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6 thEatER BREMEn Tannhäuser<br />

Drei Wochen vor seinem Tod im Februar<br />

1883 gestand Richard Wagner<br />

seiner Frau Cosima, er sei der „Welt<br />

noch den Tannhäuser schuldig“. Fast 40<br />

Jahre zuvor hatte er 1845 in einem Brief<br />

die heute so genannte „Dresdner Fassung“<br />

angekündigt: „Ich schicke Ihnen hier meinen<br />

Tannhäuser, wie er leibt und lebt; ein<br />

Deutscher, vom Kopf bis zur Zehe.“<br />

Später folgten die „Pariser Fassung“ 1861<br />

mit der hauptsächlichen Erweiterung des<br />

berühmten „Bacchanals“, deren Aufführung<br />

nach 164 Proben als einer der größten<br />

Skandale der Theatergeschichte endete,<br />

und 1875 die „Wiener Fassung“: ein Zeichen<br />

für die autobiographische Bedeutung, die<br />

das Thema in Wagners Leben einnahm,<br />

der das selbst geschriebene Textbuch aus<br />

zwei Quellen zusammentrug: Zunächst die<br />

Tannhäuser-Sage aus dem 13. Jahrhundert,<br />

wo der Minnesänger – 16 Lieder sind erhalten<br />

– das Ideal der hohen Minne verspottet.<br />

Die zweite Quelle ist die literarische Erzählung<br />

vom Sängerkrieg auf der Wartburg, an<br />

dem die berühmtesten Minnesänger des 13.<br />

Jahrhunderts wie Walter von der Vogelweide<br />

und Wolfram von Eschenbach teilgenommen<br />

haben. Darüber hinaus nutzte Wagner<br />

romantische Quellen wie Heinrich Heine,<br />

Ludwig Tieck, E.T.A.Hoffmann und Novalis,<br />

Zeugnisse seiner ungeheuren Belesenheit.<br />

Der französische Dichter Charles Baudelaire<br />

schrieb 1861 in einem Aufsatz „Ri-<br />

chard Wagner und Tannhäuser in Paris“:<br />

„Tannhäuser stellt den Kampf der zwei<br />

Prinzipien dar, die das menschliche Herz<br />

zu ihrem Hauptschlachtfeld erwählt haben,<br />

d.h. des Fleisches mit dem Geiste, der Hölle<br />

mit dem Himmel, Satans mit Gott.“<br />

Damit ist der Inhalt der 1845 entstandenen<br />

Oper „Tannhäuser oder Der Sängerkrieg auf<br />

der Wartburg“ erzählt: Tannhäuser flieht<br />

aus der spießigen Bürgerwelt in den „Hörselberg“<br />

(in Thüringen bei Eisenach), um<br />

die sinnliche Liebe der antiken Liebesgöttin<br />

Venus zu genießen. Nach einigen Jahren<br />

ihrer überdrüssig, geht er – freudig begrüßt<br />

von Elisabeth, der Nichte des Kurfürsten<br />

– zurück und nimmt am Sängerkrieg teil:<br />

„Könnt ihr der Liebe Wesen mir ergründen?“<br />

ist die Aufgabe der Landgrafen. Als Tannhäuser<br />

hören muss, wie wenig die Ritter von<br />

seinen Erfahrungen mit Venus wissen, tickt<br />

er sozusagen aus und fordert sie auf, doch<br />

„in den Berg der Venus einzuziehen“. Dass<br />

er dort war, kann ihm von der Gesellschaft<br />

nicht verziehen werden, er begibt sich auf<br />

den Pilgerzug nach Rom. Erst wenn der<br />

Papst ihm verziehen hat, wollen das die<br />

Wartburger auch. Doch der verdammt ihn,<br />

und nun will er schon aus Protest wieder<br />

in den Venusberg zurückkehren. Elisabeth<br />

stirbt, das Verdammungsurteil aus Rom wird<br />

zurückgenommen. Tannhäuser ist erlöst.<br />

Der Regisseur Götz Friedrich hat einmal<br />

gesagt, Tannhäuser sei für ihn ein Stück, das<br />

Wagners „Tannhäuser“ eröffnet die<br />

Opern-Spielzeit am Theater Bremen<br />

Text: Ute Schalz-Laurenze<br />

„Könnt Ihr der lIebe wesen<br />

mIr ergründen?“<br />

„von den widersprüchlichen Erfahrungen<br />

erzählt, die ein Künstler sammelt, der sich<br />

selbst finden will in der Widersprüchlichkeit<br />

der gesellschaftlichen und personellen<br />

Phänomene, denen er ausgesetzt ist.“ Für<br />

Peter Konwitschny ist es das „ketzerischste“<br />

Wagner-Stück: „Wenn Gott dem Papst widerspricht,<br />

heißt das, dass der Papst die Koffer<br />

packen muss. Das ist, was Wagner immer<br />

gemeint hat. Die Verhältnisse müssen<br />

grundsätzlich verändert werden.“ Vielleicht<br />

ist es das ja auch, was er mit der Bemerkung<br />

kurz vor seinem Tod meinte; sicher nicht,<br />

eine weitere, vierte Fassung herzustellen.<br />

Bei der aktuellen Inszenierung im Theater<br />

am Goetheplatz führt der 1980 geborene<br />

Tobias Kratzer Regie, der 2008 beim internationalen<br />

Regiewettbewerb „ring.award“ in<br />

Graz für seine Inszenierung von Giuseppe<br />

Verdis „Rigoletto“ den 1. Preis sowie alle<br />

im Rahmen des Wettbewerbs vergebenen<br />

Sonderpreise erhielt und uns in der vergangenen<br />

Spielzeit in Bremen einen zutiefst verstörenden<br />

„Rosenkavalier“ präsentiert hat.<br />

Danach gefragt, dass auf der einen Seite die<br />

Geschichte des Tannhäuser inbezug auf die<br />

Existenz des Künstlers – die in diesem Stück<br />

durchaus autobiographisch zu verstehen ist<br />

– eine unerhörte Zeitlosigkeit und Aktualität<br />

hat, auf der anderen Seite die Abhandlung<br />

dieser Thematik sich an einer hoffnungslos<br />

überholten Vorstellung vollzieht – nämlich<br />

der Teilung der Frau in die Prostituierte

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