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Neue Konzepte für die MINT-Lehrerausbildung. - Telekom Stiftung

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Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulse<strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>.Entwicklungsprozesse an vier deutschen Universitäten.


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulse<strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>.Entwicklungsprozesse an vier deutschen Universitäten.


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulse57 Die Fächergrenzen sprengen.Innovative Seminare <strong>für</strong> <strong>die</strong><strong>Lehrerausbildung</strong>.62 „Spannend, neues Wissenzu generieren.“WissenschaftlicheNachwuchsförderung im Kolleg.66 Erleben, wie Forschungin der Praxis funktioniert.Das AdlershoferWissenschaftspraktikum.72 „Trotz knapper Kassenviel bewegt.“Wie <strong>die</strong> Paten das Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg bewerten.74 Technische UniversitätDortmund.75 Fördern und fordern.Das Projekt dort<strong>MINT</strong>.78 „Verstehen, was in denKöpfen der Schüler passiert.“Diagnose und Förderung in der<strong>Lehrerausbildung</strong>.84 Positiver Zugang.Ein Überblick über <strong>die</strong> erprobtenDiF-Instrumente.89 Fehlvorstellungen sind nichtsUngewöhnliches.DiF in der fachdidaktischenAusbildung erlernen.95 Wenn der Genitiv zurHürde wird.Sprachsensible Diagnose undFörderung in Mathematik.100 „Gut übertragbar aufandere Universitäten.“Wie <strong>die</strong> Patinnen das Projektdort<strong>MINT</strong> bewerten.102 Technische UniversitätMünchen.103 Verbindungen schaffen.Das Projekt TUM@School.School@TUM.105 „Kräftig durchgeschüttelt.“Die Schnittstellen zwischen Schuleund Universität stärken.110 Mehrwert <strong>für</strong> Schülerund Stu<strong>die</strong>rende.Wie sich zwei Bildungseinrichtungengegenseitig befruchten.116 Polyvalenz nicht umjeden Preis.Innovative Curricula <strong>für</strong>Mathematik-Lehramtsstu<strong>die</strong>rende.121 Was tun, wenn derSchwamm fliegt?Die neue Stu<strong>die</strong>rendenauswahlan der TUM.126 „Nicht nur strukturell, sondernauch inhaltlich ein Pionier.“Wie <strong>die</strong> Paten das TUM-Projektbewerten.128 Die Evaluation.130 Wirkung erzielt.Die übergreifende Evaluation dervier Hochschulprojekte.140 Impressum.Der Lesbarkeit halber verwenden wir,sofern beide Geschlechter gemeintsind, oftmals nur <strong>die</strong> männliche Form.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Inhalt 3


Vorwort.Nach der Publikation „Ausgewählte Projektbeispiele der geförderten Universitäten“ vomFrühjahr 2013 legen wir nun den zweiten Band mit Ergebnissen aus unserem ProjektHochschulwettbewerb <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung vor. Wir wollen zeigen, wie Hochschulen ihrenEntwicklungsprozess zu einer veränderten <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung gestaltet haben. Was waren<strong>die</strong> Voraussetzungen? Wie sahen <strong>die</strong> Herausforderungen aus? Welche konkreten Maßnahmenwurden eingeleitet? Welche Ergebnisse erzielt? Was ist noch ausbaufähig? Wirtun <strong>die</strong>s, verbunden mit der Hoffnung und dem Wunsch, dass möglichst viele Hochschulenvon den vier Universitäten lernen können.Die Freie Universität und <strong>die</strong> Humboldt-Universität zu Berlin, <strong>die</strong> Technische UniversitätDortmund und <strong>die</strong> Technische Universität München sind mit uns <strong>die</strong>ses Vorhaben gemeinsamangegangen. Die vergangenen vier Jahre waren eine lehrreiche Zeit, sowohl <strong>für</strong> unserevier Partner als auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong>. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang giltmein Dank allen Verantwortlichen der Universitäten: ihren Präsidenten und Rektoren und– vor allem – den Projektverantwortlichen. Ganz besonderen Dank richte ich an <strong>die</strong> wissenschaftlicheBegleitung – an unsere Patinnen und Paten. Sie haben uns oft genug denSpiegel vorgehalten und sich als wirkliche „critical friends“ verstanden.Was <strong>die</strong> Jahre in jedem Fall gezeigt haben: Hochschulentwicklungsprozesse benötigeneinen langen Atem. Und <strong>die</strong>sen Atem muss eine <strong>Stiftung</strong> haben. Das zeigt auch <strong>die</strong> weitereFörderung der Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong>: Rund um <strong>die</strong> vier Universitäten werden ab demWinter 2013 thematische Entwicklungsverbünde mit anderen Hochschulen entstehen, <strong>die</strong>sich mit Schwerpunkten der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung beschäftigen.Drei Verbünde werden folgende Themen bearbeiten: Der erste Entwicklungsverbund stelltsich der Frage, wie sich Schülerlabore zu Lehr-Lern-Laboren entwickeln. Hier sollen <strong>die</strong>Labore vor allem als Reflexionsorte <strong>für</strong> <strong>die</strong> künftigen <strong>MINT</strong>-Lehrerinnen und -Lehrer wirken,in denen sie ihr Verhalten und das Lehren und Lernen überprüfen können. Zentral in <strong>die</strong>semVerbund ist vor allem <strong>die</strong> curriculare Einbettung der Labore in <strong>die</strong> Lehramtsausbildung.Der zweite Entwicklungsverbund konzentriert sich auf <strong>die</strong> Gewinnung, Eignung undUnterstützung von Lehramtsstu<strong>die</strong>renden, auch Recruitment, Assessment und Supportgenannt. Wie gelingt es, gute Schülerinnen und Schüler <strong>für</strong> den Beruf des <strong>MINT</strong>-Lehrers zumotivieren und <strong>die</strong> Ausbildung zu begleiten? Im dritten Verbund wird das Thema Diagnoseund Förderung heterogener Lerngruppen erforscht. Ziel ist hier, zu analysieren, wie künftige<strong>MINT</strong>-Lehrerinnen und -Lehrer mit einer immer heterogeneren Schülerschaft umge-4 VorwortDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong>hen, und wie es ihnen gelingt, inklusiven Unterricht in der <strong>MINT</strong>-Ausbildung zu integrieren.Die Rückmeldung der deutschen Hochschulen, <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>rende ausbilden,auf <strong>die</strong>se zweite Ausschreibung im Sommer 2013 hat uns wirklich beeindruckt: Fast zweiDrittel aller einschlägigen Hochschulen haben sich um <strong>die</strong> Mitarbeit an einem oder gar anmehreren der drei Entwicklungsverbünde beworben. Das zeigt uns, dass <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungweiterhin ein wesentlicher Leuchtturm unserer <strong>Stiftung</strong> bleibt, ja bleiben muss!Ziel <strong>die</strong>ser Publikation ist es, anderen Hochschulen in ihrem Entwicklungsprozess Mutzu machen und konkrete Beispiele zu nennen, wie angehende <strong>MINT</strong>-Lehrerinnen und<strong>MINT</strong>-Lehrer im Studium seitens „ihrer“ Hochschule unterstützt werden können. Denndass künftige Generationen von <strong>MINT</strong>-Lehrkräften vor großen Herausforderungen stehen,ist bekannt. Neben fachlichen, fachdidaktischen sowie bildungs- und erziehungswissenschaftlichenFragestellungen moderner <strong>MINT</strong>-Bildung geht es um weitere Themen: Wiegehen Lehrerinnen und Lehrer mit Inklusion und Chancengerechtigkeit in einer komplexerwerdenden Gesellschaft um? Wie verbinden sie das Gelernte aus ihrem Studiummit modernem Unterricht? Wie werden zukünftige (<strong>MINT</strong>-)Herausforderungen an <strong>die</strong> Gesellschaftmit den Schülerinnen und Schülern diskutiert und angegangen?Die Fragen werden bleiben, neue hinzukommen – <strong>die</strong> Lehrerbildung ist im Wandel. Unddass <strong>die</strong> Landschaft in Bewegung ist, zeigt nicht nur <strong>die</strong> „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“von Bund und Ländern. So hat im besonderen <strong>MINT</strong>-Kontext das Nationale <strong>MINT</strong>-Forum –Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> Vorwort 5


ein Zusammenschluss von 24 Institutionen, <strong>die</strong> sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderung der Bildung in denBereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik einsetzen – denStatus quo der Lehramtsausbildung in den <strong>MINT</strong>-Fächern in Deutschland kritisch diskutiert.Im Forum entstanden praktische Handlungsempfehlungen als „10 Thesen undForderungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehramtsausbildung“.Ich freue mich, wenn wir weiterhin kritisch konstruktiv mit den Herausforderungen der<strong>MINT</strong>-Lehrerbildung umgehen und <strong>für</strong> notwendige Veränderungen offen bleiben. Ich ladealle ein, <strong>die</strong>sen Weg mitzugehen, und wünsche Ihnen beim Lesen <strong>die</strong>ser Publikation möglichstviele Inspirationen.Bonn, im November 2013Dr. Ekkehard WinterGeschäftsführer der Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong>6 VorwortDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseGeleitwort.Die <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung –eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.Die doppelte Bedeutung des WettbewerbsDer Hochschulwettbewerb <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung der Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong>, dem vierführende deutsche Hochschulen in den letzten Jahren eine nennenswerte Förderung verdanken,gehört zu den frühen und wegweisenden Initiativen einer neuen Wertschätzungder Lehrerbildung in Deutschland. Seine besondere Bedeutung gewinnt <strong>die</strong>ses Projektzum einen aus der Tatsache, dass es an einem der deutlichsten und folgenschwersten Defizitedes deutschen (und nicht nur des deutschen) Bildungssystems ansetzt – dem Mangelan gut ausgebildeten Lehrern in den <strong>MINT</strong>-Fächern. Dieser Mangel hat <strong>für</strong> <strong>die</strong> Qualifizierungund Motivation von Schülern, <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rfähigkeit von Stu<strong>die</strong>nanfängern und<strong>für</strong> <strong>die</strong> Grundlegung eines ausreichend zahlreichen und qualifizierten wissenschaftlichenNachwuchses weitreichende Konsequenzen. Wer darüber mehr erfahren will, dem stehenunter anderem zwei erstklassige und gründlich dokumentierte Untersuchungsberichte mitsehr klugen Empfehlungen zur Verfügung, deren Überlegungen auch in <strong>die</strong> Planung <strong>die</strong>sesFörderprogramms eingegangen sind: <strong>für</strong> Europa der von der Nuffield Foundation inAuftrag gegebene und von meinem Stanford-Kollegen Jonathan Osborne und Justin Dillonbesorgte Bericht „Science Education in Europe: Critical Reflections“ von 2008 und <strong>für</strong> <strong>die</strong>USA der Bericht der wissenschaftlichen Akademien der USA von 2007 über <strong>die</strong> Rolle derAusbildung in den <strong>MINT</strong>-Fächern <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunftssicherung der Vereinigten Staaten mitdem angemessen dramatischen Titel „Rising Above the Gathering Storm: Energizing andEmploying America for a Brighter Economic Future“.Jenseits <strong>die</strong>ser ersten, unmittelbaren Ebene von bildungspolitischer Relevanz aber liegt eineder großen geistigen Herausforderungen unserer Zeit: den tiefgreifenden Einfluss vonNaturwissenschaft und Technik auf das Leben und das Zusammenleben der Menschen zuverstehen und zu gestalten. In der Bewältigung <strong>die</strong>ser Herausforderung kommt den <strong>MINT</strong>-Lehrern eine besondere Rolle zu, aber sie ist auch eine Herausforderung an <strong>die</strong> Gesellschaftinsgesamt, an ihr gesamtes Bildungssystem und an das vereinte analytische Potenzialsehr unterschiedlicher Wissenschaften – von der Hirnforschung bis zur Ökonomie,von der Technikgeschichte bis zur Sozialpsychologie und von der Biogenetik bis zur Lehr-/Lernforschung. Gerade deshalb legt <strong>die</strong> internationale Diskussion zu <strong>die</strong>sem Bereich in ihrenweitsichtigeren Beiträgen so großen Wert darauf, dass <strong>die</strong> Ausbildung in den <strong>MINT</strong>-Fä-Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Geleitwort 7


chern eben nicht – oder jedenfalls nicht nur – als Propädeutikum <strong>für</strong> künftige Naturwissenschaftlerzu konzipieren ist, sondern als eine <strong>für</strong> alle Mitglieder der Gesellschaft brauchbareHinführung zu einem wissenschaftlichen Verständnis unseres natürlichen Umfeldes.Genau darin liegt <strong>die</strong> große Herausforderung <strong>die</strong>ses Themas, und genau deshalb gebührtder Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> eine ausdrückliche Anerkennung da<strong>für</strong>, sich <strong>die</strong>sem Themain besonderer Weise und an vorderster Front zu widmen. Denn wenn es nicht gelingt,<strong>die</strong>se geistige Herausforderung zu einem Grundbestandteil unseres Bildungs- und Wissenschaftssystemsund zu einer selbstverständlichen Voraussetzung von neuzeitlicherBildung (und eben nicht nur zu einem fächerspezifischen Expertenproblem) zu machen,dann werden wir es morgen mit einem neuen Analphabetentum zu tun haben, das denzentralen Aufgaben unserer Zeit verständnis- und machtlos gegenübersteht.Defizite in der LehrerbildungEs versteht sich, dass der internationale Diskurs über <strong>die</strong> Bedeutung der Ausbildung in den<strong>MINT</strong>-Fächern bei der Konzeption <strong>die</strong>ses Hochschulwettbewerbs in besonderer Weise Pategestanden hat. Der andere wichtige Einfluss auf <strong>die</strong> Entstehung <strong>die</strong>ses Projekts war <strong>die</strong> Einsichtin einige der besonders wichtigen Defizite der Lehrerbildung in Deutschland, wie sieaus der einschlägigen Literatur, den Stellungnahmen des Wissenschaftsrates, des Stifterverbandes<strong>für</strong> <strong>die</strong> Deutsche Wissenschaft und auch aus früheren Verlautbarungen der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>bereits bekannt sind. Diese Defizite bilden den Hintergrund <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen Wettbewerb;zu ihrer Überwindung sollte <strong>die</strong> mit <strong>die</strong>sem Wettbewerb verbundene Förderung imbesonders kritischen Bereich der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung einen Beitrag leisten.Zu den Defiziten der Lehrerbildung in Deutschland gehören insbesondere:1. Die unzureichende Verknüpfung von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften(wobei <strong>die</strong> „Bildungswissenschaften“ nicht nur aus den „Erziehungswissenschaften“bestehen, <strong>die</strong> in Deutschland bekanntlich ein besonders vertracktes Problemdarstellen).2. Die weitgehende Trennung von Lehrerbildung und Bildungsforschung und vor allemdas weitgehende Fehlen einer angemessenen Lehrer- und Lehrerbildungsforschung,also einer systematischen und anspruchsvollen wissenschaftlichen Beschäftigung mitLehrertätigkeit und Lehrerbildung; <strong>die</strong> fachdidaktische Forschung stellt hier ein besonderesNotstandsgebiet dar.8 GeleitwortDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseProfessor Hans N. Weiler hat der Gutachterkommission <strong>für</strong> das Projekt Hochschulwettbewerb <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungvorgesessen.3. Die fehlende oder unzureichende Integration der Lehrerbildung in <strong>die</strong> Strukturen derHochschulen, wo Kommissionen oder Zentren <strong>für</strong> Lehrerbildung in der Regel weder einenverbindlichen Zugriff auf <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung erforderlichen personellen undfinanziellen Ressourcen noch ausreichende curriculare und qualitative Steuerungsautoritäthaben.4. Der oft prekäre Bezug der hochschulischen Lehrerbildung zur schulischen Praxis, einschließlicheiner in aller Regel unzureichenden Affinität zur zweiten und dritten Phaseder Lehrerbildung.5. Eine weithin unterentwickelte Strategie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchsesin den <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung wichtigen Fächern, vor allem in der Fachdidaktik.6. Eine in vielen Bundesländern immer noch problematische Abstimmung zwischen derLehrerbildung und den Möglichkeiten und Erfordernissen gestufter Stu<strong>die</strong>nstrukturen.Vor dem Hintergrund <strong>die</strong>ser Herausforderungen und Defizite stellt das Projekt der Deutsche<strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> zur Förderung herausragender Programme in der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungeine bildungs- und wissenschaftspolitische Pioniertat dar. Die inzwischen von sachkundigenBegutachtungen (wie denen von Cornelia Gräsel) belegten Ergebnisse desProjekts sprechen nicht nur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Richtigkeit des Ansatzes, sondern haben über <strong>die</strong> ge-Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Geleitwort 9


förderten Hochschulen hinaus eine Signalwirkung erzielt, <strong>die</strong> sich auch in der inzwischenauf breiterer bildungspolitischer Front – etwa in der von Bund und Ländern im Rahmen derGemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) beschlossenen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“– etablierten Priorität der Lehrerbildung spiegelt.Bemerkenswerte ErgebnisseUnter den in <strong>die</strong>ser Dokumentation ausführlicher dargestellten Ergebnissen des Projektsscheinen mir <strong>die</strong> folgenden besonders wichtig zu sein.1. Es gibt in Deutschland eine kritische Masse von Hochschulen, <strong>die</strong> bereit und in der Lagesind, in der Lehrerbildung im Allgemeinen und in der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung im Besondereneine wichtige und zentrale Aufgabe zu sehen und <strong>die</strong>se Aufgabe sowohl in ihreminstitutionellen Profil wie in ihrer Ressourcensteuerung zu verankern. Auch bei vielender in <strong>die</strong>sem Wettbewerb am Ende nicht erfolgreichen Hochschulen sind wertvolle Ansätzeund Bemühungen zu konstatieren, deren Förderung sich lohnen würde.2. Der Wettbewerb und sein Ergebnis haben in Deutschland ein erhebliches bildungspolitischesund mediales Echo gefunden, wozu sicherlich auch der allgemeine wissenschaftlicheRang der erfolgreichen Hochschulen beigetragen hat.3. Von Anfang an war allen Beteiligten wichtig, dass <strong>die</strong>ses Projekt mit der Entscheidungüber <strong>die</strong> erfolgreichen Bewerber nicht zu Ende sein konnte, sondern dass <strong>die</strong> Qualitätder Durchführung der Projekte sicherzustellen sei. Dem <strong>die</strong>nte ein Patensystem, in demMitglieder der Expertenkommission eine professionelle Patenschaft <strong>für</strong> eines der gefördertenProjekte und damit <strong>die</strong> Rolle von beratenden Monitoren übernommen haben.4. Vor dem Hintergrund der weiter oben dargestellten Defizite der Lehrerbildung ist derBeitrag der geförderten Projekte in mehrerlei Hinsicht relevant, vor allem aber in vierBereichen besonders wichtig:in einer engeren Verknüpfung von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften;in einer intensiveren Kooperation zwischen Lehrerbildung und Bildungsforschung,vor allem hinsichtlich der Unterrichts- und Lehrerbildungsforschung und einschließlichder Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses;10 Geleitwort Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsein einer engeren Verbindung mit der schulischen Praxis, einschließlich der Entwicklungvon Instrumenten zur Diagnostik und individuellen Förderung; undin neuen Formen der institutionellen Einbettung und Integration der Lehrerbildung in<strong>die</strong> Strukturen der Hochschulen (etwa in der Form von Schools of Education und besonderenKollegs).AusblickIn den Jahren der Förderung der vier Projekte ist viel Wertvolles geschaffen worden, aberes bleibt auch noch viel zu tun – an den beteiligten Hochschulen und darüber hinaus.<strong>Neue</strong> und wichtige Initiativen sind entstanden, <strong>die</strong> der Beurteilung und der Förderungbedürfen. Hartnäckig sich haltende Probleme – <strong>die</strong> Gewinnung und Erhaltung qualifizierterund motivierter Stu<strong>die</strong>ninteressenten <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung einschließlich derErschließung von Talentreserven, der Verbleib von <strong>MINT</strong>-Lehrern im Amt angesichts attraktiverOptionen, <strong>die</strong> Überwindung der strukturellen Marginalisierung der Lehrerbildungdurch integrative, mit Ressourcen und Steuerungsautorität ausgestattete Strukturmodellewie Schools of Education – harren nach wie vor der Lösung. Weitsichtigen Förderern steht<strong>für</strong> <strong>die</strong> Identifizierung und Unterstützung von Best Practice in der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungnach wie vor ein weites Feld offen.Stanford, im August 2013Hans N. WeilerProfessor Emeritus, Stanford UniversityVorsitzender der Gutachterkommission <strong>für</strong> das ProjektHochschulwettbewerb <strong>MINT</strong>-LehrerbildungDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Geleitwort 11


Den richtigen Riecher gehabt.Warum ein Wettbewerb zur <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung nötig war.Kleiner Impuls, beachtliche Wirkung: Die Resonanz auf den Exzellenzwettbewerb der<strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> und <strong>die</strong> guten Ergebnisse der geförderten Universitäten zeigen, wiegroß bei den lehrerbildenden Hochschulen der Wunsch nach Veränderungen war. Dashaben mittlerweile auch Bund und Länder erkannt, <strong>die</strong> nun ein ganz ähnliches Programmauflegen. „Wir haben richtig etwas in Gang gebracht“, freut sich Gerd Hanekamp,Programmleiter der <strong>Stiftung</strong>.Leicht war ihnen <strong>die</strong> Wahl nicht gefallen.Als Professor Hans N. Weiler am 3. Juli2009 in Berlin <strong>die</strong> Sieger des Hochschulwettbewerbszur <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung bekanntgab, wirkten der renommierte Wissenschaftlerund seine Kolleginnen undKollegen sichtlich erschöpft. Mehrere Stundenlang hatten sich <strong>die</strong> Mitglieder der Expertenkommissionunter Vorsitz Weilerszuvor zurückgezogen, um über <strong>die</strong> Vergabeder Fördermittel der Deutsche <strong>Telekom</strong><strong>Stiftung</strong> zu beraten. Dann standen <strong>die</strong> Gewinnerendlich fest. „Es war knapp“, konstatiertedamals Weiler, emeritierter Pro-fessor der Stanford University und ersterRektor der Europa-Universität Viadrinain Frankfurt an der Oder. „Letztlich habenwir uns <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Konzepte</strong> entschieden, <strong>die</strong>uns am stimmigsten und auch am innovativstenerschienen.“ Die Sektkorken knalltenkurz darauf an vier Hochschulen: denTechnischen Universitäten in Dortmundund München sowie der Freien Universitätund der Humboldt-Universität in Berlin.In den kommenden drei Jahren würde <strong>die</strong><strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> sie mit jeweils bis zu 1,5Millionen Euro dabei unterstützen, ihre Entwicklungsvorhabenin <strong>die</strong> Tat umzusetzen.<strong>Neue</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrer brauchtdas Land.Chronologie eines Leuchtturmprojekts.23. April 2008Bei ihrer alljährlichen Frühjahrssitzung in Bonnbeschließen Vorstand und Kuratorium der Deutsche<strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong>, sich künftig verstärkt derFörderung von angehenden <strong>MINT</strong>-Lehrerinnenund -Lehrern widmen zu wollen. Die Lehrerbildungwird als eines von vier Handlungsfeldern in <strong>die</strong>Strategie der <strong>Stiftung</strong> aufgenommen.12 Der WettbewerbDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseFür <strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> markierte der Tag einengroßen Schritt hin zu einer überaus wichtigenZielgruppe. Bis dahin hatte man sichder Förderung von angehenden <strong>MINT</strong>-Lehrerinnenund -Lehrern lediglich punktuellgewidmet. So war von 2005 bis 2008 anden Universitäten Gießen und Siegen dasEntwicklungsprojekt Mathematik neu denkenunterstützt worden, das darauf zielte,eine separate, stark berufsbezogene Stu<strong>die</strong>neingangsphase<strong>für</strong> angehende Gymnasiallehrkräfteim Fach Mathematik zuschaffen. Beflügelt vom Erfolg des Projektes– <strong>die</strong> neu konzipierten Lehrveranstaltungenwaren auf reges Interesse der Stu<strong>die</strong>rendengestoßen und zumindest in Gießennach Ende der Pilotphase sofort fest in<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>n- und Prüfungsordnung übernommenworden – wollte man das Themanun breiter angehen. Dies stand spätestensnach der Kuratoriumssitzung im April 2008fest, in der <strong>die</strong> strategische Ausrichtung derBessere <strong>MINT</strong>-Lehrer <strong>für</strong> eine bessere <strong>MINT</strong>-Bildung<strong>Stiftung</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> folgenden Jahre beschlossenwurde.Ohne gute Lehrer keine gute BildungDer Relevanz der Lehrerbildung <strong>für</strong> dasgesamte Bildungssystem und somit auch<strong>für</strong> <strong>die</strong> Arbeit der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> warensich dabei alle Beteiligten mehr als bewusst.„Lehramtsstu<strong>die</strong>rende sind <strong>für</strong> unsereZwecke <strong>die</strong> Multiplikatoren schlechthin“,erklärt Dr. Gerd Hanekamp, damals wieheute Leiter Programme bei der <strong>Stiftung</strong>.„Denn nach ihrer Ausbildung strömen siein fast alle Bereiche der Bildungskette aus,um dort mit Kindern und Jugendlichen zu19. November 2008Die Ausschreibung zum Hochschulwettbewerb <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung wird veröffentlicht.In einem zweistufigen Auswahlverfahren sollen drei bis fünf Hochschulen auf der Basisihrer bisherigen Leistungen sowie ihrer <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> weitere Entwicklungen ermittelt undmit einem Betrag von jeweils bis zu 1,5 Millionen Euro <strong>für</strong> zunächst drei Jahre gefördertwerden. Die <strong>Stiftung</strong> beruft eine zehnköpfige Expertenkommission unter Vorsitz vonProfessor Hans N. Weiler (Stanford University), <strong>die</strong> <strong>die</strong> Auswahl der besten Hochschulenvornehmen soll.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> Der Wettbewerb 13


arbeiten: <strong>die</strong> Primarstufe, <strong>die</strong> Mittel- und <strong>die</strong>Oberstufe.“ Unterstützt man <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendendabei, bessere <strong>MINT</strong>-Lehrer zu werden,so der Gedanke, werden <strong>die</strong>se ihre Schülerinnenund Schüler später auch besser <strong>für</strong><strong>die</strong> oft unpopulären Fächer begeistern können.Die erhoffte Folge: Mehr Jugendlicheerwerben verlässliche <strong>MINT</strong>-Kompetenzen,und ein größerer Anteil nimmt nach derSchule ein mathematisches, natur- oder ingenieurwissenschaftlichesStudium odereine entsprechende Ausbildung auf. DieDefizite im <strong>MINT</strong>-Bereich schrumpfen soauf lange Sicht, und der sich zuspitzendeFachkräftemangel wird abgeschwächt.Blieb noch <strong>die</strong> Frage, an welcher Stellschraube<strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> drehen sollte, umihrem Ziel – besseren <strong>MINT</strong>-Lehrern – näherzukommen.Ansatzpunkte gab es dabeizur Genüge, wie man wusste. So hatten inden Jahren zuvor namhafte Akteure desBildungswesens eine Reihe von Herausforderungen<strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung identifiziertund dazu Empfehlungen erarbeitet.Die größten Schwachstellen im System lagenalso bereits offen.Da wäre etwa <strong>die</strong> geringe strukturelle Bedeutungder Lehrerbildung. An den Universitätengilt das Primat der fachwissenschaftlichenAusbildung und Forschung.Die Lehrerbildung wird meist nur „nebenher“betrieben, sozusagen als fünftesRad am Wagen der Fachwissenschaften.Was auch daran liegt, dass sie vonden Hochschul leitungen kaum mit finanziellenEinfluss- und Gestaltungsmöglichkeitenausgestattet wird. Ein weiteres Problembetrifft <strong>die</strong> mangelnde Verzahnungvon Fachwissenschaften, Fachdidaktikenund Bildungs wissenschaften. Es bestehtzu wenig Kooperation zwischen den dreizentralen Bereichen des Lehramtsstudiums.6. Februar 2009Ende der ersten Bewerbungsrunde.Insgesamt 27 Hochschulen auself Bundesländern haben ihreAntragsskizzen eingereicht. Das istknapp <strong>die</strong> Hälfte aller deutschenHochschulen, <strong>die</strong> Lehrkräfte in den<strong>MINT</strong>-Fächern ausbilden.4. März 2009Die Expertenkommission wähltaus den 27 eingegangenenBewerbungen elf <strong>für</strong> <strong>die</strong> nächsteWettbewerbsrunde aus. DieHochschulen werden aufgefordert,bis Mitte Juni Vollanträgeeinzureichen.14 Der WettbewerbDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDie Bachelor-Phase beschränkt sich häufigfast ausschließlich auf <strong>die</strong> Fachinhalte.Fachdidaktische und erziehungswissenschaftlicheElemente werden zu wenig undzu spät vermittelt und nicht mit dem Fachverknüpft. Die Stu<strong>die</strong>renden vermissen soden Bezug zu ihrem späteren Beruf. Die Abbrecherquotegerade in den <strong>MINT</strong>-Fächernist deshalb hoch.Kritiker führen zudem häufig <strong>die</strong> mangelndeEinbeziehung der Schulpraxis an. So absolvierenLehramtsstu<strong>die</strong>rende vielerortserst in der Master-Phase ihr erstes Schulpraktikum.Die Folge ist dann zuweilen ein„Praxisschock“. Zudem sind Praxiselementeim Lehramtsstudium häufig nur unzureichendtheoretisch eingebettet, was denMehrwert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden schmälert.Und schließlich herrscht in der Lehrerbildungauch ein Mangel an wissenschaftlichemNachwuchs, weil Lehramtsabsolventenden sicheren Schul<strong>die</strong>nst einerAneinanderreihung von befristeten Stellenan der Universität vorziehen. Fachdidaktischeund Bildungsforschung sind <strong>für</strong> <strong>die</strong>Lehrerbildung jedoch eminent wichtig, danur so evidenzbasierte Erkenntnisse überdas Lehren und Lernen in Schulen und anHochschulen gewonnen werden können.Für <strong>die</strong> <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> bildeten <strong>die</strong> genanntenProblemfelder ein gutes Fundament,um sich Gedanken über ein möglichesFörderprogramm zu machen: Sollteman sich auf eine der Herausforderungenkonzentrieren oder ein Gesamtpaketschnüren? Wen genau würde man unterstützenund in welchem organisatorischenRahmen? Eine flächendeckende Förderungschien dabei wegen der großen Anzahlan lehrerbildenden Hochschulen inDeutschland ausgeschlossen. „Als <strong>Stiftung</strong>konnten wir finanziell natürlich nicht2./3. Juli 2009Die vorausgewählten Hochschulen präsentieren in Berlin ihre Entwicklungskonzeptevor der Expertenkommission und Vertretern der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>. Die Hochschulensind vertreten durch <strong>die</strong> Projektleiter sowie jeweils ein Mitglied der Hochschulleitung.Anschließend gibt <strong>die</strong> Expertenkommission <strong>die</strong> Sieger des Wettbewerbsbekannt: Die Technischen Universitäten in Dortmund und München werdenmit jeweils 1,5 Millionen Euro gefördert, <strong>die</strong> Freie und <strong>die</strong> Humboldt-Universität inBerlin erhalten je 750.000 Euro.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Der Wettbewerb 15


mit milliardenschweren Programmen wieder Exzellenzinitiative von Bund und Ländernmithalten“, erinnert sich Gerd Hanekamp.Am Ende stand deshalb <strong>die</strong> Entscheidung,nicht <strong>die</strong> Breite, sondern <strong>die</strong>Spitze der Lehrerbildung in den Blick zunehmen. Die Idee: In einem Wettbewerbsverfahrensollten drei bis fünf Universitätenermittelt werden, deren <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungbereits zum damaligen Zeitpunkt ausder Masse hervorstach. Anschließend würdeman <strong>die</strong>se dabei unterstützen, sich weiterzu verbessern.„Endlich passiert in der Lehrerbildungmal etwas“Die Ausschreibung <strong>für</strong> den Wettbewerb erfolgteim November 2008. Anträge einreichenkonnten alle deutschen Hochschulen,<strong>die</strong> Lehrerinnen und Lehrer in den<strong>MINT</strong>-Fächern ausbilden. „Es war uns wichtig,dass <strong>die</strong> Bewerber darin insbesonderedeutlich machen, wie sie <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungan ihren Hochschulen organisatorischund inhaltlich als zentrales Tätigkeitsfeldintegrieren und weiterentwickeln wollen“,erzählt Thomas Schmitt, der mit derProjektleitung betraut wurde. Zudem solltensie Lösungsvorschläge <strong>für</strong> <strong>die</strong> oben genanntenSystemschwierigkeiten darlegen.Insgesamt 27 Hochschulen reichten in derFolge ihre Antragsskizzen ein – eine Beteiligungsquote,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Erwartungen der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>bei Weitem übertraf. „Daszeigte sehr gut <strong>die</strong> Stimmung, <strong>die</strong> damalsin der Landschaft vorherrschte“, beschreibtSchmitt. „Die Hochschulen schrieben uns:Endlich passiert in der Lehrerbildung maletwas. Da wollen wir unbedingt dabeisein.“ Bis zur Verkündung der vier Gewinnerdauerte es danach noch gut siebenMonate. Die Förderung startete schließlichzum Wintersemester 2009/10. Welche Entwicklungen<strong>die</strong> Universitäten mithilfe derHerbst 2009Die Förderung startet mit Beginn des Wintersemester 2009/10,zunächst <strong>für</strong> drei Jahre. Danach soll es eine Verstetigungsphaseinklusive Anschlussfinanzierung geben. Es wird vereinbart, dass<strong>die</strong> Hochschulen jedes Jahr einen Zwischenbericht schreiben, indem sie Auskunft über ihre Projektfortschritte geben. Zudem solleinmal jährlich ein Treffen mit Vertretern der <strong>Stiftung</strong> sowie mitden Patinnen und Paten stattfinden.16 Der WettbewerbDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseFördergelder angestoßen haben, wird inden folgenden Kapiteln <strong>die</strong>ses Buches beschrieben.„Gemessen am gesamten Bildungssystem,war unser Wettbewerb natürlich nur einganz kleiner Impuls“, resümiert Gerd Hanekampheute, vier Jahre nach Beginn desProjektes. Die Tatsache, dass <strong>die</strong>ser dennochsolch große Wirkung entfalten konnte,erklärt der Programmleiter der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> – ganz Naturwissenschaftler – mitdem chemischen Konzept der Aktivierungsenergie:Mit der Ausschreibung habe manzunächst nur <strong>die</strong> engagiertesten Vertreteraus den Fachdidaktiken erreicht. Diese hättenihre Begeisterung und Motivation dannjedoch auf <strong>die</strong> Hochschulleitungen und <strong>die</strong>der Lehrerbildung zugeneigten Fach- undBildungswissenschaftler übertragen. „Sospringen mit der Zeit immer mehr Leute aufden Zug auf.“ In <strong>die</strong> Karten spielte der <strong>Stiftung</strong>zudem, dass <strong>die</strong> Landschaft zum Zeitpunktder Ausschreibung ohnehin schonin Bewegung geraten war. So arbeitete etwa<strong>die</strong> Technische Universität München damalsals erste Hochschule in Deutschlandan der Gründung einer eigenen Lehrerbildungs-Fakultät.Andere sollten ihrem Beispielspäter folgen. Die Zeit <strong>für</strong> Veränderungenschien also reif. Dazu passt, dass einigeder Bewerber-Hochschulen, deren Entwicklungskonzepte<strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> letztlich abgelehnthatte, ihre Pläne anschließend trotzdemund mit eigenen Mitteln umsetzten.Und auch <strong>die</strong> Qualitätsoffensive Lehrerbildung,das 500 Millionen Euro schwere Förderprogrammvon Bund und Ländern, das2014 startet, beweist laut Hanekamp denguten Riecher der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>: „Esscheint, als hätten wir mit unserem Hochschulwettbewerbzur <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungrichtig etwas in Gang gebracht.“Frühjahr 201322. November 2013Die <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> beschließt, den erfolgreichen Hochschulwettbewerbfortzusetzen. Rund um <strong>die</strong> bereits geförderten Universitäten sollen Entwicklungsverbünde,bestehend aus bis zu fünf Hochschulen, gebildet werden, <strong>die</strong>sich in den nächsten Jahren gemeinsam alter und neuer Herausforderungender <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung in einem breiteren Kontext annehmen. Das Bewerbungsverfahrenstartet im Juni 2013. Die Auswahl der Hochschulen <strong>für</strong> <strong>die</strong>Entwicklungsverbünde erfolgt Anfang November.In Berlin findet <strong>die</strong> Abschlusstagung des Hochschulwettbewerbs<strong>MINT</strong>-Lehrerbildung, Teil 1, statt. Die viergeförderten Universitäten präsentieren der Fachöffentlichkeit<strong>die</strong> zentralen Ergebnisse ihrer Projekte. Zudemstellt <strong>die</strong> <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> <strong>die</strong> Sieger der zweiten Wettbewerbsrundesowie <strong>die</strong> thematischen Aufgabenfelderder neuen Entwicklungsverbünde vor.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Der Wettbewerb 17


Frischer Blick von außen.Die Patinnen und Paten der geförderten Hochschulen.Als sogenannte critical friends haben in den vergangenen Jahren sieben hochrangigeWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler <strong>die</strong> geförderten Universitäten auf ihremWeg begleitet.Wer über einen längeren Zeitraum an einund derselben Sache arbeitet, läuft Gefahr,nach einer Weile seine Fähigkeit zurSelbstkritik einzubüßen. Veränderungensind dann viel schwerer realisierbar. Nichtweil man nicht wollte, sondern weil <strong>die</strong>Möglichkeit bzw. Notwendigkeit, <strong>die</strong> eigeneArbeit weiter zu optimieren, nur nocheingeschränkt gesehen wird. Man sprichtin solch einem Fall auch von Betriebsblindheit.Was dann meist hilft, ist ein Impuls vonaußen, der frische Blick einer Person, <strong>die</strong>zwar in der Materie zu Hause, jedoch weitgenug entfernt von dem konkreten Vorhabenist. Im Projekt Hochschulwettbewerb<strong>MINT</strong>-Lehrerbildung der Deutsche <strong>Telekom</strong><strong>Stiftung</strong> haben <strong>die</strong>se Rolle <strong>die</strong> Patinnenund Paten übernommen.„Die Idee des Wettbewerbs war ja, dass<strong>die</strong> geförderten Universitäten einen echtenEntwicklungsprozess antreten und nichtbloß mechanisch irgendwelche Pläne umsetzen“,erklärt Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführerder <strong>Stiftung</strong>. „Deshalb fandenwir es eine gute Idee, eine Reihe von externenFachleuten zu bitten, <strong>die</strong> Hochschulenauf <strong>die</strong>sem Weg zu begleiten und ihnen regelmäßigFeedback zu geben.“ Für <strong>die</strong> anspruchsvolleTätigkeit rekrutiert wurden sie-ben absolute Expertinnen und Experten aufdem Feld der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung. Die meistenvon ihnen hatten als Mitglieder der Auswahlkommissionzuvor bereits über <strong>die</strong> Vergabeder Förderung mitentschieden.Der Freien Universität und der Humboldt-Universität zu Berlin wurde das folgendeTrio zur wissenschaftlichen Begleitung ihrerProjekte zur Seite gestellt:Prof. Dr. Kornelia MöllerDie Fachdidaktikerin führt an der WestfälischenWilhelms-Universität Münster <strong>die</strong>18 Der WettbewerbDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseGeschäfte des Seminars <strong>für</strong> Didaktik desSachunterrichts. Sie forscht insbesonderezur naturwissenschaftlichen Kompetenzentwicklungvon Grundschulkindern, zumProfessionswissen von Lehrkräften und zurWeiterentwicklung von naturwissenschaftlichemSchulunterricht am Übergang vonder Primar- zur Sekundarstufe.Entwicklung und Evaluation von kontextorientiertemChemieunterricht sowie derLehr- und Lernforschung <strong>für</strong> den Experimentalunterricht.Prof. Dr. Johann SjutsProf. Dr. Bernd RalleAn der Technischen Universität Dortmundist Ralle seit 1997 Professor <strong>für</strong> Chemieund ihre Didaktik. Er war Prodekan und Dekandes Fachbereichs Chemie sowie Leiterdes Zentrums <strong>für</strong> Lehrerbildung. Seine Forschungsschwerpunkteliegen auf der Entwicklungund Evaluation von kompetenzbasiertenUnterrichtskonzeptionen, derDer Mathematik-Didaktiker lehrt undforscht am Institut <strong>für</strong> Kognitive Mathematikder Universität Osnabrück. Gleichzeitigist er seit 2003 Leiter des Stu<strong>die</strong>nseminarsim ostfriesischen Leer. In seiner wissenschaftlichenArbeit konzentriert sich Sjutsauf Denk-, Lern- und Lehrprozesse in derMathematik sowie deren Diagnostik, <strong>die</strong>Verzahnung von erster und zweiter Phaseder <strong>Lehrerausbildung</strong> sowie <strong>die</strong> Evaluationder <strong>Lehrerausbildung</strong>.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Der Wettbewerb 19


Die Technische Universität Dortmund erhieltUnterstützung von zwei Patinnen:Prof. Dr. Ilka ParchmannProf. Dr. Cornelia GräselDie Pädagogin ist seit 2004 Professorin <strong>für</strong>Lehr-, Lern- und Unterrichtsforschung ander Bergischen Universität Wuppertal. Zuvorwar sie Professorin <strong>für</strong> Erziehungswissenschaftenan der Universität des Saarlandessowie Akademische Direktorin amInstitut <strong>für</strong> <strong>die</strong> Pädagogik der Naturwissenschaftenund Mathematik an der UniversitätKiel. Gräsel forscht hauptsächlich zumThema Kompetenzentwicklung bei Schülerinnenund Schülern, Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenund Lehrkräften.Am Leibniz-Institut <strong>für</strong> <strong>die</strong> Pädagogik derNaturwissenschaften und Mathematik ander Christian-Albrechts-Universität Kiel(IPN) leitet Parchmann <strong>die</strong> Abteilung Didaktikder Chemie. Zu ihren Forschungsinteressenzählen das kontextbasierte Lehrenund Lernen an Schulen und Hochschulen,<strong>die</strong> Modellierung und Förderung von Kompetenzenim Chemieunterricht sowie <strong>die</strong>Entwicklung fachdidaktischer Kompetenzenin der Lehrerbildung.20 Der WettbewerbDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDie Technische Universität München schließlichkonnte auf den kritischen Blick der folgendenbeiden Wissenschaftler vertrauen:Prof. Dr. Reinhold NickolausProf. Dr. Konrad KrainerDie Arbeitsschwerpunkte des österreichischenBildungswissenschaftlers liegen aufder Mathematik-Didaktik und der Lehrerbildungmit besonderem Fokus auf Unterrichts-,Schul- und Bildungssystementwicklung.An der Alpen-Adria-Universität Klagenfurtlehrt und forscht der Professor ander School of Education, <strong>die</strong> er gleichzeitigleitet. Krainer war Gründungs- und langeJahre Vorstandsmitglied der EuropeanSociety for Research in Mathematics Education.Der stu<strong>die</strong>rte Elektrotechniker, Mathematikerund Berufspädagoge ist seit 2002 Professoram Institut <strong>für</strong> Erziehungswissenschaftder Universität Stuttgart. Dort leiteter <strong>die</strong> Abteilung Berufs-, Wirtschafts- undTechnikpädagogik und ist zugleich Vorsitzenderder Gemeinsamen Kommission <strong>für</strong><strong>die</strong> Lehrerbildung, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> gymnasialeLehramtsausbildung verantwortlich zeichnet.Seine Forschungsschwerpunkte liegenim Bereich der Lehr-/Lernforschung ingewerblich-technischen Domänen sowie inder Lehrerbildung vornehmlich im Bereichder Beruflichen Bildung.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Der Wettbewerb 21


Freie Universität Berlin.Mit dem Projekt FU.<strong>MINT</strong> hat <strong>die</strong> Freie Universität Berlin ihre <strong>MINT</strong>-Lehrerbildunggezielt auf das angestrebte Berufsfeld der Stu<strong>die</strong>renden ausgerichtet.Eine engere Verknüpfung von fachwissenschaftlichen, fachdidaktischenund berufspraktischen Inhalten – unter anderem durchEinbindung der FU-Schülerlabore – sollte das Selbstbewusstsein derkünftigen Lehrkräfte stärken und ihren Stu<strong>die</strong>nerfolg steigern. In einemneuen Stu<strong>die</strong>nfach <strong>für</strong> das Grundschullehramt überwand <strong>die</strong> Hochschuledarüber hinaus <strong>die</strong> Fächergrenzen von Biologie, Chemie und Physik.22 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulse<strong>MINT</strong> verstehen lernen.Das Projekt FU.<strong>MINT</strong> – Lehrerbildung neu denken!Die Freie Universität Berlin (FU) hat <strong>die</strong> Fördermittelder <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> von 2009bis 2013 in verschiedene Maßnahmen zurVerbesserung ihrer <strong>MINT</strong>-Lehrerbildunginvestiert. Diese betrafen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>neingangsphase,<strong>die</strong> Einbindung der Schülerlaborein <strong>die</strong> Lehrerbildung sowie <strong>die</strong> Entwicklungeines neuen Stu<strong>die</strong>nfaches <strong>für</strong>angehende Grundschullehrkräfte.Bundesweit verzeichnen insbesondere <strong>die</strong>Lehramtsfächer Physik und Mathematikseit Jahren sehr hohe Stu<strong>die</strong>nabbrecherquoten.Die Hochschule begegnete <strong>die</strong>serTatsache mit einer Reform der Stu<strong>die</strong>neingangsphase.So wurden <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenbeider Fächer unter anderem speziellelehramtsbezogene Einführungsveranstaltungenkonzipiert, erprobt und in den Regelbetriebübernommen.Ein zweites Teilprojekt zielte auf <strong>die</strong> verstärkteEinbindung der <strong>MINT</strong>-Schülerlaborein <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>. Dabei entstandenneue Seminarformen, <strong>die</strong> den Stu<strong>die</strong>rendenbereits in einer frühen Phase ihresStudiums praktische Unterrichtserfahrungenermöglichen. Die Labore <strong>die</strong>nen heutezudem der fachdidaktischen Ausbildungder künftigen Lehrkräfte, <strong>die</strong> dort neue Unterrichtskonzepteentwickeln, Schülerlernprozessebeobachten und auswerten sowieihr eigenes Unterrichtshandeln kritischreflektieren.Schließlich hat <strong>die</strong> Universität im Rahmendes Projektes das neue Stu<strong>die</strong>nangebot IntegrierteNaturwissenschaften konzipiertund eingeführt. Das Fach verbindet <strong>die</strong> DisziplinenBiologie, Chemie und Physik miteinanderund bereitet angehende Grundschullehrkräftebesonders handlungs- undprofessionsorientiert auf ihren späterenBeruf vor.Die Organisation der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungan der FU BerlinDie Freie Universität verfügt in ihrer <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung über eine breite Fächerauswahl,<strong>die</strong> je nach Kombination und Stu<strong>die</strong>ndauer<strong>für</strong> das Lehramt in der Grundschule,der weiterführenden Schule bis Klasse10 bzw. bis zum Abitur qualifiziert. AlleLehramtsstu<strong>die</strong>ngänge sind auf das gestufteBachelor-/Master-System umgestellt.Bachelor-Stu<strong>die</strong>ngänge setzen sich dabeiKurz und knappProjektfokus: Reform der Stu<strong>die</strong>neingangsphase, Einbindung vonSchülerlaboren in <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>, Schaffung eines interdisziplinärenStu<strong>die</strong>nangebotes NaWi <strong>für</strong> das GrundschullehramtFördersumme: 750.000 EuroProjektleitung: Prof. Dr. Volkhard Nordmeierwww.fu-berlin.de/mint-lehrerbildung/Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 23


im Bundesland Berlin stets aus zwei Fächernzusammen: dem Kernfach und demZweitfach. Hinzu kommt <strong>die</strong> lehramtsbezogeneBerufswissenschaft (LBW), bestehendaus fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichenVeranstaltungen.Die Regelstu<strong>die</strong>nzeit beträgt im Bachelorsechs Semester, der Master of Educationdauert je nach angestrebtem Lehramt entwederzwei oder vier Semester. Zur Ausübungdes Lehrerberufes berechtigt abererst der erfolgreiche Abschluss des Vorbereitungs<strong>die</strong>nstes(<strong>für</strong> <strong>die</strong> Primar-/Sekundarstufe;ein Jahr) bzw. des Referendariates(<strong>für</strong> <strong>die</strong> gymnasiale Oberstufe; zwei Jahre).Die <strong>MINT</strong>-Fächer Biologie, Chemie, Informatik,Mathematik und Physik können an derFU jeweils als Kern- oder Zweitfach gewähltwerden, <strong>die</strong> Grundschulpädagogik mit denLernbereichen Deutsch, Mathematik undSachunterricht nur als Kernfach. Im Jahr vorBeginn der Maßnahmen waren insgesamtetwa 2.600 Stu<strong>die</strong>rende mit dem BerufszielLehramt in den genannten Fächern eingeschrieben.Seitdem sind <strong>die</strong> Bewerberzahlenin den zulassungsbeschränkten Stu<strong>die</strong>ngängenstetig gestiegen. In der Physik,deren Platzangebot damals noch nicht ausgelastetwar, hat sich <strong>die</strong> Zahl der Stu<strong>die</strong>rendenverdoppelt. Alle <strong>MINT</strong>-Fächer verfügenheute über dauerhafte Fachdidaktik-Professuren,<strong>die</strong> im Projektzeitraum teils neu eingerichtetund an den jeweiligen Fachbereichenangesiedelt wurden.Den organisatorischen Rahmen <strong>für</strong> alleStufen und Fachrichtungen der Lehramtsausbildungan der Freien Universität bildetseit 2006 das Zentrum <strong>für</strong> Lehrerbildung(ZfL). Die akademischen Belange regelt innerhalbdes ZfL <strong>die</strong> Gemeinsame Kommission(GK), <strong>die</strong> aus Vertretern der beteiligtenFachbereiche zusammengesetzt ist. Diesewerden alle zwei Jahre neu gewählt. Die GKverfügt über ein Beschlussrecht und verabschiedetunter anderem <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nordnungen<strong>für</strong> sämtliche Lehramts-Masterstu<strong>die</strong>ngänge.Eine wichtige Aufgabe des ZfL ist es, <strong>die</strong>anstehende Reform der <strong>Lehrerausbildung</strong>in Berlin mitzugestalten und umzusetzen.Geplant ist hier unter anderem <strong>die</strong> Einführungeines Praxissemesters <strong>für</strong> sämtlicheLehramtsstu<strong>die</strong>ngänge. Darüber hinausfungiert das ZfL als Ort und Schnittstelle<strong>für</strong> Forschungsprojekte im Bereich der Bildungsforschung.Und es bietet Stu<strong>die</strong>rendenund Lehrenden vielfältige Serviceleistungen;angegliedert sind zum Beispiel dasStu<strong>die</strong>n- und das Prüfungsbüro, das <strong>die</strong> angehendenLehrkräfte im Stu<strong>die</strong>nverlaufprofessionsorientiert berät, sowie das Praktikumsbüro,das sie bei der Koordination ihrerSchulpraktika unterstützt. Für <strong>die</strong> Bündelungder Kooperationen mit der Schulpraxishat <strong>die</strong> FU zudem 2007 das Zentrum<strong>für</strong> Schulkooperationen gegründet.24 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulse„Wir müssen Evidenz schaffen.“Das <strong>MINT</strong>-Lehramtsstudium professionsbezogener gestalten.Professor Volkhard Nordmeier, Physik-Didaktiker und Leiter des Projektes FU.<strong>MINT</strong>,über <strong>die</strong> Herausforderungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung in Deutschland und <strong>die</strong> Reformen,<strong>die</strong> seine Universität in den vergangenen vier Jahren in Angriff genommen hat.InterviewHerr Professor Nordmeier, <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nabbrecherzahlenin den <strong>MINT</strong>-Fächern,insbesondere auch in den <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängen,sind nach wie vor sehrhoch. Woran liegt das?Volkhard Nordmeier: Der Schwund isttatsächlich immens und betrifft insbesondere<strong>die</strong> Fächer Mathematik undPhysik, in denen mehr als <strong>die</strong> Hälfte allerStu<strong>die</strong>nanfänger ihr Studium nicht beenden.Die große Hürde stellt dabei erwiesenermaßendas erste Stu<strong>die</strong>njahr dar:In der Physik brechen ungefähr 30 Prozentder Stu<strong>die</strong>renden innerhalb der erstenbeiden Semester ab. Diese Zahl istseit Jahrzehnten konstant und gilt <strong>für</strong> alleUniversitäten in Deutschland, betrifftallerdings <strong>die</strong> Lehramts- und <strong>die</strong> Fachstu<strong>die</strong>rendengleichermaßen. Wer <strong>die</strong>sekritische Phase übersteht, hat guteChancen, das Studium auch zu Ende zuführen.Was sind denn bei den Lehramtsstu<strong>die</strong>renden<strong>die</strong> Gründe <strong>für</strong> den Abbruch?Volkhard Nordmeier: Viele Abiturientenkommen mit „falschen“ Vorstellungenund Erwartungshaltungen an <strong>die</strong> Uni-versität. Sie haben etwa <strong>die</strong> Physik in derSchule ganz anders kennengelernt, sindzum Beispiel wenig geübt im mathematischenModellieren. Und dann schreibensie sich an der Universität ein, sitzen imHörsaal und müssen sich vorwiegendmit einer extrem verdichteten Theorieund komplizierter Mathematik beschäftigen.Das haben viele so nicht erwartetund verlieren deshalb schnell das Interesseam Fach und am Studium. Für <strong>die</strong>Hochschulen bedeutet das einerseits,dass wir insbesondere in der Beratungbesser werden und Stu<strong>die</strong>ninteressiertein Kooperation mit den Schulen frühzeitigüber <strong>die</strong> tatsächlichen Anforderungenim Studium informieren müssen. Dochauch am Studium selbst gilt es anzusetzen,insbesondere an der Eingangsphase.Aus Untersuchungen wissen wir zumBeispiel, dass Lehramtsstu<strong>die</strong>rende einhohes Maß an berufsbezogener Stu<strong>die</strong>nmotivationmitbringen. Derzeit bereitenwir sie im Studium auf den eigentlichenBeruf aber viel zu wenig und viel zuspät vor – auch bedingt durch <strong>die</strong> Bologna-Reform.Hier muss unser Ziel lauten:mehr Professionsorientierung von Beginnan – und eine stärkere Verzahnungvon Fach und Fachdidaktik.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 25


Was genau verstehen Sie unter Professionsorientierung?Volkhard Nordmeier: Manche Bundesländerfordern, dass ein Lehramtsstudiumim Bachelor polyvalent sein muss.Das bedeutet, man besucht im Prinzip<strong>die</strong> gleichen Veranstaltungen wie <strong>die</strong>Fachstu<strong>die</strong>renden, damit man späterimmer noch ins Fachstudium wechselnkann. In der Realität kommen solcheWechsel allerdings nur äußerst seltenvor. Bei uns an der FU ist mir in der Physikaus den letzten drei Jahren sogar garkein Fall bekannt. Nach dem polyvalentenModell stu<strong>die</strong>re ich also erst mal ausschließlichdas Fach, und erst im Masterkommen <strong>die</strong> berufsbezogenen Kompetenzen,also <strong>die</strong> Fachdidaktik, <strong>die</strong> Pädagogikund <strong>die</strong> Schulpraktika, hinzu. Ichhalte das <strong>für</strong> falsch. Das gibt es auch inkeinem anderen Beruf. Wer Arzt, Juristoder Ingenieur werden will, absolviertein Studium, das ganz auf <strong>die</strong>se Professionausgerichtet ist. Aus der Expertiseforschungwissen wir, dass es nun malZeit braucht, um sich zu einem Expertenauf seinem Gebiet zu entwickeln –in der Regel etwa zehn Jahre. Nur denLehramtsstu<strong>die</strong>renden wird kaum Zeitzugestanden, ihnen bleibt beim polyvalentenStu<strong>die</strong>nmodell da<strong>für</strong> gerade einmaldas Master-Studium. Und im Referendariatfolgt dann häufig der „Praxisschock“.Bis dahin ist <strong>die</strong> Durststreckeaber ohnehin so groß, dass viele vorherabbrechen.Wie haben Sie im Projekt FU.<strong>MINT</strong> <strong>die</strong> Professionsorientierungim Lehramtsstudiumgestärkt?Volkhard Nordmeier: Indem wir <strong>die</strong> verschiedenenTeile des Studiums – also<strong>die</strong> fachwissenschaftliche, <strong>die</strong> fachdidaktischeund <strong>die</strong> pädagogische Ausbildung– stärker als bisher miteinanderverzahnt haben. Ein gutes Beispiel sindunsere Schülerlabore, <strong>die</strong> wir im Rahmendes Projektes weiter ausgebaut undbesser ins Studium integriert haben. DieLehrveranstaltungen, <strong>die</strong> dort stattfinden,sind natürlich im Kern didaktisch;unsere Stu<strong>die</strong>renden gestalten in denLaboren Lernumgebungen und -materialienund sammeln Erfahrung darin, Kinderzu unterrichten. Gleichzeitig lernensie dort aber durch <strong>die</strong> Beschäftigungmit der Physik, Chemie, Biologie, Mathematikund Informatik natürlich immerauch fachlich hinzu. Oder nehmen Sie<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>neingangsphase in der Physik,<strong>die</strong> wir im Projekt neu gestaltet habenund nun separat <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenanbieten. Hier finden nun unteranderem schon in den ersten SemesternDidaktikveranstaltungen statt, in denenwir Inhalte aus den Grundlagenvorlesungenprofessionsbezogen aufgreifen. Dieserintegrative Ansatz ist ganz wichtig <strong>für</strong>26 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseProjektleiter Volkhard Nordmeier (l.): „Universitäten verändern sich nur sehr langsam.“<strong>die</strong> Lehrerbildung, das bestätigen auchzahlreiche Untersuchungen. Trotzdemwird er bislang viel zu selten praktiziert.Woran liegt das?Volkhard Nordmeier: Ein Grund könntesein, dass sich große Organisationenwie eine Universität nur sehr langsamverändern und eingespielte Routinenoft lange erhalten bleiben. Auch Kapazitäts-und Finanzierungsprobleme spielenhäufig eine Rolle: Wo es zum Beispielnur wenige Lehramtsstu<strong>die</strong>rende gibt,können separate Veranstaltungen nichtimmer angeboten werden. Bei aller Kritikmuss man den Universitäten auch zugutehalten, dass es kaum ein Stu<strong>die</strong>nsystemgibt, das so kompliziert ist wie <strong>die</strong>Lehrerbildung. In anderen Stu<strong>die</strong>ngängenist es ja meist so, dass <strong>die</strong>se komplettin der Verantwortung eines Fachbereichsliegen, manchmal sogar eineseinzigen Instituts. Im Lehramt hingegenhat jeder Stu<strong>die</strong>rende allein schon zweiFächer, <strong>die</strong> fast immer an unterschiedlichenFachbereichen angesiedelt sind,dazu <strong>die</strong> Fachdidaktik, <strong>die</strong> Pädagogikund schließlich <strong>die</strong> Praktika, <strong>die</strong> in denSchulen stattfinden. Und danach kommtnoch <strong>die</strong> zweite Phase, das Referendariat,hinzu. Das bedeutet, man hat ganzviele unterschiedliche Akteure, <strong>die</strong> manerst mal überhaupt an einen Tisch bringenmuss, bevor sich etwas verändernkann. Die Schwierigkeiten betreffen alsoauch das System Lehrerbildung selbst.Das neue Stu<strong>die</strong>nfach Integrierte Naturwissenschaften– NaWi – <strong>für</strong> <strong>die</strong> Grundschule,das an der Freien Universität gestartet ist,haben vier Fachbereiche gemeinsam konzipiert.Wie konnten Sie <strong>die</strong> Schwierigkeitendort überwinden?Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 27


Volkhard Nordmeier: Es hat einen hohenKommunikationsaufwand aller Planungsgruppen-Mitgliedererfordert. Allerdingsherrschte in der Sache – dasheißt: in der Überzeugung, wie <strong>die</strong> Naturwissenschaftenan künftige Grundschullehrerinnenund -lehrer herangetragenwerden müssten – von Beginnan große Übereinstimmung. Und NaWiist ein echtes Erfolgsmodell. In <strong>die</strong>semHerbst hat bereits <strong>die</strong> dritte Stu<strong>die</strong>renden-Kohortebegonnen; <strong>die</strong> Rückmeldungensowohl der Dozenten als auchder Stu<strong>die</strong>renden sind bislang insgesamtsehr positiv. Und auch <strong>die</strong> BerlinerSenatsverwaltung nimmt sehr genauwahr, was wir hier machen, und freutsich auf <strong>die</strong> neuen Lehrkräfte. Das Besteist aber: Die Abbrecherzahlen im neuenStu<strong>die</strong>nfach sind verschwindend gering!Stattdessen können wir uns vor Stu<strong>die</strong>nplatzbewerbungenkaum retten.Wie bewerten Sie <strong>die</strong> Projektarbeit der letztenvier Jahre?Volkhard Nordmeier: Sehr positiv. Mancheunserer Erfolge sind schon jetzt klarersichtlich, so wie sinkende Abbrecherundsteigende Stu<strong>die</strong>rendenzahlen, auf<strong>die</strong> wir sehr stolz sind. Aber auch in derAußendarstellung haben wir vieles erreicht,zum Beispiel mit Events wie derBerliner „Langen Nacht der Wissenschaften“,an der wir mit unserem Projektteilgenommen und gleich ein ganzes Kapitelim Programmheft gefüllt haben.Das entfaltet natürlich seine Wirkung aufSchüler, <strong>die</strong> sich <strong>für</strong> das <strong>MINT</strong>-Lehramtinteressieren und sehen, wie aktiv wir in<strong>die</strong>ser Richtung sind. Andere Erfolge lassensich zum Beispiel an der fachdidaktischenForschung festmachen, <strong>die</strong> wir imProjekt betrieben haben …… gemeinhin auch eine Schwachstelle derLehrerbildung.Volkhard Nordmeier: Stimmt. Es existiertleider immer noch <strong>die</strong> Vorstellungvom Lehrer, der vor der Klasse steht undmit einer Handvoll tra<strong>die</strong>rter Rezepte seinenStoff vermittelt. Diese Vorstellungist aber überholt. Stattdessen müssenwir Evidenz schaffen, wie guter Unterrichtund gute Lehrerbildung heute gelingen.Den Lernort Schule beforschenBildungswissenschaftler seit Jahrzehntenund untersuchen, wie dort gelehrtund gelernt wird. In der hochschuldidaktischenLehr-/Lernforschung gibt eshingegen noch viele weiße Flecke aufder Landkarte, das gilt auch und gerade<strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung. Deshalb war es<strong>für</strong> uns ganz wichtig, sämtliche Teilprojekte,<strong>die</strong> wir angepackt haben, wissenschaftlichzu begleiten. Ohne Forschungmacht solch ein Großvorhaben tatsächlichüberhaupt keinen Sinn. Schließlichwill man, wenn man an den Stellschrau-28 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseben des Systems dreht und verschiedeneSzenarien ausprobiert, am Endedoch wissen, ob und wie das Ganzeüberhaupt wirkt. Und da haben wir sehrgute Ergebnisse erzielt.Die <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> hat nicht nur <strong>die</strong> FreieUniversität, sondern auch <strong>die</strong> Humboldt-Universität zu Berlin gefördert. Gab es eineForm der Zusammenarbeit?Volkhard Nordmeier: Obwohl beide Universitätenüber <strong>die</strong> vier Jahre jeweils aufverschiedenen Baustellen der Lehrerbildungaktiv waren, gab es doch einigegroße Klammern und Aufgaben, an denenwir gemeinsam gearbeitet haben. Eine<strong>die</strong>ser Klammern war zum Beispiel <strong>die</strong>Nachwuchsförderung in den <strong>MINT</strong>-Fachdidaktiken,da<strong>für</strong> haben wir ein gemeinsamesDoktoranden-Kolloquium eingeführt:Die Nachwuchswissenschaftler beiderHochschulen haben sich mehrmalsgetroffen, sich gegenseitig ihre fachdidaktischenThemen vorgestellt und darüberintensiv diskutiert. Außerdem habenwir im letzten Februar erstmalig gemeinsam<strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrertage veranstaltet, einezweitägige Fortbildung mit über 200Teilnehmern. Das war <strong>für</strong> <strong>MINT</strong> und Berlineine überaus gute Resonanz.Volkhard Nordmeier: Derzeit warten wirauf das neue Lehrerbildungsgesetz, dasbald im Berliner Senat zur Verabschiedungansteht. Dieses wird eine Reihevon Innovationen bringen, zum Beispielein Praxissemester <strong>für</strong> alle Lehramtsstu<strong>die</strong>renden.Für uns bedeutet das erstmal eine Menge Arbeit, denn wir müssen<strong>die</strong> begonnenen Reformen so schnellwie möglich an <strong>die</strong> neuen Strukturen anpassen.Das Fach Integrierte Naturwissenschaftensoll nach aktuellem Standzusammen mit dem Sachunterricht zu einemneuen Stu<strong>die</strong>nfach ausgebaut werden,das dann vertieft und in einem größerenUmfang als bisher stu<strong>die</strong>rt werdenkann. Derzeit wird NaWi bei uns übrigenssogar als beispielgebend <strong>für</strong> <strong>die</strong>gesellschaftswissenschaftlichen Fächerdiskutiert. Auch <strong>die</strong> in der ersten Projektphaseerprobten Ansätze <strong>für</strong> eine bessereVerzahnung von Theorie und Praxis inunseren Schülerlaboren werden wir fortführenund weiter ausbauen – gemeinsammit anderen Universitäten im neuenEntwicklungsverbund-Projekt der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>,das jetzt startet. Fest steht:Es bleibt auch in Zukunft spannend inder Berliner <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung.Was bleibt an der Freien Universität in Sachen<strong>MINT</strong>-Lehrerbildung in Zukunft nochzu tun?Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 29


Für einen guten Start.Die Reform der Stu<strong>die</strong>neingangsphase.Weniger Stu<strong>die</strong>nabbrecher durch einen besseren Zuschnitt des Studiums und mehrBerufsorientierung schon in den ersten Semestern – so lautete <strong>die</strong> Rechnung der FreienUniversität Berlin im Projekt FU.<strong>MINT</strong>. Erste Untersuchungen legen den Schluss nahe,dass <strong>die</strong> Maßnahmen wirken.Wie viele andere Hochschulen litt auch <strong>die</strong>Freie Universität Berlin in der Vergangenheitunter vergleichsweise hohen Stu<strong>die</strong>nabbrecherzahlenin den lehramtsbezogenen<strong>MINT</strong>-Fächern, gerade in den Anfangssemestern.Erste Untersuchungenvor Ort brachten <strong>die</strong> Erkenntnis, dass insbesonderedas Vorwissen und <strong>die</strong> Erwartungender Stu<strong>die</strong>renden zu stark von dentatsächlichen Anforderungen im Studiumabweichen. Andererseits fehlt in denLehrveranstaltungen <strong>die</strong> nötige Professionsorientierung,sprich: Das Studium istzu wenig auf <strong>die</strong> spezifischen Bedürfnisseder angehenden Lehrerinnen und Lehrerausgerichtet. In ihrem von der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> geförderten Entwicklungsprojekthatte sich <strong>die</strong> Universität deshalb unteranderem vorgenommen, <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>neingangsphaseneu auszurichten und besseran <strong>die</strong> besonderen Zielvorstellungen undInteressenlagen der Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenanzupassen. Beteiligt an <strong>die</strong>sem Teilprojektwaren <strong>die</strong> Fächer Physik und Mathematik.Die Reform bezog sich auf sämtlicheLehrämter.Physik: Neukonzeption der Grundlagenvorlesungzur ExperimentalphysikDas Physikstudium an der FU Berlin siehtin den ersten Semestern unter anderem<strong>die</strong> vierteilige Grundlagenvorlesung zurExperimentalphysik verpflichtend vor. Bislanghatte der Fachbereich <strong>die</strong>se stets alsgemeinsame Veranstaltung sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong>Fach- als auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenangeboten. Eine Längsschnittuntersuchungzum Stu<strong>die</strong>nerfolg in der Physik, <strong>die</strong>seit 2008 an der Universität läuft, brachtejedoch etwa mit Beginn der Förderungdurch <strong>die</strong> <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> <strong>die</strong> Erkenntnis,dass sich beide Stu<strong>die</strong>rendengruppen inihren Eingangsvoraussetzungen teils signifikantvoneinander unterscheiden und deshalbein separates Studium <strong>für</strong> angehendeLehrkräfte wünschenswert wäre. So sindzum Beispiel <strong>die</strong> physikalischen Vorkenntnisseund das reine Fachinteresse bei Lehramtsstu<strong>die</strong>rendengeringer ausgeprägt alsbei Fachstu<strong>die</strong>renden (siehe Kasten). DieBefunde der Stu<strong>die</strong> nahm man zum Anlass,um im Projekt gesonderte Grundlagenvorlesungeneigens <strong>für</strong> Lehramtskandidatenzu konzipieren und zu erproben.Die neue Vorlesung (zwei Module à zweiVeranstaltungen) knüpft insbesondere imersten Semester stärker an das Vor- bzw.30 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulsePhysik-Lehramtsstu<strong>die</strong>rende unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen von Physik-Fachstu<strong>die</strong>renden und benötigendeshalb eine separate Stu<strong>die</strong>neingangsphase.Schulwissen der Stu<strong>die</strong>renden an. DasTempo wird im Semesterverlauf langsamerhöht; so haben <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden geradein den ersten Wochen deutlich mehr Erfolgserlebnisseals bisher, was sich positivauf ihre Motivation auswirkt. Viele fachlicheAspekte werden anhand von authentischenKontexten diskutiert, etwa aus dem Sportoder dem Straßenverkehr. Dabei flechten<strong>die</strong> Dozenten regelmäßig kurze Verständnisaufgaben,sogenannte Assessments, in<strong>die</strong> Veranstaltung ein, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenmittels eines extra da<strong>für</strong> konzipiertenAbstimmungssystems per Smartphone,Tablet oder Notebook webbasiert beantworten.Das Ergebnis steht den Dozentensofort zur Verfügung; sie erhalten quasi inEchtzeit eine Rückmeldung, ob <strong>die</strong> Inhalteverstanden wurden, und können den Stoff,falls nötig, wiederholen. Allerdings spieltin der Vorlesung nicht bloß fachliches Lernen„auf Vorrat“ eine Rolle. Durch spezielleLehrmethoden (Experimente, Gruppenprojekte,gegenseitiges Beraten, Präsentierenvon Ergebnissen etc.) sollen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendengenauso Kompetenzen in überfachlichenund stärker berufsbezogenen Bereichenwie Erkenntnisgewinnung, Kommunikationund Bewertung erlangen.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 31


Evaluation zeigt, dass InterventionenwirkenNeu konzipiert wurden in der Physik auchzweiteilige Übungsveranstaltungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>Vorlesung zur Experimentalphysik begleiten.Darin werden insbesondere <strong>die</strong> mathematischenGrundlagen in den Blick genommen,da <strong>die</strong>se mit entscheidend <strong>für</strong>ein erfolgreiches Absolvieren der Stu<strong>die</strong>neingangsphasesind. Im ersten Teil derÜbung findet jeweils eine Nachbesprechungder Vorlesung statt. Die Übungsgruppenleitererarbeiten gemeinsam mitden Stu<strong>die</strong>renden zentrale Fragen zu denVorlesungsinhalten. Je nach Bedarf werdenÜbungsaufgaben besprochen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Teilnehmerzuvor in Heimarbeit lösen mussten.Im zweiten Übungsteil lösen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenentweder gemeinsam eine Präsenzübungsaufgabe,oder sie bearbeitenein Self-Assessment. Die Präsenzaufgabevertieft den Vorlesungsstoff inhaltlich undbietet den Stu<strong>die</strong>renden <strong>die</strong> Möglichkeit,bei ihren Kommilitonen oder den Übungsgruppenleiternnachzufragen. Dadurchwird auch <strong>die</strong> soziale Interaktion gefördert.Durch das Self-Assessment erhalten<strong>die</strong> Lehramtskandidaten eine fachbezogeneRückmeldung und sind stets informiertüber ihren eigenen Lernstand.Mathematische Grundlagen sind auch in der Physik entscheidend <strong>für</strong> den Stu<strong>die</strong>nerfolg.Mit Einführung der neuen Stu<strong>die</strong>neingangsphaseab dem Wintersemester2010/11 wurden im Rahmen der wissenschaftlichenBegleitforschung zum Projekt<strong>die</strong> Wirkungen der Interventionsmaßnahmenuntersucht. Dazu führte man unter anderem<strong>die</strong> bereits erwähnte Längsschnittstu<strong>die</strong>fort. Befragt wurden <strong>die</strong>smal sowohlLehramtsstu<strong>die</strong>rende, <strong>die</strong> noch nach demalten Modell stu<strong>die</strong>rten, als auch solche,<strong>die</strong> bereits <strong>die</strong> separate Lehramtsvorlesungbesuchten. Mit den Ergebnissen zeigtensich <strong>die</strong> Forscher sehr zufrieden: So wiesen<strong>die</strong> Lehramtskandidaten, <strong>die</strong> ihr Studiumnach der Intervention begonnen hatten,etwa eine signifikant höhere Zufriedenheitmit der Stu<strong>die</strong>n- und Prüfungsorganisation,der Lehrqualität sowie der Betreuungund Unterstützung auf als ihre Kommilitonen.Gleichzeitig nahmen sie <strong>die</strong> Gesamt-32 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsebelastung durch das Studium als geringerwahr, hatten weniger Lernschwierigkeiten,eine geringere Demotivation und ein höheresStu<strong>die</strong>ninteresse – allesamt Faktoren,<strong>die</strong> einen erfolgreichen Stu<strong>die</strong>nabschlussbegünstigen. Folgerichtig sind auch <strong>die</strong>Abbrecherzahlen im Physik-Lehramtsstudiumseit Implementierung der Interventionsmaßnahmendeutlich gesunken. Die Universitätmuss einige Lehrveranstaltungeninzwischen sogar doppelt anbieten, weilviel mehr Stu<strong>die</strong>rende als früher <strong>die</strong> höherenSemester erreichen.Mathematik: Weiterentwicklung der Tutorienzur Analysis und Linearen AlgebraAuch in der Mathematik beschränkte sich<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>neingangsphase der Lehramtskandidatenin der Vergangenheit auf reinfachliche Inhalte. Der Mangel an Bezügenzum angestrebten Lehrerberuf führte beiden Stu<strong>die</strong>renden schnell zur Demotivation.Die Folge war eine hohe Abbrecherquote.Bereits vor Beginn des Projektes FU.<strong>MINT</strong>hatte der Fachbereich Mathematik deshalblehramtsspezifische Anfängervorlesungenzur Analysis und Linearen Algebra eingeführt.Konzeption und Durchführung überließman dabei den jeweiligen (wechselnden)Dozenten, <strong>die</strong> allerdings meist nur denzu vermittelnden Stoff reduzierten. Eine Verzahnungmit der mathematikdidaktischenPerspektive fehlte zunächst. Ziel der Arbeitenim Förderprojekt war es deshalb, eineZusammenarbeit von Fachwissenschaftund Fachdidaktik im Rahmen der Stu<strong>die</strong>neingangsphasezu etablieren und zu verstetigen.Dabei konzentrierte man sich imGegensatz zur Physik weniger auf Interventionenin <strong>die</strong> Grundlagenvorlesungenselbst als vielmehr auf <strong>die</strong> Weiterentwicklungder begleitenden Tutorien.So erhielten <strong>die</strong> Tutorinnen und Tutorenim Projektverlauf Schulungen, <strong>die</strong> es ihnenermöglichten, methodisch abwechs-Signifikante UnterschiedeLehramts- versus Fachstu<strong>die</strong>rende in der PhysikDie Längsschnittstu<strong>die</strong> zum Stu<strong>die</strong>nerfolg in der Physik, <strong>die</strong> <strong>die</strong> FreieUniversität Berlin gemeinsam mit der Universität Kassel durchgeführthat, zeigt, dass sich Lehramtsstu<strong>die</strong>rende zu Beginn ihres Studiums inverschiedenen Punkten von Fachstu<strong>die</strong>renden unterscheiden: Ihre Abiturnote ist schlechter. Sie haben in der Schule seltener Leistungskurse in Mathematik undPhysik gewählt. Sie haben vor der Aufnahme des Studiums häufiger schon eine Ausbildungabsolviert oder anderweitige Stu<strong>die</strong>nerfahrung gesammeltund gehen im Studium häufiger einer Erwerbstätigkeit nach. Sie nehmen zwischen Abitur und Stu<strong>die</strong>nbeginn seltener an mathematischenBrücken- und Vorkursen teil. Sie haben ein geringeres Fachinteresse und sind eher extrinsisch,also berufsbezogen, motiviert („Ich lerne <strong>die</strong> Physik nicht um ihrerselbst willen, sondern weil ich sie später unterrichten will.“).Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 33


lungsreich und stärker kompetenzorientiertmit den Stu<strong>die</strong>renden zu arbeiten.Die Mathematik-Didaktik konzipierte darüberhinaus einen Pool an speziellen didaktischenÜbungsaufgaben <strong>für</strong> den Einsatzin den Tutorien. Diese sollen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenunter Berücksichtigung dermathematischen Inhalte gezielt auf ihrenkünftigen Beruf vorbereiten. Beim Lösender Aufgaben reflektieren sie das eigeneLernen, arbeiten Bezüge zum Schulstoffheraus, untersuchen und beantwortenmögliche Schülerfragen und analysierenunterschiedliche Lösungswege. Die Bearbeitungvon Präsenzaufgaben und <strong>die</strong>Besprechung der in Heimarbeit gelöstenÜbungsaufgaben erfolgt in den Tutoriennicht im Vortragsstil an der Tafel, sonderninteraktiv, zum Beispiel per Gruppenpuzzle-oder Ich-Du-Wir-Methode.Es wurde zudem ein neuer Kurs im mathematischenModellieren konzipiert underprobt, der den Stu<strong>die</strong>renden zunächstvon fachlicher Seite aus eine konkrete Vorstellungdavon geben soll, was mit der inden Bildungsstandards geforderten Kompetenz„Modellieren“ gemeint ist. Exemplarischlernen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden Modellierungsmethodenkennen und hantierenselber damit. Anschließend wird <strong>die</strong>sespezielle Erfahrung des selbstständigenMathematiktreibens mit der schuldidaktischenPerspektive kombiniert.Die interne Evaluation 1 der Interventionsmaßnahmendurch <strong>die</strong> Freie Universität erbrachteein allgemein positives Feedbackder Stu<strong>die</strong>renden. Die Mehrheit äußertesich erfreut über und zusätzlich motiviertdurch <strong>die</strong> stärkere Professionsorientierungin den Veranstaltungen. Jedoch musste derFachbereich auch Lehren aus dem Projektziehen: So zeigte sich, dass <strong>die</strong> Umsetzungder Maßnahmen in den Vorlesungen undTutorien noch stark personenabhängig ist.Hier erhofft man sich, durch Gespräche,Feedback, Tutoren-Workshops und <strong>die</strong>noch zu berufende Professur Mathematik<strong>für</strong> das Lehramt künftig eine konsequentereUmsetzung der Ideen und eine kontinuierlicheWeiterentwicklung zu erreichen.1 Eine externe Evaluation des Teilprojektes „Reform der Stu<strong>die</strong>neingangsphase Mathematik“ erfolgte zudem durchProfessorin Gabriele Kaiser von der Universität Hamburg.34 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulsePraxiseinsatz auf sicheremTerrain.Die Einbindung der Schülerlabore in <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>.In den <strong>MINT</strong>-Schülerlaboren der Freien Universität können Lehramtskandidaten ohneDruck <strong>die</strong> Lehrerrolle üben und lernen so bereits im Studium, Theorie und Praxis miteinanderzu verknüpfen. Dabei spielen Feedback und Reflexion eine wichtige Rolle.Zudem entwickeln <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden in den Laboren schon erste eigene Unterrichtskonzepte.Wie vermittelt man Grundschülern komplexenaturwissenschaftliche Phänomene?Zum Beispiel, indem man Bezüge zum Alltagder Kinder herstellt. Das jedenfalls hatsich Madeleine Mennicken <strong>für</strong> heute vorgenommen.Ihr Thema: der Auftrieb. „Wervon euch war in den Ferien zum Schwimmenam See oder im Freibad?“ fragt siegleich zu Beginn des Unterrichts, und sofortschnellen 15 kleine Arme in <strong>die</strong> Höhe.Madeleine lächelt. Zum Glück war der BerlinerSommer schön, sonst hätte sie jetztvielleicht ein Problem. Was denn im Wasseranders sei als an Land, will sie als Nächstesvon den Kindern wissen. Hinten in derletzten Reihe meldet sich ein Blondschopf.„Wenn ich tauche und mir <strong>die</strong> Nase zuhalte,fühlt sich das so komisch in den Ohrenan“, sagt er. Auch sein Sitznachbar will etwasbeitragen. „Im Wasser ist man leichterals an Land und kann sogar andere hochheben,<strong>die</strong> schwerer sind als man selbst“,weiß er. Und ein Mädchen im roten Pulliweiter vorne will beobachtet haben, „dassmanche Sachen, wenn man sie untertaucht,von alleine wieder hochkommen“.So läuft das noch eine ganze Weile. DieKinder haben Spaß daran, Madeleine vonihren Erfahrungen beim Schwimmen zu berichten,und schaffen so ganz von selbst<strong>die</strong> Grundlagen <strong>für</strong> das Unterrichtsthema.Als <strong>die</strong> Studentin ihnen anschließend ander Tafel erklärt, welche Kräfte unter Wasserauf einen Körper einwirken, verstehen<strong>die</strong> meisten das Konzept dann auch sehrschnell. „Prima“, ruft Madeleine, „und jetztgehen wir rüber ins Labor und beginnenmit unseren Experimenten.“Vom Schülerlabor zum Lehr-Lern-LaborDas lassen sich <strong>die</strong> Schüler natürlich nichtzweimal sagen. Wie im Flug packen sie ihreSachen zusammen und stürmen durch<strong>die</strong> Tür. Immerhin ist das Experimentierender eigentliche Grund da<strong>für</strong>, warum <strong>die</strong>Sechstklässler der Berliner Erich-Kästner-Schule an <strong>die</strong>sem Tag an <strong>die</strong> Freie Universitätgekommen sind. Sie sind zu Besuchim PhysLab, einem der Schülerlabore derFU, in denen der Fachbereich Physik Kindernermöglicht, <strong>die</strong> Arbeitswelt von Forschernkennenzulernen und selbstständigphysikalische Versuche durchzuführen.Solche Labore gibt es inzwischen bundesweitin großer Zahl an Hochschulenund in Forschungseinrichtungen. Nur <strong>die</strong>Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 35


Lehramtsstu<strong>die</strong>rende der Freien Universität Berlin reflektieren ihre Unterrichtserfahrungen im PhysLab. Die Dozenten Stephanie Strelow (vorne links) und PhilippStraube (3. v. l.) geben Anregungen.wenigsten werden jedoch wie das PhysLabauch als Baustein in der <strong>Lehrerausbildung</strong>eingesetzt: Damit sie später nicht der berüchtigte„Praxisschock“ ereilt, sollen Lehramtsstu<strong>die</strong>rendehier bereits frühzeitig Unterrichtsversuchedurchführen, dabei <strong>die</strong>Lernprozesse der Schüler forschend beobachtensowie ihr eigenes Unterrichtshandelnkritisch reflektieren lernen. „Der Vorteilder Labore gegenüber der Schule ist, dass<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden sicheren Boden unterden Füßen haben“, erklärt Professor CarstenSchulte von der Freien Universität. Sieseien mit den Räumlichkeiten und der technischenAusstattung vertraut, könnten zudem<strong>die</strong> Unterrichtseinheiten flexibler gestalten.„In der Schule müssen sie spätestensnach 45 Minuten abbrechen. Hier darfes dagegen auch länger dauern, wenn es<strong>für</strong> den Lernprozess förderlich ist.“Der Informatik-Didaktiker Schulte, der amFachbereich Mathematik und Informatikdas Schülerlabor MI.Lab leitet, hat im Rahmendes Projektes FU.<strong>MINT</strong> gemeinsammit Kolleginnen und Kollegen aus den anderenFächern den Ausbau der Schülerlaborezu Lehr-Lern-Laboren – also ihre Verzahnungmit der <strong>Lehrerausbildung</strong> – vorangetrieben.Beteiligt waren neben demPhysLab und dem MI.Lab auch das NatLabdes Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie.Entstanden sind in den einzelnenDisziplinen verschiedene fachdidaktischePraxisseminare, in denen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenje nach Seminar-Fokus Lehreinheitenund -materialien entwickeln oder Lernumgebungen<strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder einrichten. DenHöhepunkt bildet anschließend <strong>die</strong> praktischeUnterrichtserprobung mit wechselndenSchülergruppen.36 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseSo wie heute im PhysLab, wo <strong>die</strong> Sechstklässlerder Erich-Kästner-Schule sich mittlerweilein kleinen Teams zusammengefundenhaben und an ihren Arbeitsplätzen <strong>die</strong>Versuche vorbereiten. Geschickt hantierensie dabei mit Bechergläsern, zylinderförmigenKörpern aus Aluminium, Acryl undPlastik, Federkraftmessern sowie verschiedenfarbigenFlüssigkeiten. All <strong>die</strong>se Utensilienbenötigen sie, um <strong>die</strong> drei Hypothesenzu überprüfen, <strong>die</strong> sie zuvor gemeinsammit Madeleine Mennicken, ihrer „Lehrerinauf Zeit“, aufgestellt haben. Es geht darum,zu erforschen, von welchen Faktoren<strong>die</strong> Auftriebskraft abhängt: vom Materialdes Körpers, von seinem Volumen oder vonder Art der Flüssigkeit? Hier und da haben<strong>die</strong> Kinder anfangs noch Schwierigkeitenbeim Justieren des großen Stativs, an demder Federkraftmesser befestigt werden soll.Doch <strong>die</strong> Studentin ist immer schnell zurStelle, um zu helfen oder Fragen zu beantworten.Auch Madeleines Kommilitonen,<strong>die</strong> während der Einführung noch ganz hintenim Raum gesessen und das Geschehenkonzentriert beobachtet hatten, sindnun aktiv dabei und assistieren den Schülernbeim forschenden Lernen.Die Reflexion des Erlebten istentscheidendDas Gerüst der Unterrichtseinheit „Schwimmen,Schweben, Sinken“, <strong>die</strong> Madeleineheute durchführt, sei fest vorgegeben, erklärtder Physik-Didaktiker Philipp Straube,der als Dozent gemeinsam mit seiner KolleginStephanie Strelow das begleitende Bachelor-Seminarleitet. Gleichwohl könnten<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden vor allem bei der Planungan vielen kleinen Stellschrauben drehen.„Ob jemand eine Skizze an <strong>die</strong> Tafel maltoder beim Erklären auf Hilfsmittel zurückgreift,bleibt ihm überlassen“, sagt Straube.Die Hochschule will ihre Lehramtskandidatenmit dem Praxistest im Schülerlabor inkleinen Schritten ans Unterrichten heranführen– „komplexitätsreduziert“, wie <strong>die</strong>Fachdidaktiker sagen –, anstatt sie späterins kalte Wasser zu werfen. So haben Untersuchungengezeigt, dass sich Stu<strong>die</strong>rendebei ihrem ersten Praktikum in der Schulehäufig überfordert fühlen, und in der Folgeihre berufsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung,sprich: ihr Glaube an <strong>die</strong> eigeneKompetenz als Lehrerinnen und Lehrer, rapideabnimmt. Im Schülerlabor wende man<strong>die</strong>se Effekte ab, indem man <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendeneng betreue, sagt Dozentin StephanieStrelow. „Wir bereiten sie mit vielen gutenAnregungen auf ihren Einsatz vor, beobachtensie anschließend ganz genau beimUnterrichten und geben ihnen hinterher einFeedback. Und ein paar Tage später erprobensie <strong>die</strong> gleiche Stunde noch mal mit eineranderen Schülergruppe.“ Laut ProfessorVolkhard Nordmeier, Physik-Didaktikeran der Freien Universität und Leiter vonFU.<strong>MINT</strong>, ist insbesondere das theoriebezogeneFeedback, das zwischen den beidenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 37


Schülerlabore alsTeil der <strong>Lehrerausbildung</strong>Durchläufen im Begleitseminar stattfindet,bedeutsam <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausbildung der künftigenLehrkräfte. Erst durch den Austausch,<strong>die</strong> intensive Diskussion und <strong>die</strong> Reflexiongewännen <strong>die</strong> subjektiven Erlebnisse derStu<strong>die</strong>renden ihre eigentliche Bedeutungund ihren tieferen Wert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklungprofessionsbezogener Kompetenzen. „Oftmalsverstehen sie erst in <strong>die</strong>ser Situation<strong>die</strong> Relevanz von Theorie <strong>für</strong> das, was sie inder Praxis beobachtet haben.“Der Mehrwert <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende In den <strong>MINT</strong>-Schülerlaboren der Freien Universität werden Lehramtsstu<strong>die</strong>rendein komplexitätsreduzierten, pädagogisch und didaktischbegleiteten Lernumgebungen auf <strong>die</strong> Praxis vorbereitet. Im Sinne des forschenden Lernens bereiten <strong>die</strong> angehenden Lehrkräftetheoriebezogen Unterrichtssequenzen vor, führen <strong>die</strong>se imLabor mit Lerngruppen durch und reflektieren sowohl das eigeneHandeln als auch das der Schüler. Feedback durch Dozenten, Mentoren und Peers und <strong>die</strong> intensiveReflexion des Erlebten im Sinne einer sinnvollen Vernetzung vonPraxis und Theorie führen zu optimierten Unterrichtskonzepten undfördern <strong>die</strong> Bewertungskompetenz der Stu<strong>die</strong>renden.Weniger auf <strong>die</strong> Person des Lehrers und ihrUnterrichtshandeln als auf <strong>die</strong> spezifischeLernumgebung sind demgegenüber andereSchülerlabor-Veranstaltungen konzentriert,<strong>die</strong> im Projektverlauf geschaffen undins Curriculum der Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängeintegriert wurden. Zum Beispiel in der Informatik.Dort entwickeln <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendendas Konzept <strong>für</strong> einen Laborkurs selbst, erproben<strong>die</strong>ses anschließend mit Schülernim MI.Lab und reflektieren am Ende, ob damit<strong>die</strong> gewünschten Lernprozesse bei denSchülern erreicht werden konnten. „DiePerspektive verschiebt sich ein wenig“, erklärtCarsten Schulte, der das neue Praxisseminar<strong>für</strong> angehende Informatiklehrkräfteleitet. „Wichtig <strong>für</strong> den Lernprozess isthalt nicht nur, dass der Lehrer sich professionellverhält. Auch das Unterrichtskonzeptmuss stimmen.“ So beauftragte Schulte seineStu<strong>die</strong>renden etwa, einen Kurs zum ThemaMobilfunk zu erarbeiten. Heraus kamdabei eine dreiteilige Lerneinheit: Zunächstwird den Schülern in der Theorie vermittelt,wie ein Handy-Netz überhaupt funktioniert.Danach experimentieren sie mitrealen Mobilfunk-Verbindungsdaten undbilden <strong>die</strong>se mithilfe einer speziellen Visualisierungs-Software,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenselbst programmiert haben, auf einer Karteab. „Dabei erfahren sie, dass man mit solchenortsbezogenen Daten, wenn man sieentsprechend filtert, leicht ganz viel übereine Person herausfinden kann, auch sehrsensible Informationen“, sagt Schulte. Im38 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseletzten Teil diskutieren <strong>die</strong> Schüler deshalbüber <strong>die</strong> Auswirkungen, <strong>die</strong> sich aus <strong>die</strong>serTechnik <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft ergeben können,etwa über das Thema Vorratsdatenspeicherung.Vom Arbeitsergebnis der Stu<strong>die</strong>rendenist Schulte angetan: „Der Kursfunktioniert in der Erprobung mittlerweilesehr gut, und wir entwickeln ihn von Malzu Mal noch weiter.“ Bald will der Professor<strong>die</strong> Mobilfunk-Lernumgebung auch onlineveröffentlichen, damit Informatiklehrkräfte<strong>die</strong> Inhalte in ihren eigenen Unterricht einbauenkönnen. „Man braucht da<strong>für</strong> im Prinzipja keine aufwendige Ausstattung, <strong>die</strong> esnur bei uns im MI.Lab gäbe.“Bevor <strong>die</strong> Grundschüler eintreffen, erprobt Madeleine Mennicken <strong>die</strong> Unterrichtseinheit mit ihrenKommilitonen.Ruhig und selbstbewusst vornegestandenDie Entwicklung von konkreten Unterrichtskonzeptenfindet zwar auch im PhysLabstatt, allerdings erst <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende in derMaster-Phase. So weit ist Madeleine Mennickennoch nicht. Die 21-Jährige will in einemJahr ihren Bachelor abschließen. Ihrenersten Praxisversuch im Schülerlaborhat sie, nachdem <strong>die</strong> Kinder fertig mitExperimentieren und auf dem Weg nachHause sind, immerhin schon hinter sich.Nun steht noch <strong>die</strong> Feedback-Runde mitihren Kommilitonen und den Dozenten an,<strong>die</strong> sich während des Kurses Notizen zuMadeleines Auftreten in einem speziellenKriterienkatalog gemacht haben. Dieserdeckt sowohl <strong>die</strong> fachliche als auch<strong>die</strong> didaktische, pädagogische und persönlicheEbene ab. „Ich fand gut, wie ruhigund selbstbewusst du da vorne standest.Das hat sich auch auf <strong>die</strong> Schüler übertragen“,lobt zu Beginn ein Mitstudent. Ein anderersieht noch Verbesserungspotenzialhinsichtlich des Kriteriums „Begeisterungerzeugen“: „Du erklärst <strong>die</strong> Dinge meistselbst, anstatt <strong>die</strong> Schüler darauf kommenzu lassen. So könntest du sie vielleicht nochstärker <strong>für</strong> das Thema einnehmen.“ DozentPhilipp Straube ist zufrieden mit seiner Studentin.Zwar hätte sie sich an der einenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 39


Bevor <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden Schüler beim Experimentieren anleiten können, müssen sie den Umgang mit den Apparaturensicher beherrschen.oder anderen Stelle auch ein paar Minutenmehr Zeit lassen und <strong>die</strong> Theorie deutlicherherausarbeiten können. „Aber <strong>die</strong> Grundlagen<strong>für</strong> erfolgreiches Unterrichten hast duauf jeden Fall schon berücksichtigt.“Madeleine selbst hat ebenfalls ein gutesGefühl. „Die Schüler waren von Beginn anvoll dabei, ich musste gar nicht viel nachhaken.“Überfordert sei sie jedenfalls nicht gewesen,sagt sie. Dies decke sich auch mitersten Ergebnissen der physikdidaktischenBegleitforschung, konstatiert VolkhardNordmeier. So nehme <strong>die</strong> Selbstwirksamkeitserwartungder Stu<strong>die</strong>renden nach derPraxiserfahrung im Schülerlabor offenbarnicht ab. Stattdessen sähen sie sich in ihrerBerufswahl sogar bestätigt. Für Nordmeierkönnten <strong>die</strong> Lehr-Lern-Labore künftig einezentrale Rolle in der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungspielen: „Die Stu<strong>die</strong>renden entwickeln dortsehr rasch einen forschend-reflektiertenBlick auf das Geschehen und gehen eigenenForschungsfragen nach, zum Beispielnach der Rolle von Schülervorstellungenund Lernschwierigkeiten oder auch derEntwicklung von Kompetenzen, wie sie inden Bildungsstandards beschrieben werden.“Die fachdidaktische Ausbildung beschränkesich dadurch nicht mehr darauf,Theorien „auf Vorrat“ zu vermitteln, sondernermögliche es den angehenden Lehrkräften,bereits im Studium den Wert vonTheorien <strong>für</strong> <strong>die</strong> unterrichtliche Praxis zuerkennen.Auch Madeleine will weiterhin unbedingtLehrerin werden und freut sich schon jetztaufs Referendariat. Dass es bis dahin nochvieles zu lernen gilt, ist ihr bewusst. „Mitein paar Dingen war ich heute noch nichtso zufrieden“, sagt sie. Wie gut, dass ihrnächster Einsatz im PhysLab schon übermorgenansteht.40 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseKindern <strong>die</strong> Welt der Naturwissenschaftenerschließen.Das neue Stu<strong>die</strong>nfach Integrierte Naturwissenschaften.An der Freien Universität Berlin lernen angehende Grundschullehrkräfte, <strong>die</strong> FächerBiologie, Chemie und Physik integriert zu unterrichten. Dabei kooperieren vier ansonsteneigenständige Arbeitsbereiche miteinander.1 Im Bundesland Berlin wird das Schulfach Naturwissenschaftenan der sechsjährigen Grundschule unterrichtet.Seit einigen Jahren gibt es in mehrerenBundesländern in den Klassen 5 und 6 dasintegrativ angelegte Schulfach Naturwissenschaften,das Basiswissen aus der Biologie,Chemie und Physik vermitteln undso eine Brücke zwischen dem Sachunterrichtder Grundschule und dem Fachunterrichtder weiterführenden Schule schlagensoll. Bislang wurde dort jedoch größtenteilsfachfremd unterrichtet, da angehendeLehrkräfte <strong>für</strong> <strong>die</strong> Primar- und <strong>die</strong> SekundarstufeI in der Regel allenfalls ein naturwissenschaftlichesStu<strong>die</strong>nfach wählen. Einenintegrativen Stu<strong>die</strong>ngang, der alle dreinaturwissenschaftlichen Hauptrichtungenberücksichtigt, gab es nicht. Diese Lückeschließt in Berlin seit dem Wintersemester2011/12 <strong>die</strong> Freie Universität mit dembundesweit einmaligen Angebot IntegrierteNaturwissenschaften, kurz: NaWi, dassie im Rahmen ihres von der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>geförderten <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungsprojekteskonzipiert und eingeführt hat. DasZweitfach (60 Leistungspunkte) kann nurin Kombination mit dem Kernfach Grundschulpädagogikgewählt werden und bereitetangehende Grundschullehrkräfte besondersprofessions- und verstehensorientiertauf ihren Beruf vor. 1 Pro Jahr stehen 25Stu<strong>die</strong>nplätze zur Verfügung.Erfahrungsbericht„Komplett in den Bann gezogen“NaWi-Student Frederik Galecki über seine Teilnahme am überfachlichenSeminar „Naturwissenschaftliche Arbeitsweisen“.„Erst im Seminar habe ich gemerkt, wie viel Spaß das Forschenmachen kann. Vor allem fand ich es klasse, dass wir uns unser Forschungsthema– den Lotuseffekt – selbst aussuchen durften. DieArbeit an unserem Projekt war dann sowohl <strong>für</strong> meine Kommilitonenals auch <strong>für</strong> mich mit vielen neuen Perspektiven, Erfahrungen und Erkenntnissenverbunden. Ein Beispiel: Wenn man Uhu-Alleskleber aufein Lotusblatt streicht, wird <strong>die</strong>ser sicherlich festkleben, so wie überall.Dachten wir zumindest vorher. Zu unserer Überraschung tat er es abernicht! Nun schloss sich <strong>die</strong> Frage nach dem Warum an. Wir überlegten,wie das sein kann bzw. warum nicht das Erwartete eintritt. DieForschung zog uns komplett in ihren Bann. Wir wollten am liebstenalles sofort wissen.“Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 41


Erfahrungsbericht„Fühle mich viel besser aufgehoben“NaWi-Studentin Victoria Wellnitz (23) über ihre Stu<strong>die</strong>nwahl.„Verglichen mit anderen Zweitfächern, <strong>die</strong> es <strong>für</strong> <strong>die</strong> Grundschulpädagogikgibt, haben wir es in NaWi sehr gut angetroffen. Der Stoff gehtzwar auch hier weit über das hinaus, was an der Grundschule letztlichgebraucht wird. Allerdings lassen wir dabei <strong>die</strong> Didaktik, <strong>die</strong> Pädagogikund das Zielpublikum nie aus den Augen. In den anderen Fächerngibt es dagegen irgendwie kaum eine Verbindung zur Grundschule.Da fragen sich <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, wozu sie überhaupt dort sind. Daswurde in NaWi gut gelöst, auch mit den überfachlichen Seminaren,wo wir komplett unter uns sind und erst mal ein allgemeines Wissenüber <strong>die</strong> Naturwissenschaften bekommen. Da fühle ich mich viel besseraufgehoben als in so einem Meer aus ganz unterschiedlich veranlagtenStudenten, <strong>die</strong> alle in andere Richtungen schwimmen wollen.“Begreifen, wie Wissenschaft überhauptfunktioniertMit NaWi ist es der Universität gelungen,vier ansonsten eigenständige Institute zumWohle der Lehrerbildung zusammenzubringen,um eine gemeinsame Stu<strong>die</strong>nundPrüfungsordnung zu erarbeiten. Lautdem Grundschulpädagogen Professor JörgRamseger, der neben Professor Claus Bolte(Chemie-Didaktik), Professor Dirk Krüger(Biologie-Didaktik) und Professor VolkhardNordmeier (Physik-Didaktik) zur Initiativgruppegehörte, ist das Projekt einLehrstück in Kommunikation und Kooperation:„Dass so etwas gelingt, kommt anHochschulen nicht sehr häufig vor.“ Zielvon NaWi ist es, Lehrkräfte so auszubilden,dass sie später über grundlegendeKenntnisse sowohl der Biologie als auchder Chemie und der Physik verfügen. Darüberhinaus sollen sie auch ein reflektiertesVerständnis von der Naturwissenschaftim Allgemeinen erlangen. Im Englischenspricht man hier von „scientific literacy“,sozusagen der wissenschaftlichen Alphabetisierung,<strong>die</strong> auch in der berühmten PI-SA-Stu<strong>die</strong> einen wichtigen Erhebungsbereichdarstellt.Naturwissenschaftlicher Unterricht anSchulen ziele meistens nur auf <strong>die</strong> Vermittlungvon möglichst viel Fachwissen ab,weiß Jörg Ramseger. „Gerade Kinder imGrundschulalter müssen aber erst einmalbegreifen, was Wissenschaft überhaupt istund wie naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnungfunktioniert.“ Um ihnen <strong>die</strong>sspäter vermitteln zu können, besuchen <strong>die</strong>NaWi-Stu<strong>die</strong>renden im Verlauf ihres Studiumsauch fünf fachübergreifende Seminare,in denen sie sich mit der Kultur der Naturwissenschaften,mit Erkenntnistheorie,Wissenschaftsgeschichte sowie insbesonderewissenschaftlichen Methoden und Zugängenbeschäftigen. Im ersten Semesteretwa reflektieren sie zunächst <strong>die</strong> Bedeutungvon Begriffen wie Wahrheit, Hypothe-42 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseGrundschulkinder gehen auf ihre eigene Art an <strong>die</strong> Naturwissenschaften heran. Ihre Lehrer sollten <strong>die</strong>s berücksichtigen.se, Experiment, Theorie und Erklärung. Anschließendsetzen sie sich intensiv mit denOriginalarbeiten historischer Naturforscherwie Darwin, Newton und Kopernikus auseinander,um deren Arbeitsweise und Einflussauf ihre Disziplinen zu verstehen. Imzweiten Semester überlegen sie sich inGruppenarbeit eigene Forschungsfragenund gehen <strong>die</strong>sen über Wochen selbstständigauf den Grund. „Danach wissensie nicht nur, wie man einer eigenen Fragemit naturwissenschaftlichen Mitteln nachgehenkann, sondern vor allem, dass manwissenschaftliche Ergebnisse nur anhandder Methode ihrer Gewinnung beurteilenund verstehen kann“, sagt Stu<strong>die</strong>ngangsleiterJörg Ramseger.Am Anfang stehen Fragen an <strong>die</strong> NaturDie fachübergreifenden Seminare wurdenaufwendig eigens <strong>für</strong> das neue Stu<strong>die</strong>nangebotkonzipiert. Ebenso ein Teil der fach-spezifischen Lehrveranstaltungen, <strong>die</strong> soangelegt sind, dass sich <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenden verschiedenen Themengebieten stetsaus dem Blickwinkel des Kindes nähern.So sollen sie genau das Wissen erwerben,das sie später an der Grundschule auch tatsächlichbenötigen. Am Anfang steht nichtein physikalisches Gesetz oder eine mathematischeFormel, sondern eine Frage an <strong>die</strong>Natur. Warum gibt es Ebbe und Flut? Weshalbschwimmt ein Schiff, obwohl es ausEisen ist? Haben Sterne wirklich Zacken?– Das sind laut Jörg Ramseger <strong>die</strong> Dinge,<strong>die</strong> Grundschüler von ihren Lehrern wissenwollen. „Wir vermitteln unseren Stu<strong>die</strong>rendendas Wissen und <strong>die</strong> Didaktik, damit siesolchen Fragen später gemeinsam mit denKindern auf den Grund gehen können.“Besonderes Augenmerk wurde in der Planungsphaseauf <strong>die</strong> Grundlagenseminarein der Physik gelegt, da gerade <strong>die</strong>se Dis-Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 43


Integrierte NaturwissenschaftenDer Mehrwert <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende Naturwissenschaftlicher Unterricht in der Grundschule soll wenigerFachwissen vermitteln als vielmehr zunächst ein grundlegendesWissenschaftsverständnis („scientific literacy“) fördern. Deshalb beschäftigen sich <strong>die</strong> NaWi-Stu<strong>die</strong>renden in fachübergreifendenSeminaren intensiv mit dem Wesen von Wissenschaft undden Methoden der Erkenntnisgewinnung. In den fachspezifischen Lehrveranstaltungen erhalten sie darüberhinaus genau das Maß an Wissen aus der Biologie, Physik und Chemie,das sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Grundschule brauchen.ziplin von Schülern und Stu<strong>die</strong>renden häufigals schwieriges Angstfach empfundenwird und <strong>die</strong> Universitäten bundesweit hoheStu<strong>die</strong>nabbrecherzahlen beklagen. Zielder NaWi-Macher war es deshalb, den Stu<strong>die</strong>rendenin den ersten Semestern einePhysik zu vermitteln, <strong>die</strong> nicht nur eng anihrem späteren Beruf orientiert ist, sondernauch Spaß macht und als interessant empfundenwird. Das gelang durch eine konsequenteBetonung des Anwendungsaspektesdes Faches. Es wird viel Wert auf gemeinsamesExperimentieren gelegt, wobei<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden <strong>die</strong> Versuche vom Dozentennicht bloß fertig vorgesetzt bekommen,sondern sie sich das Design mit Fragestellung,Hypothesen und Versuchsaufbauselbstständig erschließen. Darüber hinauserstellen sie im Seminar bereits ihre eigenenUnterrichtsmaterialien zu den verschiedenstenThemen und sammeln im Physik-Schülerlabor der Universität erste Lehrerfahrungenmit Kindern.Zwar konnten nicht alle fachspezifischenModule im Stu<strong>die</strong>nfach NaWi direkt völligneu gestaltet werden so wie in der Physik;einige übernahm man wegen mangelnderfinanzieller oder personeller Ressourcenauch erst einmal aus dem bisherigen Bestand.Allerdings bemühten sich <strong>die</strong> Verantwortlichenin <strong>die</strong>sen Fällen stets darum,Zusatzangebote zu schaffen. So etwa zurBiologie-Grundlagenvorlesung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Na-Wi-Stu<strong>die</strong>renden der ersten Kohorte nochgemeinsam mit den Gymnasiallehramtsundden Fachstu<strong>die</strong>renden hörten. „Dawaren sie überfordert von der Tiefe desStoffs, sollten zum Beispiel auch Molekularbiologielernen, <strong>die</strong> in der Grundschuleja tatsächlich gar keine besondere Rollespielt“, berichtet Dirk Krüger, Professor<strong>für</strong> <strong>die</strong> Didaktik der Biologie, der das Fachin der NaWi-Planungsgruppe vertrat. „IhrenUnmut darüber haben sie uns spürenlassen.“ Als Reaktion wurde noch währenddes Semesters ein Zusatzkurs zur Wiederholungund Klausurvorbereitung eigens<strong>für</strong> <strong>die</strong> künftigen Grundschullehrer geschaffen.Außerdem erhielten sie am Endedes Semesters eine inhaltlich an ihre Be-44 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseGrundschulpädagoge Jörg Ramseger: „Begreifen, wienaturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung funktioniert“Physik-Didaktiker Volkhard Nordmeier: „Sehr positive Rückmeldungender Stu<strong>die</strong>renden und Dozenten“dürfnisse angepasste Klausur. Mittlerweilegibt es in der Biologie eine separate Basisvorlesung<strong>für</strong> <strong>die</strong> NaWi-Stu<strong>die</strong>renden.Von Beginn an ein ErfolgsmodellVolkhard Nordmeier, der an der Freien Universität<strong>die</strong> Gesamtleitung des ProjektesFU.<strong>MINT</strong> innehat, sieht in den IntegriertenNaturwissenschaften heute, knapp dreiJahre nach ihrer Einführung, ein Erfolgsmodell.„Schon im ersten Jahr hatten wir mehrBewerber als vorher in den drei Einzeldisziplinen2 zusammen.“ So waren zum Start imWintersemester 2011/12 rund 140 Bewerbungen<strong>für</strong> <strong>die</strong> 25 Stu<strong>die</strong>nplätze eingegangen,ein Jahr später gab es sogar 221 Anwärter.Entsprechend hoch fiel der Numerusclausus aus, was wiederum zu einemguten Niveau in den Lehrveranstaltungenführte. „Die Rückmeldungen sowohl derDozenten als auch der Stu<strong>die</strong>renden sindbislang sehr positiv“, sagt Nordmeier. DerBiologie-Didaktiker Dirk Krüger verweistzudem auf eine Begleitstu<strong>die</strong>, <strong>die</strong> untersuchthat, wie sich bei verschiedenen Lehramts-Populationenim Stu<strong>die</strong>nverlauf <strong>die</strong>„scientific literacy“ entwickelt. Denn genau<strong>die</strong>se sollte ja in den fachübergreifendenNaWi-Veranstaltungen gefördert werden.Und in der Tat erzielten <strong>die</strong> NaWi-Stu<strong>die</strong>rendender ersten Kohorte hier gegenüberihren Kommilitonen aus anderen <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängen signifikant höhereKompetenzzuwächse. „Das zeigt, dass unsereMaßnahmen greifen“, sagt Krüger, derdem neuen Stu<strong>die</strong>nfach schon Vorbildcharakterattestiert. „Vielleicht strahlt NaWi mitseinen Wirkungen ja bald auch auf <strong>die</strong> anderenLehrämter aus.“2 Die Einzeldisziplinen werden seit der Einführung von NaWi nicht mehr als Wahlmöglichkeiten <strong>für</strong> dasGrundschullehramt angeboten.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 45


„Es hängt oft an einzelnenAkteuren.“Wie <strong>die</strong> Paten das Projekt FU.<strong>MINT</strong> bewerten.O-TonProfessorin Kornelia Möller (Universität Münster), Professor Bernd Ralle (TechnischeUniversität Dortmund) und Professor Johann Sjuts (Universität Osnabrück) standenden Projektbeteiligten an der Freien Universität als „critical friends“ mit Rat und Tatzur Seite. In ihrem Fazit ermuntern sie <strong>die</strong> Hochschule, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.Die Paten über Relevanz und Perspektivendes Projektes <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung inDeutschland:Johann Sjuts: Die Lehrerbildung gehörtin <strong>die</strong> Mitte der Universität und sollteeine bedeutsame Kenngröße in derenstrategischer Ausrichtung sein. Durch einequalitätsvolle Lehrerbildung leistet <strong>die</strong>Universität selbst – jedenfalls mittelbar –<strong>die</strong> Voraussetzung da<strong>für</strong>, dass sie späterschulisch hervorragend vorgebildete Studentinnenund Studenten in ihren Stu<strong>die</strong>ngängenerhält. Mit dem Projekt <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung neu denken! hat <strong>die</strong> FreieUniversität Berlin sichtbar werden lassen,welch hohe Bedeutung sie insbesondereder <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung beimisst. In dendrei Teilprojekten wurde beispielhaft aufgezeigt,wie <strong>die</strong> verantwortungsvolle Zusammenarbeitaller Beteiligten zum Erfolgführen und Hürden überwinden kann.Über das, was im Projekt besonders gut gelungenist:Bernd Ralle: Die „harten“ Naturwissenschaftenund auch das Fach Mathematikleiden im Lehramtsbereich unter einerhohen Stu<strong>die</strong>nabbrecherquote. Diein der Physik durchgeführte Umstrukturierungder Stu<strong>die</strong>neingangsphaseim Sinne eines Studiums sui generis –mit didaktisch-methodischen Umgestaltungenund wirkungsvollen Visualisierungen– hat hier zu einem deutlichenRückgang der Abbruchquote geführt.Das Vorhaben wurde systematisch evaluiertund kann als Erfolg bezeichnetwerden. Bemerkenswert sind auch <strong>die</strong>Bemühungen, <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden einenreibungslosen Stu<strong>die</strong>nanschlussnach <strong>die</strong>ser Eingangsphase zu gewährleisten.Kornelia Möller: Auch der Stu<strong>die</strong>ngangIntegrierte Naturwissenschaften ist beispielhaft<strong>für</strong> Innovationen in der Ausbildungvon Lehramtsstu<strong>die</strong>renden <strong>für</strong> <strong>die</strong>unteren Jahrgänge. Es gibt nur wenigeStandorte, <strong>die</strong> den Versuch einer Integrationvon Disziplinen in einem Stu<strong>die</strong>ngangversucht haben. Auch wennnoch manche Stu<strong>die</strong>nbestandteile additivaneinandergefügt sind, konnten wiruns doch davon überzeugen, dass der46 FU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseStu<strong>die</strong>ngang wirklich durch innovative,neu ausgerichtete Veranstaltungen geprägtist.Über <strong>die</strong> Lehren aus dem Projekt:Bernd Ralle: Veränderungsprojekte anHochschulen werden häufig von einzelnenAkteuren vorangetrieben. Dieswar auch bei der Implementierung einesStudiums sui generis <strong>für</strong> Lehramtsstu<strong>die</strong>rendeder Fall. Fehlen <strong>die</strong>se Akteurebzw. wechselt das Personal währendeiner solchen Maßnahme allzu häufig,oder mangelt es gar an Konsens in derFakultät hinsichtlich eines solchen Vorhabens,misslingt <strong>die</strong> Umstrukturierungallzu leicht, und eine dauerhafte Veränderungkann nicht erzielt werden. VorBeginn sind also <strong>die</strong> Tragfähigkeit undBelastbarkeit eines solchen Plans zurReform des Eingangsstudiums genauestenszu prüfen.Johann Sjuts: Darüber hinaus wurde inder <strong>MINT</strong>-Initiative ja der Wandel vomSchülerlabor zum Lehr-Lern-Labor erfolgreichangestoßen. Allerdings ist esder Universität hier noch nicht überallgelungen, forschungsbezogene Aktivitätenin <strong>die</strong> Schülerlabore zu integrieren.Der beschrittene Weg – <strong>die</strong> Integrationder bestehenden Schülerlabore in eineanspruchsvolle, forschungs- und praxisbezogene<strong>Lehrerausbildung</strong> – kann beispielgebend<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungan anderen Universitäten sein. Die Erforschungvon Lehr-Lern-Prozessen in denLaboren trägt sowohl zur Entwicklungeffizienter Unterrichtskonzepte als auchzur individuellen Weiterentwicklung dereigenen Lehrerprofessionalität bei.Kornelia Möller: Für <strong>die</strong> Freie Universitätwie <strong>für</strong> viele andere lehrerbildende Hochschulengilt: Lehrerbildung als gesellschaftlichessenzielle Aufgabe muss sichhohen wissenschaftlichen Standards verpflichtetfühlen. Dazu gehört ganz wesentlich,dass <strong>die</strong> Fachdidaktiken personellund inhaltlich forschungsbasiert ausgerichtetsind. Auch hier besteht nochVerbesserungsbedarf bei der FU.Über <strong>die</strong> Zusammenarbeit im Projekt:Bernd Ralle: Die Projektbeteiligten ander Freien Universität haben ihre Zielemit steter Beharrlichkeit, hoher Kooperativitätund großem Einsatz verfolgtund sich dabei auch nicht von anfänglichen,durch organisatorische Mängelverursachten Schwierigkeiten abhaltenlassen. Für uns Paten war es zudemangenehm zu erleben, dass unser Ratnicht nur gefragt, sondern nach kritischkonstruktiver Diskussion auch weitestgehendbefolgt wurde.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> FU Berlin 47


Humboldt-Universitätzu Berlin.<strong>MINT</strong>-Lehrkräfte sollten ihre jeweiligen Disziplinen nicht nur exzellentbeherrschen. Sie müssen den Lernstoff zudem interessant und lebensnahvermitteln können, um bei ihren Schülern auch Begeisterung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Naturwissenschaftenzu wecken. Damit künftig mehr Lehramtsabsolventen<strong>die</strong>ses Anforderungsprofil erfüllen, hat <strong>die</strong> Humboldt-Universität zu Berlindas Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg ins Leben gerufen. Ziel war es, <strong>die</strong> fachdidaktischeLehre und Forschung zu stärken. Denkanstöße lieferten dabei auchLehrkräfte aus der Praxis, <strong>die</strong> <strong>für</strong> das Projekt an <strong>die</strong> Hochschule abgeordnetwurden.48 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseLehre und Forschung stärken.Das Projekt Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg.Eine neue Qualität in der Professionalisierungder Lehrerbildung strebt <strong>die</strong> Humboldt-Universität zu Berlin (HU) mit ihrem Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg an. Dabei handelt es sich um eineständige universitäre Organisationseinheit, inder seit Herbst 2010 Hochschulprofessoren,Doktoranden, Stu<strong>die</strong>rende sowie abgeordneteLehrkräfte gemeinsam fachdidaktischeForschung betreiben, an der Weiterentwicklungdes Schulunterrichts und der <strong>Lehrerausbildung</strong>in den <strong>MINT</strong>-Fächern arbeiten undihre Aktivitäten evaluieren.Besonderes Augenmerk legten <strong>die</strong> Akteuredabei auf <strong>die</strong> Vernetzung der beteiligtenDisziplinen: Biologie, Chemie, Grundschulpädagogik,Informatik, Mathematik undPhysik. So entstanden unter anderem neuefächerübergreifende Seminare <strong>für</strong> Lehramtsstu<strong>die</strong>rende,<strong>die</strong> gemeinsame <strong>Konzepte</strong> derNaturwissenschaften wie etwa deren Arbeitsweisenin ihren unterschiedlichen Kontextenbetonen und bis in den Schulunterricht zurückwirken.Ein weiteres Anliegen war es, im Rahmender <strong>Lehrerausbildung</strong> auch <strong>die</strong> einzelnenSchulformen und Schulstufen stärker miteinanderzu verzahnen. Hinsichtlich eineslangfristigen Kompetenzerwerbs der Kinderund Jugendlichen kommt hier insbesondereden Übergängen – von der Primarstufeüber <strong>die</strong> Sekundarstufen I und II bis hin zuBerufsausbildung und Studium – eine hoheBedeutung zu. Im Kolleg wurden deshalbdynamisch Arbeitsgruppen aus Vertreternder verschiedenen Fächer und Schulformengebildet, <strong>die</strong> sich jeweils spezifischen Fragestellungenwidmeten.Als bedeutende Säule des Projektes hatdas Kolleg darüber hinaus das Pro<strong>MINT</strong>-Forschungspraktikum entwickelt und insCurriculum mehrerer <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängeintegriert. Dahinter steht <strong>die</strong> Idee, dass<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, bevor sie als Lehrkräfte in<strong>die</strong> Schulen zurückkehren, einen Eindruckdavon erhalten sollen, wie Wissenschaftlerin der Praxis arbeiten.Kurz und knappProjektfokus: Weiterentwicklung der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung durch Vernetzungder Fächer und Schulstufen, Integration eines ForschungspraktikumsFördersumme: 750.000 EuroProjektleitung: Prof. Dr. Burkhard Priemer, Prof. Dr. Annette Upmeierzu Belzen, Prof. Dr. Jürg Kramer; bis 2012: Prof. Dr. Lutz-Helmut Schönwww.promint.hu-berlin.deDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 49


den genannten Fächern eingeschrieben. 160Stu<strong>die</strong>rende schlossen ihr Studium im selbenJahr mit der Lehramtsprüfung ab.Auf dem Adlershofer Campus der Humboldt-Universität sind <strong>die</strong> Naturwissenschaften angesiedelt.Die Organisation der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungan der HU BerlinDie Humboldt-Universität bildet Lehrerinnenund Lehrer <strong>für</strong> <strong>die</strong> Grundschule, <strong>die</strong> Sekundarschule,das Gymnasium, <strong>die</strong> Gemeinschaftsschule,<strong>die</strong> Förderschule und <strong>die</strong>Berufsschule aus. Das Bachelor-Studiummit Lehramtsoption sowie der Master ofEducation umfassen dabei genau wie an derFreien Universität zwei lehramtsrelevante Fächersowie Berufswissenschaften. Aus dem<strong>MINT</strong>-Bereich stehen den Stu<strong>die</strong>renden ander HU dabei <strong>die</strong> Fächer Biologie, Chemie,Informatik, Mathematik und Physik zur Auswahl,<strong>die</strong> beliebig miteinander kombinierbarsind. Den <strong>MINT</strong>-Fächern zugerechnet wirdaußerdem <strong>die</strong> Grundschulpädagogik mit ihrenbeiden Lernbereichen Mathematik undSachunterricht. Im Jahr vor dem von der<strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> ausgeschriebenen Hochschulwettbewerbzur <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungwaren insgesamt rund 2.000 Stu<strong>die</strong>rende inDie Humboldt-Universität erachtet <strong>die</strong> Lehrerbildungals eine ihrer zentralen Aufgaben.Seit 2004 wurden in allen lehrerbildendenFächern Fachdidaktiken als forschungsfähigeEinheiten fest verankert. 2006 beschlossder Akademische Senat darüber hinaus <strong>die</strong>„Initiative pro Lehramt“, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Etablierung einerGemeinsamen Kommission <strong>für</strong> Lehramtsstu<strong>die</strong>nsowie des Servicezentrums Lehramtzur Folge hatte. Beide Einrichtungen wanderten2011 unter das organisatorische Dachder neu gegründeten Professional School ofEducation (PSE), <strong>die</strong> seitdem als Schnittstellezwischen den lehrerbildenden Fächern undFakultäten, den Schulen, der Senatsverwaltungund den Lehrerbildungszentren andererUniversitäten fungiert. Die Verzahnung der anden jeweiligen fachwissenschaftlichen Instituteneingerichteten Fachdidaktiken mit denErziehungswissenschaften ist zudem durchdas Interdisziplinäre Zentrum <strong>für</strong> Bildungsforschung(IZBF) gegeben.50 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulse„Die Mischung der Akteurehat zum Erfolg geführt.“Struktur, Ziele und Bilanz des Pro<strong>MINT</strong>-Kollegs.An der Berliner Humboldt-Universität arbeiten Professoren, Doktoranden, abgeordneteLehrkräfte und Stu<strong>die</strong>rende gemeinsam daran, den Schulunterricht und <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>in den <strong>MINT</strong>-Fächern weiterzuentwickeln. „In <strong>die</strong>ser Breite und Vielfalt gabes solch eine Kooperation bislang nicht“, sagt Professorin Annette Upmeier zu Belzen,<strong>die</strong> das Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg leitet. Im Gespräch erläutern <strong>die</strong> Biologie-Didaktikerin,der Physiklehrer Steffen Harke und der Student Tilo Dombrowski <strong>die</strong> Struktur und benennen<strong>die</strong> wichtigsten Erfolge.InterviewFrau Professorin Upmeier zu Belzen, wiegenau ist das Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg organisiert?Annette Upmeier zu Belzen: Insgesamtsind sieben verschiedene Fächerdarin vertreten: Biologie, Chemie, Informatik,Mathematik, Physik und <strong>die</strong>Grundschulpädagogik mit ihren beidenLernbereichen Mathematik und Sachunterricht.Jedes Fach wird repräsentiertvon einer Arbeitsgruppe, bestehendaus vier Personen: Hochschulprofessor,Doktorand, studentische Hilfskraftsowie eine Lehrkraft, <strong>die</strong> von ihrer BerlinerSchule <strong>für</strong> <strong>die</strong> Dauer des Projektesmit einer halben Stelle an <strong>die</strong> Universitätabgeordnet wurde. Diese Arbeitsgruppensind einerseits innerhalb ihresjeweiligen Faches aktiv – Professorund Lehrkraft leiten zum Beispiel gemeinsamLehrveranstaltungen, der Stu<strong>die</strong>rendeunterstützt unter anderem denDoktoranden bei seiner Promotion. Andererseitsfinden <strong>die</strong> Akteure aber auchzwischen den Arbeitsgruppen aufgabenbezogenzueinander. Die abgeordnetenLehrkräfte etwa haben zeitweiseein Team gebildet und miteinander einSeminar entwickelt. Eine Koproduktionaller Mitglieder des Kollegs war zudemeine Fragebogenstu<strong>die</strong> mit dem Titel„Was ist eine gute <strong>MINT</strong>-Lehrkraft?“, derenErgebnisse bereits in einer Fachzeitschriftveröffentlicht wurden. Letztlichist im Kolleg auf <strong>die</strong>se Weise ein Kreuzaus horizontalen und vertikalen Vernetzungenentstanden, denn wir sind jasowohl mit einem fach- als auch miteinem schulformenübergreifenden Ansatzangetreten.Tilo Dombrowski: Dieser Vernetzungsaspektmanifestiert sich übrigens auchräumlich: Im Johann-von-Neumann-Hausin Berlin-Adlershof, wo das Kolleg sitzt,haben wir einen großen oval geschnittenenRaum mit einem langen Konferenztisch,und drumherum gehen <strong>die</strong> Bürosder einzelnen Akteure ab, mit gläsernenTüren. Es gibt also überhaupt keine Trennungzwischen den Fächern und Schulformen.Wir sitzen buchstäblich alle anDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 51


einem Tisch, und <strong>die</strong>, <strong>die</strong> sich findenwollten, haben sich bislang auch immergefunden.War es bei der Vielzahl an Personen undFächern nicht schwierig, sich überhauptauf eine gemeinsame Agenda zu einigen?Annette Upmeier zu Belzen: Das warin der Tat eine Herausforderung, dennjeder ist ja mit einem anderen Erfahrungshintergrundund einer anderenberuflichen Sozialisation ins Kolleg gekommen.In der Gesamtkonstellationmussten wir deshalb unsere Ziele ersteinmal synchronisieren und dabei auchein gemeinsames Vokabular finden, um<strong>die</strong>se überhaupt formulieren und artikulierenzu können. Das war ein sehr lebhafterProzess, in dem wir uns durchausauch aneinander gerieben haben. Letztlichhaben wir währenddessen aber sehrviel voneinander gelernt. Genau genommen,lernen wir auch heute noch dazu,denn <strong>die</strong>ser Prozess ist ja ein beiläufigerund dauert weiterhin an.Steffen Harke: Für mich als abgeordnetenLehrer war es in der Anfangszeitüberhaupt erst mal wichtig, herauszufinden,wie meine Rolle im Kolleg aussehensollte. Denn <strong>die</strong> spezifische Kulturan einer Universität unterscheidetsich ja doch sehr stark von der an einerSchule.Mit welcher Motivation hatten Sie sich dennbeworben?Steffen Harke: Kurz gesagt: Ich wollteSchulpraxis in <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>transportieren. Ich selbst bin damals inder DDR sehr praxisorientiert ausgebildetworden. Quasi ab der ersten Wochedurften wir regelmäßig in <strong>die</strong> Schule, zunächstnur zum Hospitieren, später dannauch zum selbstständigen Unterrichten.Dieses einphasige Modell hat mich sehrgeprägt. Deshalb war meine Erwartung,als ich ins Kolleg kam, dass ich dort inerster Linie meine Praxiserfahrung einbringenwürde. Mein Hochschullehrerin der Arbeitsgruppe Physik hat <strong>die</strong> Abordnungallerdings auch stark unter demForschungsaspekt gesehen. Seine Vorstellungwar, dass <strong>die</strong> Lehrkräfte mehr imwissenschaftlichen Kontext arbeiten, etwa<strong>die</strong> Doktoranden bei ihren Projektenunterstützen sollten. Darüber musstenwir uns also erst einmal verständigen.Und auch über andere Fragen, beispielsweise:Was verstehen wir eigentlich untergutem Physikunterricht? Als erfahrenerLehrer und Fachseminarleiter warich überzeugt davon, <strong>die</strong> Antwort zu kennen.Und dann sagt mein Professor alsersten Satz zu mir: Deine Vorstellung vongutem Unterricht muss ja noch langenicht mit meiner übereinstimmen. Dashat mich nachdenklich gestimmt.52 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDer Physiklehrer Steffen Harke, <strong>die</strong> Biologie-Didaktikerin Annette Upmeier zu Belzen und der Student Tilo Dombrowski (v. l.) haben im Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg zusammengearbeitet.Annette Upmeier zu Belzen: Ich glaube,wir sind in vielen Fragen mit unterschiedlichenAusgangsvorstellungenlosgezogen, haben dann aber erkannt,dass wir am meisten erreichen können,wenn jeder seine spezifische Expertiseeinbringt. Erst <strong>die</strong> Mischung der Akteurehat uns also zum Erfolg geführt.Was ist denn im Kolleg konkret entstanden?Annette Upmeier zu Belzen: Hier mussman zunächst <strong>die</strong> interdisziplinären Seminarenennen, <strong>die</strong> von den Kollegiatenentwickelt und durchgeführt wurden, allenvoran das <strong>MINT</strong>-Seminar (siehe Artikelauf Seite 57). Darin wird ein zentralesnaturwissenschaftliches Thema – imersten Durchlauf zum Beispiel <strong>die</strong> Reaktorkatastrophevon Fukushima – aus verschiedenenFachperspektiven beleuchtet,und <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden erstellen dazuMaterialien <strong>für</strong> den fächerverbindendenSchulunterricht. Das ging auf eine Initiativeder abgeordneten Lehrkräfte zurück,<strong>die</strong> natürlich mit ihrem Praxisblick genau<strong>die</strong> Richtigen da<strong>für</strong> waren. Auch, um dasKonzept anderen Lehrkräften als Publikationzur Verfügung zu stellen.Steffen Harke: In der Schule ist Kooperationunter Lehrerinnen und Lehrern janicht so verbreitet. Im Grunde ist jederein Einzelkämpfer und möchte seinenUnterricht so gestalten, wie er es <strong>für</strong> richtighält. Umso mehr freuen wir uns darüber,dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit zwischenuns sieben hier so gut funktioniert hat.Da sprechen <strong>die</strong> positiven Rückmeldungender Stu<strong>die</strong>renden, wie ich finde, <strong>für</strong>sich. Diese Erfahrung und natürlich auch<strong>die</strong> erarbeiteten Unterrichtsmaterialiennehmen wir jetzt mit zurück an unsereSchulen. Die Beschäftigung mit fächerverbindendennaturwissenschaftlichenAnsätzen war ja nicht nur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden,sondern auch <strong>für</strong> einige von unsLehrkräften absolutes Neuland.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 53


Steffen Harke: „Ich wollte Schulpraxis in <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>transportieren.“Annette Upmeier zu Belzen: „Wir mussen unsere Ziele ersteinmal synchronisieren.“Herr Dombrowski, Sie haben das <strong>MINT</strong>-Seminarals studentischer Teilnehmer erlebt.Ihr Eindruck?Tilo Dombrowski: Die Unterrichtssituationals solche war traumhaft: Da standenmanches Mal sieben Lehrkräfteaus allen naturwissenschaftlichen Disziplinenvor uns Stu<strong>die</strong>renden und habenTeam-Teaching praktiziert. Die Expertisewar also in ihrer ganzen Breitevertreten, auch wenn sich das in derSchule so wohl kaum umsetzen lässt.Und dann fand ich es natürlich total interessant,mit Stu<strong>die</strong>renden aus anderenFachbereichen, ihren spezifischen Ansätzenund Perspektiven, in Kontakt zukommen – quasi so wie hier im Kolleg. Inder Zusammenarbeit mit ihnen habe ichnoch mal gemerkt, wie viele Überschneidungenzwischen den einzelnen Fächernexistieren, zum Beispiel in der Propädeutik,der Methodik usw. Für michwar das ein echter Augenöffner: FächerübergreifenderUnterricht ist ja gar keinkünstliches Konstrukt, wie ich vorher immerdachte, sondern per se gegeben.Man muss nur <strong>die</strong> Schnittstellen finden.Von daher hat mir das Seminar echt vielgebracht. Es hat mir vor allem auch <strong>die</strong>Skepsis genommen, solchen Unterrichtspäter in der Schule selbst anzubieten.Neben der universitären Lehre zielt <strong>die</strong> Arbeitdes Pro<strong>MINT</strong>-Kollegs auch auf <strong>die</strong>fachdidaktische Forschung. Warum?Annette Upmeier zu Belzen: Aus zweiGründen. Erstens sollten auch Lehramtsstu<strong>die</strong>rendeEinblicke in Forschungsprozesseerhalten, um Untersuchungsergebnissesinnvoll einordnen zu könnenund <strong>für</strong> ihr eigenes Tun nutzbar zu machen.Ein Beispiel: Als Lehrerin oder Lehrerkann es einem immer passieren, dassman von Eltern auf Me<strong>die</strong>nberichte angesprochenwird, zum Beispiel über internationaleBildungsstu<strong>die</strong>n wie TIMSSoder PISA. Dann ist es gut, wenn ich solcheStu<strong>die</strong>n auch nachvollziehen kannund weiß, wie ich <strong>die</strong> Ergebnisse interpretiere.An der Humboldt-Universität be-54 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsesuchen deshalb alle Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenim Master ein fachdidaktisches Forschungsseminar.Zweitens brauchen wiran der Universität gerade im <strong>MINT</strong>-Bereichdringend mehr wissenschaftlichenNachwuchs <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachdidaktik, damitim Schulunterricht auch in Zukunft moderne<strong>Konzepte</strong> zur Anwendung kommen.Ideal wäre es natürlich, wenn wirjungen Lehrkräften eine Perspektive bietenkönnten, <strong>die</strong> schon ein paar Jahre unterrichtethaben, um hierher zurückzukehrenund mit ihrem ErfahrungsschatzForschung zu betreiben. Aber das ist inunserem System so leider nicht vorgesehen.Entweder, wir gewinnen <strong>die</strong> Lehramtsabsolventendirekt nach dem Studium,spätestens nach dem Referendariat,<strong>für</strong> <strong>die</strong> Forschung, oder aber gar nichtmehr. Denn wer gibt schon seine sichereStelle an der Schule auf, um dann hier ander Universität mit einer befristeten halbenStelle als wissenschaftlicher Mitarbeiterzurechtkommen zu müssen.Herr Dombrowski, was sind Ihre Pläne <strong>für</strong><strong>die</strong> Zeit nach dem Studium?Tilo Dombrowski: Ich will wirklich Lehrerwerden und freue mich jetzt aufs Referendariat,das ich hoffentlich im Februarbeginnen werde. Ob ich den Jobdann auch tatsächlich 30 Jahre lang mache,weiß ich allerdings noch nicht. Hierim Kolleg habe ich meinen Horizont inden letzten Jahren ja sehr erweitert undgesehen, wie spannend Forschung seinkann. Insofern könnte ich mir <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunftauch eine Doppeltätigkeit, zumBeispiel in Form einer Lehrerabordnung,gut vorstellen. Ich würde gerne auf beidenHochzeiten tanzen.Herr Harke, was hat Ihnen der Einblick in<strong>die</strong> universitäre Forschung gebracht?Steffen Harke: Meine Hauptkritik anfachdidaktischer Forschung besteht darin,dass sie oft sehr schulfern ist. Im Kolleghabe ich allerdings auch Stu<strong>die</strong>nkennengelernt, <strong>die</strong> in der Schule nutzbarsein könnten. Die große Frage istnur: Wie kann man solche Forschungsergebnissean <strong>die</strong> Kollegen bringen, <strong>die</strong>schon unterrichten? In Lehrerzimmernwird meiner Erfahrung nach sehr vielüber Alltagsnöte gesprochen, auch malüber funktionierende Unterrichtsansätzeim Sinne von: Ich habe da mal etwas ausprobiert,wollt ihr das nicht auch mal versuchen?Gespräche über wissenschaftlicheVeröffentlichungen finden dort in derRegel aber nicht statt. Hier benötigen wirunbedingt <strong>Konzepte</strong>, wie wir Lehrkräftestärker da<strong>für</strong> interessieren können.Annette Upmeier zu Belzen: Die Rückkopplungin <strong>die</strong> Schulen ist generelleiner der Punkte, <strong>die</strong> wir künftig vorantreiben,stärker systematisieren undDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>HU Berlin 55


Tilo Dombrowski: „Wir sitzen buchstäblich alle an einemTisch.“institutionalisieren wollen, zum Beispielmit Workshops. Ein zweites Ziel wäre,uns auch in der Forschung, <strong>die</strong> im Kollegbislang ausschließlich innerhalb derFächergrenzen stattgefunden hat, nochstärker aufeinander zuzubewegen. Eingemeinsames Thema haben wir schonherausgearbeitet; dabei geht es um <strong>die</strong>Erhebung und Verarbeitung von Messdatenim Kontext des wissenschaftlichenExperiments. Wir denken, das ist ein gutesinterdisziplinäres Thema, das auchnoch nicht umfangreich beforscht ist.Das Kolleg wird also auch ohne <strong>die</strong> Förderungder <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> weiter existieren?Annette Upmeier zu Belzen: Genau,wenn auch in einer anderen Konstellation.Wir wollen uns künftig noch engeran <strong>die</strong> Professional School of Educationanlehnen, <strong>die</strong> an der Humboldt-Universität<strong>die</strong> praktische <strong>Lehrerausbildung</strong> mitder Bildungs-, Schul- und Unterrichtsforschungverbindet. Hier könnte <strong>die</strong> Kollegstrukturletztlich sogar Modellcharakterannehmen. Denn was wir <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Fächer geschaffen haben, ließe sich jadurchaus auch auf andere Fachgruppenübertragen, zum Beispiel <strong>die</strong> Geisteswissenschaftenoder <strong>die</strong> Sprachen. DasPro<strong>MINT</strong>-Kolleg soll jedenfalls nicht nureine Insel <strong>für</strong> drei Jahre gewesen sein.Deshalb müssen wir <strong>die</strong> Strukturen unddas Erreichte nun gut dokumentieren, inandere Anwendungsfelder transferierenund dort wirksam werden lassen. Mit der<strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> werden wir aber auchkünftig verbunden bleiben, so viel stehtfest. Schließlich nehmen wir ja gemeinsammit der Freien Universität Berlin amneuen Entwicklungsverbund-Projekt teil.Tilo Dombrowski: Selbst wenn <strong>die</strong> Personenim Kolleg allmählich wechseln:Das Netzwerk zwischen den Fächern –auch unter Einbeziehung der Fachwissenschaften–, den abgeordneten Lehrkräftenund ihren Schulen wird weiterbestehen und sogar noch ausgebautwerden. Und das halte ich mit <strong>für</strong> dasWichtigste.56 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDie Fächergrenzen sprengen.Innovative Seminare <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>.In den Schulgesetzen und Bildungsplänen vieler Bundesländer wird fächerverbindenderUnterricht mittlerweile ausdrücklich gefordert – auch und gerade im <strong>MINT</strong>-Bereich.Doch dazu müssen angehende Lehrkräfte lernen, interdisziplinäre Wege der Naturwissenschafts-Didaktikbereits in ihrer Ausbildung zu beschreiten.Eines der wichtigsten Ziele des Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kollegs bestand darin, <strong>die</strong> beteiligtenFächer – Biologie, Chemie, Grundschulpädagogik,Informatik, Mathematikund Physik – in der <strong>Lehrerausbildung</strong> stärkerals zuvor miteinander zu vernetzen. Unteranderem wurden im Projektzeitraumzwei innovative Seminare geschaffen, <strong>die</strong>gemeinsame <strong>Konzepte</strong> und Arbeitsweisender Naturwissenschaften betonen. Für eindrittes Seminar wurde darüber hinaus einKonzept entwickelt, das fachdidaktischePerspektiven systematisch mit Ansätzender Erziehungswissenschaften vernetzt.Die drei neuen Lehrveranstaltungen werdenim Folgenden genauer dargestellt.<strong>MINT</strong>-Seminar „Die Lehren ausFukushima“Das Fachdidaktik-Seminar „Die Lehren ausFukushima“ fand erstmals im Sommersemester2012 statt und wurde von insgesamt29 Lehramtsstu<strong>die</strong>renden der Biologie,Chemie, Mathematik und Physik inder Master-Phase besucht. Ziel der Veranstaltungwar es, ein zentrales naturwissenschaftlichesThema – <strong>die</strong> Reaktorkatastrophelag hier nahe, weil sie sich erst wenigeMonate vor Beginn der Planungen ereig-net hatte – aus verschiedenen Fachperspektivenzu beleuchten. Zusätzlich sollten<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden im Verlauf des Semesterseine stark handlungsorientierte Lehreinheit<strong>für</strong> den fächerverbindenden naturwissenschaftlichenSchulunterricht entwerfen.Die Seminarleitung übernahmen <strong>die</strong> abgeordnetenLehrkräfte des Pro<strong>MINT</strong>-Kollegsunter Federführung von Robert Teichert,Mathematik, und Enrico Korneli, Chemie.Sie hatten es zuvor auch im Diskurs mitdem gesamten Kolleg konzipiert.Der Ablauf des Seminars lässt sich grob indrei Teile gliedern: Den Anfang bildete eineinhaltliche Auseinandersetzung mit demGeschehen in Fukushima. In der zweitenPhase konfrontierten <strong>die</strong> Dozenten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenmit verschiedenen Impulsen zurKatastrophe, etwa einem Ausschnitt ausden TV-Nachrichten, dem fiktiven Brief einerjapanischen Austauschschülerin sowieKarikaturen aus Tageszeitungen. Die Stu<strong>die</strong>rendenkonstruierten daraus in fachheterogenenArbeitsgruppen motivierendeZugänge <strong>für</strong> den Schulunterricht und stelltensie den anderen Teilnehmern vor. In derdritten und intensivsten Phase schließlicherarbeiteten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden ebenfallsDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 57


Erfahrungsberichtin Gruppenarbeit über mehrere Sitzungenhinweg sogenannte Lernkästen mit umfangreichenMaterialien <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schule zuThemen wie „Strahlenkrankheit“, „RadioaktiverZerfall“, „Jodtabletten“ und „Endlagerung“.Die darin enthaltenen Materialiensollten methodisch vielfältig sein und<strong>die</strong> Schüler zu selbstständigem Lernen anregen.„Konkret fassbarer Nutzen <strong>für</strong> den Beruf“Lehramtsstudent Alexander Herz über das Fukushima-Seminar.„Das <strong>MINT</strong>-Seminar hat mir gezeigt, wie aufwendig es ist, gute Aufgabenund Arbeitsblätter zu konzipieren. Sehr gut fand ich <strong>die</strong> Möglichkeit,einmal über den Tellerrand hinauszuschauen und mich mitStu<strong>die</strong>renden anderer Fachbereiche auszutauschen. Durch <strong>die</strong> verschiedenenPerspektiven, <strong>die</strong> wir auf <strong>die</strong>selben Themen hatten, wardas Seminar aus fachlicher und vor allem methodischer Sicht sehrwertvoll <strong>für</strong> mich. Materialien zu erarbeiten, <strong>die</strong> tatsächlich einen konkretfassbaren Nutzen <strong>für</strong> den späteren Beruf haben – ich kann garnicht entschieden genug betonen, wie gut das <strong>für</strong> uns Stu<strong>die</strong>rendewar.“Die Stu<strong>die</strong>renden zeigten sich in einer Befragungzum Semesterende sehr zufriedenmit dem Seminarverlauf sowie ihren individuellenLernfortschritten. Positiv bewertetensie insbesondere <strong>die</strong> Zusammenarbeitmit ihren Kommilitonen aus den anderenFächern sowie <strong>die</strong> Möglichkeit, Materialienzu erstellen, <strong>die</strong> danach tatsächlich in derSchule verwendet werden würden. Die ersteErprobung der Lernkästen durch einenabgeordneten Lehrer des Kollegs fand imFrühjahr 2013 in der zehnten Klasse einesBerliner Gymnasiums statt. Das fächerverbindendeSeminar wiederum will <strong>die</strong> Humboldt-Universitätihren <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenkünftig regelmäßig anbieten– mit wechselnden inhaltlichen Schwerpunkten.Der zweite Durchlauf zum Thema„Recycling“ erfolgte im Sommersemester2013.Fächerübergreifendes Seminar „Natureof Science“ (NoS)Kinder und Jugendliche haben häufig naiveVorstellungen von Naturwissenschaftlern,deren Denkweisen und den Methoden,mit denen sie Erkenntnisse gewinnen.Genau <strong>die</strong>ses Wissen über <strong>die</strong> Naturder Naturwissenschaften, eng. „Natureof Science“ (NoS), soll aber laut den Bildungsstandardsder Kultusministerkonferenzin den Schulen intensiver aufgebautwerden, indem über <strong>die</strong> Vermittlungvon reinem Fachwissen hinaus auch spezifischeErkenntnismethoden erarbeitetwerden. Um künftige Lehrkräfte dazu zubefähigen, hat das Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg das fächerübergreifende Didaktikseminar„Nature of Science“ <strong>für</strong> Mas-58 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDer erste Durchlauf des <strong>MINT</strong>-Seminars beschäftigte sich mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima.ter-Stu<strong>die</strong>rende der <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängegeschaffen. An der Konzeptionbeteiligt waren Lehrende, Doktorandenund studentische Hilfskräfte aller im Kollegvertretenen Fächer. Die Veranstaltungfand zum ersten Mal im Sommersemester2013 mit zwölf Stu<strong>die</strong>renden statt, <strong>die</strong> Leitungübernahm Meta Kambach, Doktorandinin der Bio logie.Dabei setzten sich <strong>die</strong> Teilnehmer in denersten Sitzungen zunächst mit den theoretischenGrundlagen von NoS auseinander:Indem sie den Verlauf der Wissenschaftsgeschichte– von den alten Griechen bisheute – betrachteten, erhielten sie einenEindruck davon, wie Wissen überhaupt entstehtund sich mit den Jahrhunderten weiterentwickelt.Diesen Prozess der Wissensgenesedurchläuft auch jedes Individuum,weshalb <strong>die</strong> Beschäftigung damit <strong>für</strong> <strong>die</strong>Stu<strong>die</strong>renden eine Art Selbstreflexion darstellte.Im Anschluss erarbeiteten und diskutiertensie gemeinsam mit zwei Gastdozentenaus der Philosophie verschiedeneWissenschaftstheorien und philosophischeGrundgedanken der Naturwissenschaften.Ein Überblick über <strong>die</strong> fachdidaktische Forschungzum Thema NoS beendete den ersten,stärker theoretisch angelegten Teil desSeminars.In der Transferphase entwickelten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendendaraufhin konkrete <strong>Konzepte</strong>,wie NoS im Schulunterricht umgesetztwerden kann. Sie analysierten etwa <strong>die</strong> Anleitungenvon naturwissenschaftlichen Experimentenin Schulbüchern, <strong>die</strong> bislangmeist stark „rezeptbuchartig“ aufgebautsind und das Ergebnis häufig bereits vorwegnehmen.Anschließend formuliertensie <strong>die</strong> Aufgabenstellungen im Sinne vonDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 59


Im Rahmen des NoS-Seminars besuchen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden auch das Berliner Naturkundemuseum undprüfen, inwiefern dort Aspekte von „Nature of Science“ museumspädagogisch aufgegriffen werden.Erfahrungsbericht„Interessant und motivierend“Biologie- und Chemiestudentin Maria Tyralla über ihre Teilnahme amNoS-Seminar.„Das NoS-Seminar gehört zu den interessantesten und motivierendstenVeranstaltungen, <strong>die</strong> ich bis jetzt besucht habe. Wir haben sehr vieldiskutiert, spannende Literatur gelesen, experimentiert und <strong>die</strong> Themenstets direkt auf den Schulunterricht bezogen. Auch <strong>die</strong> Gastreferateverschiedener Wissenschaftler haben meinen Horizont erweitert.Eines der schönsten Themen war <strong>für</strong> mich <strong>die</strong> Behandlung der antikenPhilosophen und der geschichtlichen Entwicklung von Wissenschaftund Erkenntnisgewinnung.“„Nature of Science“ um, sodass <strong>für</strong> <strong>die</strong>Schüler bei der Durchführung des Experimentstatsächlich ein Erkenntnisgewinnauch in Bezug auf den Arbeitsprozessentsteht. Auch werteten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenverschiedene pseudowissenschaftlicheFernsehsendungen hinsichtlich des Wissenschaftsbildesaus, das darin vermitteltwird. In einem zweiten Schritt überlegtensie sich dazu Reflexionsfragen, mit denensie bei der Vorführung der Sendung im Unterrichtihre Schüler konfrontieren könnten,um bei <strong>die</strong>sen ein Bewusstsein <strong>für</strong> naturwissenschaftlichesArbeiten zu schaffen.Die Rückmeldungen der Stu<strong>die</strong>rendenzum Seminar waren durchweg positiv. Imkommenden Sommersemester soll <strong>die</strong> Veranstaltungzum zweiten Mal stattfinden unddanach möglichst Bestandteil der Stu<strong>die</strong>nordnungenaller beteiligten Fächer werden.Seminar „EduGovernance/Analyse vonBiologie- und Chemieunterricht“Lehramtsstu<strong>die</strong>rende beklagen häufig <strong>die</strong>Praxisferne in ihrem erziehungswissenschaftlichenStudium. Die dort behandeltenThemen finden auf einer so allgemeinenEbene statt, dass es den angehendenLehrkräften schwerfällt, Bezüge zum eigenenFach herzustellen. Auch bemängeln sieeine große Diskrepanz zwischen den erziehungswissenschaftlichenInhalten und derrealen Planung und Durchführung von Un-60 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseterricht. Hier setzt das neue Seminar „Edu-Governance/Analyse von Biologie- und Chemieunterricht“an, das im Sommersemester2013 als Kombinationsveranstaltung erstmalsdurchgeführt wurde. Zielgruppe warenMaster-Lehramtsstu<strong>die</strong>rende der Biologieund Chemie, <strong>die</strong> in den Semesterferienzuvor ihr Unterrichtspraktikum absolvierthatten. Im Seminar sollten sie ihre dort gesammeltenErfahrungen nun didaktisch aufarbeiten.Das erziehungswissenschaftlicheFundament bildeten dabei aktuelle schulpolitischeEntwicklungen, speziell der seit dem„PISA-Schock“ vollzogene Übergang vonder Input-Steuerung (zum Beispiel durchLehrpläne) zur Output- und Wettbewerbssteuerung(durch Bildungsstandards, zentralePrüfungen, interne und externe Evaluationetc.) von Schule und Unterricht.Das Seminar wurde von zwei Dozenten –Professorin Rita Nikolai, Institut <strong>für</strong> Erziehungswissenschaften,und Enrico Korneli,abgeordneter Chemielehrer im Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg – gemeinsam konzipiert und auchim Team unterrichtet. Den Beginn machtedabei stets <strong>die</strong> Erziehungswissenschaftlerin,während der Lehrer anschließend <strong>die</strong>Übersetzung der pädagogischen Ansätzeins konkrete Fach sicherstellte. So etwa beimThema Bildungsstandards, wo er <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenreale Schülerleistungen, <strong>die</strong> sie imPraktikum zuvor selbst erhoben hatten, aufdas Erreichen der Standards hin analysierenließ. Oder beim Thema Schulinspektionen;hier sollten sie anhand von EvaluationsundBeobachtungsbögen ihre eigenen Unterrichtsentwürfebewerten, um ein Gefühl<strong>für</strong> <strong>die</strong> Arbeit der Inspektoren zu bekommen.Und um zu erkennen, dass Feedbackvon außen nicht als bedrohlich, sondern vielmehrals Chance wahrgenommen werdensollte, mit der Defizite in der Unterrichtsqualitätaufgedeckt und Stärken hervorgehobenwerden können.Insgesamt nahmen zwölf Stu<strong>die</strong>rende,größtenteils aus der Chemie, an dem Kombinationsseminarteil. Eine Erweiterung derZielgruppe um Stu<strong>die</strong>rende der Physik ist<strong>für</strong> den nächsten Durchlauf vorgesehen.Erfahrungsbericht„Die Meinung von Schülern und Kollegen nicht scheuen“Chemie-Lehramtsstudent Julius Pfohl über seine Teilnahme am Kombinationsseminar.„Ich habe viele Punkte <strong>für</strong> mich mitnehmen können, vor allem, wiewichtig es ist, über das eigene Handeln im Unterricht zu reflektierenund hierbei weder <strong>die</strong> Meinung der Schüler noch <strong>die</strong> von Kollegen zuscheuen, sondern <strong>die</strong>se eher zu suchen. Dabei profitiert man nicht nurvon den gewonnenen Erfahrungen und Verbesserungsvorschlägen,sondern beeinflusst durch <strong>die</strong> Wertschätzung der Schüler gleichzeitigauch das Klassenklima positiv.“Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 61


„Spannend, neues Wissenzu generieren.“Wissenschaftliche Nachwuchsförderung im Kolleg.Vielen Universitäten fehlt es an Nachwuchs<strong>für</strong> <strong>die</strong> Bildungsforschung. Zieldes Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kollegs war esdeshalb auch explizit, mehr junge Wissenschaftler<strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachdidaktikenzu gewinnen und <strong>die</strong>se bei ihren Forschungsvorhabenzu unterstützen. Hierberichten zwei von ihnen über ihre Promotionsarbeiten.Um Lehr-Lern-Prozesse an Schulen besserverstehen und so angehende Lehrkräfteoptimal auf ihren Beruf vorbereiten zukönnen, benötigen Universitäten fachdidaktischeForschung. Allerdings mangeltes vielerorts an geeignetem wissenschaftlichemNachwuchs, weil Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenach ihrem Abschluss meist den sicherenSchul<strong>die</strong>nst einer unsicheren wissenschaftlichenLaufbahn vorziehen. Die<strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> hat deshalb <strong>die</strong> vier Sieger-Universitätendes Hochschulwettbewerbszur <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung explizit aufgefordert,mit den Fördermitteln auch herausragendejunge Wissenschaftler <strong>für</strong> <strong>die</strong>Fachdidaktiken zu werben und bei ihrenForschungsvorhaben zu unterstützen. Hierstellen zwei von ihnen – beide Stipendiatendes Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kollegs – ihre Promotionsprojektevor.André Henning (26), Lehramtsstudium derMathematik und Informatik <strong>für</strong>s Gymnasium,Abschluss 2011, seitdem Doktorand inder Mathematik:„Der Titel meiner Arbeit lautet ,Aspektefunktionalen Denkens im Hinblick auf<strong>die</strong> Einführung der Infinitesimalrechnung‘.Das klingt erst mal etwas sperrig. Grob gesagt,geht es um <strong>die</strong> Frage, wie es der Lehrerinoder dem Lehrer im Mathematikunterrichtder Sekundarstufe I gelingt, eine guteGrundlage <strong>für</strong> <strong>die</strong> Differenzialrechnung zuschaffen, <strong>die</strong> ja dann in der Oberstufe ansteht.Relevanz bekommt das Thema dabeiinsbesondere durch <strong>die</strong> Schulzeitverkürzung;bis zum Abitur dauert es in Berlinheute ja nur noch 12 statt vorher 13Jahre. Mit der Umstellung sind allerdingsverschiedene Inhalte aus den Mathematiklehrplänender früheren elften Klasserausgefallen bzw. sie werden heute starkkomprimiert schon am Ende der zehntenKlasse unterrichtet. Das betrifft insbesonderedas Thema der Grenzwertbildung,das <strong>für</strong> <strong>die</strong> Differenzialrechnung ganz entscheidendist, von den Schülern aber nurschwer verinnerlicht wird. Dabei geht esnämlich zum ersten Mal um Größen, <strong>die</strong>nicht real messbar sind.Ein Beispiel: Die Durchschnittsgeschwindigkeiteines Autos lässt sich leicht berechnen,wenn wir wissen, wie viel Weg in einembestimmten Zeitabschnitt gefahren62 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDoktorand André Henning: „Könnte mir gut vorstellen, ander Uni zu bleiben.“wurde. Wir teilen einfach den zurückgelegtenWeg durch <strong>die</strong> vergangene Zeit, inder Mathematik spricht man hier vom sogenanntenDifferenzenquotienten. Wennwir nun aber wissen wollen, wie schnelldas Auto zu einem ganz bestimmten Zeitpunktgefahren ist, hilft uns der Differenzenquotientallein nicht weiter. Stattdessenmüssen wir unser Konzept von Durchschnittsgeschwindigkeiterweitern, um zurMomentangeschwindigkeit zu gelangen.Dies tun wir, indem wir <strong>die</strong> Durchschnittsgeschwindigkeitauf einem theoretisch unendlichkleinen Intervall bestimmen. DasErgebnis <strong>die</strong>ser Grenzwertbildung wird Differenzialquotientgenannt – oder auch Momentangeschwindigkeit,wenn wir beimAuto-Beispiel bleiben. Ein moderner Tachoim Auto zeigt übrigens nicht <strong>die</strong> Momentangeschwindigkeitan, sondern berechnetlediglich einen Durchschnittswertauf Basis sehr kleiner Intervalle. Den Schülerinnenund Schülern fällt es schwer, denÜbergang von der Durchschnitts- hin zurMomentangeschwindigkeit nachzuvollziehen.Die Grenzwertbildung stellt hier eineHürde dar. Deshalb sollten Lehrkräfte dasThema meiner Meinung nach nicht erstam Übergang von der Mittel- zur Oberstufekonzentriert behandeln, sondern bestimmteAspekte schon über <strong>die</strong> gesamte Mittelstufehinweg einführen. In meiner Doktorarbeitmache ich mir Gedanken, an welchenStellen des Curriculums der SekundarstufeI man punktuell eingreifen und Dinge verändernkönnte, und wie <strong>die</strong>se Veränderungenkonkret aussehen sollten.Meine Promotion besteht allerdings nichtnur aus theoretischen Überlegungen. Ichentwickele darüber hinaus auch konkreteUnterrichtsmaterialien, <strong>die</strong> das funktionaleDenken der Schüler in der Mittelstufe fördernsollen, und erprobe sie im Unterricht.Schon fertig ist zum Beispiel eine computerbasierteGeometrie-Lernumgebung, <strong>die</strong>ich gemeinsam mit einer Postdoktorandinaus der Mathematik programmiert habe.Indem sie sich damit beschäftigen, lernenSchülerinnen und Schüler <strong>die</strong> Ableitungsfunktionkennen. Das funktioniert richtiggut! Schulen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erprobung zu finden,ist meistens auch kein Problem, dennim Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg arbeiten jaauch abgeordnete Lehrkräfte mit. So kannich als Stipendiat des Kollegs immer zu jemandemhingehen und sagen: ,Du, ich habe<strong>die</strong>ses und jenes entwickelt, was hältstdu denn davon? Können wir das nicht malbei dir im Unterricht ausprobieren?‘ In derRegel sind <strong>die</strong> Lehrkräfte offen da<strong>für</strong>. DieZusammenarbeit im Kolleg finde ich überhauptsehr spannend, weil sie mir <strong>die</strong>Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 63


Möglichkeit bietet, mich auch mal mit anderenFächern auszutauschen. Das passiertja sonst eher selten, da <strong>die</strong> Wissenschaftlerder verschiedenen Disziplinendoch eher unter sich bleiben.Wenn alles gut geht, will ich Ende nächstenJahres mit meiner Promotion fertig sein.Was danach kommt, kann ich allerdingsnoch nicht genau sagen. Die fachdidaktischeForschung macht mir schon sehr vielSpaß, und ich könnte mir gut vorstellen, ander Uni zu bleiben. Andererseits unterrichteich auch sehr gerne Schülerinnen undSchüler, deshalb würde es mir schwer fallen,meinen ursprünglichen BerufswunschLehrer aufzugeben. Zum Glück hat <strong>die</strong>seEntscheidung jetzt noch ein wenig Zeit.“Kerstin Patzwaldt (26), Lehramtsstudiumder Chemie und Mathematik <strong>für</strong> <strong>die</strong> gymnasialeOberstufe, Abschluss 2011, seitdemDoktorandin in der Didaktik der Chemie:„Schon während meines Studiums habeich als studentische Hilfskraft in der Chemie-Didaktikgearbeitet und somit einenguten Einblick in das Arbeitsfeld der fachdidaktischenForschung bekommen. Ichfinde es spannend, dass man Dinge undZusammenhänge erforschen kann, <strong>die</strong> vorhernoch keiner erforscht hat, und auf <strong>die</strong>seWeise neues Wissen generiert. Am Fachgebietselbst reizt mich insbesondere <strong>die</strong>Kombination: Einerseits betrachtet manindividuelle Lehr- oder Lernprozesse vonMenschen. Andererseits geht es aber auchum Fachinhalte der Chemie, <strong>die</strong> ich schonals Schülerin sehr mochte, weil man damitviele Phänomene erklären kann. Vor allem<strong>die</strong> Experimente haben mich begeistert.Jedoch kann man Experimente im Kontextdes Chemieunterrichts differenzierter betrachten:Da gibt es einerseits <strong>die</strong>se klassischen,Kochbuch-Experimente‘, bei denendas Ergebnis schon vorher feststeht, weilder Versuchsaufbau und <strong>die</strong> Durchführungvorgegeben werden. Hierbei können fachlicheZusammenhänge veranschaulicht undArbeitstechniken eingeübt werden. Andererseitssollten Lernende aber auch <strong>die</strong> Möglichkeitbekommen, Experimente eigenständigzu planen, durchzuführen und auszuwerten.Dadurch können sie nachvollziehen,wie Erkenntnisse in der Wissenschaft gewonnenwerden. Gerade <strong>die</strong>ser Prozess dernaturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnungwird als Lernziel <strong>für</strong> Schülerinnen undSchüler in den Bildungsstandards gefordert.Lehrkräfte sollen also nicht nur Fach-, sondernauch methodisches Wissen vermitteln.Da<strong>für</strong> müssen sie <strong>die</strong>ses methodische Wissenallerdings auch selbst besitzen und anwendenkönnen. Und genau dort setzt meinPromotionsprojekt an.Ich untersuche <strong>die</strong> Experimentierkompetenzvon Stu<strong>die</strong>renden des Chemie-Lehr-64 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseamts an der Humboldt-Universität zu Berlin.Dazu habe ich eine Reihe von Experimentieraufgabenentwickelt, <strong>die</strong> ich meinenProbanden vorlege. Die Kontexte stammenaus Abiturprüfungen. In einer Aufgabe gehtes zum Beispiel darum, <strong>die</strong> Reaktion einesMetalls mit einer Säure zu beobachten – esentsteht Wasserstoff, der in einen Kolbenprobergeleitet wird. Die Stu<strong>die</strong>renden sollenmithilfe eines selbst geplanten Experimentsherausfinden, durch welche Faktoren<strong>die</strong> Geschwindigkeit <strong>die</strong>ser Reaktionbeeinflusst wird – zum Beispiel durch <strong>die</strong>Art des Metalls oder durch <strong>die</strong> Konzentrationder Säure. Dabei nehme ich sie auf Videoauf und lasse sie während des Experimentierenslaut denken. Anschließendinterviewe ich sie, um noch einmal genaunachfragen zu können, wie sie <strong>die</strong> einzelnenExperimentierphasen reflektieren. Anhandder Aufzeichnung kann ich dannspäter nachvollziehen, welche Teilkompetenzen<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden bereits gezeigthaben; ob sie zum Beispiel in der Lage waren,bestimmte Probleme und Phänomenezu erkennen, Fragen und Hypothesenzu formulieren, den Versuch zu planen unddurchzuführen oder auch am Ende <strong>die</strong> Ergebnisseauszuwerten und zu interpretieren.All <strong>die</strong>s sind nämlich Fähigkeiten undFertigkeiten, <strong>die</strong> man zum eigenständigenExperimentieren benötigt.Doktorandin Kerstin Patzwaldt: „Als Schülerin haben michvor allem <strong>die</strong> Experimente begeistert.“ist nicht leicht, genügend Personen zu finden,<strong>die</strong> an solch einer Untersuchung teilnehmenwollen. Immerhin dauert das Experimentierenpro Stu<strong>die</strong>rendem bis zu 90Minuten, so viel Zeit hat während des Semestersnicht jeder. Außerdem gibt es beiuns in der Chemie gerade in den höherenSemestern gar nicht so viele Lehramtsstu<strong>die</strong>rende.Ich hoffe, dass ich 30 Probandenzusammenbekommen werde. Möglichstaus unterschiedlichen Semestern, damitich am Ende vielleicht sogar Aussagen darübertreffen kann, ob sich <strong>die</strong> Experimentierkompetenzim Stu<strong>die</strong>nverlauf verändert.Aber das ist derzeit noch Zukunftsmusik.Immerhin hat mir <strong>die</strong> Vorstu<strong>die</strong> schon malgezeigt, dass sich sieben meiner Experimentieraufgaben<strong>für</strong> <strong>die</strong> Untersuchung eignen.Jetzt kann es also bald richtig losgehen.Ich bin schon gespannt, was ich herausfindenwerde.“Derzeit bin ich mit der Probanden-Akquise<strong>für</strong> meine Hauptstu<strong>die</strong> beschäftigt. EsDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 65


Erleben, wie Forschung in derPraxis funktioniert.Das Adlershofer Wissenschaftspraktikum.<strong>MINT</strong>-Lehrkräfte sollen ihre Schüler auch auf naturwissenschaftlich-technische Berufskarrierenvorbereiten. Doch viele wissen gar nicht, mit welch spannenden Fragensich Forscher in ihrem Arbeitsalltag beschäftigen. Die Humboldt-Universität will dasändern und hat deshalb ein spezielles Praktikum in <strong>die</strong> Curricula ihrer Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängegeschrieben. Dabei profitiert sie von ihrer Nähe zum WissenschaftsstandortAdlershof.Der Fisch im Kescher zappelt so unnachgiebig,dass Sabine Knöner Mühe hat, ihnaus dem Netz zu befreien. Immer wiedergleitet ihr das glitschige Schuppentier ausden Händen. Erst beim dritten Versuch gelingtes der Studentin, <strong>die</strong> Kreatur sicher zupacken. Jetzt muss alles ganz schnell gehen,denn obwohl der Afrikanische Raubwels– Gattungsname: Clarias gariepinus– zu den robusteren Fischarten zählt unddurch seine Schnappatmung sogar mehrereStunden an Land überleben kann, willSabine ihn natürlich nicht unnötig stressen.Flugs hält sie ihn gegen ein Maßband,das auf dem Tisch vor ihr befestigtist. „15,5 Zentimeter“, ruft sie ihrem Kollegenzu, der den Wert in einer Tabelle notiert.Anschließend muss der Fisch nochauf <strong>die</strong> Waage, ehe <strong>die</strong> junge Frau ihn zurückin den Wassertank gleiten lässt. Währenddessengreift sie schon nach dem Kescher,um das nächste Exemplar aus demBecken nebenan zu angeln. Mehr als 120Jung-Welse schwimmen darin, will heißen:eine Menge Arbeit <strong>für</strong> Sabine Knöner.Nach einer Weile klappt <strong>die</strong> Prozedurso reibungslos, dass man meinen könnte,sie hätte in ihrem Leben nie etwas anderesgemacht.Dabei ist <strong>die</strong> Studentin gerade einmal seitdrei Wochen hier draußen am Müggelsee,ganz im Osten von Berlin. Am Leibniz-Institut<strong>für</strong> Gewässerökologie und Binnenfischerei(IGB) absolviert <strong>die</strong> 23-Jährige währendder Semesterferien ein Praktikum.Das Forschungsprojekt, in dem sie arbeitet,nennt sich ASTAF-PRO. Doch eigentlichsprechen hier alle nur vom „Tomatenfisch“.Der Grund: Die Wissenschaftler desIGB haben ein zukunftsweisendes Verfahrenentwickelt, mit dem in einem kombiniertenKreislaufsystem gleichzeitig Speisefischeund Tomaten gezüchtet werdenkönnen, und zwar nachhaltig und fast völligemissionsfrei. Dabei wandelt ein Biofilter<strong>die</strong> Ausscheidungen der Fische in Nitratum, also in Dünger. Das aufbereiteteFischwasser fließt zu den in Aquakultur angebautenPflanzen, <strong>die</strong> ihm <strong>die</strong> Nährstoffeentziehen, und landet schließlich wieder imAquarium. „Die Methode eignet sich zumBeispiel <strong>für</strong> südliche Länder, in denen esan fruchtbarem Boden und Wasser fehlt“,66 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseLehramtsstudentin Sabine Knöner im Gewächshaus des IGB, in dem gleichzeitig Tomaten und Speisefische gezüchtet werden.erzählt Sabine und betrachtet fasziniert <strong>die</strong>riesigen Tomatensträucher, <strong>die</strong> direkt nebenden Fischtanks bis fast unter <strong>die</strong> Deckedes Gewächshauses sprießen. „Ich bintotal froh über <strong>die</strong> Erfahrungen, <strong>die</strong> ich hiersammele.“Der typische Lehrerkreislauf: Schule –Universität – SchuleErfahrungen, <strong>die</strong> <strong>für</strong> ihren eingeschlagenenBerufsweg alles andere als selbstverständlichsind. Denn Sabine Knöner willnach ihrem Studium nicht etwa in <strong>die</strong> Wissenschaftgehen, sondern Kinder und Jugendlicheunterrichten. An der Humboldt-Universität zu Berlin stu<strong>die</strong>rt sie Biologieund Chemie auf Lehramt <strong>für</strong>s Gymnasium.Und normalerweise verbringen angehendeLehrkräfte in Berlin <strong>die</strong> vorlesungsfreieZeit ihres Masters mit Unterrichtspraktika inder Schule, drei Stück insgesamt. Die hatauch Sabine schon hinter sich. Darüber hinausgibt es an der Hochschule jedoch seitKurzem eine weitere Praxismöglichkeit, <strong>die</strong>sich explizit an Lehramtsstu<strong>die</strong>rende in den<strong>MINT</strong>-Fächern richtet: das Pro<strong>MINT</strong>-Forschungspraktikum.„Wir wollen damit <strong>die</strong>typische Lehrerkarriere – von der Schulean <strong>die</strong> Universität und anschließend wiederzurück in <strong>die</strong> Schule – ein wenig durchbre-Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 67


Pro<strong>MINT</strong>-Kollegiat Ingolf Hertel: „Die typische Lehrerkarriere ein wenig durchbrechen“chen“, sagt Senior-Professor 1 Ingolf Hertel,der das Praktikum als Pro<strong>MINT</strong>-Kollegiatmitkonzipiert hat. In den Forschungsinstituten,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden einen Monat langkennenlernen, bekommen sie laut Hertelzumindest einen kleinen Eindruck davon,wie Wissenschaftler arbeiten, und können<strong>die</strong>se Erfahrungen später in ihren Unterrichteinfließen lassen. Darüber hinaus hättenLehrkräfte heute ja auch <strong>die</strong> Aufgabe,ihre Schülerinnen und Schüler im Prozessder Stu<strong>die</strong>nwahl zu beraten und ihnen eine<strong>MINT</strong>-Berufskarriere schmackhaft zumachen. „Aber wie soll das funktionieren,wenn sie selbst nie erlebt haben, mit welchspannenden Fragen sich Wissenschaftlerin ihrem Arbeitsalltag beschäftigen?“Eine große Rolle spielt beim neuen Praktikumder Standort Berlin-Adlershof, andem nicht nur <strong>die</strong> Humboldt-Universitätihren mathematisch-naturwissenschaftlichenCampus unterhält. In direkter Nachbarschaftsind auch elf außeruniversitäreForschungszentren angesiedelt. Zudemsitzen in Adlershof mehr als 500 wissenschaftsnaheUnternehmen. „Unsere Fachwissenschaftenkooperieren seit Jahren aufden unterschiedlichsten Gebieten mit <strong>die</strong>senEinrichtungen. Nur das Lehramt warbislang immer außen vor“, sagt ProfessorinAnnette Upmeier zu Belzen, <strong>die</strong> das Pro-<strong>MINT</strong>-Kolleg an der Humboldt-Universitätleitet. Das habe man ändern wollen undsei in Adlershof durchaus auf offene Ohrengestoßen: „Viele bekunden uns ihr Interesse,Praktikanten aufzunehmen. Die Instituteund Unternehmen haben erkannt, dasssie hier auch ein Stück weit gesellschaftlicheVerantwortung tragen.“Low-Budget-Forschung zum Nachbauen<strong>für</strong> den UnterrichtVon Adlershof ist es auch nicht weit zumMüggelsee, wo Sabine Knöner inzwischenalle 120 Welse vermessen hat. Die Wertesind <strong>für</strong> ihr Projekt wichtig und müssen zyklischneu erhoben werden, weil mit Größeund Gewicht der Fische auch der Anteil desvon ihnen ausgeschiedenen Ammoniums1 Die Professur wird von der Wilhelm-und-Else-Heraeus-<strong>Stiftung</strong> gefördert.68 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseim Wasser steigt. Wird der zu groß, versagtder Biofilter seinen Dienst, und das Systemdroht umzukippen. „Dann müssen wirentweder Tiere entnehmen oder <strong>die</strong> Futterrateverringern, damit sie weniger schnellwachsen.“Sabines nächste Station ist nun ein kleinerSchuppen, der im Garten des Instituts steht.„Als ich angefangen habe, war hier nochgar nichts“, erzählt sie und öffnet <strong>die</strong> Türdes Verschlags, dessen hölzernes Gerüstgrob mit Plastikplane verkleidet ist. Drinnenblubbert eine Wasserpumpe vor sich hin.Genau wie im großen Gewächshaus stehenauch hier mehrere Bottiche, allerdings vielkleinere: Im ersten schwimmen <strong>die</strong> Welse,von dort verläuft ein Schlauch zum Biofilterund weiter in eine schwarze Plastikrinne aufdem Boden, in der <strong>die</strong> Tomatenpflanzen gedeihen.An den etwa hüfthohen Sträuchernhängen schon erste – wenn auch noch grüne– Früchte. Alles sieht ein wenig behelfsmäßigaus, scheint aber zu funktionieren– quasi eine Tomatenfisch-Anlage, MarkeEigenbau! „Wir wollten zeigen, dass anspruchsvolleForschung nicht zwangsläufigUnmengen an Geld kosten muss, sondernauch mit ganz einfachen Mitteln realisiertwerden kann“, berichtet Sabine. Gemeinsammit einem Technikstudenten von derFreien Universität hat sie <strong>die</strong> Anlage inklusivedes Schuppens in den vergangenen dreiWochen aufgebaut und das System zumLaufen gebracht. Die Materialien stammenalle aus dem Baumarkt. „Für unter 1.000Euro“, sagt sie stolz.Für <strong>die</strong> 23-Jährige stellt der Low-Budget-Tomatenfisch nicht nur ein schönes Praktikumsprojektdar, er hat sogar Relevanz<strong>für</strong> ihren späteren Beruf als Lehrerin: „Soetwas kann man genauso gut in der Schuleumsetzen, zum Beispiel im Rahmen einerProjektwoche oder als langfristige AG.“Zumal das Verfahren <strong>die</strong> Fächergrenzensprenge, neben Biologie auch viel Chemie,Mathematik und sogar Geografie darin stecke.Und: „Die Jugendlichen üben anhanddes Systems auch das wissenschaftlicheArbeiten: indem sie sich Fragestellungenausdenken, Hypothesen dazu formulierenund <strong>die</strong>se dann anhand von Experimentenüberprüfen.“ Im Nachbereitungsseminarwird Sabine nächstes Semester gemeinsammit ihren Kommilitonen ganz konkretüberlegen, wie sich der Tomatenfisch alsThema am besten in den Schulunterrichtintegrieren ließe.In der Praxis funktioniert Forschung andersals im Hörsaal„Das, was sie in den Instituten erlebt haben,anschließend in Schulstunden zuübersetzen, fällt den Stu<strong>die</strong>renden häufigschwer“, sagt Ingolf Hertel vom Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg. „Deshalb besprechen wir das ganzausführlich und gleichen <strong>die</strong> Praktikumsinhalteauch mit den Lehrplänen ihrer Unterrichtsfächerab.“ Der PhysikprofessorDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 69


Pro<strong>MINT</strong>-ForschungspraktikumHertel leitet das Begleitseminar stets imTandem mit einer der abgeordneten Lehrkräftedes Kollegs. „Gerade im Hinblick aufkonkrete Unterrichtsgestaltung können <strong>die</strong>Lehrer natürlich wertvolle Anregungen geben.Da zeigt sich, welch großer Gewinn<strong>die</strong> Abordnungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Universität sind.“Der Mehrwert <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende <strong>MINT</strong>-Lehrkräfte sollen ihren Schülern praktische Kompetenzenvermitteln und sie auch im Berufswahlprozess beraten. Viele wissenjedoch nicht, wie Wissenschaft in der Praxis funktioniert, und habennie in einem Unternehmen gearbeitet. Mit dem Forschungspraktikum erhalten Lehramtsstu<strong>die</strong>rende vierWochen lang Einblick in <strong>die</strong> Arbeit eines Forschungsinstituts odereines wissenschaftsnahen Unternehmens am WissenschaftsstandortBerlin-Adlershof. Aus den Praktikumsinhalten entwickeln sie anschließend im Nachbereitungsseminaran der Universität konkrete Schulstunden. Dabeibeschäftigen sie sich auch intensiv mit den Lehrplänen ihrer Unterrichtsfächer.Mittlerweile bieten fünf <strong>MINT</strong>-Fächer dasAdlershofer Praktikum als interdisziplinäreVeranstaltung in ihren Master-Stu<strong>die</strong>ngängenan: Biologie, Chemie, Informatik,Mathematik und Physik. Lehramtskandidatender Humboldt-Universität haben unteranderem bereits im Deutschen Luft- undRaumfahrtzentrum unbemannte Missionenzu Asteroiden simuliert, am Institut <strong>für</strong> Verkehrsforschung<strong>die</strong> Berliner Verkehrsströmemodelliert und am Leibniz-Institut <strong>für</strong>Kristallzüchtung Silicium-Kristalle <strong>für</strong> Solarzellenerzeugt. „Alle Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> dasPraktikum gemacht haben, waren hinterhervöllig begeistert“, sagt Hertel, der hofft,dass sich <strong>die</strong> Veranstaltung unter den angehendenLehrkräften etablieren wird.Bislang ist <strong>die</strong> Resonanz leider noch ziemlichgering, was einerseits am hohen Arbeitsaufwandliegen dürfte; in manch alternativerLehrveranstaltung lassen sich <strong>die</strong>Stu<strong>die</strong>npunkte nun mal leichter ver<strong>die</strong>nen.Andererseits können es sich viele Stu<strong>die</strong>rendeschlicht nicht leisten, in den Semesterferieneinen Monat am Stück unentgeltlichzu arbeiten. Für sie will <strong>die</strong> Universitätsich künftig um eine flexiblere Regelungbemühen. Ingolf Hertel jedenfalls bleibttrotz der Startschwierigkeiten optimistisch:„An der Universität dauert es immer etwas,bis sich eine <strong>Neue</strong>rung durchsetzt. Ich vertraueda voll auf <strong>die</strong> Mundpropaganda derStu<strong>die</strong>renden.“Auf Sabine Knöner kann Hertel dabei zählen.Es sei gut gewesen, mal eine Zeitlang70 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseSabine Knöner mit ihren Forschungsobjekten, den „Tomatenfischen“: „Total froh über <strong>die</strong> Erfahrungen, <strong>die</strong> ich hier sammele.“von der Uni wegzukommen und etwas andereszu sehen, sagt sie. Das Praktikumhabe sich wirklich gelohnt. Was sie darausmitnimmt? „Dass Wissenschaft in derPraxis doch noch mal ganz anders funktioniert,als wenn man sie im Hörsaal nur theoretischdurchspielt. Und dass vieles dabeian Kleinigkeiten hängt.“ So habe vor Kurzemübers Wochenende im großen Gewächshaus<strong>die</strong> Klimaanlage gestreikt, undalle Pflanzen seien eingegangen. „Das warrichtig ärgerlich.“ Eine berufliche Alternativesieht <strong>die</strong> Studentin <strong>für</strong> sich in der Forschungletztlich nicht. „Ich will weiterhinvor <strong>die</strong> Klasse und Kinder unterrichten,da bin ich mir ganz sicher.“ In ein paar Tagenschon geht es <strong>für</strong> Sabine zurück an <strong>die</strong>Hochschule zum Stu<strong>die</strong>n-Endspurt. Vorhersteht aber noch das große Sommerabschlussfestdes IGB am Müggelsee an. Undwas dann auf <strong>die</strong> Teller kommt, dürfte klarsein: „Natürlich jede Menge Fisch mit Tomatensoße.“Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 71


„Trotz knapper Kassenviel bewegt.“Wie <strong>die</strong> Paten das Humboldt-Pro<strong>MINT</strong>-Kolleg bewerten.O-TonProfessorin Kornelia Möller (Universität Münster), Professor Bernd Ralle (TechnischeUniversität Dortmund) und Professor Johann Sjuts (Universität Osnabrück) haben <strong>die</strong>Arbeit des Pro<strong>MINT</strong>-Kollegs wissenschaftlich begleitet. Sie attestieren dem ProjektModellcharakter auch <strong>für</strong> andere Hochschulen.Die Paten über Relevanz und Perspektivendes Pro<strong>MINT</strong>-Kollegs <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildungin Deutschland:Kornelia Möller: Universitäten tragen inder Lehrerbildung eine besondere Verantwortung<strong>für</strong> ihre Bundesländer. Dasgilt <strong>für</strong> Berlin angesichts der schulischenVerhältnisse und der Ergebnisse schulischerBildung in besonderer Weise. DieKollegstruktur, mit der <strong>die</strong> Humboldt-Universität den Stellenwert von Lehrerbildungsichtbar zum Ausdruck bringt,kann jedoch auch über den Stadtstaathinaus modellhaft wirken. Dies ist allerdingskein Selbstläufer; es bedarf vielmehreiner soliden Unterstützung vonaußen, um solch eine Kollegsituation erfolgreichinitiieren und implementierenzu können. Das Projekt zeigt insbesondereauch, wie sich <strong>die</strong> Kooperation derUniversität mit Lehrkräften positiv auf <strong>die</strong>Nachwuchsförderung auswirken kann.Über das, was im Projekt besonders gut gelungenist:Johann Sjuts: Das Forschungspraktikum,das auf eine stärkere Verknüpfungvon Studium und Praxis zielt, ist sicherlichein Alleinstellungsmerkmal des Pro-<strong>MINT</strong>-Kollegs. Die Berichte von Lehramtsstu<strong>die</strong>renden,<strong>die</strong> es absolvierthaben, stellen <strong>die</strong> Attraktivität des Praktikumsheraus und weisen auf einen Erfahrungsgewinnhin. Es zeigt sich, dassder Einblick in <strong>die</strong> Forschung nicht nurzu wichtigen Erkenntnissen über beruflicheAnforderungen führt, sondern denangehenden Lehrkräften auch den Stellenwertdes fachwissenschaftlichen Studiums<strong>für</strong> den schulischen Fachunterrichtverdeutlicht.Bernd Ralle: Allerdings entscheidensich bislang nur wenige Lehramtsstu<strong>die</strong>rendean der Humboldt-Universität <strong>für</strong>das Praktikum. Der Aufwand scheint denmeisten nach wie vor zu groß zu sein, obwohldas Praktikum im Laufe des Projektesfest im Studium verankert wurde unddadurch mittlerweile auch eine entsprechendeKreditierung erfährt. Hinsichtlichder Übertragung auf andere Standorte erscheintes wichtig, dass einerseits von Beginnan Sorge <strong>für</strong> eine solche curriculareEinbindung getragen wird. Andererseitsist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Planungssicherheit ein verlässli-72 HU BerlinDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseches Netzwerk von Firmen im Umfeld derjeweiligen Universität unabdingbar. Ander HU hat hier mit Professor Hertel eineherausragende Forscherpersönlichkeit<strong>die</strong> Vermittlung übernommen – <strong>für</strong> dasProjekt ein wesentlicher Gelingensfaktor.Über das, was noch zu tun bleibt:Bernd Ralle: Eine Kooperation wie dasPro<strong>MINT</strong>-Kolleg lebt von der guten undvertrauensvollen Zusammenarbeit zwischenUniversität und Bildungsadministration– insbesondere angesichts derchronischen Engpässe in der Versorgungder Schulen mit <strong>MINT</strong>-Lehrkräften.Daher wäre es wichtig, <strong>die</strong>se Kooperationim Längsschnitt genauer zu verfolgenund zu dokumentieren. Auf <strong>die</strong>se Weisekämen <strong>die</strong> heute erst im Ansatz erkennbarenVorteile <strong>für</strong> das Bildungssystemals Ganzes, aber auch <strong>die</strong> Schwierigkeitenzum Vorschein. In einer solchen Dokumentationdürfte sich herausstellen,dass ganz generell <strong>die</strong> Verknüpfung derersten und zweiten Phase der <strong>Lehrerausbildung</strong>sowie <strong>die</strong> Ausgestaltung derSchulpraxis im Studium zu verbessernsind. Weder <strong>die</strong> curriculare Einbindungnoch <strong>die</strong> organisatorische Durchführungsind bislang hinreichend gut gelöst.Kornelia Möller: Damit tun sich abernicht nur <strong>die</strong> Berliner, sondern auch alleanderen Bundesländer schwer. Standortbezogengilt es, vermehrt Ressourcen<strong>für</strong> <strong>die</strong>se Aufgaben bereitzustellen undforschungsbasierte und praxisbezogeneAusbildungsformate zu entwickeln.So ließe sich auch ein stärkeres öffentlichesBewusstsein <strong>für</strong> das Berufsbild desLehrers entwickeln. Ein Berufsbild, dasdurch Status, Selbstverständnis, praxisorientierteWissenschaft und Forschunggeprägt ist.Über eine bemerkenswerte Erkenntnis:Johann Sjuts: Überraschend war <strong>für</strong> uns,dass in Berlin trotz knapper Kassen dochetwas bewegt werden kann, wenn alleBeteiligten an einem Strang ziehen. Offensichtlichsetzt sich <strong>die</strong> Einsicht durch,dass eine vernachlässigte Lehrerbildungauf lange Sicht viel teurer ist als eine begünstigte– auch wenn aus <strong>die</strong>ser Einsichtnicht zwangsläufig an jedem Standorteine bessere Unterstützung der Akteurein der Lehrerbildung erwächst. Ander Humboldt-Universität jedenfalls sindAnzeichen erkennbar, dass gut begründeteuniversitäre Forderungen an <strong>die</strong> Bildungsadministrationnicht auf taube Ohrenstoßen müssen.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> HU Berlin 73


Technische UniversitätDortmund.Schüler lernen besser und nachhaltiger, wenn der Unterricht ihrenpersönlichen Kenntnisstand, ihre Talente und ihre Bedürfnisse berücksichtigtund <strong>die</strong>se adaptiv weiterentwickelt. Doch <strong>die</strong> Diagnose- undFörderkompetenzen, <strong>die</strong> Lehrkräfte da<strong>für</strong> brauchen, wurden bislang inder <strong>Lehrerausbildung</strong> zu wenig thematisiert. Hier setzte das Projekt dort-<strong>MINT</strong> mit umfangreichen inhaltlichen Maßnahmen an, <strong>die</strong> alle Teile desLehramtsstudiums berührten. Einen hohen Stellenwert nahm dabei <strong>die</strong>wissenschaftliche Begleitforschung ein.74 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseFördern und fordern.Das Projekt dort<strong>MINT</strong>.Mit dort<strong>MINT</strong> hat <strong>die</strong> Technische UniversitätDortmund (TU) den Schwerpunkt Diagnoseund individuelle Förderung (DiF) seit2009 fächer- und schulformenübergreifendin ihrer <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> implementiert.Ziel ist es, künftige Lehrkräfte im Umgangmit verschiedenen DiF-Ansätzen und-Methoden zu professionalisieren. So sollensie in ihrer späteren Berufspraxis in derLage sein, Schülerinnen und Schüler möglichstoptimal auf deren jeweiligem Niveauzu fördern und zu fordern.Das Projekt gliederte sich in drei inhaltlicheMaßnahmen – DiF erleben, DiF erlernenund DiF erproben – <strong>die</strong> in alle Teiledes Lehramtsstudiums einflossen, also in<strong>die</strong> fachwissenschaftliche, <strong>die</strong> fachdidaktischeund <strong>die</strong> schulpraktische Ausbildungder Stu<strong>die</strong>renden (siehe nachfolgende Texte).Hinzu kam als strukturelle Maßnahme<strong>die</strong> Einrichtung einer zentralen <strong>MINT</strong>-Werkstatt;sie unterstreicht den interdisziplinärenKern des Projekts und <strong>die</strong>nte den Beteiligtenüber <strong>die</strong> Fächergrenzen hinweg zumwissenschaftlichen Austausch. Unter anderemwerden in der Werkstatt heute Stu<strong>die</strong>rendebei ihren Abschlussarbeiten undPromovierende bei ihren Forschungsvorhabenunterstützt. Die wissenschaftliche Begleitforschungnahm im Projekt dort<strong>MINT</strong>ohnehin einen hohen Stellenwert ein. Eineweitere strukturelle Maßnahme setzteden Schwerpunkt auf <strong>die</strong> Gewinnung zusätzlicherStu<strong>die</strong>render insbesondere <strong>für</strong>das Lehramt an Haupt- und Realschulen.Hier spitzt sich der Mangel an gut ausgebildetenNachwuchslehrkräften seit Jahrenzu. Im Rahmen von dort<strong>MINT</strong> wurden deshalbunter dem Motto „Beste Lehrerinnenund Lehrer <strong>für</strong> alle Schülerinnen und Schüler!“unter anderem ein Imagefilm produziertund ein Exzellenzprogramm <strong>für</strong> <strong>die</strong> talentiertesten<strong>MINT</strong>-Stu<strong>die</strong>nbeginner ins Lebengerufen.Ein übergeordnetes Ziel der dort<strong>MINT</strong>-Akteurebestand letztlich darin, <strong>die</strong> Zusammenarbeitzwischen den am Projekt beteiligtenFächern – <strong>die</strong>s waren neben derBiologie, Chemie, Informatik, Mathematik,Physik und Technik auch <strong>die</strong> Germanistikund <strong>die</strong> Rehabilitationswissenschaften– insbesondere in der fachdidaktischenKurz und knappProjektfokus: Diagnose und individuelle Förderung in der <strong>MINT</strong>-LehrerbildungFördersumme: 1,5 Millionen EuroProjektleitung: Prof. Dr. Stephan Hußmann, Prof. Dr. Christoph Selterwww.dortmint.deDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 75


Die Technische Universität Dortmund ist eine der wenigen Hochschulen in Deutschland, <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rende <strong>für</strong> sämtlicheLehrämter und Schulstufen ausbildet.Forschung und Lehre nachhaltig zu intensivieren.Darüber hinaus sollten <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Fachdidaktiken stärker mit den Bildungswissenschaftenverzahnt werden.Die Organisation der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungan der TU DortmundDie Technische Universität Dortmund ist eineder wenigen Hochschulen in Deutschland,<strong>die</strong> ein Studium <strong>für</strong> sämtliche Lehrämterund Schulstufen anbietet, also <strong>für</strong>Grund-, Haupt- und Realschule, Gymnasiumund Gesamtschule, Berufskolleg sowieFörderschule. Im Jahr vor Beginn desProjektes dort<strong>MINT</strong> waren an der Universitätca. 5.800 Stu<strong>die</strong>rende (27 Prozent allerStu<strong>die</strong>renden) in Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängeneingeschrieben, darunter knapp 2.600 inden <strong>MINT</strong>-Fächern. Bereits 2005 war dasLehramtsstudium in Dortmund im Rahmeneines Modellversuchs auf das konsekutiveSystem aus Bachelor und Masterumgestellt worden. Jedoch erforderte eineReform des nordrhein-westfälischen <strong>Lehrerausbildung</strong>sgesetzes(LABG) 2009 erneuteUmstrukturierungen. Diese wurdenzum Wintersemester 2011/12 umgesetzt.Unter anderem muss laut neuem LABG76 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseheute jeder Lehramtsstu<strong>die</strong>rende in Nordrhein-Westfalenverpflichtend Kurse zuDiagnostik und individueller Förderungbesuchen.Der sechssemestrige Lehramts-Bacheloran der TU Dortmund setzt sich zusammenaus zwei Unterrichtsfächern (Grundschullehramt:drei Lernbereichen) sowieden Bildungswissenschaften und Praktika.Der viersemestrige Master of Educationbeinhaltet anschließend auch ein komplettesPraxissemester. Darauf folgt der gegenwärtig18-monatige Vorbereitungs<strong>die</strong>nst.Eine Besonderheit des Dortmunder <strong>MINT</strong>-Lehramtsstudiums ist, dass <strong>die</strong> Fachdidaktikenin der Mehrzahl der Fächer (Biologie,Chemie, Mathematik, Technik) gleichzeitigauch <strong>die</strong> fachwissenschaftliche Ausbildungder Stu<strong>die</strong>renden in vollem oderüberwiegendem Umfang leisten. Dies gilt<strong>für</strong> das Lehramt an Grund-, Haupt-, RealundGesamtschulen sowie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sonderpädagogik.Organisiert und wissenschaftlich unterfüttertwird <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong> in Dortmundvon mehreren zentralen Einrichtungen. Zunennen ist hier insbesondere das DortmunderKompetenzzentrum <strong>für</strong> Lehrerbildungund Lehr-/Lernforschung (DoKoLL), das<strong>für</strong> fakultätsübergreifende Fragen der Lehrerbildungzuständig ist, <strong>die</strong> Lehrerbildungkonzeptionell weiterentwickelt, den Theorie-Praxis-Bezugausgestaltet und fächerübergreifendeForschung unterstützt. Alswissenschaftliche Einrichtung fördert dasZentrum <strong>für</strong> HochschulBildung (zhb) <strong>die</strong>qualitätsgesteuerte Entwicklung von Lehreund Studium. Das international renommierteInstitut <strong>für</strong> Schulentwicklungsforschung(IFS) schließlich beschäftigt sich mit derOrganisation und Gestaltung von Schule,Bildungsprozessen und Bildungserfolgenund wirkt an so prominenten Forschungsprojektenwie TIMSS oder PIRLS/IGLU mit.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 77


„Verstehen, was in denKöpfen der Schüler passiert.“Diagnose und Förderung in der <strong>Lehrerausbildung</strong>.InterviewProfessor Stephan Hußmann und Professor Christoph Selter leiten dort<strong>MINT</strong>. Im Interviewerklären <strong>die</strong> beiden Mathematik-Didaktiker, was es mit dem Begriffspaar Diagnoseund individuelle Förderung (DiF) auf sich hat, und welches <strong>die</strong> größten Herausforderungenbei der Umsetzung des Projektes waren.Herr Professor Selter, was genau verbirgtsich hinter den Begriffen „Diagnose“ und„individuelle Förderung“?Christoph Selter: Beide Begriffe habendurch <strong>die</strong> Reform des Schulgesetzes unddes <strong>Lehrerausbildung</strong>sgesetzes in Nordrhein-Westfalenin den letzten Jahrenstark an Bedeutung gewonnen. Dia gnosebedeutet in Bezug auf Schule, möglichstgut feststellen zu können, wo im Lernprozesssich einzelne Schülerinnen undSchüler befinden, welche Vorerfahrungenund Fähigkeiten, aber auch, welcheDefizite sie haben. Dabei kommt der Diagnosekeine Kontroll- oder Selektionsfunktionzu wie etwa einer Klausur oderdem Zeugnis am Ende des Schuljahres.Wir versuchen durch sie vielmehr, denLehr- und Lernprozess mit den Augen derSchülerinnen und Schüler wahrzunehmen.Dass solch ein Monitoring hochwirksamist, wenn es kontinuierlich erfolgt, hatja zuletzt auch <strong>die</strong> Hattie-Stu<strong>die</strong> gezeigt.Und Förderung hat anschließend <strong>die</strong> Aufgabe,<strong>die</strong> Potenziale der Lernenden weiterzuentwickelnund vorhandene Defizite zuüberwinden?Christoph Selter: Genau. Wobei es extremwichtig ist, beide Prozesse eng miteinanderzu verknüpfen. Förderung sollteimmer diagnosebasiert sein. Wenn jemandfrüher etwas nicht konnte, hat <strong>die</strong>Lehrperson häufig gesagt: Du musst haltmehr üben, jetzt rechne noch mal zehnAufgaben, dann wird es schon besser!Das war im Grunde diagnoselose Förderung,weil vorher nicht geschaut wurde,was überhaupt <strong>die</strong> spezifischen Schwierigkeitenwaren. Genauso gibt es aberauch förderlose Diagnose; wenn manLernstände feststellt, dann aber nicht genauweiß, wie man auf <strong>die</strong>ser Grundlagefördern soll.Ist es denn im stressigen Schulalltag überhauptrealistisch, dass der Lehrer <strong>für</strong> jedeneinzelnen Schüler einen individuellen Förderplanaufstellt, Herr Professor Hußmann?Stephan Hußmann: Hier wird „individuelleFörderung“ missverstanden. Der Begriffist eben nicht so auszulegen, dassjedes Individuum seinen eigenen, perfektauf seine Bedürfnisse abgestimmtenFörderplan bekommt. Das geht bei28 und mehr Schülerinnen und Schülern78 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsepro Klasse tatsächlich nicht. Muss aberauch gar nicht, weil es ja meistens Gruppenvon Lernenden innerhalb einer Klassegibt, <strong>die</strong> den gleichen typischen Fehlermachen oder das gleiche typischePotenzial haben. Auf sie kann <strong>die</strong> Lehrkraftdann jeweils gesammelt eingehen.In welchem Maße wird denn in den Schulenheute schon bewusst diagnostiziertund individuell gefördert?Stephan Hußmann: Das ist von Fachzu Fach unterschiedlich und auch starkvon der Lehrperson abhängig. In einigenFächern passiert sehr viel, weil dort <strong>die</strong>fachdidaktische Forschung schon einbreites Spektrum an Befunden über fachlichangemessene sowie unangemesseneSchülervorstellungen hervorgebrachthat. Insbesondere <strong>die</strong>ses Wissen brauchtman nämlich, um eine geeignete Diagnoseund adaptives Fördermaterial erstellenzu können. Andere Disziplinen sindhingegen noch jünger und müssen daherdas entsprechende Fundament erstnoch aufbauen.Christoph Selter: Was mir ein bisschenSorge macht, ist, dass viele Schulen denken,sie fördern ihre Schülerinnen undSchüler schon alleine dadurch, dass siesie einfach nur beschäftigen, anstatt sierichtig zu aktivieren und herauszufordern.Diese Tendenz fällt mir insbesonde-Mathematik-Didaktiker Stephan Hußmann: „Der Austausch mit den anderen Fächern war <strong>für</strong> michdas Spannendste.“re in den Grundschulen auf, wo ja vieleLehrkräfte in Mathematik und den Naturwissenschaftenfachfremd unterrichten.Da sitzen <strong>die</strong> Kinder in der Klasse, und jedesarbeitet – so scheint es – in seinemeigenen Lerntempo vor sich hin. Wennman <strong>die</strong> Materialien, meistens Arbeitsblätteroder -karten, aber mal genau analysiert,zeigt sich häufig, wie wenig Substanzdahinter steckt. Förderung ist abernur gut, wenn sie fachlich und didaktischfun<strong>die</strong>rt ist. Einzel- oder PartnerarbeitDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 79


Mit dem Projekt dort<strong>MINT</strong> haben Sie dasKonzept von Diagnose und individuellerFörderung in den letzten vier Jahren fächerübergreifendin der <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>der Technischen Universität implementiert.Wie sind Sie vorgegangen?Mathematik-Didaktiker Christoph Selter: „Diagnose und Förderung müssen eng miteinanderverknüpft sein.“sind genauso wenig immer gut, wiefrontale Phasen per se schlecht sind.Entscheidend ist stets <strong>die</strong> Qualität derLehr-Lern-Prozesse.Stephan Hußmann: Indem wir uns <strong>die</strong>drei zentralen Komponenten des Lehramtsstudiums– also <strong>die</strong> fachinhaltliche,<strong>die</strong> fachdidaktische und <strong>die</strong> schulpraktischeAusbildung – vorgenommen unddort jeweils Aspekte von Diagnose undFörderung eingeflochten haben. Darausist <strong>die</strong> Idee des Dreischritts DiF erleben,DiF erlernen, DiF erproben entstanden:Zunächst erfahren <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden Diagnose-und Förderansätze in ihrer fachwissenschaftlichenAusbildung am eigenenLeib und erkennen, wie sinnvoll <strong>die</strong>se<strong>für</strong> ihren eigenen Lernprozess sind.Daraufhin erlernen sie in fachdidaktischenVorlesungen und Seminaren denUmgang mit ausgewählten DiF-Instrumentenmit dem Ziel, <strong>die</strong>se, theoretischreflektiert, später selbst im Unterricht anwendenzu können. Schließlich erprobensie <strong>die</strong> Instrumente in schulpraktischenVeranstaltungen unmittelbar mit Schülerinnenund Schülern. In der Realität lassensich <strong>die</strong>se drei Schritte natürlich nichtimmer so klar voneinander trennen, weilwir zum Beispiel in Veranstaltungen gernefachliche mit fachdidaktischen Elementenverbinden. Die Stu<strong>die</strong>renden absolvierenden Dreischritt also nicht unbedingtlinear. Sie kommen vielmehr inihrem gesamten Stu<strong>die</strong>nverlauf immer80 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsewieder auf verschiedenen Ebenen undmit unterschiedlicher Intensität mit DiF inBerührung, in zahlreichen Vorlesungen,Übungen und Seminaren.Christoph Selter: Wobei wir auch Veranstaltungenetabliert haben, <strong>die</strong> explizitDiagnose und individuelle Förderungin den Mittelpunkt rücken. Sämtliche<strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>renden besuchenzum Beispiel im Rahmen ihres Bachelorsnun verpflichtend mindestens einDiF-Seminar. Allein damit erfüllen wirschon <strong>die</strong> Vorgabe des <strong>Lehrerausbildung</strong>sgesetzes.Alles andere ist sozusagenZugabe.Was war <strong>für</strong> Sie innerhalb von dort<strong>MINT</strong> <strong>die</strong>größte Herausforderung?Christoph Selter: Das Projekt über <strong>die</strong>lange Dauer auf Kurs zu halten und denAustausch lebendig zu gestalten. Es warenja nicht weniger als 40 Personen andort<strong>MINT</strong> beteiligt. Wenn <strong>die</strong> mitsamt ihrenspezifischen Vorerfahrungen undErwartungen zusammenkommen undbeginnen, miteinander zu diskutieren,dann unterscheidet sich das in punctoHeterogenität auch nicht von einerSchulklasse.Stephan Hußmann: Dieser Austauschmit den anderen Fächern war <strong>für</strong> michüberhaupt das Spannendste. Wir redenja in unseren jeweiligen Fachkulturenteilweise sehr verschieden über <strong>die</strong> Dinge,haben auch unterschiedlich weit entwickelteForschung. Da stellen sich <strong>die</strong>verschiedensten Fragen: Was bedeuteteigentlich Diagnostik in der Physik? Wiegenau fördert <strong>die</strong> Technik? Wie funktioniertbei denen in einem kleinen Seminarmit acht Teilnehmern, was wir in einergroßen Vorlesung mit 300 Leutenmachen? – Über all das zu sprechen,war extrem lehrreich. Solche multilateralenProjekte sind ja an einer Universitätohnehin sehr selten, zumal mit demSchwerpunkt auf der Lehre. Da fandich es bemerkenswert, dass <strong>die</strong> Grundhaltungbei allen Beteiligten doch <strong>die</strong>selbegewesen ist. Dass wir, obwohl wiruns auf der konzeptionellen und theoretischenEbene natürlich erst mal verstehenlernen mussten, vom Grundsatz undder Grundhaltung her immer in <strong>die</strong>selbeRichtung gedacht und gearbeitet haben.Christoph Selter: Ein entscheidenderPunkt war dabei sicher, dass wir schonin der Antragsphase regelmäßig in großerBesetzung zusammengesessen haben,unter Einbeziehung auch der Hochschulleitungund -verwaltung. So ist <strong>die</strong>sergemeinsame Geist entstanden, derdann letztlich auch zu guten Entwicklungengeführt hat. Hätten wir dort<strong>MINT</strong> zunächstmit einem Nukleus aus drei Leutenkonzipiert und erst danach <strong>für</strong> alleDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 81


anderen geöffnet, sähen <strong>die</strong> Ergebnisseheute wahrscheinlich ganz anders aus.Haben <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden denn genauso gutmitgezogen wie <strong>die</strong> Lehrenden?Stephan Hußmann: Anfangs haben wirbei einigen Stu<strong>die</strong>renden schon eine gewisseZurückhaltung gespürt, gerade inden fachwissenschaftlichen Veranstaltungen,wo das Erproben der DiF-Instrumenteja teilweise einen Mehraufwand<strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden bedeutet. Sobalddann aber der Ertrag sichtbar wurde, hatsich <strong>die</strong>se Zurückhaltung meist schnellgelegt. Eine typische Reaktion lauteteetwa: „Anfangs war es zwar viel Arbeit,aber hinterher habe ich verstanden, wo<strong>für</strong>es gut ist.“ Das führte letztlich dazu,dass viele von ihnen sogar im zweitenJahr mit DiF erproben weitergemachthaben, obwohl sie gar nicht mussten.Natürlich gab es aber auch Instrumente,<strong>die</strong> den Stu<strong>die</strong>renden subjektiv nichtden erhofften Mehrwert gebracht haben.Dann waren sie zu Recht kritisch,was wir zum Anlass genommen haben,<strong>die</strong> Instrumente noch einmal zu überarbeitenbzw. <strong>die</strong> Art ihres Einsatzes anzupassen.Im Großen und Ganzen glaubeich aber, dass <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden einiges<strong>für</strong> ihre spätere Berufspraxis aus den Veranstaltungenmitgenommen haben. Darauflassen auch <strong>die</strong> Ergebnisse der Evaluationschließen, wo wir unter anderemuntersucht haben, wie sich ihre Einstellunggegenüber DiF im Lauf der Zeit veränderthat.Es läuft nun <strong>die</strong> Nachhaltigkeitsphase vondort<strong>MINT</strong>. Was steht hier noch an?BuchtippEine Bilanz des Projektes dort<strong>MINT</strong> ziehen Stephan Hußmann undChristoph Selter auch in dem Buch „Diagnose und individuelle Förderungin der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung“, das sie 2013 im Waxmann-Verlag,Münster, herausgegeben haben.Christoph Selter: Es geht darum, <strong>die</strong>Instrumente und <strong>Konzepte</strong>, <strong>die</strong> wir bisherin ausgewählten Veranstaltungen erprobthaben, nun auch <strong>für</strong> andere Veranstaltungenzu adaptieren. Diese Übertragungfindet auf mehreren Ebenen statt:einmal zwischen den einzelnen Stu<strong>die</strong>nphasen;was kann man zum Beispiel82 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseChristoph Selter und Stephan Hußmann leiten das Projekt dort<strong>MINT</strong>.in den fachdidaktischen Seminaren vondem lernen, was in den fachinhaltlichenVorlesungen und Übungen gemachtwurde, und umgekehrt? Dann aber auchzwischen den verschiedenen <strong>MINT</strong>-Fächern;hier gab es schon während desProjektes etwa den Fall, dass <strong>die</strong> Technikein Konzept aus der Chemie und <strong>die</strong>Chemie eines aus der Mathematik übernommenhat. Das wollen wir fortführen.Zu guter Letzt entwickeln wir gerade eineArt Angebotsstruktur auch <strong>für</strong> Fächer,<strong>die</strong> nicht zum <strong>MINT</strong>-Spektrum gehören,um auch ihnen <strong>die</strong> Möglichkeit zu geben,einige unserer <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> sich zuadaptieren. Man sieht: Langweilig wirdes uns in nächster Zeit nicht werden.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 83


Positiver Zugang.Ein Überblick über <strong>die</strong> erprobten DiF-Instrumente.An der Technischen Universität Dortmund erfahren Lehramtsstu<strong>die</strong>rende Diagnoseund individuelle Förderung in ihrer fachlichen Ausbildung am eigenen Leib. Dabei nutzensie verschiedene Ansätze und Instrumente.Akzeptanz durch eigenes Erleben – <strong>die</strong>seIdee steht hinter dem ersten der drei inhaltlichenTeilprojekte von dort<strong>MINT</strong> (DiF erleben).Die Stu<strong>die</strong>renden sollen bereits in ihremeigenen fachlichen Lernprozess mit denverschiedenen Ansätzen von Diagnose undindividueller Förderung konfrontiert werden,bevor sie <strong>die</strong>se im weiteren Stu<strong>die</strong>nverlaufauch didaktisch anwenden lernen. Die dort-<strong>MINT</strong>-Akteure wollen den Stu<strong>die</strong>renden soeinen positiven Zugang zu DiF ermöglichen.Verbessern sich durch DiF deren fachlichenLernergebnisse, so hoffen <strong>die</strong> Wissenschaftler,werden sie in ihrer späteren Berufspraxisals Lehrkräfte eher geneigt sein, <strong>die</strong> Methodenselbst anzuwenden.An DiF erleben beteiligt waren <strong>die</strong> FächerChemie, Mathematik, Physik und Technik.Erprobt wurden <strong>die</strong> unterschiedlichstenMethoden und Instrumente, wobei jedesFach seinen eigenen Schwerpunkt setzte.Einige der Instrumente waren bereitszuvor in der Schule etabliert und musstennur noch <strong>für</strong> den Einsatz an der Hochschuleangepasst werden. Andere wurden imRahmen des Projektes neu entwickelt. DieBandbreite der Lehrveranstaltungen, in denensie eingesetzt wurden, reichte von großenVorlesungen mit bis zu 300 Stu<strong>die</strong>ren-den über Übungen und Tutorien bis hin zuLaborpraktika. Im Folgenden ein Überblicküber drei der erprobten Instrumente.Concept-MapsConcept-Maps sind „Begriffslandkarten“,mit deren Hilfe man Wissensstrukturen grafischdarstellen kann. Unterschiedliche zentraleBegriffe eines Themengebietes (sogenannteKnoten) werden in einer Map durchKanten miteinander in Verbindung gesetzt.Auf den Kanten benennt man <strong>die</strong> jeweiligeBeziehung der Knoten zueinander, etwa„besteht aus“ oder „hängt ab von“. Für denLehrer eignen sich Concept-Maps als Diagnoseinstrumentinsbesondere, um aus derRückschauperspektive festzustellen, obder Schüler ein Thema vollständig durchdrungenhat. So erhielten etwa in der Chemie,wo das Instrument im Rahmen von DiFerleben schwerpunktmäßig erprobt wurde,<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden in Übungsveranstaltungenmehrmals pro Semester den Auftrag,Concept-Maps zu chemischen Basiskonzeptenanzufertigen, <strong>die</strong> sie davor in derzugehörigen Vorlesung kennengelernt hatten.Geschulte Übungsgruppenleiter werteten<strong>die</strong> Maps anschließend im Hinblickauf Verständnisprobleme aus und meldetenihre Erkenntnisse individuell an <strong>die</strong>84 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseStu<strong>die</strong>renden zurück. Im weiteren Übungsverlaufgriffen sie zudem verstärkt <strong>die</strong> Themenauf, bei denen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden nochfehlendes Zusammenhangswissen offenbarthatten.Darüber hinaus können Concept-Maps jedochauch lernprozessbegleitend genutztwerden, um Fehlvorstellungen oder Verständnisdefizitezu diagnostizieren. Im Laborpraktikumim Fach Technik beispielsweiseerstellten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden Concept-Maps in Gruppenarbeit zur Vorbereitung auf<strong>die</strong> verschiedenen Experimente. Währendder Versuchsdurchführung und in der Nachbereitungsphaseergänzten bzw. korrigiertensie <strong>die</strong>se anschließend. Dabei erhielten<strong>die</strong> Teilnehmer zu jedem Entwurf ein individuellesFeedback ihrer Dozenten, <strong>die</strong> anhandder Maps gut feststellen konnten, wiesich das fachliche Verständnis der Gruppeim Laufe des Versuchs entwickelt hatte.Concept-Maps sind ein flexibles Instrumentund können von Lernenden unterschiedlichgenutzt werden. Didaktisch reduziertals Lücken-Maps mit bereits vorgegebenenBegriffen eignen sie sich zumBeispiel auch <strong>für</strong> eine fokussierte Diagnose.Ein Problem gerade bei offenen Variantenvon Concept-Maps ist <strong>die</strong> aufwendigeAuswertung und <strong>die</strong> mangelnde Vergleichbarkeit.Für eine schnelle Diagnose in derSchule sind deshalb zuweilen andere Methodenvorzuziehen.Erfahrungsbericht„Musste vor der Klausur kaum noch lernen“Der Technikstudent Gunnar Schmerbeck über das Erstellen von Concept-Maps.„Ich habe Concept-Mapping in der Vorlesung zur Werkstoffkunde kennengelernt.Nach jeder Sitzung sollten wir als Hausaufgabe das zuvorbehandelte Thema in einer Map restrukturieren. Anfangs war dasziemlich aufwendig, jede Map hat mich zwei Stunden gekostet. Erstmit der Zeit habe ich gemerkt, dass sich <strong>die</strong> Mühe wirklich lohnt. Manprägt sich den Stoff einfach viel besser ein, wenn man sich nicht bloßStichworte notiert, sondern wirklich Gedanken über <strong>die</strong> Struktur und<strong>die</strong> Verknüpfungen macht. Vor der Klausur brauchte ich so fast garnicht mehr lernen. In der Schule werde ich Concept-Mapping späterauf jeden Fall ausprobieren.“Beispiel einer Concept-Mapaus dem Fach TechnikDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 85


Erfahrungsbericht„Gelernt, quer zu denken“Die Physikstudentin Stefanie Rahder über ihren Umgang mit Diagnosechecklisten.„Ich habe durch <strong>die</strong> Checklisten gelernt, quer zu denken, was in derPhysik ganz wichtig ist. Man muss sie ja nicht zwingend linear vonoben nach unten abarbeiten, sondern kann auch Sprünge machen,wenn man an einer Stelle nicht weiterkommt. Für meine spätere Arbeitals Lehrerin waren das wertvolle Erfahrungen. Ich merke jetzt schon,wenn ich Nachhilfe gebe, dass ich bestimmte Aspekte aus den Check-listen aufgreife.Wenn mir zum Beispiel einSchüler sagt, er könne einebestimmte Aufgabe nichtlösen, dann frage ich heuteviel konkreter nach, um zuergründen, wo genau seinProblem liegt. Anschließendkann ich dann ganzdezi<strong>die</strong>rtHilfestellunggeben.“Beispiel einer Diagnosechecklisteaus der PhysikChecklisten zur SelbsteinschätzungIm Gegensatz zu Concept-Maps werdenChecklisten in der Regel nicht vom Lehrerausgewertet. Sie <strong>die</strong>nen stattdessender Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeitendurch den Schüler innerhalbdes Lernprozesses. Anschließend sollte erim besten Fall individuell aus verschiedenenFörderangeboten auswählen können,um vorhandene Defizite gezielt abzubauenbzw. eigene Potenziale weiterzuentwickeln.Im Rahmen von DiF erleben wurdenChecklisten zur Selbsteinschätzung vorwiegendin den Fächern Physik und Mathematikangewendet. In der Physik etwa<strong>die</strong>nte eine Diagnosecheckliste den Teilnehmernder Experimentalphysik-Übungals Leitfaden zum Lösen physikalischerRechenaufgaben. Die Universität hatte zuvorerhoben, dass Stu<strong>die</strong>renden hier häufig<strong>die</strong> nötigen Strategien fehlen, obwohlsich der Bearbeitungsweg von Aufgabezu Aufgabe normalerweise kaum unterscheidet.In der Diagnosecheckliste warendeshalb <strong>die</strong> einzelnen Bearbeitungsschritteprototypisch aufgelistet, versehenjeweils mit einer dichotomen Skala („Daskonnte ich“/„Dabei hatte ich Schwierigkeiten“)zur Selbsteinschätzung, einemFreitextfeld, in dem <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden ihreSchwierigkeiten genauer beschreiben, sowieeinem Feld, in das sie ihren individuellenFörderbedarf eintragen konnten. Die86 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseentsprechenden Förderangebote wurdenanschließend von den Übungsgruppenleiternbereitgestellt.In der Mathematik kamen Checklisten inVerbindung mit sogenannten Kompetenzcheckszum Einsatz. Im Rahmen der Vorlesungen„Elementare Funktionen“ und„Diskrete Mathematik“ erhielten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendennach jedem inhaltlichen KapitelÜbungsaufgaben, <strong>die</strong> mit verschiedenenKompetenzen überschrieben waren (zumBeispiel „Ich kann einen gegebenen Beweisnachvollziehen und in eigenen Wortenwiedergeben.“). Die Idee dahinter war,den Lernprozess möglichst transparent zugestalten und den Stu<strong>die</strong>renden klare Kompetenzerwartungenvorzugeben. Die bearbeitetenAufgaben wurden anschließendnicht eingesammelt, stattdessen Musterlösungenverteilt, mit denen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenihre Leistung überprüfen konnten. Inder Checkliste, <strong>die</strong> nach denselben Kompetenzengegliedert war wie <strong>die</strong> Übungsaufgaben,sollten sie anschließend ihrenLernstand reflektieren sowie eventuelleSchwierigkeiten beschreiben. Gemeinsammit den Übungsgruppenleitern wurden daraufhinneue Ziele formuliert und geeigneteFördermaßnahmen ausgewählt.ForschungshefteIn Forschungsheften halten Schüler ihreneigenen Lernprozess fest und reflektieren<strong>die</strong>sen, indem sie ihre Einfälle,Erfahrungsbericht„Hat wirklich etwas gebracht“Die Mathematikstudentin Kristin Wolf über ihre Erfahrungen mit Forschungsheften.„Die Hefte zu schreiben, war schon viel Arbeit. Aber es hat auch wirklichetwas gebracht. Normalerweise vermittelt einem der Professor jafertiges Wissen und sagt: Das ist relevant <strong>für</strong> <strong>die</strong> Klausur, das musst dudir einprägen! Das führt aber meistens nur zum Auswendiglernen, undnach der Klausur hat man vieles schnell wieder vergessen. Hier solltenwir uns das Wissen stattdessen von Beginn an größtenteils selbst erarbeiten,Algorithmen entwickeln und dazu <strong>die</strong> mathematischen Begrifflichkeitenformulieren. Anfangs waren unsere Forschungshefte deshalbauch noch ziemlich alltagssprachlich gehalten. Erst im Laufe desSemesters konnten wir sie mit immer mehr Fachsprache anreichern.“Beispielseite i i aus einem Mathematikforschungshefth h fDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 87


Vorgehensweisen, aber auch Irrwege aufschreiben.Wichtig ist also nicht allein <strong>die</strong>Lösung der Aufgabe, sondern vielmehr derWeg dorthin. Dabei können Forschungsheftenicht nur Prozesse, sondern auchProdukte enthalten, zum Beispiel Definitionen,Sätze, Beweise und Skizzen. Die Prozessesind meist in der eigenen Spracheformuliert, während sich <strong>die</strong> Produkte fachsprachlichenFormulierungen annähern.Im Teilprojekt DiF erleben wurden Forschungsheftein der Mathematik eingesetzt.Die Stu<strong>die</strong>renden fertigten sie dortetwa in der Vorlesung und den Übungenzur Diskreten Mathematik an, wo es darumgeht, allgemeine mathematische Lösungen<strong>für</strong> lebensweltliche Problemstellungenzu entdecken und „erfinden“. EineAufgabe, mit der <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendendort konfrontiert wurden, lautete zum Beispiel:„Planen Sie einen optimalen Rundweg<strong>für</strong> <strong>die</strong> Müllabfuhr, sodass möglichstkeine Straße mehrfach durchfahren wird.“Im Übungsbetrieb bearbeiteten sie <strong>die</strong>seProblemstellung und schrieben anschließendin Heimarbeit ihre Forschungshefte,in denen sie den Lösungsweg noch einmaldurchdachten und <strong>die</strong> dazu notwendigenmathematischen Werkzeuge undBegriffe aufschrieben. Die Hefte <strong>die</strong>ntendemnach einerseits als Förderinstrument.Andererseits wurden sie in der darauf folgendenSitzung von den Übungsgruppenleiterneingesammelt, gelesen und mit ei-nem schriftlichen Feedback hinsichtlichder Strukturierung sowie der gezeigtenKompetenzen versehen. Die Stu<strong>die</strong>rendennutzten <strong>die</strong>se Rückmeldung zur Überarbeitungihrer Hefte. Es erfolgte also zusätzlicheine externe Diagnose.Die besten Ideen – aber auch besondersaufschlussreiche Fehler – der Stu<strong>die</strong>rendenerhielten außerdem Einzug in <strong>die</strong> Vorlesung.Der Dozent stellte dort verschiedeneLösungsansätze vor und setzte darausabschließend <strong>die</strong> mathematische Theoriezusammen. Für <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden war esdabei häufig ein Erfolgserlebnis, zu sehen,wie nah sie mit ihren selbst erdachten Algorithmenbereits der tatsächlichen Lösunggekommen waren.88 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseFehlvorstellungen sind nichtsUngewöhnliches.DiF in der fachdidaktischen Ausbildung erlernen.Schüler individuell zu fördern, ist ohne vorgeschaltete Diagnose schlicht nicht möglich.Die diagnostischen Fähigkeiten, <strong>die</strong> angehende Lehrkräfte da<strong>für</strong> brauchen, erwerbensie im Projekt dort<strong>MINT</strong> in innovativen fachdidaktischen Veranstaltungen.Damit künftige <strong>MINT</strong>-Lehrkräfte in der Lagesein werden, abweichende Lernständebei ihren Schülerinnen und Schülern zudia gnostizieren, müssen sie sich <strong>die</strong> da<strong>für</strong>nötigen Methoden bereits in ihrer universitärenfachdidaktischen Ausbildung aneignen.Im dort<strong>MINT</strong>-Teilprojekt DiF erlernenwurden zu <strong>die</strong>sem Zweck seit 2009 in vierFächern innovative fachdidaktische Lehrveranstaltungenkonzipiert. ExemplarischeErhebungen und Erprobungen der Methodenfanden darüber hinaus auch in derSchulpraxis statt. Den roten Faden <strong>für</strong> beinahealle Aktivitäten bildete <strong>die</strong> Diagnostikfachlich unangemessener Schülervorstellungen(hier auch als Fehlvorstellungen bezeichnet).Fehlvorstellungen analysieren in derBiologieFür <strong>die</strong> Biologie sind Schülervorstellungenbereits gut erforscht, zum Beispiel zu denkomplexen Themen Evolution und Vererbung.Hier zeigen sich immer wieder vieleund verbreitete Fehlvorstellungen. Dennochgibt es bislang kaum praktikable Instrumente,mit denen Lehrkräfte <strong>die</strong>se imUnterricht auch diagnostizieren können.Ziel des Faches Biologie im Teilprojekt DiFerlernen unter der Leitung von ProfessorDittmar Graf war es deshalb einerseits, aufder Schulebene ein solches praxisgeeignetesDiagnoseinstrument <strong>für</strong> <strong>die</strong> SekundarstufeI zu entwickeln. Hier entschied manDie Chemie-Didaktikerin Insa Melle hilft Stu<strong>die</strong>renden beim Erstellen von Multiple-Choice-Aufgaben.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 89


Chemie-Lehramtsstudentin Ann-Kathrin Schlüter (r.) und Kommilitonen: „Besonders schwer ist es, <strong>die</strong> falschen Antwortenzu formulieren.“sich <strong>für</strong> Multiple-Choice-Aufgaben. Andererseitssollten auf der HochschulebeneLehramtsstu<strong>die</strong>rende den Umgang mit verschiedenenDiagnoseinstrumenten erlernen.Konzipiert wurden sowohl eine Einheit<strong>für</strong> <strong>die</strong> Grundvorlesung zur Biologie-Didaktik inklusive der zugehörigen Übung<strong>für</strong> Bachelor-Stu<strong>die</strong>rende als auch eine Seminareinheitzur Evolutions-Didaktik <strong>für</strong>Master-Stu<strong>die</strong>rende.In der Vorlesung lernten <strong>die</strong> angehendenLehrkräfte zunächst <strong>die</strong> Grundlagen vonDiF kennen und beschäftigten sich mitder Bedeutung von Schülerfehlvorstellungen<strong>für</strong> Lernprozesse. Anschließend übtensie in mehreren Einheiten <strong>die</strong> Methodedes Concept-Mapping (siehe den vorherigenText) ein, <strong>die</strong> sich <strong>für</strong> das Strukturierenkomplexer Zusammenhänge besonderseignet. Hier erstellten sie unterschiedlicheVarianten von Concept-Maps, etwa Lücken-Maps mit vorgegebener Struktur, Maps ausvorgegebenem Textmaterial sowie offeneMaps ohne weitere Vorgaben. Die abschließendeEvaluation der Übung zeigte einenZuwachs an methodischen Kompetenzen.Die Seminareinheit <strong>für</strong> Master-Stu<strong>die</strong>rendebefasste sich in drei Sitzungen sowohltheoretisch als auch praktisch mit dem DiagnoseinstrumentMultiple-Choice-Aufgaben(MC). Dabei handelt es sich bekanntlichum geschlossene Fragen mit vorgegebenenAntwortalternativen, in <strong>die</strong>sem Falljeweils mit einer richtigen und drei bis vierfalschen. Die falschen Antwortalternativenwerden Distraktoren genannt. Sie repräsentierenhier gängige Fehlvorstellungen(siehe Kasten). Im praktischen Teil des Seminarswurden <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden mit denzuvor <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schule entwickelten MC-Aufgabenkonfrontiert. Zudem erhielten sieausgewähltes Material aus Interviews mitSchülerinnen und Schülern, in denen <strong>die</strong>seüber Evolution und Vererbung befragt90 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsewerden. Die in den Antworten offenbartenFehlvorstellungen analysierten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenunter verschiedenen Gesichtspunkten.Darüber hinaus bewerteten sieAufgaben, <strong>die</strong> von Schülerinnen und Schülernmit Fehlvorstellungen bearbeitet wordenwaren, aus fachdidaktischer Perspektiveund diskutierten <strong>die</strong>se mit ihren Kommilitonenund den Dozenten. Die Evaluationzeigte letztlich eine deutliche Verbesserungder Bewertungsleistung der Stu<strong>die</strong>rendenhinsichtlich der Fehlvorstellungen.Diagnoseaufgaben erstellen in derChemieAuch das Fach Chemie arbeitete im Rahmenvon DiF erlernen mit Schülerfehlvorstellungenund Multiple-Choice-Tests. Unterder Leitung von Professorin Insa Mellewurde eine Seminareinheit entwickelt, <strong>die</strong>vier Sitzungen umfasst und künftig von allenLehramtsstu<strong>die</strong>renden des FachesChemie durchlaufen wird. Die angehendenLehrkräfte beschäftigen sich darin zunächsttheoretisch mit den Begriffen Dia-Multiple-Choice-BeispielaufgabeSchnelle GepardeAnhand von Multiple-Choice-Aufgaben wie der folgenden könnenLehrkräfte im Biologieunterricht fachlich unangemessene Vorstellungenihrer Schüler diagnostizieren und als Grundlage <strong>für</strong> spezifischeFördermaßnahmen nutzen.Geparde können bis zu 96 km/h laufen, wenn sie ihre Beute jagen.Ihre Vorfahren erreichten dagegen nur eine Geschwindigkeit von 32km/h. Wie lässt sich <strong>die</strong> Zunahme erklären?a) Die Geparde nutzten ihre Muskeln häufiger. Dadurch wurden sieschneller und vererbten <strong>die</strong>s an <strong>die</strong> Nachkommen.b) Die Geparde sind schneller geworden, weil es <strong>für</strong> das Jagen vonausreichend Beutetieren notwendig war.c) Einige Geparde waren schneller und haben mehr Beute gefangen.Dadurch haben sie sich besser vermehrt als andere.d) Die Geparde haben erkannt, dass sie schneller laufen mussten,um ihre Beute fangen zu können.Erklärung: Antwort c) ist richtig. Die zufällig gut angepassten Individuen einerPopulation vermehren sich erfolgreicher, ihre Nachkommen ebenfalls, sodassin der Population über Generationen eine Merkmalsverschiebung stattfindet.Antwort a) geht hingegen von der „lamarckistischen Vorstellung“ aus, nachder erworbene Merkmale vererbt werden können. Erworbene Merkmale, zumBeispiel durch Lernen, haben jedoch keine genetische Grundlage.Antwort b) diagnostiziert <strong>die</strong> bei Schülerinnen und Schülern am häufigstenbeobachtete Fehlvorstellung, <strong>die</strong> „finale Vorstellung“. Die Anpassung findetdemnach zielgerichtet statt und ist abgeschlossen, sobald der Zielzustand (hier:ausreichend Beute wird gefangen) erreicht ist.Hinter Antwort d) steckt schließlich eine „anthropomorphe Vorstellung“, <strong>die</strong>typisch <strong>für</strong> junge Schülerinnen und Schüler ist. Diese gehen davon aus, dasssich <strong>die</strong> Geparde über ihre Situation bewusst sind und erkennen, dass sie sichanpassen müssen.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 91


Erfahrungsberichtgnose und Förderung und reflektieren ausgewählteInstrumente <strong>für</strong> den Einsatz imSchulunterricht. Anschließend lernen siein Gruppen, zwei der Instrumente selbstständigzu erstellen: neben MC-Aufgabenauch Selbsteinschätzungsbögen (siehevorheriger Text). Die Ergebnisse <strong>die</strong>ser Ar-„Verstehen, wie Schülerinnen und Schüler denken“Die Chemiestudentin Ann-Kathrin Schlüter über das Erstellen vonMultiple-Choice-Aufgaben und <strong>die</strong> Beschäftigung mit Schülerfehlvorstellungen.„Besonders schwer ist es, <strong>die</strong> falschen Antwortalternativen zu formulieren.Die sollen ja zumindest plausibel klingen, damit <strong>die</strong> Schülerinnenund Schüler beim Bearbeiten der Aufgaben später nicht zu leichtauf <strong>die</strong> richtige Antwort kommen. Generell finde ich es gut, dass wiruns im Seminar so intensiv mit Fehlvorstellungen beschäftigen. AlsLehrer haben wir ja später schon einen großen Wissensvorsprung vorden Schülerinnen und Schülern. Da passiert es, glaube ich, schnell,dass man vergisst, wie schwer manche Dinge <strong>für</strong> sie zu verstehensind, <strong>die</strong> uns selbst völlig klar erscheinen. Im Seminar lernen wir deshalb,so ein wenig in <strong>die</strong> Köpfe der Schülerinnen und Schüler reinzuschauen.Zu verstehen, wie sie denken. Das finde ich superwichtig <strong>für</strong>unseren Beruf.“beitsphase werden eingesammelt, korrigiertund den Stu<strong>die</strong>renden erneut ausgehändigt.So verfügen sie hinterher bereitsüber einen Grundstock an Diagnosematerialien,<strong>die</strong> sie in ihrer späteren Berufspraxisnutzen können. Den Abschluss des Seminarsbildet ein Überblick über <strong>die</strong> wichtigstenForschungsergebnisse zur individuellenFörderung. Hier werden sowohl <strong>die</strong>Chancen als auch mögliche Probleme undGrenzen von DiF im Schulunterricht thematisiert.Zudem lernen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden wieandere Länder mit dem Thema Heterogenitätim Klassenzimmer umgehen.Seit dort<strong>MINT</strong> im Herbst 2009 gestartet ist,wurde das Seminar wiederholt durchgeführt.Die Evaluation ergab, dass <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendensich nach den vier Sitzungen signifikantkompetenter hinsichtlich DiF einschätzenals vorher.Darüber hinaus war das Fach Chemie auchmit Forschungsvorhaben auf der Schulebeneaktiv: In einem Dissertationsprojekt, dasderzeit noch nicht abgeschlossen ist, stehtetwa <strong>die</strong> Frage im Mittelpunkt, wie eine diagnosegestützteFördereinheit realisiertwerden kann. Dabei richtet sich der Blickinsbesondere auf <strong>die</strong> Evaluation der Wirksamkeit.Eine zweite noch laufende Dissertationerforscht <strong>die</strong> Effektivität des Einsatzesvon Selbsteinschätzungsbögen als Instrumentder individuellen Förderung imChemieunterricht der Sekundarstufe I.92 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseLerninhalte und Fehlvorstellungen identifizierenin der InformatikFrüher als in den anderen beteiligten Fächernsetzte im Teilprojekt DiF erlernen<strong>die</strong> Arbeit der Informatik an. Der Grund da<strong>für</strong>ist, dass Diagnose und individuelle Förderungin der jüngsten der <strong>MINT</strong>-Disziplinenbislang kaum erforscht wurden. Mehrnoch, <strong>für</strong> den Unterricht in der SekundarstufeI existiert bislang nicht einmal ein bundesweiteinheitlicher Lehrplan mit verbindlichenLehrinhalten. Ziel der DortmunderInformatik-Didaktik unter der Leitung vonProfessor Jan Vahrenhold war es deshalb,zunächst einen <strong>für</strong> <strong>die</strong> unterrichtliche Praxisrelevanten Kanon von Themenbereichen<strong>für</strong> <strong>die</strong> Sekundarstufe I zu identifizieren. Dazuführten <strong>die</strong> Forscher eine Interviewstu<strong>die</strong>mit Lehrkräften an nordrhein-westfälischenSchulen durch, <strong>die</strong> jedoch ein ernüchterndungleiches Bild erbrachte. Vom geplantenzweiten Schritt – mit den Stu<strong>die</strong>renden prototypischeDiagnoseinstrumente zu in derBreite relevanten Themen zu entwickeln –musste man deshalb früh Abstand nehmen.Stattdessen wurde in der Folge versucht,<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden in fachdidaktischen Lehrveranstaltungendurch berufsbiografischeBefragungen und den Einsatz eines Delphi-Verfahrens besser <strong>für</strong> Aspekte der Beurteilungvon Unterrichtsinhalten der SekundarstufeI zu sensibilisieren.In einem parallelen Teilprojekt der Informatikkonzentrierte sich <strong>die</strong> Arbeit auf <strong>die</strong> Informatik-Unterrichtsinhaltein der SekundarstufeII, über <strong>die</strong> aufgrund von Vorgabender Kultusministerkonferenz Konsensbesteht, und <strong>die</strong> den Lehrinhalten in derStu<strong>die</strong>neingangsphase des Faches sehrähneln. Das Vorhaben bestand hier darin,erstmals überhaupt Fehlvorstellungen, <strong>die</strong>Schüler bzw. Stu<strong>die</strong>nanfänger zu bestimmten<strong>Konzepte</strong>n und Themen haben können,zu ergründen. Dazu analysierten <strong>die</strong>Forscher von Hand rund 1.400 Klausurenaus dem ersten Stu<strong>die</strong>njahr, erstellten aufGrundlage ihrer Erkenntnisse ein Set vonDiagnoseaufgaben und erprobten <strong>die</strong>seanschließend mehrfach in einer Erstsemestervorlesung.Die Ergebnisse, das heißt: <strong>die</strong>diagnostizierten Fehlvorstellungen, flossennoch während der Projektlaufzeit in eineMaster-Vorlesung zur Didaktik der Informatikein. Ein Bachelor-Seminar zu Diagnoseund individueller Förderung in der Informatikist zum Wintersemester 2013/14 angelaufen.DiF-Prozesse reflektieren in der Mathematik/RehabilitationswissenschaftWährend der Fokus <strong>für</strong> <strong>die</strong> angehendenLehrkräfte in der Biologie und der Chemiedarauf lag, selbstständig exemplarischeDiagnoseinstrumente zu entwickeln undden Umgang mit <strong>die</strong>sen zu erlernen, gingen<strong>die</strong> Fächer Mathematik und Rehabilitationswissenschaftennoch einenSchritt weiter: In ihrem gemeinsamen Projekt,geleitet von den Professoren MarcusDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 93


ErfahrungsberichtNührenbörger und Franz B. Wember, solltenStu<strong>die</strong>rende <strong>für</strong> das Lehramt an Grundschulensowie <strong>für</strong> sonderpädagogischeFörderung nicht nur diagnostisches Wissenerwerben und diagnostisches Handelnim Unterrichtsfach Mathematik erfahren. ImMittelpunkt des Interesses standen darüberhinaus <strong>die</strong> Reflexion von diagnostischenErhebungen und <strong>die</strong> Entwicklung von Fördervorschlägenauf der Grundlage von diagnostischenDaten – zwei <strong>für</strong> <strong>die</strong> Praxisdes inklusiven Unterrichts höchst wichtigeKompetenzen, da diagnostische Situationenhäufig durch Mehrdeutigkeit gekennzeichnetsind und nur mit viel analytischerKommentare der Stu<strong>die</strong>renden aus den Lehrveranstaltungsevaluationender Mathematik „Praxisbezug und Diagnostik sind sinnvoll, man lernt bei der Durchführungviel über sich selbst. Das Interview war eine gute Erfahrung.“ „Ich habe einige erste Erfahrungen gewonnen, <strong>die</strong> aber noch ausbaufähigsind. Beim Anschauen meines Interviews ist mir aufgefallen,was ich eventuell besser oder anders hätte machen sollen. Ichhätte im Nachhinein manchmal mehr oder anders nachgefragt, inder Situation selbst ist mir das aber noch nicht aufgefallen.“ „Ich fühle mich viel sicherer als vor dem Seminar. Müsste ich jetztin der Schule Kinder im Klassenverband diagnostizieren, käme ichsicher besser klar als vor dem Seminar.“Erfahrung <strong>die</strong> richtigen Schlüsse aus ihnengezogen werden können.Um den Stu<strong>die</strong>renden <strong>die</strong>se Erfahrungfrühzeitig zu ermöglichen, wurde unter anderemein neues fachdidaktisches Seminar„Diagnose“ konzipiert und erprobt. Darinbeschäftigen sie sich insbesondere mit derdiagnostischen Methode des klinischen Interviews,um mathematische Lernständezu erheben und Lernschwierigkeiten zuidentifizieren. Für eine möglichst praxisnaheAuseinandersetzung führten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenklinische Interviews zu den ThemenZahlbegriff und Stellenwertverständnis mitSchülerinnen und Schülern an Grund- undFörderschulen und videografierten <strong>die</strong>se.Im Seminar wurden <strong>die</strong> Aufnahmen sowie<strong>die</strong> eigene Rolle als Interviewerin bzw. Intervieweranschließend gemeinsam reflektiert.Schwerpunkte waren dabei das mathematischeDenken der Kinder, derenLernschwierigkeiten und daraus abgeleiteteFördermöglichkeiten.Die quantitative Evaluation des Seminarsauf der Basis von Stu<strong>die</strong>rendenbefragungenführte fast durchweg zu positiven Ergebnissen.Darüber hinaus wird im Rahmeneines Dissertationsprojekts derzeit auchqualitativ erhoben, wie sich <strong>die</strong> diagnostischenDeutungskompetenzen der Stu<strong>die</strong>rendenim Verlauf des Seminars entwickeln.Die Ergebnisse fließen direkt in <strong>die</strong> Weiterentwicklungder Lehrveranstaltung ein.94 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseWenn der Genitiv zurHürde wird.Sprachsensible Diagnose und Förderung in Mathematik.Dass Kinder und Jugendliche, <strong>für</strong> <strong>die</strong> Deutsch nur <strong>die</strong> Zweitsprache ist, in der Schuleauch in den <strong>MINT</strong>-Fächern größere Schwierigkeiten haben, Verständnis aufzubauen,wissen viele Lehrkräfte nicht. Im Projekt dort<strong>MINT</strong> lernen Lehramtsstu<strong>die</strong>rende deshalbfrüh, mit den speziellen Herausforderungen von sprachlich benachteiligten Schülerinnenund Schülern umzugehen.Auf den ersten Blick könnte man meinen,Yasin und Cem 1 hätten etwas ausgefressenund müssten nun da<strong>für</strong> büßen. Ganz alleinsitzen <strong>die</strong> beiden Hauptschüler, 14 und 15Jahre alt, an <strong>die</strong>sem Vormittag im Klassenzimmer,tief gebeugt über ein Aufgabenblatt,während ihre Freunde draußen aufdem Pausenhof toben und Fußball spielen.In der Textaufgabe, <strong>die</strong> sie lösen sollen, gehtes um einen Zeitungsjungen, der sowohlWerbeprospekte als auch das Wochenblattausträgt und da<strong>für</strong> mit unterschiedlichenCent-Beträgen pro Stück entlohnt wird. Wiekann der Zeitungsjunge nun seine wöchentlichenEinnahmen berechnen, wenn er insgesamt83 Briefkästen beliefert, lautet <strong>die</strong>Frage. Die Schüler überlegen angestrengt.Nach zwei Minuten beginnt Cem – grünschwarzerRingelpulli, den Wuschelkopf mitviel Gel in Form gebracht, wacher Blick –,sich Notizen zu machen, nimmt auch denTaschenrechner zur Hand, der zwischenihnen auf dem Tisch liegt. Yasin hingegenwirkt ratlos, liest wieder und wieder <strong>die</strong>Aufgabenstellung und bewegt dazu still<strong>die</strong> Lippen. „Verstehst du, was du machensollst?“ fragt schließlich eine Frauenstimmeaus dem Off, und der Junge schüttelt, unsicherlächelnd, den Kopf. „Cem, vielleichtkannst du ihm erklären, worum es geht.“Die Stimme gehört der Studentin Lena Irlenborn,26, <strong>die</strong> gemeinsam mit ihrer KommilitoninClaudia Hollekamp am Pult vorden beiden Schülern sitzt und genau beobachtet,wie <strong>die</strong>se sich verhalten. Damitsie auch ja nichts versäumen, haben Irlenbornund Hollekamp neben sich eine kleineVideokamera aufgebaut, mit der sie <strong>die</strong>Szenerie aufzeichnen. Und spätestens jetztwird klar: Cem und Yasin müssen gar nichtnachsitzen. Sie sind vielmehr <strong>die</strong> Protagonistenin einem wissenschaftlichen Experiment,das <strong>die</strong> Studentinnen heute an derSchule der Neuntklässler durchführen. Beidestu<strong>die</strong>ren an der Technischen UniversitätDortmund <strong>die</strong> Fächer Mathematik undDeutsch auf Lehramt. Beide besuchenin <strong>die</strong>sem Semester ein Seminar, in demsie lernen, <strong>die</strong> individuellen sprachlichen1 Namen geändertDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 95


Voraussetzungen von Kindern aus Migrantenfamilienzu erfassen, um <strong>die</strong>se anschließendzielgerichtet fördern zu können.Auch in Mathe spielt Sprache eine Rolle„20 Prozent aller Schülerinnen und Schülersprechen in ihren Familien eine andereSprache als Deutsch – Tendenz steigend“,sagt Professorin Susanne Prediger.Dass <strong>die</strong>s nicht allein zu Lernschwierigkeitenim Deutschunterricht, sondern auch inallen anderen Fächern führen könne, wüsstenaber viele Lehrkräfte gar nicht. Die Mathematik-Didaktikerinhat das Seminar imRahmen von dort<strong>MINT</strong> gemeinsam mit ihrenMitarbeiterinnen Lena Wessel und NadineKrägeloh sowie ihren Kollegen ErkanGürsoy und Kristine Tschierschky aus demBereich Deutsch als Zweitsprache der Germanistikkonzipiert. „Gerade in der Mathematikdenkt man ja spontan, dass Sprachegar keine Rolle spielt, weil Zahlen universellverständlich sind“, sagt Prediger. Ihre Stu<strong>die</strong>nzeigen jedoch, dass es den sprachlichweniger versierten Schülern auch dortschwerer fällt, Verständnis <strong>für</strong> Zusammenhängezu entwickeln. So stellten laut Predigerschon Formulierungen wie „pro Kopf“und „x-beliebig“, <strong>die</strong> auch im Mathematikunterrichtan der Tagesordnung seien,oder normale Genitiv-Konstruktionen Jugendlicheaus sprachlich benachteiligtenElternhäusern vor Probleme. Das <strong>Lehrerausbildung</strong>sgesetzdes Landes Nordrhein-Westfalen fordert deshalb seit 2009, dassangehende Lehrkräfte sämtlicher Fächer inihrem Studium <strong>für</strong> <strong>die</strong> speziellen Herausforderungenvon Schülern mit nichtdeutscherMuttersprache sensibilisiert werden. Dochnicht nur <strong>die</strong>se stünden im Blickpunkt desDortmunder Kombi-Seminars, sagt Prediger:„Es geht genauso um Kinder von deutschenEltern, <strong>die</strong> sprachlich zu Hause nichtgenügend gefördert werden.“Beobachtet von vier Augen und der Kameralinse,erklärt Cem derweil Yasin im leerenKlassenzimmer <strong>die</strong> Aufgabenstellungnoch einmal in seinen eigenen Worten undbenutzt dabei auch anschauliche Beispiele,etwa <strong>für</strong> den Begriff „Werbeprospekte“(Cem: „Zum Beispiel vom Penny“) oder dasWort „Trägerlohn“ („Das Geld, was du ver<strong>die</strong>nst.“)Erst danach gelingt es Yasin, <strong>die</strong>relevanten Textinformationen aus der Aufgabezu identifizieren und in eine konkreteRechenoperation zu übersetzen. Der Term,den er am Ende den Studentinnen präsentiert,ist richtig. Doch schon in der nächstenÜbung treten seine Schwierigkeiten erneutzutage: Diesmal sollen <strong>die</strong> Schüler denumgekehrten Weg gehen und <strong>für</strong> den vorgegebenenTerm 12 · 10 + 50 eine Sachsituationerfinden. „Müssen wir das jetzt ausrechnen?“vergewissert sich Yasin, der ansonstenim Verlauf des Experiments kaumein Wort spricht, und Claudia Hollekamp erklärtihm, dass es auf <strong>die</strong> reine Rechnungin <strong>die</strong>sem Fall gar nicht ankomme. Cemhingegen tritt wesentlich aktiver auf als96 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseManche Schülerinnen und Schüler scheitern bei mathematischen Textaufgaben schon an scheinbar alltäglichen Formulierungen wie „x-beliebig“ oder „pro Kopf“.sein Klassenkamerad und formuliert immerwieder laut seine Gedankengänge. Zwarist er sich anfangs noch unsicher hinsichtlichder Rechenvorschrift „Punkt vor Strich“,doch nachdem <strong>die</strong> Studentinnen ihm hierein wenig Hilfestellung leisten, kommt errecht bald auf eine plausible Begebenheit.Yasin wiederum bleibt eine Lösung bis zumEnde schuldig. Ob er <strong>die</strong> Aufgabenstellungtatsächlich nicht verstanden hat oder einfachnur verunsichert ist und Angst hat, etwasFalsches zu sagen, bleibt offen.„Die Situation ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schüler natürlichungewohnt“, sagt Claudia Hollekamp, 22.„Schließlich sitzen da auf einmal zwei Fremdemit einer Videokamera vor ihnen. Nichtjeder traut sich dann aus der Deckung.“Und Lena Irlenborn ergänzt: „Einige habenuns sogar gefragt, ob wir den Film späterauf YouTube stellen würden. Also musstenwir erst mal Vertrauen schaffen und ihnenerklären, dass niemand das Material zu Gesichtbekommt, auch nicht ihre Lehrer.“Die Stu<strong>die</strong>renden beobachten sich imVideo auch selbstWie man ein klinisches Interview mit Jugendlichenführt, hatten <strong>die</strong> Studentinnenzuvor im Seminar gelernt: In Block 1 derBachelor-Veranstaltung (vier Semesterwochenstunden,sechs Leistungspunkte), <strong>die</strong>während der Projektlaufzeit von dort<strong>MINT</strong>mehrfach erprobt und nach jedem Durchgangweiterentwickelt wurde, erhalten <strong>die</strong>Teilnehmenden zunächst in vier Sitzungeneinen theoretischen Überblick überdas Thema Mehrsprachigkeit, entdeckenin Gruppen <strong>die</strong> spezifischen Merkmale vonAlltagssprache, Fachsprache und Bildungsspracheund analysieren mathematikdidaktischeAufgaben unter sprachlichen Gesichtspunkten.Block 2 ist anschließendder konkreten Vorbereitung auf das Designexperimentgewidmet; <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenlernen hier <strong>die</strong> technische Ausrüstung kennen,erarbeiten Diagnoseaufgaben undbegleitende Materialien und simulieren inRollenspielen Interviewsituationen mit ver-Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 97


Mathematik-Didaktikerin Susanne Prediger: „Auch Kindervon deutschen Eltern, <strong>die</strong> zu Hause sprachlich nicht gefördertwerden, haben Schwierigkeiten.“schiedenen Schülertypen: dem dominanten,dem stillen, dem überforderten etc.„Das war interessant, obwohl <strong>die</strong> echtenInterviews dann doch noch mal ganz andersabgelaufen sind“, sagt Lena Irlenborn.Die Durchführung des Experiments an verschiedenenDortmunder Haupt-, Real- undGesamtschulen bildet danach den Höhepunktdes Seminars.Sich zunächst intensiv mit einzelnen Schülernzu beschäftigen, um zu verstehen, wie<strong>die</strong>se denken, bevor man in eine kompletteKlasse geht, ist laut der Mathematik-Didaktikerin Susanne Prediger unverzichtbar<strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklung der Lehramtsstu<strong>die</strong>renden.„Bei 30 Kindern auf einmal lernensie das später im Praktikum nicht mehr.Deshalb schaffen wir mit dem Designexperimenteinen Versuchsraum, wo sieeinmal genau hinschauen können: Was haben<strong>die</strong> Lernenden schon verstanden? Wasnoch nicht? Welche sprachlichen Mittel stehenihnen zur Verfügung, und welche fehlenihnen noch, um ihre Ideen auszu drücken?“Ein wichtiges Mittel zur Entschleunigungstellt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden dabei <strong>die</strong> Methodedes Videografierens dar. „Ganz ehrlich,während des Interviews ist mir beiden Schülern kaum etwas aufgefallen. Ichwar viel zu sehr mit meiner eigenen Rolleals Fragestellerin beschäftigt“, erinnertsich Lena Irlenborn. Erst in der Analyse,beim wiederholten Ansehen der Aufzeichnungund der Verschriftlichung der Dialoge,hätten sie und ihre Mitstudentin nachvollziehenkönnen, was genau in der Situationpassiert sei. „Dabei beobachten <strong>die</strong>Stu<strong>die</strong>renden sich auch einmal selbst vonaußen und merken, wie schwierig es ist,Fragen zu stellen, <strong>die</strong> nicht nur rhetorischsind, sondern tatsächlich den Denkprozessder Lernenden anregen“, erklärt Prediger.In Block 3 des Seminars präsentieren <strong>die</strong>verschiedenen Interviewerteams ihren Mitstu<strong>die</strong>rendenanschließend exemplarischeAusschnitte, besprechen <strong>die</strong>se und entwickelndazu konkrete Forschungsfragen<strong>für</strong> ihre schriftliche Ausarbeitung.Der letzte Teil der Veranstaltung, <strong>die</strong> stets gemeinsamvon je einer Dozentin aus der Mathematikund der Germanistik geleitet wird,steht schließlich im Zeichen der individuellenFörderung. Auf Basis der Interviews überlegensich <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden Materialien, mitdenen sie <strong>die</strong> Schüler in ihrem fachlichenund sprachlichen Lernprozess unterstützenkönnen; im Fall von Lena Irlenborn und ClaudiaHollekamp waren <strong>die</strong>s zum Beispiel Karteikarten,auf denen sie <strong>die</strong> einzelnen Zahlwerteaus der Textaufgabe notierten, umden Schülern <strong>die</strong> Strukturierung zu erleich-98 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsetern. Zwar blieb in den bisherigen Durchläufendes Seminars nicht genügend Zeit, um<strong>die</strong>se Materialien hinterher auch noch einmalin den Schulen zu erproben. Dies wirdsich allerdings bald ändern: Ab 2014 sollenin Dortmund und ganz Nordrhein-Westfalen<strong>die</strong> schulpraktischen Anteile des Lehramtsstudiumsstark erhöht werden. Ein erweitertesSeminar zur sprachsensiblen Diagnoseund Förderung könnte dann in das geplantePraxissemester eingehen.Gut erklären können allein reicht nichtFür Yasin und Cem ist <strong>die</strong> ungewohnte Interviewsituationbeendet. Entsprechenderleichtert springen <strong>die</strong> beiden Jungs auf,um sich ihren Freunden auf dem Pausenhofbeim Fußballspielen anzuschließen.Auch <strong>die</strong> Studentinnen sind zufrieden mitdem Verlauf des Experiments – und nehmeneine ganze Menge daraus mit. In ihrereigenen Schullaufbahn hatte Claudia Hollekamp,<strong>die</strong> auf dem Land aufgewachsenist, so gut wie keine Mitschüler mit Migrationshintergrund.„Umso interessanter wares <strong>für</strong> mich, zu sehen, welche besonderenProbleme <strong>die</strong>se Kinder im Fachunterrichthaben, und wie man sie fördern kann.“ Inihrer Bachelor-Arbeit will sich Hollekampdem Thema nun ausführlicher widmen.„Wir beobachten, dass sich bei den Stu<strong>die</strong>rendenim Verlauf der Veranstaltung massiv<strong>die</strong> Haltung ändert“, sagt letztlich SusannePrediger, <strong>die</strong> das Seminar entworfenhat. Laut der Professorin begründen<strong>die</strong> meisten angehenden Lehrkräfte ihreBerufswahl mit der Tatsache, dass sie „guterklären können“. „Hier merken sie dannzum ersten Mal, dass es damit allein nichtgetan ist.“ Eine Erklärung funktionierenämlich nur dann, wenn sie am Denken derLernenden ansetze und <strong>die</strong>ses durch individuelleImpulse in Gang bringe. „Das kannman den Stu<strong>die</strong>renden zwar auch theoretischvermitteln. Aber so richtig glauben siees uns immer erst, wenn sie es selbst erlebthaben.“Sprachsensible Diagnoseund FörderungDer Mehrwert <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende Für rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler ist Deutsch nur<strong>die</strong> Zweitsprache, selbst wenn sie hier geboren sind. Ihren Alltagbestreiten sie problemlos, in der Schule jedoch behindert ihre mangelndeAusdrucksfähigkeit sie in Lernprozessen. Im Seminar erfahren angehende Lehrkräfte typische Herausforderungenvon sprachlich benachteiligten Jugendlichen und lernen,<strong>die</strong>se in einer Interviewsituation zu diagnostizieren. Anschließendentwickeln sie passgenaue Fördermaterialien. Die Evaluation der Veranstaltung ergab, dass <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenhinterher deutlich kompetenter im Umgang mit sprachsensibler Diagnostikund Förderung sind und sich <strong>die</strong> Anwendung der Methodenin ihrem Unterricht auch zutrauen.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 99


„Gut übertragbar aufandere Universitäten.“Wie <strong>die</strong> Patinnen das Projekt dort<strong>MINT</strong> bewerten.O-TonProfessorin Cornelia Gräsel (Universität Wuppertal) und Professorin Ilka Parchmann(IPN Kiel) kam <strong>die</strong> Aufgabe zu, den Verantwortlichen im Projekt dort<strong>MINT</strong> kritisch über<strong>die</strong> Schulter zu schauen. Nach Ablauf der Förderphase bescheinigen sie der Universität,auf das richtige Thema gesetzt und wichtige Fragen dazu beantwortet zu haben.Die Patinnen über Relevanz und Perspektivendes Projektes <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung inDeutschland:Cornelia Gräsel: Mit der individuellenFörderung hat dort<strong>MINT</strong> ein unglaublichwichtiges Thema der Lehrerbildung– und der Schule! – ins Zentrum gerückt,über das derzeit alle Akteure desBildungswesens sprechen. Allerdingsbesteht bislang nur wenig Wissen darüber,wie individuelle Förderung im konkretenUnterrichtszusammenhang aussehensoll. Mit welchen Verfahren könnenwir das fachspezifische Vorwissender Schülerinnen und Schüler diagnostizieren?Wie können wir auf der Basis derDiagnostik geeignete Fördermöglichkeitenentwickeln?Ilka Parchmann: Genau <strong>die</strong>se Fragenhat dort<strong>MINT</strong> <strong>für</strong> Mathematik, <strong>die</strong> NaturundIngenieurwissenschaften beantwortetund konkrete Instrumente und Methodengeschaffen, <strong>die</strong> in verschiedenenLernangeboten und Strukturen umsetzbarsind. Aus <strong>die</strong>sem Grund halte ich dasProjekt auch <strong>für</strong> gut übertragbar auf andereUniversitäten, <strong>die</strong> das Thema Diagnoseund Förderung stärker und systematischerin ihre <strong>Lehrerausbildung</strong> einbindenmöchten.Über das, was im Projekt besonders gut gelungenist:Cornelia Gräsel: An konkreten Instrumentenkönnte man viele anführen. Alsbesonders wichtig erachte ich angesichtsder aktuellen bildungspolitischenDiskussion zum Beispiel das TeilprojektDiF erlernen in der Mathematik, wo Stu<strong>die</strong>rendemithilfe klinischer Interviewslernen, Förderschüler zu diagnostizieren.Ilka Parchmann: Aus meiner Sicht zeichnetsich dort<strong>MINT</strong> aber weniger durcheinzelne Instrumente als vielmehr durchseine Gesamtanlage aus. Die Strukturierungund Vernetzung der verschiedenenElemente hat mich überzeugt undist meines Erachtens eine entscheidendeVoraussetzung, um an einer Hochschuleein solch innovatives Vorhabenumsetzen zu können. Inhaltlich positivhervorheben möchte ich, wie das Projekt<strong>die</strong> Perspektive der Stu<strong>die</strong>renden in100 TU DortmundDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseden Mittelpunkt rückt: Zunächst erfahrensie <strong>die</strong> verschiedenen Diagnose-, Feedback-und Förderverfahren als Lernende,danach entwickeln sie <strong>die</strong> Verfahrenin der Rolle der Lehrenden selbst und erprobensie schließlich in der Schulpraxis.Insbesondere <strong>die</strong> eigene Erfahrung istsicher entscheidend da<strong>für</strong>, dass <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden<strong>die</strong> Instrumente als Lehrkräftespäter auch nutzen. Von daher muss siesensibel begleitet werden.Über <strong>die</strong> Lehren aus dem Projekt:Cornelia Gräsel: DiF erleben, DiF erlernenund DiF erproben sind natürlichnur formal drei unterschiedliche Schritte.Auch <strong>die</strong> Projektleiter wissen, wiesehr <strong>die</strong> drei miteinander vernetzt sind.Ich denke aber, dass <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendennicht immer klar erleben, an welcherStelle des DiF-Lernprozesses sie stehen,und wie <strong>die</strong> drei Teilschritte aufeinanderaufbauen. Hier wären meines Erachtensnoch mehr explizites Kommunizierenüber <strong>die</strong> Ziele von DiF mit den Stu<strong>die</strong>rendenund mehr Kohärenz in den Stu<strong>die</strong>nangebotenwünschenswert.Ilka Parchmann: Zu begrüßen wäre esauch, wenn sich künftig noch mehr Kollegenaus anderen Bereichen als denFachdidaktiken in dort<strong>MINT</strong> einbrächten.Eine Herausforderung stellt darüberhinaus noch <strong>die</strong> Übertragbarkeit derErgebnisse auf Fächer dar, <strong>die</strong> bislangnicht beteiligt waren. Hochschulen, <strong>die</strong>ein ähnliches Projekt angehen wollen,sollten solch ein Transferkonzept in jedemFall von Beginn an mitdenken undnach Möglichkeit Fachkollegen in <strong>die</strong>Umsetzung einbeziehen, um auch dortAkzeptanz und Offenheit <strong>für</strong> Fragen angemessenerDiagnose-, Feedback- undFörderverfahren herzustellen.Über <strong>die</strong> Zusammenarbeit im Projekt:Cornelia Gräsel: Am erstaunlichsten andort<strong>MINT</strong> finde ich, wie gut der interdisziplinäreAustausch funktioniert. Sowohlin den Forschungsarbeiten als auch inden Diskussionen vor Ort zeigt sich immerwieder, wie eng <strong>die</strong> beteiligten Fächermiteinander vernetzt sind und wievielfältig sie sich austauschen. Dieses interdisziplinäreRingen um <strong>die</strong> Verbesserungeines konkreten Aspekts der <strong>Lehrerausbildung</strong>– Diagnostik und individuelleFörderung – sowie <strong>die</strong> vielfältigenVersuche, Forschungsergebnisse undpraktische Erfahrungen auszutauschen,sind in meinen Augen ein sehr ermutigendesZeichen.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU Dortmund 101


Technische UniversitätMünchen.Mit der Gründung der TUM School of Education, der deutschlandweitersten eigenständigen Fakultät <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung, schuf <strong>die</strong> TechnischeUniversität München 2009 <strong>die</strong> strukturellen Voraussetzungen <strong>für</strong>ein modernes, durch fachdidaktische und Bildungsforschung ergänztesLehramtsstudium. Die Fördermittel der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> nutzte sie inden vergangenen vier Jahren vor allem, um an der Schnittstelle zwischenUniversität und Schule zu arbeiten.102 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseVerbindungen schaffen.Das Projekt TUM@School. School@TUM.Im von der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> geförderten ProjektTUM@School. School@TUM hatte sich<strong>die</strong> Technische Universität München (TU)vorgenommen, insbesondere <strong>die</strong> Schnittstellenzwischen Hochschule und Schule zubefruchten, ihr Schulnetzwerk auszubauenund <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong> in den <strong>MINT</strong>-Fächernzu verbessern. Die Umsetzung erfolgtein verschiedenen Teilprojekten.So entstand etwa am ForschungscampusGarching mit den TUM Science-Labs einaußerschulischer Lernort, an dem Schülereigenständig physikalische Experimentedurchführen können. Das Programmdes bereits bestehenden TUMlab im DeutschenMuseum wurde ausgebaut. Eine Öffnungder Schulen <strong>für</strong> <strong>die</strong> universitäre Forschungwar auch das Ziel im TeilprojektTUM Hall of Science and Technology. Inder neuen Einrichtung arbeiten heute Wissenschaftlerverschiedener Fakultäten daran,naturwissenschaftliche Forschungsergebnissedidaktisch auf Schulniveau zu reduzieren,sodass sie im Unterricht genutztwerden können. Ein weiteres Teilprojektwar das TUMKolleg, ein Begabtenförderprogramm,das an einem Partnergymnasiumeingerichtet wurde und <strong>MINT</strong>-affineSchüler mit separatem Lehrplan zum Abiturführt.Um künftig nur <strong>die</strong> geeignetsten Lehramtsbewerberzum Studium zuzulassen, hat <strong>die</strong>TUM School of Education im Rahmen desProjektes außerdem ihre Stu<strong>die</strong>rendenauswahlprofessionalisiert. So wurden zulassungsrelevanteAuswahlgespräche mitProfessoren und Lehrkräften aus der Praxiseingeführt, <strong>die</strong> inzwischen ein Großteil derBewerber durchläuft. Viele der beteiligtenLehrer haben früher selbst an der TUM stu<strong>die</strong>rt.Den Kontakt zu ihnen hält <strong>die</strong> Hochschuleüber ein neu geschaffenes Alumni-Netzwerk.Besonders engagierte Alumniwirken darüber hinaus auch zeitweise inLehrveranstaltungen in den <strong>MINT</strong>-Fächernmit.Kurz und knappProjektfokus: Förderung der Schnittstellen zwischen Schule und UniversitätFördersumme: 1,5 Millionen EuroProjektleitung: Prof. Dr. Kristina Reiss, Prof. Dr. Manfred Prenzelwww.telekom.edu.tum.deDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 103


Die Organisation der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungan der TU MünchenDie Technische Universität München war<strong>die</strong> erste Hochschule in Deutschland miteiner eigenständigen Fakultät nur <strong>für</strong> <strong>die</strong>Lehrerbildung. Gegründet im Herbst 2009,also ungefähr mit Beginn des von der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>geförderten Projektes, hat<strong>die</strong> TUM School of Education <strong>die</strong> Aufgabe,das Lehramtsstudium auszugestalten undmit den anderen Fakultäten zu koordinierensowie fachdidaktische und bildungswissenschaftlicheForschung zu betreiben.Sie vereint heute insgesamt 18 lehramtsrelevanteLehrstühle und Fachgebiete unterihrem Dach. Ihre Steuerungsmechanismenreichen jedoch bis weit in <strong>die</strong> anderenFakultäten, wo sie strukturellen Einfluss auf<strong>die</strong> fachwissenschaftliche Ausbildung derLehramtsstu<strong>die</strong>renden nimmt. Den Stu<strong>die</strong>renden<strong>die</strong>nt sie zudem als InformationsundDienstleistungszentrale.Die TUM School of Education bildet Lehrkräfteausschließlich <strong>für</strong> Gymnasien und <strong>für</strong>berufliche Schulen aus. Der Ausrichtungder Universität entsprechend, konzentriertsie sich dabei auf <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Fächer Biologie,Chemie, Informatik, Mathematik und Physiksowie – <strong>für</strong> das Berufsschullehramt –auf <strong>die</strong> Bereiche Gesundheit und Pflegesowie Ernährungswissenschaft und Hauswirtschaft.Zusätzlich wird das Fach Sportangeboten. Das Studium beginnt nachder Umstellung auf <strong>die</strong> neue Stu<strong>die</strong>nstrukturzum Wintersemester 2007/08 mit demsechssemestrigen Bachelor-Stu<strong>die</strong>ngangNaturwissenschaftliche Bildung bzw. BeruflicheBildung und findet seine Fortsetzungin einem viersemestrigen Master-Programm.Für das Gymnasium müssen zweiUnterrichtsfächer, <strong>für</strong> das Berufsschullehramteine berufliche Fachrichtung (Agrarwirtschaft,Bautechnik, Elektro- und Informationstechnik,Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaft,Gesundheits- undPflegewissenschaft oder Metalltechnik)und ein Unterrichtsfach miteinander kombiniertwerden. Hinzu kommen pädagogische,sozialwissenschaftliche und fachdidaktischeStu<strong>die</strong>ninhalte. Zum Zeitpunktdes Projektantrags waren an der TUM rund1.480 Lehramtsanwärter eingeschrieben.Um <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden möglichst berufsfeldbezogenauf ihre spätere Tätigkeit vorbereitenzu können, unterhält und pflegt <strong>die</strong>TUM School of Education eine Vielzahl anSchulkooperationen. Vertraglich abgesichertist etwa <strong>die</strong> enge Zusammenarbeitmit rund 50 sogenannten Referenzgymnasien,<strong>die</strong> in ihrer Unterrichtsarbeit undSchulentwicklung eine besondere Reputationaufweisen. Dort absolvieren <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenbevorzugt ihre betreuten Praktika,wobei eine enge Bindung über <strong>die</strong> gesamteStu<strong>die</strong>ndauer angestrebt wird. DieReferenzgymnasien profitieren im Gegenzugunter anderem von Lehrerfortbildungen,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Fakultät regelmäßig anbietet.104 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulse„Kräftig durchgeschüttelt.“Die Schnittstellen zwischen Schule und Universität stärken.Schule und Universität sind aufeinander angewiesen, sagen Professorin KristinaReiss und Professor Manfred Prenzel, <strong>die</strong> das Projekt TUM@School. School@TUMge meinsam leiten. Im Interview erklären <strong>die</strong> beiden Bildungsforscher, wie <strong>die</strong> Institutionenertragreich zusammenarbeiten können und davon auch <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>profitiert.InterviewFrau Professorin Reiss, Herr ProfessorPrenzel, als <strong>die</strong> <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> im Frühjahr2009 den Hochschulwettbewerb ausschrieb,war <strong>die</strong> Technische UniversitätMünchen ohnehin im Begriff, neue Wegein der Lehrerbildung zu gehen.Manfred Prenzel: Das stimmt. Wir habenetwa zeitgleich <strong>die</strong> TUM School ofEducation gegründet, also eine eigenständigeFakultät nur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung.Das gab es damals in Deutschlandnoch nicht, wir waren <strong>die</strong> erste Universität,<strong>die</strong> <strong>die</strong>sen strategischen Schritt getanhat. Dahinter steckte der gemeinsameWille aller Beteiligten, <strong>die</strong> Lehrerbildungzu einer der tragenden Säulen derTU München auszubauen.Was sind konkret <strong>die</strong> Vorteile einer solchenSchool of Education gegenüber den Strukturenan anderen Universitäten?Kristina Reiss: Anderenorts ist <strong>die</strong> Lehrerbildunghäufig über alle Fakultätenverstreut. Die Fachdidaktiken sind beiden jeweiligen Fachinstituten angesiedelt,das heißt, <strong>die</strong> Mathematik-Didaktikersitzen bei den Mathematikern, <strong>die</strong>Biologie-Didaktiker bei den Biologen,<strong>die</strong> Geschichts-Didaktiker bei den Historikernund so weiter. Hinzu kommennoch <strong>die</strong> Erziehungswissenschaften, <strong>die</strong>als Teil des Lehramtsstudiums ebenfallsseparat untergebracht sind. Und koordiniertwird das Ganze meist von sogenanntenZentren <strong>für</strong> Lehrerbildung, <strong>die</strong>allerdings in der Regel kaum Handlungsspielraumhaben, weil <strong>die</strong> Hoheit über<strong>die</strong> Gelder nicht bei ihnen, sondern beiden Fakultäten liegt. Das ist hier anders:Als TUM School of Education verwaltenwir sämtliche Ressourcen, <strong>die</strong> mit derLehrerbildung zu tun haben, nun selbst.Wir haben <strong>die</strong> gleichen Befugnisse wie<strong>die</strong> übrigen Fakultäten, sitzen in denselbenuniversitären Gremien und verhandelndort auf Augenhöhe. Das klingt vielleichttrivial, ist aber <strong>für</strong> <strong>die</strong> praktischenProzesse außerordentlich bedeutsam.Manfred Prenzel: Gleichzeitig fungiert<strong>die</strong> School of Education innerhalb derUniversität nun als Heimat <strong>für</strong> alle Akteure,<strong>die</strong> mit der Lehrerbildung befasstsind. Sowohl <strong>die</strong> Fachdidaktiker als auchDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 105


<strong>die</strong> Pädagogen und Bildungswissenschaftlersind nun am selben Ort vereint,was <strong>für</strong> Lehre und Forschung große Vorteilehat. Dabei hatten wir das Glück, direktzu Beginn fünf neue <strong>Stiftung</strong>slehrstühleeinrichten und besetzen zu können.Das war auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Wahrnehmungvon außen ganz wichtig; <strong>die</strong> anderen Fakultätenhaben gesehen, dass man heuteauch mit einem Thema wie der LehrerbildungDrittmittel einwerben kann. Unddann sind wir gleich noch als einer derSieger aus dem Wettbewerb der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>hervorgegangen – besserkann man eigentlich nicht starten.In Ihrem von der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> gefördertenProjekt TUM@School. School@TUMwollten Sie insbesondere <strong>die</strong> Schnittstellenzwischen Schule und Universität stärken.Was bedeutet das genau?Kristina Reiss: Jede Universität strebt jadanach, möglichst gute Stu<strong>die</strong>rende <strong>für</strong>sich zu gewinnen, nicht zuletzt, um ausihnen später auch ihren wissenschaftlichenNachwuchs zu rekrutieren. Dasbedeutet, Universitäten sind in gewisserWeise abhängig von der Qualität derSchulen. Deshalb ist es gut und wichtig,wenn sie in Kontakt zu ihnen stehen unddort auch Impulse einbringen, so wie wirdas im Projekt zum Beispiel mit unserenSchülerlaboren gemacht haben. Einesunserer Ziele war also ganz klar, unserohnehin schon dichtes Schulnetzwerkweiter auszubauen und aktiv zu nutzen,um Schülerinnen und Schüler frühzeitig<strong>für</strong> ein <strong>MINT</strong>-Studium an der TU Münchenzu interessieren und zu motivieren.Gleichzeitig wollten wir im Projekt abernatürlich auch unsere <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>verbessern. Denn nur, wenn wirkünftig gute und engagierte Lehrkräftein <strong>die</strong> Schulen schicken, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Jugendlichen<strong>für</strong> ihre Fächer begeistern können,bekommen wir letztlich auch gutenStu<strong>die</strong>renden-Nachwuchs. Das ist ja einständiger Kreislauf.Wie offen sind <strong>die</strong> Schulen <strong>für</strong> Kooperationenmit Universitäten?Manfred Prenzel: Viel offener jedenfallsals noch vor zehn oder fünfzehn Jahren.Damals hat Schule auf mich häufig einenetwas festgefahrenen Eindruck gemacht.Es gab nur ganz vereinzelt Lehrkräfte,<strong>die</strong> sich mit Fragen der Unterrichtsentwicklungbeschäftigten. DassUniversitäten hilfreiche Partner sein können,um Schule qualitativ voranzubringen,wurde überhaupt nicht wahrgenommen.Aber das hat sich inzwischen geändert:Heute herrscht an Schulen einstarkes Bewusstsein da<strong>für</strong>, dass manein Programm braucht, sich profilierenmuss, auch eine andere Leitungsstrukturbraucht. In den Lehrerkollegien findetganz viel Austausch über Entwicklungs-106 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseManfred Prenzel, Dekan der TUM School of Education: „Die anderen Fakultäten haben gesehen, dass man heute auch mitder Lehrerbildung Drittmittel einwerben kann.“möglichkeiten und -konzepte statt, dasist quasi Lehrerbildung von unten. Undwenn dann noch <strong>die</strong> Universität als Partnerhinzukommt, lassen sich manchmalsogar Ideen realisieren, <strong>die</strong> zunächst garnicht realisierbar erscheinen, <strong>die</strong> aber<strong>die</strong> Schule total verändern können. BestesBeispiel da<strong>für</strong> ist das TUMKolleg …… ein <strong>MINT</strong>-Begabtenförderprogramm <strong>für</strong>Oberstufenschüler aus München und Umgebung,das Sie im Rahmen des Projektesam Otto-von-Taube-Gymnasium in Gautinginstalliert haben.Manfred Prenzel: Für <strong>die</strong> Schule wardas ein riesiger Impuls. Sie ist durch<strong>die</strong>sen neuen Oberstufenzweig kräftigdurchgeschüttelt worden in ihremSelbstverständnis und auch in ihrer Außenwirkung.Und was <strong>die</strong> Schülerinnenund Schüler während ihrer Zeit im Kollegleisten, ist tatsächlich atemberaubend:Sie lernen ja nicht nur zwei Jahre langnach einem speziell <strong>für</strong> sie entwickeltenLehrplan, sondern verbringen auch einenTag pro Woche an der Universität,wo sie in Kooperation mit verschiedenenLehrstühlen eigene kleine Forschungsprojektedurchführen. Eine Kollegiatinhat zum Beispiel untersucht, wie sich <strong>die</strong>Chemikalien, <strong>die</strong> im Anstrich der Booteauf dem Starnberger See enthalten sind,auf <strong>die</strong> Wasserqualität dort auswirken.Eine zweite Schülerin betreibt Speerwurfals Hobby und hat in der Fakultät<strong>für</strong> Sportwissenschaft dazu geforscht,wie sich bei Rechtshändern das gezielteTraining des linken Arms auf <strong>die</strong> Wurfleistungauswirkt. Und ein dritter Teilnehmerwollte herausfinden, wie sehr <strong>die</strong> Pilzeim Gautinger Wald mehr als 25 JahreDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 107


Mathematik-Didaktikerin Kristina Reiss: „Sie brauchenMenschen aus allen Teilen der <strong>Lehrerausbildung</strong>, <strong>die</strong> sicheinsetzen.“nach Tschernobyl immer noch mit Caesiumbelastet sind. Sie merken schon: Daswar thematisch überhaupt nicht engstirnig.Die Kollegiaten konnten sich an derTUM frei entfalten und haben tolle Ergebnisseerzielt. Einige der Forschungsarbeiten,<strong>die</strong> sie am Ende über ihre Projekteschreiben mussten, sind von denbetreuenden Lehrstühlen sogar als Bachelor-Arbeitenanerkannt worden. Manbedenke: Wir sprechen hier über 17- und18-Jährige, <strong>die</strong> noch nicht einmal ihr Abiturabgelegt hatten.Wie ist Ihnen beim TUMKolleg der Bezugzur Lehrerbildung gelungen?Kristina Reiss: Alle unsere Teilprojektebeziehen Lehramtskandidaten mit einund ermöglichen ihnen dadurch Einsichten,<strong>die</strong> sie in einem ganz normalenstromlinienförmigen Lehramtsstudiumnicht bekommen würden. Im TUMKollegbeispielsweise haben wir Stu<strong>die</strong>rendeals Mentoren eingesetzt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> jungenKollegiaten bei ihren Forschungsprojektenbetreuen. Sie können also eineZeitlang Erfahrungen mit der individuellenFörderung hochbegabter Jugendlichersammeln, was ja in der Lehrerbildungauch ein großes Thema ist. Natürlichwar es nicht immer möglich,flächendeckend Stu<strong>die</strong>rende zu integrieren,so wie bei unseren Schülerlaboren,<strong>die</strong> wir jetzt verpflichtend ins Praktikumeingebaut haben. Aber das warauch gar nicht der Anspruch. Solch einEntwicklungsprojekt verlangt eben aucheine gewisse Breite. Da probiert man unterschiedlicheDinge aus. Bei manchenist der direkte Nutzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendendann größer, bei anderen muss manetwas genauer hinschauen. Letztlich habenwir aber genau das erreicht, was wirwollten: nämlich <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>besser mit dem professionellen FeldSchule zu vernetzen.Eine wichtige Rolle hat dabei auch <strong>die</strong> Entwicklungeines speziellen Auswahlverfahrens<strong>für</strong> Lehramtsbewerber gespielt. Washat es damit auf sich?Manfred Prenzel: Das TUM Student Assessment& Admission Center ist auchein Alleinstellungsmerkmal unseres Projektes.Zumindest in <strong>die</strong>ser Form, denn108 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsewir kombinieren hier Auswahlgespräche,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Bewerber absolvieren, mit regelmäßigenBeratungsgesprächen im späterenStu<strong>die</strong>nverlauf. Das findet man sobislang an keiner anderen Universität. ImVordergrund steht wieder unser Interesse,möglichst nur <strong>die</strong> geeignetsten Kandidaten<strong>für</strong> ein Lehramtsstudium zu gewinnenund dabei <strong>die</strong> Anforderungen,<strong>die</strong> wir an sie stellen, frühzeitig sichtbarzu machen. Allerdings betrachten wir <strong>die</strong>Auswahlgespräche nicht als einmaligesSelektionsverfahren, sondern als Startpunkteines langen Begleitprozesses.Zusammengefasst: Welches sind <strong>die</strong> Gelingensbedingungen<strong>für</strong> ein Projekt wieTUM@School. School@TUM?Kristina Reiss: Das Wichtigste sind ausmeiner Sicht <strong>die</strong> Personen. Sie brauchenMenschen aus allen Teilen der <strong>Lehrerausbildung</strong>,<strong>die</strong> sich <strong>für</strong> das Projekt einsetzen,auch wenn anfangs vielleichtnoch nicht alle Prozesse so gut durchstrukturiertsind und nicht jeder genauweiß, in welche Richtung er marschierenmuss. Dazu gehört <strong>die</strong> spontane Bereitschaft,Dinge auch mal anzupacken,denn Sie können ein solch großes Projektnicht allein vom Schreibtisch ausplanen. Da ist ganz viel „Hands-on“ gefragt,wobei man manchmal auch das Risikoeingehen muss, mit etwas nicht soerfolgreich zu sein.Manfred Prenzel: Ich würde darüberhinaus auch <strong>die</strong> Rückendeckung derHochschulleitung als wichtiges Kriteriumnennen. Und natürlich einen externenImpuls, wie wir ihn mit der Förderungdurch <strong>die</strong> <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> hatten.Man muss sich ja nur einmal anschauen,wie vernachlässigt <strong>die</strong> Lehrerbildungnoch vor ein paar Jahren war. Dann hat<strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> mit ihrem Hochschulwettbewerbein wirklich starkes Signal gesendet,und inzwischen haben wir weitereProgramme und Wettbewerbe bis hinzur „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“von Bund und Ländern.Kristina Reiss: Dazu passt auch, dasswir heute längst nicht mehr <strong>die</strong> einzigeUniversität mit einer School of Educationsind. Hier sind inzwischen einige Hochschulenin Deutschland und Österreichaus ihrem Dornröschenschlaf erwachtund unserem Vorbild gefolgt. Das zeigt:Die Landschaft ist wirklich in Bewegunggeraten!Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 109


Mehrwert <strong>für</strong> Schülerund Stu<strong>die</strong>rende.Wie sich zwei Bildungseinrichtungen gegenseitig befruchten.Ein „Universitätsgymnasium“ <strong>für</strong> <strong>MINT</strong>-Talente. Ein Schülerlabor, in dem künftigeLehrer das Unterrichten lernen. Und ein Forschungsraum, in dem aktuelle wissenschaftlicheErkenntnisse in Schulstoff übersetzt werden: Die TUM School of Educationhat den Schwerpunkt ihres Entwicklungsprojektes auf <strong>die</strong> Zusammenarbeit von Schuleund Universität gelegt.Die TUM School of Education sieht im Dialogzwischen Universität und Schule einerseitsden Schlüssel zu einer zeitgemäßenLehrerbildung. Andererseits erhofftsie sich, dadurch mehr junge Menschen<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Fächer oder sogar ein <strong>MINT</strong>-Lehramtsstudium motivieren zu können.Den Fokus ihres Projektes TUM@School.School@TUM hat sie deshalb auf <strong>die</strong>Schnittstellen der beiden Bildungseinrichtungengerichtet und hier seit 2009 unterschiedlicheMaßnahmen initiiert. Drei vonihnen seien im Folgenden genauer beschrieben.TUMKolleg Otto von TaubeDass eine Universitätsklinik kein normalesKrankenhaus ist, sondern insbesondereauch der medizinischen Forschungund der Ausbildung von angehenden Ärzten<strong>die</strong>nt, wissen <strong>die</strong> meisten. Weniger bekanntist hingegen bislang <strong>die</strong> Idee eines„Universitätsgymnasiums“ als Versuchsschule<strong>für</strong> neue Unterrichtskonzepte undinnovative <strong>Lehrerausbildung</strong>. Solch eineEinrichtung plant seit Längerem <strong>die</strong> TUMSchool of Education. Die Vorstufe dazu –das TUMKolleg – wurde nun mit Fördermittelnder <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> am Otto-von-Taube-Gymnasium (OvTG) in Gauting, südwestlichvon München, eingerichtet. Dabeihandelt es sich um einen eigenständigengymnasialen Oberstufenzweig, der proJahrgang etwa 15 Schülerinnen und Schülermit besonderer <strong>MINT</strong>-Begabung zumAbitur führt. Um <strong>die</strong> Teilnahme bewerbensich Gymnasiasten aus ganz München undUmgebung.Zentrales Merkmal des TUMKollegs istdas Lernen an zwei verschiedenen Lernortenim Rahmen eines abgestimmten pädagogischen<strong>Konzepte</strong>s: An vier Tagen inder Woche findet der Unterricht am Gymnasiumstatt; hier profitieren <strong>die</strong> Jugendlichenvon begabungsspezifischen Lehrformenund -methoden, arbeiten zum Beispielstark projektbezogen und fächerübergreifendnach einem vertieften Lehrplan. Denfünften Tag verbringen sie an der TUM, wosie ausgewählte Lehrangebote wahrnehmen,in Forschungsprojekte verschiedenerLehrstühle eingebunden werden unddazu eigene, teils hoch ambitionierte For-110 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseSchülerinnen und Schüler des TUMKollegs präsentieren beim Wissenschaftstag am Gymnasium <strong>die</strong> Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten.schungsarbeiten erstellen. Flankiert wirddas Programm von einem Auslandspraktikumsowie verschiedenen Kursen undWorkshops, etwa zur Berufsorientierungoder zu Projektmanagement.Hochschullehrer und Schullehrer stimmensich im TUMKolleg eng über Inhalteund Unterrichtsmethoden ab. Dabei erhaltenbeide Gruppen wertvolle Einblicke in<strong>die</strong> Berufspraxis der jeweils anderen. EineVerknüpfung des Kollegs mit der <strong>Lehrerausbildung</strong>erfolgt durch <strong>die</strong> Einbindungvon Lehramtsstu<strong>die</strong>renden als Mentoren.Sie betreuen <strong>die</strong> Schüler unter anderembei deren Forschungsarbeiten an derDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 111


Im TUMlab im Deutschen Museum lernen Kinder und Jugendliche <strong>die</strong> Arbeitsweisen von Wissenschaftlern kennen.Hochschule und werden eigens <strong>für</strong> <strong>die</strong>seTätigkeit geschult. Künftig sollen sichLehramtsstu<strong>die</strong>rende zudem in einem verpflichtendenMaster-Seminar zum ThemaDifferenzierung und Heterogenität mit demKolleg befassen.Seit der Gründung zum Schuljahr 2009/10haben bereits drei Jahrgänge das TUM-Kolleg erfolgreich durchlaufen. Zwei weiteresind auf dem Weg zum Abitur. Insgesamt30 Lehrkräfte des OvTG unterrichtenim Kolleg. Vonseiten der TUM sind 28 Lehr-112 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsestühle, Fachgebiete und Einrichtungen beteiligt.16 Stu<strong>die</strong>rende erhielten Mentoren-Schulungen. Letztes Jahr wurde das Projektvon der Robert-Bosch-<strong>Stiftung</strong> mit demPreis „Schule trifft Wissenschaft“ ausgezeichnet.Zahlreiche Kollegiaten gewannendarüber hinaus mit ihren ForschungsarbeitenPreise bei Wettbewerben wie „Jugendforscht“. Für <strong>die</strong> Zukunft ist eine Übertragungdes <strong>Konzepte</strong>s auch auf weitereSchulen angedacht.TUMlab im Deutschen MuseumAls außerschulischer Lernort der TechnischenUniversität zielt das SchülerlaborTUMlab, das im Deutschen Museum angesiedeltist, einerseits darauf ab, Kinder undJugendliche an <strong>die</strong> Arbeitsweise von Wissenschaftlernheranzuführen. Schüler abzehn Jahren besuchen dort thematischeKurse und führen unter Anleitung eigenständigExperimente durch. Andererseitssetzt <strong>die</strong> Hochschule es als Baustein in ihrer<strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> ein. AngehendeLehrkräfte sammeln in dem Labor Unterrichtspraxisund erfahren, wie außerschulischeLernorte sinnvoll mit der Arbeit imKlassenzimmer verknüpft werden können.Zwar existiert <strong>die</strong> Einrichtung im DeutschenMuseum bereits seit 2005. Erst durch <strong>die</strong>Förderung der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> gelang allerdingsin den letzten vier Jahren <strong>die</strong> Umwandlungvom reinen Schülerlabor in einLehr-Lern-Labor – mit stark erweiterten Beteiligungsmöglichkeiten<strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden,<strong>die</strong> dort seitdem auch in <strong>die</strong> Konzeptionneuer Lehreinheiten eingebunden werden.So entwickelten etwa Stu<strong>die</strong>rende derChemie, Biologie, Mathematik und der BeruflichenBildung im Rahmen von verschiedenenLehrveranstaltungen selbstständigneue Kursinhalte und -materialien (unteranderem zur Robotik, Relativitätstheorie,Gewässerkunde und Automatisierung) undErfahrungsbericht„Keine Beschäftigungstherapie“Der angehende Gymnasiallehrer Michael Schultz-Naumann (Fächer:Biologie und Chemie) hat als studentischer Kursleiter im TUMlab <strong>die</strong>Bedeutung des Experimentierens neu entdeckt.„Im Studium und sicher auch in der Schule verkommt das Experimenthäufig zu einer Art Kochrezept und Beschäftigungstherapie. Es wirdsogar lästig, weil es allzu oft als reines Bestätigungsexperiment angelegtist und auf Fragen aufbaut, deren Antworten man schon kennt. ImTUMlab formulieren wir <strong>die</strong> Aufgabenstellung hingegen ganz offen,begreifen den Zugang Experiment also als Strategie, um tatsächlichWissen zu erwerben. Das macht nicht nur den Schülern, sondern auchuns Stu<strong>die</strong>renden Spaß.“Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 113


Erfahrungsbericht„Mein Auftreten wurde besser“Simone Hommrichhausen (stu<strong>die</strong>rte Biologie und Chemie <strong>für</strong>s Gymnasium)fühlt sich durch ihre Arbeit als TUMlab-Kursleiterin bessergerüstet <strong>für</strong> den Lehrerberuf.„Nach jedem Kurs hatte ich <strong>die</strong> Möglichkeit, aus meinen Fehlern zulernen und mich zu verbessern. Mit der Zeit ist mir der Umgang mitden Schülerinnen und Schülern immer leichter gefallen, und ich konntemich besser auf den Ablauf konzentrieren. Zudem ist es mir immerbesser gelungen, meine Erklärungen zu veranschaulichen. Und auchmein Auftreten und <strong>die</strong> Wirkung, <strong>die</strong> ich auf mein Publikum hatte, wurdenmit jedem Kurs besser.“erprobten <strong>die</strong>se wiederholt mit Schülern.Von den Schülern erhielten sie anschließendein Feedback. Insgesamt profitiertenim Projektzeitraum mehr als 100 Stu<strong>die</strong>rendevon unterschiedlichen Aktivitätenim TUMlab.Völlig neu konzipiert und in den regulärenBetrieb aufgenommen wurden drei Kurseaus der Chemie: „Pharmazie <strong>für</strong> Einsteiger“,„Was ist passiert?“ und „Welt der Proteine“.Mit ihnen schuf das Labor auch <strong>die</strong> Voraussetzungenda<strong>für</strong>, dass Lehramtsstu<strong>die</strong>rendekünftig systematisch als Kursleiter bzw.-assistenten dort eingesetzt werden können.So wurde eine zweistufige Schulungentwickelt, <strong>die</strong> sie gezielt auf <strong>die</strong> fachlichenund methodischen Anforderungen der Arbeitvorbereitet. Mittlerweile sind knapp 20Stu<strong>die</strong>rende im TUMlab als Kursleiter und-assistenten tätig. Darüber hinaus findenim Labor auch Lehrerfortbildungen zu denThemen Nature of Science und forschendesLernen statt. Seit Projektbeginn nahmendaran weit mehr als 200 Lehrkräfte teil.TUM Hall of Science and TechnologyDer Weg moderner natur- und ingenieurwissenschaftlicherForschungsergebnisse vonder Universität in <strong>die</strong> Schulen dauert meistlange. Einerseits sind <strong>die</strong> Themen, mit denensich Fachwissenschaftler beschäftigen,selbst <strong>für</strong> stu<strong>die</strong>rte Lehrkräfte häufig schwerzu verstehen. Andererseits fehlen Strukturen,<strong>die</strong> geeignete Fachinhalte identifizierenund in eine <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schule angemesseneForm übersetzen. Mit der TUM Hall of Scienceand Technology hat <strong>die</strong> TechnischeUniversität München im Rahmen ihres Projekteseine solche Struktur geschaffen.In dem fakultätsübergreifenden Netzwerkentwickeln Fachwissenschaftler und Fachdidaktikerunterschiedlicher <strong>MINT</strong>-Disziplinen(beteiligt sind Mathematik und Physik,aber auch in der Biologie gibt es erste114 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseUmsetzungen) gemeinsam <strong>Konzepte</strong> undMaterialien <strong>für</strong> den Schulunterricht, <strong>die</strong>einen möglichst aktuellen Forschungsbezugaufweisen. So wurden etwa Themenaus der Diskreten Mathematik ausgearbeitet,in denen es um <strong>die</strong> mathematischenHintergründe von Navigationssystemengeht („Kürzeste-Wege-Problem“, „Travelling-Salesman-Problem“).Diese eignensich deswegen besonders gut, weil sie vonSchülern ohne allzu großes Vorwissen bearbeitetwerden können. Die Physik rekonstruierteunter anderem aktuelle wissenschaftlicheErkenntnisse zur Energiewende<strong>für</strong> den Schulunterricht – ein Thema mitstarkem Alltagsbezug.Die fertigen Unterrichtskonzepte und -materialienwerden zentral auf einer Internetseitezur Verfügung gestellt. Von dortkönnen Lehrkräfte sie herunterladen. DieAusarbeitung besteht meist aus einer fachwissenschaftlichfun<strong>die</strong>rten Darstellung sowiefachdidaktischen Kommentaren zumEinsatz in der Schule. Dort werden zumBeispiel <strong>die</strong> folgenden Fragen beantwortet:Welches Vorwissen ist von Schülerseite nötig?Für welchen zeitlichen Umfang eignetsich das Thema? Welche Schwierigkeitensind zu erwarten? Welche Verbindungenzu verwandten Fachgebieten gibt es? Außerdemfinden sich in den Skripten stets Literaturhinweisesowie Ansprechpersonen<strong>für</strong> Lehrkräfte, <strong>die</strong> weitergehende Informationenbenötigen.Künftig sollen auch Lehramtsstu<strong>die</strong>rendemit ihrem fachwissenschaftlichen und fachdidaktischenKnow-how in der TUM Hallof Science and Technology mitarbeiten.Denkbar wäre etwa, dass sie sich im Rahmenvon Seminaren oder Hausarbeiten ander Übersetzung von Forschungsergebnissenin Schulstoff beteiligen.LinktippsMehr Informationen zum TUMKolleg Otto von Taube finden sich aufder offiziellen Webseite http://tumkolleg.ovtg.deDas TUMlab im Deutschen Museum ist online unter www.tumlab.dezu erreichen. Daneben betreibt <strong>die</strong> Universität an ihrem Campus inGarching ein weiteres Schülerlabor: In den TUM Science-Labs werdenvornehmlich physikalische Experimente angeboten. Die Webadresselautet www.sciencelabs.edu.tum.deDie TUM Hall of Science and Technology stellt ihre Unterrichtsmaterialienunter www.hall.edu.tum.de zur Verfügung.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 115


Polyvalenz nicht umjeden Preis.Innovative Curricula <strong>für</strong> Mathematik-Lehramtsstu<strong>die</strong>rende.Angehende <strong>MINT</strong>-Lehrerinnen und Lehrer benötigen eine Ausbildung, <strong>die</strong> speziell aufihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Selbst, wenn dadurch der Wechsel vom Lehramtins Fachstudium erschwert wird. Die Technische Universität München hat mit den Fördergeldernder <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>npläne und -inhalte im Fach Mathematikoptimiert.An den meisten deutschen Universitätenerhalten <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenach wie vor eine Ausbildung, <strong>die</strong> kaumauf <strong>die</strong> Spezifika ihres angestrebten Berufesabgestimmt ist. Stattdessen sind siegezwungen, einen Großteil der Lehrveranstaltungengemeinsam mit den Fachwissenschaftlernzu absolvieren. Dies führthäufig zur Demotivation, in vielen Fällenerfolgt bereits nach wenigen Semesternder Stu<strong>die</strong>nabbruch. Nicht nur fühlen sich<strong>die</strong> angehenden Lehrerinnen und Lehrerüberfordert vom hohen Niveau der Veranstaltungen.Sie vermissen darüber hinausinsbesondere den Bezug zu ihrem künftigenBeruf.Den Umgang mit dem Fach lernenUm <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nzufriedenheit ihrer Lehramtskandidatenzu verbessern und Abbrüchenentgegenzuwirken, hat <strong>die</strong> TechnischeUniversität München <strong>die</strong> Fördermittelder Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> auch da<strong>für</strong>genutzt, das Lehramts-Curriculum im FachMathematik zu optimieren und es damitbesser an <strong>die</strong> speziellen Bedürfnisse sowohlder Schule als auch der Stu<strong>die</strong>rendenanzupassen. Ausgangspunkt war dabei <strong>die</strong>Überzeugung der Hochschule, dass es inder Ausbildung von Mathematiklehrkräftenweniger auf <strong>die</strong> Vermittlung eines möglichstgroßen Katalogs an mathematischenInhalten ankommt als vielmehr darauf, dass<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden den Umgang mit demFach und seinen Methoden erlernen. „Natürlichbraucht man ein Grundwissen. Aberals Germanist können Sie auch nicht jedeswichtige Prosawerk und jedes Gedicht kennen,das jemals auf Deutsch veröffentlichtworden ist“, sagt Privatdozent Oliver Deiservom Lehrstuhl <strong>für</strong> Mathematik-Didaktik derTUM School of Education. Laut Deiser, dermaßgeblich an den Stu<strong>die</strong>nreformen beteiligtwar, sind <strong>für</strong> einen Mathematiklehrervor allem vier Aspekte von zentraler Bedeutung:1. der sichere Umgang mit der mathematischenSprache,2. <strong>die</strong> Beherrschung schulrelevanter Inhaltevon einem höheren Standpunkt aus,3. <strong>die</strong> Fähigkeit, sich neue Entwicklungendes Faches selbstständig anzueignen,sowie4. Einblick in <strong>die</strong> Mathematik als Wissenschaft.116 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDie Ausbildung von Mathematik-Lehramtsstu<strong>die</strong>renden ist vielerorts kaum auf <strong>die</strong> Spezifika ihres angestrebten Berufes abgestimmt.Konkret umfassten <strong>die</strong> Reformmaßnahmender TUM School of Education sowohl Eingriffein den Ablauf als auch in <strong>die</strong> Inhaltedes Lehramtsstudiums. So wurden zunächst<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nverlaufspläne <strong>für</strong> <strong>die</strong>Mathematik und <strong>die</strong> mit ihr kombinierbarenZweitfächer überarbeitet. Ziel war dabeiinsbesondere eine „Entzerrung“ derFachinhalte, <strong>die</strong> im Bachelor bis dahin starkverdichtet gelehrt worden waren. Nach denneuen Plänen besuchen <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenheute von Beginn an auch fachdidaktischeund erziehungswissenschaftliche Veranstaltungen,absolvieren zudem bereits imzweiten Semester eine Präsenzzeit in derSchule. „Auf <strong>die</strong>se Weise können sie schonfrüh im Studium überprüfen, ob ihr Berufswunschtatsächlich der Realität standhält“,erklärt Professorin Kristina Reiss, <strong>die</strong> ander TUM School of Education den Lehrstuhl<strong>für</strong> Mathematik-Didaktik innehat. DenAnspruch der Polyvalenz 1 wolle <strong>die</strong> Fakultätmit dem neuen Bachelor-Stu<strong>die</strong>nverlaufzwar aufrechterhalten, „allerdings nicht umjeden Preis“, betont Reiss.1 Polyvalenz bedeutet hier, dass ein Wechsel vom Lehramt ins Fachstudium ohne großen Zeitverlust möglich ist.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 117


Die Brücke zwischen Uni- und SchulmathematikschlagenDer zweite Reformschritt betraf <strong>die</strong> GrundmoduleLineare Algebra 1 und 2 sowieAnalysis 1 und 2, <strong>die</strong> zuvor jeweils nur alsgemeinsame Veranstaltungen <strong>für</strong> Lehramts-und Fachstu<strong>die</strong>rende gehalten wordenwaren. Mit den Mitteln der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> gelang es im Projektzeitraum, allevier Vorlesungen (jeweils vierstündig) nunseparat <strong>für</strong> angehende Lehrkräfte anzubieten.Dabei konnten <strong>die</strong> Vorlesungsinhaltezwar wegen des Polyvalenz-Zieles nur in einemgewissen Rahmen verändert werden.Eine umfassende Überarbeitung erfuhr jedochder begleitende Übungsbetrieb, dernun einen wesentlich höheren Didaktikanteilaufweist als früher; viele der Aufgaben,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden dort bearbeiten, habendirekten Schulbezug (siehe Kasten).Komplett neu geschaffen wurden zudemspezielle lehramtsbezogene Ergänzungsübungen,<strong>die</strong> wie <strong>die</strong> regulären Übungeneinen Umfang von zwei Semesterwochenstundenhaben und von den Stu<strong>die</strong>rendenzusätzlich absolviert werden. Darin verknüpfen<strong>die</strong> Dozenten den Stoff aus denGrundvorlesungen mit den Mathematiklehrplänender Schule, um den Lehramtskandidaten<strong>die</strong> Zusammenhänge zu verdeutlichen.Ein Beispiel: In der Schulewerden <strong>die</strong> trigonometrischen FunktionenSinus, Kosinus und Tangens anhand vonDreiecken eingeführt, an der Uni hingegenüber <strong>die</strong> komplexe Exponentialfunktion.„Die Stu<strong>die</strong>renden erkennen <strong>die</strong> Verbindungaber häufig nicht. Deshalb schlagenwir in den Ergänzungsübungen <strong>die</strong> Brückezu den Dreiecken und Winkeln und machendeutlich, dass es sich dabei im Prinzipum <strong>die</strong> gleiche Mathematik handelt“, erklärtOliver Deiser.Darüber hinaus beschäftigen sich <strong>die</strong> Teilnehmerin den Übungen mit elementarenmathematischen Fragen, bearbeiten dazuin Gruppenarbeit kleine Aufgaben und präsentieren<strong>die</strong> Ergebnisse anschließend ihrenKommilitonen. In den kurzen Vorträgengeht es dann ganz nebenbei auch um mathematikdidaktischeAspekte, etwa darum,wie Schüler mit abstrakten Begriffen konkreteVorstellungen verbinden lernen, wieLehrkräfte aussagekräftige Diagramme erstellen,oder wie man mathematisch angemessendiskutiert.In einer Befragung äußerten sich <strong>die</strong> Lehramtsstu<strong>die</strong>rendenbislang fast ausschließlichpositiv zu den neuen Ergänzungsübungen.Sie schätzen insbesondere den hohenpraktischen Bezug und geben an, dass <strong>die</strong>abstrakte Mathematik in den Veranstaltungen<strong>für</strong> sie ihren Schrecken verloren habe.Anhand einer Längsschnittuntersuchungmessen <strong>die</strong> Mathematik-Didaktikerder TUM seit 2010 zudem <strong>die</strong> Wirksamkeitihrer Reformmaßnahmen – <strong>die</strong> Ergebnissesind ebenfalls vielversprechend. So118 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDidaktische BeispielaufgabeDie Divergenz der harmonischen ReiheIn den lehramtsbezogenen Übungsveranstaltungen zur GrundvorlesungAnalysis 1 bearbeiten <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden auch didaktische Aufgabenwie <strong>die</strong> folgende.Aufgabe:Unser Beweis von1 + 1/2 + 1/3 + 1/4 + 1/5 + ... + 1/n + ... = ∞(Divergenz der harmonischen Reihe) findet sich bei Nikolaus von Oresme,einem Philosophen des 14. Jahrhunderts. Wir betrachten nunnoch andere Beweise.a) Das Argument von Oresme geriet in Vergessenheit. Ein neuer Beweisder Divergenz der harmonischen Reihe wurde von Pietro Mengoliim 17. Jahrhundert gefunden. Recherchieren Sie nach <strong>die</strong>sem Beweisund veranschaulichen Sie <strong>die</strong> verwendete Zusammenfassung vonSummanden. Beweisen Sie zudem <strong>die</strong> benötigte Ungleichung.b) Nehmen Sie an, dass <strong>die</strong> harmonische Reihe gegen eine reelleZahl x konvergiert. Bilden Sie Zweierblöcke und erzeugen Sie durchAbschätzung <strong>die</strong>ser Blöcke den Widerspruch „x > x“. Notieren Sie dasArgument in suggestiver Form.c) Für alle natürlichen Zahlen n ≥ 1 definieren wirs n = 1 + 1/2 + ... + 1/n, t n = s 2n − s n .Zeigen Sie, dass t n ≥ 1/2 <strong>für</strong> alle n gilt. Folgern Sie hieraus <strong>die</strong> Divergenzder harmonischen Reihe.Kommentar von Oliver Deiser, Mathematik-Didaktiker an der TUM School of Education:„Die Divergenz der harmonischen Reihe gehört zu den beeindruckendsten Ergebnissen der elementaren Analysis und ist, entsprechend aufbereitet,auch Schülern zugänglich. Sie kann das Interesse an der Mathematik fördern und Faszination auslösen. Damit erscheint eine ausführlicheund vielseitige Behandlung der harmonischen Reihe gerade <strong>für</strong> das Lehramt Mathematik wichtig. Der Beweis der Divergenz, der sich heute inden meisten Lehrbüchern findet, wurde in der Vorlesung vorgeführt. Ziel der Übungsaufgabe ist, ein vertieftes Verständnis des Ergebnisses unddes Nachweises der Divergenz zu erlangen. Die Aufgabe beginnt hierzu mit einer Recherche nach einem alternativen, heute weniger bekanntenArgument von Pietro Mengoli (der seinerseits den Beweis von Oresme nicht kannte). Für <strong>die</strong>se Recherche können Lehrbücher und das Internetherangezogen und auch der Austausch mit Kommilitonen gesucht werden. Geübt wird das eigenständige Auffinden, Aneignen und Weitergebenvon Wissen. Zudem eröffnet sich eine historische Dimension, <strong>die</strong> das Problem mit Leben füllt und einen Einblick in <strong>die</strong> Wissenschaftsgeschichteermöglicht. In den beiden anderen Teilen (b) und (c) der Aufgabe werden dann zwei weitere Beweise der Divergenz der harmonischen Reihediskutiert. Dass es viele Wege (Beweise) zu einer mathematischen Aussage gibt, lässt sich in einer Vorlesung aus Zeitmangel oft nicht vorführen.Diese Erkenntnis ist aber gerade <strong>für</strong> Anfänger besonders wichtig, da sie ein Tor zur eigenen Kreativität sein kann und <strong>die</strong> Vielschichtigkeit derMathematik vor Augen führt. Die Idee der verschiedenen Lösungswege ist auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schule von Bedeutung, da sie einem mechanischen undvereinfachten Bild der Mathematik entgegenwirkt. Die Teilaufgaben sind unabhängig voneinander lösbar, sodass man zum Beispiel (b) oder (c)auch dann bearbeiten kann, wenn man den ,detektivischen‘ Teil (a) nicht bearbeiten konnte oder wollte.“Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 119


Erfahrungsbericht„Nur nicht verzweifeln!“Ramona Walter (22) stu<strong>die</strong>rt an der TUMim siebten Semester Mathematik undPhysik <strong>für</strong> das Gymnasiallehramt. Danebenarbeitet sie im „Tutorenzirkel“ mit,der ebenfalls im Rahmen der Reformmaßnahmengegründet wurde.„Die Idee des Tutorenzirkels ist, dass erfahrenere Lehramtsstu<strong>die</strong>rendeihr Wissen an Erstsemester weitergeben und ihnen so helfen, denWechsel von der Schul- zur Hochschulmathematik zu packen. Hauptsächlichwerde ich als Tutorin im Brückenkurs vor Semesterbeginneingesetzt, in dem <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nanfänger <strong>die</strong> Grundlagen <strong>für</strong>s ersteSemester legen. Dort gibt es zwar immer ein paar Leute, <strong>die</strong> schonecht gut mitkommen. Andere haben aber große Schwierigkeiten, weiles jeden Tag wahnsinnig viel Input gibt und der Stoff <strong>für</strong> sie meist komplettneu ist. Da versuche ich dann immer ein bisschen zu beruhigenund sage ihnen, dass es okay ist, wenn sie noch nicht alles verstehen,und dass es mir damals genauso gegangen ist. Ich finde es wichtig,dass <strong>die</strong> Erstsemester in mir nicht <strong>die</strong> Dozentin sehen, sondern eineMitstudentin, zu der sie jederzeit kommen und Fragen stellen können.Sie sollen keine Berührungsängste haben.zeigt sich bei den Stu<strong>die</strong>renden seit Einführungder neuen Curricula ein deutlicherZuwachs der didaktischen Kompetenz undder Präsentationsfähigkeit. Das fachlicheVerständnis verbesserte sich im gleichenZeitraum zwar weniger deutlich, aber dennocherkennbar. Auch <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nzufriedenheitist heute höher als noch vor vierJahren. Ebenso verzeichnet <strong>die</strong> Mathematikweniger Stu<strong>die</strong>nabbrecher im Lehramt.Nicht das fünfte Rad am WagenKristina Reiss freut sich über <strong>die</strong> gutenResultate. Fast genauso wichtig ist ihr jedochein Effekt, der sich schwerer messenlässt, den sie jedoch im täglichen Umgangmit den Stu<strong>die</strong>renden spürt. So habe sichdurch <strong>die</strong> neuen Veranstaltungen eine starkeGruppenidentität bei den angehendenLehrkräften entwickelt. „Sie merken, dasssie an der Universität nicht das fünfte Radam Wagen sind, sondern dass wir sie ernstnehmen. Und das wirkt sich natürlich auchauf ihre Motivation aus, das Studium erfolgreichzu absolvieren.“Die Arbeit als Tutorin macht mir unheimlich viel Spaß und zeigt mir,dass ich den richtigen Beruf gewählt habe. Für meinen späteren Joblerne ich im Brückenkurs schon eine ganze Menge. Einerseits ist eshilfreich, sich <strong>die</strong> grundlegende Mathematik immer wieder neu zuvergegenwärtigen. Andererseits kann ich dort schon ein wenig ausprobieren,welche Unterrichtsformen gut ankommen, und wie manbestimmte Inhalte am besten erklärt, damit <strong>die</strong> Schüler bzw. Stu<strong>die</strong>rendensie auch verstehen.“120 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseWas tun, wenn derSchwamm fliegt?Die neue Stu<strong>die</strong>rendenauswahl an der TUM.Für den Lehrerberuf geeignet? Die Technische Universität München klopft ihre Lehramtsanwärterin Auswahlgesprächen auf deren fachliche, motivationale, pädagogischeund persönliche Voraussetzungen ab. Abgelehnt werden letztlich nur <strong>die</strong> wenigstenBewerber. Seinen Zweck erfüllt das neue Verfahren trotzdem.Die Frage mit dem Schwamm wirft MelanieKrüger 1 dann doch etwas aus der Bahn.Dabei hatte sie sich vorher extra bei ihrenKommilitonen erkundigt, was in dem Auswahlgesprächauf sie zukommen würde.Von Schwämmen war allerdings keine Redegewesen, aber jetzt steht <strong>die</strong> Frage nunmal im Raum, und <strong>die</strong> Lehramtsstudentinmüht sich sichtlich, eine Antwort darauf zufinden. Wie sie denn in folgender Situationreagieren würde, hatte eines der Kommissionsmitgliederwissen wollen: „Matheunterrichtin der siebten Klasse. Sie stehen mitdem Rücken zu den Schülern und schreibeneine Aufgabe an <strong>die</strong> Tafel, und plötzlich– swosch! – schlägt direkt neben Ihnenein nasser Schwamm ein.“ Melanie überlegtund überlegt. Szenarien wie <strong>die</strong>se hatsie in ihren Schulpraktika bisher nicht erlebt.Zum Glück, könnte man sagen. Andererseitsfehlt der 25-Jährigen nun noch<strong>die</strong> Erfahrung, wie man als Lehrerin pädagogischwertvoll mit Disziplinverstößen vonSchülerinnen und Schüler umgeht. „Ichglaube, ich würde einfach so tun, als seinichts gewesen, und dann in der nächstenStunde einen Test schreiben lassen“, sagtsie schließlich, und man merkt ihr an, dasssie selbst nicht ganz überzeugt von ihrerAntwort ist.Ein paar Minuten später verlässt Melanieerleichtert den Raum. „Bestanden!“ ruftsie und zeigt freudestrahlend den Feedback-Bogen,den <strong>die</strong> Kommission ihr überreichthat. Unter dem Punkt „Zulassung“ istein fettes Häkchen gesetzt. Das bedeutet:Nachdem sie ihr Bachelor-Studium abgeschlossenhat, darf <strong>die</strong> Studentin im Herbstmit dem Lehramts-Master an der TUMSchool of Education weitermachen.In der Auswahlkommission sitzt auch einLehrerAuswahlgespräche wie das von MelanieKrüger finden an der Lehrerbildungs-Fakultätder Technischen Universität Müncheninzwischen regelmäßig vor Beginnjedes Semesters statt – sowohl <strong>für</strong> Bachelor-als auch <strong>für</strong> Master-Bewerber. Mit Unterstützungder <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> hat <strong>die</strong> Fakultätdas Verfahren in den vergangenen1 Name geändertDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 121


Das TUM Student Assessment &Admission CenterDer Mehrwert <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende Die Auswahlgespräche überprüfen nicht nur <strong>die</strong> Eignung der Bewerber<strong>für</strong>s Lehramtsstudium, sondern informieren <strong>die</strong>se auch über <strong>die</strong>Anforderungen und beugen somit dem „Realitätsschock“ vor. Im Stu<strong>die</strong>nverlauf folgen regelmäßig weitere Gespräche, in denen<strong>die</strong> künftigen Lehrkräfte mit Dozenten über ihre Stu<strong>die</strong>nfortschritte,<strong>die</strong> Entwicklung ihrer berufsbezogenen Kompetenzen und ihre Einstellungzum Lehrerberuf sprechen. Die Stu<strong>die</strong>renden fühlen sich durch den Begleitprozess von ihrerUniversität ernst genommen. Ihre Motivation, Lehrer zu werden,wächst.vier Jahren institutionalisiert. Der Gedankehinter dem TUM Student Assessment &Admission Center: Man will möglichst nur<strong>die</strong>jenigen Kandidaten zum Studium zulassen,<strong>die</strong> sich tatsächlich da<strong>für</strong> eignen.Aus schriftlichen Bewerbungsunterlagenallein lasse sich nicht immer zweifelsfreiherauslesen, ob ein Kandidat zum Lehrertauge, sagt Professor Manfred Prenzel,Dekan der TUM School of Education. Wertolle Abiturnoten in Mathe und Physik habe,der werde zwar auch ein entsprechendesStudium mit hoher Wahrscheinlichkeitgut bewältigen. „Zum Lehrerberuf gehörenaber halt auch pädagogisch-didaktischeKompetenzen, persönliche Voraussetzungenwie Kommunikationsvermögenund Belastbarkeit und ein gewisses Maßan Motivation“, so Prenzel. „Im Auswahlgesprächkönnen wir hier gezielt nachfragenund <strong>die</strong> Person anschließend viel bessereinschätzen.“Die vier genannten Dimensionen – fachliche,pädagogische, persönliche und motivationaleVoraussetzungen – fungieren<strong>für</strong> <strong>die</strong> Mitglieder der Auswahlkommissiondann auch als grober Gesprächsleitfaden.Starr befolgen müssen sie <strong>die</strong>sen allerdingsnicht. „Meist findet sich schon imLebenslauf oder im Motivationsschreibendes Bewerbers ein guter Aufhänger <strong>für</strong> dasGespräch“, erzählt Dr. Andreas Hauptnervon der Fakultät <strong>für</strong> Physik, der an <strong>die</strong>semNachmittag als TUM-Vertreter in der Kommissionsitzt. Alles Weitere entwickele sichanschließend von selbst.So wie bei Maximilian Römpp, dem nächstenMaster-Bewerber, der mittlerweile eingetroffenist und seinen Prüfern zu Beginnengagiert von dem Matheexperiment berichtet,das er <strong>für</strong> seine Bachelor-Arbeit mitGrundschülern durchgeführt hat. Dazu benutzter ausgiebig den Zeichenblock, dervor ihm auf dem Tisch liegt, und dreht sei-122 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseSzene aus einem Auswahlgespräch an der TUM School of Education: Möglichst nur <strong>die</strong>jenigen Kandidaten, <strong>die</strong> sich tatsächlich<strong>für</strong> den Lehrerberuf eignen, sollen ein Lehramtsstudium aufnehmen.ne Skizze zwischendurch immer wieder um180 Grad in Blickrichtung der Jury. MarkusStöckle wird später im Feedback-Gesprächinsbesondere <strong>die</strong> Präsentationsfähigkeitdes 22-Jährigen loben: „Man merkt, dassSie sich schon Gedanken darüber gemachthaben, wie man Inhalte gut rüberbringt.“Stöckle ist Stu<strong>die</strong>ndirektor und unterrichtetnormalerweise am Otto-von-Taube-Gymnasiumim Münchener Vorort Gauting, einerder Partnerschulen der TUM, <strong>die</strong> FächerMathematik, Physik und Informatik. Als Mitgliedder Auswahlkommission soll er in denGesprächen heute vor allem <strong>die</strong> Verbindungzum angestrebten Beruf der Bewerberherstellen. Von Maximilian Römpp willer zum Beispiel wissen, mit welcher Methodeman als Lehrer Siebtklässler besondersgut zum Bruchrechnen motivieren könne.Der Student zögert kurz, schlägt dann Textaufgabenmit Fußball-Bezug vor. NachfrageStöckle: „Und wie wollen sie <strong>die</strong> andereHälfte der Klasse <strong>für</strong> ihren Unterricht begeistern?“Der Beamtenstatus als einzige BerufsmotivationDie Erwartungen der TUM School of Educationan <strong>die</strong> Kandidaten <strong>für</strong> das Master-Studiumsind hoch. Schließlich haben sie zumZeitpunkt des Auswahlverfahrens bereits an<strong>die</strong> sechs Semester sowie mehrere Schulpraktikahinter sich. Gelingt es einem Bewerberdann im Gespräch nicht, glaubhaft zumachen, dass der Job an der Tafel und <strong>die</strong>gewählten Fächer tatsächlich zu ihm passen,so wird ihm das Weiterstudium nicht empfohlen.Einen starken Beratungscharakterhaben auch <strong>die</strong> Gespräche mit den Bachelor-Anwärtern:Die Universität will hier vordergründigüber <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nanforderungen informieren,um <strong>die</strong> angehenden Erstsemestervor bösen Überraschungen zu bewahren.„Die meisten Bewerber sind 18 oder 19 undkommen gerade erst aus der Schule. Da setzenwir natürlich noch keine gefestigte Berufswahlentscheidungvoraus“, sagt DekanManfred Prenzel. Grundsätzlich wolle mandeshalb jedem <strong>die</strong> Chance geben, sich imDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 123


Bildungsforscherin Franziska Frost:„Das fanden wir ganz erfreulich.“Studium zu erproben. Außer wenn es wirklichkeinen Sinn mache. Markus Stöckle erinnertsich etwa an einen Bewerber, der Mathematiklehrerwerden wollte, im Abitur jedochim selben Fach nur knapp an der 5 vorbeigeschrammtwar. Lehrer sei ein attraktiverBeruf, weil er viel Sicherheit biete, gerade inMangelfächern wie Mathematik und den Naturwissenschaften,sagt Stöckle. „Da müssenwir im Auswahlverfahren darauf achten,dass der Beamtenstatus nicht das Einzige ist,was jemanden zum Studium antreibt.“Auch wenn <strong>die</strong> Hochschule letztlich kaumeinen Bachelor-Kandidaten ablehnt – eineneindeutigen Selektionseffekt haben<strong>die</strong> Gespräche trotzdem. Und zwar durch<strong>die</strong> Bewerber selbst. „Ein guter Teil derjenigen,<strong>die</strong> wir zu den Gesprächen einladen,erscheint gar nicht erst“, berichtet FranziskaFrost, <strong>die</strong> <strong>die</strong> neue Stu<strong>die</strong>rendenauswahlan der TUM School of Education imRahmen ihres Promotionsvorhabens beforscht.„Wir haben dann untersucht, wer<strong>die</strong>se ,Verweigerer‘ sind, und haben sämtlicheschriftliche Bewerbungsunterlageneiner Bewerberkohorte inhaltsanalytischausgewertet.“ Dabei kam heraus, dass<strong>die</strong> Verweigerer ohnehin <strong>die</strong> schlechtestenVoraussetzungen <strong>für</strong> den Lehrerberufmitbrachten, zum Beispiel <strong>die</strong> schwächstenAbiturnoten und <strong>die</strong> geringste pädagogischeVorerfahrung hatten, und deshalbvermutlich auch im Gespräch <strong>für</strong> wenigergeeignet befunden worden wären. „DieSelbstselektion war also nicht willkürlich,das fanden wir ganz erfreulich“, sagt FranziskaFrost. Inzwischen ist <strong>die</strong> Bildungsforscherindamit beschäftigt, <strong>die</strong> geführtenAuswahlgespräche anhand von Tonbandaufzeichnungenstrukturell auszuwerten,um mittelfristig auch inhaltliche Vergleichbarkeitzwischen ihnen herstellen zu können.Durch Befragungen von Stu<strong>die</strong>rendenwill Frost zudem noch herausfinden, inwiefernman von einer guten Performance imGespräch tatsächlich auf Erfolg und Zufriedenheitim späteren Studium schließenkann.„Wir wollen im Gespräch bleiben“Manfred Prenzel, der an der TU Münchenden Lehrstuhl <strong>für</strong> Empirische Bildungsforschunginnehat, mag indes kaum auf <strong>die</strong>Wirkung eines einzigen Gesprächs zu Beginndes Studiums vertrauen. Deshalb hater das TUM Student Assessment & AdmissionCenter auch nicht als reines Eignungsabklärungs-,sondern zugleich als Beratungsverfahren<strong>für</strong> Lehramtsstu<strong>die</strong>rendekonzipiert. Das Auswahlgespräch markiert<strong>für</strong> Prenzel dabei lediglich den Startpunkteines langen Begleitprozesses mit regelmäßigenReflexionstreffen zwischen Stu<strong>die</strong>rendenund Lehrenden über den gesamtenStu<strong>die</strong>nverlauf hinweg. Eine wichtigeRolle spielt dabei das Lernportfolio, eineMappe, in der <strong>die</strong> angehenden Pädagogenihre Lernfortschritte dokumentieren, selbsterstellte Unterrichtsmaterialien abheften124 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulseund ihre Entwicklung hinsichtlich der vierDimensionen der Lehrerkompetenz einschätzen.Bei den Reflexionstreffen <strong>die</strong>ntdas Portfolio stets als Diskussionsgrundlage.„Wir wollen durch das neue Verfahrenmit den Stu<strong>die</strong>renden ins Gespräch kommenund anschließend im Gespräch bleiben“,erklärt Manfred Prenzel. „Um sie in ihrerEntwicklung zu unterstützen, aber auch,um möglichst frühzeitig eingreifen zu können,wenn wir merken, dass jemand vielleichtdoch keine so gute Perspektive imLehrerberuf hat.“Maximilian Römpp, der gerade das Fakultätsgebäudeverlässt und sich über seineZulassung zum Master-Studium freut, istder Universität dankbar <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Unterstützung:„Ich fühle mich hier als Studentschon sehr ernst genommen, und das motiviertmich zusätzlich“, sagt er. Auch MelanieKrüger ist nach absolviertem Bachelorweiterhin überzeugt von ihrer Stu<strong>die</strong>n- undBerufswahl. Aus ihrem Master-Gesprächnimmt sie mit, „dass ich im Umgang mitden Schülern manchmal noch ein bisschenverkrampft bin, weil ich mir über zuviele Dinge Gedanken mache“. In <strong>die</strong>serHinsicht werde sie sich im Master sicherweiterentwickeln, ermutigt Markus Stöcklesie im Feedback-Gespräch. Und dann,ganz am Ende, will <strong>die</strong> Studentin von demPädagogen natürlich noch eines wissen:Was wäre denn nun <strong>die</strong> richtige Reaktionauf den „Schwamm-Vorfall“ gewesen?Stöckle lächelt. Richtig oder falsch gebe eshier nicht, aber auf Kollektivstrafen verzichteman als Lehrer lieber, sagt er. „Am besten,Sie lösen es humorvoll. Wenn es <strong>die</strong>Situation erfordert, dürfen Sie aber ruhigauch mal grantig werden. Solange Sie dabeiauthentisch bleiben, wird es seine Wirkungnicht verfehlen.“Eignungsüberprüfungbei LehramtsanwärternUm möglichst geeignete Kandidaten <strong>für</strong> ihre Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängezu rekrutieren, verfolgen <strong>die</strong> deutschen Hochschulen heterogeneAnsätze: Manche verpflichten ihre Bewerber vor Aufnahme des Studiumszu Eignungs- bzw. Orientierungspraktika, andere zur Teilnahmean Laufbahnberatungsgesprächen oder Selbsterkundungstests imInternet. Teilweise setzen sie damit Vorgaben ihres jeweiligen Bundeslandesum.Gerade Online-Self-Assessments wie CCT („Career Counselling forTeachers“) nehmen momentan in Anzahl und Bedeutung zu; einigeHochschulen haben mittlerweile sogar eigene Verfahren entwickelt.Lehramtsspezifische Auswahlgespräche oder Assessment-Center hingegensind bislang noch eher selten zu finden. Gründe hier<strong>für</strong> sindvermutlich der hohe Entwicklungs- und Personalaufwand.Mehr Informationen:www.monitor-lehrerbildung.de undwww.telekom-stiftung.de/lehrereignungDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 125


„Nicht nur strukturell, sondernauch inhaltlich ein Pionier.“Wie <strong>die</strong> Paten das TUM-Projekt bewerten.O-TonProfessor Konrad Krainer (Universität Klagenfurt) und Professor Reinhold Nickolaus(Universität Stuttgart) haben <strong>die</strong> TUM School of Education in den letzten vier Jahrenauf ihrem Weg begleitet. Das Erreichte zeige, dass selbst an vermeintlich trägen Institutionenwie Universitäten eine Veränderungsdynamik entstehen könne.Die Paten über Relevanz und Perspektivendes Projektes <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildung:Konrad Krainer: Durch <strong>die</strong> Etablierungeiner eigenen Fakultät <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrerbildunghat <strong>die</strong> Technische Universität Müncheneinen strukturell sehr bedeutsamenSchritt getan. Und zwar mit der nötigenKonsequenz, denn an Universitäten zählenletztlich nur Fakultäten und Professoren.Dies hat auch positive Nebenwirkungenauf der inhaltlichen Ebene: Nicht nurgehen <strong>die</strong> Fachdidaktik und <strong>die</strong> Lehrerforschunggestärkt aus dem Prozess hervor.Es ergeben sich sogar – was seltenerreicht wird – ernst zu nehmende Einflussnahmenauf <strong>die</strong> fachwissenschaftlicheAusbildung. Mit ihrer School of Educationist <strong>die</strong> TUM also sowohl ein strukturellerals auch ein inhaltlicher Pionier,der bereits Nachahmer an einigen Hochschulstandortenin Deutschland und Österreichgefunden hat.Über das, was im Projekt besonders gut gelungenist:Konrad Krainer: Die beharrliche Unterstützungseitens der Hochschulleitungwährend des gesamten Prozesseswar vorbildlich. Darüber hinaus fällt esschwer, eines der Teilprojekte hervorzuheben.Aus unserer Sicht haben sich alleengagiert eingebracht, zunächst eherautonom, später entwickelten sich dannauch kontinuierlich Vernetzungen.Reinhold Nickolaus: Ein gutes Beispiel<strong>für</strong> <strong>die</strong> unterschiedlichen Ebenen, aufdenen das Projekt gewirkt hat, sind vielleicht<strong>die</strong> Schülerlabore, also das TUMlabim Deutschen Museum und <strong>die</strong> Science-Labs: Einerseits lernen hier ja Schülerdas Experimentieren, unterstützt von begeistertenStu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> – nur wenigälter als sie selbst – eine besondere Artvon „role model“ darstellen. Andererseitslernen aber auch <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, indemsie <strong>die</strong> Experimente fachlich und didaktischvorbereiten, während der Versuchemit der Lehrerrolle „experimentieren“und anschließend ihr Unterrichtshandelnund das Handeln der Schüler kritisch reflektieren.Und drittens stellen <strong>die</strong> Laboreauch <strong>für</strong> <strong>die</strong> TUM School of Educationselbst ein spezifisches Experiment dar:Indem Fachwissenschaftler und Fachdidaktikerdort gemeinsam <strong>Konzepte</strong> und126 TU MünchenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseMaterialien entwickeln, erfolgt eine Vernetzungbeider Bereiche, und es fließenletztlich auch aktuelle fachwissenschaftlicheErkenntnisse in <strong>die</strong> <strong>Lehrerausbildung</strong>und in den Schulunterricht ein.Konrad Krainer: Als Beispiel guter Praxishinzufügen möchte ich noch das neueAufnahmeverfahren der TUM School ofEducation. Damit leistet sich <strong>die</strong> Fakultäteinen ressourcenaufwendigen Luxus –obgleich ja fast alle Bewerber am Endeeinen Stu<strong>die</strong>nplatz erhalten. Gerade darinsehe ich aber <strong>die</strong> Stärke: Man nimmtsich gleich zu Beginn Zeit <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden,hört sie an, baut auf ihre Selbstreflexionund entwickelt auf <strong>die</strong>ser Basiseine kontinuierliche Reflexionsketteüber den gesamten Stu<strong>die</strong>nverlauf hinweg.Der Name Assessment and AdmissionCenter erscheint mir daher auchals zu technisch und nur auf <strong>die</strong> Zulassungbezogen. Wie wäre es stattdessenmit Continuous Professional ReflectionCenter?Über <strong>die</strong> Lehren aus dem Projekt:Reinhold Nickolaus: Am ehesten würdeich hier <strong>die</strong> noch suboptimale Vernetzungder einzelnen Teilprojekte nennen;sie gilt es in Zukunft weiter zu verbessern.Was mir zudem fehlt, sind Aussagen über<strong>die</strong> Wirkungen der Teilprojekte auf <strong>die</strong>Betroffenen, insbesondere <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden,aber auch auf <strong>die</strong> kooperierendenSchulen, Lehrkräfte etc. Überhaupt fändeich es interessant, wenn <strong>die</strong> TUM Schoolof Education ihre Schulkontakte künftignoch stärker wissenschaftlich nutzenund eine Art „Schulnetzwerkforschung“betreiben würde. In der Förderung solcherNetzwerke hat <strong>die</strong> Universität ja einelange Tradition. Dabei könnten verschiedeneFragen im Blickpunkt stehen:Wie und was lernen Schulen im Netzwerkvoneinander und von der betreuendenHochschule? Wie und was lernt <strong>die</strong>Hochschule? Wie einfach oder schwierigist es, Erkenntnisse von der Netzwerkebeneauf <strong>die</strong> Schul- und Unterrichtsebenezu transferieren und umgekehrt?Über <strong>die</strong> wichtigste Erkenntnis aus demProjekt:Konrad Krainer: Die Einführung der Lehrerbildungs-Fakultätan der TUM hat relativschnell Nachahmer gefunden. Siewar offensichtlich der richtige Impulszur richtigen Zeit. Das hat sich auch darangezeigt, wie viele Universitäten undHochschulen sich um eine Förderungdurch <strong>die</strong> <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> bemüht haben.Uns Paten verdeutlicht <strong>die</strong>s, dassselbst bei so autonom denkenden undsich über Jahrzehnte oft nur langsamentwickelnden Institutionen durch externeAnreize starke Veränderungsdynamikenentstehen können.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> TU München 127


Die Evaluation.128 xxx Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>xxx 129


Wirkung erzielt.Die übergreifende Evaluation der vier Hochschulprojekte.Greifen <strong>die</strong> Reformmaßnahmen an den geförderten Hochschulen? Ist es durch <strong>die</strong> Exzellenzinitiativeder <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> vielleicht sogar gelungen, den Stellenwert der<strong>MINT</strong>-Lehrerbildung insgesamt in Deutschland zu verbessern? Um <strong>die</strong>se und weitereFragen beantworten zu können, hat <strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> eine externe Evaluation ihres Leuchtturmprojektesin Auftrag gegeben. Erste Ergebnisse liegen bereits vor – und stimmenoptimistisch.Wer einen Entwicklungsprozess auf sichnimmt und vier Jahre lang ein hohes Maßan Zeit und Geld in das Gelingen investiert,der will am Ende auch wissen, ob sich <strong>die</strong>Mühen gelohnt haben und <strong>die</strong> implementiertenMaßnahmen greifen. Die vier Universitäten,<strong>die</strong> im Sommer 2009 siegreichaus dem Hochschulwettbewerb zur <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung der Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong>hervorgegangen waren, haben <strong>die</strong>Umsetzung ihrer Projekte deshalb fortlaufendevaluiert. Mit ganz überwiegend positivenErgebnissen, <strong>die</strong> zum Teil bereits inwissenschaftliche Veröffentlichungen undPromotionsarbeiten eingegangen sind. Esscheint, als hätten <strong>die</strong> geförderten Universitätenin der Projektlaufzeit tatsächlich vielesvon dem erreicht, was sie sich anfänglichvorgenommen hatten.Über <strong>die</strong> hochschulinternen Evaluationsmaßnahmenhinaus war der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>jedoch auch an einer standortübergreifendenBewertung gelegen, um denErfolg ihres Exzellenzwettbewerbs zu ermitteln.Insbesondere wollte man <strong>die</strong> strukturellenWirkungen ins Auge fassen, <strong>die</strong>das Programm entfaltet hatte. Immerhinverfolgte <strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> mit dem Wettbewerbja nicht nur das Ziel, <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nbedingungenund -inhalte <strong>für</strong> <strong>MINT</strong>-Lehramtskandidatenin Berlin, Dortmund und Münchenzu optimieren. Beinahe noch wichtiger wares ihr, den Stellenwert der (<strong>MINT</strong>-)Lehrerbildunginsgesamt zu verbessern, <strong>die</strong> bis dahinquasi ein Schattendasein an den deutschenHochschulen gefristet hatte. „Dortherrschte ganz klar das Paradigma der Forschungsexzellenzvor. Wer sich als Lehrerbildnerbekannte, musste damit rechnen,von den Kollegen aus dem Fach nicht wirklichernst genommen zu werden“, berichtetDr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der<strong>Stiftung</strong>. „Unser Programm sollte dazu beitragen,genau <strong>die</strong>se Einstellung zu überwinden.“Den Stellenwert der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildunginsgesamt verbessernMit der Evaluationsstu<strong>die</strong> beauftragt wurdedas Institut <strong>für</strong> Bildungsforschung (IfB) derBergischen Universität Wuppertal unter derLeitung von Professorin Cornelia Gräsel.Die renommierte Erziehungswissenschaft-130 Die EvaluationDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulselerin hatte zuvor als Mitglied der Expertenkommissionbereits über <strong>die</strong> Vergabeder Fördergelder an <strong>die</strong> Hochschulen mitentschieden.Nun sollte sie untersuchen,ob das Programm tatsächlich dazu geeignetwar, bestehende Strukturen dauerhaftzu verändern. Auf der Theorie-Ebene gingGräsel dabei von der Annahme aus, dass<strong>die</strong> erfolgreiche Implementation einer Maßnahmestets mehrdimensional ist: Erstenskann sie über <strong>die</strong> Verbreitung erfasst werden,also über <strong>die</strong> Anzahl der Personen, <strong>die</strong>von der <strong>Neue</strong>rung betroffen sind. Zweitensspielt <strong>die</strong> Tiefe eine Rolle, sprich: <strong>die</strong> Frage,inwiefern Normen, Prinzipien und Überzeugungenvon den Personen verstanden undverinnerlicht wurden. Die dritte Dimensionschließlich ist <strong>die</strong> Verantwortungsübernahme,das heißt: <strong>die</strong> Überführung der Innovationin <strong>die</strong> Regelstrukturen. Im Rahmen ihrerEvaluationsstu<strong>die</strong> beabsichtigte Gräsel, jede<strong>die</strong>ser drei Dimensionen zu messen. Dabeientschied sie sich <strong>für</strong> ein mehrstufigesVorgehen mit insgesamt vier Teilstu<strong>die</strong>n:1. einer Online-Befragung (zwei Messzeitpunkte)unter den Mitarbeitern dervier Projektuniversitäten, um herauszufinden,wie <strong>die</strong>se <strong>die</strong> (<strong>MINT</strong>-)Lehrerbildungund das von der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>geförderte Projekt wahrnehmen und bewerten;Abb. 1: Wahrnehmung und Bewertung der Lehrerbildung.(1. Messzeitpunkt)InformiertheitN=71 3,31N=293,05InteresseN=72N=292,932,76Anforderungen StudiumN=71N=291,841,850 1 2 34ProjektuniversitätenVergleichsuniversitätenDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong> Die Evaluation 131


2. einer Interviewstu<strong>die</strong> mit den jeweiligenProjektleitungen sowie mit Vertreternder Hochschulleitung, um zu erfragen,wie <strong>die</strong>se <strong>die</strong> Wirkung ihrer Projekte einschätzenund <strong>die</strong> Nachhaltigkeit der erfolgtenMaßnahmen sichern wollen;3. der Analyse von Stu<strong>die</strong>rendenstatistikender vier Hochschulen mit dem Ziel,festzustellen, wie sich seit Beginn derProjekte <strong>die</strong> Einschreibezahlen und Abbruchquotenin den <strong>MINT</strong>-Lehramtsstu<strong>die</strong>ngängenim Vergleich zu anderenUniversitäten entwickelt haben; sowie4. der Analyse der medialen Berichterstattungüber <strong>die</strong> vier Projekte.Da zum Zeitpunkt der Drucklegung <strong>die</strong>serDokumentation noch nicht alle Teilstu<strong>die</strong>nvollständig durchgeführt bzw. ausgewertetwaren, beschränkt sich <strong>die</strong> Zusammenfassungder Ergebnisse im Folgenden auf<strong>die</strong> Online-Befragung und <strong>die</strong> Interviewstu<strong>die</strong>und selbst hier nur auf Zwischenergebnisseund Tendenzen. Die endgültigen Evaluationsberichtewerden voraussichtlich imSommer 2014 vorliegen.Design der Online-BefragungBei der Konzeption der Online-Befragungstanden Cornelia Gräsel und ihre Kollegenvom IfB vor methodischen Herausfor-Abb. 2: Wahrnehmung und Bewertung der <strong>MINT</strong>-Lehrerbildung.(1. Messzeitpunkt)InformiertheitN=71N=262,703,22InteresseN=64N=252,933,36Anforderungen StudiumN=70N=261,671,65Projektuniversitäten0 1 2 34Vergleichsuniversitäten132 Die EvaluationDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung Impulsederungen. So hatte <strong>die</strong> <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>eine externe Evaluation ihres Förderprogrammszwar von Beginn an eingeplant.Diese konnte jedoch erst in Kenntnis derAusgestaltung der vier Entwicklungsprojektekonkret designt werden, was zu einerzeitlichen Differenz zwischen dem Beginnder Projekte und der Aufnahme der Evaluationführte. Ein „sauberes“ Design mitPrä- und Post-Testung, das kausale Aussagenerlaubt hätte (zum Beispiel: „Die Lehrerbildungwird höher angesehen, weil esdas Projekt gibt.“), war demnach nicht realisierbar.Nichtsdestotrotz entschied mansich <strong>für</strong> zwei Befragungszeitpunkte – denersten im Sommersemester 2012, denzweiten im Sommersemester 2013 –, umletztlich zumindest <strong>die</strong> Entwicklung überein Jahr betrachten zu können. Befragtwurden dabei jeweils <strong>die</strong> Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler, <strong>die</strong> unmittelbarin den vier Entwicklungsprojekten mitarbeiteten.Um einen Vergleichsmaßstab zu haben,identifizierte Cornelia Gräsel darüber hinausvier Hochschulen, <strong>die</strong> den Projektuniversitätenhinsichtlich verschiedenerKriterien (unter anderem Anzahl der Stu<strong>die</strong>rendenund Lehramtsstu<strong>die</strong>renden, angeboteneLehrämter, Hochschultyp, Hochschullage,Hochschulalter) ähneln. Ausgewähltwurden <strong>die</strong> Universität Frankfurt (als„Gegenstück“ zur FU Berlin), <strong>die</strong> UniversitätJena (HU Berlin), <strong>die</strong> Universität Paderborn(TU Dortmund) sowie <strong>die</strong> RWTH Aachen(TU München) 1 . Für <strong>die</strong> Befragungermittelte das IfB an den Vergleichsuniversitätensogenannte Spiegelpersonen, <strong>die</strong>im gleichen Fachbereich bzw. der gleichenFakultät arbeiten und dort <strong>die</strong> gleiche odereine ähnliche Tätigkeit ausüben wie <strong>die</strong> Befragtenan den Projektuniversitäten. Die Beteiligungsquoteder ersten Befragung imSommersemester 2012, deren Ergebnissebereits vollständig ausgewertet sind, lag anden Projektuniversitäten bei knapp 60 Prozent,an den Vergleichshochschulen beigut 32 Prozent.Zwischenresultate der Online-BefragungZiel der Befragung war es, herauszufinden,wie <strong>die</strong> Teilnehmer <strong>die</strong> Lehrerbildungim Allgemeinen sowie <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungim Speziellen wahrnehmen und bewerten.Zur Erfassung wurden verschiedeneSkalen mit jeweils mehreren Items entwickelt.Diese messen <strong>die</strong> Informiertheitüber <strong>die</strong> (<strong>MINT</strong>-)Lehrerbildung, das Interessean ihr sowie <strong>die</strong> Einschätzung zu den1 Um <strong>die</strong> Zahl der Befragungsteilnehmer seitens der Vergleichsuniversitäten zu erhöhen, wurden <strong>für</strong> den zweitenMesszeitpunkt vier weitere Hochschulen in <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> aufgenommen: <strong>die</strong> Universitäten Leipzig und Würzburg sowie <strong>die</strong>Technischen Universitäten Braunschweig und Darmstadt.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Die Evaluation 133


Tabelle 1: Informiertheit über das <strong>MINT</strong>-Projekt.(1. Messzeitpunkt)Informiertheitsehr schlechtschlechtgutsehr gutgesamtHäufigkeit25174670Prozent3,07,024,365,7100 %Tabelle 2: Zufriedenheit mit dem <strong>MINT</strong>-Projekt.(1. Messzeitpunkt)SkalaZufriedenheitItemsIch bin mit …… dem Entwicklungsprozess des <strong>MINT</strong>-Projektesan meiner Hochschule zufrieden.… der Umsetzung des <strong>MINT</strong>-Projektesan meiner Hochschule zufrieden.… der Kooperation mit universitätsinternenPartnern (andere Fachbereiche/Fakultäten)an meiner Hochschule zufrieden.… der Zusammenarbeit mit universitätsfremdenPartnern (z.B. Schulen) an meiner Hochschule zufrieden.Antwortformat: 1=trifft gar nicht zu; 4=trifft völlig zuReliabilität.85MW3.193.293.243.133.17SD.58.66.64.81.75N63Anforderungen des Lehramtsstudiums imVergleich zu anderen Stu<strong>die</strong>ngängen.Die deskriptiven Ergebnisse <strong>für</strong> den erstenMesszeitpunkt (vgl. <strong>die</strong> Abbildungen 1 und2) zeigen, dass <strong>die</strong> Werte der Projektuniversitäteninsgesamt positiver ausfallen als <strong>die</strong>der Vergleichshochschulen. Erstere fühlensich gerade über <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungsignifikant besser informiert und haben zudemsignifikant mehr Interesse an ihr als <strong>die</strong>Vergleichsuniversitäten. Die Schwierigkeitdes Lehramts- und <strong>MINT</strong>-Lehramtsstudiumsschätzen beide Befragtengruppen allerdingsin etwa gleich ein, wobei <strong>die</strong> geringeAusprägung der Variablen bedeutet, dassdas Studium als schwer empfunden wird.Nach jetzigem Stand der Datenauswertungzeichnet sich <strong>für</strong> den zweiten Messzeitpunkteine Bestätigung <strong>die</strong>ser Ergebnisseab. Lediglich der Schwierigkeitsgraddes Lehramts- und insbesondere des<strong>MINT</strong>-Lehramtsstudiums wird nun von denProjektuniversitäten höher eingeschätzt alsvon den Vergleichshochschulen.Weiterhin sollte <strong>die</strong> Online-Stu<strong>die</strong> Aufschlussdarüber geben, wie gut sich <strong>die</strong>Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerüber ihr jeweiliges von der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>gefördertes Entwicklungsprojekt informiertfühlen, und wie zufrieden sie mitihm sind. Befragt wurden hier natürlichausschließlich <strong>die</strong> Projekt- und nicht <strong>die</strong>134 Die EvaluationDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseVergleichsuniversitäten. Dabei kamen dasEinzel-Item „Informiertheit“ sowie <strong>die</strong> Skala„Zufriedenheit“ zum Einsatz, <strong>die</strong> sowohlden Entwicklungsprozess und <strong>die</strong> Umsetzungdes Projektes als auch <strong>die</strong> Kooperationmit universitätsinternen Partnern (zumBeispiel anderen Fachbereichen und Fakultäten)und universitätsfremden Partnern(zum Beispiel Schulen und Stu<strong>die</strong>nseminaren)umfasst. Die Tabellen 1 und 2 gebeneinen Überblick über <strong>die</strong> statistischenKennwerte der Items.Demnach gibt der überwiegende Anteilder Teilnehmer (90 Prozent) an, sich gutbzw. sehr gut über das Projekt an der eigenenHochschule informiert zu fühlen. DieZufriedenheit mit dem jeweiligen Projektist insgesamt als positiv zu interpretieren.Dabei zeigen <strong>die</strong> deskriptiven Ergebnisseauf der Ebene der Einzel-Items, dass <strong>die</strong>Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlermit dem Entwicklungsprozess und derProjekt umsetzung an ihrer Universität zufriedenersind als mit der Kooperation mithochschulinternen und -externen Partnern.Die bisherige Auswertung der Daten deszweiten Messzeitpunktes bestätigt <strong>die</strong>seTrends.Schließlich wollte man mit der Befragungherausfinden, wie <strong>die</strong> Projektbeteiligtenan den vier Universitäten <strong>die</strong> Projektergebnisse einschätzen hinsichtlich ihrerAbb. 3: Vergleich der eingeschätzten Ergebnisdimensionendurch das <strong>MINT</strong>-Projekt.Stu<strong>die</strong>rende(SD=.51), sigHochschulen inDeutschland (SD=.63), n.s.eigene Hochschule(SD=.52), sig.2,983,113,14N=610 1 2 34Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Die Evaluation 135


Auswirkungen auf (1) <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, (2)<strong>die</strong> Hochschulen in Deutschland und (3) ihreeigene Hochschule. Jede der drei Skalenumfasste mehrere Items.Abbildung 3 zeigt den Vergleich der dreiErgebnisdimensionen nach Auswertungder Daten des ersten Messzeitpunktes.Demnach schätzen <strong>die</strong> Befragten <strong>die</strong>Effekte <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden signifikanthöher ein als <strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschullandschaftinsgesamt. Auch <strong>die</strong> Effekte <strong>für</strong> <strong>die</strong> eigeneUniversität werden positiver bewertet als<strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschulen deutschlandweit.Beide Befunde zeigen sich auch in denDaten der zweiten Erhebung im Sommersemester2013. In beiden Erhebungen erreichtendabei <strong>die</strong> folgenden drei Items<strong>die</strong> höchsten Mittelwerte: „Das <strong>MINT</strong>-Projektträgt an unserer Hochschule dazu bei,dass … 1. <strong>die</strong> zukünftigen <strong>MINT</strong>-Lehrkräftebesser ausgebildet werden; 2. <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenihr erworbenes Wissen der Fachwissenschaftenund Fachdidaktiken stärkermiteinander verknüpfen und anwendenkönnen; 3. <strong>die</strong> Professionalisierung künftigerLehrkräfte steigt.“Zwischenergebnisse der Interviewstu<strong>die</strong>Zusätzlich zur Online-Befragung der Projektbeteiligtensah <strong>die</strong> Evaluationsstu<strong>die</strong> auchleitfadengestützte Interviews mit den jeweiligenProjektleitungen der Universitäten sowiemit Vertretern der Universitätsleitungenvor. In <strong>die</strong>sen wollten Cornelia Gräsel undihr Team insbesondere <strong>die</strong> „Verantwortungsübernahme“erfassen (siehe oben), alsoerfragen, ob es beabsichtigt oder bereitsgelungen ist, <strong>die</strong> Innovationsmaßnahmenaus den Projekten an den Hochschulen zuverstetigen. Außerdem sollten <strong>die</strong> InterviewsAufschluss darüber geben, inwiefern <strong>die</strong>jeweiligen Landesregierungen Einfluss auf<strong>die</strong> Projektentwicklung genommen haben.Zum Zeitpunkt der Drucklegung <strong>die</strong>serDokumentation waren bereits Interviewsmit den Projektleitungen der TechnischenUniversität Dortmund, der Freien UniversitätBerlin und der Humboldt-Universität zuBerlin geführt worden. Eine abschließendeAuswertung der qualitativen Daten stehtnoch aus. Folgende Tendenzen zeichnensich jedoch bereits ab:Die Projektleitungen sind mit der Entwicklungund dem Verlauf ihres jeweiligenProjektes insgesamt zufrieden.Sie bewerten <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit ihrerHochschulleitung sowie ihrer Landesregierungbzw. ihrem Senat positiv undfühlen sich unterstützt.Sie schätzen <strong>die</strong> Vernetzung und Zusammenarbeitmit anderen Fachbereichenund Fakultäten an ihrer Universität als positivund bereichernd ein.Alle Projektuniversitäten entwickeln Modelle,um <strong>die</strong> in ihren Projekten gebildetenStrukturen über <strong>die</strong> Projektlaufzeit hinauszu verstetigen, oder setzen <strong>die</strong>se bereitsum.136 Die EvaluationDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseDie Projekte entfalten ihre Wirkung besondersdort, wo bereits auf bestehendeStrukturen und Kontakte zurückgegriffenwerden kann (etwa bei der Kooperationmit Schulen und Stu<strong>die</strong>nseminaren).Diskussion und AusblickNach jetzigem Auswertungsstand derGräsel’schen Evaluationsstu<strong>die</strong> steht bereitsfest, dass das Förderprogramm der<strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> einige sehr positive Effekteerzielt hat. So beurteilen <strong>die</strong> Befragtender Projektuniversitäten <strong>die</strong> (<strong>MINT</strong>-)Lehrerbildung insgesamt positiver als jeneder Vergleichshochschulen. Zudem zeigensie sich mit ihren jeweiligen Projekten zufriedenund vermuten positive Effekte insbesondere<strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden und <strong>die</strong>eigene Hochschule. Andere Hochschulenprofitieren in der Wahrnehmung der Stu<strong>die</strong>nteilnehmerzum Zeitpunkt der Befragunghingegen noch wenig vom Erreichten. Darausließe sich <strong>die</strong> Aufgabe ableiten, <strong>die</strong>Projektergebnisse in Zukunft verstärkt zukommunizieren (etwa durch eigene Publikationenoder Artikel in wissenschaftlichenZeitschriften) und so der Landschaft breiterzugänglich zu machen. Positiv ist darüberhinaus zu bewerten, dass alle vier Projekthochschulendarauf bedacht sind, <strong>die</strong>Nachhaltigkeit der erfolgten Maßnahmenzu sichern.Förderprogramms im Hinblick auf <strong>die</strong> dreiWirkungsdimensionen Tiefe, Breite undVerantwortungsübernahme treffen zu können,gilt es, den Abschluss aller vier Teilstu<strong>die</strong>nabzuwarten. Neben den quantitativenDaten der zweiten Online-Befragung undden qualitativen Interviews werden zurzeit<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenstatistiken der Jahre 2007bis 2013 sowie <strong>die</strong> Pressemeldungen über<strong>die</strong> vier Projekte ausgewertet. Die endgültigenErgebnisse werden voraussichtlich imSommer 2014 vorliegen.Um Aussagen bezüglich der mittel- und längerfristigenstrukturellen Wirkungen desDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Die Evaluation 137


Die inhaltliche EvaluationKleinster gemeinsamer NennerDie inhaltliche Evaluation des Förderprogrammsbrachte weniger aussagekräftige Ergebnisse alserhofft.Wunsch der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong> war es, nicht nur <strong>die</strong>strukturelle, sondern auch <strong>die</strong> inhaltliche Wirkungihres Förderprogramms zur <strong>MINT</strong>-Lehrerbildungstandortübergreifend untersuchen zu lassen. Konkretging es um <strong>die</strong> Frage, inwieweit <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rendenan den vier Universitäten tatsächlich von denReformmaßnahmen profitieren, sprich: ob sich ihreberufsbezogenen Kompetenzen – also ihr fachliches,fachdidaktisches und pädagogisches Wissen,außerdem ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungals angehende Lehrkräfte sowie ihre lerntheoretischenÜberzeugungen – im Laufe des jeweiligenProjektes positiv entwickeln würden. So weit<strong>die</strong> Theorie. In der Praxis erwies sich eine universitätsübergreifendeinhaltliche Evaluation jedochals nur bedingt realisierbar. Schließlich sollten hiervier Entwicklungsprojekte miteinander verglichenwerden, <strong>die</strong> wegen ihres unterschiedlichen Fokusund wegen des in Berlin, Nordrhein-Westfalen undBayern unterschiedlich ausgestalteten Lehramtsstudiumsper se nicht vergleichbar waren. Nachintensiven Diskussionen mit den Universitäten kamman schließlich überein, lediglich <strong>die</strong> Selbstwirksamkeits-sowie <strong>die</strong> lerntheoretischen Überzeugungender Stu<strong>die</strong>renden abzufragen. „Das warsozusagen der kleinste gemeinsame Nenner, aufden sich alle einigen konnten“, berichtet ThomasSchmitt, Projektleiter bei der <strong>Telekom</strong>-<strong>Stiftung</strong>.Mit der Konzeption und Durchführung der Stu<strong>die</strong>wurde das Institut <strong>für</strong> Schulentwicklungsforschung(IFS) der Technischen Universität Dortmund unterder Leitung von Professor Wilfried Bos betraut.Selbstwirksamkeits- und lerntheoretischeÜberzeugungenDie Selbstwirksamkeitsüberzeugung bezeichnet<strong>die</strong> selbstbezogene kognitive Überzeugung einesMenschen hinsichtlich seiner eigenen Fähigkeiten,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Auswahl und erfolgreiche Durchführung zukünftigerAufgaben und Handlungen beeinflusst.Man unterscheidet zwischen allgemeiner Selbstwirksamkeitsüberzeugung(erhoben etwa durchFragebogen-Items wie „Wenn sich Widerständeauftun, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen.“)und fachbezogener Selbstwirksamkeitsüberzeugung(zum Beispiel: „Ich bin überzeugt,dass ich auch <strong>die</strong> schwierigen Mathematikaufgabenlösen kann, wenn ich mich anstrenge.“). EmpirischeStu<strong>die</strong>n haben positive Zusammenhängezwischen der Selbstwirksamkeitsüberzeugung vonLehrenden und den Leistungen ihrer Schülerinnenund Schüler festgestellt. Deshalb gilt sie in derBildungsforschung als wichtiger Gradmesser, umErfolg und Zufriedenheit angehender Lehrkräfte inihrem Beruf vorauszusagen.Lerntheoretische Überzeugungen sind <strong>die</strong> Vorstellungeines Menschen darüber, wie Kinder undJugendliche lernen. Man unterscheidet zwischenkonstruktivistischen und transmissiven Überzeugungen.Die transmissive Vorstellung geht davonaus, dass der Schüler eine genaue Anleitung derLehrperson benötigt, um Lernstoff zu verinnerlichen(Beispiel-Item im Fragebogen: „Schüler könnenmathematische Zusammenhänge in der Regelnicht selbst erkennen.“). Demgegenüber betont <strong>die</strong>konstruktivistische Überzeugung <strong>die</strong> Selbstlernkompetenzender Schüler (Beispiel-Item: „Schülerlernen Mathematik am besten, indem sie selbstWege zur Lösung von Problemen entdecken.“).138 Die EvaluationDeutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>


Frühe Bildung Unterricht & mehr Lehrerbildung Talentförderung ImpulseErgebnisse der Stu<strong>die</strong>Das IFS befragte im Sommer 2011 insgesamt 154Stu<strong>die</strong>rende an den Projektuniversitäten zu ihrerallgemeinen und fachbezogenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungsowie zu ihren lerntheoretischenÜberzeugungen. Die Stu<strong>die</strong>renden unterschiedensich je nach Hochschule hinsichtlich ihresdurchschnittlichen Alters, des Lehramtes, <strong>für</strong> dassie ausgebildet werden, sowie ihres Stu<strong>die</strong>nfortschritts.Im Folgenden <strong>die</strong> wichtigsten Ergebnisseim Überblick: Die allgemeine Selbstwirksamkeitsüberzeugungder Stu<strong>die</strong>renden ist relativ hoch ausgeprägt (Mittelwert2,96; Standardabweichung 0,34; vierstufigesAntwortformat). Signifikante Unterschiedezwischen den Universitäten gibt es nicht. Auch <strong>die</strong> fachbezogene Selbstwirksamkeitsüberzeugung– getestet wurde der Mathematikbezug– erbrachte recht hohe Werte (Mittelwert2,87; Standardabweichung 0,41). Erneut sindkeine bedeutsamen Differenzen zwischen denHochschulen zu erkennen. Die konstruktivistischen lerntheoretischen Überzeugungensind bei den Stu<strong>die</strong>renden wesentlichstärker ausgeprägt (Mittelwert 3,46; Standardabweichung0,49) als <strong>die</strong> transmissiven (Mittelwert1,99; Standardabweichung 0,53). Dabei zeigensich <strong>die</strong> höchsten konstruktivistischen und <strong>die</strong>niedrigsten transmissiven Werte bei den Hochschulen,deren Stu<strong>die</strong>rende zum Zeitpunkt derBefragung am weitesten im Stu<strong>die</strong>nverlauf fortgeschrittenwaren.DiskussionDie Ergebnisse lassen erkennen, dass sich <strong>die</strong>Stu<strong>die</strong>renden an den beteiligten Hochschulen inihren Kompetenzüberzeugungen nicht unterscheiden.Die hohen Werte deuten darauf hin, dass sieder Auffassung sind, mit Problemen und Schwierigkeitengenerell gut umgehen und auch imspäteren beruflichen Alltag als Lehrkräfte Hindernisseund Komplikationen bewältigen zu können.Ihre lerntheoretischen Überzeugungen sind eherkonstruktivistisch; das bedeutet, sie ten<strong>die</strong>ren zueinem Lehrverständnis, nach dem Schülern Wegeund Möglichkeiten des eigenständigen Lernensvermittelt werden sollen. Die Tatsache, dass <strong>die</strong>am weitesten fortgeschrittenen Stu<strong>die</strong>renden auch<strong>die</strong> höchsten konstruktivistischen Werte aufweisen,legt <strong>die</strong> Vermutung nahe, dass <strong>die</strong>se in ihrem Studiumbereits fachdidaktische Lehrveranstaltungenbesucht haben.Aussagen über <strong>die</strong> Qualität der Lehrerbildung amjeweiligen Standort oder <strong>die</strong> Wirkung des jeweiligenFörderprojektes lassen <strong>die</strong> Ergebnisse derBos-Stu<strong>die</strong> letztlich jedoch nicht zu. Einerseits, weilnach Absprache mit den Hochschulen lediglich eineQuerschnittbefragung zu einem Messzeitpunktohne jegliche Kontrollgruppe erfolgte. Andererseits,weil mit den Selbstwirksamkeits- und lerntheoretischenÜberzeugungen nur ein Ausschnitt ausden gängigen Modellen der professionellen Handlungskompetenzvon Lehrenden erfasst wurde.Deutsche <strong>Telekom</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Konzepte</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>MINT</strong>-<strong>Lehrerausbildung</strong>Die Evaluation 139


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