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Erster Teil - Farben-Welten

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en mir durch die frischen Eindrücke, die ich von ihnen empfange, ein neues Leben. Ich<br />

werde über die mir sehr lieben Porträts und Bücher einen eigenen Katalog machen und<br />

beiden in meiner Kunstsammlung und Bibliothek einen besonderen Platz geben.« Man<br />

sah es Goethen an, dass diese Huldigung der jungen Dichter Frankreichs ihn innerlichst<br />

beglückte.<br />

Er las darauf einiges in den ›Studien‹ von Emile Deschamps. Die Übersetzung der ›Braut<br />

von Korinth‹ lobte er als treu und sehr gelungen. »Ich besitze«, sagte er, »das Manuskript<br />

einer italienischen Übersetzung dieses Gedichts, welches das Original bis zum<br />

Rhythmus wiedergibt.«<br />

Die ›Braut von Korinth‹ gab Goethen Anlass, auch von seinen übrigen Balladen zu reden.<br />

»Ich verdanke sie größtenteils Schillern,« sagte er, »der mich dazu trieb, weil er<br />

immer etwas Neues für seine ›Horen‹ brauchte. Ich hatte sie alle schon seit vielen Jahren<br />

im Kopf, sie beschäftigten meinen Geist als anmutige Bilder, als schöne Träume, die<br />

kamen und gingen, und womit die Phantasie mich spielend beglückte. Ich entschloss<br />

mich ungern dazu, diesen mir seit so lange befreundeten glänzenden Erscheinungen ein<br />

Lebewohl zu sagen, indem ich ihnen durch das ungenügende dürftige Wort einen Körper<br />

verlieh. Als sie auf dem Papiere standen, betrachtete ich sie mit einem Gemisch von<br />

Wehmut; es war mir, als sollte ich mich auf immer von einem geliebten Freunde trennen.<br />

Zu anderen Zeiten«, fuhr Goethe fort, »ging es mir mit meinen Gedichten gänzlich anders.<br />

Ich hatte davon vorher durchaus keine Eindrücke und keine Ahnung, sondern sie<br />

kamen plötzlich über mich und wollten augenblicklich gemacht sein, so dass ich sie auf<br />

der Stelle instinktmäßig und traumartig niederzuschreiben mich getrieben fühlte. In solchem<br />

nachtwandlerischen Zustande geschah es oft, dass ich einen ganz schief liegenden<br />

Papierbogen vor mir hatte und dass ich dieses erst bemerkte, wenn alles geschrieben<br />

war, oder wenn ich zum Weiterschreiben keinen Platz fand. Ich habe mehrere solcher<br />

in der Diagonale geschriebene Blätter besessen; sie sind mir jedoch nach und nach<br />

abhanden gekommen, so dass es mir leid tut, keine Proben solcher poetischen Vertiefung<br />

mehr vorzeigen zu können.«<br />

Das Gespräch lenkte sich sodann auf die französische Literatur zurück, und zwar auf die<br />

allerneueste ultraromantische Richtung einiger nicht unbedeutender Talente. Goethe war<br />

der Meinung, dass diese im Werden begriffene poetische Revolution der Literatur selber<br />

im hohen Grade günstig, den einzelnen Schriftstellern aber, die sie bewirken, nachteilig<br />

sei.<br />

»Bei keiner Revolution«, sagte er, »sind die Extreme zu vermeiden. Bei der politischen<br />

will man anfänglich gewöhnlich nichts weiter als die Abstellung von allerlei Missbräuchen,<br />

aber ehe man es sich versieht, steckt man tief in Blutvergießen und Greueln. So<br />

wollten auch die Franzosen bei ihrer jetzigen literarischen Umwälzung anfänglich nichts<br />

weiter als eine freiere Form, aber dabei bleiben sie jetzt nicht stehen, sondern sie verwerfen<br />

neben der Form auch den bisherigen Inhalt. Die Darstellung edler Gesinnungen<br />

und Taten fängt man an für langweilig zu erklären, und man versucht sich in Behandlung<br />

von allerlei Verruchtheiten. An die Stelle des schönen Inhalts griechischer Mythologie<br />

treten Teufel, Hexen und Vampire, und die erhabenen Helden der Vorzeit müssen Gaunern<br />

und Galeerensklaven Platz machen. Dergleichen ist pikant! Das wirkt! – Nachdem<br />

aber das Publikum diese stark gepfefferte Speise einmal gekostet und sich daran gewöhnt<br />

hat, wird es nur immer nach Mehrerem und Stärkerem begierig. Ein junges Talent,<br />

das wirken und anerkannt sein will, und nicht groß genug ist, auf eigenem Wege zu gehen,<br />

muss sich dem Geschmack des Tages bequemen, ja es muss seine Vorgänger im<br />

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