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Erster Teil - Farben-Welten

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Goethe erzählte mir darauf von seinem Freunde einige Anekdoten, die mir sehr charakteristisch<br />

erschienen.<br />

»Schiller war, wie sich bei seinem großartigen Charakter denken lässt,« sagte er, »ein<br />

entschiedener Feind aller hohlen Ehrenbezeigungen und aller faden Vergötterung, die<br />

man mit ihm trieb oder treiben wollte. Als Kotzebue vorhatte, eine öffentliche Demonstration<br />

zu seinem Ruhme zu veranstalten, war es ihm so zuwider, dass er vor innerem Ekel<br />

darüber fast krank wurde. Ebenso war es ihm zuwider, wenn ein Fremder sich bei ihm<br />

melden ließ. Wenn er augenblicklich behindert war, ihn zu sehen, und er ihn etwa auf<br />

den Nachmittag vier Uhr bestellte, so war in der Regel anzunehmen, dass er um die bestimmte<br />

Stunde vor lauter Apprehension krank war. Auch konnte er in solchen Fällen<br />

gelegentlich sehr ungeduldig und auch wohl grob werden. Ich war Zeuge, wie er einst<br />

einen fremden Chirurgus, der, um ihm seinen Besuch zu machen, bei ihm unangemeldet<br />

eintrat, sehr heftig anfuhr, so dass der arme Mensch, ganz verblüfft, nicht wusste, wie<br />

schnell er sich sollte zurückziehen.<br />

Wir waren, wie gesagt und wie wir alle wissen,« fuhr Goethe fort, »bei aller Gleichheit<br />

unserer Richtungen Naturen sehr verschiedener Art, und zwar nicht bloß in geistigen<br />

Dingen, sondern auch in physischen. Eine Luft, die Schillern wohltätig war, wirkte auf<br />

mich wie Gift. Ich besuchte ihn eines Tages, und da ich ihn nicht zu Hause fand und seine<br />

Frau mir sagte, dass er bald zurückkommen würde, so setzte ich mich an seinen Arbeitstisch,<br />

um mir dieses und jenes zu notieren. Ich hatte aber nicht lange gesessen, als<br />

ich von einem heimlichen Übelbefinden mich überschlichen fühlte, welches sich nach<br />

und nach steigerte, so dass ich endlich einer Ohnmacht nahe war. Ich wusste anfänglich<br />

nicht, welcher Ursache ich diesen elenden, mir ganz ungewöhnlichen Zustand zuschreiben<br />

sollte, bis ich endlich bemerkte, dass aus einer Schieblade neben mir ein sehr fataler<br />

Geruch strömte. Als ich sie öffnete, fand ich zu meinem Erstaunen, dass sie voll fauler<br />

Äpfel war. Ich trat sogleich an ein Fenster und schöpfte frische Luft, worauf ich mich<br />

denn augenblicklich wiederhergestellt fühlte. Indes war seine Frau wieder hereingetreten,<br />

die mir sagte, dass die Schieblade immer mit faulen Äpfeln gefüllt sein müsse, indem<br />

dieser Geruch Schillern wohl tue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne.<br />

Morgen früh«, fuhr Goethe fort, »will ich Ihnen auch zeigen, wo Schiller hier in Jena gewohnt<br />

hat.«<br />

Es war indes Licht gebracht, wir nahmen ein kleines Abendessen und saßen nachher<br />

noch eine Weile in allerlei Erinnerungen und Gesprächen.<br />

Ich erzählte Goethen einen merkwürdigen Traum aus meinen Knabenjahren, der am andern<br />

Morgen buchstäblich in Erfüllung ging.<br />

»Ich hatte«, sagte ich, »mir drei junge Hänflinge erzogen, woran ich mit ganzer Seele<br />

hing und die ich über alles liebte. Sie flogen frei in meiner Kammer umher und flogen mir<br />

entgegen und auf meine Hand, sowie ich in die Tür hereintrat. Ich hatte eines Mittags<br />

das Unglück, dass bei meinem Hereintreten in die Kammer einer dieser Vögel über mich<br />

hinweg und zum Hause hinausflog, ich wusste nicht wohin. Ich suchte ihn den ganzen<br />

Nachmittag auf allen Dächern und war untröstlich, als es Abend ward und ich von ihm<br />

keine Spur gefunden hatte. Mit betrübten herzlichen Gedanken an ihn schlief ich ein und<br />

hatte gegen Morgen folgenden Traum. Ich sah mich nämlich, wie ich an unsern Nachbarshäusern<br />

umherging und meinen verlorenen Vogel suchte. Auf einmal höre ich den<br />

Ton seiner Stimme und sehe ihn hinter dem Gärtchen unserer Hütte auf dem Dache eines<br />

Nachbarhauses sitzen; ich sehe, wie ich ihn locke und wie er näher zu mir herab-<br />

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