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Erster Teil - Farben-Welten

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Alle Engländer sind als solche ohne eigentliche Reflexion, die Zerstreuung und der Parteigeist<br />

lassen sie zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber sie sind groß als praktische<br />

Menschen.<br />

So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken über sich selbst gelangen; deswegen auch<br />

seine Reflexionen überhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie sein Symbolum ›Viel Geld<br />

und keine Obrigkeit‹ beweiset, weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralysiert.<br />

Aber alles, was er produzieren mag, gelingt ihm, und man kann wirklich sagen, dass sich<br />

bei ihm die Inspiration an die Stelle der Reflexion setzt. Er musste immer dichten; und da<br />

war denn alles, was vom Menschen, besonders vom Herzen ausging, vortrefflich. Zu<br />

seinen Sachen kam er wie die Weiber zu schönen Kindern; sie denken nicht daran und<br />

wissen nicht wie.<br />

Er ist ein großes Talent, ein geborenes, und die eigentlich poetische Kraft ist mir bei<br />

niemanden größer vorgekommen als bei ihm. In Auffassung des Äußern und klarem<br />

Durchblick vergangener Zustände ist er ebenso groß als Shakespeare. Aber Shakespeare<br />

ist als reines Individuum überwiegend. Dieses fühlte Byron sehr wohl, deshalb<br />

spricht er vom Shakespeare nicht viel, obgleich er ganze Stellen von ihm auswendig<br />

weiß. Er hätte ihn gern verleugnet, denn Shakespeares Heiterkeit ist ihm im Wege; er<br />

fühlt, dass er nicht dagegen aufkann. Pope verleugnet er nicht, weil er ihn nicht zu fürchten<br />

hatte. Er nennt und achtet ihn vielmehr, wo er kann, denn er weiß sehr wohl, dass<br />

Pope nur eine Wand gegen ihn ist.«<br />

Goethe schien über Byron unerschöpflich, und ich konnte nicht satt werden, ihm zuzuhören.<br />

Nach einigen kleinen Zwischengesprächen fuhr er fort:<br />

»Der hohe Stand als englischer Peer war Byron sehr nachteilig; denn jedes Talent ist<br />

durch die Außenwelt geniert, geschweige eins bei so hoher Geburt und so großem Vermögen.<br />

Ein gewisser mittler Zustand ist dem Talent bei weitem zuträglicher; weshalb wir<br />

denn auch alle große Künstler und Poeten in den mittleren Ständen finden. Byrons Hang<br />

zum Unbegrenzten hätte ihm bei einer geringeren Geburt und niederem Vermögen bei<br />

weitem nicht so gefährlich werden können. So aber stand es in seiner Fracht, jede Anwandlung<br />

in Ausführung zu bringen, und das verstrickte ihn in unzählige Händel. Und<br />

wie sollte ferner dem, der selbst aus so hohem Stande war, irgendein Stand imponieren<br />

und Rücksicht einflößen? Er sprach aus, was sich in ihm regte, und das brachte ihn mit<br />

der Welt in einen unauflöslichen Konflikt.<br />

Man bemerkt mit Verwunderung,« fuhr Goethe fort, »welcher große <strong>Teil</strong> des Lebens eines<br />

vornehmen reichen Engländers in Entführungen und Duellen zugebracht wird. Lord<br />

Byron erzählt selbst, dass sein Vater drei Frauen entführt habe. Da sei einer einmal ein<br />

vernünftiger Sohn!<br />

Er lebte eigentlich immer im Naturzustande, und bei seiner Art zu sein, musste ihm täglich<br />

das Bedürfnis der Notwehr vorschweben. Deswegen sein ewiges Pistolenschießen.<br />

Er musste jeden Augenblick erwarten, herausgefordert zu werden.<br />

Er konnte nicht allein leben. Deswegen war er trotz aller seiner Wunderlichkeiten gegen<br />

seine Gesellschaft höchst nachsichtig. Er las das herrliche Gedicht über den Tod des<br />

General Moore einen Abend vor, und seine edlen Freunde wissen nicht, was sie daraus<br />

machen sollen. Das rührt ihn nicht, und er steckt es wieder ein. Als Poet beweist er sich<br />

wirklich wie ein Lamm. Ein anderer hätte sie dem Teufel übergeben!«<br />

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