05.12.2012 Aufrufe

Foyer-Kulturjournal

Foyer-Kulturjournal

Foyer-Kulturjournal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

8 thEatER BREMEn Endspiel<br />

das ende aller<br />

spIele<br />

im westdeutschen Theater der Nachkriegszeit<br />

galten sie nicht nur wegen ihrer<br />

nach Alliteration klingenden Namen<br />

als Antipoden: Brecht und Beckett.<br />

Der eine, der Sozialist Bert Brecht, glaubte<br />

an die Veränderbarkeit der Welt mittels<br />

politischem Diskurs. Sein episches Theater<br />

war Kapitalismuskritik und ästhetisches<br />

Experiment zugleich.<br />

Der andere, der schweigsame Ire Beckett,<br />

der sein Hauptwerk in Frankreich in französischer<br />

Sprache schuf, hatte dagegen alle<br />

Hoffnung längst aufgegeben. Der Zeitgenosse<br />

von Jean-Paul Sartre und Albert Camus<br />

erfand nihilistische Theaterspiele, bei<br />

denen sich alles um das große Nichts drehte.<br />

Der Stillstand, das Warten, die Vergeblichkeit<br />

aller menschlichen Bestrebungen<br />

wurde bei Beckett zum Bühnen-Programm.<br />

Poetische Chiffren für das Leben als ein einziges<br />

vergebliches Warten machten sein bekanntestes<br />

Stück „Warten auf Godot“ zum<br />

Sinnbild einer als absurd empfunden Welt.<br />

Und heute? Brecht oder Beckett – wie absurd<br />

oder wie veränderbar erscheint uns die Welt<br />

im Jahr 2011? Um diese Frage zu beantworten,<br />

wählt Regie-Altmeister Frank-Patrick<br />

Steckel nun überraschender Weise ein Stück<br />

von Beckett, das er am Bremer Schauspielhaus<br />

inszenieren wird: „Fin de Partie“, auf<br />

deutsch das „Endspiel“, welches man angesichts<br />

der hier gezeigten, ganz und gar unsportlichen<br />

Traurigkeit vielleicht besser als<br />

das „Ende aller Spiele“ übersetzen sollte.<br />

Die Stückwahl erscheint ungewöhnlich für<br />

den Regisseur Steckel, der sich in seinen<br />

bisherigen Arbeiten meist zu einem explizit<br />

politischen Theater bekannt hatte – und<br />

der von der Kritik häufig als Theatermacher<br />

in der Tradition Brechts beschrieben wird.<br />

Im Gestus des politischen Welt-Erklärers<br />

hatte Steckel auch seine letzte Bremer Inszenierung<br />

angelegt: „Rein theoretisch“<br />

hieß das eigens entwickelte Stück, das er<br />

im vergangenen Jahr mit dem Ensemble<br />

des Theaterlabors in der Concordia auf die<br />

Bühne gestemmt hatte. Eine wortmächtige<br />

Textcollage, welche die Grundübel der Welt<br />

nicht nur benennen wollte, sondern auch<br />

konkrete Vorschläge zur ökologischen und<br />

finanziellen Rettung vorbrachte. Der heute<br />

68-jährige Steckel macht es sich und seinem<br />

Publikum nie leicht oder gar bequem.<br />

Becketts „Endspiel“ (entstanden zwischen<br />

den Jahren 1954 und 1957) zeigt eine grausame<br />

Zweierbeziehung, bei der jeder Handlungsfaden<br />

in bleigrauem Stillstand erstirbt.<br />

Ein gelähmter Blinder, der Herr Hamm, quält<br />

von seinem thronartigen Rollstuhl aus seinen<br />

Diener Clov; eine Art Pfleger und Adoptivsohn<br />

zugleich. In zwei Mülltonnen hausen<br />

beinamputiert die Rümpfe seiner Eltern.<br />

Außerhalb ihres Zimmers, das nur zwei<br />

winzige, unerreichbar hohe Fenster zur<br />

Außenwelt besitzt, scheint eine ungeklärte<br />

Apokalypse stattgefunden zu haben. Von<br />

Ratten und Flöhen wird zwar noch gesprochen,<br />

allein jedoch, um sie sogleich ausrotten<br />

zu wollen. Es regiert der Verfall; das Leben<br />

ist ein einziger böser Witz. Und selbst<br />

die Todessehnsucht bildet hier keinen Ausweg<br />

mehr. Hamm: „Wenn ich mich bis ans<br />

Meer schleppen könnte, ich würde mir ein<br />

Kopfkissen aus Sand machen, und die Flut<br />

würde kommen.“ Antwort Clov: „Es gibt<br />

keine Flut mehr.“<br />

Premiere am 30. September im<br />

Neuen Schauspielhaus Bremen<br />

Frank-Patrick Steckel inszeniert das<br />

„Endspiel“ von Samuel Beckett<br />

Text: Sven Garbade<br />

stressen<br />

Es ist unser wichtigstes Organ und es<br />

reagiert sensibel: das Herz. Angst,<br />

Aufregung, Panik, Stress, sich Hals<br />

über Kopf verlieben – all das beschleunigt<br />

den Puls. 100 Schläge und mehr sind es<br />

dann in der Minute. „Herzrasen“ heißt<br />

Henrietta Horns neue Produktion. „Das<br />

ist ein offenes, ein großes Thema. Und<br />

genau das hat mich gereizt“, sagt die Gastchoreografin<br />

aus Essen.<br />

Eine Videoeinspielung wie bei ihrem Tanzstück<br />

„Flash Mob“ gibt es nicht. „Herzrasen“<br />

tickt anders. Spannend vor allem,<br />

dass Horn diesmal nicht nur mit den Profis<br />

des Tanztheaters Bremen arbeitet, sondern<br />

auch mit den „Jungen Akteuren“ der moks<br />

theaterschule, das heißt mit Jugendlichen<br />

in ihrer ganzen Unerschrockenheit. An die<br />

hat sie sich anfangs mit freier Improvisation<br />

herangetastet: „Ich habe sie erst einmal<br />

unbefangen raushauen lassen, was ihnen<br />

in Körper, Kopf und Seele kommt.“<br />

Jugendliche und die Inszenierung lassen<br />

das Stück, das sich gerade auch an junge<br />

Zuschauer richtet, frühlingshaft wirken.<br />

Weil in „Herzrasen“ das Wort „Rasen“<br />

steckt, verwandelt sich die Bühne im<br />

Neuen Schauspielhaus in eine Grünfläche.<br />

Eigentlich wollte Horn dafür echten Rollrasen,<br />

schön weich und angenehm für die<br />

Füße. Doch der hätte – wie beim Fußball<br />

– jedes Mal erneuert werden müssen. Zu<br />

teuer. So ist es Kunstrasen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!