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Erster Teil - Farben-Welten

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handeln. Mögen sie Truppen marschieren lassen und köpfen und hängen, das ist recht;<br />

allein in öffentlichen Blättern Meinungen bekämpfen und ihre Maßregeln rechtfertigen,<br />

das will ihnen nicht kleiden. Gäbe es ein Publikum von Königen, da möchten sie reden.<br />

In dem, was ich selber zu tun und zu treiben hatte,« fuhr Goethe fort, »habe ich mich<br />

immer als Royalist behauptet. Die anderen habe ich schwatzen lassen, und ich habe<br />

getan, was ich für gut fand. Ich übersah meine Sache und wusste, wohin ich wollte. Hatte<br />

ich als einzelner einen Fehler begangen, so konnte ich ihn wieder gutmachen hätte ich<br />

ihn aber zu dreien und mehreren begangen, so wäre ein Gutmachen unmöglich gewesen,<br />

denn unter vielen ist zu vielerlei Meinung.«<br />

Darauf bei Tisch war Goethe von der heitersten Laune. Er zeigte mir das Stammbuch<br />

der Frau von Spiegel, worin er sehr schöne Verse geschrieben. Es war ein Platz für ihn<br />

zwei Jahre lang offen gelassen, und er war nun froh, dass es ihm gelungen, ein altes<br />

Versprechen endlich zu erfüllen. Nachdem ich das Gedicht an Frau von Spiegel gelesen,<br />

blätterte ich in dem Buche weiter, wobei ich auf manchen bedeutenden Namen stieß.<br />

Gleich auf der nächsten Seite stand ein Gedicht von Tiedge, ganz in der Gesinnung und<br />

dem Tone seiner ›Urania‹ geschrieben. »In einer Anwandlung von Verwegenheit«, sagte<br />

Goethe, »war ich im Begriff einige Verse darunter zu setzen; es freut mich aber, dass ich<br />

es unterlassen, denn es ist nicht das erste Mal, dass ich durch rückhaltlose Äußerungen<br />

gute Menschen zurückgestoßen und die Wirkung meiner besten Sachen verdorben habe.<br />

Indessen«, fuhr Goethe fort, »habe ich von Tiedges ›Urania‹ nicht wenig auszustehen<br />

gehabt; denn es gab eine Zeit, wo nichts gesungen und nichts deklamiert wurde als die<br />

›Urania‹ Wo man hinkam, fand man die ›Urania‹ auf allen Tischen; die ›Urania‹ und die<br />

Unsterblichkeit war der Gegenstand jeder Unterhaltung. Ich möchte keineswegs das<br />

Glück entbehren, an eine künftige Fortdauer zu glauben; ja ich möchte mit Lorenzo von<br />

Medici sagen, dass alle diejenigen auch für dieses Leben tot sind, die kein anderes hoffen;<br />

allein solch unbegreifliche Dinge liegen zu fern, um ein Gegenstand täglicher Betrachtung<br />

und gedankenzerstörender Spekulation zu sein. Und ferner: wer eine Fortdauer<br />

glaubt, der sei glücklich im stillen, aber er hat nicht Ursache, sich darauf etwas einzubilden.<br />

Bei Gelegenheit von Tiedges ›Urania‹ indes machte ich die Bemerkung, dass,<br />

eben wie der Adel, so auch die Frommen eine gewisse Aristokratie bilden. Ich fand dumme<br />

Weiber, die stolz waren, weil sie mit Tiedge an Unsterblichkeit glaubten, und ich<br />

musste es leiden, dass manche mich über diesen Punkt auf eine sehr dünkelhafte Weise<br />

examinierten. Ich ärgerte sie aber, indem ich sagte: es könne mir ganz recht sein, wenn<br />

nach Ablauf dieses Lebens uns ein abermaliges beglücke; allein ich wolle mir ausbitten,<br />

dass mir drüben niemand von denen begegne, die hier daran geglaubt hätten. Denn<br />

sonst würde meine Plage erst recht angehen! Die Frommen würden um mich herumkommen<br />

und sagen: Haben wir nicht recht gehabt? Haben wir es nicht vorhergesagt? Ist<br />

es nicht eingetroffen? Und damit würde denn auch drüben der Langenweile kein Ende<br />

sein.<br />

Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen«, fuhr Goethe fort, »ist für vornehme Stände<br />

und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu tun haben. Ein tüchtiger Mensch aber,<br />

der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt und der daher täglich zu streben, zu<br />

kämpfen und zu wirken hat, lässt die künftige Welt auf sich beruhen und ist tätig und<br />

nützlich in dieser. Ferner sind Unsterblichkeitsgedanken für solche, die in Hinsicht auf<br />

Glück hier nicht zum besten weggekommen sind, und ich wollte wetten, wenn der gute<br />

Tiedge ein besseres Geschick hätte, so hätte er auch bessere Gedanken.«<br />

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