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OPAC 2015 03

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kommentar<br />

von Ingo Mörth<br />

Knotenpunkte für Wissen, Kommunikation<br />

und Identität<br />

Elias Canetti sagt im Roman „Die Blendung“<br />

(1936), dass „die beste Definition von Heimat »Bibliothek«“<br />

sei. Hier wird eine Funktion aller Bibliotheken<br />

verdeutlicht – von Nationalbibliotheken<br />

über wissenschaftliche Bibliotheken bis hin<br />

zu wohnort- und besuchernahen Büchereien im<br />

Kommunal- und Schulbereich: Alle stiften / bewahren<br />

sie soziokulturelle Identität, indem sie mit<br />

ihrem Bestand und ihren Informationsmöglichkeiten<br />

Bezugs- und Ankerpunkte von Identität zur<br />

Verfügung stellen.<br />

Auch wenn Menschen heute im WWW vielfältige<br />

Informationsquellen für Fragen zu ihrem Leben<br />

und ihrer Existenz direkt zur Verfügung haben, können<br />

Bibliotheken als Knotenpunkte und „Tankstellen<br />

der Wissensvermittlung“ eine wichtige identitätsrelevante<br />

Funktion der Informationsselektion<br />

und Beratung wahrnehmen, wenn es gelingt, als<br />

Anlaufstellen für Informationsbeschaffung bedeutsam<br />

zu bleiben. Die Chancen stehen nicht schlecht:<br />

Trotz allgemeinem Rückgang der Lesehäufigkeit<br />

verzeichnen die Öffentlichen Bibliotheken steigende<br />

Nutzerzahlen.<br />

DEMOKRATISIERUNG UND POLITISCHE BILDUNG<br />

DURCH WISSEN<br />

Die wesentliche Funktion jeder Bibliothek ist schon<br />

mit Erfindung der Schrift grundgelegt. Bibliotheken<br />

als Informationsspeicher hatten daher seit der Antike<br />

immer auch Herrschaftscharakter, und die Verfügung<br />

über das gespeicherte Wissen war bis in die<br />

Neuzeit vor allem Herrschenden oder Eliten vorbehalten.<br />

Öffentliche Büchereien waren dagegen dem Prinzip<br />

„Demokratisierung durch Bildung“ verpflichtet und<br />

verstanden sich auch als demokratische Bildungsträger.<br />

Thomas Jefferson meinte, dass die Existenz<br />

einer „public library“ in jedem Ort, mit einem<br />

Grundbestand von an Aufklärung und dem Liberalismus<br />

verpflichteten Werken, ein Fundament der<br />

Demokratie sei.<br />

Auch heute ist dieser demokratische Effekt allgemein<br />

zugänglichen Wissens bedeutsam: denn wer<br />

immer sich über Fragen von politischem Interesse<br />

informieren will, wird im Angebot einer Regionalbücherei<br />

ein ausgewogenes Informationsangebot<br />

finden. Eine große Herausforderung ist dabei heute,<br />

auch für Fragen der Migrations-, Flüchtlingsund<br />

Asylproblematik solche Sachinformationen<br />

bereitzuhalten, und zwar nicht nur für „Einheimische“,<br />

sondern auch für betroffene Migrant/innen<br />

in deren Muttersprache. Einer flächendeckenden<br />

Verteilung von Flüchtlingen steht so ein Netz von<br />

Gemeinde-, Schul- und Pfarrbibliotheken gegenüber,<br />

die so die lokale Integration und Kommunikation<br />

fördern können.<br />

DIGITALISIERUNG: BIBLIOTHEKEN ALS<br />

NAVIGATOREN IM WISSENSOZEAN<br />

Die Digitalisierung stellt die bedeutendste Veränderung<br />

im Bibliothekswesen überhaupt dar. Sie ist<br />

verantwortlich, dass sich der Schwerpunkt von Bibliotheken<br />

zur „universellen Suchmaschine“ und<br />

„Informationsvermittlungsstelle“ gewandelt hat.<br />

Nicht mehr nur Pflege und Vermittlung des Bestandes<br />

stehen im Mittelpunkt, sondern auch Unterstützung<br />

der Nutzer/innen bei Bewältigung der<br />

gesamten elektronischen Informationsfülle. Bibliotheken<br />

bekommen so einen zusätzlichen Stellenwert<br />

als „Navigatoren im Wissensozean“. Denn die<br />

Form der Speicherung von Informationen wird immer<br />

unwichtiger, es geht vielmehr um Zugänglichkeit<br />

und Verfügbarkeit von Inhalten.<br />

Diese „Broker-Funktion“ der Bibliotheken hat sich<br />

heute dergestalt weiterentwickelt, dass der Beratungskompetenz<br />

des Bibliothekspersonals ebenso<br />

wesentliche Bedeutung zukommt wie der Anbindung<br />

der Bibliotheken an die weltweiten Datenbanken,<br />

Informations- und Bildungsnetze, und<br />

zwar über die kommerziell dominierte „schöne<br />

neue Informationswelt“ von Google oder Amazon<br />

hinaus. Dies braucht Schulung und Weiterbildung<br />

des Personals sowie die Verfügung über notwendige<br />

Lizenzen auch zur Nutzung kostenpflichtiger<br />

Informationsquellen.<br />

Bild: Michael Strobl<br />

KURZBIOGRAFIE<br />

Ingo Mörth<br />

® Geboren 1949 in Kärnten<br />

® 1959–1967 Akademischen Gymnasiums<br />

Linz.<br />

® 1968–1977 Studium der Betriebswirtschaft<br />

und Soziologie in Linz,<br />

Doktorat in Soziologie.<br />

® 1973–2011 Lehr- und Forschungstätigkeit in Kultur-,<br />

Medien-, Bildungs- und Religionssoziologie sowie Soziologische<br />

Theorie an der JKU.<br />

® 1984 Habilitation und seit 1998 ao. Univ.-Prof. für Soziologie<br />

und Vorstand des Instituts für Kulturwirtschaft und<br />

Kulturforschung der JKU.<br />

® 2011: Ruhestand<br />

® Zahlreiche Veröffentlichungen zu Themen der Lehr- und<br />

Forschungstätigkeit.<br />

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