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Erster Teil - Farben-Welten

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Da wir vom Mephistopheles reden,« fuhr Goethe fort, »so will ich Ihnen doch etwas zeigen,<br />

was Coudray von Paris mitgebracht hat. Was sagen Sie dazu?«<br />

Er legte mir einen Steindruck vor, die Szene darstellend, wo Faust und Mephistopheles,<br />

um Gretchen aus dem Kerker zu befreien, in der Nacht auf zwei Pferden an einem<br />

Hochgerichte vorbeisausen. Faust reitet ein schwarzes, das im gestrecktesten Galopp<br />

ausgreift und sich sowie sein Reiter vor den Gespenstern unter dem Galgen zu fürchten<br />

scheint. Sie reiten so schnell, dass Faust Mühe hat sich zu halten; die stark entgegenwirkende<br />

Luft hat seine Mütze entführt, die, von dem Sturmriemen am Halse gehalten,<br />

weit hinter ihm herfliegt. Er hat sein furchtsam fragendes Gesicht dem Mephistopheles<br />

zugewendet und lauscht auf dessen Worte. Dieser sitzt ruhig, unangefochten, wie ein<br />

höheres Wesen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er liebt nicht das Lebendige. Auch<br />

hat er es nicht vonnöten, denn schon sein Wollen bewegt ihn in der gewünschtesten<br />

Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er einmal reitend gedacht werden muss und da genügte<br />

es ihm, ein bloß noch in der Haut zusammenhängendes Gerippe vom ersten besten<br />

Anger aufzuraffen. Es ist heller Farbe und scheint in der Dunkelheit der Nacht zu<br />

phosphoreszieren. Es ist weder gezügelt noch gesattelt, es geht ohne das. Der überirdische<br />

Reiter sitzt leicht und nachlässig, im Gespräch zu Faust gewendet; das entgegenwirkende<br />

Element der Luft ist für ihn nicht da, er wie sein Pferd empfinden nichts, es wird<br />

ihnen kein Haar bewegt.<br />

Wir hatten an dieser geistreichen Komposition große Freude. »Da muss man doch gestehen,«<br />

sagte Goethe, »dass man es sich selbst nicht so vollkommen gedacht hat. Hier<br />

haben Sie ein anderes Blatt, was sagen Sie zu diesem!«<br />

Die wilde Trinkszene in Auerbachs Keller sah ich dargestellt, und zwar, als Quintessenz<br />

des Ganzen, den bedeutendsten Moment, wo der verschüttete Wein als Flamme auflodert<br />

und die Bestialität der Trinkenden sich auf die verschiedenste Weise kundgibt. Alles<br />

ist Leidenschaft und Bewegung, und nur Mephistopheles bleibt in der gewohnten heiteren<br />

Ruhe. Das wilde Fluchen und Schreien und das gezuckte Messer des ihm zunächst<br />

Stehenden sind ihm nichts. Er hat sich auf eine Tischecke gesetzt und baumelt mit den<br />

Beinen; sein aufgehobener Finger ist genug, um Flamme und Leidenschaft zu dämpfen.<br />

Je mehr man dieses treffliche Bild betrachtete, desto mehr fand man den großen<br />

Verstand des Künstlers, der keine Figur der andern gleich machte und in jeder eine andere<br />

Stufe der Handlung darstellte.<br />

»Herr Delacroix«, sagte Goethe, »ist ein großes Talent, das gerade am ›Faust‹ die rechte<br />

Nahrung gefunden hat. Die Franzosen tadeln an ihm seine Wildheit, allein hier kommt<br />

sie ihm recht zustatten. Er wird, wie man hofft, den ganzen ›Faust‹ durchführen, und ich<br />

freue mich besonders auf die Hexenküche und die Brockenszenen. Man sieht ihm an,<br />

dass er das Leben recht durchgemacht hat, wozu ihm denn eine Stadt wie Paris die beste<br />

Gelegenheit geboten.«<br />

Ich machte bemerklich, dass solche Bilder zum besseren Verstehen des Gedichts sehr<br />

viel beitrügen. »Das ist keine Frage,« sagte Goethe; »denn die vollkommene Einbildungskraft<br />

eines solchen Künstlers zwingt uns, die Situationen so gut zu denken, wie er<br />

sie selber gedacht hat. Und wenn ich nun gestehen muss, dass Herr Delacroix meine<br />

eigene Vorstellung bei Szenen übertroffen hat, die ich selber gemacht habe, um wie viel<br />

mehr werden nicht die Leser alles lebendig und über ihre Imagination hinausgehend finden!«<br />

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