GO EAST - Politik und Gesellschaft
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Deutschland - Ausgabe 1/2008 - <strong>Politik</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
SPD-Mitglied, Grüner, jetzt parteilos<br />
für Die Linke im B<strong>und</strong>estag. Jurastudium<br />
in Hamburg, Richter am<br />
Landgericht Lübeck, Lehrauftrag<br />
an der Universität Hamburg, BGH-<br />
Richter.<br />
Wolfgang Nešković‘ Karriere ist steil<br />
<strong>und</strong> ungewöhnlich. Bekannt wurde<br />
der Jurist, Jahrgang 1948, durch ein<br />
Aufsehen erregendes Urteil zur Legalisierung<br />
von Cannabis, dem Urteil<br />
zu den so genannten „geringen<br />
Mengen“ von 1994.<br />
Derzeit ist er stellvertretender Vorsitzender<br />
des Rechtsausschusses des<br />
deutschen B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> Mitglied<br />
des parlamentarischen Kontrollgremiums<br />
zur Überwachung<br />
der deutschen Nachrichtendienste.<br />
Anlässlich seines Vortrages an der<br />
Bucerius Law School hat die <strong>Politik</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong> mit ihm über <strong>Politik</strong>,<br />
Ideale <strong>und</strong> sein Leben gesprochen.<br />
Das Interview führten Lukas Mezger<br />
<strong>und</strong> Konstantin Kleine<br />
P&G: Herr Nešković, einige meinen, der<br />
Wortlaut eines Gesetzes gibt in Wirklichkeit<br />
höchstens Hinweise für die<br />
Rechtsfindung, letztlich aber entscheiden<br />
vor allem oberste Gerichte nach<br />
ihrem Gerechtigkeitsempfinden im Einzelfall.<br />
Wie ist da Ihre Einschätzung?<br />
Wolfgang Nešković: Im Kern treffen<br />
Richter bei der Auslegung des<br />
Rechtes <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Wertungsentscheidungen auch<br />
Willensentscheidungen. Das sehen<br />
Sie etwa an den unterschiedlichen<br />
Urteilen zur Rechtschreibreform.<br />
Schon Goethe sagte ja im Faust: „Im<br />
Auslegen seid frisch <strong>und</strong> munter!<br />
Legt ihr’s nicht aus, so legt was unter.“<br />
Ein weiter Spielraum bei der<br />
Auslegung wäre auch überhaupt<br />
kein Problem, wenn eine Pluralität<br />
unter der Richterschaft für den<br />
// 0 //<br />
Interview mit Wolfgang Neškovic<br />
„Der Fraktionszwang tötet die parlamentarische<br />
Demokratie“<br />
nötigen Ausgleich im Gesamtbild<br />
sorgen würde. An dieser Pluralität<br />
fehlt es aber mit Blick auf die soziale<br />
Herkunft der Richter. Obwohl sie<br />
ihre Urteile im Namen des Volkes<br />
sprechen, repräsentieren sie in ihren<br />
Wertehorizonten nicht dessen<br />
Gesamtspektrum, sondern nur einen<br />
Ausschnitt der Bevölkerung.<br />
P&G: Wie war die Umstellung von Ihrer<br />
Arbeit als oberster B<strong>und</strong>esrichter zum<br />
Oppositionspolitiker im B<strong>und</strong>estag?<br />
Nešković: Sehr gewöhnungsbedürftig.<br />
Man tauscht die Akten gegen<br />
Menschen ein. Die am B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />
gewohnte Tiefe <strong>und</strong> Breite<br />
des intellektuellen Diskurses hat<br />
am B<strong>und</strong>estag Seltenheitswert. Das<br />
vermisse ich schon. Am B<strong>und</strong>estag<br />
ist oft mehr die Empathie als der Intellekt<br />
gefragt. Das kann man aber<br />
auch gut finden. Es ist die Nähe zu<br />
den Menschen, nicht zuletzt auch<br />
zu meinen klugen <strong>und</strong> engagierten<br />
Mitarbeitern, die mir viel bedeutet.<br />
„Man tauscht die Akten<br />
gegen Menschen ein“<br />
P&G: Sie sind über die Brandenburger<br />
Landesliste der Linkspartei in den B<strong>und</strong>estag<br />
eingezogen. Wie haben Sie sich<br />
Ihren Wahlkreis ausgesucht?<br />
Nešković: Ursprünglich sollte es<br />
für mich gar keinen Wahlkreis geben.<br />
Dann bot man mir wahlweise<br />
Potsdam oder Cottbus an. Für<br />
Potsdam sprach zunächst viel; die<br />
Stadt liegt vor der Haustür Berlins<br />
<strong>und</strong> sie ist die Landeshauptstadt<br />
Brandenburgs. Ein kluger Landesvorsitzender<br />
hatte dann aber interveniert.<br />
Er verdeutlichte mir, dass<br />
es in Cottbus in Der Linken viele<br />
junge Leute mit reichlich Elan <strong>und</strong><br />
einem Bedarf nach Erfahrung gibt.<br />
Auch die politischen Aufgaben, die<br />
sich mit Cottbus verbinden, waren<br />
verlockend. Cottbus ist praktisch<br />
die Gerichtshauptstadt Branden-<br />
burgs. Dort erwartete mich zudem<br />
– wegen des Vattenfall-Sitzes – die<br />
spannende Energiepolitik. Auch leben<br />
in Cottbus viele Sorben, deren<br />
Rechte als kulturelle Minderheit<br />
mir (auch wegen meiner eigenen<br />
Herkunft) ein Anliegen sind. Zudem<br />
bietet die Region eine kulturell<br />
vielfältige Szene <strong>und</strong> viele soziale<br />
Brennpunkte.<br />
Ich entschied mich also für Cottbus<br />
<strong>und</strong> bin sehr froh über meine Entscheidung.<br />
Das liegt vor allem an<br />
den Menschen der Stadt. Die Cottbuser<br />
gehen mit den Härten der<br />
Wiedervereinigung bemerkenswert<br />
wesensstark um. Das kann man<br />
schlecht erzählen, man muss es erleben.<br />
P&G: Welche Fähigkeiten brauchen Sie<br />
als B<strong>und</strong>estagsabgeordneter, die Sie in<br />
Ihrem Richteramt nicht so stark benötigt<br />
haben?<br />
Nešković: Wenn man die Frage auf<br />
den BGH begrenzt, dann geht es im<br />
B<strong>und</strong>estag wohl vermehrt um Kommunikationsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> Empathie.<br />
Darum ging es jedoch auch in<br />
den Jahren, in denen ich als Richter<br />
in der Tatsacheninstanz tätig war.<br />
Als Abgeordneter müssen Sie komprimieren<br />
können. Es fehlt Ihnen<br />
oft die Zeit zu langem Nachdenken.<br />
Dann kommt es darauf an zu improvisieren<br />
<strong>und</strong> für die Improvisation<br />
auch den nötigen politischen Mut<br />
aufzubringen.<br />
P&G: Inwiefern hilft Ihnen Ihr juristisches<br />
Wissen trotzdem bei Ihrem<br />
Arbeitsalltag?<br />
Nešković: Es hilft mir sehr. Im<br />
Rechtsausschuss sitzen im Regelfall<br />
zwei Vertretern meiner Fraktion<br />
jeweils elf Rechtspolitiker der SPD<br />
<strong>und</strong> der CDU/CSU gegenüber. Wenn<br />
Sie für dieses Zahlenverhältnis die<br />
Fülle der Vorgänge bedenken <strong>und</strong><br />
auch den Umstand, dass man in der<br />
Koalition auf die Bearbeitungen der