56 | Lükko Leuchtturm<strong>Der</strong> Herr der HeringeDort wird er sofort verrosten und seine Macht verlieren.An jedem anderen Ort oder im Meer ist er unzerstörbar’.Doch Bilge Buttlin war zu alt für ein solches A<strong>be</strong>nteuer,und so wurde diese schwierige Aufga<strong>be</strong> seinem NeffenFocko Buttlin anvertraut. Schon am nächsten Tag brachenFocko, sein <strong>be</strong>ster Freund Sjamme und der Zau<strong>be</strong>rerGarbrand auf, um die Macht des bösen Suurpottfür immer zu brechen. Sie mussten sich <strong>be</strong>eilen, dennes war ein weiter und gefahrvoller Weg nach Moordorf.Suurpott war der Aufbruch der Gefährten natürlichnicht entgangen, denn mit seinem riesigen Glasaugekonnte er weit ins Land hinein schauen. Schnell schickteer seine schwarzen Raubmöwen aus, die den drei Gefährtenden magischen Hering abjagen sollten. Sie erho<strong>be</strong>nsich in die Lüfte, ließen ein grässliches Kreischenerklingen und suchten die Insel Mittelsee nach Focko,Sjamme und dem weißhaarigen Garbrand ab. Doch dieGefährten kannten Mittelsee wie Lükko Ostfrieslandund gelangten auf Schleichpfaden, vor<strong>be</strong>i an Moorenund Wallhecken, zum Plyten<strong>be</strong>rg. Dort legten sie deneisernen Hering auf dem Gipfel ab und warteten geduldigauf den nächsten Regenschauer, der nicht lange aufsich warten ließ. Schon wenige Tropfen reichten aus,und der Hering <strong>be</strong>gann zu rosten. Als er seinen Glanzverloren hatte, hatte er zugleich auch seine Zau<strong>be</strong>rkrafteingebüßt.<strong>Der</strong> böse Zau<strong>be</strong>rer Suurpott tobte auf seinem Turm undsandte Flüche aus, a<strong>be</strong>r er <strong>be</strong>saß keine Macht mehr.Die Heringe verließen seine Bucht und schwärmten indie Meere aus, wo <strong>be</strong>reits die Kutter der Eerdmantjes,Keerlkes, Dwargen und Bülten auf sie warteten. DenGefährten a<strong>be</strong>r wurde nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatdorfein Festschmaus <strong>be</strong>reitet, wie ihn ganz Mittelseenoch nicht erlebt hatte. Natürlich gab es Heringe.Bratheringe, Rollmöpse, Matjes und Bismarckheringe.Dem bösen Suurpott a<strong>be</strong>r blie<strong>be</strong>n nur mickrige Sprottenaus der Dose.“„Das ist wirklich eine tolle Geschichte“, staunte Rieke.„Kommt mir a<strong>be</strong>r irgendwie <strong>be</strong>kannt vor“, grinste Jan.„Mir auch“, stimmte ihm Simone lachend zu. „Das istZufall“, entgegnete der Tintenfisch, „reiner Zufall. Da ichdiese sehr alte Geschichte gerade erst erfunden ha<strong>be</strong>,kann sie niemand kennen.“„So“, mahnte der Fischer, nachdem alle Teb<strong>be</strong>s Geschichtevom Herrn der Heringe verdaut hatten, „jetztwird es a<strong>be</strong>r Zeit, dass wir auslaufen. Wir wollen dochbis zum A<strong>be</strong>nd in Greetsiel sein, oder? Geht bitte anBord. Ich liefere nur schnell das Fass ab, dann geht’slos!“„Fängst du eigentlich auch Heringe mit deinem Kutter?“,fragte Simone, als sich der Fisch das Fass wiederauf die Schulter geladen hatte. „Nein, dies ist einKrab<strong>be</strong>nkutter“, erklärte Rieke. „Das kannst du an denNetzen und am Fanggeschirr erkennen. Es sind Grundnetze,die ü<strong>be</strong>r den Wattboden gezogen werden. Heringewerden im offenen Meer mit Schleppnetzengefangen. Für den Krab<strong>be</strong>nfang mit diesenGrundnetzen ha<strong>be</strong>n die ostfriesischenFischer übrigens einen <strong>be</strong>sonderen Ausdruck.“„Welchen?“, wollte Simone un<strong>be</strong>dingtwissen.Weißt du, wie die Fischerden Fang mit Grundnetzennennen?Die Geschichten sind aus „LükkoLeuchtturm und die geheimnisvolleInsel“ von Bernd Flessner mit Bildernvon Peter Pabst. Erschienen im Leda-Verlag, 10,00 €
Muschelü<strong>be</strong>r Bord!Als der Kutter das Wattenmeer zwischen den OstfriesischenInseln und der Küste erreicht hatte,dachte Simone noch immer an die Netze undvor allem an Granat. Außerdem war es schon fastA<strong>be</strong>ndbrotzeit. „Habt ihr nicht auch Hunger?“, fragteSimone die Freunde.„Und wie!“, antworteten Jan, Teb<strong>be</strong>, Mytilus, Metaund Gerda im Chor. Auch ihnen knurrte längst derMagen.„Wenn Lükko jetzt hier wäre, könnte man seinenMagen bis nach Helgoland hören“, meinte Meta.„Unsere Mägen sind zwar leiser, a<strong>be</strong>r so viel Hunger,wie Lükko jetzt hätte, ha<strong>be</strong> ich auch“, sagteJan. „A<strong>be</strong>r wo gibt’s hier etwas zu futtern, an Bordvon diesen Kuttern?“, versuchte Teb<strong>be</strong> zu reimen.„An Bord nicht, a<strong>be</strong>r im Wattenmeer“, antwortete derFischer. „Vorausgesetzt, ihr mögt Granat.“„Und wie!“, freuten sich die Freunde.„A<strong>be</strong>r ihr müsst mithelfen, denn ich ha<strong>be</strong> meine Männerheute nicht an Bord“, erklärte der Fischer. „Kein Problem“,versicherte Jan, „meinem Vater ha<strong>be</strong> ich auchschon oft geholfen. Ich ge<strong>be</strong> die Kommandos, halte duden Kutter auf Kurs!“„Aye, aye, Käpt’n!“, schmunzelte der Kapitän und ü<strong>be</strong>rließJan den Granatfang. Und Jan kannte sich wirklichgut aus. Er stellte Teb<strong>be</strong> und Mytilus an die Winde undließ Simone, Meta und Gerda schonmal den großen Kessel vorheizen.„Denn der Granat wird gleich hier anBord gekocht“, erklärte er Simone, diedies natürlich schon längst wussteund ü<strong>be</strong>r Jans Bemerkung nur denKopf schüttelte. Dann ließ er Teb<strong>be</strong>und Mytilus die Fanggeschirre mitHilfe des Backbord- und Steuerbordauslegersü<strong>be</strong>r Bord hieven. Teb<strong>be</strong><strong>be</strong>tätigte den He<strong>be</strong>l der Winde, unddie Fanggeschirre versanken im Wasserund erreichten bald den Meeresgrund.Dort glitten sie auf ihren Eisenkufenü<strong>be</strong>r den Boden, während diean der Öffnung der Netze <strong>be</strong>festigtenHartgummirollen die Krab<strong>be</strong>n aufscheuchten.Kaum schwammen sieein bisschen umher, landeten sie auchschon in einem der <strong>be</strong>iden Netze. „Wielange noch?“, fragte Meta.„Nur Geduld, ein bisschen dauert’snoch“, antwortete Jan, „Lükko möchtesicher auch Granat essen, also brauchenwir schon eine große Portion.“Gebannt schauten alle ins blaugraueNordseewasser, obwohl auf der O<strong>be</strong>rflächenichts zu erkennen war.Lükko Leuchtturm | 57Endlich kam das Kommando zum Einholen der Netze.Langsam wurden die Fanggeschirre aus dem Wassergezogen und wieder an Bord gehievt.„Kein <strong>be</strong>sonders guter Fang“, stellte Jan fachmännischfest, als er die Enden der Netze öffnete und die wenigenKrab<strong>be</strong>n auf dem Deck landeten. „Die sind ja wirklichgrau“, <strong>be</strong>merkte Simone, schnappte sich eine Schaufelund <strong>be</strong>förderte sie auf das große Rüttelsieb.Fortsetzung folgtDen Fang mit Grundnetzen nennen dieFischer „Kuren“.