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Erster Teil - Farben-Welten

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Er trat mit Frau von Goethe zu mir heran. »Das ist meine Schwiegertochter,« sagte er;<br />

»kennt ihr beiden euch schon?« Wir sagten ihm, dass wir soeben unsere Bekanntschaft<br />

gemacht. »Das ist auch so ein Theaterkind wie du, Ottilie«, sagte er dann, und wir freuten<br />

uns miteinander über unsere beiderseitige Neigung. »Meine Tochter«, fügte er hinzu,<br />

»versäumt keinen Abend.« – »Solange gute heitere Stücke gegeben werden,« erwiderte<br />

ich, »lasse ich es gelten, allein bei schlechten Stücken muss man auch etwas aushalten.«<br />

– »Das ist eben recht,«erwiderte Goethe, »dass man nicht fort kann und gezwungen<br />

ist auch das Schlechte zu hören und zu sehen. Da wird man recht von Hass gegen<br />

das Schlechte durchdrungen und kommt dadurch zu einer desto besseren Einsicht des<br />

Guten. Beim Lesen ist das nicht so, da wirft man das Buch aus den Händen, wenn es<br />

einem nicht gefällt, aber im Theater muss man aushalten.« Ich gab ihm recht und dachte,<br />

der Alte sagt auch gelegentlich immer etwas Gutes.<br />

Wir trennten uns und mischten uns unter die übrigen, die sich um uns herum und in diesem<br />

und jenem Zimmer laut und lustig unterhielten. Goethe begab sich zu den Damen;<br />

ich gesellte mich zu Riemer und Meyer, die uns viel von Italien erzählten.<br />

Regierungsrat Schmidt setzte sich später zum Flügel und trug Beethovensche Sachen<br />

vor, welche die Anwesenden mit innigem Anteil aufzunehmen schienen. Eine geistreiche<br />

Dame erzählte darauf viel Interessantes von Beethovens Persönlichkeit. Und so ward es<br />

nach und nach zehn Uhr, und es war mir der Abend im hohen Grade angenehm vergangen.<br />

Sonntag, den 19. Oktober 1823<br />

Diesen Mittag war ich das erste Mal bei Goethe zu Tisch. Es waren außer ihm nur Frau<br />

von Goethe, Fräulein Ulrike und der kleine Walter gegenwärtig, und wir waren also bequem<br />

unter uns, Goethe zeigte sich ganz als Familienvater, er legte alle Gerichte vor,<br />

tranchierte gebratenes Geflügel, und zwar mit besonderem Geschick, und verfehlte auch<br />

nicht, mitunter einzuschenken. Wir anderen schwatzten munteres Zeug über Theater,<br />

junge Engländer und andere Vorkommnisse des Tages; besonders war Fräulein Ulrike<br />

sehr heiter und im hohen Grade unterhaltend. Goethe war im ganzen still, indem er nur<br />

von Zeit zu Zeit als Zwischenbemerkung mit etwas Bedeutendem hervorkam. Dabei<br />

blickte er hin und wieder in die Zeitungen und teilte uns einige Stellen mit, besonders<br />

über die Fortschritte der Griechen.<br />

Es kam dann zur Sprache, dass ich noch Englisch lernen müsse, wozu Goethe dringend<br />

riet, besonders des Lord Byron wegen, dessen Persönlichkeit von solcher Eminenz, wie<br />

sie nicht dagewesen und wohl schwerlich wiederkommen werde. Man ging die hiesigen<br />

Lehrer durch, fand aber keinen von einer durchaus guten Aussprache, weshalb man es<br />

für besser hielt, sich an junge Engländer zu halten.<br />

Nach Tisch zeigte Goethe mir einige Experimente in bezug auf die <strong>Farben</strong>lehre. Der Gegenstand<br />

war mir jedoch durchaus fremd, ich verstand so wenig das Phänomen als das,<br />

was er darüber sagte; doch hoffte ich, dass die Zukunft mir Muße und Gelegenheit geben<br />

würde, in dieser Wissenschaft einigermaßen einheimisch zu werden.<br />

Dienstag, den 21. Oktober 1823<br />

Ich war diesen Abend bei Goethe. Wir sprachen über die ›Pandora‹. Ich fragte ihn, ob<br />

man diese Dichtung wohl als ein Ganzes ansehen könne, oder ob noch etwas weiteres<br />

davon existiere. Er sagte, es sei weiter nichts vorhanden, er habe es nicht weiter ge-<br />

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