GO EAST - Politik und Gesellschaft
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chien mag innerlich noch dabei<br />
sein sich (wieder) an die Marktwirtschaft<br />
zu gewöhnen. Eine unzuverlässige<br />
politische Klasse voller<br />
komplizierter Machtbündnisse,<br />
strukturelle wirtschaftliche Probleme<br />
<strong>und</strong> marktwirtschaftliche<br />
Von Lukas Inhoffen<br />
Während das Interesse westeuropäischer<br />
Bildungsreisender an<br />
den Metropolen Osteuropas stetig<br />
steigt, ist auch das entstanden,<br />
was ein zahlungskräftiges, vor<br />
allem aber junges Publikum während<br />
der Sommermonate sucht:<br />
ein Idyll für Partytouristen. Bis vor<br />
wenigen Jahren galt der Osten Bulgariens<br />
dieser Zielgruppe eher als<br />
Geheimtipp, der den spanischen<br />
Partyhochburgen Mallorca <strong>und</strong><br />
Lloret de Mar nur allmählich das<br />
Wasser zu reichen vermochte. Heute<br />
säumen in Slantschew Brjag, zu<br />
deutsch „Sonnenstrand“, mehr als<br />
500 Hotels den r<strong>und</strong> acht Kilometer<br />
langen Sandstrand am Schwarzen<br />
Meer, den die feierlaunigen<br />
Nachwuchstouristen meist jedoch<br />
erst im Laufe des Nachmittages in<br />
entspannter Urlaubslangsamkeit<br />
füllen. Familien oder ältere Urlauber<br />
sucht man vergeblich. Ohnehin<br />
wird Slantschew Brjag dem Erholungsanspruch<br />
durchschnittlicher<br />
Urlauber wohl allein seiner künstlichen<br />
Wirkung wegen nicht gerecht<br />
werden können. Denn eigentlich ist<br />
Slantschew Brjag nicht mehr als ein<br />
Enttäuschungen führen auch zu einer<br />
gewissen Popularität der Kommunisten<br />
(18, 5 % bei den letzten<br />
Parlamentswahlen). Die Millionenmetropole<br />
an der Moldau aber ist so<br />
freudig weltoffen wie nur eine Stadt<br />
sein kann. Und deswegen fühlt man<br />
Slantschew Brjag - Stadt der fünfh<strong>und</strong>ert Hotels<br />
Feiern für den Fuhrpark<br />
Strandabschnitt, den solvente Hotelmagnaten<br />
zubetoniert <strong>und</strong> mithilfe<br />
von Autoschranken <strong>und</strong> Kontrollposten<br />
eingezäunt haben, um<br />
es mit dem Ziel einer scheinbaren<br />
Exklusivität von der verarmten<br />
Umgebung abzuschotten. Innerhalb<br />
dieses Partybiotops dominieren neben<br />
Restaurants vor allem Bars <strong>und</strong><br />
Discotheken das Bild. Sie sind das<br />
Ziel der für durchtanzte Nächte gekommenen<br />
Gäste, die nach der allabendlichen<br />
Schließung der hoteleigenen<br />
Bars bis weit in den Morgen<br />
hinein dort verweilen.<br />
Trotz aller Bemühungen vermag<br />
weder Urlaubsatmosphäre noch Alkoholkonsum<br />
über die Armut hinwegtäuschen.<br />
So findet sich etwa<br />
ein traurig dreinblickender Junge,<br />
dem die Folgen der Verwahrlosung<br />
in seinem noch jungen Leben ins<br />
Gesicht geschrieben stehen, sitzt<br />
am Wegesrand. Er spielt auf einem<br />
viel zu großen Akkordeon, vor ihm<br />
ein kleiner Bettelbecher, dazwischen<br />
junge <strong>und</strong> ältere Frauen, die<br />
in gebrochenem Englisch lauthals<br />
Liebesdienste zum Hungerlohn anpreisen.<br />
Eine makabere Szenerie,<br />
die beweist, dass die einheimische<br />
Bevölkerung wie so oft wenig bis gar<br />
nicht vom immensen Tourismusgeschäft<br />
profitiert. Ohnehin klären<br />
// //<br />
sich in jeder tschechischen Kneipe<br />
wie zu Hause, wenn man „Knedlovepro-zelo“,<br />
Schweinebraten mit<br />
Knödeln <strong>und</strong> Kraut“ bestellt.<br />
Wien, Rom, Paris, Berlin? Nein,<br />
Prag!<br />
Hotelangestellte ganz unverhohlen<br />
über die mafiösen Machtverhältnisse<br />
auf: Wenige Hotelmanager<br />
schieben sich die Karten gegenseitig<br />
zu, teilen den gesamten Einfluss<br />
unter sich auf <strong>und</strong> präsentieren ihn<br />
in Form eines viele deutsche Luxuskarossen<br />
umfassenden Fuhrparks<br />
vor den Hoteleingängen.<br />
Trotzdem werden die wenigsten<br />
Partyurlauber diesen offenk<strong>und</strong>ig<br />
faden Beigeschmack mit in ihre<br />
Heimat nehmen, da wohl niemand<br />
den Zweck eines solchen Urlaubs<br />
in der Auseinandersetzung mit sozialen<br />
Problematiken sieht. Denn<br />
nicht zuletzt ist es gerade dieser<br />
Umstand, der die einst enorm günstigen<br />
Preise für Getränke <strong>und</strong> Verpflegung<br />
außerhalb der Hotelanlagen,<br />
in denen die Unterbringung<br />
ohne zusätzliche Extras mitunter<br />
für wenige Euro zu haben ist, ermöglichte.<br />
Gut daran ist, dass diese<br />
inszenierte touristische Enklave des<br />
Wohlstands das bietet, wonach ein<br />
zahlungskräftiges Publikum, das<br />
seine Erfahrungen hoffentlich nicht<br />
als Ausschnitt des bulgarischen Alltags<br />
versteht, auf der Suche ist. Besser<br />
wäre es, wenn davon alle in <strong>und</strong><br />
um Slantschew Brjag profitierten.<br />
Europa - Ausgabe 1/2008 - <strong>Politik</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>