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oder lieber doch elektronische Musik in München?

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12 Report<br />

Elektronische Instrumente im Film<br />

FOLGE 1: PERFORMANCE (GB, 1968)<br />

Unnatürlich, denaturiert, technisch, unmenschlich 1 - mit diesen Attributen wurden noch bis <strong>in</strong> die 70er Jahre des vergangenen<br />

Jahrhunderts jene Klänge beschrieben, die mittels <strong>elektronische</strong>r Gerätschaften und Instrumente erzeugt<br />

wurden. Neue Erkenntnisse über den Aufbau und die künstliche Rekonstruktion e<strong>in</strong>es Blas<strong>in</strong>strumenten- <strong>oder</strong> Klaviertones<br />

2 durch Frequenz- und Hüllkurvengeneratoren wurden zwar mit Interesse aufgenommen, darauf basierende Werke<br />

<strong>in</strong> der Neuen <strong>Musik</strong> stießen <strong>in</strong> konservativen Kreisen je<strong>doch</strong> vielfach auf Ablehnung. Komponisten, die es wagten,<br />

“den Naturklang durch Denaturierung abzutöten” 3 und mit Hilfe von (Physik-)Labortechnik die Elementarteilchen der<br />

akustischen Welt, die S<strong>in</strong>ustöne, zu isolieren und mit ihnen neue künstliche Klangkörper zusammenzusetzen, wurden<br />

angegriffen wie e<strong>in</strong> sich an der natürlichen Schöpfung vergreifender Dr. Frankenste<strong>in</strong>. Ironischerweise lernte das<br />

Massenpublikum die neuen <strong>elektronische</strong>n Klänge tatsächlich oft erst als begleitende <strong>oder</strong> illustrierende <strong>Musik</strong> von<br />

Horror- <strong>oder</strong> Science-Fiction-Filmen kennen. Vor der später e<strong>in</strong>setzenden massenhaften Produktion und Verbreitung billiger<br />

<strong>elektronische</strong>r Instrumente aus Fernost war die ungewohnte synthetische <strong>Musik</strong> aus der Steckdose gut für alles, was<br />

im Film unheimlich und fremd wirken sollte.<br />

Unheimlich, fremd und unnatürlich war für<br />

die Verantwortlichen von Warner Brothers<br />

auch das, was Donald Cammell und Nicolas<br />

Roeg als Regisseure nach Beendigung<br />

der Dreharbeiten des Films “Performance”<br />

zur ersten Sichtung präsentierten.<br />

Der heute längst zum kultigen Klassiker<br />

avancierte Streifen kam erst 1970 <strong>in</strong><br />

die K<strong>in</strong>os, zwei Jahre nach Fertigstellung<br />

und nach massiven Zensurmaßnahmen.<br />

Schauspieler James Fox stieg nach<br />

“Performance” für neun Jahre aus dem<br />

Film-Bus<strong>in</strong>ess aus um sich erst der halluz<strong>in</strong>ogenen<br />

Droge DMT und dann e<strong>in</strong>er<br />

evangelistischen Glaubensgeme<strong>in</strong>schaft<br />

zu widmen. Um den Film bildeten sich Legenden,<br />

so z.B. um die <strong>in</strong> Vergessenheit<br />

ge-ratene charismatische Michèle Breton,<br />

um den Verbleib herausgeschnittener<br />

Szenen, um den späteren Freitod Cammells<br />

(der auch das Drehbuch schrieb) und<br />

- um den modularen Moog-Synthesizer,<br />

der im Film e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Nebenrolle spielt,<br />

und der wie e<strong>in</strong> dreiflügeliger Altar im Set<br />

aufgebaut ist, vor dem Mick Jagger posiert<br />

wie e<strong>in</strong> an se<strong>in</strong>em Glauben Zweifelnder.<br />

Mick Jagger <strong>in</strong> “Performance”, vor dem Moog sitzend (Foto: Archiv)<br />

Von der Odyssee dieses Synthesizers handelt<br />

diese Story und davon, wie er nach<br />

Berl<strong>in</strong> kam.<br />

In “Performance” wird e<strong>in</strong>e Geschichte<br />

erzählt, deren Anfang sich noch leicht<br />

nachvollziehbar beschreiben lässt: Der<br />

Gangster Chas (James Fox) soll im Auftrag<br />

se<strong>in</strong>er Bosse e<strong>in</strong>en früheren Partner, der<br />

aus dem Geschäft aussteigen will, zur<br />

Umkehr bewegen. Es kommt zu e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>andersetzung,<br />

bei der Chas den ehemalige<br />

Freund erschießt und damit e<strong>in</strong>en<br />

Fehler begeht, der ihn zur Flucht vor den<br />

eigenen Leuten zw<strong>in</strong>gt. Beim Versuch, unterzutauchen,<br />

landet Chas <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus,<br />

<strong>in</strong> dem der e<strong>in</strong>stige Popstar Turner (Mick<br />

Jagger) mit zwei Frauen lebt, Pherber und<br />

Lucy (Anita Pallenberg und Michèle Breton).<br />

Chas, der Auftragsmörder (im Gangster-Slang<br />

“Performer”), taucht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

ihm gänzlich fremde und verhasste Welt<br />

e<strong>in</strong>, der er sich immer weniger entziehen<br />

kann. Im weiteren Verlauf verschmelzen<br />

Wahrnehmung und Traum, aber auch die<br />

Identitäten der beiden Hauptfiguren zu<br />

e<strong>in</strong>er surrealen Collage.<br />

Die <strong>Musik</strong> zum Film<br />

wurde (mit zwei Ausnahmen)<br />

alle<strong>in</strong> von Jack<br />

Nitzsche geschrieben.<br />

Als <strong>Musik</strong>er waren u.a.<br />

Ry Co<strong>oder</strong>, Randy Newman<br />

und Mick Jagger<br />

beteiligt, der “Memo<br />

From Turner” beisteuerte.<br />

Die Sounds<br />

vom Synthesizer lieferte<br />

der Moog-Spezialist<br />

Paul Beaver.<br />

“Performance” ist mehr als e<strong>in</strong>e “merkwürdige<br />

Allegorie um e<strong>in</strong>en versuchten<br />

Identitätswechsel”, wie das Rowohlt-Filmlexikon<br />

1977 schrieb, es ist e<strong>in</strong> Film, der<br />

den Zuschauer auf e<strong>in</strong>e mit suggestiven<br />

Bildern angereicherte Reise führt. E<strong>in</strong><br />

Trip, bei dem konventionelle Erzählstrukturen<br />

nach und nach aufgegeben werden<br />

und bei dem, angesichts e<strong>in</strong>es Spiels mit<br />

Realitätsfragmenten und <strong>in</strong>haltlichen und<br />

formalen Überblendungen, unklar ist, was<br />

Dichtung und Wahrheit trennt.<br />

Jene Trennl<strong>in</strong>ie war auch während der<br />

Recherche nach dem Verbleib des Moog-<br />

Modular-Synthesizers schwer zu ziehen.<br />

Der Autor dieser Story traf dabei auf zwei<br />

Persönlichkeiten, die ehemals e<strong>in</strong>e real<br />

existierende dreidimensionale Trennl<strong>in</strong>ie<br />

überw<strong>in</strong>den mussten, um sich zu begegnen:<br />

die Berl<strong>in</strong>er Mauer. Beide <strong>Musik</strong>er<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Werk und Wirken so konträr wie<br />

die Figuren, die Jagger und Fox im Film<br />

verkörpern. Es geht um Edgar Froese und<br />

Re<strong>in</strong>hard Lakomy.<br />

Der Moog Modular (Serie IIIp), der <strong>in</strong><br />

“Performance” e<strong>in</strong>ige Male kurz und auffallend<br />

zu sehen ist, besteht aus drei<br />

schwarzen Kab<strong>in</strong>ett-Kästen mit abgerundeten<br />

Kanten. Die drei Moog-Modulkästen,<br />

vor denen der Autor im Dezember 2006<br />

steht, sehen dem auf den ersten Blick<br />

sehr ähnlich. Zu Besuch im Privathaus<br />

Re<strong>in</strong>hard Lakomys am Stadtrand von<br />

Berl<strong>in</strong> stellt sich die Frage, ob man als<br />

fremder Gast soweit gehen kann, nach<br />

e<strong>in</strong>em Schraubenzieher zu verlangen, um<br />

Module herauszuschrauben und nach<br />

Seriennummern zu forschen (das System,<br />

das am 3. September 1968 an Jagger<br />

ausgeliefert wurde, hatte die Nummer<br />

1068). Lieber nicht! Herr Lakomy, der

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