the Bar inNew York (was bekanntlich nichts mit dem Drinking Age zutun hat).Money makes the World go around. Maastricht-Kriterienund der Siegeszug des Neo-Liberalismus fUhrten ebenfalls zugravierenden Veränderungen des juristischen Umfelds. Dieöffentliche Hand und die staatstragenden Verbände undKammern als wichtiger traditioneller Arbeitsmarkt derJus-Absolventlnnen fielen infolge von Aufnahmestopp undEinsparungsdruck zunehmend aus. Das Resultat davon war,dass in den "freien" Juristenberufen der Markt durch ein(zeitweiliges) Überangebot von Jung-Juristlnnen gekennzeichnetwar. Dies wiederum fUhrte zu schlechteren Berufsaussichten,schlechteren Gehältern und einem niedrigerenSelbstbewusstsein der Berufsanfängerinnen. Innerhalb kurzerZeit sprach sich das unter den Studierenden herum: Umeinen Job zu bekommen, genügt nicht nur das Diplom, manmuss vielmehr schnell studieren (wenn möglich ein Doppelstudiumin der Mindeststudienzeit), ohne LL. M. geht überhauptnichts usw. Dies wiederum übte Druck auf die Fakultätenaus: das Studium sollte kürzer dauern, der Stoff reduziertwerden, die Studierenden nur das lernen, was in ihrer BerufstätigkeitzB als Wirtschafts<strong>recht</strong>Ier unmittelbar verwertbarist usw. Der Zusammenhang von Recht und Ökonomie warnicht neu, der Alleingeltungsanspruch des Ökonomischenhingegen schon.Die Kommerzialisierung ("es muss sich alles rechnen","Profit ist das Wichtigste") ging in der Lebenspraxis auch derTheoretiker (zB hochkarätiger Rechtswissenschafter) mit derVerleugnung der Theorie (und somit einer Selbstverleugnungals Theoretiker) einher. Im mühsam erklommenenOlymp der Wissenschaft (" 10% Inspiration, 90% Transpiration",wie das einmal jemand ausgedrückt hat) reagierte manauf all das eher reflexhaft: man versicherte sich und einander,dass man grosso modo mehr Praktiker als Theoretikersei, fand in denen, die sich renitent zeigten, die willkommenenSündenböcke (die bekanntlich geopfert werden müssen)und bestätigte mit dem emphatischen Bekenntnis zur "Praxis"als neuem Paradigma, dass die eigene Tätigkeit als Theoretikereigentlich obsolet sei. (Die durchaus konsequenteFortschreibung dieses Gedankens besteht in der Tendenzdes neuen Dienst<strong>recht</strong>s an die Stelle des beamteten Universitätsprofessorsden Vertragsprofessor zu setzen: We hirethem, we fire them - wer zahlt, schafft an.)Zur Universität als Dienstleistungsbetrieb gehört eineweitere Anforderung an moderne Wissenschaft, die ich mitdem unschönen Ausdruck "Marketingisierung" bezeichnenmöchte. Um die eigene Forschungs- und Unterrichtsleistungam jeweiligen Markt (zB der Drittmittelforschung, der Forschungsförderung,sowie verschiedener Extrabenefizien desWissenschafterinnenlebens) entsprechend zu platzieren, genügtes längst nicht mehr, innerhalb der Scientific Communityzu überzeugen. Es erfordert - wie auch sonst am freienMarkt - Werbetechniken einzusetzen, die natürlich auf dasjeweilige Umfeld gemünzt sein müssen. "Heiße-Luft-Strategien"nennt man das etwa im Bereich .der Akquisition vonDrittmitteln. Waren früher Juristinnen mit der Dichotomievon Sein und Sollen beschäftigt, so geht es heute mehr umSein und Schein ersetzt. Marketing ist freilich nichts Böses:die Qualität eines Produktes soll entsprechend bekannt gemachtwerden und ohne Werbung verkaufen sich auch diebesten Sachen nicht. Dennoch ergibt sich die Gefahr, dass eszu erheblichen Fehlallokationen wissenschaftlicher Ressourcenkommt, zB wenn die ausgeklügelte Präsentation des Forschungsvorhabensmehr Raum einnimmt, als die dann erzieltenErgebnisse. Oder wenn die Selbstdarstellungsgabe imHörsaal zum alleinbestimmenden Kriterium der Beurteilungwird.Revolutionäres - man kann es ruhig so nennen - tat sichzur sei ben Zeit im Zuge der VirtualisierunglDigitalisierung/Computerisierungdes Arbeitsumfeldes (auch von Juristinnen).Das Informations<strong>recht</strong> entstand dabei als Querschnittsmaterieund lukratives zukunftsträchtiges Betätigungsfeld.Die Auswirkungen auf die juristische Rechercheund den Unterricht sind ebenfalls nicht zu unterschätzen.Kommunikation via Email, Informationsverbreitung überHomepages, studentische Diskussionsforen im Internet - alldas ist schon alltäglich geworden und bietet tatsächlich vielerleiinteressante Möglichkeiten. Trotzdem: Auch dieschnelle VerfUgbarkeit einer Entscheidung aus der Rechtsdatenbankersetzt nicht die kompetente juristische Analyse,die Email ersetzt nicht den persönlichen Kontakt in derSprechstunde, und das ZurverfUgungstellen von Arbeitsull"terlagen im Netz ersetzt nicht den Diskurs in der Übung oderim Seminar.Durchaus beachtlich sind all diese <strong>gesellschaft</strong>lichen Um·wälzungen des letzten Jahrzehntes und die daraus resultll'·renden Anforderungen an das Recht, die Rechtswissenschullund den Rechtsunterricht. Sie stellen Herausforderull!J,t'l1dar, bieten jedoch auch vielfältige Chancen. Als Rechtswls"sensehafterinnen sollten wir diese Herausforderul1!,(l'l1 1111'<strong>juridikum</strong> 3/01verla~sterreich