Schlemmerland der kurzen Wege - WTSH
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Unternehmen SH<br />
Student Tim Eckhorst hat ein Comic über das Darmleiden Morbus Crohn entworfen und ließ darin die Erkrankten selbst zu Wort kommen (oben). Auf Großflächenplakaten<br />
(unten) machen weitere Studierende <strong>der</strong> Muthesius Kunsthochschule auf chronische Entzündungskrankheiten wie Asthma und Neuro<strong>der</strong>mitis aufmerksam. Foto: Oeser<br />
CLP_haut_antiallergen_RZ.indd 1 21.01.2010 9:09:27 Uhr<br />
kunSt trifft krankheit<br />
Exzellenzcluster und Design-Studenten machen auf<br />
chronische Entzündungskrankheiten aufmerksam<br />
Millionen Bundesbürger leiden daran, <strong>der</strong> Rest weiß kaum etwas darüber: Chronische Entzündungskrankheiten<br />
werden noch immer gewaltig unterschätzt. Bei Asthma, Neuro<strong>der</strong>mitis<br />
o<strong>der</strong> Morbus Crohn sind bestimmte Teile des Körpers, etwa Lunge, Haut o<strong>der</strong> Darm, ständig<br />
entzündet. Heilung ist noch nicht möglich. Zwei Aushängeschil<strong>der</strong> Schleswig-Holsteins<br />
arbeiten nun gemeinsam daran, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen: <strong>der</strong> Exzellenzcluster<br />
Entzündungsforschung und die Muthesius Kunsthochschule, beide in Kiel.<br />
„Zu Beginn habe ich mir schon die Frage gestellt, ob sich<br />
junge Kunst- und Kommunikationsdesign-Studierende<br />
mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen befassen<br />
wollen“, bekennt Silke Juchter. Sie ist Professorin für Konzeption<br />
und Entwurf an <strong>der</strong> Muthesius Kunsthochschule.<br />
Wie ihre Studenten darauf reagieren würden, eine Kampagne<br />
für den Exzellenzcluster Entzündungsforschung zu<br />
entwickeln, konnte Juchter zu Beginn nicht abschätzen.<br />
Doch schnell wurde klar: Die Studierenden hatten großes<br />
Interesse an dem Thema. Die Idee zu <strong>der</strong> ungewöhnlichen<br />
Zusammenarbeit hatte das Team des Exzellenzclusters<br />
um den Molekularbiologen Prof. Stefan Schreiber. „Wir<br />
müssen versuchen, unsere Forschungen auch an die Menschen<br />
zu vermitteln, die die Steuern zahlen“, erklärt <strong>der</strong><br />
Chef des Clusters seine Motivation. „Dazu müssen wir in<br />
einfachen Worten erzählen, was wir gemacht haben.“<br />
Der Exzellenzcluster erforscht die Funktionen von sogenannten<br />
menschlichen Barrieren. Zu diesen Barrieren<br />
gehören zum Beispiel die Haut o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Darm. Sie sorgen<br />
dafür, dass Bakterien, Viren und Pilze nicht in den Körper<br />
gelangen und wenn doch, keinen Schaden anrichten.<br />
„Normalerweise funktioniert diese Barriere ziemlich perfekt<br />
auf magische Weise“, sagt Prof. Schreiber. Doch nicht<br />
immer: Bei chronischen Entzündungskrankheiten wie<br />
Morbus Crohn o<strong>der</strong> Neuro<strong>der</strong>mitis ist dieser natürliche<br />
Schutzmechanismus gestört. Der Körper greift gesundes<br />
Gewebe an, das sich dann ständig entzündet. Für die<br />
Betroffenen bedeutet das oft ein Leben in Schmerz und<br />
Isolation. Millionen sind allein in Deutschland betroffen –<br />
von Asthma, Schuppenflechte, Morbus Crohn, Multipler<br />
Sklerose, Parkinson o<strong>der</strong> Zahnfleischentzündung.<br />
Das ist ein wichtiges Thema, denn Barriere-Erkrankungen<br />
bedeuten deutlich mehr, das haben die Forscher des Clus-<br />
ters herausgefunden.„Wir haben entdeckt, dass auch an<strong>der</strong>e<br />
Krankheiten ausgelöst werden, wenn Haut und Darm<br />
den menschlichen Körper nicht mehr ausreichend schützen<br />
und Krankheitserreger die Barrieren durchbrechen.“<br />
Entzündungen können sogar Kreislauferkrankungen und<br />
Herzinfarkte auslösen. Die Zahl <strong>der</strong> Erkrankungen stieg in<br />
den letzten Jahren deutlich an, deshalb wird auch Aufklärung<br />
immer wichtiger. „Viele Leute können wir mit unseren<br />
Themen nicht erreichen, weil es sie nicht interessiert –<br />
o<strong>der</strong> sie es nicht verstehen“, weiß <strong>der</strong> Fachmann. Denn:<br />
„Forschung wird normalerweise immer übersetzt, indem<br />
ein Wissenschaftssystem in Worten erklärt wird.“ Bei so<br />
komplexen Zusammenhängen sind dann schnell Grenzen<br />
<strong>der</strong> Aufnahmefähigkeit o<strong>der</strong> Aufmerksamkeit erreicht.<br />
Deshalb beschreitet <strong>der</strong> Cluster neue <strong>Wege</strong>, wenn es um<br />
Vermittlung von Forschungsinhalten geht: Er bedient sich<br />
<strong>der</strong> Kunst.<br />
„Wir können alle ein Kunstwerk ansehen, können direkt<br />
diese Erfahrungen an uns heranlassen, auch ohne dass wir<br />
dazu erst einen Kurs machen o<strong>der</strong> komplizierte Grundlagen<br />
verstehen müssen“, erklärt Schreiber. „Wenn man<br />
Kunst nutzen will, um Forschung zu vermitteln, dann haben<br />
alle Menschen die Möglichkeit, Forschung zu erfahren.<br />
Egal welchen Bildungsstand sie haben – alle können<br />
es sehen und verstehen. Für mich ist das die ultimative<br />
Demokratisierung von Forschungsinhalten. Es ist das<br />
erste Mal, dass sich eine Kunsthochschule auch in diesen<br />
Bereich gewagt hat.“ Das Wissenschaftssystem wird von<br />
Künstlern erklärt, nicht von Experten, und zwar in Bil<strong>der</strong>n,<br />
nicht in Worten. „Das wirkt auf jeden.“<br />
Dass das Projekt so erfolgreich umgesetzt werden konnte,<br />
lag nicht zuletzt an <strong>der</strong> Unterstützung durch den Cluster.<br />
Wirtschaftsland 02.2010 23