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Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der ...

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Eher viel als zuwenig, eher wenig als zuviel, wie man es<br />

nimmt.<br />

Sicherlich, das schwarze Kapitel <strong>der</strong> SED-Diktatur im Sport -<br />

<strong>und</strong> nicht nur das <strong>der</strong> Stasi - sollte weiterhin wissenschaftlich<br />

prof<strong>und</strong> aufgearbeitet werden. Doch hierzu sind neue Forschungsschwerpunkte<br />

<strong>und</strong> -umfänge nötig. So empfahl denn<br />

auch die Bun<strong>des</strong>beauftragte Marianne Birthler schon im Mai<br />

2005, die Aufarbeitung nicht "auf die Stasiproblematik im<br />

Allgemeinen <strong>und</strong> auf die IM-Thematik im Beson<strong>der</strong>en zu<br />

verengen". Vielmehr sollte auch in den Blickpunkt kommen:<br />

"Wer hat wi<strong>der</strong>standen; wo hat die Stasi es nicht geschafft,<br />

Menschen zur Zusammenarbeit zu bewegen; wer hat sich<br />

dem Druck entzogen; wer war solidarisch <strong>und</strong> hat gesagt: Ich<br />

werde keine Sportkameraden bespitzeln? All diese Geschichten<br />

von Mut, von Wi<strong>der</strong>stand <strong>und</strong> vom ganz alltäglichen<br />

Versuch, anständig zu bleiben, gehören auch dazu. Sie sind es<br />

wert, weitererzählt zu werden. Wenn man das tut, dann hat<br />

Aufarbeitung auch eine wertebildende Funktion."<br />

Bei einer solchen wissenschaftlichen Herangehensweise sollte<br />

gerade <strong>der</strong> ethische Aspekt fokussiert werden. Wie konnte<br />

eine flächendeckende Überwachung einer ganzen Gesellschaft<br />

funktionieren? Warum haben sich nicht gerade wenige<br />

dafür einspannen lassen, ihr näheres Umfeld auszuspähen,<br />

um dann Selektives zu melden? Wie kommt es, dass sich<br />

Mittäterschaft hinter <strong>der</strong> Einrede einer Kollektivschuld verstecken<br />

kann ("Viele sind doch irgendwie schuld, <strong>des</strong>halb ist<br />

doch keiner so richtig schuld")? Alle diese Maßstäbe sollten<br />

auch als Beurteilungskriterien für den einst 18jährigen Ingo<br />

Steuer gelten, <strong>der</strong> sich dem Systemdruck nicht verweigern<br />

konnte/wollte, weil er mögliche Wi<strong>der</strong>stände im Umfeld<br />

seiner Leistungssportkarriere neutralisieren wollte. Dass er in<br />

einem atheistischen System eher egoistisch sich selbst als den<br />

Nächsten sah, ist ihm eigentlich nicht vorzuhalten.<br />

Über den konkreten Einzelfall hinaus muss sich <strong>der</strong> deutsche<br />

Sport <strong>der</strong> Frage stellen, wie er das Stasi-Problem in Zukunft<br />

mit neuen Regularien in den Griff bekommen kann. Deutschland<br />

ging nach dem feierlichen Vollzug <strong>der</strong> Einheit nicht den<br />

Weg wie Südafrika nach dem Ende <strong>der</strong> Apartheid, in sogenannten<br />

Wahrheits- <strong>und</strong> Versöhnungskommissionen einen<br />

Täter-Opfer-Ausgleich herbeizuführen. Schuldbekenntnis,<br />

Sühneverfahren <strong>und</strong> Resozialisierung sorgten dort für einen<br />

richtigen humangeleiteten Interessensausgleich christlicher<br />

Prägung. Pate stand hier zu Lande <strong>der</strong> deutsche Formalismus<br />

mit seinem Anklage- <strong>und</strong> Untersuchungsgedanken ("Wer<br />

etwas zu melden hat, melde sich bitte"). In wenigen Einzelfällen<br />

wurde dann geprüft <strong>und</strong> entschieden. Das gilt auch für<br />

den Sport. Die Kleinen flogen auf, relevante Täter hingegen,<br />

die sich im DDR-System gegen überpositive Wertenormen<br />

versündigt hatten, waren dienstbar <strong>und</strong> konnten <strong>des</strong>halb<br />

beruflich erfolgreich neu durchstarten. So wurde vieles verdrängt<br />

<strong>und</strong> vergessen.<br />

44<br />

Ab 29. Dezember 2006 wird für die schmalen Varianten<br />

formaler Vergangenheitsaufarbeitung möglicherweise ohnehin<br />

eine neue Ära anbrechen. Mit diesem Stichtag endet die<br />

im Stasiunterlagen-Gesetz genannte Frist von 15 Jahren,<br />

innerhalb <strong>der</strong>er die Verwendung <strong>des</strong> Stasi-Archivmaterials zur<br />

Überprüfung von leitenden Mitarbeitern zulässig ist. Was<br />

bedeutet: Regelanfragen werden nach den einschlägigen<br />

beamtenrechtlichen <strong>und</strong> sonstigen Überprüfungsvorschriften<br />

unzulässig. Einem ehemaligen Stasi-Mitarbeiter kann fortan<br />

<strong>des</strong>sen Tätigkeit nicht mehr vorgeworfen werden. Immerhin<br />

gibt es einen Gesetzentwurf <strong>des</strong> Freistaats Thüringen, <strong>der</strong> eine<br />

Fristverlängerung durchsetzen will. Er wird aber schwerlich<br />

die parlamentarischen Hürden nehmen können.<br />

Die Thüringer Argumentationskette besticht, ein genereller<br />

Schlussstrich sei nicht gerechtfertigt, <strong>und</strong> im übrigen sei<br />

schon lange <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit bei Einzelfallprüfungen<br />

wesentlich <strong>und</strong> damit "auch dem Umstand<br />

Rechnung getragen..., dass seit <strong>der</strong> Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst<br />

erhebliche Zeit vergangen ist".<br />

Weiter heißt es in <strong>der</strong> Begründung zum Gesetzentwurf: "In<br />

Ansehung <strong>der</strong> historisch erst kurzen Zeitdauer seit <strong>der</strong> Auflösung<br />

<strong>des</strong> Staatssicherheitsdienstes ist das Auslaufen <strong>der</strong><br />

Überprüfungsfristen nach dem geltenden Stasiunterlagen-<br />

Gesetz nicht hinnehmbar <strong>und</strong> würde als Signal in die falsche<br />

Richtung verstanden werden. Die dem Charakter <strong>der</strong> Staatssicherheit<br />

<strong>und</strong> damit auch einer Tätigkeit für die<br />

Staatssicherheit entsprechende moralische Bewertung <strong>und</strong><br />

Vorwerfbarkeit bestimmter Handlungen erledigt sich nicht<br />

durch Fristablauf. Im Einzelfall hat <strong>der</strong> Zeitfaktor in Verbindung<br />

mit einer Reihe an<strong>der</strong>er Faktoren Bedeutung für eine<br />

personenbezogene Einschätzung. Der Einzelfall muss aber<br />

zunächst überhaupt noch fassbar <strong>und</strong> überprüfbar bleiben.<br />

Dem ist durch den Wegfall <strong>der</strong> 15-Jahres-Frist Rechnung zu<br />

tragen." Die Fortsetzung <strong>der</strong> Regelanfragen <strong>und</strong> die "hierauf<br />

aufbauende Einzelfallprüfung begegnen keinen verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken <strong>und</strong> tragen dem Spannungsfeld zwischen<br />

konkreten Eignungsanfor<strong>der</strong>ungen für hoheitliche <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>e herausgehobene Funktionen <strong>und</strong> Tätigkeiten einerseits<br />

<strong>und</strong> den Persönlichkeitsrechten <strong>und</strong> dem Resozialisierungsgedanken<br />

an<strong>der</strong>erseits gleichermaßen Rechnung".<br />

All diese Aufarbeitung hat das sinnleitende Ziel, Unrecht<br />

dieser Art in Zukunft auszuschließen. Totalitäre Herrschaft ist<br />

menschenfeindlich. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die in<br />

<strong>der</strong> staatsbürgerlichen Bildung gerade in diesen Zeiten, in<br />

denen unser Steuerungsstaat an die Grenzen seines Einflusses<br />

gerät <strong>und</strong> die Kosten <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung nach unten<br />

verlagert werden, immer wie<strong>der</strong> vermittelt werden muss. Die<br />

gelebte Freiheit im Sport hat eine Wirkmächtigkeit, die<br />

Aufklärungsfähigkeit über das Unrecht zu DDR-Zeiten vermitteln<br />

kann. Dass seinerzeit das Gemeinwohl verraten

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