GO EAST - Politik und Gesellschaft

Von Sonnen und Teppichmustern
Über 200 Staaten, unzählige Provinzen, Bundesländer, Kantone und Regionen – und fast so viele
Flaggen. Doch wofür stehen die Farben, Formen und Symbole? Auf unserem Weg in den Osten wirft
unser Autor Daniel Schneider einen Blick auf die Flaggen im Osten der Welt
Die in Deutschland bekannteste Flagge eines Staates aus Fernost dürfte die Japans sein. Von bestechender
Schlichtheit und hohem Wiedererkennungswert zugleich, sticht dem Betrachter der
große tiefrote Kreis im Zentrum ins Auge. Er symbolisiert die Sonnenscheibe und prägt damit
das Sinnbild vom „Land der aufgehenden Sonne“. Zugleich steht er aber auch für Japans kaiserliche
Familie, die das Land schon seit über 2000 Jahren regiert und sich als direkte Nachkommen
des Sonnengottes Amaterasu Omikami versteht. Bemerkenswert ist noch, dass der schneeweiße
Hintergrund nicht etwa für den Himmel steht, sondern eine eigenständige Bedeutung hat. Er verkörpert
Aufrichtigkeit und Reinheit, zwei Werte, denen in Japans uralter Kultur ein besonderer
Stellenwert zukommt.
Rot symbolisiert den Mut der Bewohner Jakutiens
Dass nicht alle Völker der Welt die Sonne mit roter Farbe symbolisieren, zeigt unter anderem
die Flagge der russischen Provinz Jakutien. Sie wird durch eine weiße Sonne auf blauem Hintergrund
gekennzeichnet. Die Farbe Weiß soll dabei das ewige Leben, Blau das kalte Klima dieser
zentralsibirischen Region darstellen. Auch den anderen Farben dieser noch sehr jungen, erst 1992
eingeführten Flagge wird jeweils eine ganz spezielle Bedeutung zugewiesen. Der grüne Streifen
am unteren Rand steht für Jakutiens Wälder, aber auch für Gesundheit. Der weiße Streifen unterhalb
des blauen Feldes wiederum symbolisiert vor allem den Schnee, aber auch Klugheit. Der rote
Streifen schließlich verkörpert als einzige Fläche kein Naturereignis, sondern steht für den Mut
der Bewohner Jakutiens.
Gelbe Sonne und roter Himmel sind dagegen die beherrschenden Farben der Flagge des pazifischen
Inselstaats Kiribati. Die Farben wurden gewählt, um gerade den Sonnenaufgang über dem
Meer – den blau-weißen Wellenstreifen – darzustellen. Der Sonnenaufgang ist ein Symbol für den
Aufbruch des erst seit 1979 existierenden Staates in eine verheißungsvolle Zukunft. Über allem
schwebt und wacht der goldgelbe Fregattvogel als Verkörperung der Herrschaft des Landes über
die Meere.
Nicht alle Fahnen sind so konsequent aufgebaut. Ein ziemliches Potpourri ist beispielsweise eine
der komplexesten Flaggen der Welt – die von Turkmenistan. Auf der linken Seite findet sich zunächst
ein Streifen mit fünf verschiedenen Teppichmustern, die traditionell von verschiedenen
turkmenischen Stämmen verwendet wurden. Darunter wurde 1997 als Friedenssymbol genau der
Ölzweig eingefügt, der sich auch auf der Fahne der Vereinten Nationen findet. Die fünf Sterne
daneben symbolisieren die fünf turkmenischen Regionen, und schließlich der Halbmond daneben
und die grüne Farbe erwartungsgemäß den Islam.
Nepal hat die einzige nicht reckeckige Flagge
Nicht fehlen darf an dieser Stelle ein Blick auf die Flagge Nepals, die ein Unikum besonderer Natur
ist: Es handelt sich um die einzige Flagge der Welt, die nicht rechteckig ist. Sie erinnert den
Betrachter an zwei übereinander gesetzte Dreiecke, und das aus gutem Grund: Entstanden ist sie
schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als man zwei dreieckige Wimpel übereinander setzte.
Ungewöhnlich muten auch Formen und Farben an. Dass der blaue Rand für den Frieden steht, mag
dabei weniger überraschen, als dass das dominierende Rot den Rhododendron symbolisiert. Die
beiden Embleme Sonne und Halbmond mit Stern schließlich trugen noch bis 1962 menschliche
Züge, was ebenfalls nahezu einzigartig in der Welt der Fahnen und Flaggen ist. Eine einleuchtende
Erklärung findet sich jedoch: Halbmond und Stern stehen für die Familie des Königs, die Sonne
dagegen für die Familie Rana, deren Angehörige über Generationen das Amt des Premierministers
in Erbfolge bekleideten.
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Welt - Ausgabe 1/2008 - Politik und Gesellschaft