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Grundschule aktuell 123

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Praxis: Pädagogik für arme Kinder<br />

Maresi Lassek<br />

Schulleiterin der<br />

<strong>Grundschule</strong> am<br />

Pfälzer Weg in<br />

Bremen, Vorsitzende<br />

des<br />

Grundschulverbandes<br />

●●<br />

Die individuelle Ausgangslage der<br />

Kinder bestimmt Lerninhalt und Lerntempo,<br />

aber auch unterstützende Hilfen<br />

bzw. Herausforderungen auf der<br />

Grundlage individueller Stärken. Begabungsförderung<br />

gehört im Rahmen der<br />

Heterogenität zu einem Schwerpunkt.<br />

Unterschiedlichkeit zuzulassen entspannt<br />

die individuelle Situation des<br />

einzelnen Kindes, aber auch die Lernatmosphäre<br />

insgesamt. Lernruhe und<br />

die Konzentration auf die Entwicklung<br />

tragfähiger Basiskompetenzen für<br />

Lesen, Schreiben und mathematische<br />

Grundlagen sind möglich.<br />

●●<br />

Konzeptionell eingebunden war von<br />

jeher der Übergang von der Kita in die<br />

Schule, heute steht auch der Übergang<br />

von der <strong>Grundschule</strong> in die Sekundarstufe<br />

im Jahresablauf im Blick. Der<br />

Übergang im Stufenschulsystem bereitet<br />

nicht nur Unsicherheiten für Kinder<br />

und Eltern, sondern verursacht Brüche<br />

im Lernen. Weder die Lernorganisation<br />

noch Lerninhalte, Förderschwerpunkte,<br />

Arbeitsweisen und anderes sind zwischen<br />

den Schulstufen abgestimmt.<br />

LehrerInnen aus <strong>Grundschule</strong>n und aus<br />

dem Sekundarbereich wissen wenig<br />

voneinander. Die Schule arbeitet mit<br />

einem Sekundarstufenzentrum auf drei<br />

Ebenen zusammen: LehrerInnen, Schulleitungen,<br />

SchülerInnen.<br />

●●<br />

Projekte und Profile orientieren sich<br />

an den Bedürfnissen der Kinder.<br />

Gesundheitsförderende Angebote wie<br />

die Vitaminpause, Zahngesundheitsprophylaxe,<br />

Psychomotorische Förderung,<br />

Bewegungsangebote für übergewichtige<br />

und auch leistungsstarke<br />

Kinder, Schwimmunterricht über zwei<br />

Jahre oder das Projekt »Kinder ins Rollen<br />

bringen« prägen das Schulprofil.<br />

Hinzu kommt der Schwerpunkt<br />

Lesen mit regelmäßigen Bibliotheksbesuchen,<br />

täglicher Lesezeit, Leseclubangeboten,<br />

Vorlesen im Kindergarten und<br />

der Mitarbeit von Lesehelfern.<br />

Mithilfe zusätzlicher Kommunikationsmöglichkeiten<br />

im Unterricht<br />

(Partner- und Gruppenarbeit, Helfersysteme,<br />

Gesprächskreise usw.) kann in<br />

relevanten Situationen die Sprachkompetenz<br />

gefördert werden.<br />

●●<br />

Die Herausforderung, Eltern aus<br />

einem multikulturell und von Armut<br />

geprägten Milieu mehr für die Schule<br />

zu interessieren und in das Schulleben<br />

einzubeziehen, war zu bearbeiten. Über<br />

das Projekt KESCH (Kinder, Eltern und<br />

Schule im Dialog) entstehen Begegnungen<br />

zwischen den Eltern und mit der<br />

Schule in einem eher informellen Rahmen<br />

(s. Homepage der Schule).<br />

Sprach- und Alphabetisierungskurse<br />

für Mütter finden in den Räumen der<br />

Schule statt. Begegnungen bei Schulveranstaltungen<br />

machen die Mütter<br />

sicherer im Umgang mit institutionellen<br />

Gegebenheiten. Elternbriefe werden<br />

z. B. im Sprachkurs besprochen.<br />

Verabredungen und konsequente<br />

Schritte z. B. bei häufigen Fehlzeiten<br />

oder bei Verdacht auf Vernachlässigung<br />

wirken als Schutzfaktor für die Kinder<br />

und zeigen Eltern, wo sie Verantwortung<br />

tragen. Gemeinsam mit Eltern<br />

wird der Kontakt zu Beratungseinrichtungen<br />

hergestellt.<br />

●●<br />

Teamarbeit und schulinterne Kooperation<br />

sind über einen Jahreszeitplan<br />

geregelt.<br />

●●<br />

Verantwortlichkeiten für über den<br />

Unterricht hinausgehende Aufgaben in<br />

der Schule und die Mitarbeit in Gremien<br />

werden über einen Ämterplan<br />

transparent verteilt.<br />

●●<br />

Vernetzung durch Kooperationen<br />

über die Schule hinaus in den Stadtteil<br />

und zu Hilfesystemen im Sozialbereich<br />

gehört zum Standard (siehe Beiträge<br />

zur Reform der <strong>Grundschule</strong>, Bd. 129,<br />

Allen Kindern gerecht werden).<br />

Erweiterung des Erfahrungsraumes<br />

für die Schülerinnen und Schüler<br />

Der Mangel an finanziellen Möglichkeiten<br />

in den Familien und die daraus<br />

entstehenden Einschränkungen für den<br />

Erfahrungshorizont der Kinder müssen<br />

durch schulische Angebote kompensiert<br />

werden. Deshalb bedarf es gerade<br />

an Schulen, deren Schülerschaft nur<br />

wenig Berührung mit kulturellen Angeboten,<br />

mit Sportgelegenheiten (Distanz<br />

zu Sportvereinen) oder zu Freizeiteinrichtungen<br />

in der Kommune hat,<br />

zusätzlicher Angebote. Dieses Angebot<br />

erfordert eine finanzielle Ausstattung,<br />

die nicht die Familien aufbringen können.<br />

Kontakte zur Bibliothek oder zum<br />

Sportverein gelingen besser, wenn sie in<br />

den Anfängen begleitet werden. Emotionale<br />

Barrieren gegenüber kulturellen<br />

Einrichtungen lassen sich durch Begegnungen<br />

verringern.<br />

Unsicherheiten und daraus entstehende<br />

Vermeidenshaltungen zum Beispiel<br />

wegen unzureichender Arbeitsmaterialien<br />

dürfen nicht zu Beschämungen<br />

führen. Die Qualität des Handwerkszeugs<br />

der Kinder beeinflusst Arbeitsergebnisse<br />

und den Ablauf von Arbeitsprozessen.<br />

Es macht einen Unterschied,<br />

ob die Schere gut schneidet oder nur das<br />

Papier knickt, ob der Stift weich über<br />

das Papier gleitet oder ständig abbricht<br />

usw. Deshalb stellt die Schule den Kindern<br />

z. B. Scheren, Lineal oder Zirkel zur<br />

Verfügung. Im Rahmen der in Bremen<br />

gesetzlich verankerten Lehr- und Lernmittelfreiheit<br />

erhalten die Schulen einen<br />

Etat für Hefte, Bücher und dergleichen<br />

und dürfen Ausgabenschwerpunkte<br />

eigenständig festlegen. Für Verbrauchsmaterialien<br />

wie Arbeitshefte reicht in der<br />

Regel der Etat nicht. Benachteiligungen<br />

durch die Sozialstruktur der Schülerschaft<br />

sind vorprogrammiert. Bei Schulveranstaltungen<br />

muss bedacht werden,<br />

wie viele Sonderausgaben man Familien<br />

im Laufe eines Schuljahres zumuten<br />

kann. Erfahrungsgemäß geraten Schulen<br />

in benachteiligten Gebieten zusätzlich<br />

ins Hintertreffen, weil es für mögliche<br />

Sponsoren nicht attraktiv ist, dort<br />

Spendengelder einzusetzen. Die Schulvereine<br />

dieser Schulen füllen ihre Konten<br />

nicht durch großzügige Spenden von<br />

Eltern und von Firmen aus dem Umfeld<br />

der Schule.<br />

Schulen können nicht reparieren, was<br />

die gesellschaftlichen Bedingungen und<br />

die Verhältnisse von Familien verursachen.<br />

Lehrerinnen und Lehrer haben es<br />

aber in der Hand, Kinder ernst zu nehmen,<br />

Chancen zu eröffnen, Stärken zu<br />

stärken, Lernzeit effektiv zu gestalten,<br />

bedeutsame Erfahrungen zu vermitteln<br />

und Barrieren abzubauen.<br />

Kinder haben ein Recht auf eine<br />

starke und anspruchsvolle Schule, die<br />

ihre Ausgangslage respektiert und so<br />

ausgestattet ist, dass sie mehr Bildungsgerechtigkeit<br />

herstellen kann.<br />

22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>123</strong> • September 2013

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