mole #2
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Den Einzelfall<br />
verhindern !<br />
Über linksradikale Praxisversuche<br />
im Kampf gegen Zwangsräumungen<br />
ANDERE ZUSTÄNDE ERMÖGLICHEN<br />
In Berlin gibt es eine lange Geschichte linksradikaler,<br />
stadtpolitischer Praxis. Parallel zu einem<br />
Aufflackern der militanten Freiraumszene<br />
begann um 2006 ein neuer Zyklus stadtpolitischer<br />
Proteste mit dem Kampf gegen die Bebauung der<br />
Spreeufer in Friedrichshain-Kreuzberg. Daran<br />
anknüpfend kam es zu mietenpolitischen Protesten<br />
und Organisierungsansätzen. Wir nehmen als<br />
Gruppe an den hier entstandenen Protesten teil.<br />
Der Fokus in diesem Artikel liegt auf der Arbeit<br />
im Bündnis „Zwangsräumung verhindern“, das<br />
sich im Herbst 2012 gründete. Dabei zeigen wir<br />
an diesem Beispiel, wie eine emanzipatorische,<br />
linksradikale Praxis über die Szene hinaus wirken<br />
kann. Nach einer kurzen Einführung zum<br />
Zwangsräumungsbündnis beleuchten wir dafür<br />
drei, aus unserer Sicht wichtige, Bestandteile<br />
der Praxis genauer: Solidarität, theoretische<br />
Einbettung und Konflikt. Abschließend stellen wir<br />
die Arbeit im Bündnis in den Kontext unserer politischen<br />
Arbeit und stadtpolitischen Ansätze. Diese<br />
Überlegungen sind unsere Sicht auf die Tätigkeit<br />
des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“; wir<br />
sprechen dabei nicht im Namen des Bündnisses.<br />
Bei der Herausbildung der derzeitigen stadtpolitischen<br />
Kämpfe in Berlin gelang es der Szene<br />
die politisch gewollte Entwicklung steigender<br />
Mieten mit dem traditionellen Protestpotential<br />
zu verknüpfen. Die stadtpolitischen Akteure<br />
formierten sich hier nicht von Beginn an<br />
explizit antikapitalistisch. Wie häufig bei<br />
bewegungslinken Inhalten begannen auch diese<br />
Kämpfe mit einer inhaltlichen Verkürzung, in<br />
diesem Fall auf steigende Mieten und die damit<br />
einhergehende Verdrängung. Vor dem Hintergrund<br />
einer neoliberalen Hegemonie muss es<br />
aber bereits als Erfolg gelten, wenn diese Entwicklungen<br />
nicht stillschweigend hingenommen,<br />
sondern zunehmend skandalisiert werden.<br />
Es gelang in den letzten Jahren regelmäßig,<br />
öffentliche Reden linksradikal zu beeinflussen,<br />
auch weil die Politik lange Zeit versuchte, sich<br />
durch Ignoranz aus der Affäre zu ziehen und die<br />
Kritik an steigenden Mieten nicht von einer institutionalisierten<br />
Opposition oder Nichtregierungsorganisationen<br />
verwaltet wird. So bekam<br />
zunächst der Begriff Gentrifizierung und die<br />
Aufwertung von Stadtvierteln eine negative<br />
Wertung. Daran anschließend wurden steigende<br />
Mieten und Verdrängung in der ganzen Stadt<br />
problematisiert. Dabei unterstützen sicherlich<br />
die „objektiven Fakten“, gleichzeitig ist die Politisierung<br />
dieser Entwicklung weitgehend einer<br />
stadtpolitisch-linksradikalen Szene zuzuordnen.<br />
Zwischen Einzelfall und Gesamtscheiße<br />
Mit dem Bündnis „Zwangsräumung verhindern“<br />
(BZV) wurde eine stadtpolitische Organisierung<br />
etabliert, die einerseits verstärkt einen antikapitalistischen<br />
Ansatz verfolgt und andererseits<br />
über die Szene hinaus weist. Das BZV baut<br />
dabei stark auf den Strukturen der Basisarbeit in<br />
den Stadtvierteln, besonders in Kreuzberg, auf.<br />
Der Startschuss für das BZV war die drohende<br />
Zwangsräumung von Nuriye Cengiz, welche<br />
sich mit Zetteln in den Fenstern ihrer Wohnung<br />
gegen ihre Räumung positioniert hatte. Die<br />
Politisierung von und der direkte Protest gegen<br />
Zwangsräumungen nahm dann erheblich an<br />
Fahrt auf als im Herbst 2012 Familie Gülbol<br />
die Räumung der Wohnung in der Lausitzer<br />
Straße 8 angedroht wurde und am 14. Februar<br />
2013 schlussendlich vollzogen wurde. Um die<br />
Zwangsräumung zu sabotieren hatte das BZV zu<br />
Blockaden mobilisiert, die verhindern sollten,<br />
dass die zuständige Gerichtsvollzieherin den<br />
Räumungstitel zustellen konnte. Ungefähr<br />
1000 Menschen blockierten sowohl vor dem<br />
Hauseingang als auch an beiden Straßenecken.<br />
Sie waren mit einem Großeinsatz der Polizei<br />
konfrontiert. Dieser gelang es letztlich mit<br />
über 800 Polizist*innen, einem Hubschrauber<br />
und einer als Polizistin verkleideten Gerichtsvollzieherin,<br />
die Wohnung zu räumen.<br />
Im Folgenden kam es noch zu drei weiteren<br />
Blockadeversuchen von Zwangsräumungen. Im<br />
März 2013 kam es zur Räumung der Wohnung<br />
von Rosemarie F., einer älteren Frau, die vom<br />
Arzt ein Attest zur ‚Räumungsunfähigkeit‘ hatte<br />
und auch mehrfach selbst angekündigt hatte,<br />
eine Räumung nicht ertragen zu können. Nach<br />
der vollzogenen Räumung verstarb diese tra-<br />
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