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Schlemmerland der kurzen Wege - WTSH

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Im Interview<br />

daS meer in mir<br />

Prof. Dr. Anton Eisenhauer<br />

Was haben Menschen und Ozeane miteinan<strong>der</strong> gemeinsam? Der<br />

Meereswissenschaftler und Leiter des Forschungsbereichs für marine<br />

Biogeochemie am IFM-GEOMAR Prof. Anton Eisenhauer stieß<br />

auf diese Frage, als er beim Kieler Exzellenzcluster im Forschungsalltag<br />

mit Medizinern in den Dialog trat. Die Antwort könnte hun<strong>der</strong>ttausenden<br />

Patienten helfen.<br />

Wasser ist seine Leidenschaft:<br />

Prof. Dr. Anton Eisenhauer<br />

Foto: Oeser<br />

WIrTScHAFTSlAND: Herr Prof.<br />

Eisenhauer, Sie erforschen als<br />

geochemiker die Stoffflüsse <strong>der</strong><br />

Weltmeere. Beim Kieler Exzellenzcluster<br />

„ozean <strong>der</strong> Zukunft“<br />

beschäftigen Sie sich mit <strong>der</strong> geschichte<br />

des Meerwassers. Warum?<br />

ProF. Dr. ANToN EISENHAuEr:<br />

Wenn wir wissen wollen, warum das<br />

Meer so ist, wie es heute ist, dann<br />

müssen wir in die Vergangenheit sehen.<br />

Wenn wir das tun wollen, müssen<br />

wir bestimmte Schlüsselbedingungen<br />

des Meeres rekonstruieren, zum<br />

Beispiel seine Temperatur. Woher<br />

wissen wir, wie die Temperatur des<br />

Meeres vor 1.000, einer Million o<strong>der</strong><br />

einer Milliarde Jahre war? Wie hoch<br />

war <strong>der</strong> Säuregrad? So wie heute? Wie<br />

hoch stand <strong>der</strong> Meeresspiegel? Niedriger<br />

o<strong>der</strong> höher? Eine Aufgabe ist es,<br />

die Geschichte des Meerwassers zu<br />

rekonstruieren. Dazu müssen wir die<br />

geologischen Archive studieren, so<br />

wie man in die Bibliothek geht, ein<br />

Buch aufschlägt und nachliest, was<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit passiert war.<br />

Ähnlich hält das Meer Archive vor.<br />

Wo werden Sie fündig?<br />

Ein Archiv ist zum Beispiel ein Korallenriff.<br />

Korallen wachsen immer<br />

am Licht, so wird die Höhe des<br />

Meeresspiegels immer durch Korallen<br />

abgebildet. Finden wir heute<br />

versteinerte Korallen an Land,<br />

wissen wir, dass hier einmal Wasser<br />

darüber gestanden hat. O<strong>der</strong> wir<br />

bohren in die Riffe und nehmen<br />

den Kalk – Riffe bestehen aus Kalk –<br />

und suchen nach ganz bestimmten<br />

Spurenmetall- und Isotopenzusammensetzungen,<br />

etwa denen<br />

des Kalziums, ein Element das<br />

wir aus dem Kalk kennen. Da gibt<br />

es leichte und schwere Kalzium-<br />

Isotope. Das Verhältnis <strong>der</strong> leichten<br />

zu den schweren Isotopen gibt uns<br />

Informationen, zum Beispiel über<br />

die Temperatur des Meerwassers.<br />

Diese Methoden greifen wir nicht<br />

aus <strong>der</strong> Luft, son<strong>der</strong>n müssen wir<br />

zunächst entwickeln.<br />

Sie haben neue ansätze zur diagnose<br />

von knochenschwund beim menschen<br />

entwickelt. Wie kommt ein<br />

meeresforscher dazu?<br />

Beim Exzellenzcluster arbeiten Mediziner,<br />

Physiker und Geologen in einem<br />

einzigen großen Projekt „Ozean <strong>der</strong><br />

Zukunft“ zusammen. Das ist einmalig<br />

und oft werden auch ganz neue <strong>Wege</strong><br />

beschritten. Das Leben im Ozean hat<br />

seine eigene Physiologie, seinen eigenen<br />

Stoffkreislauf, den man ähnlich<br />

beschreiben kann wie den Stoffkreislauf<br />

des Menschen. Wenn man weiß,<br />

dass Kalzium ein ganz entscheidendes<br />

Element für die Geschichte des<br />

Ozeanwassers ist, und man weiß,<br />

dass auch Kalzium im menschlichen<br />

Körper eine ganz wichtige Rolle<br />

spielt, ist es naheliegend, beides zu<br />

verknüpfen, um damit neue <strong>Wege</strong> zur<br />

Beschreibung des menschlichen Spurenmetallhaushaltes<br />

aufzuzeigen.<br />

Was folgerten Sie daraus?<br />

Von den Medizinern haben wir gelernt,<br />

dass es viele kalziumbezogene<br />

Krankheiten gibt: zum Beispiel Osteoporose.<br />

Ca. 80 Prozent <strong>der</strong> Frauen<br />

über 70 leiden an Osteoporose. Das<br />

damit verbundene Problem, das es<br />

immer gibt, ist natürlich <strong>der</strong> Nachweis<br />

<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung des Kalzium-<br />

Spiegels im Blut und des Nachweises<br />

einer „Demineralisation“ d. h.<br />

eines Knochenschwundes. Diesen<br />

Spiegel muss man kennen, nur dann<br />

kann man genaue Aussagen über die<br />

Kalzium-Bilanz treffen. Es gibt heute<br />

nur Methoden, die invasiv sind. Das<br />

heißt, man muss entwe<strong>der</strong> Medikamente<br />

verabreichen o<strong>der</strong> bestrahlen.<br />

Das bedeutet auch immer eine<br />

Belastung für den Körper.<br />

dann kam ihnen die idee ...<br />

Genau, dann ist die Idee gewachsen:<br />

Wir machen das wie beim Meer!<br />

Wir schauen einfach, was über die<br />

Nahrung an Kalzium reingeht – also<br />

die Menge und <strong>der</strong>en isotopische<br />

Zusammensetzung – und dann vergleichen<br />

wir dies mit dem, was an<br />

Kalzium wie<strong>der</strong> rausgeht. Und das<br />

meiste Kalzium wird eben über den<br />

Urin ausgeschieden. Das heißt wir<br />

vergleichen das isotopische Eingangsverhältnis,<br />

also das Verhältnis<br />

<strong>der</strong> schweren und leichten Isotope in<br />

<strong>der</strong> Nahrung, mit dem des Ausgangsverhältnisses.<br />

Genau das haben wir<br />

in einer Pilot-Studie getan, die klar<br />

diese neue Möglichkeiten aufgezeigt<br />

hat. Anhand eines Modells kann man<br />

die gemessenen Kalzium-Isotopen-<br />

Verhältnisse direkt anwenden und<br />

daraus Rückschlüsse ziehen, ob ein<br />

menschlicher Körper demineralisiert,<br />

also netto Kalzium aus dem Skelett<br />

verliert o<strong>der</strong> mineralisiert, d. h. ein<br />

Skelett wächst.<br />

ihre forschung ist ja auch für die<br />

raumfahrt interessant.<br />

In <strong>der</strong> Tat. Warum auch immer, in<br />

<strong>der</strong> Schwerelosigkeit löst sich das<br />

menschliche Skelett auf, o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en<br />

Worten Kalzium geht aus dem<br />

Skelett verloren. Mit an<strong>der</strong>en Worten<br />

Astronauten leiden im Weltraum an<br />

einer Art Weltraum-Osteoporose. Das<br />

heißt: die Astronauten erkranken.<br />

Das geht sogar so weit, dass die Toiletten<br />

im All von dem ausgeschiedenen<br />

Kalzium verstopfen. Die Lösung wäre,<br />

dass sie das Kalzium, das sie netto<br />

verlieren, gezielt wie<strong>der</strong> aufnehmen.<br />

Das Problem ist aber, dass bei <strong>der</strong><br />

Nahrungsaufnahme, beim Übergang<br />

vom Darm zum Blut nicht immer alles<br />

Kalzium aufgenommen wird. Die<br />

Idee ist es, eine kleine Kalzium-Isotopen-Messstation<br />

zu entwickeln, die in<br />

eine Raumstation passt und regelmäßig<br />

Urin testet. Wenn man weiß, wie<br />

viel Kalzium verloren geht, kann man<br />

gezielter über die Nahrung entgegensteuern.<br />

Das wäre ein Konzept.<br />

ist die Weltraumforschung schon<br />

aufmerksam geworden?<br />

In Amerika haben Kollegen schon<br />

angefangen, in die richtige Richtung<br />

zu forschen, sind aber noch nicht so<br />

weit wie wir. Nichtdestotrotz gab es<br />

eine För<strong>der</strong>ung von <strong>der</strong> NASA und es<br />

wurde bereits eine klinische Studie<br />

erstellt. Die NASA hat das Problem<br />

erkannt, allerdings wird dieses Projekt<br />

jetzt eingestellt, da die NASA die<br />

bemannte Raumfahrt in nächster Zeit<br />

nicht weiter för<strong>der</strong>n wird.<br />

Schade. Wie geht es jetzt bei ihnen<br />

weiter?<br />

Klinische Studien sind geplant,<br />

bis jetzt sind wir aber bei <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

nicht weitergekommen.<br />

Wir sind Geologen und wollen mit<br />

Medizinern arbeiten, aber bis jetzt<br />

sind unsere Forschungsanträge<br />

gescheitert, zum Teil aus formalen<br />

Gründen, weil nicht geklärt werden<br />

konnte, aus welchen Töpfen eine<br />

solche transdisziplinäre Zusammenarbeit<br />

zwischen Geologen und<br />

Medizinern bezahlt werden soll.<br />

Und natürlich ist es so, dass das<br />

ein großes Projekt sein muß, wenn<br />

man es zum Erfolg treiben will. Wir<br />

sind ein marines Institut und können<br />

keine medizinische Forschung<br />

betreiben, weshalb das Projekt ausgelagert<br />

werden müsste. Die Methode<br />

und die Technik würden wir<br />

gern an die Mediziner weiterreichen<br />

und diese natürlich auch instrumentell-analytischunterstützen,<br />

aber wir sind in erster Linie<br />

Meeresforscher. Der große Schritt<br />

zu einer anwendungsorientierten<br />

Entwicklung und Forschung müsste<br />

aber jetzt getan werden. (jr)<br />

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